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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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New Orleans

Henri Ferry war der Abwehr-Einsatzagent für New Orleans und das schon seit über sechs Jahren. Er hatte bereits für den deutschen Geheimdienst gearbeitet, als er das französische Mutterland hatte verlassen müssen. Der Franzose war im Zusammenhang mit der Ermordung eines linken Lokalpolitikers ins Gerede gekommen, und hatte es deshalb für angebracht gehalten, ‚in die Kolonien’ auszuweichen. In Louisiana, dessen politische Elite überwiegend konservativ bis offen rechts war, interessierte sich niemand für einen toten Roten. In Frankreich hatte Ferry zum mittleren Führungsmanagement der ‚Action Francaise’ gehört, einer rechtsgerichteten, rassistischen und antisemitischen Bewegung, die offen und verdeckt zahlreiche Kontakte zu anderen faschistischen Organisationen in Europa und Nordamerika unterhielt. Auch zum Deutschen Reich. Auf den Sympathisanten, Kontakten und Beziehungen der AF baute auch Ferrys Informations- und Agentennetzwerk auf, das er für die Abwehr geschaffen hatte. Er war bei seiner Arbeit erfolgreich und galt als zuverlässig – Eigenschaften, die bei Auslandsagenten nicht unbedingt die Regel waren. Außerdem war er politisch immer noch sehr aktiv, und gehörte zu den Führern der Auslandssektion der AF in Louisiana.

Dennoch wäre es Ernst von Stahlheim lieber gewesen, wenn sein Kontaktmann nicht einen derartigen politischen Hintergrund gehabt hätte. Nicht, dass er Probleme mit den Ansichten und Zielen der AF hatte. Oder dass er sich an dem starren, verbitterten Naturell des Standortagenten gestört hätte. Damit kam er schon klar. Aber jemand mit Henri Ferrys Hintergrund würde bei jedem halbwegs kompetenten Spionageabwehrexperten alle Alarmsignale aufleuchten lassen. Sicher, es gab mehr als genug AF-Sympathisanten im Militär und der Polizei, aber es reichte ja schon, wenn es unter all den Äpfeln im Korb einen einzelnen gab, der nicht braun war…

Aber von Stahlheim hatte keine Wahl gehabt. Zu lange war er ‚blind’ geflogen, ohne Kontakt zur Zentrale gewesen, ohne Anweisungen oder Informationen, während die Situation immer kritischer geworden war, immer gefährlicher.

Marquardt hatte ihn überrascht, als er ihn praktisch von Bord geworfen hatte. Von Stahlheim hatte nicht gedacht, dass der Pirat es sich leisten zu können glaubte, auf seinen besten Piloten und Stellvertreter zu verzichten. Entweder entwickelte Marquardt eine für seinen Beruf verteufelt ungeeignete Rücksicht auf die Gefühle seiner Untergebenen, oder er überschätzte seine Chancen gewaltig.
Aber was hatte ihn das zu bekümmern? Und warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? An Bord der NORTH STAR hatte er einen Auftrag erfüllt. Nicht mehr und nicht weniger. Er konnte froh sein, mit heiler Haut, wertvollen Informationen, und zwei Exemplaren des texanischen Nitro-Boosters davongekommen zu sein.
Und wenn endlich der erwartete Funkspruch der Zentrale ankommen würde, dann konnte er diesen Wahnsinn hinter sich lassen, und nach Hause zurückkehren. Und das war gut so. Man konnte nur einem Herrn dienen, alles andere war zu gefährlich. Sein Abzug war überfällig.

Ähnlich wie Elisabeth und andere Einsatzagenten, die er im Laufe seiner Zeit in Amerika kennen gelernt hatte, wollte Henri Ferry dabei sein, wenn von Stahlheim sein Funkgerät benutzte. Es war eine Frage der Kontrolle, und der Selbstvergewisserung. Natürlich wussten die einheimischen Agenten, dass sie im Rang unter den deutschen Geheimdienstleuten standen. Deshalb wollten sie sich so vergewissern, dass sie nicht übergangen wurden. Dass sie mehr waren, als Hilfsarbeiter und Zuträger.
Da von Stahlheim auf Ferry angewiesen war, und der Mann außerdem als zuverlässig galt, hatte der deutsche Agent seine Spielregeln akzeptiert. New Orleans war Ferrys Stadt, und nachdem er es sich von ein paar Monaten mit Neville Sinclair verdorben hatte, wollte er nicht auch noch einen weiteren wichtigen Standortagenten verärgern. Das hieß, wenn es nicht gerade unbedingt nötig war. Außerdem wurden die Funksprüche an ihn sowieso doppelt verschlüsselt und Codewörter verwendet, mit denen Ferry nichts würde anfangen können.

Dann war der Funkspruch endlich eingetroffen. Doch die Befehle, die man von Stahlheim erteilte…
Hätte ihm jemand einen Dolch in den Rücken gerammt, er wäre weniger überrascht gewesen. Vielleicht wäre ein solcher Angriff auch weniger schmerzhaft gewesen.
Die Zentrale wollte ihn nicht abziehen. Alles was er erreicht und geleistet hatte schien Berlin nichts zu bedeuten. Genauso wenig wie sein Leben. Wie betäubt starrte der deutsche Agent auf die abschließenden Worte des kurzen Funkspruchs: ‚Rückkehr zum Objekt. Operation Hagen - Ausführung.’
Das war Alles.

„Schlechte Nachrichten?“ Ferry mochte ein verbitterter Rassist sein, dumm war er nicht. Dennoch war er überrascht, als der deutsche Agent jäh auflachte. Es war ein raues, bitteres Lachen, bar jeder Fröhlichkeit. Das Lachen eines zum Tode Verurteilten: „Berlin schickt mich mit Marquardt auf die Jagd.“
„Das verstehe ich nicht. Was soll das?“
„Das, was immer dabei heraus kommt, wenn zwei Deutsche beteiligt sind.
Mein Gott, ich hätte es wissen müssen. Das konnte ja nur so enden.“ Und wieder lachte der deutsche Agent. Schlagartig wurde er ernst: „Ich brauche die Position der NORTH STAR. Schaffen Sie das?“
„Soll das ein Witz sein? Marquardt hat mit seinen privaten Kreuzzug eine Spur gelegt, der ein Blinder folgen könnte. Zu viele Luftschiffe, zu viele Funker. Er KANN sich gar nicht verstecken. Geben Sie mir eine Stunde…“
„Die haben Sie, Ferry. Entschuldigen Sie mich. Ich muss…muss einige Vorbereitungen treffen. Sobald Sie die Route der NORTH haben, geben Sie mir bitte Bescheid.“ Dann stand der deutsche Offizier auf, und verließ fast fluchtartig den getarnten Funkraum. Sobald er sich unbeobachtet glaubte, musste er sich mit der Hand an der Wand abstützen. Sein Atem ging keuchend, und ihm war speiübel. Aber der Augenblicke der Schwäche war schnell vorbei. Diesmal hatte er sich besser im Griff, und erlaubte seiner Angst, seiner Wut und seinen Albträumen nicht, über ihn Gewalt zu erlangen. Das war ein paar Mal in den letzten Monaten passiert, und immer hatte er es anschließend bedauern müssen. Das war die Folge des Doppellebens, der Lügen, der ständigen Anspannung und drohenden Enttarnung. Der Preis des Agentenlebens.
Ernst von Stahlheim straffte sich. Er hatte noch einiges zu tun und zu planen.

’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’’

Eine Stunde später
Henri Ferry registrierte mit Beruhigung, dass sich der Agent offenbar wieder gefangen hatte und wieder so kontrolliert und professionell schien, wie er es von einem deutschen Verbündeten erwartete.
„Wollen Sie mir nicht sagen, worum es geht, Hauptmann?“
„Tut mir leid, aber das geht nicht. Das WOLLEN Sie gar nicht wissen. Haben Sie die NORTH STAR lokalisiert?“
Herni Ferry zögerte, entschloss sich aber, erst mal nicht weiter nachzubohren: „Habe ich. Ich habe es ja gesagt, so viele Zigarren können sich ganz einfach nicht verbergen. Jedenfalls nicht DIESE Luftschiffe. Und nicht vor uns. Zivilisten. Halbsoldaten. Außer natürlich, er WILL gefunden werden.“
„Ja, das würde zu ihm passen.“ Allerdings schien der deutsche Hauptmann von der guten Nachricht nicht besonders erfreut zu sein. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, während er sich die vermuteten Koordinaten einprägte. Dann verzog er den Mund kurz zu einem irgendwie verloren wirkenden Lächeln: „Zwei Tage, vielleicht drei. Ein paar Zwischenlandungen werde ich also machen müssen. Aber das ist kein Problem Ich komme wahrscheinlich gerade rechtzeitig zum Schlachtfest an König Etzels Hof.“
„Wie bitte?“
„Nicht so wichtig. Es wird Zeit, dass ich die Fähre versenke.“
„Sie meinen, die Brücken hinter sich abbrechen?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Ich verstehe Sie nicht. Wenn Sie mich für dumm verkaufen wollen…“
„Beruhigen Sie sich. Ich erinnere mich nur an eine alte Geschichte. Offenbar haben das meine Vorgesetzten auch getan, und wollen sie jetzt nachspielen. Aber auch das spielt keine Rolle.“ Der deutsche Offizier reichte dem Standortagenten zwei lange, bereits verschlüsselte Funksprüche: „Hören Sie Ferry, das hier, DAS ist wichtig. Wenn ich im Verlauf der nächsten zehn Tage keine Nachricht an Sie absetze, oder falls Sie von meinem Tod oder meiner Gefangennahme hören sollten… Dann senden Sie diese Funksprüche ab. Sofort. Der eine ist für die Zentrale, und NUR für sie. Der andere…ist für Agent Morgana bestimmt. Außerdem sollten Sie dann besser davon ausgehen, dass ich enttarnt wurde, und untertauchen. Verstehen Sie?“
Ferry hörte das gar nicht gerne. Er liebte das Leben nicht, dass er zu führen gezwungen war. Aber er wollte es auch nicht gegen ein weiteres Exil eintauschen. Dennoch...: „Sind Sie sicher? Ist diese Mission so gefährlich?“
Wieder lächelte von Stahlheim bitter: „Mehr als das. Es ist der Kampf in einem brennenden Haus.“
„Sie wollen nicht gehen?“ Ferry klang ungläubig, fast etwas herablassend. In den Augen des deutschen Agenten blitzte es kurz gefährlich auf: „Was interessiert Sie das, verdammt?! Ich WERDE gehen! Und wenn Ihnen ihr Leben lieb ist, dann richten Sie sich darauf ein, ihre Zelte hier abzubrechen. Nicht dass es mir dann noch etwas bedeuten würde, aber die Abwehr kann auf Sie nicht verzichten.“
„Frankreich auch nicht.“ Es sah so aus, als wollte der deutsche Offizier dazu etwas sagen, aber was ihm auch auf der Zunge lag, er schluckte es herunter, und fuhr stattdessen mit ruhiger Stimme fort: „Wir müssen noch den Nitro-Booster aus meiner Maschine entfernen. Ich könnte ihn gut gebrauchen, aber das Risiko ist zu groß. Das Gerät ist wichtig, also darf ich es nicht aufs Spiel setzen. Deshalb bauen wir es aus. Ich will, dass der Booster auf dem Weg nach Berlin ist, bevor ich abgehoben habe.“
Ferry konnte zwei und zwei zusammenzählen. Der Deutsche rechnete nicht damit, seine Mission zu überleben.
„Sonst noch etwas?“
„Sie könnten mir Glück wünschen. Nicht, dass das etwas bringen dürfte. Ansonsten… Meine Maschine braucht Zusatztanks. Geld habe ich noch genug. Machen wir uns an die Arbeit, ich will am liebsten heute schon ein paar Flugstunden schaffen. Wozu es unnötig herauszögern.“ Weiter gab es nicht mehr zu sagen.

Während Ernst von Stahlheim an seiner Maschine arbeitete, behutsam den Nitro-Booster ausbaute, war er selber überrascht, wie ruhig er war. Vielleicht lag es daran, dass jetzt endlich eine Entscheidung gefallen war. Es gab kein Zurück mehr. Er spürte fast so etwas wie Belustigung. Wenn er Hagen sein sollte, dann war Marquardt natürlich…
Na wenn das nicht passte. Auch in diesem Fall würde dann wohl Stolz, Verrat, und verletzte Eitelkeit der Grund sein, für einen sinnlosen Tod. Einen Mord, der Kreise ziehen würde.
Und ihm selber war ohnehin immer schon der düstere, fatalistische Tronjer lieber gewesen, gefangen in einem Netz aus Stolz und Pflicht. Lieber jedenfalls, als der strahlende, unverwundbare Überheld Siegfried. Von Tauten und seine Vorliebe für die alten Sagen!

Dann war es soweit. Ernst von Stahlheim und Henri Ferry wechselten keine weiteren Worte. Alles Nötige war gesagt worden, und sie waren keine Freunde. Nur Verbündete. Ein knappes Nicken, dann drehte sich der Franzose um, und ging. Von Stahlheim schloss die Pilotenkanzel, und startete den Motor. Kurz schloss er die Augen, bewegten sich seine Lippen, als würde er ein paar Worte, einen Namen flüstern. Dann rollte die Maschine an.

Ich kann euch nicht verkünden,
was weiter noch geschah.
Nur, dass man viele Frauen
und Männer weinen sah.
So viele tapfre Krieger,
sie fanden frühen Tod.
hier hat mein Lied ein Ende –
dies ist der Nibelungen Not.
07.10.2020 18:06 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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Hollywood

Neville Sinclair hasste diesen Aspekt seiner Arbeit für die deutschen Geheimdienste. Er hatte sich wegen dem Nervenkitzel anwerben lassen. Wegen seinen Überzeugungen, und in der Absicht, sich der Hilfe mächtiger Freunde zu versichern. Weil er geglaubt hatte, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Und natürlich wegen dem Geld, das er gut gebrauchen konnte.
Wenn er gewusst hätte, was auf ihn zukommen würde…

Sturmbannführer Hoffmann hatte ihn in der Hand. Sollte bekannt werden, dass Sinclair seine Geheimdienstkontakte genutzt hatte, um ein paar deutsche Exilanten zu erpressen und zu ermorden, dann würde er in Schwierigkeiten sein. Die Deutschen tolerierten Eigenmächtigkeiten nur ungern, und sie mochten es gar nicht, wenn man sie ausnutzte. Unwahrscheinlich, dass er gleich liquidiert würde. Aber man würde seine Bezüge kürzen. Er war inzwischen auf das Geld sowohl des RSHA wie auch der Abwehr angewiesen.
Und wenn herauskommen sollte, dass er indirekt GEGEN die Abwehr gearbeitet hatte, indem er Jerome mit Informationen versorgte, und ihn damit auf zwei Abwehragenten angesetzt hatte…
‚Besser sie als ich.’

Falls Hoffmann auf seinem Kreuzzug gegen David Marquardt scheitern sollte, dann würde er Neville Sinclair mit in den Abgrund reißen. Was blieb ihm also anderes übrig, als auf den Sieg des Sturmbannführers zu setzen? Auch wenn das bedeutete, dass er weiterhin mit Jerome und seiner Bande von Missgeburten zusammenarbeiten musste. Und das, obwohl er ihre wahllose Brutalität verabscheute.
Doch momentan waren sie seine beste Chance, Marquardt zu erwischen. Bedauerlicherweise schien bisher keine der Großmächte, die zu verprellen Marquardt sich bemüht hatte, mit vollem Einsatz hinter dem Deserteur her zu sein. Ein Jammer, aber vermutlich hatten sie wichtigeres zu tun, hofften wohl darauf, dass sich das Problem von selber erledigen würde. Das Kopfgeld auf Marquardts Kopf war jedenfalls noch nicht in die erwarteten astronomischen Höhen geschnellt. Abgesehen davon hatte es Sinclair schon einmal mit einem Attentäter versucht, und er war nicht zufrieden mit dem Ergebnis gewesen. Der Mungo hatte ihm die Anzahlung zurückgeschickt und lapidar erklärt, von dem Auftrag solange zurückzutreten, bis sich die Deutschen darüber geeinigt hätten, ob sie den Mann nun tot sehen wollten, oder nicht. Er, so der Mungo, sei nicht verzweifelt genug, um sich in die Grabenkämpfe eines Geheimdienstes einzumischen. Einen schönen Tag noch.
Also blieb nur noch Jerome.

Das war bereits sein zweites Treffen mit Roger Benten im Verlauf von wenigen Wochen. Nach Sinclairs Meinung war das mindestens ein Treffen zuviel, aber auch dabei hatte er keine Wahl. Jeromes psychopathisches Naturell sorgte dafür, dass kaum jemand bereit war, auch nur heimlich mit dem Piraten zusammen zu arbeiten. Also brauchte Sinclair Benten. Auch wenn das gefährlich war. Er machte sich dadurch angreifbar. Benten kannte keine Loyalität, würde ihn für ein paar Silberlinge verkaufen. Vielleicht sollte er dafür sorgen, dass Benten erst gar keine Gelegenheit mehr bekam, ihn zu verraten. Sobald diese leidige Geschichte mit Marquardt vom Tisch war…
Niemand würde Benten vermissen.

Der schwerfällig wirkende Sklavenhändler ahnte nicht, welche Gedanken seinen Geschäftspartner bewegten: „Da sie das alles so top secret haben wollen, kostet es halt etwas mehr. Piraten und Söldner sind ein misstrauischer Haufen. Wenn man ihnen keine Sicherheiten anbietet, gehen ihre Preise hoch. Sie verlangen Vorabkasse und Extraprämien.“
„Und Ihr eigener Gewinn darf natürlich auch nicht zu kurz kommen, nicht wahr?“
Benten grinste. Er schämte sich nicht: „Kommen Sie Sinclair, Sie achten doch auch darauf, dass ihr Weizen blüht. Da sind wir doch gleich.“
‚Wir haben überhaupt nichts gemeinsam, du widerliche Kröte.’
„Solange Sie sicherstellen, dass niemand – NIEMAND – von diesen Banditen meinen Namen hört oder auch nur AHNT wer seinen Sold bezahlt, soll es mir egal sein.“
„Die Typen denken vermutlich, dass John Bull sie bezahlt. Die Russen. Oder die verdammten Schlitzaugen. Vielleicht sogar die dämlichen Texas-Ranger, oder die Krauts. Abgesehen von den Froschfressern hat es sich Marquardt ja so ziemlich mit jedem verschissen, der ein volles Dutzend Zigarren in die Luft bringen kann. Aber wegen dem Ruf, den Jerome hat, verstehen sie schon, dass niemand mit dieser Schützenhilfe assoziiert werden will, sondern lieber den anonymen Spender spielt.“
„Und wie nimmt Jerome dieses Geschenk auf? Nicht, dass er eine Falle fürchtet, und seine Verstärkung vom Himmel holt. Paranoid und verrückt genug dafür wäre er.“
„Dem erzähle ich die gleiche Geschichte. Er ist nicht dumm. Er weiß, dass es wahrscheinlich mehr Leute gibt, die Marquardt tot sehen wollen, als ihn selber. Das mag er ganz bestimmt nicht. Er will das jetzt auf jeden Fall wieder zurechtrücken, am Besten indem er Marquardt und seine weißen Ritter in kleine Fetzen schneidet.
Jerome…er hat den Großmächten nicht mal annähernd so viel Ärger gemacht, wie dieser Hunne. Was kümmert es schon Berlin, Moskau, Tokio oder London, wenn er und seine Jungens über ein paar Bräute rüber steigen und sie dann anschließend aus der Hangarluke hieven? Aber Marquardt…der hat einige Leute RICHTIG stinkig gemacht.
Außerdem sucht Jerome ebenfalls nach Verstärkung. Er wird für jedes bisschen Schützenhilfe dankbar sein…“
‚Darauf pfeife ich, solange sie nur Marquardt kalt machen.’
„Aber nun sagen Sie mal, Sinclair, warum sind SIE eigentlich hinter Marquardt her? Das habe ich Sie doch schon mal gefragt.“
„Dann wissen Sie ja sicherlich auch noch, was ich Ihnen damals geantwortet habe. Wenn das Alles war, würde ich vorschlagen, Sie machen sich wieder an die Arbeit. Jerome wird nicht ewig davonlaufen oder sich verstecken können. Er wird das nicht WOLLEN. Und wir wollen doch, dass er dann genug in der Hinterhand hat.“
„Irgendwann werden Sie mir aber erzählen müssen, warum Sie Marquardts Tod wollen. Das will ich doch mal wissen.“ Aber er bekam keine Antwort, und ein paar Augenblicke später war Neville Sinclair wieder alleine.
Er erhob sich, riss die Fenster auf und atmete tief die angenehm frische Meeresluft ein, die vom Pazifik herübergeweht wurde. Wie er diesen Benten verachtete!
Ja, er würde kein Risiko eingehen. In ein, höchstens zwei Wochen würde Benten ein toter Mann sein. Er würde der Welt damit einen Gefallen tun, und gleichzeitig seine Spuren verwischen. Sollte er Lothar schicken? Besser nicht. Sein Leibwächter war weder unauffällig, noch besonders subtil. Nein, das würde eine Aufgabe für einen Auftragskiller sein.

Und wenn dann auch noch dieser lästige Marquardt und der arrogante Abwehr-Hauptmann aus dem Weg waren, dann konnte er endlich diese ganze Scheiße vergessen. Die beiden hatten ihn lange genug auf Trab gehalten.
Bis dahin blieb nur zu hoffen, dass Benten seine letzte Aufgabe sorgfältig erledigte, und genug Totschläger für Jerome fand.

***

Irgendwo im Appalchian Territory, Nahe der Grenze von Dixie

„Capitano, mir gefällt diese Sache nicht.“ Irendo war ein guter Enteroffizier, entschlossen, kaltblütig, und ein mehr als fähiger Schütze und Nahkämpfer. Aber es gab einige Dinge, die waren sogar für den gestanden Piratenoffizier etwas stark. Und das hier gehörte dazu.
Juan Gomez zuckte mit den Schultern und tippte den Leichnam, der vor seinen Füßen lag, locker mit der Stiefelspitze an. Der tote Mann war nackt, bis auf ein schwarzes Halstuch, und eine um die Brust geschnallte Tasche. Der Körper war übel zugerichtet worden. Man hatte ihn mit Messern und Knüppeln malträtiert. Das einzig Gute war, dass der Mann bereits tot gewesen war, bevor man ihn so durch den Fleischwolf gedreht hatte.
Gomez hatte schon einmal mit angesehen, was Apachensöldner mit einem Verräter gemacht hatten, und deswegen blieb er jetzt ziemlich ungerührt: „Ich könnte mir auch angenehmere Beschäftigungen vorstellen. Aber wir werden nun mal dafür bezahlt. Und das Geld, das können wir ganz gut gebrauchen. Und wem haben wir es zu verdanken, dass wir so knapp bei Kasse sind? Na also!“
„Wenn wir so knapp bei Kasse sind, warum wollten Sie dann nicht bei Jeromes Flotte mitmachen, und haben sich mit den paar hundert für diesen Kurierjob zufrieden gegeben?“
„Weil ich nicht bescheuert bin. Jerome und Marquardt wollen offenbar eine verdammte Trafalgar-Schlacht am Himmel austragen. Da wird es kein Patt geben, keine Verhandlungen. Sie sind lange genug umeinander herumgetanzt. Eine der beiden Seiten wird untergehen. Willst du dein Leben darauf verwetten, dass wir die richtige Seite gewählt haben? Ich nicht. Das Risiko ist mir zu groß. Wenn ich lebensmüde bin, dann kann ich auch mit einem Grizzly ringen.
Ich weiß sowieso nicht, wem ich den Sieg wünschen soll. Armstrong und sein verdammter fliegender Zirkus versauen uns die Geschäfte. Und außerdem ist er eine Garantie für Ärger – er muss nicht mal was tun, es reicht wenn er in der NÄHE ist.
Und was Jerome und seine Bande von Missgeburten angeht…Der Typ ist total loco.
Nein, die sollen sich mit meinem Segen gerne gegenseitig in die Hölle sprengen. Und ihre ganze Gefolgschaft gleich mit! Wenn sich diese Gringos gegenseitig massakrieren, dann können wir Mestizos, Kreolen, Mulatten und Indios vielleicht endlich wieder etwas freier atmen.“
„Ich dachte, es ist Ihnen egal, welche Hautfarbe jemand hat, Capitano.“
„Nur solange, bis mir so ein Haufen weißhäutiger Cabrones ständig vor dem Bug herumkreuzt, unsere Geschäfte verhagelt, und hier Alamo spielen will!“ Wie um diese Worte zu bekräftigen, trat der Piratenkapitän noch einmal gegen den nackten Leichnam, so dass dieser etwas näher zum Hangartor geschoben wurde: „Ist ja auch egal. Jerome bezahlt uns dafür, dass wir seine kleine Botschaft an den Mann bringen, und das werden wir tun. Und wenn dazu eine frische Leiche nötig ist…“
„Niemand wird diesen Typen vermissen, oder? Wer war das überhaupt?“
„Irgendein Gringo, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Ich habe ihn nicht nach dem Namen gefragt. Und jetzt genug damit. Wir sind da.“
Tatsächlich tauchten jetzt unter der mit gedrosselten Maschinen fliegenden SANTISSIMA TRINIDAD die Lichter einer Kleinstadt auf, wie es sie zu Hunderten in diesem Teil Amerikas gab. Warum Jerome ausgerechnet diese Stadt ausgewählt hatte, das wusste Juan Gomez nicht. Und es war ihm auch egal.
Zwei, drei weitere Fußtritte, und die Leiche flog aus dem Hangartor, stürzte ungebremst dem Erdboden entgegen.

„Das war’s. Spätestens morgen früh werden diese Kuhficker den Kadaver finden. Und sie werden glauben ganz genau zu wissen, wer ihnen dieses Ei in den Korb gelegt hat. Dann wird das große Zähneklappern losgehen. Vor allem, wenn sie dann lesen, was wir ihnen geschrieben haben.“
In der Tasche, die an den Leichnam festgeschnürt worden war, befand sich ein Brandbrief, mit einer ziemlich einfachen Botschaft. Wenn die Einwohner der Stadt nicht binnen 48 Stunden achttausend Dollar und eine ganze Liste an Medikamenten und Nachschubgütern bereitstellen und an einem bestimmten Punkt deponieren würden, dann würde Jerome sie besuchen. Stand jedenfalls im Brief. Und es stand auch darin, was er dann mit den Männern und Frauen der Siedlung machen würde. Besonders den Frauen.
„Jerome ist schon ein verdammtes Tier. Wenn er nur die Hälfte stimmt, was er da geschrieben hat. Ich bin ja kein Waisenknabe…
Das kann doch keine Frau überleben. Und auch kein Mann. Pfui Teufel!“
„Das ist ja wohl der Sinn dabei, Ireno!“
Soviel Gomez wusste, hatte Jerome schon ein paar Mal solche Erpresserbriefe verwendet. Der Kommandant der ‚Santa Anna Lanciers’ hatte von mindestens sechs Kleinstädten gehört, die so geschröpft worden waren. Nur einmal hatten die Leute den Fehler gemacht, und nicht bezahlt. Das hatten sie bereut. Soweit sie nach Jeromes ‚Besuch’ überhaupt noch dazu in der Lage gewesen waren.

Nein, die Einwohner dieses Drecksnestes würden die Heerscharen der Apokalypse über sich wähnen. Und wenn es nach Jeromes Plan ging, würden sie um Hilfe schreien. Und dieser Hilfeschrei würde Marquardt zu Ohren kommen, der ungefähr dreihundert oder vierhundert Kilometer entfernt operierte. Marquardt würde dem Köder wohl kaum widerstehen können. Vermutlich hatte Jerome in der Stadt oder in der Nähe einen Spähposten. Und wenn dann Marquardt herangestürmt kam, wie ein Jagdhund auf einer frischer Fährte, dann würde Jerome sich auf ihn stürzen, wie ein zusammenbrechendes Gebäude.
Und Juan Gomez wusste wirklich nicht, wem er dann Glück wünschen sollte. Aber er wollte dann jedenfalls nicht in der Nähe sein. Deswegen würde er auch der Versuchung widerstehen, das von Jerome einforderte Lösegeld selber einzusammeln. Das Risiko war zu groß.
Nein, in einer halben Stunde würde er ‚Volle Kraft Voraus’ befehlen, und die SANTISSIMA TRINIDAD würde nicht langsamer werden, bevor er nicht mindestens zweihundert Meilen zwischen sich und die Falle gebracht hatte.
‚Wer auch immer gewinnt, ihr Cabrones, ich hoffe er wird sich nicht darüber freuen können. Zur Hölle mit euch!’
07.10.2020 18:07 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Es war wie verhext. Zuerst hatte ein Colonel der Fremdenlegion ihm ein Ultimatum gestellt, um das Flugfeld im Norden von New Orleans zu verlassen, so lange er versuchte eine schlagkräftige Truppe zu trainieren, dann waren Texas Ranger über die Grenze gekommen und hatten sie über French Louisiana verfolgt und nach Norden abgedrängt... Und gerade als Dave glaubte, es würde endlich richtig laufen, als sie ein offener und ziemlich unverblümter Funkspruch aus Hayson Mills erreicht hatte, der ihnen Jeromes Position verraten hatte, hatte mal wieder das Schicksal zugeschlagen. Als die Truppe aus fünf Zeppelinen in Alarmfahrt nach Nordosten gerauscht war, hatte sich ein Tropensturm entschlossen, ein Hurrikan zu werden. Seine Ausläufer waren so stark, dass Daves Flottille auseinander gerissen und getrennt worden war. Im Moment flog die NORTH STAR alleine. Und da sie die stärksten Maschinen hatte, sicherlich so ziemlich an der Spitze. Die SHOOTIST konnte nicht weit hinter ihnen sein, aber wenn der Navigator sich nicht erheblich verbessert hatte, dann konnte die Zigarre erheblich abgedriftet sein. Und erheblich waren in einem solchen Sturm gut und gerne fünfhundert Meilen.
Wieder einmal las Dave Stone den Text der Funknachricht. Ihn beunruhigten dabei mehrere Dinge, nicht nur die Tatsache, dass Jerome ihm eine Falle stellte. Ein Idiot konnte das sehen, und man brauchte dazu nicht seinen kleinen, nörgelnden und Kassandrarufe ausstoßenden Steel, um das zu sehen. Natürlich war es eine Falle, oder ein sehr unvorsichtiger und dummer Trittbrettfahrer hatte nichts Eiligeres zu tun als sich anstelle der LEVIATHAN vernichten zu lassen. Nur... Welcher Art war die Falle?
Dave hatte viel über Michael Jerome zusammen getragen und recherchiert. Für ein Fass Whisky war es ihm sogar gelungen an seine Akte aus der Zeit als Fremdenlegionär zu kommen und eingehend zu studieren. Seine Freundin bei der AAW hatte ihm zudem eine eigene Historie mit Fällen veröffentlicht, in denen man von Jeromes Beteiligung ausging oder in der es Zeugen gab, die ihn belasteten. Der letztere Fall war eher die Ausnahme.
Seit sie das Flugfeld verlassen hatten, hatte er das Flugschiff Blue überlassen und bei den Fakten die Spreu vom Weizen getrennt, um sich ein noch besseres Bild von Jerome machen zu können. Er hatte jene Fälle aussortiert, in denen Jerome augenscheinlich nicht beteiligt gewesen war. Nun lag eine recht lückenhafte Chronik vor ihm, aber es reichte aus um zu drei Erkenntnissen zu kommen.
Erstens, Michael Jerome hatte nichts zu verlieren. Deshalb flog er wie der Teufel und würde eher seinen Tod provozieren als sich zu ergeben. Gnade würde er nie gewähren und auch nicht erwarten. Aber dabei stieß er bei Dave ohnehin auf offene Arme. Dave hielt nichts davon, ihm auch nur eine Sekunde Leben mehr zu gönnen als nötig und ihn beispielsweise einer Gerichtsverhandlung auszusetzen. Und mochte es manchen nicht grausam genug sein, dieses Monster schnell sterben zu lassen... Auch das war Dave egal. Dieser Bastard würde direkt zur Hölle fahren, und dort wurden sicherlich schon die Feuer geschürt und die Dreizacke geschärft.
Zweitens, Michael Jerome flog immer eine rot lackierte Bloodhawk. Es gab keine Berichte, in denen er eine andere Maschine geflogen war. Das machte ihn leicht zu identifizieren, aber es war auch genau das was er wollte. Sein Können als Pilot ging schon alleine aus seiner Dienstakte hervor, in der seine Pilotenfähigkeiten als exzellent beschrieben wurden. Wahrscheinlich gab es in Daves Flotte nur drei oder vier Piloten, die ein Duell mit Jerome überleben, geschweige denn gewinnen würden.
Drittens, Michael Jerome suchte sich zwar den Bodensatz vom Abschaum für seine Mannschaft aus, aber er verlangte ein gewisses Maß an Kooperation und fliegerischem Können. Es gab Berichte über Piloten und Mannschaftsmitglieder, die das Flugschiff verlassen hatten; einige Soziopathen einzig aus dem Grund, dass ihnen die Flugdisziplin zuwider war. Das musste Dave als Warnung verstehen, als direkten Hinweis, keinen verlorenen Haufen zu finden, sondern eine schlagkräftige, in zwei Staffeln aufgeteilte Crew, die nichts zu verlieren hatte, solange sie unter Jeromes Banner flog. Sie würde ebenso wie er bis zum Tode kämpfen. Seine Leute auf der NORTH hatten auch Staffeltraining erfahren... Sie waren gut, aber es waren nur zehn Piloten. Die Piloten der SHOOTIST hatten seit Hawaii zugelegt, aber die waren gerade wer weiß wo.
Die VELVET und King waren hier eine Trumpfkarte. Sechs hervorragende Piloten auf gut gewarteten Maschinen. Leider waren sie auch verschollen, und Funkkontakt wollte einfach nicht zustande kommen. Die insgesamt achtzehn Piloten der unterstützenden beiden Zeppeline AVALON und CRIMSON SKY hatten zumindest in Zweierformation geübt. Sie würden auch als Pärchen auf die Jagd gehen... Dave hatte wenig Sinn gesehen, ihnen den Staffelkampf einzuhämmern, wenn es wichtiger war zu wissen, wie man am Leader dran blieb. Die Zeit war dazu einfach zu knapp gewesen. Aber sie waren auch nur das I-Tüpfelchen der Aktion. Lieber kleine Hilfe als keine Hilfe. Außerdem vertraute Dave El Toro, dass er die Unterstützer im Griff hatte. Sowohl ihre Koordination als auch ihren Blutdurst, denn alle waren sie in irgendeiner Form durch Jerome geschädigt worden und wollten Rache. Es hätten fünfzig sein können, wenn er an den Ansturm an Bewerbern zurück dachte. Aber er hatte nur die achtzehn besten mit eigenen Maschinen aufgenommen. Alles in allem sollte das reichen. Eigentlich.
Was ihn wieder zur Falle brachte, die Jerome so offensichtlich aufgestellt hatte.
Mittlerweile war in ganz Nordamerika bekannt, dass Dave Stone eine kleine Armee aufgestellt hatte, um Michael Jerome zu töten und die LEVIATHAN vom Himmel zu holen – prompt hatten ihm acht nordamerikanische Staaten den Überflug verweigert, weil man mit solch einer Armee eine Großstadt nehmen konnte. Man konnte halt nicht mit sechs militärischen Zigarren unbemerkt bleiben oder fliegen wohin man wollte. Dieser Fakt war bekannt, und Dave war sich sicher, dass Jerome es auch wusste. Der ehemalige Fremdenlegionär musste also mindestens mit zweiundvierzig Kampffliegern rechnen. Eventuell gab es auch noch ein oder zwei Maschinen in der Stadt selbst, oder die Appalachies schickten ihre Flugmiliz mit ein oder zwei Staffeln. Wenn wir es schafften, binnen eines Tages nach Hayson Mills zu gelangen, musste jeder Milizflieger mit genug Chuzpe bereits über der Stadt kreisen. Sie wussten, was Jerome mit einer Stadt machte. Alle wussten das. Und dies war der springende Punkt. Dies war das Hassenswerte an diesem Mann. Sein Hass, seine Erbarmungslosigkeit, sein Hohnlachen, welches er der Welt entgegen schleuderte. Er war ein Dämon, frisch aufgestiegen aus der Hölle. Und Dave war der Erzengel mit dem flammenden Schwert, der ihn wieder dorthin verbannen würde.
Aber wie würde die Falle aussehen? Dank der topographisch exakten Karten, die er in Sky Haven erworben hatte, konnte er die Position der Kleinstadt recht gut bestimmen. Einhundert Meilen landeinwärts von Memphis entfernt hätte die Stadt von Air Militia gut geschützt sein müssen. Aber bis auf marginale Patrouillen gab es da unten nicht viel, solange Dixie das tat was es immer tat, Cajun-Musik spielen und Jambalaya mit geröstetem Krokodil essen, nachdem man die Traktoren von den Baumwollfeldern gefahren hatte. Von der Landschaft her gesehen war das Gelände bewaldet, bewirtschaftet, und recht flach. Es gab ein Flusstal in der Nähe, aber Zeppeline waren groß. Wenn er nach der Karte ging, gab es keinen Ort, an dem sich ein so riesiges Objekt außerhalb Haysons verbergen konnte. Und Jerome konnte wohl kaum mit dem Unwetter gerechnet haben, das gerade tobte. Oder mit einer wohlmeinenden Wolkenbank, die ihn vor neugierigen Blicken beschützte. Er konnte einen Hinterhalt aufgebaut haben, aber dann verbarg er seine Zigarren hinter der natürlichen Barriere, der Erdkrümmung. Das bedeutete, dass er sie mindestens sechzig Meilen entfernt zurücklassen musste, und das in einer Position, aus der er den Anmarsch von Dave Stone nicht erwartete. Das konnte bedeuten, dass seine Flieger am Boden hockten und darauf warteten, aufsteigen zu können, irgendwo in direkter Nähe zur Stadt.
Eine weitere Möglichkeit war eine alte Frachterzigarre, die mit Wasserstoff flog. Manche Leute liebten es, aus diesen Dingern brennende Bomben zu machen, und Jerome hatte bewiesen, dass er sich auf das entern solcher Zigarren verstand.
Und dann war da noch die Möglichkeit, dass sich Jerome selbst Verstärkung geholt hatte. Aber wer würde schon mit der LEVIATHAN fliegen wollen, wenn sogar die Red Skull Legion Jerome und seine Bande barbarisch nannte. Die Black Hats gab es nicht mehr, und andere Edelgauner würden eher Dave Stone helfen als für eine rasende Bestie wie Michael Jerome zu fliegen. Wenn er Verstärkung hatte, dann waren es sicher nicht die besten. Im Idealfall genauso tollwütige Hunde wie ihr neuer Herr. Aber das sagte noch nichts über ihre fliegerischen Qualitäten aus. Und vor allem, wie viele hatte Jerome in dem Fall zusammen gekriegt?

Wieder nahm Dave den Funkspruch zur Hand. Dank seiner Recherchen kannte er die Methode dieses tollwütigen Hundes, nackte, malträtierte Leichen mit einem schwarzen Halstuch abzuwerfen um zu zeigen, dass er Herr über Leben und Tod war. Ab und an hatte er auch von kleineren Städten auf diese Weise Tribut verlangt, und alle hatten bisher gezahlt. In einem einzigen Fall hatte sich eine Air Militia gegen ihn gestellt... Anschließend hatte Jerome die Stadt in Schutt und Asche schießen lassen. Er hatte es nicht einmal darauf angelegt Sklaven zu nehmen. Er hatte ein absolutes Exempel statuieren wollen, seinen Ruf des Terrors verbreiten. Auch dieser Kleinstadt stand dies nun bevor. Und wenn er auch noch Verstärkung erhalten hatte, dann war der Schutz von Hayson Mills wichtiger als je zuvor.
Was hätte Steel wohl vorgeschlagen? Abgesehen davon sofort bei zu drehen und nicht das Leben für einen irrsinnigen Rachefeldzug zu riskieren? Er hätte geraten, einen Sammelpunkt einzurichten, auf die anderen Zigarren zu warten und dann mit einer gemeinsamen, auf alles gefassten Front über der Stadt aufzutauchen, auch wenn dies Tage dauerte. Aber vielleicht statuierte Jerome in dieser Zeit ein weiteres blutiges Exempel? Oder noch schlimmer, er verschwand wieder? Immerhin war er trotz allem ein gejagter und verfolgter Mann. Und eine wild entschlossene Luftschwadron irgendeiner Air Militia mochte das Kunststück tatsächlich vollbringen und ihn niederringen. Dave rechnete nicht wirklich damit, dass Jerome für sich heimlich das Überleben plante. Nein, das würde nicht zu ihm passen. Er würde fliegen, morden, plündern und vergewaltigen solange man ihn ließ, und dann würde er auf seine Henker spucken und lachend untergehen. Andererseits wäre es doch eine Befriedigung für Dave und für alle Opfer dieses Wahnsinnigen gewesen, wenn er auf die Knie sinken und um Gnade flehen würde. Aber am Ergebnis an sich würde es nichts ändern. Nein, es blieb nur eine Möglichkeit. Kontakt mit örtlichen Fliegern, die zum Kampf bereit waren, aufnehmen und einen koordinierten Abwehrriegel aufbauen. Danach konnten sie nur hoffen und beten, dass nicht nur der Funkkontakt mit den anderen Zigarren wieder zustande kam, sondern dass sie auch schnell genug eintrafen, um diese Scharade ein für allemal zu beenden.
Steel würde bei solch einem Plan die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Er würde Dave einen verdammten Möchtegernhelden schimpfen und ihn für wahnsinnig erklären, aber... Es ging nicht anders.
Seit seiner Reise durch Indien und China hatte er gelernt, viel auf sein Gefühl zu geben, auf seinen Instinkt, auf seinen Bauch. Und all dies sagte ihm, dass sich der Konflikt unnötig dehnen würde, wenn er diese Herausforderung von Jerome hier und jetzt nicht annahm. Der Beschluss war gefasst. Nun musste er von seinen Leuten mitgetragen werden.

Die Tür wurde aufgerissen und Happy stürzte herein. „Das wird dich freuen zu hören“, sagte er grinsend. „Wir haben Funkkontakt mit der AVALON und der SHOOTIST. Beide sind keine dreihundert Meilen hinter uns.“
Dave Stone nickte knapp. „Sag Blue, wir halbieren die Fahrt für drei Stunden. Dann können die anderen Zigarren aufholen.“
„Und außerdem ist es dann Mittag, und diese Piratenwichser können nicht aus der Sonne angreifen. Gut ausgedacht, Boss.“ Der erfahrene Pilot grinste über sein ganzes Gesicht.
„Daran habe ich überhaupt nicht gedacht“, brummte Dave ernst. „Wir werden trotzdem als Erste rein gehen. Wir werden Verluste haben.“
Das Grinsen auf Happys Gesicht erstarb. „Wir haben noch eine Rechnung mit diesen Ärschen offen. Du glaubst doch nicht dass ich sterben kann, bevor Juan gerächt ist? Oder dass es einer der anderen tun wird?“ Als sein Chef darauf nicht antwortete, runzelte Happy die Stirn. „Wie tief ist die Scheiße, in die wir gerade hinein schliddern, Boss?“
„Knietief. Aber leider stürzen wir vornüber hinein.“
„Das klingt... Nicht sehr gut.“
„Aber wir werden unsere Zigarre im Nacken haben, und sie nicht.“ Dave Stone erhob sich. „Sie nicht.“ Hoffentlich stimmte das auch.
„Ich sage Blue Bescheid. Und ich lasse nach den anderen Zigarren rufen.“
„Danke, Happy. Und gib Sam Bescheid. Eine halbe Stunde vor unserer Ankunft schmeißen wir alles raus was fliegen kann.“
Happy nickte. „Mach dir keine Sorgen, Boss. Seit dem Tag, an dem sie uns eine Falle gestellt haben, wissen wir wie sie fliegen. Sie haben nur zwei, drei gute Piloten, die kriegen du und ich in den Griff. Der Rest ist spätestens dann Kanonenfutter wenn die anderen eintreffen.“
„Das hätte ich gerne schriftlich“, brummte Dave.
„Was denn, was denn? Du sitzt hier so giftig wie Steel! Wo ist der gute „Die Welt gehört eh mir“-Enthusiasmus von Armstrong geblieben? Wir schaffen das, und zwar weil du uns anführst. Wir sind dein Team und wir vernichten diese Bastarde.“
Tausende Emotionen schossen Dave durch den Kopf, aber keine fand den Weg auf seine Zunge. Weder die Angst davor was geschah wenn sie nicht gewannen – und was mit ihren Überlebenden passieren würde, noch die stillen Befürchtungen für jeden einzelnen, den er an Bord kennen- und schätzengelernt hatte. Er wusste nicht, wie viele von ihnen am Abend noch unter den Lebenden sein würden, und das bereitete ihm die meisten Probleme. Verdammt, Pete war dabei! Max war dabei! Und Sam war als Mechankerin auf der Zigarre auch nicht gerade unverwundbar!
„Ich wünschte, Steel wäre noch hier“, murmelte Armstrong unvermittelt.
„Ich wünschte, Steel wäre freiwillig hier“, konterte Happy und erinnerte Armstrong damit wieder an seine Gründe, warum er Ernst Stahl von Bord geschickt hatte. Aber Dave war froh, dass er diese Entscheidung getroffen und ausgeführt hatte. Dennoch, er vermisste den Piloten. Und darüber hinaus hätten sie seine Fliegerkünste bald bitter nötig gehabt.
Dave Armstrong Stone atmete tief durch. „Sage Sam bitte, dass sie das übliche Buntfeuer und die üblichen Raketen laden soll. Und richte den anderen aus, dass die rote Bloodhawk meine ist.“
„Du schnappst dir den Boss? Wieder mal typisch“, maulte der ehemalige Air Ranger.
„Oh, wenn du willst kannst du gerne...“
„Ich gebe mich auch mit dem zweiten Staffelführer zufrieden“, beeilte sich Henry Jackson zu versichern. „Hole du dir den Oberwichser. Ich halte dir solange die Unterwichser vom Hals. Das ist ein Versprechen, Boss.“ Mit einen Winken verließ Happy das Büro wieder.
„Ich weiß, alter Freund“, murmelte Armstrong. „Ich weiß.“
07.10.2020 18:08 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Berlin

Hauptsturmführer Markus Wagner fuhr von seinem Bett hoch. Er war schweißgebadet, und hatte einen üblen Geschmack im Mund. Schon seit Tagen schlief er nicht mehr gut. Nicht mehr, seitdem Sturmbannführer Friedrich Hoffmann bei seinem persönlichen Kreuzzug endgültig die Grenzen seiner Befugnisse gesprengt hatte. Der Mann hatte jedes Maß verloren. Und es war ihm egal, wen er bei seinem Marsch in den Untergang mitnahm, solange nur David Marquardt dabei war.
Hoffmann hatte Gelder für die Jagd auf Marquardt freigegeben, die für andere Operationen bestimmt gewesen waren. Er hatte Söldner angeworben, und er hatte sogar einen Funker der Abwehr erpresst, damit der einen Liquidierungsauftrag in den Funkverkehr des militärischen Geheimdienstes einschmuggelte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das aufflog.
Wagner hätte längst über Hoffmanns Eigenmächtigkeiten Meldung machen müssen, aber er hatte es nicht getan. Er war von Hoffmann abhängig, und er fürchtete ihn. Außerdem würde ein Geständnis ihm jetzt möglicherweise nicht mehr viel helfen. Dazu hatte er zu lange gezögert, zu lange mitgemacht.

In diese unerfreulichen Gedanken ertönte noch einmal das Geräusch, das ihn aus seinem unruhigen Schlaf gerissen hatte. Schwere, laute Schläge gegen die Tür. Herrisch, Aufmerksamkeit fordernd. Wer konnte das sein?
Der Hauptsturmführer blickte auf die Uhr neben seinem Bett. Zwei Uhr Nachts. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass ihm jemand die Luft abschnürte. Alles, bloß das nicht!
Kurz erwog er, aus dem Fenster zu klettern, zu flüchten. Aber das war sinnlos. Er war hier im vierten Stock. Er hatte kein Geld, keine falschen Papiere, keine Kontakte, die ihm bei der Flucht helfen konnten. Er saß in die der Falle.
Wieder hämmerte eine Faust gegen die Tür. Noch lauter diesmal. Die Botschaft war deutlich – wenn die Tür nicht geöffnet würde, dann würde man sie aufbrechen: „Aufmachen! Geheime Staatspolizei!“
Als Wagner diese bereits erwarteten Worte hörte, erstarb auch noch der letzte Rest von Widerstandsgeist in ihm. Mit fahlem Gesicht, stockendem Atem und schwerfälligen, fast automatenhaften Bewegungen schleppte er sich zu der Wohnungstür.
Er fand nicht einmal die Kraft, sich etwas anzuziehen. Das war jetzt nicht mehr wichtig. Nichts war jetzt noch wichtig. Es war aus.

Markus kannte den hageren Mann mit den scharf geschnittenen Gesichtzügen und dem dunklen Mantel nicht, der von zwei Polizisten flankiert vor der Tür stand. Aber natürlich erkannte er das Abzeichen, dass der Mann in der Hand hielt: „Ziehen Sie sich etwas an. Sie müssen mitkommen.“
„Warum..?“
Der Gestapomann schnaubte abfällig: „Sie werden es schon noch erfahren. Und beeilen Sie sich, oder Sie kommen im Schlafanzug mit. Mir ist das gleichgültig.“
Drei Minuten später, Wagner hatte kaum eine Hose anziehen, und ein Hemd überwerfen können, entschied der Gestapooffizier, das er lange genug gewartet hatte. Mit einem weiteren angewiderten Schnaufen griff er nach Wagners Uniformjacke, und warf sie ihm zu: „Das reicht jetzt! Kommen Sie mit!“
„Wohin bringen Sie mich?“ Wagner hasste den bittenden, fast weinerlichen Ton in seiner Stimme. Er hatte diese Frage schon früher gehört, und die Männer verachtet, die sie gestellt hatten. Damals hatte er sich nicht vorstellen können, einmal selbst in dieser Lage zu sein.
Der Gestapomann grinste zynisch: „DAS sollten Sie doch ganz genau wissen.“
Die beiden Schupos packten den Hauptsturmführer an den Armen und zerrten ihn mit sich. In den harten Gesichtern der Polizisten war keine Gefühlsregung zu erkennen. Wenn sie sich darüber wunderten, dass sie einen Beamten des RSHA wie einen flüchtigen Roten oder Juden verhafteten, ließen sie es sich nicht anmerken.
Die genagelten Stiefel der Schutzpolizisten knallten laut auf dem Parkett. Bestimmt war ihr Erscheinen in den anderen Wohnungen nicht unbemerkt geblieben, nicht einmal zu dieser Stunde. Aber niemand sah auf den Flur, erkundigte sich nach dem Warum. Der deutsche Volksgenosse hatte schnell gelernt, dass falsche Neugier schädlich sein konnte. Die Nachbarn bespitzeln und denunzieren, das war erlaubt. Aber niemand mischte sich in die Geschäfte der Gestapo ein.
07.10.2020 18:09 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Während des Anflugs auf die kleine Appalachia-Gemeinde Hayson Mills überließ Dave Stone nichts dem Zufall. Steel hätte an diesem Vormarsch seine reinste Freude gehabt. Alle zehn Piloten waren „draußen“. Dave hatte Vorauspatrouille, Nachhut, Flankenschutz und Höhenpatrouille gesetzt. Zudem waren alle MG der NORTH STAR besetzt und die Torpedowerfer abschussbereit.
Selbst wenn sie in eine Falle flogen, konnte Dave seine Flieger schnell genug zusammen ziehen, um sie alle wieder raus zu hauen. Auch für den unwahrscheinlichen Fall, dass Jerome verrückt genug war, Entertruppen auf die NORTH zu bringen hatte Dave vorgesorgt. Im Zeppelin hatten die Marines Barrikaden errichtet und Stellungen aufgebaut. Außerdem gab es Sammelpunkte, von denen jeder mögliche Einstieg in die Zigarre schnell erreicht werden konnte. Die Verstärkung der Infanterie vor einigen Wochen kam ihnen allen nun sehr zugute.

Etwas mehr als vierzig Kilometer trennten sie noch von Hayson, und dank der Flughöhe von einem Klick hätten sie die Stadt bereits am Horizont auftauchen sehen können, wenn sie nicht in einem Flusstal gelegen hätte. Die recht hohen Hügel nördlich und südlich des Ortes bereiteten Dave einige Bauchschmerzen. Wenn Jerome verrückt genug war, konnte er in den Wäldern auf den Hügeln Behelfsflughäfen errichtet haben, während seine Maschinen gut getarnt unter den Bäumen standen. Eine Strategie, die er selbst für einen Überraschungsangriff ausgewählt hätte, unter anderem. Und da war immer noch das mulmige Gefühl, dass hinter der Erdkrümmung der Zeppelin lauerte. Irgendwo musste er schließlich sein, und Dave sah im verrückten Jerome keinen Mann, der auf die Kampfkraft, geschweige denn die Landemöglichkeiten seiner LEVIATHAN.

„Happy von Armstrong, kommen.“
„Happy hier, Boss. Was kann ich für dich tun?“
Mit einem dünnen Lächeln sah Dave nach oben. Im Licht der Mittagssonne schwebten in gut drei Kilometern Höhe Henry Jackson und sein Flügelmann Clancy Montjar auf Höhenpatrouille.
„Du könntest mir sagen, was du siehst.“
„Von dem Dreckskaff ist noch nichts in Sicht. War ja auch nicht anders zu erwarten bei dieser topographischen Lage. Allerdings sehe ich auch keine Rauchsäulen oder Brände, dafür ein paar Flieger auf Patrouille. Die Entfernung ist leider zu weit für mein Zeiss-Fernglas, aber ich glaube, sie tragen die Bemalung der Appalachia-Miliz.“
„Wie viele Vögel siehst du in der Luft?“
„Vier, die über dem Stadtgebiet kreisen. Wenn du mich fragst, sind das Defender und Devastator. Nichts schwereres.“
„Hm. Nehmen wir mal an, die örtliche Miliz hat Jeromes Herausforderung angenommen und plant, Hayson zu verteidigen. Dann müssen wir damit rechnen, dass hier mindestens zwei Staffeln zusammen gekommen sind, dazu verstärkte Abwehr auf dem Landefeld selbst. Also zusätzliche MG-Stellungen, Torpedowerfer und was immer sie sich leisten und an einem Tag ran schaffen können. Hast du auch andere Farben erkannt?“
„Wenn du glaubst, STI oder BAS würden dort mitmischen, muss ich dich enttäuschen. Ich sehe nur Milizfarbe da drüben.“
„Boss, erinnerst du dich an die Sache mit dem Frachter, die Juanito das Leben gekostet hat?“, klang Hammers Stimme auf. „Was wenn das ne Falle ist, und die Vögel da Jerome gehören? Möglich wäre es, oder?“
„Da hast du natürlich Recht, Clancy. Sie könnten Jerome gehören.“
Armstrong wechselte die Frequenz. „An alle von Armstrong. Wir drosseln die Marschfahrt. Ich will zuerst wissen, mit wem wir es da zu tun haben.“
„Wow! Steel wäre stolz auf dich, abgesehen davon, dass du uns bereits mitten hinein geführt hast“, spottete Maxine.
„Es ist ein Unterschied, ob man in der Tür steht oder sie schon hinter einem zugeschlagen wurde“, erwiderte Dave. „Wir kreisen. Haltet die Augen offen und beobachtet mir den Horizont. Dusk, wir gehen näher ran.“
„Verstanden.“

Beide Piloten drehten die Motoren auf und beschleunigten, während der Zeppelin und die restlichen Maschinen des Dirty Packs reduzierten und auf ihren derzeitigen Positionen zu kreisen begannen.
„Gesellschaft, Boss“, klang Melissa Vandersens ruhige Stimme auf. „Etwa sieben Grad abwärts, auf zehn Uhr. Kommen aus den Bäumen hoch.“
„Wie viele?“
„Zwei. Du müsstest sie sehen können.“
Dave suchte einen Moment und fand die beiden Maschinen. Die Devastator war ursprünglich ein ziemlich exklusiver Südwest-Vogel gewesen, aber seine kostengünstige und problemlose Wartung hatten zur Massenproduktion geführt. Und nachdem einige Air Militias, die es sich hatten leisten können, den veralteten Vogel gegen neuere Modelle ausgetauscht hatten, war er letztendlich in allen Bereichen Amerikas gelandet.
„Hier spricht Lieutenant Roger Kinkaid von der Appalachia Air Militia! Identifizieren Sie sich, oder wir eröffnen das Feuer!“, klang eine etwas nervöse Stimme in Armstrongs Funk auf.
„Zumindest sind sie höflich und fragen erst und schießen dann“, murmelte Dave. „Hier spricht Dave Armstrong Stone vom Dirty Pack. Keine Sorge, wir gehören nicht zu Michael Jerome und seiner LEVIATHAN. Im Gegenteil, wir sind hier um Sie zu unterstüzten.“
„Stone, Hm? Sorry, Cowboy, aber hier können Sie weder was für die Wochenschau filmen, noch eine Prinzessin aus drohender Gefahr retten. Wir haben die Lage absolut in Griff. Also, bitte drehen Sie ab, bevor wir nachdrücklich werden müssen.“
Armstrong hatte einen schalen Geschmack im Mund. „Unterschätzen Sie Jerome nicht etwas? Was ich von hier aus sehen kann sind vielleicht acht Maschinen, die Hälfte mag noch mal in den Wäldern oder in Seitentälern versteckt sein. Er hat alleine sechzehn bis achtzehn Maschinen an Bord. Sein Kahn heißt nicht umsonst LEVIATHAN.“
„Lassen Sie das unsere Sorge sein. Drehen Sie jetzt ab, Armstrong, bevor wir Sie als feindlich einstufen und das Feuer eröffnen.“
„Dusk, wir kreisen.“
„Du bist der Boss“, erwiderte die blonde Pilotin und folgte dem Manöver ihres Leaders auf den Millimeter.
„Hören Sie, Lieutenant, ich würde mich sehr gerne an der Jagd auf Jerome beteiligen. Es geht mir nicht um Ruhm und Ehre, das könnt ihr von der Miliz gerne alles haben. Aber ein Bastard wie er muss endlich gestoppt werden. Sie wissen hoffentlich, wie er normalerweise vorgeht.“
„Natürlich wissen wir das. Wären wir sonst hier?“, giftete der Miliz-Pilot. „Machen Sie sich keine Sorgen um uns. Im Moment halten wir seine Kampfankündigung für ein Kaff wie Hayson Mills für eine Finte, aber trotzdem verlegen wir gerade eine weitere Staffel hierher. Cathrin Milton führt sie an, das sollte mehr als reichen, um es mit einem räudigen Piraten und Mörder aufzunehmen.“
Cathrin Milton... Der Name ließ eine Glocke bei ihm erklingen. Eine kleine nur, aber immerhin sagte er ihm was. Sie musste auf jeden Fall eines der lokalen Miliz-Asse sein, wenn ihr Ankunft sogar diesen nervösen Burschen beruhigte.
„Cathrin Milton, wow“, murmelte Armstrong und gab sich beeindruckt. „Ich sehe schon, ich brauche Ihnen nicht zu helfen. Hören Sie, wie sieht es dann damit aus, dass ich mich auf den Flugfeld versorge? Der Zigarre geht leider ein wenig Helium verloren, und ich fürchte, ich komme nicht mehr bis Memphis.“
„Memphis ist gleich um die Ecke. Meinetwegen schieben Sie die Zigarre. Und jetzt schwirren Sie wieder ab, Armstrong, und nehmen Sie Ihre Cowboybande mit sich. Wie man einen Piraten abknallt weiß man in Appalachia zur Genüge.“
Dave wechselte die Frequenz. „An alle von Armstrong. Rückzug, Rückzug, Rückzug. Wir halten uns knapp außerhalb ihrer Sichtweite und sehen was passiert. Vielleicht lockt unsere Anwesenheit Jerome auch zu uns, man kann es nicht wissen.“
„Vielleicht auch nicht, Boss“, klang Melissas nachdenkliche Stimme auf. „Weißt du was diese Cathrin Milton am liebsten fliegt?“
„Du wirst es mir sicher gleich sagen, mein fliegender Engel“, murmelte Armstrong. Es berührte ihn doch ein wenig peinlich, dass seine Flügelfrau einen anscheinend nicht sehr unwichtigen Piloten kannte, er selbst jedoch nur den Namen vage mit dem fliegen in Erinnerung brachte.
„Sie fliegt eine Curtiss Wright J2 Fury. Ihre Staffel heißt Silver Foxes. Sie haben ein niedliches Cartoon-Motiv von einem silbergrauen Fuchs an der Flanke.“
„Ach komm. So dumm wird Jerome wohl kaum sein und...“
„Da kommt sie ja endlich“, klang die erleichterte Stimme des Lieutenants in ihrem Funk auf.
Armstrong nahm sein Fernglas zu Hilfe und warf einen Blick auf das ferne Landefeld, konnte aber nicht mehr erkennen als zwei Fury, die gemeinsam zur Landung ansetzten, während die restlichen vier Maschinen, zwei Brigand, eine Devastator und eine Valiant, über ihnen kreisten.
„Ich denke, jetzt kann der Cowboy beruhigt weiter ziehen. Unsere Kavallerie ist endlich da.“

Armstrong sah die Furys landen. Und er sah noch etwas anderes. Genauer gesagt viele andere. Aus den Wäldern stiegen, wie er vermutet hatte, von drei Stellen Jäger auf. Jerome, der Hund, hatte also Beobachter mit Funk in der Nähe des Flugfeldes, und in diesem Moment musste er glauben, sein neuer Feind, Armstrong, würde auf dem Gelände landen. Die Verteidiger wurden vollkommen überrumpelt. Nicht unbedingt durch das plötzliche auftauchen, aber von der schieren Zahl. Armstrong zählte mit sicherem Blick vierundzwanzig Maschinen. Das waren sechs mehr als Jerome haben sollte. Und wer wusste schon, wie viele noch im Gehölz lauerten, gerade starteten oder darauf vorbereitet wurden.
Die relevante Frage war nun, was er selbst tun sollte. Alleine an der Zahl waren sie der Miliz weit überlegen, da änderten die MG-Stellungen am Flugfeld auch nicht viel. Er konnte nun einfach abdrehen und dabei zusehen, wie die Miliz abgeschlachtet wurde. Er konnte aber eingreifen und die Geschichte drehen.

„Ich zähle dreißig, Boss“, klang Happys Stimme auf. „Und im Süden kriechen gerade zwei Zigarren über den Horizont, die gehören garantiert nicht zu uns.“
„Zweiunddreißig“, korrigierte Hammer.
Jeder vernünftige Mensch hätte jetzt den Rückzug befohlen, und Hayson sowie die Miliz ihrem Untergang überlassen. Aber zu seinem eigenen Erstaunen war Armstrong kein besonders vernünftiger Mensch, obwohl Steel einiges versucht hatte, um das zu erreichen.
„Vielleicht nehmen Sie jetzt meine Hilfe an, Kinkaid“, brummte Armstrong, während zwei gewitzte Warhawks als Pärchen über das Flugfeld zogen, MG-Stellungen durchsiebten und versuchten, das gelandete Fury-Paar am Boden zu treffen. Eine der Maschinen wurde durchsiebt und verging in einer Detonation.
Das war der Auslöser für Armstrong. „Cat Pack, folgt mir! Dog Pack sichert die NORTH! Haltet euch bereit, euch jederzeit auf mein Kommando zu lösen und stiften zu gehen! Blue, ihr bleibt auch permanent auf dem Sprung! Ich fürchte, das hier wird ein paar Nummern größer als ich zuerst gedacht habe“, knurrte Armstrong wütend, drehte in Richtung Hayson ein. „Dusk, Booster!“
„Ja, Boss!“
Die beiden Furys schossen davon, dicht gefolgt vom Rest des Cat Packs, bereit für den Finalen Kampf.
Armstrongs Hände krampften sich um seinen Steuerknüppel. „Wenn jemand die rote Bloodhawk sieht, sagt mir Bescheid!“
„Ja, Boss!“
Egal wie der Tag ausging, er würde nur einen Sieger sehen. Und Dave würde zu Recht in der Hölle schmoren, wenn dieser Sieger Michael Jerome heißen würde.
04.11.2020 06:50 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Zum zweiten Mal binnen weniger Wochen musste Jerome mit ansehen, wie sich ein meisterhafter Plan in Makulatur auflöste. Und schon wieder war das Marquardts Schuld. Voller ohnmächtiger Wut hörte er über Funk, wie die angeworbenen Söldner statt dem Hauptgewinn in diesem Spiel nur ein Ausweichziel angingen: „Diese dämlichen Arschlöcher!“
Zwar war noch nichts verloren, noch alles drin – aber der Überraschungsvorteil war dahin. Die ausbrechenden Kämpfe würden den ohnehin fraglichen Zusammenhalt seiner Söldner weiter schwächen. Und zu allem Überfluss würde Marquardt auch noch kostenlose Unterstützung durch zwei Milizstaffeln und Flugabwehrstellungen erhalten: „So eine gottverdammte Scheiße!“
„Wie es aussieht verkaufen sich die Silver Foxes ziemlich gut. Die Nutte hat wohl keine Lust, sich von einer ganzen Kompanie ficken zu lassen. Und Marquardt hat mindestens zwei Söldnerstaffeln in der Hinterhand, wie es aussieht. Sollen wir den Angriff abbrechen, Captain?“ Felix Richter klang unsicher – vermutlich weil er sich an das Schicksal seines Stellvertreters erinnerte, der etwas zu vehement Jeromes Plänen widersprochen hatte.

Michael Jerome schüttelte den Kopf: „Kein Zurück. Kein Ausweichen. Diesmal nicht. Dieses Arschloch hat einmal zu oft versucht, mir in die Suppe zu spucken. Seine Zeit auf dieser Seite der Hölle ist abgelaufen, verdammt! Conway, beweg deinen Arsch in deine Kiste, bevor ich ihn dir höchstpersönlich aufreiße. Und egal auf welchem Ufer du fischst, das wird dir nicht gefallen!“ Der Pilot nickte knapp, fast etwas unwirsch, entfernte sich aber widerspruchslos.

„Richter – Funkspruch an Alle – Alphaschlag, alles was drin ist. Luftschiffe, Autogyros, Kampfflieger. Alles was Blei spuckt und fliegen kann muss raus, verdammt! Ich verdoppele die Abschussprämien! Ich will, dass Marquardts Möchtegernkreuzritter vom Himmel fallen! Die Milizheinies nur dann angehen, wenn sie uns ernstlich ins Gehege kommen. Mit denen können wir auch später noch spielen.“ Im Gegensatz zu Conway hätte Richter wohl am liebsten ein paar Widerworte geäußert, aber ein Blick in Michael Jeromes blutunterlaufene Augen überzeugte ihn, dass momentan Gehorsam der bessere Teil der Klugheit sei. Ein halbherziger Salut, und der Luftschiffkapitän war fort, rannte beinahe. Vielleicht fürchtete er, dass Jerome auf die Idee kommen könnte, einen enthusiastischeren Untergebenen eine Schlachtfeldbeförderung zukommen zu lassen.
Aber Jerome hatte wichtigeres zu bedenken: „Ahiga – ich will deine besten Schützen an den schweren Maschinenkanonen. Und der Rest bemannt die provisorischen Feuerstellungen. Bringt alles in Stellung - Maschinengewehre, Maschinenpistolen, Karabiner – von mir aus auch Steinschleudern! Ich will genug Blei in der Luft haben, um die Titanic zu versenken! Das Entern muss warten. Erst die Arbeit – dann das Vergnügen.“ Der Indianer neigte bestätigend den Kopf. In seinen Augen lag ein seltsames Leuchten. Der Gedanke an die zahllosen Männer und Frauen – überwiegend Weiße – die am heutigen Tag ihr Leben verlieren würden, schien ihm zu gefallen.

Und Jerome selber folgte Conway. Es hielt ihn nichts mehr an Bord. Er musste nach draußen, an die vorderste Front. Marquardt hatte sich zu einem echten Ärgernis entwickelt. Es war an der Zeit, die überstehenden Ähren abzumähen, und den angemessenen Zustand wiederherzustellen. Jerome wurde nicht gejagt, er war kein Flüchtling – am Himmel war er das ultimative Raubtier. Niemand konnte ihn aufhalten, niemand ihn kontrollieren. Wenn er heute zurückgewichen wäre, er wäre nicht länger mehr Jerome gewesen, der Schwarze Tod, el negro Muerto. Er hätte seinen Ruf verloren, seinen grausamen, furchtbaren, Schrecken erregenden Ruf. Er hätte die Kontrolle über seine Leute verloren. Diese handverlesene Bande von Mördern, Schändern, Psychopathen und Sadisten konnte nur durch ständige Furcht und durch Siege kontrolliert werden. Wenn er jetzt zurücksteckte, hätte er beides verloren. Und so würde seine Herrschaft über den Himmel nicht enden. So nicht!
Er würde Marquardt finden, und ihn in Fetzen schießen. Er würde diesen pathetischen Hanswurst finden und Marquardt an seinen eigenen blutigen Eingeweiden aufhängen!
Jerome verschwendete keinen Gedanken an die Möglichkeit seines eigenen Todes. Niemand konnte einen Mythos töten. Solange er jetzt nicht zurückwich, solange er angriff, solange lebte sein Mythos. Egal was mit ihm geschah.

***********

Ernst von Stahlheim duckte sich, als ein Piratenjäger aus allen Rohren feuernd über das Rollfeld fegte. Die Maschinengewehrgarben stanzten zwei Doppelreihen von Einschlägen in den Beton.
Dann war der Angreifer vorbei, und der deutsche Agent sprintete los. Sein Atem ging keuchend, und das nicht nur weil er mehr als einen halben Kilometer gerannt war. Er spielte mit seinem Leben, nicht zum ersten Mal. Aber bisher war er selten in einer ähnlich machtlosen Situation gewesen, zu Fuß am Boden, während der Feind mit Kampffliegern angriff. Zeit, daran etwas zu ändern.
Während irgendwo in der Nähe ein Schweres Maschinengewehr loshämmerte – unklar ob eine Flugabwehrwaffe oder ein weiterer Angreifer – warf von Stahlheim seinen Körper vorwärts in den fragwürdigen Schutz des Hangargebäudes. Und ignorierte die Stimme in seinem Kopf, die ihm zuschrie, dass er gerade Selbstmord beging.

Er hatte das alles nicht so geplant. Als er von Michael Jeromes Ultimatum gehört hatte, da hatte er seine Chance erkannt. Ob das nun eine Falle war oder nicht, Marquardt würde darauf reagieren. Er würde hierher kommen. Wenn von Stahlheim also seinen verdammten Auftrag – die Liquidierung des Deserteurs – ausführen wollte, so bot sich hier eine Möglichkeit, wieder an Bord der NORTH STAR zu kommen.
Eine Erklärung für seinen Gesinnungswechsel würde er schon finden können. Ein schlechtes Gewissen, Loyalität...
Und bevor jemand misstrauisch wurde, würde er seine Mission bereits erfüllt haben. Oder bei dem Versuch fallen.

Aber er hatte nicht mit der Wachsamkeit der Milizflieger gerechnet. Noch während er mit einer vorsichtigen Sondierung der Lage beschäftigt gewesen war, hatte ihn eine Rotte dieser Aushilfspiloten gestellt und zur Landung gezwungen. Vermutlich hatten sie ihn für einen von Jeromes Spähern gehalten. Er konnte von Glück sagen, dass sie nicht versucht hatten, ihn sofort abzuschießen oder vor ein Exekutionskommando zu schleifen. So war ihm keine Zeit mehr geblieben, eine passende Tarngeschichte einzustudieren. Er hatte er bei der Wahrheit bleiben müssen. Oder zumindest bei dem, was auf dieser Seite des Ozeans die ‚Wahrheit’ über Ernst ‚Steel’ Stahl war.
Zwar hatte er nur wenige Papiere, aber seine Kariere unter Marquardt war nicht ganz unauffällig geblieben. Deshalb hatte die Miliz bereitwillig den Köder geschluckt und nicht weiter in seiner Vergangenheit gegraben. Allerdings hatten sie ihm auch erst einmal ein Startverbot auferlegt und ihn unter Bewachung gestellt. Hauptsächlich wohl, weil noch nicht ganz geklärt war, wie man mit ihm verfahren sollte. Ob er ein Ärgernis oder ein möglicher Verbündeter war. Und bevor die Kommandeurin der Silbernen Füchse dazu gekommen war, sich um dieses kleine Problem zu kümmern, hatte Marquardts Auftauchen und die Reaktion der Piraten andere Dinge wichtiger werden lassen.

Inmitten der ausbrechenden Luftschlacht war er dann einfach in Vergessenheit geraten. Kurz hatte Ernst von Stahlheim mit dem Gedanken gespielt, es einfach auszusitzen. Vielleicht würde Jerome ihm seinen Auftrag ja sogar abnehmen. Das wäre zweifellos die einfachste Lösung gewesen. Allerdings hätte das den Sieg Jeromes bedeutet. Ernst von Stahlheim hatte keine Lust, sich zu Fuß durchzuschlagen, während Jeromes entfesselte Horden sich nach Herzenslust austobten. Und was in diesem Fall den Gefangenen, den Einwohnern der Stadt – und wahrscheinlich jedem Menschen im Umkreis von zehn Meilen – blühte, das wünschte der deutsche Agent nicht einmal seinem ärgsten Feind. Jerome war eine Bestie. Zumindest darin hatte Marquardt Recht – der Mann musste aufgehalten werden. Auch, weil er es gewagt hatte, sich gegen einen deutschen Agenten zu wenden. Das war sich die Abwehr schuldig. Das war er Elisabeth schuldig.

Außerdem war David Marquardt nicht der einzige Mensch an Bord der NORTH STAR. Von Stahlheim kannte diese Männer und Frauen. Kannte sie gut. Manche mochten ihn vielleicht sogar für einen Freund halten. Einigen hatte er das Leben gerettet, andere hatten wahrscheinlich ihm das Leben gerettet. Sie jetzt in diesem Kampf im Stich zu lassen, das hätte sich…nicht richtig angefühlt. Er konnte nicht einfach tatenlos zusehen.
Er war Agent der Abwehr. Eigentlich sollten derartige Bedenken für ihn keine Rolle mehr spielen. Seine Loyalität sollte alleine dem Deutschen Reich und seinen Vorgesetzten gelten. Und dennoch, dennoch…
Außerdem, falls Marquardt die Schlacht gewann, dann würde Ernst von Stahlheim nur schwer erklären können, warum er jetzt wieder an Bord wollte – und warum er sich aus dem Kampf herausgehalten hatte. In diesem Fall hätte er jeden psychologischen Kredit, den er an Bord der NORTH STAR hatte, verspielt. Sich Marquardt dann noch auf Angriffsweite zu nähern, wäre sehr schwierig gewesen.

All diese Überlegungen ließen nur einen einzigen logischen Schluss zu – er musste sich an der Schlacht beteiligen. Vielleicht starb Marquardt ja trotzdem. Aber wenigstens brauchte sich von Stahlheim dann keine Gewissensbisse mehr zu machen, dass er die anderen Männer und Frauen der NORTH STAR im Stich gelassen hatte. Und was den Liquidierungsauftrag anging…
‚Das werden wir sehen, wenn es soweit ist. Erst einmal muss ich die Schlacht überleben. Das heißt, zuerst mal muss ich starten können.’
Wenigstens war seine Bloodhawk im einsatzbereiten Zustand. Dafür hatte er gesorgt – es hatte ihn auch genug Geld gekostet. Milizionäre wurden nicht allzu gut bezahlt.
Allerdings, wenn er mit der Maschine jetzt auf die Startbahn rollte, würde er wahrscheinlich abgeschossen, bevor er vom Boden abhob. Er musste…

Ein reichliches halbes Dutzend Techs und Bodenpersonal hatte sich ebenfalls in den Hangar gerettet. Die Männer und Frauen zeigten wenig Bereitschaft, sich in irgendeiner Form an der Luftschlacht zu beteiligen. ‚Wären das Russen oder Japaner, sie würden auf die Angreifer schießen. Und wenn sie dazu mit Montiereisen schmeißen müssten.’ Aber er brauchte sie gar nicht für eine derartig heroische Aktion.
Ein dickes Bündel Greenbacks, die gezogene Automatikpistole und die scharfe, schneidende Kommandostimme des deutschen Agenten bewirkten ein wahres Wunder. Keine drei Minuten später saß Ernst von Stahlheim in seiner Maschine und gab langsam Gas, während die Techniker die Tragflächen und das Heck des leichten Jägers festhielten. So konnte er den Motor auf höhere Umdrehzahlen bringen, ohne anzurollen.
Irgendetwas prasselte gegen die Decke des Hangars. Es klang wie Hagel – aber es waren Maschinengewehrkugeln. Einige Helfer des deutschen Agenten warfen sich zu Boden. Die Maschine ruckte vorwärts, und die Nase sackte nach Unten.
Mit einem unterdrückten Fluch signalisierte von Stahlheim den Standhaft Gebliebenen ‚Loslassen’ und gab Vollgas. Nicht länger festgehalten, schoss die Maschine förmlich aus dem Hangar hinaus.
Von Stahlheim ignorierte sämtliche Regeln der Flugplatzordnung. Er startete schräg über die Landebahn, und riss die Maschine viel zu früh hoch. Beinahe hätte er überzogen, wäre der Luftstrom unter den Tragflächen abgerissen. Doch er schaffte es, auch wenn die Maschine sofort nach dem Start durchsackte, und fast den Boden streifte. Aber dann hatte er das Fahrwerk eingefahren, und konnte die Maschine in einer weiten Kurve nach Oben schrauben. Rechts von ihm riss die Garbe eines Zwillings-MG den verdorrten Boden auf, ließ Staub und Schotter aufspritzen. Mit wütend gefletschten Zähnen kurvte von Stahlheim gegen, zog vorsichtig die Nase seiner Maschine nach oben – und die feindliche Defender wanderte genau in sein Fadenkreuz. Die paarweise angeordneten 30er und 40er Maschinengewehre der Bloodhawk ratterten los, und die Einschläge wanderten mit grausamer Präzision vom Bug des Piratenfliegers bis zum Heck, weideten den leichten Jäger förmlich aus.
Die Defender zog eine schwarze Rauchschleppe hinter sich her, legte sich – vielleicht in einem verspäteten Ausweichversuch – auf den Rücken. Und bohrte sich dann mit einer spektakulären Explosion in den Boden. ‚Mit besten Grüßen von der Deutschen Luftwaffe, Arschloch!’

Dann aktivierte Ernst von Stahlheim die alte Funkfrequenz seiner Staffel: „Steel für Dog Pack. Habt ihr noch einen Platz für mich frei?“ Und das fühlte sich…richtig an.
Es war Maxime, die antwortete: „Wie zur Hölle kommst du hierher? Und was zum Henker…“
‚Darauf kommst du im Leben nicht, Mädchen.’: „Ich schlage vor, wir verschieben das auf später.“
Und damit zog er seine Maschine steil nach Oben. Dorthin, wo der Kampf am heftigsten war. DIESEN Gegner zu töten, hatte er keine Hemmungen.
04.11.2020 06:52 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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In seiner Zeit bei der Luftwaffe und auch danach – gerade danach – hatte Armstrong eines immer wieder bestätigt gesehen: Je mehr Flieger an einem Kampf beteiligt waren, desto wichtiger war es den Überblick zu behalten. Bereits nach der ersten Minute der Schlacht, also kaum dass er und Dusk die Turbobooster betätigt hatten, war das erste Blatt auf dem Klemmbrett an seinem Knie mit Notizen gefüllt. Er hatte mindestens drei verschiedene Malschemata auf Seiten seiner Gegner erkannt und eine grobe Zählung durchgeführt. Mittlerweile kam er auf zweiunddreißig, aber auch nur weil eine Valiant abgeschossen und eine Devastator desertiert war. Armstrong konnte nicht glauben, dass das schon alles gewesen sein sollte. Wenn Jerome wirklich Verstärkungen angeheuert hatte, dann würde er die unwichtigen Söldner zumindest die Hauptlast des Angriffs tragen lassen und erst später angreifen, wenn die Verwirrung am größten war. Was ungefähr erreicht war, als er hinter einer blauweiß bemalten Peacemaker einscherte und ihr zwei kräftige Treffer mit der 70er verpasste.
„Genau ins Cockpit. Du kennst keine Gnade heute“, stellte Dusk mit Befriedigung in der Stimme fest. „Ich dachte schon du gehst sanft mit ihnen um, weil sie nicht wirklich zu Jerome gehören.“
„Ach, wirklich? Alle die bereit sind, mit diesem menschlichen Abschaum gemeinsame Sache zu machen müssen wissen, was sie erwartet. Soll Gott die Guten von den Bösen trennen – ich schicke sie nur noch.“
„So gefällst du mir, Boss.“ Unter ihnen stürzte die Peacemaker zu Boden und verging in einem Feuerball.
„Boss, sollen wir nicht mit rein? Wir verzeichnen weitere einkommende Banditen, dazu Zigarren, die über den Horizont schwenken.“
„Negativ, Happy. Bleib bei der NORTH, bis ich etwas anderes behaupte. Bestimme die Zahl und die Flugzeugtypen der Neuankömmlinge für mich. Und such nach der roten Bloodhawk!“
„Was ist wenn sie dich aufs Korn nehmen?“, wandte Happy ein.
„Heute geht es nicht um leben oder überleben“, erwiderte Armstrong gepresst. „Heute geht es nur darum, dass dieser Bastard mit seinem Leben dafür bezahlt, was er Annie angetan hat. Und wenn er dafür in einem brennenden Wrack gen Boden stürzt, habe ich wenigstens etwas davon.“
„Hey, Boss, behalte die Ruhe. Nicht ganz so blutrünstig. Steel würde dir den Arsch aufreißen, wenn du wegen der Jagd deine Staffel riskierst“, mahnte Happy.
„Bisher drei Kontingente, die nicht in Staffelstärke zusamme arbeiten. Zehn, vierzehn und acht Maschinen von unterschiedlichen Einheiten. Leicht und mittelschwer überwiegt. Aber ein paar Brigand und Vampire sind auch dabei. Ruhig genug, alter Freund?“
Armstrong stürzte sich auf den nächsten Gegner. Solange nicht der Hauch einer Ordnung auf diesem Schlachtfeld herrschte, war er im Vorteil. Und solange Dusk auf seinen Arsch aufpasste, konnten sie die Reihen etwas lichten, bevor Jerome mit seinen Fliegern und den Zigarren nahe genug heran war.
„Betreten Schlachtfeld!“, klang die Stimme von Rainmaker auf. Endlich, die anderen beiden Wings des Cat Pack brachen mit brutaler Gewalt in die Luftschlacht ein.
„Freier Kampf bis auf Widerruf, Jeremy.“
„Geht klar, Boss.“

Die Avenger, die sich Armstrong als Ziel ausgesucht hatte, wäre ihm im Normalfall in der Bewaffnung überlegen gewesen. Aber da sich der Pilot auf einen Silver Fox konzentrierte und der Chef des Dirty Packs seinerseits hinter ihm saß, brachte ihm alle Vorteile die er brauchte.
„Hoplit, Boss!“, klang Dusks Ruf auf. Armstrong reagierte sofort, ging in eine Fassrolle und ließ seine Maschine ein paar hundert Meter tief taumeln. Anschließend zog er sie in einen Immelmann, den er auf halber Strecke mit dem Booster beschleunigte.
„Danke für die Warnung, Dusk. Der Avenger?“
„Habe mich um ihn gekümmert. Da unten brennt er gerade. Der Hoplit hat übrigens Raketen nach dir geschmissen.“
Armstrong runzelte die Stirn. Hoplits hatten auf einem Schlachtfeld nicht viel zu suchen, wenn sie die Angreifer waren. In einem verschachtelten Industriekomplex in der Defensive, in einer schluchtenreichen Gegend, ja, in einer Großstadt hatten sie ihren Wert, aber ihre Agilität nützte ihnen überhaupt nichts, wenn sie auf freier Strecke weithin zu sehen waren. Armstrong korrigierte nach und war schnell wieder auf der alten Höhe. Der Hoplit zog nur wenige hundert Meter vor ihm her, im Visier seine Flügelfrau. „Dusk, er hängt jetzt an dir.“
„Kriegst du ihn?“
Armstrong schoss, sobald er freies Schussfeld hatte und jagte dem Hoplit eine Ladung Buntfeuer über die Panzerung. Ein Teil durchschlug die Kabine, und Blut beschmierte von innen die Scheibe, bevor die Maschine gen Boden taumelte. „Ich denke schon.“ Ja, das fing definitiv gut an. Wenn Jerome sogar die Hoplits in die Schlacht warf war er nervös. Und nervöse Leute begingen Fehler. Mehr Einheiten bedeutete weniger Übersicht, und diesmal war es zu seinem Vorteil.
„Spötter“, erwiderte Dusk.
„Dusk, brich weg! Über dir!“, rief Rook aufgeregt.
Die texanische Pilotin legtesich auf die linke Seite und zog in eine enge Kehre. Eine Brigand schoss von oben an ihr vorbei, verfehlte mit den Frontgeschützen, aber der Heckschütze gab ihr satt zu kauen.
„Bist du in Ordnung, Dusk?“
„Nichts verletzt, nur mein Stolz. Verdammte Heckschützen. Wo ist sein Partner?“
Armstrong sah suchend auf – und wusste in gleichen Moment, das er einen Fehler gemacht hatte. Übergangslos wurden seine Augen mit gleißender Helligkeit geflutet. Zwar war noch die Flügelspitze seiner Fury im Weg gewesen, aber es hatte gereicht.
„Bin geblendet!“, ächzte er über Funk. „Dusk, wo bist du?“
„Ich kann dir nicht helfen, Boss! Habe ne Bloodhawk am Arsch!“
„Ist es...?“
„Keine rote“, beruhigte sie ihren Staffelführer. „Hat jemand Armstrong im Blick? Kann ihn jemand raus dirigieren?“
„Brich weg!“
Diese harsche Anweisung hatte keinen Adressaten enthalten, aber mit dem sicheren Instinkt eines erfahrenen Piloten wusste Armstrong, dass er gemeint war, und kein anderer. Also warf er seine Maschine ins trudeln, obwohl dies bedeutete, den Rest an Orientierung zu verlieren, während seine Augen schmerzten und er nicht mehr sehen konnte als einen dunklen Schatten.
„Jetzt abfangen! Geh über den linken Flügel, und steige leicht!“, klang die gleiche Stimme noch mal auf. „Eine Devastator weniger auf dem Schlachtfeld. Bleib auf dem Kurs, Armstrong, er bringt dich in Sicherheit.“
„Danke für die Hilfe. Cathrin Milton, nehme ich an?“
„Richtig gedacht, Armstrong. Vielen Dank für die Hilfe. Ich habe mich da unten schon als Hackfleisch enden sehen, bevor du eingegriffen hast. Sorry, dass ich dich nicht vor der Blitz warnen konnte.“
„Es geht gleich wieder. Sie hat mich nicht voll erwischt“, entgegnete Armstrong. „Trotzdem ist Blindflug nicht mein Ding und...“
„Devastator hinter dir, Boss! Brich nach rechts aus und...“
„Ich kümmere mich darum!“
Beim ersten Wort hatte Armstrong abdrehen wollen, aber die ruhige und sonore Stimme ließ ihn verharren. Eine erste MG-Garbe prasselte über seine Panzerung, aber dabei blieb es auch. Er hörte weiteres MG-Feuer, und dann das sich entfernende Geräusch eines abstürzenden Flugzeugs.
Steel! Das war eindeutig Steels Stimme gewesen! Verdammt, Steel! Steel, den er in New Orleans zurück gelassen hatte!
„Wo warst du so lange, Ernst?“, rief Armstrong befreit auf.
„Was denn? Keine Danke schön für die Lebensrettung? Du bist mir einer.“
„Das ist im Moment egal! Steel, du übernimmst das Cat Pack, bis ich wieder was sehen kann! Unsere restlichen Zigarren müssen mit ihren Maschinen bald eintreffen, und dann machen wir den Sack zu. Im Moment sind wir leicht in der Unterzahl.“
„Natürlich sind wir das, wenn du mein Dog Pack als Zeppelinwache missbrauchst“, erwiderte Steel schroff.
„Nur solange wir eine Tür nach draußen brauchen“, erwiderte Armstrong. „Das hat mir ein ziemlich sturer deutscher Dickschädel beigebracht.“
„Du meinst doch nicht etwa mich, die Liebenswürdigkeit in Person?“
„Nein, meinen alten Ausbilder, Max Immelmann“, erwiderte Armstrong. Er blinzelte heftig, die Augen tränten, aber es wurde langsam besser. „Habe ich das nie erzählt?“

Seit seinem ersten Abschuss waren bestenfalls drei Minuten vergangen. Die neu gestarteten Einheiten, also Jeromes Kerntruppen, würden nun bald in Reichweite sein. Und wenn diese Psychopathen ebenfalls aufs Schlachtfeld kamen, dann würde es auch unter seinen Leuten zu Verlusten kommen. „Achte auf Jerome und seine Bastarde“, mahnte er Steel. „Sie kennen unsere Booster.“
„Ist mir klar. Miss Milton, was halten Sie von etwas Teamwork? Wir haben den Gegner zwar auf siebenundzwanzig reduziert, aber Sie haben ebenfalls vier Maschinen eingebüßt. Eine gewisse Strategie ist sicherlich nicht verkehrt.“
„Was schlagen Sie vor, Steel?“
„Über das Flugfeld zurückziehen und die MG-Stellungen helfen lassen.“
„Einverstanden.“
Armstrong nickte. Eine weitere Option wäre gewesen, die NORTH mit einzubeziehen, mehr Feuerkraft aufzubauen und zu konzentrieren. Aber er bezweifelte, dass sie dazu die Zeit haben würden.
„Boss!“, klang Happys hektische Stimme auf. „Es sieht ganz so aus, als würden die Neuen mit zwei Staffeln auf dich einschwenken! Soll ich runter kommen und dir mit Rook helfen?“
„Das wäre eine vortreffliche Idee“, erwiderte Armstrong. Rund zwölf Maschinen also? Und er flog immer noch halb blind ins Blaue, außer Steel hatte ihn Richtung NORTH STAR dirigiert.
Zwölf gegen fünf, dazu die MG-Stellungen des Zeppelins. Ihre Booster waren ein Vorteil, ein unschätzbarer Vorteil, doch was würde er letztendlich wert sein?
„Ich wünschte, es wäre Nacht, oder die VELVET käme“, murmelte er.
„Plagiateur“, klang Steels Stimme auf. Er klang leidlich amüsiert.

„Brich weg, Chef!“, klang Happys Warnung im Funk auf.
Armstrong zögerte nicht lange und kippte über die rechte Tragfläche in die Tiefe. Als er nach gefühlten einhundert Metern den Sturz abbremste, hoffte er inständig daran einerseits seinen Gegner nicht mehr am Hintern zu haben, vor dem Happy ihn gewarnt hatte, und andererseits genügend Abstand zu Boden zu haben. Beides war ein wenig ungewiss, solange seine Sicht von den Nachwirkungen der Blitzrakete getrübt waren. Im Moment erkannte er schon Sterne und Schatten, aber wenn er diesen Tag überlebte, würde er sich wieder der Kartoffelbehandlung für ausgetrocknete Augen widmen müssen.
„Über den anderen Flügel!“, rief Happy mit sich überschlagender Stimme.
Armstrong hörte das charakteristische Geräusch von MG-Feuer aus nächster Nähe. Ein leises Prasseln auf dem rechten Flügel informierte ihn darüber, dass wahrscheinlich Magnesiumgeschosse getroffen hatten. Wenn auch nur ein Geschoss die Panzerung durchschlagen hatte und sich zu den Tanks durch fraß, war er geliefert, halb blind und halb kastriert.
Armstrong schwenkte über den rechten Flügel und zog einen halben Kreis. Dann betätigte er den Booster und ging in den Steigflug. „Happy, wo bist du?“
„Wir kommen runter so schnell wir können, Boss! In der Zwischenzeit dreh noch mal ein, du fliegst direkt auf einen Pulk Gegner zu!“
„Definiere direkt!“, blaffte Armstrong, und probierte sich an einem Immelmann. Max hatte in einer Sache wirklich Recht gehabt, fliegen war wie Fahrrad fahren. Was man einmal gelernt hatte, das saß auch blind. In seinem Fall kam erschwerend hinzu, dass in seinem Kurs besser keine Hindernisse auftauchten, Dinge wie zum Beispiel der Erdboden.
„Bleib wo du bist!“, blaffte Henry Jackson. MG-Feuer klang auf, zwei Maschinen passierten Armstrong auf dem Weg nach unten, und unverkennbar erklang das Geräusch eines abstürzenden Flugzeugs. „Ziemlich genau direkt, würde ich sagen“, klang Happys Stimme auf.
„Rote Bloodhawk! Rote Bloodhawk!“, rief Hammer über Funk.
„Das muss Jerome sein“, erwiderte Armstrong gepresst. „Ist er hinter mir her?“
„Er und ein Dutzend weiterer Bastarde! Chef, hau den Booster rein! Sonst...“
Das war der Nachteil, wenn man blind flog. Man sah nichts, wirklich gar nichts. Vieles konnte man mit dem Instinkt des Fliegers kompensieren, mit Erfahrung, mit einem Gefühl für seine Umgebung. Aber eben nicht alles. Das wurde Armstrong klar, als seine Maschine erschüttert wurde. Treffer! Er drehte ein, warf seine Mühle ins taumeln und hoffte, dass nach unten genügend Platz ist.
„Chef, ich schließe zu dir auf! Halte noch ne Minute durch!“, rief Dusk über Funk.
„Gute Neuigkeiten. Könnt ihr Schäden an meiner Fury erkennen?“
„Von hier sieht es so aus als ob – verdammter Bastard, stirb, stirb, stirb – als wäre das Leitwerk ein wenig löchrig. Bewahre die Ruhe, Hammer und ich haben bald aufgeholt!
„Es geht, ich kann beinahe schon was sehen. Warnt mich nur, wenn was außergewöhnliches passiert.“
„Deine rechte Tragfläche raucht. Reicht das?“, warf Hammer ein.
Verdammt! Waren das etwa wirklich Magnesiumkugeln gewesen? Brannten sie sich gerade zum Tank durch? Hastig zog Armstrong am Hebel, der den Tank der rechten Tragfläche entleerte. Durch den rapiden Gewichtsverlust begann die Fury nach links zu gieren.
Hinter ihm hämmerte ein MG, Kugeln streiften sein Cockpit. Dann kam es zu einer grummelnden Explosion, als das Flugbenzin, zu fast zwei Dritteln in der Luft vaporisiert, entzündet wurde. Die Flammen griffen auf seine Tragfläche über und entzündeten auch dort die hoch brennbare Flüssigkeit. Armstrong spürte, wie sich die Aerodynamik seiner Maschine rapide veränderte. „Ist mein Scheiß Flügel noch dran?“, blaffte er.
„Ein Teil ist es noch. Chef, du hast deinen Verfolger gerade in der Luft frittiert. Der ungewöhnlichste Abschuss des Jahres.“
„Definiere „ein Teil“, Happy!“
„Sagen wir die Hälfte! Keine Sorge, wir sind jetzt hinter dir und halten dir die bösen Jungs vom Hals.“
Die Fury ruckte und bockte. Sie zog und verlor an Höhe. „Negativ. Ich muss runter. Habe ich eine nette Landemöglichkeit in Front?“
„Nichts, was dir nicht die Flügel abreißen würde! Da unten ist dickster Wald! Lass uns dich zur NORTH zurückeskortieren und...“
„Ist nett gemeint, aber ich muss jetzt runter!“
„Das ist Wahnsinn, Boss!“, rief Hammer aufgeregt. „Eher wirst du Präsident der USA, als dass du da unten landen kannst! Spring ab!“
„Schon vergessen, was Jerome mit Piloten in der Seide macht?“, brüllte Armstrong. „Steel, du hast das Kommando. Ich küsse den Boden.“
Es dauerte einen Moment, bevor eine Antwort kam. „Hals- und Beinbruch, du dämlicher Pirat.“
„Danke. Happy, eine Höhenangabe wäre wirklich nett.“
„Gut fünfzig Meter. Du hast mal wieder unglaubliches Glück. Da tut sich tatsächlich sowas wie eine Schneise auf. Du kannst es schaffen.“
„Das will ich doch hoffen. Sag Blue Bescheid. Ein Hoplit soll mich so schnell wie möglich abholen. Jemand soll eine Ersatzmaschine bereit machen.“
„Verstanden. Zwanzig Meter. Reduziere die Geschwindigkeit.“
Armstrong drosselte die Motoren und fuhr das Fahrwerk aus.
„Zehn Meter. Fünf. Zieh die Nase hoch!“
Holprig und polternd setzte die Fury auf. Sie nahm einen Kaninchenbau mit, bockte wie ein wilder Mustang und krachte mit der eh schon kastrierten rechten Tragfläche in einen Baum. Die Maschine wurde wild herum geworfen, kippte stark nach vorne und blieb in beträchtlicher Schräglage stehen.
„Bin unten angekommen. Ich melde mich wieder, sobald ich im Hoplit bin. Armstrong Ende und aus.“
„Ich sehe dich, Boss. Beeile dich mit den rausklettern besser. Deine Mühle brennt!“
Armstrogn schnallte sich ab und gab erst einmal dem Zug der Schwerkraft nach. Der Steuerknüppel bohrte sich unvorteilhaft in seinen Bauch, und sein Gesicht machte Bekanntschaft mit der Cockpitverglasung. Er blinzelte ein paarmal und konnte tatsächlich schon ein wenig mehr erkennen. Zum Beispiel schälte sich die Verstrebung der Verglasung weit genug aus dem trüben Einheitsbrei hervor, um ihn zielsicher zugreifen und das Cokcpit aufwuchten zu lassen. Dann versuchte er hinaus zu klettern, aber die Gewichtsverlagerung besiegelte das Schicksal der Fury. Sie kippte kopfüber. Armstrong sprang zur Seite raus und hoffte, dass der schwere Flieger ihn nicht unter sich begrub, sobald sie aufschlug.
Er hatte Glück, rappelte sich auf und stürzte gleich wieder. Irritiert stellte er fest, dass sein linkes Bein ihn nicht trug. Also stützte er sich auf das rechte Bein und humpelte von der brennenden Maschine fort.
Im Schatten eines Baums ließ er sich niedersinken und betastete das Bein. Natürlich. Gebrochen. Und durch den Schock von der Landung spürte er keinen Schmerz. Noch nicht, korrigierte er sich selbst. Als die Fury detonierte, zuckte er nicht einmal zusammen. Stattdessen überprüfte er seine Ausrüstung, vor allem seine Luger und die Ersatzmunition. Insgesamt hatte er dreißig Schuss. Genug um sein Leben teuer zu verkaufen. Und mit jeder Sekunde wurde seine Sicht der Dinge besser.
„Armstrong, nehme ich an?“, sagte eine Stimme hinter ihm, während sich der Lauf eines Revolvers in seine Schläfe bohrte.
Dave öffnete die Rechte und hielt sie mitsamt der Luger hoch. Ein Verbündeter hätte ihn nicht entwaffnet. Ein Gegner allerdings auch nicht – außer er wollte mit einem Wehrlosen spielen.
„Kennen wir uns?“
„Nun, nicht persönlich. Aber ich habe vor, das zu ändern. Du wirst mich kennen lernen, Armstrong, richtig kennen lernen. Und dann wird die Welt wissen was mit den Idioten passiert, die blöde genug sind, um sich mit Michael Jerome anzulegen.“

„So, so. Sie sind also dieser hartnäckige Bastard, der sich einbildet, er könnte mich zum Wild machen.“ Die Genugtuung in der Stimme Jeromes jagte Dave einen Schauder über den Rücken. In seiner Betonung lag alles was er an Michael Jerome hasste: Seine Arroganz, seine Selbstüberschätzung, seine Menschenverachtung. „Aber ein Jäger bleibt immer ein Jäger, und wenn sich noch so viele Schafe auf seine Fährte setzen.“ Er sah auf Dave hinab und lächelte kalt. „Beinbruch?“ Langsam senkte er den Fuß auf den Bruch. Dann drückte er einmal kräftig durch.
Dave japste auf, konnte aber einen Schmerzensschrei verhindern. Das gefiel Jerome sichtlich nicht. Er drückte noch einmal kräftig zu, und als das nichts brachte, trat er richtig zu. Mit einem Knirschen brach etwas am Knochen, und vor Dave Stones Augen tanzten Sterne.
Jerome beugte sich zu ihm herab. „Du dummer Mensch. Es bringt dir überhaupt nichts, wenn du mich deine Schmerzensschreie nicht hören lässt. Du machst deine Qualen nur noch schlimmer. Wenn du erst mal auf meiner LEVIATHAN bist, dann wirst du schreien, erfüllt von Schmerz und Agonie, dass du dich wünschst tot und bei deinen Foltermeistern in der Hölle zu sein, dort wo es dir besser geht als an Bord meines Schiffes. Ich werde dich brechen, Kraut, wieder und wieder brechen. Ich verdrehe deine Arme und Beine, ich schneide dir die Ohren ab. Ich benutze deine Haut als Leinwand für ein paar schöne Schnitte mit dem Messer, und irgendwann steche ich dir die Augen aus. Aber erst nachdem du gesehen hast. Dinge gesehen hast, die jenseits deiner Vorstellungskraft sind. Dinge die dir den Magen umdrehen, wieder und wieder. Dinge die du nicht verhindern kannst, egal wie grausam sie sind. Ich werde deinem Körper Leid antun, deinem Geist, deiner Seele, und wenn ich dir das Augenlicht nehme wirst du mich dafür dankbar anwinseln. Deinen Hintern schenke ich einem meiner Leute. Der Knabenficker wird froh sein, mal so einen Prachtarsch in die Hände zu kriegen. Du wirst dich nicht wehren können, während er dich wieder und wieder missbraucht. Aber du wirst schreien, winseln, jaulen. Du wirst meine Lieblingsmusik für mich intonieren, die Sinfonie der Klagen und der Schmerzen. Und ich werde es genießen.
Irgendwann, wenn ich glaube, dass du ohnehin nichts mehr mitbekommst, werde ich deinen nahezu toten Körper ergreifen, dir das vom Leib reißen was von deiner Kleidung übrig ist, dich das letzte Mal meinem Knabenficker schenken, und dann...“ Er grinste, und es lag eine tiefe Selbstgefälligkeit darin. „Dann erweise ich dir eine winzig kleine Ehre. Du darfst noch einmal fliegen. Sobald ich dich aus dreitausend Metern Höhe aus der Ladeluke schmeiße!
Würde dir das gefallen, Kraut? Hättest du Spaß daran?“
In einem Anflug von Galgenhumor biss Dave die Zähne zusammen und brachte ein Grinsen zustande. „Das klingt wie ein gemütlicher Nachmittag bei der Gestapo. Ich bin dabei.“
Sein Gesicht veränderte sich, zornige Röte überzog es. Er richtete sich wieder auf und trat einen Schritt zurück. „Sie sollten es eigentlich besser wissen, als mich zu reizen, Armstrong. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, die Überlebenden dieser Schlacht noch ein wenig am Leben zu lassen, für den einen oder anderen vielleicht Lösegeld zu erpressen. Aber ich denke, Sie haben Strafe verdient. Ich werde sie alle nach unserer Siegesfeier töten lassen.“
„Oh, ich wusste nicht, dass Sie so großherzig sein können“, erwiderte Dave mit gebleckten Zähnen. „Das ist ja eine geradezu freundliche Behandlung, wenn ich an die Berichte denke, die von den wenigen Leuten stammen, die Sie und die LEVIATHAN verlassen konnten.“
Dumpfe, zornige Röte überzog Jeromes Gesicht. Wütend brachte er seinen Revolver in Anschlag. Ein Schuss, ein harter Schlag in Daves Körper. „Reizen Sie mich nicht, Armstrong. Umso früher beginnen Ihre Qualen“, tadelte er und lud den Schuss nach, während Armstrong nach seiner blutenden rechten Schulter tastete. „Verdammter Bastard“, stöhnte er.
Jeromes Gesicht hellte sich auf. „Ich sehe, wir verstehen uns. Und wir werden uns noch viel besser verstehen, wenn die verdammte Rothaut endlich mit dem Hoplit kommt!“
04.11.2020 06:53 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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„Hast du ihn erwischt? Hast du Jerome erwischt?“, klang die aufgeregte Stimme von Clancy Montjar auf.
Pete Marquardt runzelte die Stirn und starrte nach unten in den Wald, wo die rote Bloodhawk gerade eine mustergültige Notlandung neben einem rauchenden Scheiterhaufen hinlegte. „Zumindest haben ich jemanden abgeschossen“, brummte er und dachte schon darüber nach, wie er Sam dazu überreden konnte, ihm eine Bloodhawk-Silhouette auf den Bug zu malen, als ihn das metallische Prasseln von Geschossen auf den gepanzerten Flügeln daran erinnerte, das er nicht alleine hier oben war. Er legte sich auf die Seite und zog über den linken Flügel weg. Danach gab er Druck auf den Turbobooster und brachte sich aus der Reichweite des Gegners. „Die sind mir noch viel zu ordentlich in der Luft, dafür das ich Jerome erwischt haben soll“, murrte er missmutig. „Sieht jemand eine zweite rote Bloodhawk in der Luft?“
„Negativ.“
„Hm. Vielleicht fliegt der Bastard ja heute gar nicht mit. Vielleicht hat er einfach Schiss vor uns und lässt seine Leute die Scheiße ausbaden“, antwortete Happy vorsichtig optimistisch.
„Haltet Disziplin in der Luft, Leute“, klang die Stimme von Steel auf. „Wir haben gerade erst angefangen mit dem Schlachtfest.“
Zustimmende Funkmeldungen trafen ein.
Pete wechselte kurz die Frequenz. „Blue, wie geht es meinem Bruder?“
„Abgeschmiert. Seine Maschine brennt. Wir wissen nicht ob er es raus geschafft hat. Aber auf jeden Fall haben wir sofort einen Hoplit los gejagt.“
„Sie brennt?“, fragte er leise. Unwillkürlich drehte er seine Maschine so, dass er den Scheiterhaufen sehen konnte, neben dem die rote Bloodhawk notgelandet war. „Oh mein Gott! Habe ich Jerome gerade direkt zu meinem Bruder geschickt?“
„Was hast du gerade gesagt?“, rief Jeff Daines entsetzt.

***
„Die verdammte Rothaut“, ächzte Dave, nachdem er festgestellt hatte, dass das Blut nicht als Sturzbach aus seiner Schulter austrat, eher als kleinen Rinnsal. „Ist das der Läufer?“
„Läufer?“, fragte Jerome leidlich interessiert, während er seine Patronentasche überprüfte.
„Ein indianischer Magier. Eine Art Außenseiter. Ein Killer, wenn Sie so wollen. Jemand der Macht über andere erreicht, indem er Fetische von ihnen nimmt.“
„Interessant. Und was könnten das für Fetische sein?“
„Die Kopfhaut, zum Beispiel. Augen, Zunge, Geschlechtsteile.“ Armstrong wandte den Kopf in Jeromes Richtung. „Hat Ihre Rothaut eine solche Sammlung?“
„Warum wollen Sie das wissen?“, entgegnete der Pirat schroff.
„Sie haben ihn mir auf den Hals gehetzt, erinnern Sie sich? Im People´s Collective.“ Ein starker Hustenreiz unterbrach Dave. Jeder Huster ließ die Schmerzen im Bein und in der Schulter aufflammen. „Er hat einen Techniker entführt und nach allen Regeln der Kunst gefoltert. Dann hat er ihm alles abgeschnitten was irgendwie vorragte und die Leiche zum vergammeln abgelegt. Seinen Skalp hat er mitgenommen, aber den Rest konnte ich finden und dem Toten wiedergeben.“
„So? Das wird ihm aber nicht gefallen. Er hat sich große Mühe mit diesem kleinen Kunstwerk gegeben“, entgegnete Jerome ärgerlich.
Matt ließ sich Dave gegen den Baumstamm sinken. „Sie haben keine Ahnung, was Ihre Rothaut ist, oder? Sie haben keine Ahnung, wie gefährlich er ist. Allerdings kann ich es verstehen. Sie ähneln einander. Sie glauben beide, durch ihre Taten und Handlungen unverwundbar zu sein, unsterblich zu werden. Bei ihm ist es sogar möglich, wenn er nur weit genug geht.“
„Vergleichen Sie mich nicht mit einer stinkenden Rothaut. Er ist... nützlich. Kreativ. Ein gut geschliffenes Werkzeug. Ich erkannte sein Potential schon, als man ihn als Gefangenen an Bord gebracht hatte. Er führte jeden meiner Befehle aus, wie ein gut dressierter Hund. Und er tötete ohne Reue und Gnade. Er war so...Interessant.“
„Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung, in welcher Gefahr Sie schweben, oder?“, brummte Dave säuerlich. „Haben Sie sich nie gefragt, wie Sie einen Mann wie diesen überhaupt je fangen konnten? Haben Sie sich nie gefragt, ob er nicht vielleicht freiwillig an Bord gekommen ist? Sie bewundern seine Kaltblütigkeit? Vielleicht war er das schon immer gewesen. Vielleicht ist es seine Natur. Vielleicht benutzt er Sie als Reittier, um seine eigenen Ziele zu erreichen!“
Ein Schuss bellte auf, und scharfer Schmerz ging von Daves linker Wange aus. Streifschuss, diagnostizierte er. Schmerzhafter Streifschuss.
„Niemand benutzt Michael Jerome!“, rief er wütend und trat gegen Daves gebrochenes Bein. „Michael Jerome benutzt alle anderen! Ein Läufer soll er sein? Ha! Ein Dämon oder Magier, oder was Sie sich und die abergläubischen Rothäute unter ihm so vorstellen? Soll er doch sein was immer er will! Aber er dient mir! Er ist mein treuer Bluthund, meine Bestie, meine ausführende Hand! Und wenn ich genug von ihm habe, dann werfe ich in auch aus der Ladeluke und sehe dabei zu wie er in die Tiefe stürzt!“
Dave schnaubte resignierend. „Sie wissen wirklich nicht, warum er sich Ihnen unterordnet. Sie wissen sicher nicht einmal was er macht, wenn Sie ihm den Rücken zukehren. Was er mit den Lebenden macht, oder mit den Toten. Hat er je eine Ihrer Sklaven mitgenommen und vollkommen apathisch wieder gebracht? Oder gestorben, mit dem Ausdruck tiefsten Entsetzens im Gesicht?“
Diesmal verschwendete Jerome keine Kugel. Er schlug die Waffe mit einer schmerzhaften, beiläufigen Bewegung in Daves Gesicht. Das Korn riss über seine Haut und hinterließ einen blutigen Riss. „Ich habe Ihnen gesagt, belehren Sie mich nicht. Er ist ein Hund, und er ist mein Hund. Ich tue mit ihm was ich will, und wenn er mich beißt, töte ich ihn. So ist das Leben. So geht das Spiel.“ Mit geweiteten Augen sah Jerome Dave ins Gesicht. „Sie verstehen es nicht, oder? Wenn er wirklich ein Läufer ist, dann bin ich ein Dämon. Wenn er ein Dämon ist, bin ich der Teufel! Ich entscheide über Leben und Tod! Ich entscheide über Schmerzen, über Schicksale und über den Kurs unendlich vieler Leben! Ich komme über die Menschen wie eine biblische Plage, bringe Tod und Verderben, färbe ihr Wasser blutrot und nehme ihnen alles was sie haben, ihre Leben, ihre Habe, selbst ihre Seelen! Wenn Sie jemanden fürchten wollen, Armstrong, dann fürchten Sie mich! Ich regiere! Hier unten, da oben, wohin immer ich komme! Ich bin die oberste Gewalt, ich bin der Hammer des Zorns. Vor mir beugt selbst Gott das Knie, weil ich über das Verderben entscheide! Ich urteile, und mein Urteil ist absolut! Ich bin selbst schon Gott geworden! Gott, verstehen Sie, Armstrong! Gott! Und egal wo ich hingehe, regiere ich! Sie kriechen vor mir, sie fliehen vor mir, sie verstecken sich, und wenn ich sie verschone, beten sie mich zum Dank an! Das ist die Realität! Und Sie, Armstrong, werden sie auch noch lernen! Oh, ich werde Sie zum beten bringen! Ich werde Sie zum lobpreisen bringen! Ich Michael Jerome, werde Ihr Gott und Ihr Teufel in eins! In eins, Armstrong, in eins!“ Die letzten Worte hatte er gebrüllt, und dabei eine Menge Speichel abgesondert.
Dave unterdrückte den Impuls, sich über sein Gesicht zu wischen. Stattdessen begann er zu lachen. „Nun, die Herrschaft da oben kann so weit nicht her sein. Immerhin sind Sie ja hier unten bei mir! Und warten Sie nicht auf einen Hoplit? Abgeschossen worden, Gott?“
Mit vor Wut verzerrtem Gesicht griff Jerome in Daves Kragen und zog ihn halb hoch. Der Knauf des Revolvers ging auf ihn nieder, traf das Kinn. Der nächste Schlag traf den linken Wangenknochen. Die Nase brach beim dritten Schlag mit einem hässlichen Knirschen. Zehn, elf Schläge verabreichte Jerome ihn, dann erst ließ er die Jacke fahren.
Dave stürzte zu Boden, von Schmerzen gepeinigt, halb besinnungslos. Ohne Halt.
Es klickte leise, als sich Jeromes Revolver spannte. „Sie waren ein Idiot, Armstrong. Aber ich halte Ihnen zugute, dass Sie mich weit genug gereizt haben, um Sie sofort zu töten. Da sind Sie der erste. Grüßen Sie die Hölle von mir. Sagen Sie Satan, ich schicke noch mehr von Ihrer Sorte.“

Dave schnaubte wütend, brachte aber nicht mehr die Kraft auf um zu antworten. Ein dünner Fluch verließ seine Lippen, dann ergab er sich der Agonie der Schmerzen.
Es wurde laut, unerträglich laut, warmes, feuchtes Blut floss an ihm herab. So ging es also zu Ende? Seine Augen wollten sich nicht mehr öffnen, egal wie sehr er es versuchte, und die Schmerzen wollten ihn in die Agonie zerren, in die Dunkelheit, die Finsternis des Vergessens. Das also war sein Ende. Er wollte sich aufbäumen, für sein Leben kämpfen, aber dazu fehlte ihm nach all den Schmerzen die Kraft. Wie von weiter Ferne drangen Stimmen an sein Ohr, riefen nach ihm. Plötzlich konnte er die Augen wieder öffnen, und was er sah, erschrak ihn, erfreute ihn, war irgendwo dazwischen. Annie! Sie erwartete ihn mit Tränen in den Augen, während sie ihre Hände nach ihm ausstreckte. Dave seufzte und griff nach den Händen...
04.11.2020 06:54 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Als ihn die Nachricht von Marquardts Bruchlandung Ernst von Stahlheim erreichte, war er in einem gewissen Sinne erleichtert. Wenn er Glück hatte, dann würde sich Armstrong das Genick brechen, und ihm die unangenehme Pflicht abnehmen, ihn zu liquidieren.
Aber zum einen glaubte er irgendwie nicht, dass er soviel Glück haben würde. Und zum anderen bürdete ihn Marquardts Ausfall eine Verantwortung auf, auf die er gerne verzichtet hätte.
Eine Luftschlacht zu befehligen, das war ein Vollzeitjob, der selbst einen erfahrenen Offizier in einer gut ausgestatteten Kommandozentrale überfordern konnte. Wenn man aber gleichzeitig auch noch fliegen und kämpfen wollte…
Es war, als wollte man mit verbundenen Augen ein Schiff durch einen Orkan führen. Aber das war der Nachteil bei diesen Piraten. Hier flogen die Kommandeure mit. Vermutlich waren deshalb die meisten Banden ziemlich klein. Aber was bei einem Dutzend Maschinen gut funktionieren mochte, dass wurde zu einem irrsinnigen Chaos, wenn insgesamt etwa einhundert Flieger aus fast einem Dutzend Einheiten sich gegenseitig an die Kehle gingen. Die Zeppeline und das Feuer der Bodenstellungen machten den Wahnsinn komplett. Mit tödlicher Sicherheit würde es in diesem Durcheinander zu Verlusten durch ‚friendly fire’ kommen – wenn sie Glück hatten, dann würden sich diese Verluste auf beiden Seiten etwa die Waage halten.

Jeromes Piraten und ihre Verbündeten hatten den Vorteil der Überraschung verspielt, als sie die Silver Foxes angriffen. Die Milizflieger verkauften ihre Haut so teuer wie möglich, unterstützt durch die Maschinengewehre am Boden. Inzwischen schossen nicht mehr nur die Flugabwehrstellungen – mit Gewehren, Mpi’s und Pistolen eröffneten Soldaten, Bodenpersonal und sogar Zivilisten auf alles das Feuer, was nicht die Farben der Miliz trug. Jetzt rächte sich Jeromes Ruf – die Menschen am Boden wussten, was sie im Fall seines Sieges erwartete. Und jetzt, da so überraschend Verstärkung eingetroffen war, da die Piraten auf einmal nicht mehr zahlenmäßig überlegen schienen, kippte Furcht in Hass und in verzweifelte Tapferkeit um. Die Piratenpiloten, die die Silver Foxes und die Bodenstellungen niederkämpfen wollten, flogen in einen Feuerorkan.
Und über ihnen und an ihren Flanken lauerten die Maschinen von Marquardts Allianz. Allerdings hatten sie gelernt, sich nicht zu nahe an die Flugabwehrstellungen heranzuwagen – die Schützen am Boden nahmen sich leider nur selten die Zeit, ihr Ziel einwandfrei zu identifizieren. Deshalb hatte Steel den strikten Befehl gegeben, nicht der Luftabwehr in die Quere zu kommen. Der Kampf war auch so schon blutig genug.
Als Jeromes Flieger in die Kämpfe eingegriffen hatten und kurz darauf auch noch Marquardt abgeschmiert war, da hatte es düster ausgesehen. Noch ein Nachteil von Piraten und Freibeutern – sie ließen sich von solchen Ereignissen schnell entmutigen. Es fehlte ihnen die Ausdauer und Standfestigkeit echter Soldaten.

Die VELVET war gerade noch im rechten Augenblick gekommen, um die Lage zu stabilisieren. Die acht Maschinen waren eine wertvolle Verstärkung, außerdem hatte die VELVET die Nachricht mitgebracht, dass weitere Verstärkung unterwegs sei.
'Vermutlich nicht schnell genug.' Steel ließ seine Maschine über die rechte Tragfläche sacken. Die Bloodhawk taumelte in Richtung Erdboden – ein verführerisches Ziel. Zu verführerisch für eine feindliche Devastator, die sich an Steels Maschine hängte. Der deutsche Pilot zwang seine Maschine in eine Kurve, der der Piratenjäger aber mühelos folgen konnte. Die Devastator eröffnete das Feuer...und im selben Augenblick wurde die Maschine von Dutzenden Einschlägen förmlich durchsiebt. Die Devastator versuchte gegenzusteuern, aber dieses Manöver erwies sich als zu abrupt für die geschwächte Motorzelle. Der Pilot verlor die Kontrolle über seine Maschine, die sich auf den Rücken drehte, und für Max damit ein perfektes Ziel bot. Ein paar Sekunden später explodierte die Devastator, während der Pilot noch versuchte, die Cockpithaube zu öffnen.
Inzwischen hatte Steel seine Bloodhawk längst wieder auf Steigekurs gebracht. 'Zu dumm zum Überleben.' „Steel für VELVET! Bringen Sie die Zigarre näher ans Gefechtsfeld! Ich will, dass Sie Süd-Südost von der Landebahn eine Flankenposition einnehmen.“
„Aber...“
„Tun Sie es, verdammt! Wenn wir geschlagen werden, glauben Sie wirklich, Jerome und seine Bande werden sie dann lebendig davon kommen?! Entweder wir reiben sie hier auf – oder sie schneiden uns einzeln die Kehlen durch! In zwei Minuten will ich Ihren Zeppelin im Kampf sehen! Oder ich bin es, der Ihnen die Kehle aufschlitzt!“
„Verstanden.“ Die Stimme des Funkers klang ziemlich angespannt, aber das war Steel jetzt egal. Solange die Kings Black Guards taten, was er von ihnen wollte. Manch deutscher Offizier hätte den Einsatz schwarzer Piloten als unter seiner Würde gehalten. Aber Steel hatte schon vor langer Zeit die Erfahrung gemacht, dass Schwarze, Gelbe und Weiße gleich gut beim Töten waren. Und beim Sterben.

Einige Minuten später war es dann Peter Marquardt, der in einem Passierflug die ersten Treffer bei einer rot bemalten Bloodhawk anbrachte, die sich offenbar zu sehr auf die Verfolgung einer angeschossenen Defender konzentriert hatte. Während Jeromes Flügelmann von zwei Maschinen des Dog Pack in die Zange genommen wurde, hängte sich der junge Pilot an den angeschlagenen Piratenkapitän. Jerome verließ sich auf die überlegene Geschwindigkeit seiner Maschine, und versuchte sich durch einen Sturzflug aus Peters Fadenkreuz zu retten. Aber jetzt zeigte sich einmal mehr der Wert des Boosters. David Marquardts Bruder aktivierte den Nitro-Injektor und die Maschine glich mühelos ihre Geschwindigkeit an Jeromes Flieger an. Wieder eröffnete Peter das Feuer – und er traf. Allerdings war Jerome kein Anfänger. Er reagierte schnell, warf seine Maschine auf die Seite und drückte die Bloodhawk noch tiefer nach Unten. Sein neuer Kurs brachte den Piratenkapitän direkt durch das Chaos aus Qualm, Feuer und Geschossgarben, die einmal der kleine Flughafen gewesen war. Immer noch beschossen sich hier Piraten, Söldner, Milizpiloten, Flugabwehrstellungen und Infanterie. Eine angeschlagene Maschine durch diesen Hexenkessel zu jagen, war Wahnsinn.
Und genau das hatte Jerome vor.
Peter biss die Zähne zusammen, und schob den Steuerknüppel nach vorne. Er würde Jerome nicht entkommen lassen. Und wenn er ihm dazu in die Hölle folgen musste.
Es war die Hölle. Er hatte das Gefühl, dass jedes Maschinengewehr, jedes GEWEHR auf dem Boden auf ihn gerichtet wurde. Die Einschläge kleinkalibriger Geschosse prasselten wie Hagelkörner gegen den Rumpf und die Tragflächen seiner Maschine. Treffer schwererer Waffen rüttelten die Maschine durch. Ein, zwei schnelle Ausweichmanöver schienen nicht viel zu helfen. 'Sehen diese Arschlöcher denn nicht, dass ich zu ihnen gehöre?!'
Sein einziger Trost war, dass auch Jerome heftig einstecken musste. Ein-, zweimal glaubte er sich in Schussposition und drückte auf die Feuerknöpfe. Aber beide Male schaffte es Jerome – ob nun durch sein Glück, einen sechsten Sinn oder den Teufel, dem er seine Seele verkauft hatte, gewarnt – sich mit einer schnellen Kurve den Geschossgarben zu entziehen.
Dann aber nahmen zwei leichte Maschinengewehre die Bloodhawk in die Zange und überzogen den Rumpf der schlanken Maschine mit Einschlägen. Abgelenkt durch diesen doppelten Feuersturm reagierte Jerome um wenige Sekunden zu langsam. Er zog seine Maschine steil nach Oben – und damit genau in Peters Fadenkreuz.

Der eröffnete das Feuer aus allen Rohren. Und diesmal konnte sein Gegner nicht schnell genug ausweichen. Unterstützt durch die beiden Flugabwehr-Maschinengewehre prasselte ein tödlicher Metallhagel auf die schlanke Maschine des Piraten. Die Bloodhawk stieg steil in den Himmel, eine lange Qualmschleppe hinter sich herziehen. Dann sackte der linke Flügel nach unten, die Maschine drehte sich halb um die eigene Längsachse. Und stürzte ab.
'Hoffentlich krepierst du, Scheißkerl!'
Doch Peter hatte keine Gelegenheit, sich lange über den Abschuss zu freuen, oder vielleicht sogar ein paar Maschinengewehrgarben hinterher zu jagen, um für klare Verhältnisse zu schaffen.
Denn jetzt nahmen die beiden Maschinenwaffen am Boden ihn aufs Korn. 'Diese verdammten Idioten!' Aber für die nervösen Miliz-Richtschützen sah vermutlich ein Flugzeug wie das andere aus. Vielleicht konnten sie sich noch die Farben der Silver Foxes merken. Aber es waren einfach zu viele verschiedene Einheiten in der Luft, als dass eine klare Identifikation vom Boden aus möglich gewesen wäre. Zumal inzwischen der Qualm brennende Gebäude, Sträucher und Bäume die Sicht erschwerte. Abstürzende Maschinen, Brandgeschosse und Raketen hatten an mindestens einem Dutzend Stellen größere oder kleinere Feuer entfacht.
Und noch während Peter ein Ausweichmanöver flog, erreichte ihn der Hilferuf von Max, die offenbar mit zwei Feindjägern kurbeln musste.

'So weit so gut.' Jeromes Absturz zeigte langsam Wirkung. Nicht bei seinen eigenen Leuten – die hatten ohnehin nichts zu verlieren, und offenbar waren Richter und Conway mehr als fähig, Jeromes Stelle einzunehmen. Aber für die Piraten und Söldner, die Jerome angeheuert hatte, war sein Wegfall ein erheblicher Dämpfer. Als dann auch die AVALON eintraf und weitere sechs Maschinen in die Schlacht warf, begann sich das Blatt langsam zu wenden. Die AVALON war fast so gut bewaffnet wie ein Militärzeppelin. Und auf Steels Befehl hin brachte es seine gute Bewaffnung auch ins Spiel. Der Hilfsluftkreuzer schloss zur VELVET auf.

Aber immer noch war die Schlacht nicht gewonnen: „Hier VELVET! Hier VELVET! Wir haben einen Hoplite im Anflug! Verdammt, ist der Bastard wendig! Wir brauchen Verstärkung! Die Scheißkerle wollen entern!“
King meldete sich: „Wir schnappen uns das Arschloch.“
„Abgelehnt! Ich wiederhole ABGELEHNT! Halten Sie weiter den Druck auf die LEVIATHAN aufrecht! Wir brauchen jedes verdammte Flugzeug!“
„Wenn Sie glauben, ich lasse meine Leute...“
Steel ignorierte King und wandte sich an die Kapitäne der AVALON und der VELVET: „AVALON, aufschließen mit Flankengeschwindigkeit! VELVET, drehen sie um fünfzehn Grad nach Ost-Nordost!“
„Was zum...“
„TUN SIE ES!!“
Weisungsgemäß drehte das Zeppelin bei, schien dem angreifenden Autogyro ein gutes Ziel zu bieten. Gleichzeitig näherte sich die AVALON – und der feindliche Truppentransporter fand sich plötzlich im Kreuzfeuer, wurde förmlich in der Luft zerfetzt.
„Na also, so geht...“
„STEEL! WEGBRECHEN!!“ Der deutsche Pilot wusste nicht einmal, wer ihm diese Warnung zu schrie, doch er reagierte sofort. Die scharfe Kurve brachte ihn fast in Rückenlage, die Bloodhawk ging in den Sturzflug – die Maschinengewehrgarben der aus der Sonne stürzenden Defender gingen ins Leere.
Die feindliche Maschine nahm die Verfolgung auf. Normalerweise hätte von Stahlheim jetzt den Nitrobooster ins Spiel gebracht – allerdings war seine Maschine nicht mehr damit ausgerüstet. Er musste also so mit dem Feindflieger in seinem Nacken fertig werden. Er hatte diesen Gedanken noch nicht einmal richtig zu Ende gebracht, als er auch schon den Steuerknüppel brutal zurückriss. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen, doch die hastig abgefeuerten Garben der Defender gingen wieder ins Leere, dann stürzte sie an Steels Bloodhawk vorbei. Damit hatte er gerechnet. Die längeren und etwas fragileren Tragflächen des Feindjägers zwangen seinen Gegnern zu einem etwas vorsichtigeren Flugverhalten – wenn er nicht wollte, dass seine Flügel in der Luft abmontierten. 'Jetzt drehen wir den Spieß um!' Wieder ging er in den Sturzflug über, aber diesmal war Steel der Verfolger. Die Defender versuchte ihn dicht über dem Boden abzuschütteln. Der Pilot konnte natürlich nicht wissen, dass Steel in seiner Funktion als Pilot der Abwehr zahllose Tiefflüge absolvierte hatte. Zwei abgefeuerten Raketen konnte die Defender abweichen, aber die vier Maschinengewehre trafen ihr Ziel. Die in der Nase der Bloodhawk konzentrierten Maschinenwaffen bewiesen einmal mehr, dass der Ruf der Maschine mehr als gerechtfertigt war. Die Einschläge wanderten vom Heck der Defender bis zum Cockpit. Steel hielt die Feuerknöpfe gedrückt, bis er sich sicher war, dass in der Pilotenkanzel nur noch ein Toter oder Sterbender saß. Dann drehte er ab, ohne einen weiteren Blick für die abschmierende Maschine übrig zu haben.

Fünf Minuten später meldete die CRIMSON SKY und kaum dreißig Sekunden später die SHOOTIST ihre unmittelbar bevorstehende Ankunft. Besonders die SHOOTIST trug dazu bei, dass das Gleichgewicht in der Luft endgültig kippte. Das Militärluftschiff mit seiner modernen Panzerung, den schweren Geschützen, den Raketenwerfern und Lufttorpedo-Werfern konnte Schläge einstecken und austeilen, welche die meisten umgebauten Frachtzeppeline in der Luft zerreißen konnten. Und natürlich waren die Piloten auch besser als die üblichen Piraten und Söldner. Zwar keine ECHTEN Soldaten, wie Steel wusste, aber immerhin...

Sie hatten den Feind bluten lassen – jetzt war es an der Zeit, ihm die Kehle durchzuschneiden: „Blue, sag Captain Gallagher, sie soll ihre Marines in die Maschinen schicken. Wir haben ein Ziel für sie.“
„Ein Ziel? Was für ein Ziel?“
Steel lächelte grausam: „Die LEVIATHAN. Räuchern wir das Nest der Bestie aus.“

Der Kampf hatte weniger als eine Stunde gedauert, dennoch hatten sie hohe Verluste erlitten. Von Dog Pack und Cat Pack flogen zusammen gerade noch einmal genug Maschinen, um eine volle Staffel zu formieren. Und bis auf Dusk, die mit einem zusammengeschossenen Flieger zur NORTH STAR zurück gehinkt war, waren alle anderen Maschinen abgeschossen worden. Steel wusste nicht, was mit den Piloten passiert war. Das galt auch für Max, die kurz nach Jeromes Absturz im Kreuzfeuer abgeschmiert war. Absprung beobachtet, sichere Landung ungewiss.
Steel hatte einen Rettungsversuch durch eine Hoplite bewilligt, weitere Maßnahmen aber unter Androhung der sofortigen Exekution untersagt. Das hatte ihm vermutlich mal wieder ziemlich viel Beliebtheit gekostet. Aber er hielt nichts von solchen Extratouren, auch wenn er Max mochte. Im Luftkampf war für so etwas nun einmal kein Platz, vor allem wenn sie gegen einen Gegner wie Jeromes Halsabschneider kämpften. Noch ein Grund, warum er das Fliegen mit Freischärlern und Halbsoldaten hasste. Ständig kam irgendein privater Scheiß dazwischen, und das färbte dann auch noch ab: „Dog Pack und Cat Pack, herhören! Ich will keine Extratouren, keine Zweikämpfe, keine Verfolgungsjagden. Wir gehen rein und bringen die Marines durch. Das IST ALLES! Anschließend freie Jagd. Aber bis dahin klebt ihr an den Hoplites! Und knallte jeden ab, der die Flugroute kreuzt. Ausführen!“ Anspannung und Wut ließen seine Stimme hart klingen.

Auch der Gegner hatte hohe Verluste erlitten, und bis auf Jeromes Piloten fehlte ihnen meist eine gute Ausbildung im Verbandsflug und koordinierten Vorgehen. Sie waren unkoordiniert in die Schlacht gezogen, und selbst Kapitän Richters verzweifelte Bemühungen konnten diese Defizite nicht voll ausgleichen. Nicht, nachdem Jerome ausgefallen war. Denn dadurch war jene Gewalt weggefallen, die selbst jene Männer einschüchterte und motivierte, die nur für Geld in die Schlacht gezogen waren. Nur wenige Piloten hätten es gewagt, einen Befehl zu ignorieren, hinter dem Jerome stand, der für viele fast so etwas wie eine Naturgewalt, ein böser Geist, ein Dämon war. Doch jetzt, nach Jeromes Absturz…
Sie kämpften zwar weiter, aber es fehlte der Wille, der sie vorwärts trieb, der vielen von ihnen mehr Angst eingeflößt hatte, als der Gegner. Als dann immer mehr Luftschiffe und Flieger eintrafen und die Piratenflieger in die Zange nahmen, begannen sie langsam zurückzuweichen. Besonders die Flieger der SHOOTIST setzten ihnen schwer zu. Selbst die verbliebenen Flieger der LEVIATHAN gerieten immer mehr in die Defensive.

Steels Stoßtrupp schlug aus der Sonne zu. Er hatte sich die Zeit genommen, die Formation steigen zu lassen, um mit einem Höhenvorteil anzugreifen. Geschwindigkeit und Geschlossenheit waren der Schlüssel zum Sieg. Außerdem griffen sie dort an, wo der Gegner geschwächt, seine Formation ausgedünnt war. Zu viele Feindflieger kurbelten mit den noch ziemlich unverbrauchten, voll bewaffneten und aufgetankten Maschinen der SHOOTIST.
Bereits in den ersten Sekunden des Anflugs stürzten zwei Piratenmaschinen qualmend ab. Die verbliebenen zogen sich zurück, ein paar der von Jerome angeworbenen Flieger suchten sogar Schutz bei ihren Mutterschiffen.
Diesen Augenblick der Verwirrung nutzte Steels Verband eiskalt aus und stieß nach. Während die leichteren Jagdflieger die Hoplite nach außen abschirmten, nahmen die schweren Jäger die bereist angeschlagene LEVIATHAN aufs Korn. Die schweren 50er, 60er und 70er Maschinenwaffen waren in dieser Massierung selbst für einen Hilfskreuzer zu viel. Mindestens eine volle Garbe ‚Buntfeuer’ vom Kaliber 70 durchschlug die Brückenpanzerung, während an anderen Stellen Maschinengewehrstellungen und Raketenwerfer aufs Korn genommen wurden. Endlich bewährten sich die endlosen Übungen und Vorträge – koordiniert nahmen die Angreifer nach der Ausschaltung der gefährlichsten Feuernester nun die Motorengondeln und das Leitwerk des Zeppelins aufs Korn. Währenddessen gingen die Hoplites ran. Während einer der Autogyros Feuerschutz gab, und die Hangartore unter Sperrfeuer legte, näherte sich der andere Angriffstransporter mit Höchstgeschwindigkeit. ‚Schade, dass die Zigarre kein Wasserstoff verwendet…’
Dann war der Hoplite am Ziel. Eine halbe Minute später folgte ihm sein Kamerad. ‚Jetzt ist der Ball in ihrem Feld.’
Und dann schlugen die Kugeln in seiner Maschine ein. Die feindliche Maschine hatte sich von unten genähert, und ihre grüngraue Oberseite hatte sie vor der Entdeckung bewahrt. Jetzt befand sie sich im Steilflug, und konzentrierte die gesamte Feuerkraft von zwei 40ern und zwei 30ern Maschinengewehren auf Steels rechten Flügel. Auch der Pirat hatte seine Waffen ‚bunt’ gegurtet. Die Mischung aus panzerbrechenden, Brand- und Explosivgeschossen waren wie geschaffen dafür, schwerste Verwüstungen anzurichten.
Dass Steel die Maschine in eine Kurve zwang, verschlimmerte in diesem Fall noch die Wirkung des Feindfeuers. Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und frustrierter Wut registrierte der deutsche Pilot, wie seine rechte Tragfläche unter dem Druck der Fliehkräfte abmontierte. Die Maschine reagierte darauf ebenso vorhersehbar, wie verhängnisvoll. Sie legte sich auf den Rücken und sackte in Richtung Erdboden weg.
Ernst von Stahlheim ließ den nutzlosen Steuerknüppel fahren. Mit der rechten Faust stieß er die Verriegelung der Cockpitkanzel weg, und warf die Glaskuppel ab: „Blue! Du hast das Kommando…“ dann ließ er sich aus der Maschine fallen. Den Kopf hatte er auf die Brust und die Beine an den Leib gezogen, die Arme vor der Brust verschränkt. Er fiel wie ein Stein, dennoch zwang er seine Finger, den Abzugsring des Fallschirms in Ruhe zu lassen. Er wusste, was Jeromes Flieger mit ausgestiegenen Piloten machten. ‚Tiefer! Du musst tiefer!’ Irgendwo unter sich sah er den Erdboden. Endlos weit entfernt, und trotzdem mit tödlicher Geschwindigkeit auf ihn zurasend. Er war über dem Wald abgeschossen worden. ‚Das ist nicht gut.’ Der Flugwind trieb ihm trotz der Fliegerbrille Tränen in die Augen. Wieder sah er nach Unten. Jetzt glaubte er bereits einzelne Bäume erkennen zu können – hölzerne spanische Reiter, die darauf warteten, ihn aufzuspießen. ‚So eine Scheiße!’
Er konnte nicht länger warten. Mit aller Kraft riss er an dem Abzugsring, und schrie unterdrückt auf, als der öffnende Schirm ihn brutal durchschüttelte. Irgendwo über sich hörte er das Dröhnen von Flugzeugmotoren – und dann das Hämmern von Maschinenwaffen. Ein riesiger Schatten schien über den weißen Seidenschirm zu gleiten, wie ein Hai, der über ein Riff jagte. Der deutsche Pilot kniff die Augen zusammen, und wartete auf den Einschlag der Kugeln.
Der ausblieb. Als er die Augen öffnete, sah er eine qualmende Bloodhawk in grüngrauen Tarnfarben qualmend abstürzen. Die Maschine schlug in einem gigantischen Feuerball auf. Ein Flugzeug in den Farben des Dog Packs passierte den zu Boden sinkenden Fallschirm, und wackelte kurz mit den Flügeln. Dann stieg sie wieder steil nach Oben und verschwand aus Steels Sichtfeld.
Der deutsche Pilot lächelte kurz – und wurde sofort wieder ernst, als er nach Unten sah. Immer noch schienen die Bäume mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zuzurasen. Viel zu hoch. ‚Das wird wehtun.’
Der Pilot rollte sich so gut es ging zu einer Kugel zusammen, hob die Arme schützend vors Gesicht. Dann krachte er in das Gewirr der dürren Äste: „Scheiße!“
Wieder wurde er brutal durchgeschüttelt. Zweige peitschten wie Stockschläge über seinen Körper, trafen ihn an Beinen, Armen, Leib. Zerrissen die feste Kombination.
Ein letzter, Knochen brechender Ruck, der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen. Eine grausame Schmerzwille schoss durch sein linkes Bein, der gellende Schmerzschrei verhallte ungehört.

‚Verdammt, warum erwischen die immer meine linke Seite…’ Das war sein erster klarer Gedanke. Wie er sein Glück kannte, war sein kaum verheilter Bruch schon wieder gebrochen. Jedenfalls verweigerte ihm sein linkes Bein den Gehorsam. Und schmerzte wie Feuer.
Immerhin, er hatte überlebt. Er war nicht aus der Seide geschossen worden. Und vielleicht war es auch besser, dass seine Maschine nur noch ein verbranntes, unidentifizierbares Wrack war. Keiner würde mehr bei der Wartung der Maschine fragen können, wo denn der kostbare Nitro-Injektor der neusten Generation geblieben war.
Eine neue Schmerzwelle flutete durch seinen Körper. ‚Ja, ich hatte mit dem Absturz echtes Glück!’ Und wenn Marquardt tatsächlich seine Notlandung überlebt und zufälligerweise nicht von dem abgeschossenen Jerome niedergeknallt worden war…’soviel Glück habe ich wohl nicht.’…tja, dann gab es da immer noch diesen verfluchten Exekutionsbefehl aus Berlin. ‚Zum Totlachen. Soll ich ihn mit meinem neuen Gipsverband erschlagen? Scheiße!’

Der Pilot biss die Zähne zusammen. Jammern würde ihm nicht helfen. Und mit diesem Bein würde er auch nicht weit kommen. Eine schnelle Inventur ergab, dass er noch immer noch seine Pistole hatte, den Kommandodolch, eine Notsignalfackel und ein Feuerzeug. ‚Na das ist doch mal was.’ Er würde ein Notsignal absetzen können. ‚Nur nicht gerade jetzt.’ Er wusste schließlich nicht, wer hier noch unterwegs war. Er würde noch etwas warten, und dann…
Der Pilot lehnte sich schwerfällig gegen den Baum einer verwachsenen Kiefer. Die italienische Automatikpistole hielt er locker in der rechten Hand, während er sich auf eine längere Wartezeit einrichtete. Wenn er in seiner Zeit als Agent etwas gelernt hatte, dann das.
04.11.2020 06:55 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Blue unterdrückte einen Fluch. David war immer noch vermisst. Genauso Max. Und jetzt war auch noch Steel runter gegangen. Auch wenn er dem Deutschamerikaner im Augenblick wegen seiner kaltschnäuzigen Art am liebsten den Hals umgedreht hätte, er hätte ihn jetzt gut gebrauchen können. Er hatte Dusk das Kommando über die wenigen verbliebenen Maschinen der NORTH STAR gegeben, als die Texanerin mit einer der Reservemaschinen aufgestiegen war.
Dennoch, er machte sich keine Illusionen. Von Dog Pack und Cat pack war nicht mehr viel übrig. Und die Sorge um David und Maxine machte ihn halb verrückt: „Gibt es Neues von dem Enterkommando?“
„Der Funker drehte sich um, und sein Mund verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen: „Meldung von einem der Hoplites. LZ gesichert, Hangar unter Kontrolle. Kommandos haben die Brücke eingenommen.“
„Sie haben es geschafft.“
„Sir! Die LEVIATHAN!“
„Was ist? Gibt sie auf?“
„Nein, Captain. Sie…sie geht runter.“
„Was soll das heißen? Stürzt sie etwa ab?!“ Das konnte nicht sein, so durfte es nicht enden. Die Gefangenen, die Marines an Bord…
„Nein, Captain. Sie…verliert einfach an Höhe. Anscheinend unkontrolliert. Aber nur langsam. Landepunkt…irgendwo im Wald.“
Kurz überlegte Blue, ob Jerome dort irgendwo vielleicht eine Ausweichbasis hatte – eine Schmugglerlandebahn, eine letzte Auffangstellung…
Nein, das ergab keinen Sinn: „Vermutlich ist die Hülle und die Gaszellen einfach zu stark beschädigt. Von Außen und von Innen. Das Helium strömt aus. Und niemand ist da, der die Lecks stopft.
Funker, Signal an die SHOOTIST. Ich will ein gut bewaffnetes Kommando aus Marines und Sanitätspersonal bei der Landestelle. Wir wissen nicht, wie der Kampf an Bord der Zigarre ausgegangen ist. Auf jeden Fall wird es viele Verwundete geben.“
„Und der Rest der Piraten?“
Blue überlegte kurz. Jerome war abgeschossen worden. Die LEVIATHAN würde nirgendwo mehr hinfliegen. Und wenn von Jeromes Piloten mehr als eine Handvoll noch in der Luft war, dann war er ein Neger: „Funkspruch an die VELVET und die AVALON. Sie sollen sich zurückfallen lassen. Signal an alle anderen – Feuer einstellen und zurückziehen.“
„Aber Kapitän, damit reißen wir eine Riesenlücke…“
„Ganz richtig. Breitbandfunkspruch. Machen Sie schon...: PIRATEN, HERHÖREN! Jerome ist tot! Die LEVIATHAN ist in unserer Hand! Ich weiß nicht, was er Ihnen versprochen hat, doch Jerome wird sein Versprechen nicht mehr einhalten können. Niemand wird Sie noch bezahlen! Wenn Sie weiterkämpfen, dann für nichts! Ist es Ihnen das wert? Wollen Sie dafür sterben?
Wie Sie sehen, bieten wir Ihnen die Chance zu fliehen! Sie haben fünf Minuten sich zu entscheiden! Dann setzen wir unseren Angriff fort. Wir haben Jerome erledigt – wir haben keine Angst vor euch. Überlegt es euch! Ihr habt noch viereinhalb Minuten.“ Dann drehte er sich um, und rieb sich die schmerzenden Augen. Sogar hier, auf der Brücke der NORTH STAR glaubte er den Geruch nach Kordit auf der Zunge zu schmecken. Den Geruch von Kordit, und von anderen, schlimmeren Dingen. Er unterdrückte das trockene Würgen, das seinen Hals hochstieg.
„Sir…Sie fliehen. Sieh ziehen sich zurück.“
„Gut.“ Blue sah sich um, und sah in manchen Gesichtern einen stummen Zweifel. Langsam schüttelte er den Kopf: „Es ist genug Blut geflossen.“ Jerome hatte erledigt werden müssen. Dennoch, er konnte keinen Triumph empfinden. Und er hatte genug.
Und mit bangen Herzen fragte er sich, wie viel ihnen dieser Sieg letztlich gekostet hatte…
***
Der erste Marine, der den Hangar der LEVIATHAN stürmte, kam keine vier Schritte weit. Dann zerfetzten mehrere großkalibrige Geschosse seinen Bauch und Oberkörper. Aber im Fallen verkrampften sich die Hände des Sterbenden um den Abzug der Thompson. Der Kugelhagel zwang zwei Piratenschützen in Deckung, und gleichzeitig eröffneten die Bordwaffen des Autogyro das Feuer. Die vier 30er Maschinengewehre zerlegten förmlich die fragwürdige Deckung aus Kisten, Schrott und Abfall, hinter der einige der Verteidiger Schutz gesucht hatten. Unter diesem Deckungsfeuer stießen die Marineinfanteristen vor. Einige von ihnen trugen sogar die modernen ‚Flak-Jackets’, die zumindest vor Splittern und leichten Kalibern Schutz boten. Die Angreifer waren hervorragend mit Maschinenwaffen ausgestattet. Binnen Sekunden verdoppelte sich die Feuerkraft quasi, mit der die Angreifer die Feuernester der Piraten unter Feuer nahmen.
Jetzt rächte sich, dass Jeromes Entertruppen eher leicht bewaffnet waren. Sie verfügten über Maschinenpistolen, Gewehre, und einige leichte Maschinengewehre. Aber ihnen fehlten Panzerabwehrbüchsen, schwere Maschinengewehre, geschweige denn Flammenwerfer.
Und die meisten Maschinengewehre waren momentan sowieso als Flugabwehrwaffen im Einsatz. Von dem schnellen Vorstoß des Gegners überrascht, hatte Jeromes Mannschaft keine Zeit gefunden, sich auf die Verteidigung vorzubereiten.
Das war ein Nachteil von Piraten – sie dachten vor allem offensiv. Dass die LEVIATHAN geentert werden konnte, das hatte sich kaum einer vorstellen können. Zu stark war die Wirkung ihres scheinbar so unverwundbaren, unaufhaltbaren Anführers.
Ein weiterer Nachteil der Verteidiger war ihnen gar nicht bewusst. Wahrscheinlich den meisten Angreifern auch nicht. Die Piraten waren ganz einfach schlechtere Soldaten.
Gewiss, einige von Ahigas Entertruppen waren erstklassige Kämpfer. Manche von ihnen konnten im Zweikampf jedem Marine, jedem Kommandosoldaten Paroli bieten. Aber die meisten waren einem ausgebildeten Soldaten nicht gewachsen. Gegen Zivilisten, Bürgerwehren und Milizsoldaten hatten sie sich bewährt. Doch selbst Jerome hatte nur selten die Klingen mit regulären Truppen gekreuzt. Selbst er griff am liebsten schwach verteidigte Ziele an, und ließ die Finger von Berufssoldaten.
Die schlechte medizinische Versorgung, häufige Gefechte, Streitigkeiten und Duelle und Jeromes und Ahigas brutaler Führungsstil hatten die Männer zwar abgehärtet, sorgten aber auch für eine ziemlich hohe Fluktuation.
Abgesehen von Ahiga gab es nach Jeromes Absturz keinen Offizier mehr, der die Piraten professionell in den Nahkampf führen konnte. Und während viele der Piraten mit der Verbissenheit und Rücksichtslosigkeit von in die Ecke getriebenen Ratten kämpften, waren einige erschüttert durch den Ausfall ihres gefürchteten Anführers. Und durch die Tatsache, dass es einem Gegner gelungen war, seinen Fuß auf die LEVIATHAN zu setzen. Sie gaben nicht auf. Sie ergriffen nicht die Flucht. Aber sie kämpften ohne Hoffnung.

Deshalb war bereits nach wenigen Minuten der Hangar fest in der Hand der Marines, sodass der zweite Autogyro landen konnte. Während einige Marines und Leichtbewaffnete im Schutz der gepanzerten Maschinen eine Auffangstellung errichteten, stießen die anderen Marineinfanteristen bereits im Schutz einer Rauchgranate vor.
Gallagher fühlte, der Gegner war ‚weich’. Jetzt musste man nachstoßen. Während einer der Stoßtrupps feststeckte, und sogar wieder auf den Hangar zurückgeworfen wurde, säuberte das Kommando des Kapitäns einen der Verbindungsgänge, und stieß zielstrebig zur Brücke vor. Zum Glück war der Grundriss der meisten Handelszeppeline ziemlich identisch. Zweimal stießen sie noch auf Widerstandsnester, und immer wieder tauchten einzelne Piraten auf, schossen, zogen sich zurück. Oder starben. Auch die Marines hatten Verluste, aber Gallagher ließ sich davon jetzt nicht mehr aufhalten.
Ungefähr zehn Minuten später hatten sie die Brücke erreicht.
Sie fanden ein Schlachtfeld vor. Die Salven eines schweren Jägers mussten die Panzerung durchschlagen haben. Die Mischung aus panzerbrechenden und Explosivkugeln hatten ein Blutbad angerichtet. Die schweren Geschosse vom Kaliber 50 und 70 waren in der Lage, selbst die Panzerung von Tanketten und leichten Panzern zu durchschlagen. Was sie anrichteten, wenn sie auf Fleisch und menschliche Knochen trafen…
Felix Richter war von einer Garbe regelrecht in zwei Teile gerissen worden. Zumindest glaubte Gallagher, dass sie den Kapitän der LEVIATHAN vor sich hatte. Sie hatte den Mann niemals zuvor von Angesicht zu Angesicht gesehen. Und außerdem…hatte der Tote kein echtes Gesicht mehr. Genauso wenig, wie eine intakte Schädeldecke. Einer der jüngeren Marines erbrach sich würgend, und die Kommandeurin der Marines konnte es ihm nicht einmal verdenken.
Sie wusste, die Mannschaft der LEVIATHAN hatte Mann für Mann den Tod verdient. Sie bestand aus den schlimmsten Mördern, Vergewaltigern und Totschlägern, die Jerome hatte finden können. Und dennoch, dennoch…Wenn sie diese zerhackten, zerfetzten Überreste sah…
Es war besser, nicht zu genau hinzusehen: „Hier gibt es nichts mehr zu tun. Zwei Mann bleiben hier als Sicherung. Ihr schießt auf alles, was nicht unsere Uniform trägt. Der Rest kommt mit mir. Wir stoßen zu Trupp Zwei. Fertigmachen, Marines!“
„HOAH!“
04.11.2020 06:56 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Stonneface Ahiga duckte sich und wich mit der Geschmeidigkeit einer Schlange aus. Der gegen seinen Kopf geschwungene Gewehrkolben krachte nutzlos gegen die Wandverkleidung. Der texanische Marine bekam keine Chance für einen zweiten Versuch. Der Indianer rammte ihm seinen Dolch in den Unterleib, und zog die Klinge mit einer schnellen Bewegung nach oben, bis sie gegen den untersten Rippenbogen stieß. Dann glitt er zurück, während der Texaner verständnislos auf die aus der Wunde quellenden Eingeweide starrte. Ein dumpfer, gutturaler Schrei stieg in seiner Kehle hoch, er wollte die Waffe heben…
Das war sein letzter Gedanke.
Ahiga nahm die Winchester auf, die ihm während des Kampfes entglitten war. Er sah sich um. Von seinem Trupp waren noch ein halbes Dutzend Männer übrig. Der Rest…tot oder versprengt.
‚So kann das nicht weitergehen.’ „Nachricht von den Anderen?“
Einer der anderen Piraten zuckte mit den Schultern: „Die Brücke schweigt. Das Bordtelefon funktioniert nicht mehr. Woher zum Henker soll ich dann wissen…“
Irgendwo in dem gigantischen Zeppelin flackerte schon wieder Schützenfeuer auf. Eine dumpfe Explosion – und der Gefechtslärm flaute genauso schnell wieder ab, wie er begonnen hatte: „Diese Scheißkerle kreisen uns ein.“
„Ich sage es noch mal! Wir sollten uns die Fleischpuppen aus dem Loch holen, und uns freies Geleit erkaufen.“ Der Sprecher schien einer Panik nahe.
Ein anderer Pirat schüttelte den Kopf: „Das ist doch Scheiße! Diesen verdammten Texas Rangers sind diese Fickpuppen doch scheißegal! Und freies Geleit?! Wohin denn?! Die kontrollieren den Hangar.“
Ahiga blendete die Stimmen seiner Untergebenen aus. Ihre Ängste und Hoffnungen interessierten ihn nicht. Etwas anderes war wichtiger: ‚Wir sinken.’

**************

„Was soll das heißen, zum Henker?! Ich habe den Sinkflug nicht befohlen!“ Captain Gallagher fluchte unflätig: „Wenn wir die Brücke immer noch halten, wie können die dann das Zeppelin lenken?“
Der Lieutenant zuckte mit den Schultern: „Vermutlich tun sie das gar nicht. Unsere Piloten haben die Außenhülle der LEVIATHAN ganz schön zerfetzt. Und wir waren ja schließlich auch nicht gerade rücksichtsvoll. Niemand ist mehr da, der die Löcher flicken kann. Ich denke…“
„Ich verstehe.“ Gallagher machte einen Seitenschritt, um die wachsende Schräglage des Bodens auszugleichen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass die Sinkgeschwindigkeit zunahm.
Jetzt kam es darauf an, die Ruhe zu bewahren. Sie drehte sich zu einem der Meldeläufer um: „Was ist mit den Gefangenen der Piraten?“
„Etwas über zwanzig. Aber sie sind in einem…schlechten Zustand.“ Der Marines verzog den Mund, und spuckte angeekelt aus: „Jeromes Bande…das sind keine Menschen. Das sind Tiere.“
„Also nicht transportabel?“
„Vielleicht sechs oder sieben. Der Rest…keine Chance.“
„Aber Captain! Was ist mit dem Zeppelin? Sollen wir uns zum Hangar zurückziehen?“
Gallagher schüttelte den Kopf: „Das schaffen wir sowieso nicht rechtzeitig. Unsere Sturmtrupps sind zu weit verteilt. Wenn wir jetzt alle zurückpfeifen, dann schaffen wir es entweder nicht mehr – oder Jeromes Bastarde knallen uns ab wie Tontauben. Und ich werde jetzt nicht kneifen. Nicht, wenn wir jetzt so weit gekommen sind. Ich will verdammt sein, wenn ich das Feld räume!“
„Aber wenn die LEVIATHAN abstürzt…“
„Machen Sie sich nicht ins Hemd! Das hier ist ein Zeppelin, kein Flugzeug. Wir sacken ganz einfach tiefer. Wir stürzen nicht ab. Ich habe das schon ein paar Mal gesehen. Es wird rau werden. Aber wir stehen das durch. Befehle an alle Trupps. Stellung halten. Sie sollen sich so gut es geht auf den Aufprall vorbereiten. Und jemand soll sich um die Geretteten kümmern. Aber die Autogyros sollen erst mal raus. Ich will nicht, dass sie beschädigt werden. Sie sollen den anderen Zigarren unseren Landepunkt melden.“ Sie wählte bewusst diesen ‚normalen’ Ausdruck: „Ich will Luftsicherung, ich will Sani-Autogyros und ich will Verstärkung. Die sollen Steel ausrichten, wenn er das nicht schafft, Reiß ich ihm den Kopf ab. Und ansonsten…wir bleiben. Wir halten!“

*************

Ahiga überlegte fieberhaft. Richter war tot. Wer auch immer die LEVIATHAN zum Boden brachte, er gehörte jedenfalls nicht zu Jeromes Mannschaft. Entweder erwarteten sie da unten feindliche Soldaten, oder es würde eine harte Landung werden: „Bericht.“
„Die Scheißer haben gestoppt. Einer von den anderen Jungs ist durchgekommen. Die Texaner igeln sich ein.“
Ahiga nickte automatisch. Dann plötzlich huschte kurz fast so etwas wie ein Lächeln über seine Züge. Es war kein sehr schöner Eindruck: „Wir greifen an.“
„Was?! Bist du verrückt geworden?! Ich werde…AHHH!“ Der Pirat schrie gellend auf, als ihm Ahiga übergangslos die ausgestreckten Finger in die Augen stieß. Als er unwillkürlich die Hände hochriss, um sie gegen sein Gesicht zu pressen, hatte der Apache bereits das Messer gezogen, und schnitt ihm blitzschnell die Kehle durch: „Sonst noch jemand, der meinen Job machen will?“
Er wartete die Antwort nicht ab. Solange die Männer ihn mehr fürchteten als den Feind, solange würden sie weiterkämpfen. Und nur das zählte.

**************

Der Angriff traf die Marines überraschend. Unwillkürlich hatten sie erwartet, dass auch die verbliebenen Piraten sich irgendwo abducken und den Aufprall erwarten würden. Das war ein Fehler.
Es waren nicht viele Piraten übrig geblieben – vielleicht etwa dreißig – aber inzwischen hatten sie die Zeit gefunden, einige der kleineren Waffenkammern zu leeren. Außerdem brauchten sie jetzt keine Rücksicht mehr zu nehmen. Die LEVIATHAN würde sie nirgendwo mehr hin fliegen. Deshalb flogen Granaten und Brandflaschen gegen die provisorischen Stellungen der Marines. Dann stürmten die Piraten.
Gallagher sah ihre Kommandos auf einmal in einen verbissenen Nahkampf verwickelt. Zwei kleine Vorposten wurden überrannt. In dem zerschossenen, blutbesudelten Hangar aber hielten die Marines stand, während ihre Kameraden ihnen zu Hilfe eilten. Plötzlich sahen sich die überlebenden Piraten in die Zange genommen. Mit Messern, Gewehrkolben und bloßen Händen gingen sich die Kämpfer gegenseitig an die Gurgel. Die Piraten wussten, was sie bei einer Gefangennahme erwartete. Sie hatten nichts zu verlieren. Sie gaben kein Pardon, und sie erwarteten es auch nicht. Der Kampf reduzierte sich auf die Armeslänge, auf die Klinge eines Dolches.
Keiner der Kämpfer nahm wahr, wie sich die Schräglage des Hangarboden unmerklich verstärkte, wie das Luftschiff immer schneller nach Unten sackte. Während die LEVIATHAN in ihren letzten Sinkflug ging, starben und töteten Marines und Piraten sich gegenseitig wie im Blutrausch.

Für einen kurzen, seltsam klaren Augenblick fand sich Captain Gallagher im Auge des Zyklons wieder, waren die Kämpfe rings um sie abgeflaut. Mit einem merkwürdig irrationalen Gefühl starrte sie auf die schwere 45er Automatik in ihrer Hand, auf den Mann zu ihren Füßen, dessen Brustkorb eine einzige Wunde war, zerfetzt von den Hohlspitzgeschossen ihrer Waffe.
Und sie sah den hünenhaften Indio auf der anderen Seite des Hangars, der eben einem ihrer Männer mit wuchtigen, brutalen Kolbenhieben den Schädel zertrümmerte, der wieder und wieder zuschlug, obwohl der Kopf des Marines längst eine deformierte, blutige Masse war.
Und der Indianer sah sie an. Sah sie an, während er noch einmal zuschlug. Die dunklen Augen musterten sie leblos, kalt – wie aus schwarzem Glas, wie die Augen eines Hais. Und dennoch lag in diesem Blick ein solcher Hass, eine solche maßlose Wut, dass sie fast so etwas wie einen Schlag spürte. Langsam, schwerfällig hob sie die Automatik, zielte. Die schwarzen Augen ließen sie nicht los, bohrten sich in ihren Kopf. Sie glaubte ein leises, geisterhaftes Pfeifen zu hören, das Wispern des Windes, der über Steine pfeift. Stimmen…da waren Stimmen. Sie drückte ab.
KLICK
Und während sie auf die leer geschossene Waffe starrte, lächelte der Indianer. Hob die Winchester. Zielte. Seine dünnen Lippen bewegten sich. Flüsterten.

Dann schlug das Zeppelin auf.

**************

Der Aufprall reichte aus, um die Kämpfenden zu Boden zu schleudern. Teile der Hangarverkleidung lösten sich, stürzten auf die in blutigem Nahkampf ineinander verkrampften Männer und Frauen. Einige, die bis jetzt überlebt hatten, wurden von den Trümmern verletzt, ein paar sogar erschlagen.
Eine der in die Hangarwand eingelassene Treibstoffleitung platzte auf, und der ausströmende Treibstoffdampf entzündete sich mit einer grellen Stichflamme, die quer über das verwüstete Hangardeck leckte, und auf ihrem Weg Marines und Piraten gleichermaßen in lebende Fackeln verwandelte.
Aber das war der letzte, ungezielte Schlag, den der sterbende Gigant LEVIATHAN austeilte, bevor er seinem Herrn und Meister folgte. Die LEVIATHAN starb würdelos. Inmitten von Qualm, Gestank, Geschrei und Trümmern suchten und töteten die Marines die letzten Piraten. Als wenige Minuten später der erste Autogyro mit ausgeruhten, frischen Truppen von der SHOTIST einschwebte, war der Kampf endgültig entschieden. Nur wenige Jeromes Männern hatten in der Verwirrung nach dem Aufprall durch das offene Hangartor fliehen können. Oder hatten sich, wenn sie an dem letzten, wahnsinnigen Sturmlauf nicht teilgenommen hatten, durch eine Schießscharte, eine Wartungsluke, einen Riss in der Außenhülle gezwängt.

Captain Gallagher schmeckte Asche, Pulverdampf und Blut auf ihrer Zunge. Sie spuckte aus, aber immer noch brannte der Geschmack in ihrem Mund: „Wurde auch Zeit.“ Der Captain der SHOOTIST-Marines hatte zumindest den Anstand, kurz verlegen zu wirken.
Ihre Marines hatten fürchterlich geblutet. Etwa die Hälfte war tot oder – wenn sie Glück hatten – verwundet. ‚Hoffentlich war es das wert.’ Aber selbst ihre Erbitterung war schal, verbraucht – wie Asche…

Dennoch, etwas gab es noch, was sie tun musste. Gefolgt von vier Marines erreichte sie die andere Hangarseite. Dort, wo die Stichflamme auf die Wand getroffen und mit einem schwarzen Schatten überzogen hatte. Sie sah Tote – erwürgt, erschossen, erstochen, erschlagen, verbannt. Aber sie fand nicht, was sie suchte.
Der Indianer war verschwunden.
04.11.2020 06:57 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Berlin, Bendlerblock, Abwehr

Oberst Arnim von Tauten hatte bereits im letzten Krieg, bei dem häufig nicht gerade unproblematischen Umgang mit den türkischen Verbündeten, gelernt, Geduld zu haben. Sich nichts anmerken zu lassen.
Dennoch wirkte er jetzt beunruhigt, während er den Worten des Obergefreiten Hans Zellner lauschte. Zellner gehörte zur Sicherheitsabteilung der Abwehr, war achtunddreißig Jahre alt, ehemaliger Freikorpsmann und hatte in den Zwanzigern zur preußischen Polizei gehört. Das hörte man ihm immer noch an: „Beim Eintreffen stellte ich fest, dass Beamte der Kriminalpolizei vor Ort waren. Die Wohnung war offenbar von der Schutzpolizei eröffnet, und nach Feststellung des Tatbestandes abgesperrt worden. Die Wohnungsnachbarn wurden verhört. Auf meine Nachfrage hin teilte mir Hauptkommissar Herwig mit, dass der Inhaber der Wohnung offenbar Selbstmord begangen hatte. Mit Verweis auf meinen Auftrag erlaubte er mir, mich persönlich zu überzeugen. Der Wohnungsinhaber lag im Schlafzimmer auf dem Bett. Er trug seine Uniform, die Mütze lag auf dem Nachttisch. Anscheinend hatte er sich liegend mit einer Pistole in die rechte Schläfe geschossen. Nach meinem Dafürhalten gab es keine Anzeichen für einen Kampf oder eine Verlagerung des Köpers, um den Hergang vorzutäuschen.
Hauptkommissar Herwig sicherte mir auf Nachfrage zu, dass sämtliche etwaig gefundenen Unterlagen der Abwehr überstellt werden würden, und der Fall mit aller gebotenen Sorgfalt, höchster Professionalität und Diskretion behandelt werden wird. Daraufhin kehrte ich zurück, um Meldung zu erstatten.“ In dem vorletzten Satz hatte ein merkwürdiger Unterton mitgeschwungen, der von Tauten nicht entgangen war. Der Oberst unterdrückte ein frustriertes Seufzen. Nicht genug, dass die Operation ‚Parsifal’ sich in einen Blindmarsch durch ein Minenfeld entwickelte und der Kontakt zu seinem Agenten in letzter Zeit nur noch sporadisch gelungen und mehrmals beinahe völlig abgebrochen war. Nicht genug, dass er sich mit der Möglichkeit beschäftigen musste, dass irgendjemand innerhalb der Abwehr oder dem RSHA seine eigenen Interessen verfolgte und damit die ganze Operation gefährdete. Dass der Geheimdienst des Außenministeriums ein verdächtiges Interesse an den Aktivitäten der texanischen Kaperer entwickelt hatte.
Nein, jetzt musste er sich auch noch mit dem Selbstmord eines seiner Leute beschäftigen. Allerdings hatte er Oberleutnant Mueller kaum gekannt, verband mit dem Namen nur ein Gesicht, aber nicht viel mehr. Mueller hatte seine Arbeit routiniert gemacht, ohne zu brillieren. Funker zu sein, war wohl sein Beruf, aber nicht seine Berufung. Aber er tat seine Pflicht, war eher zurückhaltend und verschlossen. Solche Eigenschaften wusste Arnim von Tauten an seinen niederen Untergebenen zu schätzen. Zwar lebte Mueller anscheinend alleine, doch sein plötzlicher Selbstmord ließ bei von Tauten etliche Alarmlampen aufleuchten. Der Mann war immerhin, wenn auch nur im technischen Sinne, bei ‚Parsifal’ aktiv. Über ihn lief ein Großteil der GeKdoS-Funksprüche Richtung Nordamerika. Arnim von Tauten glaubte nicht an Zufälle, und hatte ein fast untrügliches Gespür für Schwierigkeiten. Schon als der Oberleutnant unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben war, hatte von Tauten ein ungutes Gefühl beschlichen. Er hatte sofort Zellner losgeschickt. Und was Zellner dann vorgefunden hatte…
„Kennen Sie HK Herwig? Sie scheinen etwas…skeptisch.“
Der Obergefreite wählte seine Worte vorsichtig. In ihm rangen offenbar alte Ressentiments und Verbitterung, ehrliche Zweifel, und politische Bedenken miteinander: „Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Herwig…er kam 1933 zur Polizei. Im Rahmen der…Aufstockung nach der Machtergreifung. Vorher hatte sich Herwig bei der SA bewährt.“ In den letzten Worten schwang mehr als nur ein wenig Abneigung mit. Die Sturmabteilungen und die Preußische Polizei hatten eine wechselhafte und nicht immer positive Geschichte. 1933 hatte der preußische Innenminister und spätere Reichsmarschall Göring per Dekret die bewaffneten Einheiten der NSDAP zu Hilfspolizisten gemacht. Zum Großteil war das unproblematisch verlaufen, und Polizisten und SA/SS hatten sich mit Feuereifer an die Verfolgung von Kommunisten und Sozialisten gemacht. Aber manche Polizisten waren über ihre neuen ‚Kameraden’ nicht unbedingt begeistert gewesen. Oder, wie wahrscheinlich auch Zellner, verbittert darüber, wie schnell die neuen ‚Kollegen’ Karriere machten. Vermutlich war er deswegen auch zur Abwehr gewechselt.
„Außerdem…hätte es nicht seine erste Pflicht sein müssen, uns zu informieren? In dem Augenblick, da er die Personalien von Mueller feststellte, hätte er Meldung machen müssen. Immerhin arbeitete Mueller nicht nur für das Heeresbeschaffungsamt! Und selbst da…
Herwig…weiß sicherlich, wo seine Loyalitäten liegen.“
„Verstehe.“ Und diese Loyalitäten lagen eher bei der Gestapo, als bei der Abwehr. Natürlich konnte es auch nur ein Zufall sein, dass jemand wie Herwig die Ermittlungen übernahm, und es vergessen hatte, im Bendlerblock anzurufen. Aber von Tauten glaubte nun einmal nicht an Zufälle: „Sonst noch etwas?“
„Nur noch eins. Wie hat die Polizei von dem Selbstmord erfahren?“ Was Zellner damit andeuteten wollte…
„Solche Gedanken behalten Sie für sich, verstanden? Es hilft uns nichts, wenn irgendwelche Gerüchte die Runde machen. Gehen Sie davon aus, dass einer der Hausbewohner den Schuss gehört hat. Und Sie werden den ganzen Vorfall vertraulich behandeln.“
„Natürlich, Herr Oberst.“ Jetzt klang Zellner fast schon beleidigt.
„Natürlich. Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Aber die ganze Angelegenheit ist…schwierig.“ Das Verhältnis zwischen Abwehr und RSHA war angespannt, bedingt durch die Konkurrenzsituation der beiden Dienste, auch wenn Heydrich und Canaris auf der Chefebene normalerweise gut miteinander klarzukommen schienen.
„Das wäre dann erst einmal Alles.“
Jawohl, Herr Oberst.“ Zellner erhob sich, salutierte zackig, und ging.
Während Arnim von Tauten ihm hinterher sah, fragte er sich einmal mehr, wie es nur hatte passieren können, dass eine zwar riskante, doch in ihren Dimensionen überschaubar wirkende Operation derart aus dem Ruder lief. Jetzt würde er eine interne Untersuchung einleiten müssen, um festzustellen, ob Oberleutnant Muellers Tod etwas mit seiner Arbeit zu tun hatte. Ein Selbstmord, das war verdächtig. Hatte sich Mueller etwa kaufen lassen und war unter dem Druck zusammengebrochen? Inwieweit waren ‚Parsifal’ oder andere Operationen bedroht?

Parsifal. Er musste Hauptmann von Stahlheim endlich abziehen. Überprüfen, ob Mueller und sein Tod etwas mit dem beunruhigenden Schweigen des Agenten zu tun hatte.
Außerdem würde die Polizei in Bendlerblock auftauchen und Fragen stellen. Und wenn er Zellner vertrauen konnte, und er neigte dazu, dann würde alles, was die Kriminalpolizei erfuhr, wahrscheinlich in der Albrechtsstraße landen. Ganz zu schweigen davon, dass es sowohl im RSHA wie auch in der Abwehr Leute gab, die Arnim von Tauten eine Schlappe gönnten. Und die auch dazu neigten, einem bereits wankenden Mann in die Kniekehlen zu treten. ‚Musste sich Mueller ausgerechnet jetzt umbringen? Er hätte ja auch noch ein paar Wochen warten können.’

****

Berlin, Albrechtsstraße, RSHA, fast zur gleichen Zeit

Dass Mueller sich eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte, war nach Meinung von Sturmbannführer Hoffman eigentlich nicht so schlimm. Ein Homo weniger, den man ins KL stecken musste. Ärgerlich war, dass damit Hoffmanns wichtigste Quelle bei der Abwehr versiegt war. Ausgerechnet jetzt. Auf keinen Fall würde er Marquardt entkommen lassen. Diesmal nicht!
Was ihm außerdem Sorgen machte, war der Zeitpunkt und die Frage, was bei der anstehenden Überprüfung herauskommen würde. Wenn bekannt würde, WARUM Mueller wohl Selbstmord begangen hatte, und dass Hoffman keineswegs auf höheren Befehl handelte…
Ob Mueller nun schwul gewesen war oder nicht, die Abwehr würde verlangen, dass Köpfe rollten. Beunruhigend war außerdem, dass Hoffmann von Muellers Selbstmord erst durch den Polizeibericht an die RSHA erfahren hatte. Eigentlich wäre es die Aufgabe von Hauptsturmführer Wagner gewesen, Mueller im Auge zu behalten. Doch der schien unauffindbar, war heute noch gar nicht zur Arbeit erschienen. In seiner Wohnung war er auch nicht. Hatte Wagner etwa Mist gebaut, Mueller erschossen, versucht das als einen Selbstmord zu tarnen, und war dann untergetaucht? In dem Fall…
Nun ja, dann hatte er für den Fall der Fälle immerhin einen guten Sündenbock.

Diese Überlegungen wurden abgeschnitten, als die Tür des Büros aufgerissen wurde. Vor Hoffmann stand ein hagerer Mann, der wie er die Uniform eines Sturmbannführers trug. Der Gruß war korrekt, aber als Hoffmann das kalte Leuchten in den Augen des anderen sah, und die zu einem zynischen Lächeln verzogenen, schmalen Lippen, überkam ihn eine ungute Vorahnung. Er kannte diesen Mann nicht, aber todsicher gehörte er zur Gestapo: „Was wollen Sie? Können Sie nicht anklopfen?“
Das dünne Lächeln vertiefte sich: „Sie sollen zum Obergruppenführer. Sofort. Und lassen Sie ihre Dienstwaffe hier.“
Hoffmann erbleichte.

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04.11.2020 06:59 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Berlin, Albrechtsstraße, RSHA, Ungefähr eine Stunde später

Sturmbannführer Hoffmann stand regungslos Habacht. Er wagte kaum zu blinzeln oder zu atmen. Er schwitzte, und ihm war schlecht. Aber dennoch hielt er sich kerzengerade, die bebenden Hände gegen die Hosennaht gepresst.
Er selber hatte früher ein ähnliches Spiel mit Häftlingen gespielt, die ihm zum Verhör übergeben worden waren. Unter Androhung der sofortigen Exekution hatte man diese Unglücklichen gezwungen, stundenlang strammzustehen. Jetzt glaubte er zu wissen, was diese Männer empfunden haben mussten.

„Sie haben unautorisiert in eine Abwehr-Operation eingegriffen. Sie haben den Nachrichtenverkehr der Abwehr infiltriert und manipuliert. Nicht genehmigte Exekutions- und Operativbefehle an unsere Agenten in Übersee weitergeleitet. Sie haben – schon vor Jahren – Gelder unterschlagen, die dem RSHA zur Verfügung zu stellen Ihre Aufgabe gewesen wäre. Und Sie haben für ihre Aktionen auch noch die Geldkontingente aktueller Auslandsprogramme angezapft. Habe ich Sie soweit richtig verstanden?“
„Jawohl, Obergruppenführer.“
Die hellen, kalten Augen von Reinhard Heydrich, dem Chef der RSHA, schienen sich direkt in das Hirn seines Untergebenen zu brennen. Das schmale, wölfische Gesicht von Himmlers rechter Hand war angespannt, die Stimme eiskalt. Eine greifbare Bedrohung schwang in den Worten des Obergruppenführers mit: „Dann nennen Sie mir doch bitte einen Grund, Sturmbannführer, warum ich Sie nicht auf der Stelle erschießen lassen soll.“
„Marquardt…Ich habe einen Verräter gejagt! Er hat zwei unserer Männer ermordet! Er hat Militärgeheimnisse an die Polen verraten und wieder und wieder für unsere Feinde gearbeitet! Und als die Luftwaffe ihm die Amnestie angeboten hat, hat er uns allen ins Gesicht gespuckt! Es durfte nicht sein…
Das Ansehen des Deutschen Reiches…!“
Plötzlich brüllte Heydrich los: „WOLLEN SIE MICH FÜR DUMM VERKAUFEN?! DAS REICH?! Für solche Erwägungen haben Sie weder die Autorität, noch die Kompetenz! Sie haben Befehlen zu gehorchen, und nicht einen Privatkrieg anzuzetteln! Ich weiß wirklich nicht, wer größenwahnsinniger ist – Sie oder Marquardt! Das Reich, das RSHA, die SS – die waren Ihnen doch egal! Marquardt hat Ihre Karriere ruiniert! DAS war Ihr Beweggrund! Schieben Sie jetzt nicht die Interessen Deutschlands vor! Das ist einfach erbärmlich!“
„Aber ich…“
„Ich kann es immer noch nicht fassen, wie dumm Sie gewesen sind! Haben Sie wirklich gedacht, es fällt nicht auf, wenn Sie unsere schwarzen Auslandskonten anzapfen?! Und dann haben Sie schon eine Goldquelle mitten im operativen Weisungszentrum der Abwehr, und das einzige, wofür Sie den Mann nutzen, ist ihre private Fehde! Als ob Ihre Extrabefehle nicht zwangsläufig herauskommen würden! Die Abwehr ist nicht irgendein lächerlicher amerikanischer Pseudodienst! Sie werden nicht lange brauchen, um festzustellen, dass die Funksprüche, die dieser Homo abgesetzt hat, nicht von Oben abgesegnet wurden! Haben Sie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was es für das RSHA und für mich bedeuteten würde, wenn Ihre verstiegenen Eskapaden gerade jetzt bekannt würden?! Wie stände das RSHA dann da?! Nicht genug, dass wir vor Jahren einen Verräter haben entkommen lassen! Sie müssen ihn auch noch auf eigene Faust über die Leichen deutscher Agenten und quer durch das Revier der Abwehr verfolgen! Und das alles, ohne mich zu fragen!“

Und das war das eigentliche Vergehen. Einen Verräter zu töten, war ein legitimes Ziel. Es mochte sogar akzeptabel sein, nötigenfalls einzelne Auslandsagenten für ein solches Ziel zu opfern. Gelder zu verwenden, die für andere Operationen bestimmt waren. Und die Arbeit der Abwehr zu sabotieren. Aber nicht auf eigene Faust.

„Sie haben ja keine Ahnung, was Sie mit Ihrem idiotischen Rachefeldzug alles aufs Spiel setzen. Wir haben weder die Zeit, noch die Mittel, um uns einen Schattenkrieg mit dem militärischen Geheimdienst zu liefern! Auf jeden Fall nicht wegen Ihren jämmerlichen Privatinteressen. Wir brauchen die Abwehr immer noch. Ich bestimme, wann und ob wir uns gegen Canaris stellen. ICH! Niemand sonst – und ganz bestimmt nicht Sie!“
Hoffmann glaubte ein schwaches Licht am Ende des Tunnels erkennen zu können. Der Obergruppenführer würde ihn doch bestimmt nicht hierher zitieren und ihm den Kopf waschen, um ihn anschließend erschießen zu lassen. Wenn Heydrich ihn schon abgeschrieben hätte, dann hätte man ihn längst in eine der Verhörzellen, in den nächsten Transport in ein Konzentrationslager, oder gleich vor ein Exekutionskommando geschleift. Der Obergruppenführer hatte die Macht dazu. Aber offenbar wollte er immer noch etwas von Hoffmann.
„Obergruppenführer…Wie kann ich mein Fehlverhalten sühnen? Wenn es eine Möglichkeit gibt, meine Schande abzuwaschen...“ Instinktiv war Hoffmann in den Sprachduktus der Bewegung gewechselt.
Ob das etwas bei Heydrich bewirkte, konnte er nicht sagen. Das zynische Lächeln des Obergruppenführers verriet nichts: „Glauben Sie nicht, dass Sie so einfach davonkommen! Ein solcher Verrat sollte nur mit Blut abgewaschen werden können.“
Hoffmann zuckte zusammen. Seine Stimme klang flach und tonlos, während er darum betete, dass ihn Heydrich nicht beim Wort nehmen würde: „Wenn Sie damit sagen wollen, dass ich…“
Heydrich lachte bösartig: „Wir sind hier nicht bei unseren japanischen Verbündeten. Außerdem hatte ich sowieso eher an eine Bewährung im Kampf gedacht.“
Das klang nicht gut, aber es war besser als ein Konzentrationslager. Oder eine Kugel. Alles war besser. Hoffmann straffte sich noch etwas mehr: „Dann bitte ich darum, mein Versetzungsgesuch zu einer entsprechenden Einheit zu gewähren.“
„Packen Sie noch nicht ihre Koffer, Hoffmann. Ihre Talente können wir auf andere Art und Weise sinnvoller nutzen. Wenn Sie lernen, sie FÜR das RSHA einzusetzen. Und nicht nur für Ihre lächerlichen Rachegefühle! Sie haben gar nicht den Dienstrang, um sich solche Spielereien leisten zu können.
Immerhin, Sie sind recht…findig gewesen. Und bevor Sie ihr Engagement in diese Bahnen lenkten, waren Sie ein mehr als fähiger Kämpfer für unsere Sache. Wenn Sie mich überzeugen können, dass Ihre…Entgleisung etwas Einmaliges war…“
„Es wird nicht wieder vorkommen, Obergruppenführer! Was auch immer ich tun muss, um Ihr Vertrauen zu rechtfertigen…“
„Das werden Sie beweisen müssen. Hoffen Sie, dass die Abwehr ihre Operation sicher zu Ende führen, und ihren Mann dort abziehen kann. Nichts macht so misstrauisch wie der Misserfolg. Wenn Sie es geschafft haben diese ganze Operation ‚Parzival’ zu kippen, dann werden die Militärs jeden verdammten Stein umdrehen. Denn dann geht es nicht nur um ein paar Kopfgeldjäger oder ausgefallene amerikanische Agenten. Die Abwehr nimmt Verluste sehr ernst, wenn es um deutsche Einsatzagenten dieses Kalibers geht. Immerhin reden wir von einem Hauptmann.
Und eines muss Ihnen klar sein. Sollte die Abwehr ihr kleines Spinnenetz entwirren können, sollte auch nur ein einziger Faden zum RSHA führen, auch nur der Hauch eines Verdachtes auf MEIN Amt fallen…
Ich schwöre Ihnen, ehe ich zulasse, dass Sie uns noch weiter Schande machen, schleppe ich Sie eigenhändig nach Plötzensee und unter das Fallbeil. Gibt es solche losen Enden?“
Hoffmann wollte antworten, sah in Heydrichs eiskalte Augen, und erschauerte. Die Stimme des Obergruppenführers war jetzt leise, aber nicht weniger einschüchternd: „Überlegen Sie genau, was Sie jetzt sagen…“
„Dieser Funker…“
„Ja, welch ein Glück, dass Mueller Selbstmord begangen hat, ohne irgendwelche…pikanten Einzelheiten hinterlassen zu haben. Und damit meine ich jetzt nicht seine Vorliebe für hübsche Jungs.“
Hoffmann sah Heydrichs grausames Grinsen, und schon wieder wurde ihm schlecht. Sollte das etwa heißen…
Aber warum hatte der Obergruppenführer dann nicht schon früher eingegriffen?
„Hauptsturmführer Wagner…“
„Den haben wir bereits. Er war sehr hilfsbereit dabei, einige Lücken zu füllen. Über Sie, Ihre Extratouren. Und ihre Extrakonten.“
„Ist er…“
Schon wieder ließ ihn Heydrich nicht ausreden. Offenbar genoss er die Situation: „Auf einmal entwickeln Sie Loyalität? Wie schade, dass Sie nicht vorher Ihre EIGENTLICHEN Prioritäten bedacht haben. Den Eid, den Sie geleistet haben. Wagner wird seinen Dienst in ein paar Tagen wieder aufnehmen können.“
„Wenn die Polizei den…Selbstmord von Mueller untersucht….“
„Hauptkommissar Herwig ist…handhabbar. Es sollte keine Probleme geben, die Untersuchung in die richtige Richtung zu lenken. Denn zweifellos hat Mueller sich doch erschossen, weil er sich und seine perversen Gelüste nicht länger ertragen konnte. Weil die Gefahr bestand, dass irgendwann durch Zufall oder eine interne Untersuchung seine Entartung ans Licht kommen würde. Vielleicht hat auch einer seiner…Lieblinge mit ihm Schluss gemacht. Irgend so etwas. Herwig wird das Schlucken. Und die Abwehr wird hoffentlich nicht zu sehr nachbohren, wenn sie mitbekommen, dass ihr Funker ein warmer Bruder war. Immerhin könnte die Untersuchung sonst auch Muellers…Bekannte in der Abwehr erfassen – und die Frage aufwerfen, wie eng diese Bekanntschaften wirklich waren. Ich kenne unser Militär. Sittliche Verfehlungen sind für sie noch schlimmer, als Hochverrat. Muss etwas mit der bemühten Männlichkeit unserer Landesverteidiger zu tun haben. Vergessen Sie nicht, Mueller dachte, das RSHA würde ihn erpressen. Auf meinen direkten Befehl. Es hätte wenig Sinn, DAS in einem Abschiedsbrief zu erwähnen. Und selbst wenn Herwig so etwas finden sollte… Dann würde er damit nicht zur Abwehr gehen. Immerhin will er Kariere machen. Jedenfalls sollten SIE das hoffen.
Und jetzt zu Ihnen. Sie werden jeden Schritt – JEDEN – offen legen, den Sie in der Sache Marquardt unternommen haben. Alle Ihre kleinen Sonderagenten, Gefälligkeiten, Druckmittel und Geldverstecke, die Sie im Laufe ihrer Agententätigkeit angesammelt haben. Ich rate Ihnen, sich gut zu erinnern, und nichts auszulassen. Andernfalls…
Es wird sich innerhalb des Amtes nicht völlig verbergen lassen, dass gegen Sie eine Untersuchung eingeleitet worden ist. Und ich will Sie momentan auch nicht in Berlin haben.
Sie werden nach Weimar versetzt und übernehmen die politische Abteilung auf dem Ettersberg. Fürs erste erhalten Sie eine Beförderungssperre. Sie werden dort warten, und ihre PFLICHT tun, bis ich Ihnen neue Anweisungen gebe. Fühlen Sie sich durch die Rückversetzung zu den Totenkopfverbänden schlecht behandelt?!“
„Nein, Obergruppenführer!“
„Gut, denn Sie sollten wissen, wie leicht ich eine Versetzung zu einem KL in eine Einweisung verwandeln kann. Haben Sie verstanden?!“
„Ja, Obergruppenführer!“
„Gut. Und jetzt raus. Und kommen Sie mir nicht noch ein Mal mit solchen Allüren. Ein ‚nächstes Mal’ wird es nicht geben. Nicht für Sie.“
10.11.2020 16:44 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Ernst von Stahlheim saß auf dem Bett seiner Kabine. Rings um ihn lagen die wenigen Besitztümer, die er an Bord mitgebracht oder während seines Aufenthalts erworben hatte – zum Beispiel die feste Lederjacke aus russischen Beständen.
Aber er hatte darauf geachtet, sein Gepäck überschaubar zu halten. Agenten reisten am besten leicht. So konnten sie jederzeit die Zelte abbrechen.
Und jetzt war es mal wieder so weit. Es gab nichts, was ihn hier noch hielt. Jerome war tot, die LEVIATHAN vernichtet, die meisten Piraten tot oder in alle Winde zerstreut. Und auch Armstrong war gefallen. Jerome hatte dem deutschen Agenten die Arbeit abgenommen. Er hätte froh sein sollen.
Aber er war es nicht.

Man hatte Steel erst knapp zwanzig Stunden nach seinem Absturz gefunden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kämpfe längst vorbei gewesen. Die überlebenden Piraten hatten sich zurückgezogen, oder waren gefallen. Milizsoldaten, Marines und Freiwillige hatten viele der notgelandeten Feinde gestellt, und meistens auf der Stelle niedergeschossen. An diesem ‚Aufräumen’ hatte sich Steel nicht beteiligen können, aber das war ihm auch nur recht gewesen. Kurz fragte er sich, ob man sich mit der Suche nach ihm vielleicht nicht gerade beeilt hatte. Er war nie besonders beliebt gewesen, und wahrscheinlich hatten viele Leute nach den horrenden Verlusten der Luftschlacht andere Prioritäten gehabt, als den als Schleifer verschrienen Staffelführer.

Als man ihm mit einem angebrochenen Unterschenkelknochen auf die NORTH STAR gebracht hatte, war er verdreckt, übermüdet und ziemlich fertig gewesen. Der Doktor hatte ihm eine Morphiumspritze gegeben, einen Laufverband angelegt, und ihn dann in seine Kabine verlagert. Und dann hatte man ihn in Ruhe gelassen, was ihm nur Recht gewesen war.
Von Armstrongs Tod hatte er bereits auf dem Rückflug gehört. Wenigstens erwartete man von einem notgelandeten Verwundeten kein längeres Statement. Er hätte auch gar nicht gewusst, was er hätte sagen sollen.
Er hatte es noch viel weniger gewusst, als er knapp zwölf Stunden später einen Dringlichkeits-Funkspruch empfangen hatte. Einen Funkspruch, der ihm kurz und bündig befahl, sich so schnell wie möglich abzusetzen und in die Industriels durchzuschlagen. Alle früheren Anweisungen – auch der Exekutionsbefehl für Armstrong – waren damit hinfällig geworden.

Es war grotesk. Wegen diesem Mordauftrag war er zur NORTH STAR zurückgekehrt – nur, um mitten in eine regelrechte Luftschlacht zu geraten. Und jetzt, da Armstrong durch die Hand Jeromes gefallen war – jetzt wurde der Exekutionsbefehl zurückgezogen, oder zumindest stillschweigend kassiert.
‚Wissen die in Berlin verdammt noch mal nicht, was sie wollen?! Was soll dieser Schlingerkurs? Was bin ich für die – eine verdammte Schachfigur, die sie nach Belieben hin- und herschieben können?“
Aber natürlich hatte er keine Antworten auf diese Frage finden können. Außerdem wusste er, dass er tatsächlich nicht sehr viel mehr als eine Figur in dem Schattenspiel war, das Abwehr, RSHA und ihre Gegner spielten. ‚Nun ja, Marquardt, immerhin hast du es geschafft, mir und der GESTAPO zu entwischen. Auch wenn es dir am Ende nicht viel geholfen hat…’
Letztendlich war auch Marquardt nur eine Marionette im Spiel der Großmächte und überambitionierter Diadochenstaaten wie Texas gewesen.

Leise fluchte Ernst von Stahlheim. Er hatte sich lange genug den Kopf über Marquardt zerbrochen. Jetzt musste er sich um sich selber kümmern.
Die NORTH STAR glich immer noch einem Lazarettschiff. Fast die Hälfte der Piloten und Marines war verwundet worden oder gefallen. Und auch die Mannschaft des Zeppelins hatte durch Feindbeschuss Verluste erlitten. Die Überlebenden hatten genug mit sich selber und den Verwundeten zu tun. Und mit der Tatsache, dass viele ihrer Kameraden nicht mehr zurückkommen würden. Verluste, wie sie sie in dieser Schlacht erlitten hatten, waren neu für viele der Freibeuter, die eher an schnelle Überfälle und kurze Scharmützel gewöhnt waren. Außerdem mussten sie mit den verbliebenen Kräften weiter die Sicherheit der NORTH STAR gewährleisten. Wer konnte schon wissen, ob nicht eines der geflohenen Piratenluftschiffe zurückkehren würde, um sich für die erlittene Schmach zu revanchieren? Deshalb blieb die NORTH STAR auch in der Luft, wo sie sich gegen Angriffe besser verteidigen konnte, als am Boden.
Ein Großteil der von Marquardt zusammengerufenen Streitmacht hatte nach seinem Tod eigene Wege eingeschlagen. Wem es um Rache gegangen war, der hatte sie durch Jeromes Tod und den Absturz seines Zeppelins gestillt gesehen. Und diejenigen, die vor allem Ruhm und Beute hatten erringen wollen, die waren aus der Beute reichlich bezahlt worden. An Bord der LEVIATHAN hatte man nicht nur Geld von einem Dutzend verschiedener Staaten gefunden, sondern außerdem auch Schmuck, Diamanten und Edelmetalle. Und dazu kamen noch Waffen und die Handelsgüter, die Jerome noch nicht hatte losschlagen können.
Offenbar hatte der Piratenkapitän seinen eigenen, beträchtlichen Beutanteil gehortet – wer konnte schon sagen, zu welchem Zweck? Und Jeromes Männer hatten teilweise ebenfalls beachtliche Rücklagen gehabt. Entweder, weil sie klug genug waren, für schlechtere Zeiten zu sparen – oder aber, weil sie nur selten etwas bezahlten.
Also war es um die NORTH STAR einsamer geworden. Die – für amerikanische Verhältnisse – geradezu gigantische Luftarmada war dahin geschmolzen, wie Schnee im Frühling.
Ursprünglich hatte Ernst von Stahlheim geplant, diese Situation für das Attentat zu nutzen. Jetzt würde er sich stattdessen absetzen. Bevor jemand sich fragen konnte, ob er wirklich nur aus Loyalität zurückgekehrt war.

Mehr als ein halbes Jahr hatte er an Bord der NORTH STAR verbracht. Er hatte einige Freunde gefunden, und sich gleichzeitig neue Feinde gemacht. Wenn er sich jetzt absetzte, dann würde er wieder auf sich alleine gestellt sein – bis er eine Station der Abwehr erreicht hatte. Aber dennoch verließ er diesen Ort ohne Bedauern, ja sogar mit einer gewissen Erleichterung. Seinen Hauptauftrag hatte er erfüllt. Sein Platz war nicht an Bord der NORTH STAR, das war ihm klar geworden. Es hatte zu viele Tote gegeben. Zu viel sinnloses Blutvergießen. Zu viele Geheimnisse und Intrigen. Er konnte niemals ganz dazu gehören. Manche Eide waren einfach stärker als andere…

‚Genug gegrübelt.’ Die Tür hatte er fest verschlossen. Er war sich sicher, dass er die nächste halbe Stunde ungestört bleiben würde. Das war Zeit genug.
Inzwischen gingen ihm die Griffe automatisch von der Hand. Binnen einer Minute hatte er die Wandverkleidung abgelöst, und die Einzelteile des Funkgeräts vor sich ausgebreitet. Vorsichtig, als seien sie hochexplosiv – oder eben sehr empfindlich – verstaute Steel diese dann in seinem Gepäck, wobei er jedes einzelne Stück sorgfältig in Tuch einwickelte. Zwar hatte er eigentlich nicht vor, das Gerät noch einmal zu benutzen, bevor er die Industrials erreicht hatte – aber man konnte ja schließlich nicht wissen.
Dann war auch das geschafft. Noch einmal überprüfte er, dass keines der Teile ein verräterisches Klappern oder Schaben von sich geben konnte, wenn er die Taschen und den Rucksack schulterte. Dann nickte er. Er war zufrieden. ‚Man müsste schon das Gepäck durchwühlen, um etwas zu finden. Und dann hätte ich sowieso Ärger.’
Jetzt waren seine Waffen an der Reihe. Die Beretta, der Derringer, der Kommandodolch, die Garotte. Alles in bestem Zustand.
Ernst ‚Steel’ von Stahlheim sah sich noch einmal um. Dann schulterte er den Rucksack, hängte sich die schwere Doppeltasche über die linke Schulter. Der rechte Arm blieb frei für die Krücke. Außerdem… auf diese Weise konnte er im Notfall schneller nach der Pistole langen. Er hinkte, doch er hielt sich immer noch sehr gerade.

Es würde keine große Verabschiedung geben. Max lag mit einem gebrochenen Arm und etlichen ziemlich hässlichen Quetschungen im Lazarett. Peter blieb nach dem Tod seines Bruders ziemlich unsichtbar. Das war Steel nur Recht. Der Mann hing nicht nur zu sehr mit Kiki zusammen – Steel hatte außerdem das unangenehme Gefühl, dass er gegenüber dem jungen Deutschen im Suff etwas zu mitteilungsfreudig gewesen war. Wenn er sich nur noch genauer hätte erinnern können…
Auch Sam machte sich ziemlich rar. Nicht, dass von Stahlheim ihr einen Vorwurf hätte machen wollen. Es war nun wirklich nicht gerade ein Geheimnis gewesen, was da zwischen ihr und Marquardt etwas gelaufen war. ‚Das hätte ich dir sagen können, Mädchen. Wenn du klug bist, hängst du dein Herz nicht an eine lebende Leiche…’
Mit den meisten anderen Piloten und Offizieren hatte er keinen besonders engen Umgang gehabt. Blue und er hatten so ihre Probleme gehabt. Das gleiche galt für Dusk. Gallagher hatte irgendwo an Bord der LEVIATHAN einen Steckschuss kassiert, den sie erst bemerkt hatte, als sie jemand auf das Blut ansprach, dass ihre Uniform durchtränkte.
‚Keine pathetischen Worte. Besser ein schneller Schnitt. Besser, genauso plötzlich zu verschwinden, wie ich hier aufgetaucht bin.’ Das war nun einmal der Preis, den man als Agent zahlen musste.

Die Gänge waren fast völlig menschenleer, und trotz des Gipsverbandes und seines Gepäcks bewegte sich der deutsche Agent leise.
Auch der Hangar wirkte leerer als sonst. Die Verluste waren schwer gewesen, und die Beutemaschinen reichten nicht aus, um die gerissenen Lücken zu füllen. Aber an den verbliebenen Maschinen wurde eifrig gearbeitet.

„Steel.“
Der deutsche Agent zögerte kurz. Dann drehte er sich um. Jeff Daines wirkte übernächtigt, aber auch er hielt sich gerade. Kiki hingegen wirkte so ausgeruht und frisch wie fast immer. Wie sie einmal erwähnt hatte, war sie es gewöhnt, mit wenig Schlaf auszukommen.
Der Zeppelinkapitän lächelte ein wenig gezwungen: „Also willst du dich wirklich von Bord schleichen?“
„Ich hatte meine Abschiedszeremonie schon in New Orleans. Das jetzt zu wiederholen…fühlt sich nicht richtig an. Verstehst du?“
„Ich glaube schon. Aber du müsstest überhaupt nicht gehen. Wir könnten dich gebrauchen.“
Steel schüttelte den Kopf: „Das wäre nicht dasselbe. Die NORTH STAR ist immer noch ein texanisches Schiff. Sie werden einen neuen Commander schicken. Ich glaube nicht, dass ich mich an jemanden Neuen an Bord der NORTH STAR gewöhnen will. Und außerdem…Texas pokert für meinen Geschmack ein bisschen hoch. Für die nächste Zeit habe ich genug davon, irgendwelchem Supermächten in die Suppe zu spucken.“
„Was denn Pilot – hast du deinen Schneid verloren?“ stichelte Kiki.
„Ich glaube einfach, dass genug Blut geflossen ist. Zeit, dass ich mal nach Hause zurückkehre.“ Das meinte er ernst. Als er allerdings Kikis wissendes Grinsen sah, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
Blue glaubte den Deutschamerikaner zu verstehen: „Aber vielleicht könntest du bei Shannon anheuern.“
Steel grinste spöttisch: „Er hat seine Offiziere. Wenn ich als einfacher Pilot anheuern müsste, das würde nicht gut gehen. Entweder er schmeißt mich nach vierzehn Tagen raus – oder ich habe ihn bis dahin eigenhändig erdrosselt und das Zeppelin übernommen. Lieber nicht.“
Kiki schaltete sich wieder ein: „Ist dein Gepäck nicht etwas zuviel für dich? Sollen wir dir beim Tragen helfen?“
Steel warf ihr einen ausdruckslosen Blick zu: „Deine Fürsorge ist wirklich rührend. Aber bei dir müsste ich anschließend meine Brieftasche überprüfen.“
„Was hast du da überhaupt alles drin? Du hast uns doch nicht etwa das Besteck geklaut?“
Blue verfolgte diese Stichelei mit dem unterbewussten Gefühl, dass da irgendetwas jenseits seines Verständnisses ablief. Andererseits war Kiki inzwischen bereits so berühmt für ihre scharfe Zunge, dass es zu einigen nicht ganz jugendfreien Wortspielen reichte.
Und es war ebenso bekannt, dass sie und Steel immer mal wieder aneinander gerieten.
„Na gut. Es ist deine Entscheidung. Und du willst wirklich nur die Beute-Defender?“
„Ich glaube, ich habe genug Maschinen mit Nitro-Booster verloren. Ich will den Ball erst einmal erstmal flach halten. Dafür ist das Ding ideal. Nachdem…Marquardt nicht mehr da ist.
Vielleicht suchen sich einige Leute ihre Ziele jetzt etwas weiter unten aus und wollen die zweite Garnitur ausdünnen. Du solltest besser aufpassen. Und sag das auch Max.“

Blue nickte langsam, die Miene bemüht ausdruckslos. „Verstehe. Aber irgendwie…ich habe das Gefühl, dass wir dir noch etwas schulden.“
„Vergiss es. Ich bin immer noch mein eigener Herr. Ich hatte meine eigenen Gründe, mit Jerome abzurechnen. Und mich hat es ja auch nichts gekostet.
Und ich habe Geld genug. Zusammen mit dem Beuteanteil von der LEVIATHAN habe ich so viel, dass ich ein paar Monate dem Luxus frönen kann. Vielleicht lasse ich mich ja sogar nieder. Suche mir eine feste Stelle, heirate, mache ein paar Kinder…“ Steel grinste spöttisch.

Jeff Daines erwiderte das Grinsen. Aber irgendwie konnte er sich Ernst Stahl nicht als sesshaften Mann, gar als Familienvater vorstellen. Das gleiche Problem hatte er allerdings bei der Vorstellung, dass sich der rotblonde Deutschamerikaner sich an irgendeinem Strand in die Sonne legen und von ein paar barbusigen Schönheiten verwöhnen lassen würde.
Es schien nicht zu ihm zu passen. Typen wie Steel gehörten in das Cockpit eines Flugzeugs oder an die Spitze einer Sturmkompanie. ‚Er ist ein Wolf, würde Maxin sagen. Oder aber ein verdammter Hai.’

Kiki kicherte: „Heiraten, Kinder kriegen… Wirklich in der Reihenfolge? Wie altmodisch.“
Steel lachte kurz auf: „Immerhin könnte ich einmal im Leben etwas richtig machen.“ Er wurde übergangslos wieder ernst: „Max habe ich schon auf Wiedersehen gesagt. Es ist jetzt wohl an ihr und Dusk, unsere Piloten auf Linie zu halten. Sie soll die Zügel bloß nicht schleifen lassen. Keine Laxheiten zulassen. Bloß weil Jerome tot ist…“
„Ist schon gut, Steel.“
Wieder lachte der deutsche Pilot kurz: „Ja, das habe ich wohl schon ein paar Mal gesagt.“ Er blickte von Kiki zu Blue, dann wieder zurück: „Ich sollte nicht länger Zeit schinden. Wenn ich bis heute Nacht noch ein paar hundert Meilen schaffen will, sollte ich mich lieber auf den Weg machen.“

Er lehnte die Krücke gegen die Bordwand des leichten Jägers, und streckte Blue den Arm hin. Der Handdruck war wie immer – fest und kräftig.
Kiki hingegen ignorierte die Hand. Stattdessen trat sie auf den hoch gewachsenen Piloten zu, der sie um mehr als einen reichlichen Kopf überragte. Sie packte die Aufschläge der Jacke, und zog Steel zu sich herunter. Und küsste ihn.
Das dauerte einige Zeit. Sie ließ ihn erst los, als einige der anwesenden Techniker Beifall klatschten oder pfiffen, und Blue sich räuspern musste.
Dass sie sich anschließend lächelnd über die Lippen leckte, trieb den Blutdruck der Zuschauer noch weiter in die Höhe.
Steel jedenfalls war ziemlich rot geworden, und atmete sichtlich schneller: „Was bei allen…“
„Ich dachte mal, ich zeige dir zum Abschied, was du verpasst.“ Mit diesen Worten drehte sie sich die junge Japanerin um, und stolzierte mit einem sagenhaften Hüftschwung davon, der durch ihre hautengen Jeans und die über dem Bauch zusammengebundene Bluse noch betont wurde.
Der Deutsche murmelte einen leisen Fluch. Aber es klang nicht unbedingt wütend. Dann drehte er sich zu den grinsenden Techs um: „Die verdammte Vorstellung ist vorbei. Also würde ich vorschlagen, ihr arbeitet weiter. Bevor ich noch Eintritt verlange.“
Immer noch leise fluchend verstaute er sein Gepäck in dem engen Cockpit des Jägers. Dann drehte er sich noch einmal zu Blue um: „Grüß Max noch mal von mir. Und pass auf sie auf. Jetzt erst Recht.“
„Du kannst dich immer noch selber verabschieden.“
Steel sah zu der Tür, durch die Kiki verschwunden war: „Ich habe schon genug Zeit verplempert.“
Ein letztes Kopfnicken, dann saß er auch schon im Cockpit. Ließ die Glashaube einrasten. Signalisierte das ‚Startbereit.’

Wenige Sekunden später schoss der kleine Jäger aus dem Bauch des Luftschiffs. Ein letzter Vorbeiflug, ein zweifaches Wackeln mit den Flügeln…
Ein paar Minuten später war der Jäger spurlos verschwunden in dem endlosen graublauen Luftmeer.
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Ein dunkler Saal in Amerika. Flimmernd werden Bilder von Zelluloid auf eine weiße Leinwand geworfen. In dumpfem Mono erfolgt dazu der Ton.

Bilder einer gewaltigen Luftschlacht werden gezeigt, beinahe achtzig Maschinen sind darin verwickelt, dazu neun Zeppeline, unter ihnen zwei militärische Modelle.
Die reißerische Stimme des Sprechers macht aus dem Kampf ein Spektakel, so als würde er einen Hollywood-Streifen bewerben.
"HIGH NOON IN HAYSON MILLS!
Unglaubliches spielte sich letzte Woche Dienstag in der beschaulichen Kleinstadt in Appalachia ab! Und der Name der Stadt wird von nun an immer mit den unglaublichen Ereignissen in Verbindung gebracht werden!
Hier, in den Wolken über der beschaulichen Idylle stellten vereinte Kräfte der Texas Ranger, der Appalachia Miliz und vieler tapferer amerikanischer Freiwilliger den gefürchteten Michael Jerome und sein verhasstes Luftschiff LEVIATHAN! Angeführt von den texanischen Milizfliegern der legendären NORTH STAR wurde Jerome das erste Mal in seinem Leben aufgehalten!
Was für Napoleon Moskau war, wurde für ihn ein Bündnis aus dem Dirty Pack, der Appalachia Air Militia und weiteren Einheiten patriotischer Amerikaner, die mit ihrem Fleisch und ihrer Kampfkraft zwischen Jeromes Barbarei und den ehrlichen, hart arbeiteten und an Leib und Leben bedrohten Bürgern von Hayson Mills standen!"
Noch eine Totale der Luftschlacht, in der ein brennender, langsam abstürzender Zeppelin klar zu erkennen war, während eine abstürzende Devastator in den Farben der Appalachia Air Militia direkt in die Kamera zu stürzen schien.
Das Bild wechselt. Man sieht eine abgebrannte Stadt. Einige Häuser rauchen noch. In der Ferne sieht man reglose Menschen am Boden liegen. Die Kamera geht wohlweislich nicht näher ran. Die Stimme des Sprechers wird ruhiger, weniger enthusiastisch.
"Wir erinnern uns alle. Darwood Falls, vor zwei Jahren, war der erste grausame Höhepunkt, mit dem sich Michael Jerome zum Feind aller Amerikaner machte. Seine Bande aus Schurken, Halsabschneidern, Deserteuren und Mördern tat was sie wollte, wann sie es wollte. Selbst die Vernichtung einer ganzen Stadt war für sie nicht unmöglich. Niemand schien ihn aufhalten zu können, niemand ihn zu stoppen zu können. Während an der Ostküste die Black Hats randalierten, im Norden Ghengis Khan sein Unwesen trieb, waren es Jerome und seine LEVIATHAN, die Angst, Terror und Schrecken über den Westen brachte. Jene die ihn stellen wollten konnten ihn nicht greifen, und jene die ihn stellten waren ihm nicht gewachsen. Es schien unmöglich, bis sich Jerome zum ersten Mal in seiner Karriere das falsche Ziel aussuchte."
Die Bilder eines brennenden Zeppelins waren zu sehen, die texanische Nationalflagge darauf noch sehr gut sichtbar, bevor auch sie ein Raub der Flammen wurde. Ein Schriftzug mit dem Namen des Zeppelins wurde über das Bild gelegt. In leuchtendem Rot erschienen die Worte SUN TRAIN, bevor auch sie scheinbar ein Raub der Flammen wurden.
Die Off-Stimme setzte wieder ein.
"Auf der SUN TRAIN starb als eines der ersten texanischen Opfer Anabelle Campbell, Mitaktionärin von Colt Aviation und Tochter der Vorstandsmitglieds Richard Campbell. Dieser Angriff auf Texas war es, der das Fass zum Überlaufen brachte. Noch im gleichen Monat rüstete Texas mehrere Kaperschiffe aus, die den Auftrag hatten, in ganz Amerika gegen texanische Feinde und Piraten vorzugehen, speziell aber die LEVIATHAN zu stoppen und ihren Anführer, Michael Jerome, zu erledigen."
Wieder wechselt das Bild und zeigt die stolze NORTH STAR mit dem Sternzeichen-Tag, der erst Monate nach der ersten Kaperfahrt angebracht worden war. Schemenhaft erscheint davor ein Mann in einer dunklen Lederjacke, wie sie Flieger tragen. Er grinst jungenhaft und überlegen.
"Einer dieser Kaperer war die NORTH STAR, und ihr Commander kein Geringerer als David "Armstrong" Stone, der legendäre Freibeuter, der bereits unter CAT Shannon für Furore gesorgt hatte. Auch der NORTH STAR gelang es nicht sofort die LEVIATHAN zu stellen. Stattdessen verdiente sie sich ihre Sporen in Alaska und Hawaii, wo sich das Dirty Pack, das Bordgeschwader des Zeppelins, schnell einen Ruf als erfahrene, eingespielte Truppe erwarb, mit der man sich besser nicht anlegen sollte."
Die Luftschlacht über Pearl City wird gezeigt, ebenso wie die Angriffe auf die ANZAC-Schiffe im Loch. Vereinzelte Bilder widmen sich den Bodenkämpfen, aber das Gros zeigt die Dogfights in Hawaiis blauem Himmel.
"Über Hawaii koordinierte David Stone die erste große Luftschlacht seit dem Großen Krieg und half dem autarken Königreich, seine Rechte und seine Unabhängigkeit zu wahren, als Australien nach dem Archipel griff. Tatsächlich war er es, der die Kämpfe noch am ersten Tag beendete und die Australier mit einem gewagten Kniff zum Abzug bewegte und den Frieden wiederherstellte."
Der König von Hawaii heftet Stone einen Orden an die Brust und schüttelt ihm die Hand. Beide lächeln dafür in die Kamera, während im Hintergrund eine Kapelle spielt.
Zeitungen werden gezeigt, auf denen Armstrong auf der Titelseite ist, unter ihnen einige Ausgaben der Air Action Weekly und des American Flight Magazin sowie einiger bedeutender Tagesblätter.
"Erfahren, routiniert und im Kampf gestählt kehrte das Dirty Pack wieder zurück nach Amerika. Derweil aber hatte Michael Jerome von dem Bluthund erfahren, der sich auf seine Fährte gesetzt hatte, und stellte ihm seinerseits eine ausgeklügelte Falle, der die tapfere Fliegertruppe um David Stone nur mit Hilfe von Aaron Wittaker und der Peoples Collective Air Militia entkommen konnte."
Nun erscheint eine Bodenaufnahme aus großer Höhe. Ein weites, von Hügeln und tiefen Wäldern eingerahmtes Flusstal ist zu sehen, in das sich eine idyllische, aber lebendige Kleinstadt schmiegt.
"Die zweite Falle, die Jerome ihm und dem Dirty Pack stellte, war hier, über Hayson Mills, und zu diesem Zweck hatte sich der kaltblütige Mörder mit weiteren ruchlosen Genossen zusammengetan, weil er alleine nicht geschafft hatte, seinen Verfolger zu töten oder wenigstens abzuschütteln.
Aber auch David Stone hatte sich für den Showdown vorbereitet, und einiges an Verstärkung mitgenommen. Unter ihnen die legendären Zeppeline SHOOTIST und BLACK VELVET, die bereits über Hawaii unter seiner Führung gekämpft hatten, sowie die AVALON und die CRIMSON SKY, bemannt von Freiwilligen, die Gerechtigkeit für jene Opfer haben wollten, die Michael Jerome so ruchlos gefordert hatte.
Er stellte Armstrong eine Falle - und bevor er es bemerkte wurde es eine Zange zwischen der Appalachia Militia und den Verbündeten des Dirty Packs, die ihn in den Griff nahm und zerquetschte."
Wieder wird die Schlacht gezeigt, doch schnell wechseln die Bilder zu zerschmetterten Fliegern der Piraten und einer gemeinsamen Luftpatrouille von Air Militia und Texanern, die eindeutig den Himmel dominieren.
"Michael Jerome zu besiegen, seinem Terror und den Schrecken, die er verbreitet hatte, war die Aufgabe von David Stone. Er hat diese Aufgabe erfüllt und wurde dabei abgeschossen. Dort, am Boden, hat ihn Jerome schließlich entdeckt, weil er feige wie er war, nicht am Luftkampf teilgenommen hatte. Dort erschoss er den schwer verletzten, tapferen Flieger ruchlos, bevor er selbst von der Bordbewaffnung eines texanischen Hoplits sein verdientes Ende fand."
Mit geradezu inbrünstigem Ingrimm zeigt das Bild nun einen brennenden Scheiterhaufen, auf dem die toten Leiber der Piraten brennen.
"Für Michael Jerome gibt es kein Grab, und für seine Spießgesellen gibt es auch nur eine Gerechtigkeit. Für all die Verbrechen, die sie begangen haben, ist der Strick noch eine viel zu leichte Strafe."
Mehrere Galgen sind nun zu sehen, an denen Männer unterschiedlichen Alters aufgeknüpft wurden.
"Die Menschen haben nach Gerechtigkeit gerufen, und ein Held hat ihnen geantwortet. Er hat für sie gekämpft, und er ist für sie gestorben. Aber er hat sein Ziel erreicht, und Jerome, die Bestie, zurück in die Hölle geschickt, aus der sie hervor gekrochen kam."
Wieder wechselt das Bild, zeigt David Armstrong leicht transparent, lächelnd in Fliegerjacke salutierend. Hinter ihm weht das Banner von Texas, martialische Marschmusik begleitet das Bild.
"David Stone, wir werden deine Heldentat und die deiner Kameraden nie vergessen. Von heute an bist du ein amerikanischer Heroe, ein Davy Crockett, ein Ulysses Grant, ein La Fayette. Schlafe wohl, Armstrong, denn du hast deine Aufgabe erfüllt, und alle freien Amerikaner sind dir dankbar für das, was du getan hast."
Die Musik schwillt an und endet abrupt, als das Ende der Filmrolle erreicht ist.

***

Eine Ehrengarde steht Spalier. Große, kräftige Frauen und Männer, angeführt von einem weiblichen Marines-Major, steht wie mit dem Lineal gezogen da und salutiert dem Zug an Särgen, der zwischen ihnen hindurch getragen wird. Alle Särge sind mit der texanischen Nationalflagge bedeckt, und der vorderste Sarg trägt eine weitere Fahne, jene des souveränen Königreichs Hawaii.
"Texas begräbt seine Helden. Die Opfer im Kampf gegen Michael Jerome werden zu Grabe getragen, und ihre Kameraden salutieren ihnen", weiß die Stimme aus dem Off zu berichten.
"Siebzehn tapfere Marines haben ihr Leben gegeben, um die Vernichtung von Hayson Mills aufzuhalten, und vier aufrechte Flieger haben ihren letzten Flug angetreten, und nun ihren letzten Flughafen erreicht. Vorneweg trägt man Commander David Stone, der bis zum bitteren Ende dem Dämon Michael Jerome in die Augen schaute. Ihm folgt Jeremy Twofeathers, geachteter Texas Ranger und langjähriger Kamerad David Stones. Schließlich und endlich folgen Sharon Survey und Marik Bachman, Pilotin und Bordschütze einer Brigand, die einst von der LEVIATHAN entkommen waren und nun ihre Leben gegeben haben, um anderen ihr Schicksal zu ersparen. Ihr Kreis hat sich geschlossen, und sie werden in Frieden ruhen können."
An den offenen Gräbern stehen hoch dekorierte Offiziere, unter ihnen die restlichen Flieger der NORTH STAR, angeführt von Melissa Vandersen, die nun unverkennbar die Flieger anführt. Hinter und neben ihr stehen die anderen Piloten der NORTH, unabhängig davon ob sie von Cat Pack oder Dog Pack sind, unter ihnen Maxine Ciavati und Peter Marquardt. Neben ihnen steht eine Abordnung der Bordcrew und der Techniker, jeweils angeführt von Kapitän Daynes und Cheftechnikerin Samantha Rogers.
Es erfolgt ein Schwenk zu weiteren hochrangigen Persönlichkeiten. Richard Campbell steht mit versteinerter Miene vor den offenen Gräbern, umgeben von weiteren hochrangigen Funktionären der Colt Aviation und des Parlaments. Auf seinem Ehrenplatz steht seine Majestät, Kamehameha der Dritte, König von Hawaii, und schaut nicht minder versteinert auf die offenen Gräber.
Mit militärischer Präzision senkt die Prozession die Särge auf dem Heldenfriedhof in die Gräber.
Die Fahnen auf den Särgen werden den Angehörigen übergeben, in Armstrongs Fall seinem Bruder und seiner Adoptivschwester. Salutschüsse hallen über den Friedhof, die Soldaten salutieren.
"Schlafe ruhig, David Stone, schlaft ruhig, amerikanische Helden. Euer Mut, eure Opferbereitschaft und euer Heldentod hat uns inspiriert und angespornt. Niemals werden wir vor der Gewalt weichen und die Gerechtigkeit in den Staub getreten sehen. Wir wollen aufrecht stehen und tapfer sein bis zum Tod, so wie ihr es getan habt. Niemals wollen wir uns Mördern und Tyrannen beugen, nicht im Land von David Stone."
Die Kamera blendet langsam aus, während klagend eine Trompete spielt.

***

"Letzte Neuigkeiten! Warner Brothers und Columbia haben sich endlich geeinigt und bringen nun die epische Geschichte um den charismatischen Piraten Conal Andrew Thomas Shannon und seinen Schüler und Nationalhelden David Stone als gemeinsames Projekt! Geplant sind ein weiterer Shannon-Film sowie ein fulminantes Epos über die Kämpfe in Alaska, Hawaii und über Hayson Mills mit der grandiosen Endschlacht gegen den Teufel Michael Jerome, in denen Shannon explizierte Auftritte haben wird. Warner Bros. haben bereits die Zustimmung zur Fortsetzung von "Rangers, Piraten und Moneten" gegeben. Die Dreharbeiten zum zweiten Teil sollen noch diesen Monat beginnen, die zum dritten in einem Vierteljahr.
Der charismatische Shannon wird erneut dargestellt vom nicht weniger legendären Errol Flynn, und für die Rolle des kernigen, standhaften Anführer des Dirty Packs wechselt der legendäre Westernheld John Wayne den Reitsattel gegen das Fliegercockpit! Leute, uns erwartet das Spektakel des Jahres!"

***

"Tiefe Erschütterung in Gray Tucson County in den Industrial States. Ein halbes Jahr nach dem Ende der LEVIATHAN wurde eine nackte Männerleiche in einem Feld vor der Stadt gefunden, einzig bekleidet mit einem schwarzen Halsband, dem Markenzeichen von Michael Jerome. Die entsetzten Bürger fragen sich nun, ob der Teufel Jerome von den Toten auferstanden sind, oder ob sie es mit einem ungeschickten oder dreisten Trittbrettfahrer zu tun haben.
Fragen werfen sich auf, denn bei der Kaperung der LEVIATHAN hatte man die Leiche von Kapitän Richter nicht eindeutig identifizieren können, und der Stellvertreter Jeromes, der ehemalige Milizflieger Conway war im Schlachtgetümmel entkommen. Befürchtungen werden nun laut, dass diese Männer den Terror der LEVIATHAN wieder aufleben lassen wollen. Milizen in allen Industrial States sind jedenfalls in Alarmbereitschaft gegangen und suchen den Himmel nach einer zweiten LEVIATHAN ab, um nun im Keim zu ersticken, was schon einmal den blauen Horizont rot gefärbt hat."
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Hawaii

Wieder kreuzten fremde Kriegsschiffe in der Perlenbucht. Wieder zogen Flugzeuge über dem Wasser und dem Hafen ihre Bahnen, die nicht das Wappen des Königreiches auf ihrem Rumpf trugen. Wieder zerriss das dumpfe Dröhnen schwerer Schiffsgeschütze die Stille, lag in der Luft der Geschmack nach Kordit.

Allerdings schlugen die Granaten und Bomben diesmal nicht in der Stadt oder dem Hinterland ein, und richteten auch sonst keinen Schaden an. Die Rauch- und Leuchtgeschosse explodierten vielmehr spektakulär aber harmlos in der Luft oder auf der Wasseroberfläche. Sie boten in Verbindung mit dem rotgoldenen Glühen der sinkenden Sonne der zahlreich zusammengeströmten Bevölkerung ein beeindruckendes Schauspiel. Genau, wie es beabsichtigt war.
Und natürlich waren es auch keine australischen oder englischen Maschinen und Kriegsschiffe. Die Flugzeuge und Schiffe zeigten stolz das Sonnenbanner des kaiserlichen Japans.

Vor einigen Tagen war das Manöver ‚Tsushima Vierzig’ zu Ende gegangen, an dem neben einer ganzen Reihe von Großkampfschiffen auch zahlreiche leichte Einheiten und Marineluftschiffe teilgenommen hatten. Das Manöver war zur vollen Zufriedenheit von Admiral Yamamoto verlaufen, der sich an Bord der AKAGI aufgehalten hatte. Eines der durchgeführten Manöver war ein kombinierter Langstreckenangriff von träger- und luftschiffgestützten Flugzeugen gewesen. Egal, was die Traditionalisten im Admiralsstab glauben mochten, Yamamoto war überzeugt, dass in dieser Taktik die Zukunft der Seekriegsführung lag. Die Tage des Schlachtschiffs als König und Herz der Flotten neigten sich unwiderruflich dem Ende zu.

Das Manöver hatte sich weitestgehend ungestört von den Blicken fremder Seemächte vollzogen, doch waren nicht alle Schiffe sofort wieder auf Heimatkurs gegangen. Einige Schiffe hatten den Hauptverband verlassen und Hawaii angesteuert.
Das alte Schlachtschiff KIRISHIMA war noch vor dem Weltkrieg auf Stapel gelegt worden. Die modernen Schlachtschiffe der YAMATO-Klasse würden doppelt so groß sein und neun 45,6-Zentimeter-Kanonen führen - die größten, die je auf einem Kriegsschiff zum Einsatz gekommen waren. Doch mit ihren acht 35,6-Zentimeter-Geschützen und einer starken Mittelartillerie- und Flakbestückung war die KIRISHIMA immer noch ein gefährlicher Gegner. Und natürlich war sie allem haushoch überlegen, was Hawaii in seinem Arsenal hatte.
Der Kreuzer AOBA war vergleichbaren englischen und französischen Einheiten nur ebenbürtig. Die HAGURO hingegen hatte mit zehn 20,3-Zentimeter-Kanonen und sechzehn großkalibrigen Torpedorohren selbst für einen Schweren Kreuzer eine ungewöhnlich starke Bewaffnung.
Seitdem die amerikanische Pazifikflotte sich schmählich aufgelöst und Hawaii aufgegeben hatte, hatte keine vergleichbare Streitmacht in der Perlenbucht operiert. Und dabei war dies nur ein kleiner Teil der japanischen Flotte.

Salve um Salve rollte über die Bucht, die sonst um diese Zeit langsam zur Ruhe kam. Mit einer Geschwindigkeit und Leichtigkeit, die jeden Zuschauer beeindrucken musste, wechselten die Kriegsschiffe Geschwindigkeit und Kurs, schwenkten die Rohre von einer Seite zur anderen, feuerten die Schiffs- und Fla-Geschütze. Keiner an Land konnte bemerken, dass die Kanonen zwar nur Rauch- und Leuchtmunition verschossen, die Geschützmannschaften dabei aber pausenlos sehr reale Ziele anvisierten. Sollte irgendwann einmal ein japanischer Verband in kriegerischer Absicht nach Pearl Harbor einlaufen, dann würden die Rudergasten und Richtschützen sehr genau wissen, an welchen Punkten sie sich orientieren, und welche Gebäude und Stellungen sie aufs Korn nehmen mussten.
Und die Flugzeuge, die das Schauspiel in der Luft abrundeten, verfolgten ähnlich verborgene Ziele. Natürlich besaß die japanische Marine längst Luftaufnahmen von Pearl Harbor. Aber solche Aufnahmen mussten ständig aktualisiert und überarbeitet werden. Außerdem war es immer von Vorteil, wenn einige Piloten direkte Erfahrung vor Ort hatten. Und das war nicht der einzige handfeste Vorteil, den sich die japanische Marine von dem Besuch erhoffte…

Der Hauptzweck japanischen Präsenz war allerdings ein psychologischer. Flottenbesuche waren schon immer eine Möglichkeit gewesen, um die einheimische Bevölkerung und Führung zu beeindrucken - oder sie einzuschüchtern. Um einen Anspruch anzumelden, andere Großmächte vorzuwarnen. Die Wirkung des japanischen Blitzbesuchs musste umso größer sein, da derartige Staatsakte auf den Hawaii-Inseln bisher selten gewesen waren. Vor allem in diesem Umfang. Und so kurz nach dem gescheiterten Invasionsversuch der ANZAC würde das Commonwealth und jede andere im Pazifik aktive Großmacht eine solche Geste als eine eindringliche, in Stahl und Eisen gegossene Warnung verstehen.
Und die Hawaiianer mussten, je nach politischer Stellung und Herkunft, in dem Besuch entweder ein Schutzversprechen, eine machtvolle Geste, oder eine deutliche Drohung sehen.

Aber es war auf jeden Fall ein großartiges Schauspiel.
Am vorherigen Tag hatten ausgewählte Kontingente von Matrosen und Marineinfanteristen eine Parade auf den Straßen von Pearl City und Honolulu abgehalten. Auf dem Gelände der im Kampf zerstörten Handelmission in Pearl City war eine Gedenkstätte eingeweiht worden, die an die gefallenen Soldaten und Bürger Japans erinnern sollte. Wieder und wieder war dabei auf die ‚engen und brüderlichen Bande’ zwischen dem Land der aufgehenden Sonne und Hawaii verwiesen worden. Es war bekannt, dass japanische Flugzeuge und Soldaten bei der Verteidigung von Pearl City einen beachtenswerten Anteil gehabt hatten. Und viele erinnerten sich daran, dass ein australisches Kriegsschiff in der Bucht aus bisher ungeklärten Ursachen explodiert war. Die beliebteste Erklärung war ein japanisches U-Boot. Zufälligerweise stimmte das Gerücht sogar.
Nicht alle der Schaulustigen blickten mit Wohlgefallen auf die Schiffe, beeindruckt aber waren die meisten.

Für die hawaiianische Polizei war dieser Flottenbesuch hingegen ein Albtraum. Provokationen, Zusammenstöße oder gar Anschläge mussten um jeden Preis vermieden werden. Denn sie bargen die Gefahr einer katastrophalen Eskalation in sich. Japan hatte in den letzten Jahren zwei Mal völlige nichtige Ereignisse zum Anlass genommen, um erst in die Mandschurei, und dann in Zentralchina einzufallen.
Vielleicht hätte es den Polizeichef Mizunami beruhigt, wenn er gewusst hätte, dass das kaiserliche Oberkommando einen solchen Schritt – vorerst noch – für verfrüht hielt. Zu den verdeckt agierenden oder uniformierten Mitgliedern der Polizei gesellten sich deshalb Agenten der japanischen Geheimdienste. Der Hafen war besser abgesichert, als eine texanische Kleinstadt beim Besuch eines homosexuellen, afroamerikanischen Präsidenten, der für strengere Waffengesetze eintrat.

Die Spitzen der japanischen Gemeinde Hawaiis konnten das Schauspiel aus einer besonders privilegierten Position genießen. Zwar hatte der Botschafter das Angebot, das Manöver von Bord der Kirishima aus zu verfolgen, lieber abgelehnt. Das wäre möglicherweise das falsche Signal gewesen.
Aber dafür hatte er die Dachterrasse des besten Hotels von Pearl City gemietet. Von hier bot sich ein wahrhaft atemberaubender Blick auf den Sund und die in ihm kreuzenden Kriegsschiffe. Während der kurzen Kämpfe um Pearl City war hier ein Beobachtungstand der Verteidiger gewesen, und nur durch ein Wunder war das Hotel ernsteren Schäden entgangen. Angesichts der zahlreichen Männer und Frauen in Abendgarderobe oder traditionellen japanischen Kleidern hätte man kaum glauben können, dass sie noch vor einigen Monaten mit Internierung und Repressalien durch die australischen Angreifer rechnen mussten. Oder einige der Anwesenden vor wenigen Wochen noch über ihr Verhalten im Fall einer kaiserlichen Intervention beraten hatten. Heute Abend erschien zumindest auf den ersten Blick ein drohender Krieg sehr weit weg.

Heute war die japanische Gemeinde, trotz des von Tokio angeordneten und von Botschafter Watanabe vehement propagierten Kooperationskurses, weitestgehend unter sich. Einige der Dinge, die in kleinen Runden oder von Angesicht zu Angesicht besprochen werden sollten, waren zu sensibel für die Ohren von gajin. Zur allgemeinen Erleichterung hatte Hiroshi Shimada die Tatsache akzeptiert, dass man ihn nicht eingeladen hatte, und war dem Treffen ferngeblieben. Auch wenn man den Mann brauchte, so richtig gehörte er nun einmal nicht dazu.

Nur zwei der Anwesenden trugen Uniform. Die besonderen Gäste des Abends waren erst vor kurzem mit einem zivilen Passagierzeppelin aus Tokio eingetroffen. Ihre Ankunft war im Trubel des Flottenbesuches beinahe untergegangen. Generalleutnant Tadamichi Kuribayashi von der kaiserlichen Armee und Konteradmiral Raizo Tanaka von der imperialen Marine hatten die Aufgabe, die technischen und logistischen Einzelheiten der versprochenen japanischen Militärhilfe in Kooperation mit den entsprechenden hawaiianischen Dienststellen zu klären. Außerdem würden sie der Unterzeichung des hawaiianisch-kaiserlichen Abkommens ein besonderes Gewicht verleihen, das über die Unterschrift durch einen ‚normalen’ Botschafter hinausging. Des Weiteren hatten sie die Aufgabe, sich aus erster Hand über den Verlauf der Kämpfe und die daraus zu ziehenden militärtechnischen, taktischen und auch strategischen Lehren zu machen.
Und das waren nur ihre offiziellen Aufgaben.

Natürlich standen die beiden Männer anfangs im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Doch da sich beide zwar höflich und gut gelaunt, aber wenig mitteilsam gaben, ebbte das Interesse im Verlauf des Abends etwas ab. Größere Aufmerksamkeit weckte da schon Botschafter Watanabe, der in einigen sorgfältig formulierten Reden nicht nur die Loyalität der japanischen Gemeinde gegenüber dem Heimatland betonte, sondern gleichzeitig auch ein optimistisches, ja fast utopisches Bild der Zukunft zeichnete. Es war kein Geheimnis, dass Watanabe mit vollem Einsatz hinter der neuen japanischen Politik gegenüber Hawaii stand. Und in diesem Augenblick, in der Gewissheit der japanischen Stärke und eingedenk des mehr als großzügigen Kredits, den die japanische Gemeinde dem König bewilligt hatte, waren die meisten der anwesenden Geschäftsleute mehr als bereit, an Watanabes positive Zukunftsprognose zu glauben.
Der König würde die japanische Unterstützung nicht vergessen. Die europäischen Konkurrenten waren durch die Niederlage der ANZAC und Japans entschlossenes Auftreten eingeschüchtert. Die Arbeiter…die würden durch Geld und Versprechungen ruhig gehalten werden. Und auch Shimada würde genau das tun, was man von ihm erwartete. Alles stand zum Besten – viel besser jedenfalls, als man noch vor ein paar Monaten glauben mochte.

Wenn es unter den Anwesenden jemanden gab, der diese rosigen Aussichten nicht teilte, dann hielt er mit seiner Meinung hinter dem Berg.
Shoean Kazuo gehörte zu der schweigenden Minderheit, die nicht so zuversichtlich in die Zukunft blickten. Spätestens, seitdem sie für den japanischen Geheimdienst rekrutiert worden war. Was sie seitdem gelernt hatte, hatte ihren Blick für einige hässliche Wahrheiten geschärft.
Inzwischen wusste sie, dass die Zukunft Hawaiis nicht in den Händen der japanischen Gemeinde lag. Und auch nicht in denen des Königs. Letztendlich bestimmend waren die Entscheidungen, zu denen das kaiserliche Oberkommando kam. Als stärkste Militär- und Wirtschaftsmacht im pazifischen Raum lag es in Japans Macht, einen Krieg zu entfachen, oder ihn zu verzögern. Eine ähnliche Macht hatte vielleicht noch England, auch wenn es Japan militärisch unterlegen war. Russland interessierte sich nur für seine Küsten und vielleicht noch für China. Hawaii allerdings lag außerhalb seiner Interessensphäre. Wie auch immer, am Ende würden die Inseln nicht viel mehr sein, als eine Beute, um die sich die Raubtiere balgten.
Shoen Kazuos neues Wissen war nicht gut für ihr Selenheil gewesen. Manchmal wünschte sie, dass sie hätte zurückkehren können. Zurück in die Zeit, als ihr Mann noch am Leben gewesen war. Als sie ihr Unwissen in ein trügerisches Gefühl der Sicherheit gehüllt hatte. Als sie noch nicht wusste, dass sie alle am Rande eines Vulkans tanzten. ‚Aber ich habe hinter die Spiegel gesehen. Und jetzt gibt es kein Zurück mehr…’

Sie machte sich keine Illusionen. Sie war kein Paria, kein Ausgestoßener – aber sie gehörte auch nicht mehr so richtig zu der Gesellschaftsschicht, die sie ganz selbstverständlich als die ihre akzeptiert hatte. Gewiss, einige junge Frauen und Männer aus der Oberschicht mochten sie für ihre Selbstständigkeit bewundern. Vermutlich galt das auch für einige der älteren ‚Modernisten’ und ihre sozial etwas aufgeschlossenen Ehefrauen.
Die kleine Gruppe alter Männer aber, die der japanischen Gesellschaft vorstand, akzeptierte sie nur zähneknirschend - und nur, weil Tokio es befohlen hatte. Watanabe war da wahrscheinlich eine Ausnahme. Aber der Botschafter wusste sich ja auch direkt abhängig von den Interessen der japanischen Geheimdienste. Und außerdem war er auch psychologisch flexibler, als viele der Traditionalisten.
Ja, man behandelte sie höflich, keiner schnitt sie offen. Und auch die Damen, deren Urteil über das Ansehen der Ehefrauen, Mütter und Töchter der japanischen Gemeinschaft entschied, hatten über sie noch nicht den Stab gebrochen.
Aber diese erzwungene Akzeptanz ging einher mit schweigendem Groll und einer verborgenen, verächtlichen Geringschätzung. Und selbst die persönlichen Freunde ihres verstorbenen Mannes, die sich wie er als ‚modern’ ansahen und in Hawaii ihre Heimat sahen, waren vielfach unmerklich auf Distanz gegangen. Zum einen wegen ihrem ‚unweiblichen’ Verhalten – und vor allem wegen ihrer…Beziehung zu Hiroshi Shimada.
Sie hatte weiterhin viele Bekannte. Aber keinen einzigen richtigen Freund. Außer vielleicht Shimada. ‚Belüge dich nicht selbst. Es geht nicht nur um…Freundschaft.’

Unwillkürlich sah sie sich um, suchte nach der inzwischen nur zu vertrauten, hageren Gestalt. Es hätte zu ihm gepasst, hier aufzutauchen und die gute Gesellschaft mit seinem Erscheinen zu brüskieren. Für einen Agenten des japanischen Geheimdiensts hatte Shimada sich viel aus seiner Zeit als Kommunist und Untergrundkämpfer bewahrt.

Aber der Gewerkschaftsführer blieb unsichtbar. Sie wusste nicht, ob sie darüber erleichtert sein sollte, oder enttäuscht. Ihr Ruf war wahrscheinlich ohnehin bereits für alle Zeiten ruiniert. Dann hätte sie sich genauso gut in aller Öffentlichkeit mit ihm zeigen können. Manchmal hatte sie nicht übel Lust, all den selbstgerechten, spießigen Damen und Herren derart ins Gesicht zu spucken. ‚Er färbt auf mich ab.’
Sie fragte sich, ob Hiroshi Shimada diese Entwicklung vorausgesehen hatte. Vielleicht hatte er ja sogar auf ihre zunehmende Isolation gesetzt, um sich für sie noch unentbehrlicher zu machen. Aber auch wenn sie ihm einiges zutraute, sie wollte dennoch nicht glauben, dass Shimada sie derart kaltblütig manipulierte. Wenn sie es glaubte – was wäre ihr dann noch geblieben?

Auf einmal hatte sie das Gefühl, ersticken zu müssen. Die gedämpfte Musik des kleinen, klassischen Orchesters, klang auf einmal schier unerträglich laut in ihren Ohren. Die Gespräche, und das gelegentliche, leise Gelächter schien Shoean unangenehm schrill. Die Luft roch abgestanden. Mit einer gemurmelten Entschuldigung erhob sie sich. Sie brauchte frische Luft.
10.11.2020 16:49 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Jetzt, da das Flottenmanöver vorbei war, lag der kleine Nebenbalkon fast verlassen dar. Während Shoean Kazuo die salzig schmeckende Luft einatmete, die vom Sund herüberwehte, warf sie den beiden Männern einen flüchtigen Blick zu, die ein paar Meter entfernt an der Balkonbrüstung standen.
Dann stockte sie, und drehte sich zu den Beiden um. Einer der Männer war Generalleutnant Tadamichi Kuribayashi. Der hoch gewachsene Offizier mit dem markanten Gesicht zog nachdenklich an einer Zigarette. Seine Bewegungen wirkten beherrscht und kontrolliert. Shoean wusste nichts über diesen Mann, aber irgendetwas warnte sie, ihn nicht zu unterschätzen. Das Armeeoberkommando hatte wahrscheinlich seine Gründe gehabt, ausgerechnet Kuribayashi zu schicken.
Und der andere Mann, der die Uniform eines Sergeanten der kaiserlichen Armee trug…“Shimada.“

Generalleutnant Kuribayashi warf seine Zigarette beiseite, und verneigte sich leicht vor ihr. Ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen: „Vielleicht stellen Sie uns vor, Shimada? Ich hatte noch nicht das Vergnügen mit dieser Dame. Und ich habe den Eindruck, damit etwas verpasst zu haben.“
Der Gewerkschaftsführer schien sich in der Uniform wohl zu fühlen. Jetzt allerdings wirkte er fast ein wenig unsicher: „Generalleutnant Tadamichi Kuribayashi. Shoean Kazuo, Vorsitzende und Besitzerin von Kazuo Exp.“
„Es ist mir eine Ehre. Ich glaube, ich habe schon von Ihnen gehört, Mrs. Kazuo.“
‚Ja, darauf möchte ich wetten.’ „Wie ich sehe, haben wir auch einen gemeinsamen Bekannten. Ich wusste allerdings nicht, dass er…auf diese Art und Weise den Streitkräften des göttlichen Tennos dient.“ Der Generalleutnant quittierte den Sarkasmus mit einem dünnen Lächeln: „Sagen wir es einmal so…Unser gemeinsamer Bekannter hat auf einem persönlichen Gespräch mit mir und meinem Kameraden von der Marine bestanden. Bevor wir dem Abkommen mit Hawaii mit unserer Unterschrift den letzten Schliff geben. Offenbar, weil er betreffs der neuen Politik des Kaiserreiches noch gewisse…Bedenken hatte.
Nun können aber auch Militärattaches einer befreundeten Macht nicht einfach in einer Stadt wie Honolulu oder Pearl City herumstreifen und private Treffen wahrnehmen. Und aus verschiedenen Gründen erschien es auch wenig weise, wenn unser gemeinsamer Bekannter in die Botschaft kommt. Deshalb...“, der Offizier blickte zwischen Shoean und Hiroshi hin und her, und sein Lächeln vertiefte sich: „Außerdem hatte unser Bekannter vielleicht auch noch andere Gründe, warum er hier auftauchen wollte.“
Shoean fühlte wie sie rot wurde, und ging reflexartig in die Offensive: „Es überrascht mich, dass Sie hier so offen reden, Generalleutnant.“ ‚Vor allem gegenüber einem Spion und einer Frau.’
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir hier nicht belauscht werden können. Außerdem glaube ich, es ist immer besser, wenn alle Beteiligten wissen, worum es geht. Kein Soldat sollte sterben, ohne zu wissen warum.“
Shoean Kazuo verzog den Mund. Ob nun japanische Armee, Marine oder Geheimdienst…früher oder später drehte es sich immer um den Tod oder die Ehre. Manche ihrer westlichen Bekannten meinten, dass das typisch für ein ‚faschistisches Regime’ sei. Sie begriffen einfach nicht, dass die Wurzeln sehr viel tiefer gingen, und sehr viel weiter zurück reichten: „Und, sind Sie zufrieden, Shimada?“
Der Gewerkschaftsführer sah sie an, dann Kuribayashi: „Der Generalleutnant kann sehr überzeugend seinen Standpunkt darlegen. Außerdem…“, seine Stimme wurde härter, „…es ist nicht so, als ob ich eine Wahl hätte.“ Offenbar gab es immer noch Spannungen zwischen Hiroshi Shimada und seinen Auftraggebern. Das überraschte Shoean nicht. Der Gewerkschaftsführer ließ sich nicht gerne herumkommandieren. Und dass Kamehamea und Tokio quasi über seinen Kopf hinweg eine Einigung erzielt hatten und der König ihn auch noch für seine Vision eines einigen Hawaii – natürlich unter Herrschaft der Krone – einspannen wollte, musste ihn zusätzlich ärgern.
„Haben Sie nicht einmal gesagt, dass es immer eine Wahl gibt, Shimada?“
Der Gewerkschaftschef sah sie direkt an. Diesmal wirkte sein Lächeln bitter: „Keine, die ich je treffen würde.“
„Ja, ich weiß.“ Und sie wusste es tatsächlich. Auf eine verdrehte Art und Weise war Hiroshi Shimada Japan gegenüber loyal. Er würde niemals ein akzeptierter Teil des Establishments sein, sich nie widerstandslos in eine Hierarchie einfügen. Er würde immer sein eigenes Spiel spielen wollen. Er war ein Ronin. Er lebte in den Schatten und Grauzonen der Gesellschaft. Und dennoch brauchte er einen Herrn. Irgendetwas, ein Sache, eine Idee, der er dienen konnte. Etwas, was ihn von einem gewöhnlichen Gangster unterschied. Nachdem die kommunistische Idee dafür nicht genügt hatte, war ihm wohl nur noch das geblieben, was man ihm seid frühster Kindheit anerzogen hatte – das dai nippon, das göttliche Japan.

Der Generalleutnant hatte den kurzen Schlagabtausch aufmerksam beobachtet: „Sie wissen viel…für Ihr Alter.“
„Und für mein Geschlecht, wollten Sie sagen. Immerhin bin ich nur eine Frau.“
Tadamichi Kuribayashi zuckte mit den Schultern: „Ich habe einige Zeit in den Staaten verbracht. Vielleicht bin ich nicht so…traditionell wie andere Offiziere. Aber ich muss schon sagen, auch in den ehemaligen USA habe ich selten von Frauen gehört, die eine ähnlich…herausragende Stellung hatten wie Sie.“ Shoean Kazuo war sich sicher, er meinte damit nicht ihr Vermögen. Natürlich wusste er, dass sie ebenfalls vom Geheimdienst rekrutiert worden war. Es fragte sich nur, von wem: „Und, hat Ihnen gefallen, was Sie hier gesehen haben? Was hält die Armee von den Möglichkeiten, die das neue Bündnis zwischen Tokio und Honolulu bietet.“
Bei dem Wort ‚Bündnis’ hatte es kurz verächtlich in dem Gesicht des Armeeoffiziers gezuckt: „Zweifellos erwartet die Hawaii-Inseln eine lange und enge Beziehung zu Japan.“
‚Aber wahrscheinlich etwas anders, als sich Kamehamea das vorstellt’: „Da Hawaii die Klugheit einer solchen Politik erkannt und die anderen pazifischen Mächte begriffen haben, dass Japan keine fremde Präsenz auf den Inseln dulden wird.“
„Ja. Vorerst.“ Einmal mehr überraschte der Armeeoffizier sie durch eine erstaunlich offene Antwort. Aber wahrscheinlich nahm er sowieso an, dass Shimada ihr den Inhalt seines Gesprächs mit Kuribayashi weitergegeben hätte. Vielleicht hätte er mit dieser Annahme sogar Recht gehabt.

„Nun ja, wenn das Alles ist… Ich nehme an, man erwartet mich da drinnen. Gesellschaftliche Verpflichtungen können manchmal etwas ermüdend sein. Aber lassen Sie sich nicht stören. Vermutlich haben Sie noch einiges zu besprechen.“ Vielleicht schwang in seinen letzten Worten ein Hauch Spott mit. Der Offizier neigte leicht den Kopf, und wandte sich zum Gehen.
Als Antwort auf Shoeans fragenden Blick schüttelte Shimada den Kopf: „Von mir hat er das nicht, Shoean.“
„Natürlich nicht. Es gibt ja auch nichts, was du ihm erzählen könntest.“, feuerte sie reflexartig zurück. Die Art und Weise, wie er sie unter vier Augen inzwischen mit ihrem Vornamen anredete, war ein wenig beunruhigend. Und schlimmer noch, sie ließ es ihm durchgehen, ertappte sich dabei, dass sie das gleiche tat. Und dass er ihr gefiel.
„Nun ja, ich glaube nicht, dass ein Generalleutnant an Schlüssellöchern lauscht oder sich für den Gesellschaftsklatsch interessiert.“
„Was weißt du von ihm?“
„Generalsstabsoffizier. Keine Frontkommandos – außer im logistischen Bereich, während des China-Feldzugs.“
„Tokio schickt einen Schreibtischoffizier?“ Shoean Kazuo klang ungläubig. Sie hatte einen ganz anderen Eindruck von Tadamichi Kuribayashi gehabt.
„Ich weiß nicht. Immerhin, er war als Austauschoffizier in den Staaten. Man schickt keine Dilettanten nach Übersee. Auf jeden Fall hat er dadurch Erfahrung im Umgang mit gajin. Und außerdem…Ich weiß nicht. Er ist vielleicht kein Traditionalist. Aber er ist immer noch ein Samurai. Wenn man ihm eine Einheit geben würde, und den strikten Befehl, die Stellung zu halten… Er würde sie halten. Auch gegen eine fünffache, gegen eine zehnfache Übermacht. Bis zum letzten Mann. Und er würde den Gegner teuer für jeden Meter Bodengewinn bezahlen lassen.“
„Ich weiß, was du meinst.“ Und damit waren sie schon wieder an diesem Punkt angelangt: „Und Konteradmiral Tanaka? Warum hat Tokio ihn geschickt?“ Shoean hatte den schlanken Offizier mit der Halbglatze und dem sauber gestutzten Schnurrbart nur flüchtig kennen gelernt.
Hiroshi Shimada lächelte grimmig: „Raizo Tanaka gilt als einer der fähigsten Kreuzer- und Zerstörerkommandeure. Er soll eine Koryphäe für Blitzangriffe schneller Schiffsverbände sein.“
Shoean Kazuo blickte hinüber zur Perlenbucht: „Ich verstehe.“

Der Gewerkschaftsführer lehnte sich neben ihr über die Steinbrüstung. Wieder fiel es Shoean auf, wie natürlich die Uniform an ihm wirkte. ‚Ist das eine Seite von ihm, die ich bisher noch nicht gesehen habe?’ Schweigend schüttelte sie den Kopf: ‚Eher eine Möglichkeit, die niemals Wirklichkeit werden konnte.’
„Du hast mir gefehlt.“ Als diese Worte ihr Ohr erreichten, drehte sie sich ruckartig zur Seite. Aber Hiroshi Shimada sah sie nicht direkt an. Ein seltsames Lächeln spielte um seine Lippen.
Sie beschloss, die Bemerkung erst einmal zu ignorieren. Auch wenn das noch nie gut funktioniert hatte: „Ich habe die nötigen Unterlagen zusammen. Das war einfach. Da ich dieses ‚freiwillige’ Darlehen mitfinanziere…
Aber warum willst du wissen, über welche Banken und Konten die Gelder für Kamehameas Aufbauprogramm laufen? Immerhin kommt das Geld deinen Leuten zugute.“
Shimada schnaubte kurz: „Dafür habe ich nur Kamehameas Wort. Und wir wissen schließlich, was DAS wert ist.“ Offenbar nahm er es immer noch übel, dass man ihn beinahe verhaftet hatte, als er sich auf das freie Geleit des Königs verlassen hatte: „Ich will wissen, an wen das Geld wirklich fließt, und wofür es ausgegeben wird. Ich werde nicht stillhalten, falls Mizunami so seine Polizei aufstockt. Ich traue ihm und unserem blaublütigen Staatsoberhaupt ungefähr so weit, wie ich sie werfen kann.“
„Gibt es überhaupt jemanden, dem du vorbehaltlos traust?“
Jetzt sah er sie an, und wieder lächelte er kurz: „Die Antwort auf diese Antwort kennst du doch bereits.“
Sie erinnerte sich. Und sie erinnerte sich auch, was sie außer Vertrauen noch aus seinen Worten herausgehört hatte. Shoean Kazuo wurde rot, und ärgerte sich über sich selber. Rasch wechselte sie das Thema: „Du scheinst nicht gerade erbaut über den Kurs, den Tokio neuerdings vorgibt. Findest du keinen Geschmack am Frieden? Fehlen dir die Straßenkämpfe?“
„Ob ich die Straßenkämpfe vermisse? Ein Gegner der sich offen zeigt, der kann wenigstens auch gestellt und vernichtet werden. Wenn er sich aber auf einmal still verhält...dann sollte man besser auf der Hut sein.
Die Zusammenstöße mit den Werkschutzverbänden und Schlägerbanden der reichen gajin sind zurückgegangen. Seit ein paar Wochen gab es keine Toten, und nur eine Handvoll Verletzten. Ich sollte froh sein. Doch wenn ich ehrlich sein soll, es macht mir Sorgen. Ich kann einfach nicht glauben, dass diese Intriganten auf ein Wort Kamehameas die Beine in die Luft strecken und sich tot stellen. Da bereitet sich etwas vor. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, was. Dafür habe ich gehört, dass eine neue Prämie auf meinen Kopf ausgesetzt wurde. Jemand hat offenbar zuviel Geld. Ein Grund mehr, genauer im Auge zu behalten, wofür Kamehameas Super-Darlehen verwendet wird.
Und was die Flitterwochen angeht, die auf einmal zwischen Tokio und Honolulu herrschen… Ich will nicht, dass meine Leute als Hochzeitsgeschenk verkauft werden.“
„Vielleicht solltest du daran denken, aufzuhören. Wie lange bist du jetzt schon in der Stadt – zehn Jahre? Du hast dir eine Menge Feinde gemacht. Und wenn dich jetzt auch noch Tokio im Stich lassen sollte…“

Hiroshi Shimada tat das mit einer Gleichgültigkeit gegenüber der Gefahr ab, die sie schon früher wütend gemacht hatte: „Was ist denn, willst du mich loswerden? Ich bin zweimal in meinem Leben vor etwas davon gelaufen. Und es hat mir nicht gefallen. Ich werde es nicht noch einmal tun.“
„Aller guten Dinge sind drei.“
„Ich schätze, dass reicht nicht als Grund. Ich habe zehn Jahre gebraucht, um das zu werden, was ich jetzt bin. Ich habe einen Eid geschworen. Und ich halte meine Eide. Was wäre ich schon, wenn ich das nicht tun würde? Und außerdem…für mich gibt es keinen Grund, davon zu laufen. Und vieles, für das es sich lohnt zu bleiben.“
Wieder wurde Shoean rot. Sie wusste sehr genau, was er damit meinte. Irgendwie kamen alle ihre Gespräche irgendwann zu diesem Punkt. Aber was sie noch mehr ärgerte, war etwas anderes. Noch so ein Punkt, auf den sie irgendwann immer wieder zu sprechen kamen. Ihre Stimme klang hart: „Es geht um dein verdammtes Leben! Bedeutet dir das denn gar nicht?! Du, Kuribayashi…Weiße, Japaner…was ist bloß mit euch los?!
Ich kann das nicht mehr hören! Ehre, der Weg des Kriegers…Worte! Ihr errichtet einen Altar für den Tod und betet ihn an! Ich bin es so satt! Wie kann man das Sterben nur so vergötzen?! Ihr sucht nach etwas, für dass ihr euch opfern könnt, statt für etwas zu LEBEN! Sie stopfen eure hohlen Köpfe mit dem Gerede von Ehre, Vaterland und Pflicht voll, und ihr plappert den Wahnsinn nach, als hättet ihr keinen eigenen Willen. Das ist Wahnsinn! Es ist so dumm, so sinnlos. Für euch zählt das Leben nichts mehr – ihr tötet, und ihr sterbt, als wäre das der Sinn eurer Existenz.“
Sie fühlte, wie eine Träne über ihre Wange rann. Ihre Stimme klang erstickt: „Was seid ihr denn? Wozu macht euch das? Lebende Leichen seid ihr, die sich durch irgendeinen verrückten Zufall noch bewegen und töten können.“

Hiroshi Shimada wurde von diesem Ausbruch überrascht. Aber das hatte ihn ja auch seit ihrer ersten Begegnung fasziniert. Shoean Kazuo passte so gar nicht in das Klischee einer stillen, unterwürfigen japanischen Ehefrau: „Vielleicht hast du Recht. Aber schließlich ist es mein Leben. Ich kann es aufs Spiel setzen und ich kann es wegwerfen, wie ich es will. Es spielt keine Rolle. Die Frage ist, was es für dich bedeutet. Ob es für dich eine Rolle spielt, ob ich lebe oder sterbe, Shoean.“
„Natürlich spielt es eine Rolle, du Dummkopf! Du weißt doch, dass du mir etwas bedeutest!“
Der hagere Gewerkschaftsführer lächelte still, als hätte man eine schwere Last von seinen Schultern genommen: „Nein. Ich habe es gehofft. Aber ich musste es von deinen Lippen hören.“
Shoean Kazuo starrte Hiroshi Shimada an, während sie sich ihre letzten Worte ins Gedächtnis rief. Hatte sie das wirklich gesagt? Sie spürte, wie sie tiefrot anlief. Dann explodierte sie beinahe: „Wenn das nur ein verdammtes Spiel war…“
„Dafür bist du mir zu wichtig. Und außerdem unterschätzt du dich selber. So leicht bist du nicht zu manipulieren.
Weißt du eigentlich, wie lange ich darauf gewartet habe, dich diese Worte sagen zu hören?“
Die Röte auf ihren Wangen schien sich noch zu vertiefen. Sie wich seinem Blick aus, aber sie nickte. Sie fühlte sich seltsam. Ausgebrannt, wütend, und gleichzeitig fast euphorisch. Erleichtert, und gleichzeitig beschämt. Es ergab keinen Sinn. Und als er vorsichtig seinen rechten Arm um ihre Schulter legte, wehrte sie ihn nicht ab. Mit einem leisen Seufzer ergriff Shoean Hiroshis rechte Hand. Es fühlte sich merkwürdig vertraut, fast natürlich an, als sie ihre Finger mit seinen verschränkte. ‚Warum habe ich ihm das bloß gesagt? Verdammter Kerl. Ich weiß nicht, ob ich ihn über das Geländer stoßen, oder ihn küssen soll. Ihn küssen? Natürlich. Sei doch ehrlich. Hasst du nicht schon daran gedacht?’: „Das ist doch verrückt. ICH muss wahnsinnig sein. Wie lange kenne ich dich eigentlich?“
Sie fühlte, wie er mit den Schultern zuckte: „Ein halbes Jahr? Acht Monate. Ja. Aber was hat Zeit damit zu tun?“
Sie sah ihn nicht an, ihre Stimme klang leise: „Ich habe es ernst gemeint. Alles, was ich gesagt habe. Und damit meine ich nicht nur das, was du hören wolltest.“
„Ich weiß. Und wahrscheinlich hast du Recht. Aber du musst es verstehen. Ich bin, was ich bin. Ich behaupte nicht, dass das gut ist. Aber ich kann nicht einfach umkehren. Und ich kann nicht noch einmal weglaufen.“
„Also bleibst du hier.“ In die Frustration über Shimadas Sturheit mischte sich auch ein klein wenig Erleichterung. Wenn Sie sich selber gegenüber ehrlich war, so wollte sie nicht, dass er untertauchte. Es wäre einfacher gewesen für sie. Für sie beide. Und dennoch, sie hätte ihn vermisst.
Shimada lachte leise auf: „Glaubst du im Ernst, dass ich jetzt noch einfach verschwinden könnte? Nein, so leicht wirst du mich nicht los.“
Sie seufzte: „Aber es bleibt verrückt. Wohin soll das führen? Du balancierst auf einer Messerklinge. Irgendwann wirst du stürzen. Die Polizei, die Anglos, die Yakuza und auch Japan. Das kann nicht ewig so weitergehen. Und erzähl mir nicht, dass alles gut werden wird. Denn das wird es nicht- So dumm bin ich nicht. Erwartest du, dass ich einfach zusehe, wie du dich irgendwann selber zugrunde richtest?
Und ich…Ich soll weiter Waffen, Geld und Ausrüstung verschieben, wie es Tokio will. Informationen und Gefälligkeiten liefern. Und nach außen die ehrbare Witwe spielen. Und wir…“
„Ich weiß. Und glaub mir, es gefällt mir überhaupt nicht, dass du mit hineingezogen wurdest. Keiner sollte das gegen seinen Willen.“ Aber er wusste, andernfalls würde er jetzt wahrscheinlich nicht hier neben ihr stehen. Es war nicht besonders edel von ihm, aber das hätte er auch nicht gewollt. Dennoch zwang er sich selber die nächsten Sätze ab: „Vielleicht…könntest du auch immer noch aussteigen. Du müsstest Hawaii verlassen. Und natürlich könntest du nicht nach Japan zurück. Aber dennoch…“
Sie versteifte sich unwillkürlich. Ihre Stimme klang zögerlich: „Und du? Was wäre mit dir? Würdest du mitkommen?“
Dass sie die Frage stellte, bedeutete ihm viel. Dennoch schüttelte er den Kopf: „Ich kann nicht...“, und um ihrem nächsten Wutausbruch zuvorzukommen, setzte er eilig hinzu, „…aber es geht hier nicht nur um Ehre und Pflicht. Ich meine, JA, darum geht es auch, aber das ist es nicht alleine. Dich würde der Geheimdienst vielleicht vom Haken lassen. Aber ich…ich weiß ganz einfach zu viel.“
Sie seufzte. Aber sie hatte ohnehin nicht an eine solche Lösung geglaubt. ‚Noch so ein Tagtraum’: „Vielleicht bist du nicht der Einzige, der nicht weglaufen will.“
„Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Aber was soll uns das kümmern? Gestern war ich beinahe tot. Morgen sind wir vielleicht schon tot. Wer kann das wissen. Heute aber leben wir.“
Shoean Kazuo legte den Kopf schief und sah Hiroshi Shimada an: „Ist das deine Art, bei Mädchen zu landen? Das klingt alles so einfach.“
Der Gewerkschaftsführer lachte jäh auf: „Einfach? Das wäre doch einmal eine Ausnahme in unserem Leben.“
„Also was? Machen wir weiter wie bisher? Als wäre nichts geschehen?“
Ein leises Lächeln war in seiner Stimme. Der Griff um ihre Hand verstärkte sich. Fest, aber nicht unangenehm: „Vielleicht nicht ganz so wie bisher…“

In diesem Augenblick ging die Sonne rot im Westen unter, und tauchte zum letzten Mal die Berge und das Wasser des Pazifischen Ozeans in feuriges Licht. Es hätte ein erhabenes, ja romantisches Bild sein sollen. Doch Shoean sah die kaiserliche Kriegsflagge vor sich. Sie blickte hinunter auf den Hafen, in dem dunkel und drohend die japanischen Kriegsschiffe vor Anker gegangen waren. Die AOBA und die HAGURO hatten die KIRISHIMA in die Mitte genommen. Zusammen bildeten sie eine gigantische, schwarze Kralle, die in einem Meer aus Blut badete. Und sich nach Pearl City ausstreckte.
Unwillkürlich erschauerte sie und presste sich enger an Hiroshi. ‚Sie werden die Welt in Brand setzen. Und wir, wir helfen ihnen dabei. Mögen die Götter gnädig mit uns sein.’
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Berlin, Bendlerblock

Oberst Arnim von Tauten ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Er hatte im Krieg wie auch ein oder zweimal in Friedenszeiten dem Tod ins Auge geblickt. Und der hatte, wie von Tauten es gerne sagte, immer zuerst geblinzelt.
Aber das war schon lange her. Und egal, was früher gewesen war, jetzt fühlte er so etwas wie Angst. Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der Chef des RSHA, hatte diese Wirkung auf Menschen. Auch wenn er sich gerade höflich, ja umgänglich gab. Der Mann hatte viele Facetten. Er spielte Geige, war Pilot, Fechter…und ein eiskalter Mörder. Völlig unbelastet von Skrupeln oder Zweifeln. Ein hundertfünfzigprozentiger Nazi, dessen fraglose Loyalität gegenüber dem Führer noch durch brennenden Ehrgeiz und ein instinktives Talent für Intrigen und Winkelzüge ergänzt wurde. Eine gefährliche Mischung. Dass ein solcher Mann das RSHA übernommen hatte, war nur logisch. Und der absolute Albtraum für jeden, der dem System irgendwie skeptisch gegenüberstehen mochte.
Nicht, dass Arnim von Tauten so ein Mann gewesen wäre. Allerdings…die blassblauen, kalten Augen seines Gegenübers, das schmale Wolfgesicht, all das erinnerte ihn mal wieder daran, wem er sich verpflichtet hatte. Normalerweise neigte von Tauten dazu, das zu verdrängen: „Ich bin nicht ganz sicher, ob ich Ihnen ganz folgen kann, Herr Obergruppenführer.“
„Im Grunde ist es ganz einfach. Die nötigen Formalitäten sind bereits mit Admiral Canaris geregelt worden. Es besteht in diesem Punkt volle Interessengleichheit zwischen Abwehr und RSHA. Und als ich Canaris danach fragte, wer den der richtige Mann für diesen speziellen Aspekt der Operation wäre, wer sein Fachmann für Amerika sei…da hat er Ihren Namen genannt.
Deshalb bin ich hier, Herr Oberst. Ich bin immer der Meinung gewesen, dass ein persönliches Gespräch die beste Basis für eine erfolgreiche Kooperation ist. Immerhin ist eine vergleichbare Zusammenarbeit unser Dienste…nicht unbedingt üblich.“
‚Du meinst wohl, du willst mir klar machen, wer die besseren Karten hat. Und was ich erwarten kann, wenn die Sache aus dem Ruder läuft…’ „Ich muss gestehen, ich verstehe immer noch nicht, was unsere Aufgabe nun genau sein soll.“
„Ihre Abteilung hat in den Staaten der ehemaligen USA ein Netz von Agenten, das die Kapazitäten des RSHA zweifellos in den Schatten stellt. Und zu diesen Agenten kommen natürlich auch Ihre Kontakte und…Aktivposten, die bei direkten Aktionen zum Einsatz kommen können. Ich rede von lokalen Verbänden, Transportmitteln und Ressourcen. Wir können nicht für jede Operation einen Kommandotrupp und ein deutsches Zeppelin über den Atlantik schicken. Manchmal ist das ganz einfach nicht möglich, und manchmal ist es nicht ratsam. Wir brauchen…Anonymität.“
„Da gibt es immer noch unsere Verbündeten…“
„Und es gibt Operationen, von denen Japan besser nichts erfahren sollte.“
„Hat Admiral Canaris autorisiert, dass das RSHA unsere Ressourcen nutzen kann? Dass unsere Einsatzagenten Weisungen Ihrer Führungsoffiziere befolgen sollen?“
Heydrich lächelte frostig: „Keineswegs. Die operative Planung und Durchführung bleibt in Ihren Händen. Das RSHA wird Sie vielmehr mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen.“
Von Tauten war mehr als nur ein wenig überrascht. Das passte überhaupt nicht zu Heydrich, dem man weit reichende Ambitionen nachsagte. Angeblich wollte er nichts weniger, als dass das RSHA die Abwehr als führende Auslandsspionageorganisation des Reiches ersetzte. Entweder der Obergruppenführer hatte jetzt bloß Kreide gefressen, und plante eine ‚kalte Übernahme’, oder aber…’Wenn diese Operation so wichtig ist, dass Heydrich seine Ambitionen zurückstellt und Canaris derart weit entgegenkommt, dann muss es wirklich um etwas Welterschütterndes gehen. Etwas, das Heydrich bis ganz nach Oben bringen kann.’ Dieser Gedanke war nicht besonders beruhigend. Der Chef des RSHA würde auf seinem Weg in die höheren Gefilde des Dritten Reiches weder Hindernisse noch Versagen akzeptieren. Egal, wie kulant er sich jetzt gab. Von Tauten sah unruhige Zeiten auf seine Abteilung zukommen. ‚Aber was will das RSHA in Amerika? Was ist so wichtig an diesem Haufen von Diadochenstaaten, die sich gegenseitig zur Ader lassen?’

Währenddessen hatte der Obergruppenführer fortgefahren: „…aber dafür erwarte ich, erwartet Canaris, erwartet der FÜHRER, dass der Generalplan fehlerlos und termingerecht durchgeführt wird. Ein Scheitern ist weder vorgesehen, noch ist es akzeptabel.“
Von Tauten schätzte es überhaupt nicht, derart offen bedroht zu werden: „Wir sind keine Anfänger. Wie Sie offenbar wissen, sonst hätten Sie schließlich nicht für diese Operation die Unterstützung der Abwehr gesucht. Also, was kann die Abwehrabteilung Amerika für das RSHA tun. Wozu brauchen Sie unsere Hilfe?“
Das hatte gesessen. Als von Tauten sah, wie Heydrich die dünnen Lippen zusammenpresste, fühlte kurz so etwas wie Genugtuung. Der eiskalte Blick, den ihm der Obergruppenführer zuwarf, sollte ihn allerdings später noch in seinen Träumen verfolgen. Heydrich vergaß niemals eine tatsächliche oder eingebildete Kränkung. Angeblich hatte er seine Position in der SS dafür genutzt, die Pensionierung von zwei Offizieren durchzusetzen, die an seiner Entlassung aus der Marine Anteil gehabt hatten.
Heydrichs Stimme klang frostig: „Zuerst einmal geht es um diese Männer hier. Und Frauen. Die Abwehr soll ihren aktuellen Aufenthaltsort verifizieren. Sie unter Beobachtung stellen. Und Machbarkeitsstudien für ihre unauffällige…unfreiwillige Rekrutierung erstellen. Gegebenenfalls wird die Abwehr dann in Aktion treten. Bei allen Schritten wird das RSHA sich wo möglich mit Informationen, Personal und Ressourcen beteiligen.“
Von Tauten unterdrückte ein gehässiges Grinsen. ‚Also schafft ihr das nicht alleine? Gut zu wissen.’ Er warf einen Blick auf die aufgelisteten Namen und die angegliederten kurzen Charakterisierungen: Klaus Fuchs…Oppenheimer…Rosenberg…
Der Geheimdienstoberst blickte irritiert auf: „Soll das heißen, das RSHA braucht unsere Unterstützung um ein paar…davongelaufene Kommunisten und Juden einzufangen?“
Heydrich überraschte von Tauten mit einem galligen Lachen: „Das letzte, was wir brauchen, sind noch ein paar Juden. Keine Angst, das hat alles einen Grund. Lesen Sie die Richtlinien für die Gesamtoperation. Ich empfehle Ihnen besonders die Effektivitätsanalyse.“

Diesmal brauchte Arnim von Tauten deutlich länger. Er war schließlich kein Physiker. Doch als er fertig war, wirkte er sichtlich erschüttert: „Großer Gott. Und diese Berechnungen…stimmen tatsächlich?“
„Soweit ich weiß, wurden sie mehrmals überprüft. Sie stimmen.“
„Aber ich dachte, dieser Zweig der Forschung ist…“
„Sagen Sie es ruhig. Er gilt als verjudet. Aber wie sagte es noch mal unser Luftmarschall? Wer Jude ist, das bestimmen wir.“
„Eine solche Vernichtungskraft…“
„Ja. Mit einem einzigen Sprengkörper könnten wir eine Schlacht entscheiden, eine Stadt vernichten, die ganze Homefleet versenken. Einen Krieg gewinnen.“ Heydrichs Augen blitzten. Er schien völlig fixiert auf etwas, was jenseits von von Tautens Horizont lag. Was dieser aber zu erahnen glaubte, und was ihn mit einer Mischung aus Euphorie, Ehrfurcht und Grauen erfüllte. Die Stimme des Obergruppenführers hingegen klang fast schwärmerisch: „Das ist ein Projekt, das zu groß für einen einzigen Dienst, eine einzige Organisation ist. Das betrifft das Heer, die Luftwaffe, die SS, das Auswärtige Amt – und es betrifft Sie und mich. Sie müssen BEGREIFEN was für gigantische Kräfte da am Wirken sein werden. Diese Operation in Amerika, das ist nur ein kleines Rädchen in diesem riesigen Uhrwerk.
Während Sie ihre Leute instruieren, durchkämmt die SS bereits die Lager auf der Suche nach den nötigem Fachpersonal und den Arbeitskräften. Ist es nicht phantastisch, dass die Feinde des Reiches am Untergang ihrer letzten und einzigen Hoffnung mitarbeiten werden? Es werden gigantische geheime Fabriken und Forschungsstätten entstehen, in denen die besten Wissenschaftler des Reiches arbeiten werden. Und natürlich dieses Pack, das wir leider auch noch brauchen, und das Sie und die SS heranschaffen werden.
In Ostdeutschland plant man bereits die Eröffnung eines neuen Bergwerks, nur für dieses Projekt. Ein ganzes Areal von hunderten Hektar soll zum Sperrgebiet erklärt werden. Und unsere Dienste werden auch in Norwegen aktiv werden, um weitere nötige…Bestandteile des Projekts zu beschaffen. Und jedes Element der Gesamtoperation ist vom Gelingen der anderen unterstützenden Maßnahmen abhängig. Begreifen Sie jetzt, warum Ihre Aufgabe so wichtig ist?“

Von Tauten nickte mechanisch, während er immer noch versuchte, die Größe dieses Projektes und die möglichen Auswirkungen zu realisieren. Er hatte nicht alles verstanden, aber zweifellos ging es hier um Jahre – und um Millionen, wenn nicht gar Milliarden von Reichsmark. Und um eine Waffe, die jedem Krieg, den die Führung des Dritten Reichs planen mochte, die entscheidende Wendung geben konnte.
„Ich nehme nicht an, dass das über die üblichen Kommunikationslinien laufen soll?“
„Verdammt richtig. Wir werden auf Kuriere und Mehrfachverschlüsselung setzen. Und das Wissen über das eigentliche Ziel und die Ausmaße dieses Projektes darf das Reich nicht verlassen. Die lokalen Geheimdienstabteilungen werden wissen, was sie tun sollen. Aber sie werden nicht wissen, WARUM.“
„Ich verbürge mich persönlich für meine Leute…“
„Jeder kann gebrochen werden. Jeder redet irgendwann.“ Es waren weniger Heydrichs Worte, als die kalte Gewissheit, die von Tauten kurz erschauern ließ. Er wollte gar nicht wissen, woher der Obergruppenführer seine Sicherheit hatte. Natürlich wusste er es trotzdem. Aber inzwischen zog er es vor, diese Aspekte der Geheimdienstarbeit den Einsatzagenten und der Gestapo zu überlassen: „Aber irgendjemand muss vor Ort die einzelnen Operationen koordinieren. Ich kann nicht ein volles Dutzend Observationsteams vollkommen unabhängig und isoliert voneinander mobilisieren, geschweige denn dieselbe Anzahl von Zugriffsteams. GANZ BESONDERS wenn dabei lokale Kräfte zum Einsatz kommen wollen. Das kann nicht alles von Berlin aus organisiert werden. Die dafür nötige Kommunikation über Kuriere und Funksprüche abzuwickeln wäre zu umständlich und zu unsicher. Wir brauchen jemanden in Amerika, der die einzelnen Operationen koordiniert, die Informationen abgleicht und nötigenfalls Sofortmaßnahmen einleiten kann.“
„Vermutlich haben Sie Recht. Sie kennen ihre Möglichkeiten vermutlich am Besten. Tun Sie, was immer Sie für nötig halten. Solange dieser Koordinator fähig und zuverlässig ist. Solange er nicht weiß, wozu wir diese Männer und Frauen beobachten und gegebenenfalls festsetzen wollen… Wir brauchen jemanden, der unsere Befehle ohne Fragen präzise ausführt. Der sich nicht durch die Gefahr oder Ungewissheiten beunruhigen lässt. Der mit vollem Einsatz dabei ist, auch wenn er das Endziel nicht kennt. Mit anderen Worten, wir brauchen einen Soldaten.“ Reinhardt Heydrich grinste bei diesen Worten boshaft.
„Ich glaube, ich habe den geeigneten Mann für diese Aufgabe. Er ist Hauptmann, hat langjährige Einsatzerfahrung. Beste Kenntnisse der englischen Sprache. Und außerdem hat er auch noch eine Stoßtrupp- und Fallschirmjägerausbildung absolviert und ist ein erstklassiger Pilot. Er kennt sich in der amerikanischen Szene aus, gerade auch in den…na ja, etwas fragwürdigeren Schichten.“
Der Obergruppenführer fixierte von Tauten wachsam. Seine Stimme hat auf einmal einen irritierend lauernden Unterton: „Und wer ist dieser Wunderknabe?“
„Ernst von Stahlheim. Wir haben ihn gerade von einer Erkundungs- und technischen Akquisitionsoperation abgezogen. Er hat dabei alle in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, und sogar noch mehr als das. Und das unter Bedingungen, die anderen Agenten wahrscheinlich mehrfach das Leben gekostet hätten. Er ist absolut loyal. Und mehr als fähig. Er kann Befehle befolgen – aber vor allem, er kann auch denken. Sich einer veränderten Situation anpassen, mit dem Unerwarteten umgehen. Ohne dabei sein Missionsziel aus dem Auge zu verlieren. Wenn Sie seine Dienstakte sehen wollen…“ Von Tauten war sich bewusst, dass er vielleicht etwas dick auftrug. Aber im Prinzip, im Prinzip stimmte es doch, oder?
„Ja, das könnte interessant sein. Solche Leute findet man selten. Man muss sehr sorgfältig mit ihnen umgehen.“
„Außerdem brauchen wir am besten noch einen amerikastämmigen Verbindungsmann. Jemand, der in dieser Kultur geboren ist. Jemand mit direkten Kontakten zum organisierten Verbrechen. Zufälligerweise haben wir gerade jemanden mit den nötigen Fähigkeiten von ihrem bisherigen Posten abgezogen.“
„Ihrem?“
„Ja. Wir setzen auch Frauen ein. Sie haben sich als zuverlässig erwiesen. Und sind häufig unauffälliger und leichter zu führen, als Männer. Sie heißt Elisabeth O’Conner.“
„Hmm..., es sind Ihre Leute. Sie kennen sie. Glauben Sie, von Stahlheim und O’Conner können miteinander?“
Arnim von Tauten musterte seinen Gegenüber wachsam. ‚Und was genau meinst du damit?’ Er hatte da so seine Vermutung, was von Stahlheim und die irische Abwehr-Agentin anging. Aber woher sollte ausgerechnet das RSHA etwas davon wissen? Wahrscheinlich sah er inzwischen Gespenster: „Sie haben bisher gut zusammengearbeitet.“
„Nun, die genauen operativen Einzelheiten überlasse ich Ihnen. Solange diese beiden Ergebnisse bringen.“
„Dessen bin ich mir bewusst.“
„Also, auf eine gute Zusammenarbeit. Auf das Gelingen des Unternehmens Ragnarök.“
Nach kurzem Zögern ergriff Arnim von Tauten die ausgestreckte Hand. Kurz musste er an eine ganz bestimmte Szene in Goethes ‚Faust’ denken. Aber dann verwarf er diesen abwegigen Gedanken. Schließlich tat er nur seine Pflicht. Und befolgte Befehle.
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Finsternis. Stille. Ein Gefühl der Taubheit. Was war passiert? Was zum Henker war nur passiert?
Finsternis wich. Machte einem zaghaften Lichtschimmer Platz. Taubheit wich einem stechenden, brennenden Gefühl. Ach ja, Schmerz. Das war definitiv Schmerz.
Licht wurde greller, aber blieb merkwürdig verschoben. Geräusche bahnten sich ihren Weg. Leise Geräusche, die dennoch wie kleine Hämmer wirkten.
Das Brennen wurde stärker, verriet die Positionen der verschiedenen Gliedmaßen. Alles noch dran? Schwer zu sagen. Schwer zu bestimmen, halb im Dunkel des Vergessens gefangen, halb allein gelassen.
Dann der Moment, die Erkenntnis, die Angst, dieser laute Knall, der Sturz! "JEROME!"
"Whowhowhow! Langsam, Cowboy, langsam!", rief eine aufgeregte Stimme und stoppte die Aufwärtsbewegung, die heißen, willkommenen Schmerz sandte. Durch ihn hindurch, durch die Gliedmaßen. Alles noch da. Er lebte. Irgendwie.
Langsam wurde er nach hinten gedrückt, bekam ein Gefühl für ein Kissen, für eine weiche Matratze. Jemand zog eine Decke über ihn.
"Können Sie mich verstehen, Dave?"
Dave. War das sein Name? Konturen schälten sich aus dem Licht, wurden schärfer. Er kannte das Gesicht über sich nicht, wenngleich es die scharfe Grenze der Attraktivität überschritten hatte. Er merkte sich so etwas. Eine Frau. Gut. Welche? Die Stimme hatte etwas bekanntes.
Dave? Er war Dave? Langsam nickte er.
"Versuchen Sie sowas nicht noch mal. Sie haben ein paar schwere Operationen hinter sich. Und danach haben Sie eine Woche wie tot geschlafen." Die Frau feixte ihm zu. "Ich dachte schon, ich bekomme keine Gelegenheit mehr, mich bei Ihnen zu bedanken, Armstrong. Sie und Ihre Leute haben uns echt den Arsch gerettet."
Er blinzelte, bis Verständnis einsetzte. "Captain... Milton."
"Oh, ich fühle mich geehrt. Sie haben Recht. Ich bin die Anführerin dieses Desasters, das beinahe meine Truppen und die ganze Stadt verschlungen hätte. Wäre es meinen Leuten wirklich gelungen, Sie wegzuschicken, Dave, dann wären wir jetzt alle tot und gefickt. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge."
Dave versuchte zu lächeln, aber es bereitete ihm Schmerzen. Mehr als sein Arm. "Was... passiert?"
Milton lächelte freundlich. "Sie haben überlebt. Jerome nicht."
Interesse flackerte in Dave auf. Michael Jerome. Der Vandale. Das Monster. Der Verbrecher, Mörder, Triebtäter und Dämon. Tot. Endlich tot. Er seufzte tief und innig. Für einen winzigen Augenblick fand er inneren Frieden. "Meine... Leute?"
"Hat es recht übel erwischt, aber Ihr Steel hat alles zusammengehalten. Er hat sich nach der Schlacht verabschiedet und ist in die Industrials geflogen." Milton runzelte die Stirn. "Er weiß nicht, dass Sie noch leben, Armstrong. Eigentlich wissen das nur eine kleine Handvoll. Einmal die kleine Japanerin, die Jerome mit dem MG ihres Hoplits zerfetzt hat, um Sie zu retten, dann Ihr Zigarrenkapitän, und darüber hinaus nur noch ich. Vielleicht noch einige wirklich vertrauenswürdige Leute an Bord." Sie machte eine abschweifende Geste. "Sie wurden schwer verletzt. Haben sich beim Absturz was gebrochen. Dann hat Jerome, möge er in der Hölle langsam braten, Ihnen zwei Kugeln verpasst. Eine in die Schulter, und eine in den Kopf. Fragen Sie mich nicht, wie Sie das überleben konnten. Jedenfalls hat Blue mich unter Ausnutzung aller Gefallen darum gebeten, mich um Sie zu kümmern, ohne jemandem zu verraten, wen ich hier verarzte."
Langsam und nachdrücklich machte es Klick in seinem Kopf. "Ah... Vater."
"Wenn Sie den neuen Ersten Vorsitzenden von Colt Aviation meinen, Richard Campbell, dann haben Sie Recht. Er hat persönlich eine telegraphische Anweisung für einen Juri Andropow gesendet. Zwanzigtausend Greenbucks. Für uns gab es die gleiche Summe zusammen mit der nachdrücklichen Bitte, Ihr Überleben zu verschweigen. Es scheint mir als wüssten Sie, warum das Sinn macht."
Dave lächelte matt. Es jagte eine Schmerzwelle durch seinen Körper, aber es fühlte sich dennoch gut an. Sehr gut sogar. "Habe... Feinde... Als Stone... Und als... Marquardt... Schätze, Dad... Schusslinie."
"Feinde? Sie meinen mehr als Jerome?" Amüsiert zog die Pilotin eine Augenbraue hoch. "Haben Sie Gengis Khan angepisst, oder was?"
Dave schüttelte den Kopf. "Nein... Staaten... Deutschland... Japan... Russland... England... Mexico..."
Indigiert wanderte auch ihre zweite Augenbraue nach oben und legte ihre Stirn in Falten. "Okayyyy, ich glaube ich kann verstehen, dass es dann Sinn macht, der Welt vorzugaukeln, dass Sie tot sind. Vor allem weil man nicht weiß, wer aus Ihrer Mannschaft dicht hält und wer zum plaudern neigt."
Dave nickte knapp. Es gab eine Handvoll Leute, für die er die Hand ins Feuer gelegt hätte. Sam natürlich, Steel zum Beispiel, Max und Pete, Blue... Gallagher und Happy nicht zu vergessen. Aber wahrscheinlich war es eine gute Idee gewesen, so wenigen Leuten wie möglich zu stecken, dass es durchaus noch etwas gab, was Armstrong genannt wurde.
"Freuen Sie sich. Durch Ihren Heldentod wurden Sie eine Ikone der Fliegerkunst in Nordamerika. Eine richtige Legende. Angeblich will man sogar einen Film über Sie und die NORTH drehen. Aber was den Rest von Armstrong angeht, der hier vor mir im Bett liegt, der heißt ab sofort Juri Andropow, ist russischer Deserteur, der in einer von Armstrongs zusammengeschusterten Geschwadern geflogen ist und nun nur noch eine Aufgabe hat: Nämlich gesund zu werden. Bis Sie aufstehen und herumlaufen, geschweige denn wieder fliegen dürfen - wenn überhaupt - können noch Wochen vergehen. Sie waren ziemlich übel dran, mit dem Blutverlust und all dem Fieber und so. Man hat mir gesagt, dass Ende des Monats jemand aus Houston kommen wird, um mit Andropow zu sprechen." Sie musterte ihn interessiert. "Lassen Sie den Bart stehen. Ist ne schöne Tarnung, Juri. Versuchen Sie jetzt zu schlafen. Es ist noch ein langer Weg für Sie, und es lohnt nicht, sich jetzt schon zu verausgaben." Sie hob die Hand, um ihm auf die Schulter zu klopfen, zog sie aber wieder zurück. Teufel, wie schlimm sah er eigentlich aus?
"Ich schaue morgen wieder rein, Armstrong. Gute Nacht."
Sie verließ sein Bett und trat aus dem Zimmer. Dave musste nicht versuchen einzuschlafen. Die Müdigkeit holte ihn mit der gleichen Effizienz wie ein gieriger Ameisenlöwe sein Opfer.

***

Es wurden anderthalb Wochen, bis er sein Bett verlassen konnte, weitere zwei bis er wieder auf eigenen Beinen stand und eine Woche mehr, bis sein behandelnder Arzt ihm erlaubte, zumindest lange spazieren zu gehen. Mit dem Fortschritt seiner Genesung war er durchaus zufrieden, bedauerte aber für das rechte Auge nichts tun zu können. Seither trug Dave eine Augenklappe.
Wie Milton ihm empfohlen hatte, trug er jetzt Vollbart. Allerdings sorgsam gestutzt und in Form gebracht. Wasserstoffperoxid hatte sein Haar beinahe weißblond gemacht und kontrastierte nun wunderbar mit dem rotgoldenen Bart, einem Erbe seines normannischen Vaters. Die meiste Zeit der langweiligen Genesung verbrachte er mit lesen, essen und trinken, schlafen, Karten spielen und all jene spärlichen Berichte studierend, die es über die Schlacht über Hayson Mills zu ergattern gab. Sie waren nicht sehr ausführlich, aber immerhin boten sie Verlustlisten an. Es gab auch eine Aufstellung der von der LEVIATHAN geretteten Sklaven, unter ihnen ein höherer Sohn einer Chicagoer Geschäftsdynastie. So gelang es ihm nach und nach den Schlachtverlauf zu rekonstruieren. Teufel, die Einheit schuldete Steel wohl ihr Leben und ihre Existenz, auch wenn der alte Haudegen wieder alles auf eine Karte gesetzt hatte.
Die Welt an sich schien seinen Tod zu akzeptieren. Das war wahrscheinlich gut so. Sogar ziemlich gut, wenn er bedachte, wie angepisst zum Beispiel Deutschland noch immer auf ihn war. Hoffentlich neigte keines der Länder dazu, diese Antipathie auf Max und Pete auszudehnen. So wie er jetzt war, konnte er ihnen schlecht helfen.
Exakt am Ende der Woche war tatsächlich der avisierte Mann aus Houston eingetroffen, im Diplomatentäschchen einen versiegelten Umschlag in Ölpapier, auszuhändigen nur an Juri Andropow direkt. Es hatte weitere dreißigtausend Dollar enthalten, einen der teuren Anzüge, die Annie ihm damals in den besseren Tagen gekauft hatte sowie ein weiteres Kuvert mit einem aufschlussreichen Brief. Richard Campbell hatte ihm darin den Auftrag erteilt, erstens weiterhin tot zu bleiben und zweitens bis zum achtzehnten des Folgemonats nach Sky Haven zurück zu kehren.
Dave war klar, dass der alte Mann mit ihm noch nicht fertig war. Noch lange nicht. Die Frage war nur, versuchte Dick eine wie auch immer geartete Schuld an ihm abzutragen, oder wollte er Armstrong haben, den Piloten?
Nach einer weiteren Woche fühlte sich Dave in der Lage, selbstständig zu reisen. Er spuckte kein Blut mehr, und zu seiner großen Überraschung hatte sein Arzt ihm tatsächlich etwas Wodka zugestanden - wohl ein Fehler dieser neuen Identität. Auf jeden Fall hatte er sich in der kleinen Stadt nahe des Milizstützpunkts neu eingekleidet, sich die Haare einem Geschäftsmann gemäß schneiden lassen und sich reisefertig gemacht, mit fast fünfzigtausend Greenbucks im Gepäck. Zum Glück hatte seine gute alte Luger den Absturz mit ihm überlebt, und das würde schon reichen, um dieses mittlere Großvermögen und sein eigenes Leben zu schützen. Dennoch plante Armstrong, so schnell wie möglich einen einigermaßen vertraulichen Leibwächter anzustellen.
Was ihm darüber hinaus noch blieb war damit fertig zu werden, dass er noch lebte. Merkwürdig, er war sich so sicher, Annie gesehen zu haben, in jenem Moment als er glaubte sterben zu müssen. Wie sie sein Gesicht in seine Hände nahm und... Er schüttelte kurz den Kopf, um diesen Dämonen auszutreiben. Viele gute Piloten waren in diesem Kampf gestorben, vielleicht zu viele. Aber er hatte seine Rache bekommen, hatte Annie endlich Ehre gemacht. Hatte den Bastard zur Hölle geschickt, wenngleich nicht mit eigenen Händen. Dennoch war jeder Tote einer, dessen Blut fortan an seinen Händen kleben würde. Seinen! Er seufzte schwer und innig und erhob sich.
"Sind wir dann soweit?", fragte Milton freundlich. Sie hatte sich bereit erklärt, Dave persönlich nach Atlanta zu fliegen, wo er - mit etwas Glück - tiefer ins Land kommen konnte. Irgendwo in der Nähe würde er dann seinen Flug nach Sky Haven bekommen. Fünf Tage hatte er dafür noch.
"Wir sind soweit." Er sah dabei zu, wie sein beachtliches Gepäck im Hoplit verstaut wurde, auch die Tasche, in der ganz unten sein kleines Vermögen ruhte, dann stieg er zu Captain Milton in die Kabine. "Danke fürs Mitnehmen, Captain."
"Ich bin von Natur aus großzügig, Mr. Andropow", erwiderte sie mit einem Zwinkern und zog die Mühle hoch. Für Dave bedeutete das den Aufbruch in eine neue Zeit. Doch eine Frage beherrschte ihn: Wann konnte er seine Freunde und seine Familie wiedersehen? So wie er Dick kannte, würde dieser Wunsch ihn Stücke seiner Seele kosten. Aber einer wie er, unter dessen Tragflächen bereits die Aufwinde der Hölle getobt hatten, konnte viel mehr riskieren als ein normaler Mensch. Und sicher auch mehr leisten. Er lächelte angespannt. Ruhiges Leben war einfach nichts für ihn.


Ende
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