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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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Etwas später, in Tokio:

„Das musst du dir ansehen, Richard.“
Der Angesprochene war ein hagerer Mann mittleren Alters, mit eckigen, aber nicht unattraktiven Gesichtszügen, einem schmalen, nachdenklichen Mund, dunklen Augen und Haaren. Er trug einen hellen Anzug bester Qualität, der dennoch etwas leger wirkte.
„Was ist es diesmal, Eugen? Ein japanisches Flottenmanöver? Fahren sich Marine und Armee mal wieder gegenseitig in die Parade? Oder hat die Kempaitai einen unserer Informanten enttarnt?“
Sein Gegenüber lachte jäh auf. Er war hoch gewachsen und schlank, mit bereits schütterem Haar. Im Gegensatz zu Richard trug er eine Uniform – eine deutsche Uniform: „Was du dir immer wieder ausdenkst! Stell dir das mal vor: wie es aussieht haben wir einen Spion bei einem texanischen Kaperer, der gerade die Russen in Alaska rupft.“
„Und? Ich meine, da weiß man doch gar nicht, wem man Glück wünschen soll – den Texanern, oder den Bolschewisten.“
„Das war nur die erste Hälfte der Geschichte. Denn jetzt hat dieser Kaperer den Auftrag bekommen, mit russischen Abzeichen einen Angriff auf einen japanischen Fliegerhorst zu starten.“
„Wollen die Texaner den nächsten Krieg anzetteln?“
„Sie fühlen sich wohl einfach in der Enge. Und da kommt man auf verrückte Ideen. Texas sieht sich immer mehr von Feinden umgeben. Die Tommies versuchen im Empire Fuß zu fassen, wir in den Industrials, die Franzosen in Louisiana, die Spanier in Mexiko und die Japaner in Hollywood. Die Japaner in einen ernsteren Konflikt mit den Russen zu stürzen bedeutet, Ressourcen von Hollywood abzuziehen…“
„Ich glaube nicht, dass das klappen wird. Für die Texaner sind die Japaner vielleicht ein Haufen von Idioten, die sich wegen der Ehre den Bauch aufschlitzen. Aber da täuschen sie sich. Die Marine und die Armee werden sich nicht mit solchen Manövern aus der Reserve locken lassen – außer sie wollen es.“
„Wahrscheinlich hast du Recht. Aber vielleicht starten die Japaner zumindest einen lokalen Gegenschlag. Und so was kann schnell eskalieren.“
„Wir sagen unseren Freunden nicht, was da tatsächlich abgeht?“
Eugen lächelte dünn: „Richard, die Frankfurter Zeitung hat an dir einen erstklassigen Journalisten und ich brauche dich hier, weil du nun mal die Japaner und Chinesen besser kennst, als jeder andere in meinem Stab. Aber du verstehst immer noch nicht, wie die Politik funktioniert.“
„Und deswegen bist du stellvertretender Botschafter und ich nur ein Schreiberling.“
„Mach dich nicht kleiner, als du bist. Aber wenn wir die Japaner vorwarnen, dann werden Sie eine Falle stellen. Wir gefährden damit nur unseren Agenten. Und es kann uns doch nur Recht sein, wenn die Japaner auf die Bolschewiken sauer sind. Irgendwann…“
„Eins nach dem anderen, Eugen. Ich weiß, was der Führer gesagt hat. Aber momentan haben wir nicht einmal eine Grenze zu Russland.“
„Das kann sich schneller ändern, als man denkt.“
Richard grinste etwas spöttisch und wechselte das Thema: „Und, was ist das für ein Mann, den wir bei den Texanern haben? Es ist doch ein Mann?“
„Ein echter Teufelskerl. Fallschirmjäger und Nahkampfausbildung, außerdem Fliegerass. Er war zu jung, um im Großen Krieg mitzumachen. Aber er war in Spanien und in der Mandschurei. Verdammt, manchmal wünsche ich mir…“
„Wir sind aus dem Alter raus, Eugen. Wir haben an der Westfront gekämpft – und ich glaube, wir haben uns einen etwas ruhigeren Posten redlich verdient. Was sagt eigentlich die RSHA zu der Aktion?“
„Gar nichts – und Sie werden das auch nicht erfahren. Ich will diese Prügelknaben nicht dabei haben.“
„Schon gut, Eugen. Ich bin ja auf deiner Seite.“
„Die Sache bleibt unter uns, also innerhalb der Abwehr. Ich brauche von dir eine Expertise – und das schnell – wie sich diese kleine Provokation auswirken könnte. Fallstudien, Eventualitäten, mögliche Implikationen. Der ganze Mist. Schaffst du das?“
„Die Frankfurter Zeitung kann auch ein wenig warten. Bis übermorgen hast du das Papier.“
„Danke, Richard.“
Der lächelte nur kurz, fast spöttisch: „Ich tue nur meine Pflicht. Wir sehen uns dann morgen.“
Als er ging, sah man, dass er leicht hinkte. Er verließ das Gebäude der deutschen Botschaft, das auch der hiesigen Abwehr-Zweigstelle diente. Der Mann schien allgemein bekannt zu sein, nahm sich die Zeit, Vorbeikommende kurz aber freundlich zu grüßen. Jeder schien ihn zu kennen.
Er war Journalist der Frankfurter Zeitung, Mitarbeiter der Abwehr und Parteimitglied der NSDAP. Und er war Agent der GRU, Leiter des Spionagerings ‚Ramsay’ und überzeugter Kommunist – Doktor Richard Sorge.

Der Angriff auf das Flugfeld mochte unbedeutend sein – seine politischen Implikationen aber waren es nicht, das war Sorge klar. Moskau musste informiert werden. Kurz wanderten Sorges Gedanken zu dem deutschen Agenten an Bord des texanischen Kaperers. Er wusste nur zu gut, unter welchem Druck Agent „Parsifal“ stehen musste. Wahrscheinlich war er, Richard Sorge, sogar der einzige Mann in der deutschen Botschaft, der wusste, was dies bedeutete. Einen Augenblick lang fühlte der Spion so etwas wie ein gewisses Gefühl des Verständnisses mit dem deutschen Agenten. Sie beide waren Kämpfer im Schattenkrieg, die fern der Heimat und auf sich alleine gestellt waren.
Aber damit endeten die Gemeinsamkeiten. ‚Parsifal’ arbeitete für die Faschisten und Richard Sorge würde tun, was in seiner Macht stand, um die Mission des deutschen Agenten zu vereiteln.
31.01.2020 19:23 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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In den nächsten zwei Tagen kam Steel kaum zum Schlafen. Zumindest nach außen hin schien er ausschließlich damit beschäftigt, den Angriff vorzubereiten.
Mit einem Nachtflug prüfte er noch einmal die Tauglichkeit seiner Piloten. Das Ergebnis stellte ihn zufrieden, auch wenn er es nicht zeigte. Die Piloten waren gut genug, um den Angriff fliegen zu können – aber wahrscheinlich nicht so gut, dass sie sehr präzise Schläge würden führen können. Und das konnte von Stahlheim nur recht sein.
An den Übungsflug schloss sich eine schonungslose Manöverkritik an. Aber das war nichts Ungewöhnliches.
Die Maschinen wurden in den Farben der russischen Luftstreitkräfte bemalt und noch einmal auf Herz und Nieren geprüft. Sam's Mechaniker lernten den hochgewachsenen Deutschen besser kennen – und fürchten – als ihnen lieb war. Steel akzeptierte weder Verzögerungen noch Entschuldigungen.
Jeder der Piloten erhielt ein spezielles „Überlebenspacket“, das unter anderem eine Leuchtpistole, eine Schwimmweste und neue, wasserabweisende Fliegerkombinationen beinhaltete – Beute von den gekaperten russischen Zeppelinen. Steel gelang es sogar, aus der Bordapotheke Vitamin-B-Pillen zu organisieren, die die Piloten der Staffel unter seiner Aufsicht schlucken mussten.
Außerdem erhielt jeder Pilot ein paar „Muntermacher“, die ihm über dem Ziel oder bei der Landung die nötige Wachsamkeit verleihen würden. Der Flug sollte sich immerhin über mehrere Stunden hinziehen, viel länger als die üblichen Einsätze. Steel hatte sich sogar mit dem Smutje kurzgeschlossen. Vor dem Start würden die Piloten eine gute Mahlzeit bekommen und für jeden hatte Steel außerdem ein „Fresspaket“ für den Flug zusammengestellt.

Mehrmals ging er mit den Männern und Frauen jede Einzelheit des Angriffs durch. Die Maschinen würden nach Mitternacht starten, um den Flugplatz in der Nacht angreifen und im Schutze der Dunkelheit flüchten zu können. Bei der Landung auf dem Zeppelin aber würden sie bereits wieder Tageslicht haben.
In dieser Hinsicht wollte Steel kein Risiko eingehen – die erschöpften, vielleicht sogar verwundeten Piloten mit ihren möglicherweise beschädigten Flugzeugen sollten bei guten Sichtverhältnissen landen. Der Angriff würde über eine recht große Entfernung geflogen werden. Das bedeutete zwar, dass die Maschinen Zusatztanks verwenden mussten, was die Bombenzuladung verringerte, doch dafür sank das Risiko, das die NORTH STAR von Patrouillenschiffen oder Flugbooten gesichtet wurde.
Der Angriff war bis in die kleinste Einzelheit ausgearbeitet. Er würde aus verschiedenen Richtungen und genau choreographiert erfolgen. Zuerst sollten Steel und Max angreifen, die die besten Nachtflieger der Staffel waren. Dann würden die Avenger angreifen. Sie zwar gut bewaffnet, aber nur relativ leicht gepanzert. Deshalb würden sie nur einen Angriff fliegen und dann über dem Flugplatz die Rückendeckung übernehmen, während letzten beiden Maschinen den Fliegerhorst attackierten, unterstützt von Steel und Max. Der Angriff sollte nicht mehr als ein, maximal zwei Minuten dauern, direkte Schusswechsel mit feindlichen Jägern oder der Flak möglichst vermieden werden. Steel hatte jedem Piloten noch einmal eingeschärft, dass er weder Extratouren noch übertriebene Schneidigkeit wollte – sondern alle Maschinen sicher wieder im Hangar.
Der Rückzug sollte einzeln und aufgefächert erfolgen, um eventuellen Horchposten oder Beobachtern die Ermittlung der Rückflugroute zu erschweren. Erst an der Küste würden die Maschinen wieder einen Flugverband bilden.
Steel hatte sich auch sehr intensiv mit der Frage der Kampfmittelbestückung beschäftigt. Wegen der für den Langstreckeneinsatz nötigen Treibstoffmenge trugen die Maschinen keine Raketen für den Luftkampf.
Die Fury und die Devastator schleppten stattdessen neben den Zusatztanks je eine 113-kg-Bombe unter dem Rumpf. Die Avenger hingegen waren mit je zwei 227-kg-Bomben bestückt, die Vampire trug sogar vier. Sollte es jedoch noch vor dem Erreichen des Flugplatzes zu einem Zusammenstoß mit japanischen Fliegern kommen, so hatten die Piloten strikte Anweisung, die Bomben zu lösen und sich sofort zurückzuziehen. Aber dieser Fall war nicht sehr wahrscheinlich. Die Japaner hatten zwar erstklassige Jagdflieger, aber kaum Nachtjäger. Nur die Elitegeschwader hatten entsprechend ausgebildete Piloten – und die Garnisonstruppen auf den Aleuten gehörten nicht gerade zur Elite.
Sobald all dies geregelt war, boxte Steel für seine Piloten ein paar Freiwachen durch. Er wollte nur absolut ausgeruhte und fitte Leute beim Flug dabei haben. Sein Drang nach Perfektionismus mochte dem ein oder anderen an Bord vielleicht übertrieben erscheinen, aber Steel kümmerte dies wenig. Auch wenn er wenig von dem Einsatz hielt, er wollte keine Leute verlieren. Er wollte keinen Angriffspunkt für Kritik oder Verdächtigungen liefern. Es waren sowieso zu viele Leute mit Phantasie an Bord und Steels Position war keineswegs unumstritten...

Nach seinem Dafürhalten hatte von Stahlheim alles getan, um ein Gelingen der Operation zu gewährleisten. Aber er war lange genug im Einsatz gewesen – als Pilot und als Agent – um zu wissen, dass fast zwangsläufig irgendwelche Probleme auftreten würden. Und er hatte sich darin nicht getäuscht.

Es war der Tag vor dem Start. Es dämmerte bereits, die meisten Piloten der Staffel schliefen jetzt – in acht Stunden würden sie abheben. Von Stahlheim inspizierte noch einmal – sehr zu Sams Verdruß, die dies als Mißtrauensvotum gegen ihre Leute wertete – die Maschinen seiner Staffel.
Während Steel sich unter eine der Devastators beugte, hörte er sich rasch nähernde Schritte – und sie kamen hierher. Gewandt, doch ohne unnötige Eile drehte er sich um und richtete sich auf. Der sich nähernde Matrose grüßte locker und sprudelte hastig seine Meldung hervor: „Sie sollen zum Funkraum. Sie können doch Deutsch, oder? Der Funker will den Commander nicht wecken.“
„Können Sie verdammt noch mal nicht anständig Meldung machen?! Vergessen Sie's - ich bin auf dem Weg.“ Ohne ein weiteres Wort ließ er den abgekanzelten Matrosen stehen.

Der Funkraum der NORTH STAR war nicht sehr groß. Wenn die Funkstation mit zwei Mann voll besetzt gewesen wäre, dann war kaum noch Platz zum Umdrehen. Doch momentan tat nur ein Funker Dienst, der frustriert in seine Kopfhörer lauschte und immer wieder ungeduldig zur Tür sah. Als Steel eintrat, atmete der Funker erleichtert auf: „Da sind sie ja endlich!“
„Sind sie in den Wetterfunk der japanischen Marine eingebrochen?“
„Das soll wohl ein Witz sein? Nein, aber ich habe vielleicht etwas Besseres gefunden. Da draußen muss ein deutsches Walfangmutterschiff sein. Sie geben gerade die Wetterdaten an die Fangboote durch, glaube ich. Hören Sie mal.“
Von Stahlheim presste den Kopfhörer gegen sein Ohr und lauschte konzentriert. Nach wenigen Augenblicken verfinsterte sich seine Miene: „Wecken Sie den Commander.“
„Aber der ist eben erst von der Patrouille zurück. Er schläft.“
„Dann wecken Sie ihn, Sie Idiot! Es ist wichtig!“

Nur fünf Minuten später erschien ein sichtlich verschlafener Armstrong in der Funkkabine. Während er seine Kleidung in Ordnung brachte, hörte er zu, wie Steel mit ausdrucksloser Stimme Meldung machte: „...ruhige See, wenig Wind. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass über dem Zielgebiet bis zu 75 Prozent Wolkendecke gemeldet werden. Wolken und Nebel. Nicht gerade unüblich für diese Gegend. Aber...“
„Wollen Sie den Start verschieben?“
Steel schien zu überlegen, schüttelte dann aber den Kopf: „Zu riskant. Wir dürfen nicht zu lange hier rumgurken. Wenn einer der Marinepatrouillen uns sichtet, dann können wir ihren Einsatz gleich vergessen. Und haben Glück, wenn sie uns keine Jagdflieger auf den Hals hetzen. Sie reagieren sehr empfindlich auf unidentifizierte Eindringlinge.
Nein, wir müssen es diese Nacht durchziehen.“
„Das wird nicht einfach werden.“
„Wann ist es das schon einmal. Damit fällt allerdings der Anflug in Bodennähe weg. Ich will niemanden im Nebel verlieren.“
„Und wie wollen Sie den Angriff dann koordinieren? Sie werden blind durch die Wolkendecke stürzen müssen.“
Steel überlegte kurz, dann schien er eine Idee zu haben: „Ich brauche Leuchtbomben. Oder, wenn wir die nicht haben, eben Brandsätze. Ich leuchte das Ziel aus. Die anderen orientieren sich dann daran, stoßen durch die Wolkendecke und werfen ihre Bomben auf Sicht.“
„Klingt riskant.“
„Das ist der Krieg nun mal.“
„Genug mit den Plattitüden. Glauben Sie, dass sie die Eier präzise genug setzen können?“
„Ja. Ich wäre auch schwer enttäuscht, wenn nicht.“ Steels Stimme klang zynisch, aber selbstsicher. Armstrong musterte den Staffelführer kritisch, suchte nach Anzeichen, dass diese Selbstsicherheit nur vorgetäuscht, nur Angabe war. Aber wie immer fiel es ihm schwer, in dem kantigen, ausdruckslosen Gesicht des Deutschamerikaners zu lesen: „Also gut. Es ist Ihr Flug. Sagen Sie Sam Bescheid.“
Steel grinste sarkastisch und salutierte spöttisch: „Die wird sich freuen...“
„Und Steel – Sie sollten auch noch etwas schlafen. Sie werden es brauchen – immerhin sollen Sie die Ziele markieren. Nehmen Sie das als Befehl.“

***

Acht Stunden später

Jetzt war es soweit. Die Piloten standen in einem lockeren Halbkreis um Steel versammelt, wirkten unförmig, gesichtslos mit ihren schweren Kombinationen, den dicken Fliegerhauben. Steels Stimme klang ruhig und beherrscht, aber hart. Sein deutscher Akzent war sehr deutlich: „Es herrscht Funkstille. Gesendet wird nur im äußersten Notfall, verstanden? Wer Mist baut, den erwürge ich mit seinem eigenen Funkkabel.
Haltet die Formation – und die Augen offen. Unser Job ist, schnell rein und wieder raus zu kommen – also ist Präzision und Schnelligkeit entscheidend. Guten Flug – und kommt heil wieder zurück.
Das war alles – weggetreten.“
Ohne ein weiteres Wort drehte sich Steel um und rannte zu seiner Maschine. Kurz winkte er zu dem Commander hinüber, der mit einigen anderen Piloten am Rande des Hangars stand und den Start beobachtete.
Trotz der schweren Kombination kletterte von Stahlheim gewandt in das enge Cockpit seiner Kabine und schloss die Kanzelverglasung.
Eine nach der anderen starteten die Maschinen des Dog Pack, formierten sich zu einer lockeren Formation und verschwanden in der Dunkelheit. Das Zeppelin, ihre Heimat, blieb zurück.
Im Cockpit der Fury unterdrückte von Stahlheim einen Fluch. Er hatte diesen Einsatz nicht gewollt und er hatte kein gutes Gefühl dabei. Aber es gab kein Zurück mehr...

***

Etwa drei Stunden später

Die Maschinen flogen in einer lockeren Kette, hielten Sichtkontakt, ohne sich gegenseitig zu behindern. Sie flogen schweigend, denn es bestand immer die Gefahr, dass ein Funkspruch aufgefangen wurde. Die Aleuten waren militärisches Sperrgebiet, besetzt und kontrolliert von den japanischen Streitkräften, die auf den unwirtlichen Eilanden Vorposten errichtet hatten, die sowohl gegen die Sowjetunion, als auch gegen die amerikanischen Staaten gerichtet waren.

Steels Jäger befand sich natürlich an der Spitze der Formation. Er traute keinem der Piloten, nicht mal Max, zu, bei einem Langstrecken-Nachtflug ohne Funkfeuer und Einweisung vom Boden aus das Ziel mit der nötigen Akuresse zu finden. Es war kalt im Cockpit, trotz der laufenden Heizung und der dicken Fliegerkombination fror Steel – die Maschinen waren eben nicht für die Verhältnisse so nahe am Polarkreis konstruiert worden, und alle Nachbesserungen mit Bordmitteln konnten daran nichts ändern. Von Stahlheim bewegte reflexartig die Hände, die in schweren Handschuhen steckten und warf einen Blick auf die Instrumente. Nach seiner Kalkulation verlief bisher alles nach Plan. Das Wetter war gut – den Umständen entsprechend. Kaum Wind, das vereinfachte die Navigation. In dieser Höhe war es zwar kalt, aber klar. Und wenigstens war es noch nicht so kalt, dass die eher provisorischen Enteisungsanlagen den Geist aufgaben. Denn dann hätten sie umkehren müssen – wenn sie nicht ganz einfach irgendwann mit leeren Tanks, fern jeder Landebahn, vom Himmel fielen. Es hatte solche Fälle schon gegeben.
Die Treibstoffvorräte nahmen ab, aber nicht stärker als berechnet. Noch ein Indiz dafür, dass alles nach Plan verlief. Momentan wurden die letzten Liter aus den voluminösen Zusatztanks gesaugt, die unter den Tragflächen der Fury hingen. Steel wartete noch ein paar Sekunden, dann klinkte er die leeren Treibstoffbehälter ab, die jetzt nur noch zusätzliches Gewicht und Luftwiderstand waren. Die Maschine machte einen kleinen Satz, aber Steel glich das sofort wieder aus. Mit den Zusatztanks, zwei 45-kg-Brand und zwei 25-kg-Leuchtbomben war der Jäger bis an die Grenze seiner Belastbarkeit beladen gewesen. Deshalb war Steel froh, die Zusatztanks los zu sein.
Aus dem Funkempfänger drang dünn, aber vernehmbar die Stimme des Bordfunkers des Walfangmutterschiffs „Weddingen“. Pünktlich wie ein Uhrwerk funkte er den verstreuten Fangbooten die Wettermeldungen. Von Stahlheim grinste kurz und humorlos. Er war sich der Ironie der Situation nur zu bewusst. Ohne zu wissen, half der deutsche Funker einem deutschen Abwehrargenten, der mit einer als russisch maskierten texanischen Korsarenstaffel ein japanisches Flugfeld angreifen sollte. Es war grotesk.
Das Lächeln erstarrte zu einer hässlichen Grimasse. Dies war kein Spiel. Er würde die Soldaten eines Verbündeten angreifen. Das war keine Kleinigkeit. Das war ein Alptraum. Ein Alptraum, der zudem darauf abzielte, einen Krieg anzuzetteln. Ein Krieg, von dem von Stahlheim nicht ermessen konnte, was er eventuell für Deutschland bedeutete. Auch wenn der Abwehragent nicht wirklich glaubte – nicht glauben wollte – das die reichlich verstiegenen Pläne der Texaner aufgehen würden, die Gefahr bestand. Von Stahlheim hasste es, nicht Herr der Lage zu sein. Obwohl er sich inzwischen eigentlich daran hätte gewöhnen müssen…


Er warf wieder einen Blick auf die Instrumente – und dann nach Draußen, in die Nacht. Sogar seine geübten Augen hatten Schwierigkeiten, die anderen Maschinen der Formation zu finden. Aber anscheinend waren noch alle in Formation. Das war gut – denn eigentlich musste jeden Augenblick die Küste von Unalaska auftauchen. Diese Insel der Aleuten war nicht gerade das Herzstück der japanischen Garnison hier oben im Norden. Das Eiland beherbergte nichts als ein kleines Aerodrom, einen Hafen, den allerdings nur Schiffe bis zur Zerstörergröße anlaufen konnten, und eine Art Vorposten mit einer Batterie 10-Zentimeter-Geschütze, die den Hafen beschützten.
Da war die Küste, direkt voraus, kaum zu erkennen. Denn wie von der „Weddingen“ mit deutscher Präzision und Gründlichkeit vorausgesagt, Nebel und niedrige Wolken verhüllten die Kette der Aleuten-Inseln fast vollständig.
Steel zog den Steuerknüppel leicht an, die Maschine stieg. Mit einer gewissen Verzögerung folgten die anderen Flugzeuge. Die Formation zerfranste sichtlich. Von Stahlheim presste die Lippen zusammen. Nur die von ihm selber angeordnete Funkstille bewahrte die anderen Piloten vor einer Standpauke.
Doch er vergaß seine Verärgerung fast wieder sofort. Er hatte die Küste nur kurz gesehen. Aber in Verbindung mit den Karten und seinen Erfahrungen im Nacht- und Blindflug würde das reichen müssen. Unwillkürlich packte er den Steuerknüppel fester, während er gleichzeitig die Geschwindigkeit verringerte. Jetzt war vor allem Präzision gefragt. Es währe recht kontraproduktiv gewesen, wenn die Staffel ein paar Mal über das Aerodrom hinweg flog, bevor sie es fanden. Die hiesigen Garnisonstruppen mochten vielleicht nicht gerade zur Elite gehören – SO verschlafen waren sie aber auch nicht.

Nicht viel mehr als eine Minute später war es dann soweit – glaubte zumindest Steel. Wenn seine Berechnungen stimmten. Er warf der nächsten Maschine der Formation einen Blick zu, wackelte kurz mit den Flügeln – das verabredete Zeichen – und tauchte nach unten weg.

Fast sofort sank die Sicht auf Null. Kurz kämpfte Steel mit dem automatischen Reflex, den Steuerknüppel wieder zurückzuziehen. Seine Augen klebten förmlich am Höhenanzeiger. Bei solchen Manövern, dem Durchstoßen einer niedrigen Wolkendecke, hatten sich schon ganze Staffeln in den Boden graviert.
Dann war er durch, brachte die Maschine in einen sanften Sinkflug, während er sich umsah. Wo war das Flugfeld?
Zuerst glaubte er, sich verrechnet, das Flugfeld übersehen zu haben. Doch dann erblickten seine fieberhaft suchenden Augen am Boden vertraute Formen: asphaltierte Landebahnen, ein, zwei flache Gebäude – und das da drüben mussten die Hangar sein. Vermutete er. Das Gesicht des deutschen Agenten verzerrte sich vor Anspannung, als er sein Ziel anvisierte. Die Finger schlossen sich um den Bombenabwurfknopf…

Max legte die Maschine in eine flache Kurve und fragte sich zum bestimmt zehnten Mal, wann sich Steel endlich melden würde. Sie war von dem Staffelführer im Verlauf der letzten Monate zu so etwas wie seinem Stellvertreter aufgebaut worden, was allerdings keine weiteren Privilegien, sondern vor allem zusätzliche Arbeit bedeutet hatte.
Das hatte dazu geführt, dass sie jetzt den Angriffsbefehl geben würde. Wenn endlich das erwartete Signal zu sehen war. Kurz stieg in ihr Zweifel auf. Was, wenn die Wolkendecke einfach zu dicht war, um das Signal zu erkennen? Was, wenn Steel sich einfach verflogen, oder sogar abgestürzt war. Was…
Das Aufblitzen der Leuchtbomben unterhalb der Wolken schnitt diese Gedanken ab. Das war das vereinbarte Signal. Max fasste den Steuerknüppel fester und schaltete den Funk ein: „NASTUPLENIE!!“ Angriff!!
Die Maschinen fielen wie Steine durch die Wolken. Der Angriff begann.

Der Platzkommandant hatte vielleicht die Tarnung der Landebahnen und Hangars vernachlässigt. Doch im Bereich der Flugabwehr war er weniger saumselig gewesen. Als die Jagdflugzeuge über dem Flugplatz erschienen, hämmerten bereits die ersten Flaks los.
Von Stahlheim war mit dem Ergebnis seines Angriffs zufrieden. Er hatte die Leucht- und Brandbomben nahe genug am Platz gesetzt, um seinen Piloten den Weg zu weisen. Präzise genug, um glaubhaft zu sein. Aber andererseits doch nicht so zielgenau, dass das Flugfeld vollständig ausgeleuchtet wurde.
Sobald er die Bomben abgeworfen hatte, hatte er die Maschine kurz hochgezogen, war in einer scharfen Kurve umgedreht und hatte das Feuer mit den Maschinengewehren eröffnet. Die Garben der 30er und 40er Mg’s streuten über die Landebahn, ohne groß Schaden anzurichten – aber darauf kam es ja auch nicht an.
Dann fielen die Bomben der zweiten Welle. Die Avenger waren aus allen Rohren feuernd aus den Wolken aufgetaucht, noch ehe sich die Flughafenflak richtig einschießen konnte. Die Piloten warfen ihre Bomben ab, streuten wahllos mit ihren Bordwaffen über den Platz, und zogen dann steil wieder hoch.
Die vier Bomben richteten nur moderate Schäden an – einer der Hangars erhielt allerdings einen Volltreffer und flog regelrecht in die Luft.
Dann waren die Avenger auch schon wieder in den Wolken verschwunden. Steel wollte nicht, dass die eher leicht gepanzerten Jabos am eigenen Leib erfuhren, wie präzise die Kanoniere der leichten Flak schossen.
Bisher schossen nur einige Maschinengewehre und leichte Kanonen – die berüchtigten Fünfundzwanzig-Millimeter-MK’s der Japaner. Der Flugplatz schien weder über schwere Kaliber, noch über Flugabwehrraketen zu verfügen.
Steel riss die Maschine scharf zur Seite, als die Leuchtspurgarben einer MK unangenehm nahe an seinem Cockpit vorbeizischten – und geriet mitten in einen der plötzlich aufleuchtenden Flakscheinwerfer. Ein paar Augenblicke war er geblendet, praktisch blind. Irgendetwas schien die Maschine am Heck zu packen und durchzuschütteln – er wurde beschossen!
Geistesgegenwärtig warf er das Flugzeug auf die Seite, ließ es zu Boden trudeln, nur um es sofort in eine scharfe Kurve zu reißen. Tatsächlich gelang es ihm, den Scheinwerfer loszuwerden. Das Maschinengewehr, das ihn beschossen hatte, verlor sein Ziel.

Jetzt tauchten die Maschinen der zweiten Welle auf – und flogen mitten in einen Sturm aus Licht und Feuer. Vier Flakscheinwerfer tasteten durch die Dunkelheit. Ihr Licht wurde von den niedrigen Wolken reflektiert, tauchte in den Flugplatz in ein graues Zwielicht. Zwar erleichterte dies den Piloten die Orientierung – doch dafür hoben sich die Maschinen auch als deutlich erkennbare Ziele ab. Fast ein Dutzend Maschinenkanonen und Mg’s feuerte aus allen Rohren, während die Soldaten aus den Mannschaftsquartieren und Wachräumen hasteten, viele fast nackt.
Aber es waren Soldaten der japanischen Marine. Wer von ihnen ein Gewehr, eine Pistole zur Hand hatte, eröffnete das Feuer auf die Angreifer. Schreie und Befehle gellten über den Platz, ertranken in dem Dröhnen der Bombenexplosionen, dem Hämmern der Maschinenwaffen, den Schüssen aus Gewehren und Pistolen.

Max war überrascht über die Heftigkeit des Abwehrfeuers. So etwas hatte sie nicht erwartet, nicht auf einem derart zweitrangigen Flugfeld. Und sie hatte das unangenehme Gefühl, das jeder der Schüsse auf sie gerichtet war. Überall blitzte Mündungsfeuer auf. Sie konnte die Maschine des Staffelführers nicht erkennen – bis eine Reihe von Benzinfässern explodierte. Steels Fury schien praktisch durch die auflodernden Flammen zu schießen, drehte sich dabei leicht, stieg auf und stieß dann wieder auf den Boden hinab.
Rings um sie explodierten die Bomben der zweiten Welle. Ihr eigener Wurf allerdings verfehlte das Ziel, denn als sie auf den Auslöser drücken wollte, packte irgendeine rohe Gewalt die rechte Tragfläche ihrer Devastator, rissen sie aus ihrer Flugbahn. Als sie den Steuerknüppel herumriss, legte sich die Maschine fast auf den Rücken. Erst ein hastiges Gegensteuern stabilisierte sie wieder, dann riss sie die Maschine in eine 180-Grad-Kehre. Da! Sie sah ein einzelnes Fahrzeug, mitten auf einer der Landebahnen. Der Wagen hatte ein Maschinengewehr aufmontiert und schoss immer noch hinter ihr her. Sie kniff wütend die Lippen zusammen – was bildeten sich diese Japse eigentlich ein?! Der Befehl des Staffelkapitäns war vergessen, als sie den Jeep aufs Korn nahm und mit feuernden Bordwaffen ihren Anflug startete.
Die Soldaten in dem Wagen mussten den Angriff kommen sehen. Aber sie versuchten nicht zu fliehen, sie hielten ihre Stellung. Die Einschläge schüttelten Max durch. Das Feuer verstummte erst, als der Wagen in die Luft flog.

Niemand in der Staffel bemerkte das Duell am Rande des Angriffs. Verunsichert durch das unerwartet heftige Abwehrfeuer waren die Bomben der zweiten Welle nicht viel erfolgreicher als die der ersten Welle. Ein paar Baracken brannten, zwei der Hangars waren vernichtet und etliche Treibstofftanks waren nur noch rauchende Trümmer. Andere Hangars und Gebäude waren durch Nahtreffer und Splitter beschädigt. Die Vampire des Dog Pack zog das Abwehrfeuer förmlich auf sich. Hammer musste seinen zweiten Anflug abbrechen und schleunigst in den Wolken untertauchen, als zwei MK’s und mindestens drei Mg’s ihn in ein unangenehm genau liegendes Kreuzfeuer nahmen.
Mitten auf der zentralen Landebahn stand ein japanischer Offizier. Er hatte nicht viel mehr als seine Uniformhose am Leib, doch in der Hand hielt er ein Schwert. Mit wutverzerrtem Gesicht reckte er die Klinge in den Himmel, den Mund zu einem hasserfüllten Schrei verzerrt. Eine kleine Gruppe Soldaten hatte sich um ihn gescharrt, kniete am Boden, oder stand wie er offen, jede Gefahr ignorierend. Sie schossen pausenlos.

Von Stahlheim war froh, dass niemand in der Staffel sein Gesicht sehen konnte. Seine Stimme klang rau und emotionslos: „Natschatch otstuplenie!“ Rückzug antreten! Zum Glück galt aus Sicherheitsgründen Funkstille, bis auf die verabredeten russischen Befehle. Er wusste nicht, ob er ansonsten seine Tarnung hätte aufrechterhalten können. Stumm hob er die Hand, grüßte die japanischen Soldaten, auch wenn sie diese Geste niemals sehen konnten. Dann verschwand seine Maschine in der Wolkendecke. Die anderen Jäger folgten ihm.

Der Rückflug vollzog sich ebenso schweigend wie der Anmarsch. Und zumindest Steel konnte keine Begeisterung aufbringen. Er fühlte sich müde, ausgebrannt. Und einmal mehr verfluchte er die texanischen Narren, die unbedingt Großmacht spielen mussten.

Der Angriff hatte insgesamt nicht viel mehr als drei Minuten gedauert. Acht Japaner waren gefallen, über zwanzig verletzt. Zwei Maschinen der Marineluftwaffe waren am Boden zerstört worden, etliche andere beschädigt. Dazu kamen die Schäden an den Gebäuden und das vernichtete Material.
Allerdings hatten auch fast sämtliche Maschinen des Dog Pack Treffer kassiert. Es war ein Wunder, dass keines der Flugzeuge auf dem mehrstündigen Rückflug abschmierte. Sie schafften es – knapp. Bei Max leuchtete bereits die Warnlampe der Treibstoffanzeige auf. Hammer brauchte zwei Anflüge, bis er landen konnte und sogar Steels Landung wirkte etwas wackelig. Aber alle kehrten zurück.
13.02.2020 17:44 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Drei Stunden, nachdem das Dog Pack gestartet war, kam Dave nach einem kurzen Zwischenschlaf zurück auf die Brücke der NORTH, die nun auch als Kommando- und Taktikzentrum fungierte.
Blue kam kurz nach ihm an und schickte seinen Stellvertreter in die Koje.
Dann saßen sie, lediglich eskortiert von der Nachtwache um die Karte der Aleuten herum – übrigens eine der sehr detaillierten Karten, die ihnen ein Händler in Sky Haven für einen horrenden Preis besorgt hatte – und sahen auf die Präzisionsuhr daneben.
Blue hielt eine Stoppuhr in der Hand, die er in diesem Moment betätigte.
„Drei…zwei…eins…Dog Pack erreicht Land.“
„Funker, auf die neue Frequenz gehen.“
Der Bordfunker nickte, verschwand in seiner Funkbude und schaltete einen Lautsprecher zur Brücke durch.
Blue betätigte wieder seine Stoppuhr. „Well, well, well“, murmelte er, unwillkürlich in seinen harten Empire-Akzent fallend. „Drei…zwei…eins…Dog Pack erreicht Landefeld. Noch zehn Sekunden bis zum ersten Abwurf.“
Angestrengt lauschten sie nach dem Funkgerät. Das Dog Pack hatte Funkstille zu halten, bis Max den Angriffsbefehl gab.
Die zehn Sekunden vergingen. Es wurden fünfzehn. Dann zwanzig.
„„NASTUPLENIE!“, erklang plötzlich ihre Stimme auf Russisch über Funk.
Erleichtert atmeten sie beide auf. Das Dog Pack würde nicht angreifen, wenn nicht wenigstens vier Maschinen den Anflug geschafft hätten. Und Max war dabei.
Dass der Angriffsbefehl gegeben worden war konnte nur bedeuten, dass Steel das vernebelte Landegebiet ausgeleuchtet hatte. Nun würde der eigentliche Angriff beginnen.
„Fünf Minuten“, murmelte Blue ernst. Fünf kurze Minuten sollte der Angriff maximal dauern. Fünf endlos lange Minuten, in denen alles Mögliche passieren konnte.
Steel hatte seine Leute gut gedrillt, aber gegen den Zufall hatte niemand eine Chance. Eine verirrte Kugel, die durchs Cockpit zischte…
Kapitän Daynes sah konzentriert auf seine Stoppuhr. „Vier Minuten…Drei Minuten…Zwei Minuten…“
Dave wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Plan war zwar von Steel gewesen, aber er hatte ihn akzeptiert. Und er hatte seine Durchführung befohlen. Wenn etwas schief ging, konnte und durfte er das niemals Steel anlasten. Es war seine Verantwortung, seine Staffel.
„Eine Minute…Dreißig Sekunden…“
Sie hatten keine genauen Informationen darüber gehabt wie stark das Flugfeld befestigt gewesen war. Sie waren sich nur einigermaßen sicher gewesen, dass die Japaner keine Nachtflieger in der Region hatten. Einigermaßen sicher. Aber eine gute Flak-Crew konnte ohne Weiteres einen Vogel runterholen, das wusste Dave nur zu gut.
„Zehn…Fünf…Null…Minus fünf…Minus zehn…Minus zwanzig…Minus dreißig…“
Blue schien erbarmungslos zu sein, zählte eiskalt immer weiter.

„Natschatch otstuplenie!“, erklang es plötzlich über Funk. Erleichtert atmeten Dave und Jeff Daynes auf. Der Rückzugsbefehl.
Nun würde wieder die Funkstille einsetzen. Drei lange Stunden, wenn alles gut ging und wenn Steel die günstige Luftströmung zurück zur Küste gut zu nutzen wusste.
Zumindest der Angriff war gelaufen. Dave Armstrong hätte gerne zu diesem Zeitpunkt die Verlustliste in Händen gehalten, aber er wusste, dass er damit der Staffel und vor allem der Tarnung seiner Leute als Russen keinen Gefallen getan hatte.
„Tagesanbruch in zwei Stunden, neun Minuten. Eintreffen Dog Pack in zwei Stunden, siebenunddreißig Minuten.“
Dave nickte ernst. „Ich gehe mit Dusk in zwei Stunden raus auf hohe Sicherung. Wetterbericht?“
„Leichte Frühnebelfelder, mäßiger Wind aus Südwest, ab zweitausend Meter böig. Temperaturen um zehn Grad.“
„Ist zu überleben.“
Dave wandte sich um und ging in seine Kabine, um seine Fliegermontur anzulegen.
Danach legte er sich für eine weitere Stunde auf sein Bett.

Exakt zur angekündigten Zeit erhob er sich, ging zum Hangar und begrüßte Dusk. Die groß gewachsene Blondine nickte ihm zu. „Der Angriff ist gut gelaufen?“
„Er wurde zumindest ausgeführt und knapp nach der anvisierten Zeit beendet, Melissa. Das sind alles gute Zeichen.“
„Verstehe.“
Die beiden trennten sich schweigend. Die Aufgabe des Dog Pack endete hier und das Cat Pack übernahm. Sie waren beide schon zu oft draußen gewesen um nicht ihren Platz und ihre Aufgabe zu kennen.
Sam half ihm beim Anschnallen, gab ihm einen wohlmeinenden Klaps auf die Schulter und schloss die Kanzel.
Dave ließ die Maschine anrollen. Neben ihm wurde Melissa Vandersen präpariert.

Zwei Minuten später schraubten sich die beiden Furys in den Morgenhimmel. Sonnenaufgang würde noch zehn Minuten brauchen, aber hier oben war es schon hell.
„Wir fliegen enge Schleifen“, meldete Dave über Funk, „und gehen auf dreitausend. Dann suchen wir mit Ferngläsern den Horizont ab.“
„Verstanden.“
Das lange Warten begann.

Exakt zur errechneten Zeit begann Blue über Funk mit seinem Countdown. „ Eine Minute…Dreißig Sekunden…Zehn…Fünf…Zwei…“
Bei null war noch nichts vom Dog Pack zu sehen, wie Dave nervös feststellte. Er umklammerte sein Fernglas fester, suchte in den Frühnebelbänken.
„Minus eine Minute… Minus fünf Minuten. Minus zehn Minuten.“
„DA!“, rief Dusk plötzlich. „Neun Uhr! Zwei Avenger!“
Dave orientierte sich kurz, schwenkte um und suchte mit seinem Fernglas. Tatsächlich, zwei Avenger mit russischer Bemalung. Zumindest Happy und Piper hatten den Rückweg gefunden. Sie waren etwas vom Kurs, aber das würden die Piloten schon selbst korrigieren können. Dahinter brachen eine Fury und eine Vampire aus einer Nebelbank, dicht gefolgt von zwei Devastators.
„Sieht so aus als hätte Steel alle seine Schäfchen sicher nach Hause gebracht. Holt sie ein, Leute!“
Jubel erklang über die Funkverbindung. Ihr gewagtes Unternehmen war gelungen, verdammt, gelungen! Steel war wirklich ein Teufelskerl!
Nacheinander gingen die Maschinen des Dog Packs an den Haken, lediglich Happy benötigte zwei Anflüge. Seine Vampire war ordentlich gepflückt worden.

Dave wollte schon aufatmen. Aber mit Piloten war es so eine Sache. Manche entwickelten mit der Zeit einen sicheren Instinkt für Gefahren, für unstimmige Situationen. Für Probleme jeder Art.
Aufmerksam suchte Armstrong seinen Beobachtungsradius ab.
Dann begann er leise zu fluchen. Zwei Pärchen Devastator hielten auf die NORTH zu.
„Armstrong, hier Armstrong! Alarm für die Zigarre. Wir kriegen Besuch. Vier Devastator, ich wiederhole, vier Devastator!“
Er besah sich die Bemalung genauer und fluchte herzhaft. „Es sind Russen, wie es ausschaut. Und ich glaube nicht, dass sie hier sind um sich für den Angriff zu bedanken!“
„Cat Pack kommt raus. Und wir betanken das Dog Pack, damit Steels Haufen notfalls eingreifen kann. Wer weiß ob es mit den Devastators getan ist“, erwiderte Blue.
„Roger. Melissa, holen wir uns die Bastarde!“
Armstrong rollte seine Maschine auf den Rücken und zog sie dann nach unten in den Sturzflug. Wieder drehte er die Mühle ein, hielt den Anführer im Fadenkreuz.
Nun, er kam nicht gerade aus der Sonne, und bei dem strahlenden Morgenhimmel zeichnete sich seine Fury sehr gut ab, aber die vier Piloten da vorne hatten hoffentlich gerade genug mit dem Anblick der Zigarre zu kämpfen.
„Bleib so, bleib so. Nur noch ein kleines bisschen“, murmelte Dave und zog den Feuerknopf für die Vierziger durch.
Doch in diesem Moment drehten die vier Maschinen ab und der Feuerstoß ging ins Leere. Nach dem Angriff allerdings lösten sie ihre Formation auf.
Armstrong tauchte unter den Mühlen hindurch, zog wieder hoch und versuchte einen Fokkerhüpfer, den er mit einem Immelmann zu kombinieren dachte. „Hast du was erwischt, Dusk?“
„Die Devastators nicht. Aber du solltest mal die Löcher in der Luft sehen, die ich gerissen habe.“
„Ha, ha.“ Dave riss seine Maschine wieder hoch, ging in einen Looping und drehte sie auf dem Höhepunkt wieder aufrecht. Nur um zu merken, dass ihm zwei der Russen beinahe schon am Arsch klebten. Er lächelte nur gering schätzend und warf die Fury ins Taumeln.
„STOJ!“, erklang die Frauenstimme über Funk. „Sie sind keine Roten.“
„Was spielt das für eine Rolle?“, entgegnete Dave. Hm, irgendwie kam ihm die Frauenstimme bekannt vor.
„Wir sind Weiße“, sagte die Frau ernst. Für sie war damit alles erklärt.
„Hm, verstehe“, meinte Dave und riss seine Mühle aus dem Trudeln und versuchte wieder an Höhe zu gewinnen. „Ich habt also meine als Rote getarnte Staffel entdeckt und gedacht, Ihr kriegt leichte Beute. Dann aber habt Ihr entdeckt, dass wir Freibeuter sind und jetzt brecht Ihr den Angriff ab.“
„So in etwa, da.“
„Warum hören Sie dann nicht auf, mich und meine Flügelfrau zu verfolgen?“
„Warum hören Sie nicht auf zu versuchen uns in Reichweite der MG-Gondeln zu lotsen?“
Dave grinste. Gerissenes Biest. „Bist du das, Stephanie?“ Nein, das wäre ein viel zu großer Zufall gewesen. Ausgerechnet die Russin aus Sky Haven, hier über Alaska?
„Dave? Dave Stone?“, kam es erschrocken zurück.
Armstrong unterdrückte ein heiseres Auflachen. „Na, der Tag beginnt ja lustig.“
„Das kann man wohl sagen, Dave“, erwiderte sie. „Wo ich gerade deine Zigarre sehe, hast du vielleicht Lust auf noch ein paar Abschüsse? Etwas lukrativeres als ein japanisches Flugfeld zu bombardieren?“
„Werden sie eine ebensolche Erfahrung wie neulich in Sky Haven?“
„Mindestens, Dave.“
„Na, dann komm mal an Bord. Blue, sechs Maschinen kommen rein. Freies Geleit. Alarmzustand ist aufgehoben. Schick Klutz und Silence als hohe Sicherung raus.“
„Roger.“
„Jetzt bin ich wirklich gespannt, Mädchen“, murmelte Dave leise.
Die vier Devastators folgten den beiden Cat Pack-Maschinen ohne zu zögern zu den Landehaken. Das Mädchen war ein wenig vertrauensselig. So gut konnte er doch gar nicht gewesen sein, in dieser halben Nacht in Sky Haven. Auch wenn es seinem Ego gut tat.
13.02.2020 17:44 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Etwa zur gleichen Zeit: Berlin, RSHA (Reichssicherheitshauptamt)

„Wieso erfahre ich erst jetzt davon?!“ Die Stimme des Sturmbannführers klang laut und herrisch. Hochgewachsen, schlank und athletisch, mit blonden Haaren und blauen Augen, wirkte Friedrich Hoffmann wie das Idealbild eines SS-Offiziers. Doch man täuschte sich in ihm, wenn man annahm, dass er seinen Posten im RSHA nur seinem arischen Stammbaum, den germanischen Idealmaßen und seiner Treue dem Führer gegenüber verdankte. Zu diesen ihn für den Dienst in der SS prädestinierenden Eigenschaften kamen noch eine hohe Intelligenz, brennender Ehrgeiz - und eine rücksichtslose Skrupellosigkeit, sowie ein hoch entwickelter Instinkt für die Intrigen und Grabenkämpfe, die in einer Behörde wie dem Reichssicherheitshauptamt nicht eben selten waren.
Von der allgemeinen SS war er schnell zu den Totenkopf-Verbänden übergewechselt. Nach einem Jahr Dienst in Dachau hatte ihn die Gestapo rekrutiert und er hatte rasch Karriere gemacht. Hoffmann galt als einer der besten Verhörspezialisten in der Berliner Zentrale. Sein Aufstieg war unaufhaltsam gewesen. Bis zu einem bestimmten Punkt...
„Von Tauten behandelt diese Angelegenheit sehr…diskret. Wir haben diese Information erst vor vier Tagen erhalten. Inoffiziell. Sie ist noch ungeprüft...“
„Ich hatte Ihnen doch klar gemacht, dass ich UMGEHENST informiert werden wollte!“
„Die Abwehr...“
Hoffmann schnitt seinem Untergebenen mit einer wütenden Bewegung das Wort ab. Schon wieder die Abwehr! Als damals die von ihm eigenhändig geplante und eingeleitete Aktion schief ging, als der des Hochverrats und der Spionage verdächtige Luftwaffenleutnant Thomas David Marquardt nicht nur der Verhaftung entkommen konnte, sondern auch noch zwei Gestapoagenten erschoss und eine Luftwaffenmaschine entführte, da hatte die Abwehr geradezu kübelweise Hohn und Spott über ihn ausgegossen. Hoffmann hatte als ein Idiot dagestanden, der sich in Dinge eingemischt hatte, die außerhalb seiner Kompetenz lagen – und er hatte außerdem versagt. Die Luftwaffe hatte sich beschwert, nicht von dem Verdacht gegen Marquardt im Allgemeinen, und der Gestapo-Aktion im Besonderen informiert worden zu sein. Reinhard Heydrich, der Chef des RSHA, hatte daraufhin Hoffman kurzerhand den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Vom Obersturmbannführer war er zum Sturmbannführer degradiert und auf eine lächerliche Schreibtischstelle abgeschoben worden. Statt Kommunisten, Verräter und Spione zu jagen, sollte er dem nach Amerika transferierten Geld exilierter Juden nachspüren – eine Aufgabe, die kaum Aufsehen erregende Erfolge versprach. Die er als eine widerliche, unbedeutende Schnüffelarbeit empfand, die unter seinem Niveau lag. Mit seiner Karriere war es seit dem nicht mehr vorangekommen – er hätte bereits Standartenführer sein können, oder mehr...
Aber einen kleinen Trost hatte er gehabt. Über einige alte Kontakte hatte er erfahren, dass sich Marqardt möglicherweise nach Amerika abgesetzt hatte. In den Jahren fruchtloser Schreibtischarbeit und enttäuschter Hoffnungen war es sein Traum gewesen, irgendwann doch noch Marqardts Verhaftung – oder Liquidierung – veranlassen zu können und sich so von dem Makel in seiner Dienstakte reinzuwaschen. Oder sich wenigstens endlich an dem Mann zu rächen, der ihm die Karriere verdorben hatte.
Und jetzt musste er erfahren, dass die Abwehr offenbar einen Agenten in unmittelbarer Nähe Marquardts installiert hatte – ohne die RSHA zu informieren oder auch nur in Erwägung zu ziehen, diesen verdammten Verräter ‚abzuschalten’. Nein, der Abwehr waren offenbar irgendwelche technischen Spielzeuge und Informationen über die amerikanischen Piratenbanden wichtiger.
Hoffmann presste wütend die Lippen zusammen. Offiziell waren ihm die Hände gebunden. Das Agentennetz des RSHA war längst nicht so gut, wie das der Abwehr. Und die würde ihm ganz bestimmt nicht helfen. Und seine Chancen dafür, bei vorgesetzter Stelle eine gegen Marquardt gerichtete Aktion anzuregen, lagen bei null.
Das RSHA stand zwar im ständigen Wettstreit mit dem militärischen Geheimdienst, aber man würde nicht ausgerechnet für IHN in eine Abwehr-Operation eingreifen – oder gar bei der Abwehr um Unterstützung bitten.
Nein, von vorgesetzter Stelle konnte er auf keine Hilfe hoffen.
Dennoch, sein Entschluss stand fest. Dies musste die Gelegenheit sein, auf die er seit Jahren gewartet hatte. Er konnte diese Chance nicht verstreichen lassen. Auch wenn er dazu seine Kompetenzen überschreiten musste und auf keine offizielle Hilfe rechnen konnte. Wenn er Erfolg hatte…Wenn dieser verdammte Hoch- und Landesverräter endlich seine verdiente Strafe erhielt – dann würde endlich dieser Makel in seiner Dienstakte getilgt sein. Und Erfolg rechtfertigte jeden Regelverstoß. Mit dieser Maxime hatte der Führer die Macht erlangt und sie gesichert.
Er würde sich nur auf wenige Leute verlassen können – diejenigen seiner Untergebenen, die ihm Loyalität schuldeten. Ein paar alte Kameraden, denen er vertrauen konnte und die ihm dabei helfen würden, einen Verräter und Kameradenmörder zu liquidieren und vielleicht der Abwehr eins auszuwischen. Und ein paar Menschen, die von seiner Diskretion abhängig waren. Deren Karriere er in den Händen hielt.
„Ich will über jeden Funkspruch informiert werden, den dieser Abwehr-Agent absetzt. Am besten, noch bevor der Funkspruch auf von Tautens Schreibtisch landet.“
„Aber unser Mann bei der Abwehr…“
„Sagen Sie dieser widerlichen Ratte, wenn er nicht im vollsten Umfang kooperiert – und GENAU das tut, was wir von ihm verlangen, dann ist seine Vorliebe für hübsche Jungs morgen Stadtgespräch. Und übermorgen steht er in Sicherheitsverwahrung. Und sagen Sie ihm auch, was das für einen Homo bedeutet.“

Als er alleine war, lächelte Friedrich Hoffmann. Es war ein kaltes, ein dünnes, humorloses – ein gefährliches Lächeln. Es war leider unmöglich, Marquardt ein deutsches Kommando auf den Hals zu hetzen. Das lag außerhalb seiner Möglichkeiten und wäre auch viel zu riskant gewesen.
Aber in Amerika konnte man alles kaufen. Auch Mörder oder Piraten. Sie waren billig in diesem dekadenten, verjudeten Konglomerat lächerlicher Operettenstaaten. Und es wäre eine wahrhaft befriedigende Ironie des Schicksals, wenn Marqardt durch die Hand amerikanischer Totschläger sterben würde, nachdem er der Gestapo und sogar den japanischen Fliegern entkommen war. Vor allem, wenn seine Henker bezahlt werden würden mit dem Geld, dass irgendwelche Finanzjuden nach Amerika verschoben hatten, um dort ihre widerlichen Geschäfte fortführen zu können. Hoffmann war nicht korrupt in dem Sinne. Er hatte eine solche Schwäche immer als einen für seine Karriere allzu gefährlichen Makel empfunden. Aber er hatte auch keine Hemmungen, die Finanzquellen zu nutzen, die ihm zur Verfügung standen. Schließlich würde das Geld letztlich auch dem Reich zugutekommen, indem es dazu diente, einen Verräter zu liquidieren.
Sorgfältig und systematisch begann er das Dossier von Marquardt zu lesen, welches die Abwehr erstellt hatte. Ausnahmsweise schien sie gute Arbeit geleistet zu haben. Hoffmans Lächeln verstärkte sich, wurde bösartig. Marquardt hatte für seinen Verrat offenbar schon einige Opfer bringen müssen. Und er würde noch mehr leiden. Oh ja, das würde er...
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Obwohl Steel den anstrengenden Nachtangriff hinter sich hatte und seine eigene Staffel ohne Nachbearbeitung nach Aufhebung des Gefechtsalarms in die Kojen geschickt hatte, blieb der große Deutschamerikaner hart zu sich selbst und gesellte sich zu der Runde an Piloten und Gästen, die in der Kantine beieinander saßen und einen Kaffee tranken.
Die vier Gäste, zwei Frauen und zwei Männer, saßen auf einer Seite der Front, Armstrong und Blue auf der anderen. Ohne zu zögern setzte sich Steel dazu, nachdem Armstrong zustimmend genickt hatte.

„Steph, du bist vertrauensselig“, tadelte Armstrong die Pilotin mit dem langen schwarzen Haar. Sie wischte sich eine Strähne des verschwitzten und fettigen Haars von der Schulter und lächelte dünn. „Wie man es nimmt, Dave. Natürlich habe ich mich abgesichert. So gut warst du nun auch wieder nicht.“
Blue Daynes warf dem Freund einen fragenden Blick zu, aber Armstrong winkte ab.
„Und wie sieht diese Absicherung aus? Hast du vielleicht eine Staffel Zigarren in der Hinterhand?“
„Nicht, dass ich nicht bereit bin, dir zu vertrauen, Dave, aber…Sergej!“
Einer der Männer stand auf und öffnete seine Fliegerjacke. Erschrocken raunten die Anwesenden auf, als sie das halbe Dutzend Handgranaten sahen, welches der Russe um Brust und Bauch geschlungen trug.
Nur Armstrong blieb ruhig. Ein dünnes Schmunzeln umspielte seine Mundwinkel. „So viel zu deinem Sicherheitsbedürfnis, Steph. Kommen wir zum Geschäftlichen. Was hast du für mich?“
„Anjanka“, raunte der andere Mann ärgerlich. „Njet.“
„Sei still, Alexi Iwanowitsch. Ich weiß was ich tue.“
Der große blonde Mann wollte etwas erwidern, aber ein gezischter Fluch auf Russisch ließ ihn verstummen.
„Also, Dave. Wir haben zufällig das Feuerwerk mitgekriegt, dass Ihr über Weißer Bär Eins veranstaltet habt. Wir haben eigentlich gedacht, die Roten würden in die längst fällige heiße Phase mit den Japsen gehen. Dabei war es nur eine Gruppe Piraten, die Zielübungen abgehalten haben. Wenngleich mit russischer Bemalung und mit russischem Funk.“
Dave grinste schief. „Freibeuter, bitte. Du verstehst hoffentlich, dass ich da nicht näher im Detail drauf eingehen will. Ich hatte meine Gründe, Steph…Oder soll ich Anja sagen?“
„Anja ist gut. Einverstanden, ich bohre nicht nach. Aber wie ich vorhin schon sagte, willst du mit deinen Leuten etwas Lukrativeres machen als Bomben auf Landefeldern zu verschwenden?“
„Wie wäre es damit, wenn du mir vorher etwas über euch erzählst, bevor wir über…die Gelegenheit sprechen, Anja?“
Die Russin nickte. „Wie ich schon sagte, wir sind Weiße. Nein, wir sind nicht von Adel oder so. Wir sind auch keine Angehörigen hoher Offiziere oder besonders Zarentreu. Wir sind Alasker, die meisten von uns seit Geburt. Wir hatten hier in Alaska ein ziemlich freies und unabhängiges Leben, denn der Zar war weit entfernt. Das änderte sich, als die Bolschewiki kamen. Sie brachten Militär und Gouverneure. Sie brachten kaukasische Bauern unter Waffen, die unsere Freiheiten abschafften, die uns unseren Handel entrissen. Die uns kontrollieren wollten. Und dies nun auch tun. Ich will dich nicht mit Details langweilen, Dave, aber das Ziel meiner Freunde und unserer Verbündeten ist es, die Roten irgendwann aus Alaska raus zu jagen. Und wenn wir uns dazu mit den zarentreuen Weißen einlassen müssen, soll es mir Recht sein.“
„Ich verstehe. Entschuldige bitte, wenn ich, nun, mit Idealismus gerade wenig anfangen kann. Wie ich schon sagte, wir sind Freibeuter. Solange man uns nicht dafür bezahlt, ist euer Freiheitskampf ein Nebenschauplatz für uns.“
Die Russin nickte. „Das verstehe ich. Genauso musst du verstehen, dass uns Geld gerade sehr gelegen kommt, um unsere Streitkräfte auszubauen, um Söldner anzuwerben.
Nun, die Roten bieten uns genügend Gelegenheit dafür. Hast du jemals von den Goldzigarren der Roten gehört?“
Armstrong atmete sichtbar aus. „Wir haben sie uns angesehen. Große Frachtzeppeline mit verstärkter Verteidigung, zusätzlicher Infanterie an Bord, Heliumgefüllter Hülle und unregelmäßigem Flugplan. Neben der Staffel an Bord begleitet sie immer noch ein militärischer Zeppelin. Ein Angriff auf sie muss mindestens mit zwölf Maschinen oder mehr erfolgen.“
„Nun“, begann Anja und schmunzelte, „die Goldzigarren werden nicht immer von militärischen Zeppelinen begleitet. Tatsächlich schicken die Roten gerade so viele Frachter los, dass sie nicht jedem einen Begleitschutz mitgeben können. Wenn man Leute an den richtigen Stellen hat, die Zugang zu Flugplänen und Aufstellungen haben, kann man sich solch eine Zigarre herauspicken. Mit einem Zug Infanterie, zwei gut trainierten Staffeln und vier bis sechs Maschinen in der Hinterhand würde ich es wagen, eine solche Zigarre aufzubringen.
Ich habe die Infanterie und die zwei Staffeln. Was mir fehlt ist etwas Feuerunterstützung.“
„Interessant.“ Armstrong legte beide Hände unter sein Kinn und stützte die Ellenbögen auf dem Tisch ab. „Um wie viel Gold geht es hier, so rein theoretisch?“
„Anjanka!“
Die Russin zischte wieder einen Fluch, den der blonde Russe mit rotem Gesicht quittierte. „Nun, an Bord eines solchen Fluges können eine halbe bis zwei Tonnen Gold sein. Wenn du Zeit und Lust hast, deine Hilfe wäre mir…zehn Prozent wert.“
„Zehn Prozent? Machen wir nicht halbe-halbe?“
„Wenn du die Hälfte des Risikos trägst, Dave…“
„Hm, nein. Vierzig, sechzig?“
„Fünfzehn Prozent.“
„Dreißig.“
„Zwanzig.“
„Fünfundzwanzig, und wir helfen euch erst beim Niederkämpfen der MG-Stellungen und gehen dann auf Sicherung.“
„Abgemacht.“
„Anjanka…“, raunte der Blonde beschwörend.
Armstrong winkte den Steward heran. Der junge Bursche trug ein Tablett mit Wassergläsern und einer Flasche Wodka aus der Beute. Er servierte und schenkte jedem großzügig ein.
„Nastrovje“, sagte Anja und trank ihr Glas auf ex.
Auch die anderen folgten ihrem Beispiel. Armstrong musste kurz den Atem anhalten, nachdem er das Glas getrunken hatte. „Du bist wirklich eine Russin“, stellte er etwas atemlos fest. „Wann geht es los?“
„Wenn meine Informationen korrekt sind, in drei Tagen, hundert Meilen nördlich von uns, auf der Route nach Vladiwostok.“
„Blue, ändere den Kurs. Wir bleiben noch ein wenig hier.“
Der Mann aus Empire grinste. „Aye, Commander.“
Steel sah ihm nach. Und fragte sich, ob ein Viertel des Goldes das Risiko wert war.
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Anchorage, sowjetischer Militärbezirk

Alaska galt zu Recht als Hexenkessel, in dem sich Rote, Weiße und die diversen Piratenbanden an die Kehle gingen, misstrauisch beobachtet von den Diadochen der zerfallenen USA und den japanischen Streitkräften, die sich auf den Aleuten festgesetzt hatten. Aber es gab keinen Zweifel darüber, wer Anchorage kontrollierte. Ein komplettes motorisiertes Regiment war hier stationiert, mit Tanks, Flammenwerferpanzern, Tanketten und gepanzerten Spähwagen. Artillerie und Flak sicherte die Stadt, dazu kam ein komplettes Jagdfliegerregiment, Bomber und Aufklärer. Im Hafen war Marineinfanterie stationiert, dazu Zerstörer, Kanonen- und Torpedoboote, und ein U-Boot-Division. Anchorage war ein Drehpunkt für den militärischen Nachschub. Über diesen See- und Lufthafen lief ein Großteil des Waren- und Rohstoffstroms Richtung Sibirien.
In der Stadt herrschte de facto ständig Kriegsrecht. Neben den Patrouillen der Rotarmisten sorgte auch eine Ortsabteilung des NKVD für Ruhe.

Ein Konvoi verließ gerade die Stadt. Ein gutes Dutzend LKW wurden von einer Tankette und einem Panzerspähwagen eskortiert. Der Kommandant der Tankette lehnte in der Zugangsluke, glich mühelos das Rütteln des turmlosen Kleinpanzers aus. Die gepolsterte Kopfhaube hing etwas schief und er rauchte. Aber als der Konvoi die Kommandantur passierte, grüßte er mit der lockeren Eleganz jahrelanger Übung und grinste, als der Posten am Tor seinen Gruß erwiderte. Der Panzerkommandant wusste nicht, dass er auch aus dem Haus des Ortskommandanten beobachtet wurde.
Oberst Rybatow sah noch einem Augenblick dem vorbeirollenden Konvoi hinterher, dann drehte er sich um: „Sie kennen meine Bedenken, Genosse Bergmann.“
Der NKVD-Offizier zuckte leicht mit den Schultern, während der GRU-Major zustimmend nickte, ohne jedoch das Wort zu ergreifen. Major Iwanow war der Rangniedrigste in diesem Raum. Und was die beiden Oberste betraf…Zwar waren sie rangmäßig gleich und Rybatow außerdem der Standortkommandant – aber sogar ein General würde sich gegenüber dem Geheimdienst vorsichtig verhalten. Der NKVD sah sich nicht umsonst als Nachfolger der gefürchteten Tscheka, immer auf der Jagd nach Verrätern und Spionen.
Bergmann war nicht einmal besonders unangenehm, sondern für einen Geheimdienstoffizier recht umgänglich – aber er gehörte nun einmal zum NKVD. Und das bedeutete, dass man in seiner Gegenwart vorsichtig war und etwaige Kritik sehr behutsam formulierte. Bergmann hatte zur Auslandsabteilung des Geheimdienstes gehört, bevor man ihn nach Alaska versetzt hatte – keiner wusste, ob das eine Bestrafung für irgendein eingebildetes oder tatsächliches Fehlverhalten war, aber diese Spekulationen ließen Rybatow und Iwanow noch vorsichtiger werden.
Bergmann lächelte dünn: „Entspannen Sie sich, Genosse Rybatow. Wir drei sind schließlich die EINZIGEN die den vollen Umfang der Aktion kennen. Ich vertraue Ihnen…“, das klang etwas boshaft, Bergmann spielte manchmal mit dem Unbehagen, dass andere Offiziere gegenüber dem NKVD empfanden, „…also kann auch nichts verraten werden – außer dem, was verraten werden soll.“
„Aber das Risiko…“
„Ist notwendig. Sie kennen unser Dilemma. Wir haben einfach nicht genug Kräfte, um unsere Transporte zu eskortieren UND die Piraten zu jagen. Es reicht nicht einmal, um alle Frachtzeppeline ausreichend zu schützen. Das Oberkommando Fernost erwägt sogar die Einführung des Konvoisystems. Gleichzeitig verlangt man von uns, den Piraten – Konterrevolutionäre und imperialistische Agenten – spürbare Schläge zu versetzen. Da wir aber nicht die Kräfte haben, sie aufzuspüren und zu jagen, müssen wir sie anlocken. Und dann zuschlagen. Wir können uns weitere Verluste an Frachtmaterial, Transportern und Mannschaften nicht leisten.“
Major Iwanow schnaubte, sparte sich aber eine Bemerkung, als Bergmann ihn fixierte: „Sie wissen genau, Genosse Major, dass ich keine andere Wahl hatte. Es ist nicht akzeptabel, dass sowjetische Schiffe vor dem Feind kapitulieren. Es geht nicht an, dass eine Bande von Deserteuren und Briganten eine halbe Frachtflotte aufbringt – ohne nennenswerte Verluste. Wer nicht bereit ist, zu kämpfen, für den ist kein Platz in der Union der Vereinigten Sowjetrepubliken.“ Bergmanns Stimme hatte einen leicht dozierenden Klang, und tatsächlich zitierte er frei aus einer offiziellen Direktive. Auf die Nachricht hin, dass bereits der vierte Frachtzeppelin in kurzer Folge von ein und demselben Piraten, dem texanischen Kaperzeppelin NORTH STAR aufgebracht worden war, hatte Bergmann eingreifen müssen. Die überlebenden Piloten und unteren Offiziere waren degradiert und versetzt worden, die Mannschaft wurde ebenfalls versetzt. Der Kapitän und der Erste Offizier allerdings… Bergman war gnädig gewesen – sie hatten beide zehn Jahre Zwangsarbeit erhalten und waren an die Kolyma geschickt worden. Aber es war auch Bergmann klar, dass man so das Problem nicht in den Griff bekam. Deshalb hatte er sich etwas einfallen lassen, was einige dringend nötige Erfolge bringen, den Druck durch das Oberkommando Fernost mildern und hoffentlich die Piratenbanden etwas dezimieren und bei zukünftigen Angriffen auf sowjetische Schiffe weniger enthusiastisch werden ließ.
„Wenn die Piraten Ihnen diese Geschichte abnehmen.“
„Diese Basmatschen wissen, dass wir schon mehrmals Goldtransporte mit nur unzureichender Sicherung losschicken mussten. Es ist dem NKVD gelungen, einen…Kontakt festzustellen, der offenbar diverse konterrevolutionäre Banden mit Informationen versorgt, gegen Geld natürlich. Die zufällig durchsickernde Nachricht von einem verhältnismäßig leicht gesicherten Zeppelin, dass achthundert Kilogramm Gold transportiert, ist ein Leckerbissen, den sich dieser Abschaum nicht entgehen lassen wird. Leider ist der Mann in einer zu wichtigen Stellung, als dass man ihn langfristig mit Spielmaterial füttern kann. Aber für diese Mission ist er noch zu gebrauchen. Danach…“ Bergmans Gesicht verhärtete sich. Man würde den Spion verhaften, aus ihm alles was er wusste herausholen – und ihn anschließend erschießen.
„Und es besteht nicht die Gefahr, dass die Basmatschen die Falle riechen?“
„Der Verräter ist schon mindestens ein Jahr für die Konterrevolutionäre tätig und hat schon mindestens drei Frachtzeppeline verraten – eines davon mit einhundert Kilogramm Gold an Bord. Sie werden ihm vertrauen. Vor allem, da ansonsten die üblichen Sicherheitsstandards voll greifen. Das Frachtzeppelin PUSCHKIN steht unter unauffälliger Quarantäne. Zwanzig Marineinfanteristen wurden an Bord stationiert. Die Ladung wird unter äußersten Sicherheitsvorkehrungen verladen, Route und Zeitplan unterliegt der üblichen Sicherheitsstufe für solche Transporte. Einige zusätzlichen Maschinengewehre wurden an Bord installiert. Außerdem haben wir – auffällig unauffällig sozusagen – unsere Konterspionagemaßnahmen in Anchorage verstärkt. Jeder Spion, jeder Verräter der gut genug ist, von dem Zeppelin zu erfahren, sieht genau dass, was zu erwarten sein muss, wenn wir einen Goldtransporter auf den Weg schicken, aber keine volle Eskorte erübrigen können. Den Mannschaften, Offiziere und Sicherheitskräfte wurde noch einmal eingeschärft, dass die Ladung WICHTIG ist und dass auf Geheimnisverrat Straflager steht. Also wie üblich. Die…weiterführenden Instruktionen sind nur Kapitän Achmatov bekannt und werden erst nach dem Start an die Mannschaften weitergegeben. Und Achmatov ist absolut zuverlässig, Parteimitglied und außerdem einer unserer besten Frachtpiloten. Es gibt keinen Besseren.
„Und unsere…anderen Vorbereitungen?“ schaltete sich Major Iwanow ein. Diesmal antwortete Oberst Rybatow:
„Die zusätzlichen Marinesoldaten wurden in einen unserer Außenposten verlagert. Nicht einmal der kommandierende Leutnant weiß, warum sie ausgewählt, separiert und noch einmal im Nahkampf trainiert werden. Wir haben aber etwas von einer Spezialoperation durchsickern lassen – einem Angriff auf ein Piratenversteck. Die…anderen Kräfte, die wir dort zusammengezogen haben, unterstützen das noch. Die Männer sind handverlesen,…“, er warf Bergmann einen kurzen Blick zu „…der Politruk und das NKVD verbürgen sich für ihre Zuverlässigkeit. Und ihre Vorgesetzten verbürgen sich für ihre Fähigkeiten – es sind alles erfahrene Soldaten. Die Transport-Autogyro sind in einem anderen Stützpunkt konzentriert. Sie erhalten erst dann Einsatzweisung, wenn das Unternehmen anläuft, anschließend wird die Einheit – planmäßig – ins Landesinnere verlegt. Und die DIMITRI DONSKOJ befindet sich zurzeit auf ihrer planmäßigen Patrouillenroute. Nur der Kommandant kennt seine Aufgabe – sie wird erst dann weitergegeben, wenn die Operation anläuft. Die Funker der DIMITRI DONSKOJ und des Transportzeppelins…sind ebenfalls zuverlässig und außerdem durchleuchtet. Von dieser Seite kann nichts schief gehen.“
„Bleibt nur die Frage, ob unsere Kräfte ausreichen.“
Die DIMITRI DONSKOJ verfügt über fast ein komplettes Fliegerregiment – sechzehn Maschinen. Dazu kommt ein weiterer Zug Marineinfanterie und zwei Autogyros, die Unterstützung leisten können und gegebenenfalls abgeschossen Piloten auffischen können.“
„Dennoch es ist ein Risiko...“
„Gar kein Risiko.“ bemerkte Oberst Bergmann selbstsicher, doch Oberst Rybatow schnaubte nur kurz und fuhr fort: „Das meine ich nicht. Die Operation ist nicht gerade billig. Und das Oberkommando Fernost erwartet Erfolge. Wenn wir die nicht liefern können…“
„Zumindest das Gold kommt sicher an.“
„Hoffentlich reicht das.“ Rybatow wandte sich wieder zum Fenster. Diesmal blickte er zum Hafen, wo gerade D-24, ein U-Boot der Dekabrist-Klasse auslief.

Der Kapitän von D-24 wusste nicht, was in den Kisten war, die er zusammen mit Lebensmitteln und Ausrüstung übernommen hatte. Dafür wusste er genau, was seine Anweisungen waren: tagsüber getaucht fahren, Überwasserfahrt nur in der Nacht, jedem Schiffskontakt ausweichen. Sollte er aufgebracht werden, musste das Boot versenkt werden – es durfte auf keinen Fall in die Hand des Feindes geraten. Der Kapitän warf seine Zigarette ins Wasser und sog noch einmal die klare, kalte Luft des Nordmeeres ein. Dann wandte er sich an die Matrosen der Deckwache: „Einsteigen. Fertigmachen zum Tauchen!“

Knapp dreißig Stunden später startete die PUSCHKIN, mit zwanzig Marinesoldaten, acht Jagdflugzeugen und einer Ladung, zu der ein gutes Dutzend kleiner, schwerer Metallkisten gehörte, die sorgfältig versiegelt und verschlossen waren. Noch bevor einer der Eskortjäger startete, erwachten die Bordlautsprecher zum Leben und die harte, schleifende Stimme Kapitän Achmatovs füllte jeden Raum an Bord: „Mannschaft der PUSCHKIN, Genossen, Brüder und Schwestern. Inzwischen weiß jeder an Bord, was wir für eine Ladung haben. Ihr wisst, die verdammten Piraten und Konterrevolutionäre haben in den letzten Wochen alleine fünf unserer Schwesterschiffe aufgebracht. So kann es nicht weitergehen. Die Heimat braucht unsere Fracht. Und die verdammten Banditen und Verräter müssen vernichtet werden. Wir werden unseren Beitrag in diesem Kampf leisten. Wir sind die Falle, die diesen Hunden das Genick brechen soll…“
Die Mannschaft lauschte überrascht. So etwas hatte es in Alaska noch nicht gegeben. Offenbar rechnete der Kapitän mit Angriffen. Schwächere Piratenbanden würden mit Bordwaffen und Begleitjägern abgeschlagen werden, wie üblich. Die PUSCHKIN hatte bereits zweimal solche Angriffe abgewehrt. Aber im Fall eines Angriffs durch eine größere Piratenbande würde man anders vorgehen. Dann kam es vor allem auf Zeitgewinn an. Nach hinhaltendem Widerstand würde man den Feind entern lassen. Dabei würden die Piraten eine unangenehme Überraschung erleben. Und wenn das noch nicht reichte, die Piraten nicht sofort die Flucht ergreifen, dann würde die Falle erst richtig zuschnappen. Denn fünfzig Kilometer hinter der PUSCHKIN würde die DIMITRI DONSKOJ folgen…
Aber nicht einmal Kapitän Achmatov wusste, dass in den verplombten und streng bewachten Metallkisten kein Gold war – sondern nur Blei. Oberst Rybatow und Bergmann hatten kein Risiko eingehen wollen. Es stand zu viel auf dem Spiel – unter anderem ihre Kariere und vielleicht noch mehr.

Ungefähr zur selben Stunde startete eine Abteilung Autogyros mit dreißig Marineinfanteristen und einem Dutzend Soldaten der NKVD-Verbände an Bord. Sie alle waren erfahrene Nahkämpfer, ausgerüstet mit Kampfdolchen, Pistolen, Mpi’s, leichten Maschinengewehren und Panzerbüchsen. In den ausdruckslosen Gesichtern der Elitesoldaten regte sich nichts, als ihr Leutnant mit harter Stimme die Befehle und Einsatzorder verlas: Feueröffnung auf die andockenden Autogyros mit lMg’s, Mpi’s und Panzerbüchsen. Niederkämpfen eventuell gelandeter Entertruppen. Gefangene waren erwünscht, aber nicht notwendig.

Und an Bord der DIMITRI DONSKOJ befahl Kapitän Rischin eine Kursänderung und informierte die Mannschaft. Die Piloten und Marineinfanteristen waren sofort begeistert – diese Aufgabe bot wesentlich mehr Gelegenheiten zu Ruhm und Ehre, als die meist erfolglosen und eintönigen Patrouillenflüge – selbst die überzeugtesten Konterrevolutionäre wichen in der Regel dem Kampf mit einem Militärzeppelin aus. Aber mit diesem Köder würde es etwas anderes sein.
Die Operation „Potemkin“ war angelaufen.
13.02.2020 17:47 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Dave Armstrong Stone stand an diesem Tag sehr früh auf. Zwar ging die Sonne schon auf, aber die Borduhren zeigten erst auf die vier und die zwölf. In diesen Breitengraden pflegten die Tage zu dieser Jahreszeit sehr lang zu werden. Ein Umstand, der ihnen nützen oder sie umbringen würde.
Dennoch saß er fünf nach vier in der Kantine und ließ sich von Johnny Katayama, seinem Steward, ein kräftiges Frühstück servieren. Kaffee, Brot, Marmelade, Pfannkuchen und Ahornsirup.
Erstaunt registrierte der Deutsche, dass es sich noch jemand zur Aufgabe machte, die Küche so früh am Tag mit Arbeit zu terrorisieren. Ernst Stahl griff aber nur zu Kaffeebecher und Kanne, schenkte sich großzügig ein und setzte sich zu seinem Kommandeur.
„Mir gefällt die Sache nicht“, brummte er zwischen zwei heißen Schlucken Kaffee. „Weiße, Rote, das sind doch alles nur Kommunisten.“
„Was soll´s. Einige von ihnen sind gut im Bett“, bemerkte Dave spöttisch und beobachtete den Mann aus den Industrials dabei.
Der zeigte wie erwartet eine Reaktion, aber es war nicht ganz die, die Dave eigentlich vorhergesehen hatte. Der Mann schmunzelte.
„Dennoch, Commander. Das Cat Pack wird nicht die Hauptlast des Angriffs tragen müssen, aber sobald es einen Schuss abfeuert, bedeutet das, dass Sie ganz tief in der Scheiße stecken. Ich habe das Dog Pack in einer halben Stunde wach, getankt und aufmunitioniert.“
Armstrong nickte zufrieden. „Sie sind ein sehr guter Kommandeur, Steel. Das ist auch der Grund dafür, dass ich Sie und das Dog Pack heute zuhause lasse. Wenn es Ärger gibt, und geärgert haben wir die Kommunisten wahrlich genug, dann will ich meine Zigarre gesichert wissen. Sie sind der Mann dafür. Falls es zum äußersten kommt, retten Sie den anderen den Arsch und helfen Sie Blue anschließend, den Zeppelin sicher zurück nach Sky Haven zu bekommen.“
Der Industrial verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. „In den Einheiten, in denen ich geflogen bin, hat man es als schlechtes Omen verstanden, wenn der Commander von solchen Dingen spricht.“
„In den Einheiten, in denen ich etwas zu sagen hatte, habe ich immer dafür gesorgt, dass die Hackordnung bekannt war und jeder seine Aufgaben kannte. Das hat sich bewährt. Ich sehe keinen Grund, das zu ändern.“
Die beiden Männer maßen sich eine Zeitlang mit Blicken.

Als Melissa Vandersen die Kantine betrat, fand sie zwei sich verbissen anstarrende Männer vor. Sie zuckte die Schultern, nahm sich einen Kaffee und setzte sich neben Armstrong. „Wenn Ihr beide lieber alleine bleiben wollt…“
Irritiert sahen die beiden die Pilotin an. „Was? Dusk, dich soll einer verstehen.“
Die blonde Texanerin lachte. „Entschuldige, Armstrong, aber Ihr habt euch so tief in die Augen gesehen, da dachte ich, es hätte zwischen euch gefunkt.“ Sie zwinkerte dem Industrial zu, was dieser irritiert zur Kenntnis nahm.
„Es…ging um den Angriff“, informierte er die junge Frau kühl. „Ich war dagegen, dass das Dog Pack sich auf den Wachtdienst bei der Zigarre beschränkt.“
„Das bin ich auch“, entgegnete die Texanerin ernst. „Aber ich kenne meinen Armstrong. Wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hat, kann man ihn nur noch an eine Rakete binden und abfeuern.“
„Dusk!“, tadelte Dave. „Rede nicht so einen Quatsch. Ich bin durchaus in der Lage, über meine Ansichten konstruktiv zu diskutieren.“
„Du meinst zu zerreden, zerpflücken, vierzuteilen und abzutun. Ja, das kannst du wirklich.“
Die Pilotin schenkte sich Kaffee nach. „Ich gehe mich umziehen und checke dann meinen Vogel. Wir sehen uns auf dem Flugdeck. Und Ernst, passen Sie gut auf die NORTH auf. Wenn wir die Roten gerupft haben, hätte das Cat Pack gerne noch einen Platz zum Landen.“
„Sonst noch was? Soll ich eventuell neben Ihnen herfliegen und Sie bis zum Hangar begleiten?“
„Nein, danke. Ihre Begleitung sollten Sie für gewisse Momente in Sky Haven aufheben“, erwiderte sie trocken.
Dusk verließ die Kantine.
Armstrong zog eine Augenbraue hoch. „Ist das was, das ich wissen sollte?“
„Ich weiß nicht, wollen Sie noch was lernen? Dann sollte ich einen Bericht schreiben.“
Der anzügliche Tonfall des Industrials ließ keine Zweifel offen, was es zu lernen gab.
Armstrong lachte. „Dann müsste ich für Sie wohl ebenfalls einen Bericht schreiben“, meinte er in Anspielung seiner Bekanntschaft mit der russischen Pilotin, die ihn zu dem Angriff auf die Frachterzigarren der Kommunisten überredet hatte. „Vielleicht können Sie auch noch was lernen, Steel.“
„Sicher. Und Washington wird wieder Hauptstadt.“
Armstrong lachte auf, erhob sich und verpasste seinem Becher eine neue Füllung. „Nun, wer weiß? Ich verlasse mich jedenfalls auf Sie, Steel. Und ich meine nicht den Bericht.“
Nun war es am Industrial, kurz aufzulachen. Er nickte, ernst und beinahe verschlossen, als Armstrong ein letztes Mal zurück sah.

**
„Und jetzt die Siebziger.“
„Siebziger aufmunitioniert, Sir.“
„Ich gebe Feuer.“
Die schwere Kanone ruckte einmal, dann rutschte die blinde Patrone ins Abschussrohr. Da sie keinen Treibsatz hatte, schoss sie nicht hindurch, egal wie oft der Hammerbolzen auf den Zündhut hämmerte. Aber es war ein passabler Funktionstest.
„Okay, Sir, die Siebziger funktioniert auch.“ Samantha Rogers lugte an der Waffe vorbei ins Cockpit und lächelte mit ihrem mit Öl verschmierten Gesicht schüchtern.
„Dann machen wir noch den Instrumentecheck. Anschließend laden wir die Waffen.“
„Die übliche Mischung Buntfeuer, Sir? Panzerbrecher, Magnesium, Explosiv, Panzerbrecher, Magnesium?“
Panzerbrecher waren dazu gedacht, die schützende Hülle eines gegnerischen Vogels zu durchschlagen oder nachhaltig abzuschaben. Magnesiumkugeln hatten nicht diese Fähigkeit, neigten aber dazu, zu miesen kleinen Brandherden zu werden, die alles Brennbare in der Umgebung entzündeten. So manche Maschine war vom Himmel gefallen, weil sich Magnesiumkugeln in die Tragflächen und die dortigen Treibstofftanks gefressen hatten. Explosivgeschosse hingegen waren kleine Vorschlaghämmer, die versuchten, jede noch so kleine Schwachstelle nachhaltig auszunutzen und potenziert Schaden anzurichten.
Deshalb neigten die meisten Piloten dazu, gemischte Munition mitzunehmen.
„Wie immer, Sam. Aber bei den Raketen gibt es eine Änderung. Ich nehme diesmal nur Blitz mit. Das Cat Pack unterstützt lediglich. Ich werde mir wohl kaum einen weiteren Abschuss holen müssen.“ Armstrong lächelte dünn. Seit er diese Zigarre hatte, seit er zwei Staffeln unter einen Hut bekommen musste, hatte er lediglich assistiert. Dabei hatte er eigentlich gedacht, als Chef seine Abschüsse etwas in die Höhe treiben zu können. Aber die Verantwortung ließ ihn immer zuerst an seine Leute denken, dann erst an sich selbst.
Es war verrückt.

„Ist gut, Sir“, sagte die Cheftechnikerin und lächelte erneut. Verstohlen wischte sie sich durch ihr Gesicht und verschmierte dabei den Ölfilm.
„Ist irgendwas, Sam?“
„Wie meinen, Sir?“
„Genau das meine ich. Warum dauernd dieses Sir, Sir? Ich dachte, das haben wir mittlerweile hinter uns gelassen.“ Vertraulich legte er der Technikerin eine Hand auf die Schulter.
Nachdrücklich schob die blonde Texanerin die Hand von ihrer Schulter herab. „Bitte, Sir. Nicht das. Nicht jetzt. Ich bin nicht sicher, ob ich da mithalten kann.“
„Sie sprechen in Rätseln, Sam“, tadelte Dave verwundert. „Wo können Sie nicht mithalten?“
Die junge Frau sah verlegen weg. „Ich kann mit Ihrer Russin nicht mithalten, Sir.“
„Mit meiner…Was, bitte? Können Sie es mir bitte so erklären, dass ich es verstehe, Sam?“
Dave fühlte, wie sich ihre schlanken, aber kräftigen Hände in seine Fliegerjacke krallten. Sie zog heftig, und beinahe wäre der Pilot aus dem Cockpit gefallen.
Sam Rogers stoppte ihn, wenngleich nicht ganz auf konventionelle Weise. Ihr intensiver Kuss war in mehrerlei Hinsicht eine echte Überraschung.
Als sie die Hände wieder löste und den harten Kuss beendete sah sie verlegen zur Seite. „Sie haben mit Anja in Sky Haven geschlafen, nicht? Ich komme da nicht hinterher. Nicht so schnell und…“
Dave starrte sie nur mit offenem Mund an. Hatte er da was nicht mitgekriegt? Was war passiert? Und wie hatte es über ihn hereinbrechen können, ohne ihn zu fragen?
„Sam, ich…“
„Ich weiß schon, ich weiß. Das war rein sexuell. Sie wollen keine Beziehung, weil der Tod Ihrer Freundin noch nicht lange genug her ist und Sie haben mich als Partnerin noch überhaupt nicht ins Auge gefasst. Ich mache mir da nur was vor und habe mich von Ihrem selbstsicheren Auftreten und dem hübschen Gesicht verleiten lassen. Nun habe ich mich in etwas verrannt, und ich muß da alleine wieder raus finden. Tut mir Leid, dass ich Sie da mit rein gezogen habe.“
Wütend und unsicher schüttelte Dave den Kopf. „Sam, ich…“
„Schon gut, Sir. Es ist mein Fehler, nicht Ihrer. Gehen Sie da raus, holen Sie ein paar Kommunisten runter und machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie wieder kommen, bin ich wieder ganz die Alte. Versprochen.“
Armstrong fühlte sich übergangen, verraten und wie nach einem Sprung ohne Fallschirm. Was war gerade geschehen?
Sam verschränkte die Arme ineinander, hob sie über den Kopf und streckte sie. „So, das musste einfach sein. Jetzt fühle ich mich besser. Ich gebe Nick Bescheid, damit er sich um Ihre Raketen kümmert, Sir.“

Die blonde Technikerin wandte sich der Maschine von Dusk zu und Dave starrte ihr hinterher. Irgendwie sehnte er sich nach der Einfachheit eines Luftkampfs gegen eine zehnfache Übermacht.
Steel klopfte gegen das Plexiglas seiner Pilotenkanzel. „Armstrong, ich bin ziemlich sicher, dass mich das nichts angeht, aber was ist hier gerade passiert?“
Dave zog die Stirn kraus und sah den Industrial an. „Das, zum Henker, wüsste ich selbst gerne.“

**
Sie trafen um sechs Uhr einunddreißig mit den beiden Staffeln unter Anjas Kommando zusammen. Sammelpunkt war ein lang gestrecktes Flusstal in Küstennähe, in dem sie leitern konnten. Der Leiterformationsflug wurde normalerweise nach dem Start angewandt und bedeutete, dass die Piloten eine geordnete Schleife flogen, bis die letzte Maschine gestartet war und sich eingereiht hatte.
In diesem Fall schloss das Cat Pack zu den weißen Piloten auf, flog einige Zeit in Formation und verließ mit ihnen zusammen das Tal. Der Kurs ging aufs offene Meer hinaus, dicht über dem Wasser. Vier voll beladene Autogyros folgten ihnen.
„Hier ist der Plan“, kam es von der Führungsmaschine, einer reich verzierten Devastator mit weißem Heck und königsblauem Rumpf. Unverkennbar Anja. „Die erste Staffel, Dnepr-Kosaken, greift die Begleitflugzeuge an. Die zweite Staffel, Amur-Tataren, attackiert die MG-Gondeln der Zigarre. Armstrong, es wäre nett, wenn das Cat Pack nicht nur bei den MG-Gondeln hilft, sondern auch bei den Begleitfliegern ein wenig mithilft.“
„Roger. Rocket, Rainmaker, Ihr helft die MGs auszuschalten. Klutz, Silence, Ihr kämpft die Begleitstaffel mit nieder. Armstrong und Dusk gehen auf hohe Sicherung. Ich wiederhole, Armstrong und Dusk gehen auf hohe Sicherung.“
„Einverstanden. Wir brauchen für die gesamte Aktion maximal eine halbe Stunde. Dnepr-Kosakenleader Ende und aus. Armstrong, kommst du kurz auf meine Privatfrequenz?“
„Roger.“
Neugierig wechselte der Deutsche die Ruffrequenz. „Was kann ich für dich tun, Anjanka?“
„Ich bin nur neugierig, Armstrong. Warum hast du deiner Staffel rote Sonnen verpasst?“
„Ach, weißt du, falls sich die Gelegenheit ergibt, dachte ich, packe ich mal meine zwei, drei Brocken japanisch aus und tue was für die russisch-japanische Freundschaft.“
„Ach. Der Angriff als getarnte Russen auf das japanische Flugfeld reicht dir wohl noch nicht?“
„Nein.“
„Okay. Wenn alles gut geht, sprechen wir nach dem Kampf miteinander.“
„Und wenn nicht alles gut geht?“
„Dann sprechen wir im Kampf miteinander.“
Dave lachte auf. „Verstanden. Sag Bescheid, wann ich hoch ziehen soll.“
„Roger.“

Armstrong wechselte wieder auf die Staffelfrequenz. Ansonsten beschränkte er sich darauf, die Maschine in Formation zu halten. Nach dem Soloauftritt des Dog Pack war sein Cat Pack scharf darauf zu beweisen, dass sie es ebenso drauf hatten wie die Hunde. Nun, er hatte nichts dagegen. Ein wenig Ehrgeiz zwischen den Staffeln erhöhte die Leistungsbereitschaft.
„Zigarre kommt in Sicht. Wir fangen jetzt an.“
„Roger, Anja. Gute Jagd. Rocket, Klutz, ihr kennt eure Aufgaben. Dusk, wir gehen zuschauen.“
„Ich wusste es war ein Fehler, mich an deinen Flügel heften zu lassen“, schimpfte die große Texanerin gespielt. „Nie gönnst du einem den Spaß.“
Die beiden Furys lösten sich vom Hauptfeld und begannen mit dem Aufstieg.

Die Soviets flogen vorschriftsmäßig. Ein Vogel auf hoher Sicherung – meistens das erste Opfer des Dirty Packs, wenn es angriff – und eine Rotte als Außenverteidigung. Diese Aufteilung erlaubte es permanent der Hälfte des Begleitschutzes, an Bord zu sein.
Während Armstrong die Fury klettern ließ, hatte er genügend Gelegenheit, die schnelle Reaktion der Russen zu beobachten. Der Beobachter auf dem hohen Posten ging in den Sinkflug und die Zigarre, namentlich die PUSCHKIN, spuckte die restlichen Flieger zur vollen Staffel aus. Dave zählte zwei Devastatoren, zwei Brigand und zwei Defender.
Die Brigand waren etwas ungewöhnlich, aber als Schlachtflieger, kleine mobile Festungen, nicht zu unterschätzen. Gerade in der Verteidigung machte sie das zu gefährlichen Gegnern.
„NASTUPLENJIE!“, hörte er Anja rufen. Sofort setzte sich ihre vordere Devastator-Rotte vor das Feld und schwenkte auf die Verteidiger ein. Ihr folgte Klutz mit Silence an der Seite.
Der Rest der Staffel folgte.
Danach schwenkte die andere Staffel mit Rocket und Rainmaker in der Formation ein, um der Zigarre saures zu geben.

Armstrong erreichte die von ihm bevorzugte Flughöhe dank der guten Steigleistung der Fury recht schnell, aber nicht schnell genug, um in bequemer Beobachtungsposition für den ersten Abschuss zu sein. Einer der Roten, eine Devastator, von Klutz und einem Weißen in die Zange genommen, stürzte in den Bach, bevor Armstrong wieder in die waagerechte ging.
Melissa Vandersen formierte sich an seinem Flügel. „Geht ja schon mächtig heiß her, da unten.“
„Was, willst du etwa mitspielen?“, scherzte Dave.
„Leichter Wind aus Südwest, stellenweise böig bis Windstärke sechs. Wolkenschichten auf tausend bis dreitausend Fuß. Kein Anzeichen weiterer Feindkräfte“, sagte sie stattdessen. „Nur für den Fall dass du glaubst, ich beobachte den Kampf, anstatt meine Arbeit zu tun.“
„Danke, Dusk, du bist ein Goldstück.“
„Dann bezahl mich auch so“, scherzte sie.

Unter ihnen wurde der zweite Russe in den Bach geschmissen, diesmal aber ein Weißer.
„Die Roten sind ganz schön hartnäckig“, brummte Dave besorgt. Die Kämpfe waren hart, keiner schenkte dem Gegner etwas. Und obwohl acht Maschinen die Staffel der Verteidigung der PUSCHKIN niederhielten und dezimierten, wehrten sich die Roten verbissen und wagten sogar öfter Vorstöße gegen die anderen acht Maschinen, die gegen MG-Nester und Antriebsgondeln vorgingen.
Dennoch fiel ein MG nach dem anderen aus.
„Wir holen jetzt die Gyros nach“, verkündete Anja, als das Verhältnis Angreifer-Verteidiger auf fünf zu zwei gefallen war. Auf der gegnerischen Seite waren nur noch eine Brigand und eine reichlich zerfledderte Defender in der Luft, und Klutz gab sein Bestes, um den Kollegen in seiner Lieblingsmaschine davon zu überzeugen, dass der Bach viel besser zu ihm passte als der Himmel. Aber er selbst hatte auch schon eifrig einstecken müssen. Stick hatte kurz davon berichtet, Klutz wäre verletzt worden. Der Dicke hatte aber sofort dementiert und war im Kampf geblieben. Allerdings war sein Vogel ganz schön gefleddert worden.
Die zweite Staffel der Weißen, die Tartaren, meldete den Abschuss des letzten MG-Nestes. Der Zeppelin verzögerte bereits merklich aufgrund der fehlenden Antriebsstärke. Und die vier Gyros mit der Infanterie kamen schnell für das Entermanöver heran.
„Anja, willst du die PUSCHKIN nicht zur Kapitulation auffordern?“, mischte sich Dave ein.
„Kapitulation? Das mag bei euch Yankees klappen, mein Süßer, aber wir sind Russen. Sie erwarten keine Gnade von uns. Und wir wären ohnehin nicht bereit sie zu gewähren. Diese Narren haben es nicht besser verdient!“, zischte sie.
Unwillkürlich dachte Dave an die Nacht in Sky Haven zurück, an die Leidenschaft, die Zärtlichkeit, ihre weiche Haut und die süße Stimme, als sie dem Höhepunkt entgegenstrebte…Und verglich sie mit der harten, ja, grausam klingenden Stimme dieser Frau. Armstrong wünschte sich Stephanie zurück.

Er hatte ja gewusst, dass es so kommen würde. Er selbst war ein Fremder hier, hatte keinen Hass auf die Roten oder die Weißen, war weder jahrelang unterdrückt worden noch unerträglich arrogant gewesen, hatte die Zarenzeit nicht miterlebt und nie im Großen Krieg gekämpft. Kurz, er konnte ihnen nicht in die Seelen sehen und ihre schweren Wunden erkennen. Er konnte nicht sehen, was da noch heilen konnte und was unrettbar verrottet war.
Und sicherlich wollte er es auch nicht. Also musste er die Russen die Sache unter sich ausmachen lassen und sich so weit wie möglich raus halten. Auch wenn es ihm schwer fiel.
Die unsichtbare Linie, schwor er sich, war erreicht, wenn die Weißen Wehrlose aus dem Zeppelin werfen würden. Denn das war weder gut für das Dirty Pack, noch für seine Nachtruhe. Nicht mehr nach dem, was die LEVIATHAN Wehrlosen angetan hatte. Nie mehr.

Die ersten beiden Gyros gingen per Hangar an Bord. Beinahe sofort schoss eine Stichflamme aus dem Hangar. Armstrong riss sein Fernglas heran, stellte es kurz ein und sah deutlich, wie mehrere Menschen als brennende Fackeln aus dem Zeppelin fielen. Ihnen stürzte ein brennender Gyro hinterher.
In der Funkverbindung knackte es, als sich der verbliebene Gyro meldete. „…Schweres Feindfeuer… Gut ausgebaute Stellungen… Hilfe…“
Die anderen beiden Gyros landeten und dank des Schutzes des noch intakten Drehflüglers aus der ersten Welle schafften sie es auch aufzusetzen.
Die Funkmeldungen aus dem Inneren der Zigarre jedenfalls waren nicht sehr ermutigend.
„…weiterhin schweres Feuer…MG-Stellungen in den Gängen…Wir versuchen sie zu werfen… Handgranaten und andere…“
Wieder erfolgte eine Explosion. Ein Seitenschott des Hangars beulte sich aus und segelte dann in die Tiefe. Drei Tote folgten dem Metallschott in die kalte See. Armstrong korrigierte sich selbst. Eigentlich waren es nur zwei. Es sah nur mehr aus.
„Anja, das ist ein Fiasko“, murmelte er mehr zu sich selbst.
Mittlerweile war auch der letzte Flieger des Geleitschutzes zu den Fischen geschickt worden. Die übrigen Maschinen, die vollen zwei Rotten des Cat Packs und neun Maschinen der Weißen, umkreisten den immer langsamer werdenden Transporter wie Indianer einen Wagentreck.
„Klutz, wie sieht es aus? Wie schlimm sind die Schäden?“
„Es geht, Armstrong. Nichts, was nicht noch ein paar Flugstunden aushält“, kam die Stimme des Dicken über Funk. Sie klang erschöpft, und Dave erkannte keinerlei Anzeichen für eine Verletzung. Dennoch. „Du und Stick habt gute Arbeit geleistet. Fliegt nach Hause und lasst euren Vogel zusammen flicken. Silence, du begleitest Klutz. Hier draußen gibt es keine Vögel mehr, den Rest schaffen wir schon.“
„Aber Armstrong, wir…“
„Keine Widerrede, Klutz. Noch habe ich hier das sagen.“
„Okay. Roger. Melden uns ab.“
Dave wechselte die Frequenz. „Anja, ich schicke meine Brigand nach Hause. Hier ist ohnehin nichts mehr für sie zu tun.“
„Was? Ja, ist in Ordnung. Wir haben sowieso ganz andere Sorgen im Moment.“
„Soll ich helfen kommen?“
„Kannst du mit deiner Fury im Innern einer Zigarre kämpfen?“, spottete sie.
„Dürfte etwas eng werden.“

Armstrong lauschte weiter dem Funk, während er mit dem Fernglas den Horizont absuchte. Die Lage entwickelte sich nicht gerade rosig. Im Gegenteil. Die Infanterie der Weißen bekam, um es mal auf den Punkt zu bringen, tüchtig auf die Fresse.
„Wenn die so weitermachen, schaffen sie es nie über den Hangar hinaus“, bemerkte Dusk sehr treffend.
„Unsere Frachter waren nicht so gut gesichert“, kommentierte Dave ernst. „Tja, scheint so als würden die Kommunisten langsam nervös werden, hm?“
„Gut gesichert nennst du das? Für mich klingt das nach einem Massaker. Einem übrigens sehr einseiten, wenn du mich fragst.“
„Gut, dass wir Piloten sind, was?“, scherzte Dave, obwohl ihm gar nicht danach zumute war. Immer wieder stiegen aus dem Heck und den beschädigten Seitenwänden Rauchwolken auf, die auf das Kaliber schließen ließen, mit dem die Russen einander beharkten. Und das an Bord einer Zigarre.
„Es wird vielleicht Zeit, die Infanterie zurück zu ziehen und die Zigarre einfach in den Bach zu schicken“, murmelte Armstrong halblaut.

„KLUTZ! IN DIE WOLKEN! IN DIE WOLKEN!“ Die Stimme von Silence überschlug sich fast.
„Armstrong hier! Was ist los?“
„Silence! Chef, hier sind überall Russen! Schwarze Maschinen mit silbernen Highlights, fünf Meilen hinter euch. Mindestens acht Stück! Sie fliegen knapp unter der Wolkendecke! Devastator, Coyote und Peacemaker! Verdammt, sie haben Klutz und mich nur deshalb nicht vom Himmel geholt, weil sie uns entgegen kamen und wir schneller in den Wolken waren als sie wenden konnten! Ich stecke mal kurz die Nase raus und…Schlechte Idee! Chef, da kommt ne ziemlich dicke Zigarre hinterher! Hat nen fetten russischen Stern auf der Flanke!“
„Schafft ihr es nach Hause, Silence?“
„Ich…komme schon klar, Chef. Muss…Muss nur aufpassen, dass…Dass der Vogel nicht noch was abkriegt…“
„Silence, vermeidet weiteren Feindkontakt. Aber führt die Russen nicht unbedingt direkt zu unserer Zigarre!“
„Roger. Viel Glück, Chef.“
„Roger. Ende und aus.
Anja, hast du mitgehört? Wir kriegen Besuch! Der große Bruder der PUSCHKIN ist unterwegs! Fünf Kilometer, kommen schnell näher! Wir müssen uns absetzen!“
„Wir können hier nicht weg! Diese Schweine haben unsere Infanterie festgenagelt! Sie kommen nicht zu ihren Gyros zurück. Und ich lasse niemanden in den Händen der Roten zurück, eher sterbe ich!“
„Dusk!“, blaffte Armstrong und drückte die Maschine hinab. Sofort hängte sich The Dusk an seinen Flügel und blieb dort.
„Schick deine langsameren Vögel schon mal vor! Ich bleibe mit meinen zwei Rotten hier und warte bis die Infanterie in den Gyros sitzt und gebe ihnen Begleitschutz!“
„Verdammt, ich habe dir doch schon gesagt, dass sie festsitzen!“
„Halt die Klappe und hör mir zu!“, blaffte Dave ungehalten. „Deine beschädigten und langsameren Vögel sollen sich absetzen! Sofort! Um den Rest kümmere ich mich! Dusk, bleib über der Zigarre und gib mir die aktuelle Lage rüber.“
„Verstanden, Armstrong!“ Die andere Fury löste sich und begann über der PUSCHKIN zu kreisen.
Dave reduzierte die Geschwindigkeit seiner Fury und setzte sich hinter die Zigarre. Nachdrücklich passte er sich dem Zeppelin an, hielt auf den Hangar zu.
„Willst du landen? Na toll, einer mehr, der auf dem Kahn festsitzt!“ Anjas Stimme klang nervös.
„Hast du noch Funkkontakt zu deinen Leuten, Anjanka?“, fragte Dave im freundlichsten Ton, zu dem er im Moment fähig war – mit einem Hangar vor Augen, in dem Dutzende Mündungsblitze aufleuchteten, Blut über den Rand hinab floss als wäre es Wasser und Dutzende Kugeln sogar über seine Fury schrammten. Eine schlug direkt in seinem Cockpit ein und blieb im Plexy stecken. Wäre sie weitergeflogen, hätte sie ihn in der Stirn getroffen.
„Ja. Wieso?“
„Sag ihnen, sie sollen sich sofort zu Boden werfen!“
„Was? Du bist wahnsinnig!“
„Tu es!“

Der Hangar erschien Dave wie ein schwarzes Loch. Nur das gelegentliche Aufblitzen von Mündungsfeuer und kleineren Explosionen erhellte die Finsternis für ihn. Im Klartext, er sah fast nichts. Zumindest aber konnte er die drei Gyros erkennen. Einigermaßen zumindest.
Anjas Stimme gellte auf Russisch auf und Dave reagierte sofort. Er hielt die Fury gerade und zog die Abzüge für die Dreißiger und Vierziger Kanonen durch. Damit schoss er mehrere Runden in den Hangar, ohne Rücksicht auf Freund und Feind und bestrich den gesamten Hangar, so gut es ging. Explosivgeschosse, Panzerbrecher und Magnesiumkugeln machten aus der kleinen Hölle eine richtige.
„Und jetzt raus mit deinen Leuten!“
„Du hast einen der Gyros zerschossen, du Idiot!“, rief Anja aufgebracht.
„Würde mich wundern, wenn du mehr als zwei brauchst, um die Reste von deiner Infanterie zu evakuieren“, blaffte Armstrong zurück.
„Chef, es wird eng. Die Russen sind auf eine Meile ran! Wir sollten stiften gehen!“, meldete Melissa Vandersen.
Dies war der Augenblick, in dem der erste Gyro startete. Kurz darauf gab es mehrere kleinere Explosionen im Hangarinneren, wahrscheinlich von seinen Magnesiumkugeln ausgelöst. Die Flammen und der Druck leckten nach dem zweiten Gyro, der so regelrecht aus dem Hangar hinaus gedrückt wurde. Aber die agile Maschine schaffte es.

„Und jetzt weg hier! Rocket, du begleitest die Gyros und passt auf sie auf. Dusk, du bleibst noch etwas.“
„Wir setzen uns jetzt ab. Dieses Debakel hat uns nur Blut gekostet. Was willst du hier noch, Armstrong?“
„Na was wohl, Anjanka? Mich für die Falle bedanken. Seht zu, dass Ihr Land gewinnt!“ Hart zog er die Fury hoch, auf eine Linie mit Dusk. „Ein Anflug, volle Salve auf die Hülle.“
„Die verdammten Kommis sind aber schon ziemlich nahe“, gab sie zu bedenken. „Sechshundert Yards, kommen schnell näher!“
„Folge mir einfach!“ Armstrong machte eine Kehre, sammelte Geschwindigkeit und zog auf die Zigarre zu. „Feuer!“
Die Waffen beider Maschinen bellten auf, rissen große Fetzen aus der Hülle des Zeppelins.
„Das reicht aber nicht, um ihn vom Himmel zu putzen!“
Lautes Prasseln von Metall auf Metall erinnerte Armstrong daran, dass die ungebetenen Gäste eingetroffen waren. „Booster, Dusk!“ „Roger!“
Die beiden Furys zogen über die Zigarre hinweg und aktivierten die Nitrobooster. Sofort machten sie einen Satz aus der Reichweite der russischen Maschinen heraus und in eine trügerische Sicherheit. Armstrong sah zurück und zählte dreizehn Maschinen. Die verdammte Falle hatte nicht ganz funktioniert. Aber es war eng geworden und noch lange nicht vorbei. Den Booster konnten sie auch nicht ewig benutzen. Nun galt es, genügend Vorsprung heraus zu holen, die Steigleistung der Furys auszunutzen, damit die schnelleren sovietischen Defender ihnen nicht zu schnell hinterherkamen. Und wenn sie es doch kamen, dann alleine. Dann konnten die texanischen Kaperer in den Kurvenkampf gehen und sie niederkämpfen.
„Noch mal den Booster“, befahl Dave und drückte den entsprechenden Knopf ein. Wieder machte die Fury einen mächtigen Satz und entkam so zwei Explosivraketen.
Armstrong biss sich auf die Unterlippe. Dann aktivierte er sein Funkgerät und ging auf die Frequenz der Roten. „Diese gemeinsame Aktion von uns und den Weißen Befreiungskräften für Alaska war die Rache für den feigen, hinterhältigen sovietischen Nachtangriff auf Shirow Kuma Ichiban! Weitere Aktionen werden folgen!“
Dave schaltete wieder auf den Staffelkanal.
„Du hättest noch Banzai brüllen sollen. So glaubt dir doch kein Mensch, dass wir Japse sind“, tadelte Dusk. Hinter ihnen zogen tatsächlich die Defender her und versuchten ihren Geschwindigkeitsvorteil auszunutzen.
„Sollen sie ja auch gar nicht. Genauso wenig wie die Japaner glauben sollen, wir wären beim Angriff auf das Landefeld Russen gewesen“, erwiderte Dave konzentriert.
„Was? Und warum dann der ganze Scheiß? So wie das klingt glaubst du ja, die Japaner und die Russen haben uns sofort durchschaut.“
„Natürlich haben sie das, wenn sie keine Vollidioten sind“, erwiderte Dave. „Steigen, Dusk. Wir gehen erstmal auf fünftausend. Dann in die Wolkenformation auf neun Uhr und rüber zur Küste.“
„Also? Warum dann? Warum die Mühe?“
Dave lächelte dünn. „Nun, vielleicht gibt es bei den Japsen oder den Ivans jemanden oder mehrere, denen so ein Vorwand gerade sehr gelegen kommt…Wer weiß? Und wenn sie doch drauf reinfallen, soll uns das auch Recht sein.“
Als die beiden Furys in die Wolken eintauchten, atmete Armstrong erleichtert auf.
„Funkstille ab hier.“
„Roger.“
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„Es hat Klutz übel erwischt“, stellte Blue fest. „So schnell kommt der in kein Cockpit rein. Wir sollten ihn so schnell es geht zu einem guten Arzt bringen.
Die Brigand wurde auch ordentlich angenagt. Sam hat eine Woche veranschlagt. Minimal. Stick hat auch ein paar Kratzer abbekommen, aber nichts, worüber wir uns Sorgen machen müssten.
Bei Rocket sieht es schlimmer aus. Hoher Blutverlust, gebrochener linker Arm. Er fällt mindestens für zwei Monate aus. Und ich brauche wohl nicht zu sagen, dass er ebenfalls einen guten Arzt gebrauchen könnte. Seine Mühle hat fast Schrottwert. Wenn wir einen Ersatzpiloten hätten, müssten wir ihn in die Reservemaschine stecken. Die Bloodhawk fliegt jedenfalls nicht mehr.“
Armstrong faltete die Hände vor dem Gesicht zusammen und zog die Stirn kraus. „Keine Toten bei uns. Der Rest lässt sich zusammenflicken. Also gut, Jeff, Kurs auf die nächste größere kanadische Stadt, die uns landen lässt.“
„Verstanden.“
Armstrong sah auf, blickte in die Runde. Rocket hatte sich die Verletzungen bei einem Dogfight mit einer Devastator geholt, die ihn und die Gyros eingeholt hatte. Rocket hatte verbissen gekämpft, aber den Abschuss eines weiteren Drehflüglers nicht verhindern können. Zudem war er selbst verletzt worden, seine Mühle hatte es ordentlich zerfleddert. Rainmaker hatte es zur gleichen Zeit mit einer Peacemaker zu tun gehabt und nicht helfen können. Geschweige denn von den anderen zerrupften Weißen auf Fluchtkurs. Sie hatten bei dem Angriff der schnelleren Flieger noch eine Maschine eingebüsst, im Tausch für zwei Verfolger und ihren zweiten Gyro.
Anjas Gruppe hatte fürchterlich gelitten. Ob sie sich jemals davon erholte war fraglich. Das es eine Falle gewesen war hingegen nicht.

„Das war ja ein schönes Fiasko“, meldete sich Steel mit Sarkasmus in der Stimme zu Wort.
„Sie haben Recht, Steel. Es war ein Fiasko. Kein Wunder, dass die Reste der Tartaren und der Kosaken an uns vorbei gerauscht sind, ohne uns eines Blickes zu würdigen oder sich für Rockets Hilfe zu bedanken. Von unserer ganz zu schweigen“, meldete sich Dusk zu Wort.
„Nach den Verlusten wären wir auch nicht in der Stimmung gewesen, uns zu bedanken. Vielleicht sind wir sogar noch Schuld an dieser Falle, immerhin haben wir vier ihrer Zigarren aufgebracht“, tadelte Steel ernst.
„Es war ein Goldtransport“, sagte Dave ernst. „Wir hatten nicht gerade die Kontakte, um gerade einem Goldtransport nachzuspüren. Anja hatte sie schon.“
„Was wollen Sie damit sagen, Armstrong?“
„Nun, Steel, es war eine Falle. Und ich glaube, den Roten war egal, wer ihnen da reintappt. Hauptsache, sie haben was zu feiern.“
Dave stand auf. „Ich werte das Gefecht offiziell als Niederlage. Blue, mach einen entsprechenden Logbucheintrag. Und dann lasst uns hier verschwinden. Ich habe die Schnauze voll von Alaska.“
„Aye, Sir.“

**
Es war spät in der Nacht und der Hangar lag still vor Armstrong. Es brannten ein paar Lampen, sie tauchten die abgestellten Flugzeuge in schummriges Licht. Er selbst lehnte neben dem Heckschott und sah hinaus. Es war bitterkalt, aber die Tasse Kaffee in seiner Hand war ihm im Moment Wärme genug.
„Woran denken Sie, Armstrong?“, klang Steels Stimme auf. „Nimmt Sie der Rückschlag so sehr mit?“
Dave wandte sich um, sah Steel mit einem eigenen Stahlbecher näher kommen.
Der Commander winkte seinen Staffelkommandeur heran, griff nach einer Glasflasche neben sich, entkorkte sie und schenkte dem Industrial einen ordentlichen Schluck ein.
„Ich werte es nicht als Rückschlag“, sagte Armstrong ernst. „Es ist vielmehr unsere erste große Belastungsprobe. Wir haben beinahe zwei Mühlen und drei Leute verloren. Was meinen Sie, wie nimmt die Crew es auf?“
„Unter dem Gesichtspunkt einer Belastungsprobe? Recht gut.“
„Dann bin ich zufrieden. Es hätte schlimmer sein können. Und die Crew hätte anders reagieren können. Gerade die Texaner.“
„Sie sind doch nicht etwa zufrieden? Himmel, wer weiß, vielleicht haben wir einen Krieg zwischen den Russen und den Japanern angezettelt. Von den zwei Maschinen und den Crews ganz zu schweigen.“
„Dem gegenüber stehen vier geplünderte Frachter und ein sehr erfolgreicher Nachtangriff. Von den beiden Russen, die wir bei der letzten Aktion in den Bach schmeißen konnten gar nicht zu sprechen. Doch, auch wenn das für Sie hart klingt, Steel, ich bin zufrieden. Vielleicht nicht als Mensch und Pilot. Aber als Commander bin ich zufrieden.“ Armstrongs Hände krallten sich um die Tasse. „Muss es sein.“
„Dennoch war es ein Fiasko“, erwiderte Steel hartnäckig, nippte an seinem Kaffee und hustete. „Bisschen stark.“
„Wäre ich ein Arsch, würde ich jetzt sagen: Na und? Es waren ja nur Russen.“
„Und was sagen Sie stattdessen?“
„Wir fliegen um zu töten und zu sterben. Genießen wir die Zeit, bis der große Lotse im Himmel unseren letzten Flug leitet.“
„Was für ein Bullshit“, brummte Ernst Stahl über den Rand seiner Tasse hinweg.
„Und es hat uns niemand verboten, bis dahin Spaß am fliegen zu haben, oder?“, fügte Armstrong mit einem dünnen Grinsen an.
„Schon besser.“

Sie schwiegen einige Zeit und tranken den Kaffee. Schließlich nickte Steel und kippte die traurigen Reste aus seiner Tasse die Rampe hinab. „So, ich gehe schlafen. Meine Rotte geht morgen als erste raus. Gute Nacht, Commander.“
„Gute Nacht, Steel. Ach, Steel?“
„Ja?“
„Was denken Sie? Sind wir bereit für die LEVIATHAN?“
Der Industrial zögerte bei dieser Frage. „Nun…Ich denke nicht, dass man dafür bereit sein kann. Aber wenn wir die Gelegenheit bekommen, sollten wir sie nutzen.“
„Gute Antwort.“ Armstrong kippte ebenfalls den kläglichen Rest der Tasse aus und schloss das Heckschott. Es war ein langer Tag gewesen.
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NKVD-Oberst Oleg Bergmann saß an seinem Schreibtisch. Der Geheimdienstoffizier las konzentriert. Die Papiere, die vor ihm auf dem Tisch lagen, waren das Ergebnis der Verhaftung und des Verhörs eines Verräters. Der Mann hatte in der staatlichen Lufttransportdienststelle gearbeitet und Informationen an Weiße und Piraten weitergegeben – wenn es da überhaupt einen Unterschied gab. In seinem Haus waren nicht nur Devisen, sondern auch einige interessante Dokumente gefunden worden. Aufbauend darauf hatte man den Verräter verhört – achtundvierzig Stunden, rund um die Uhr und ohne Gnade. Er war schon nach zwanzig Stunden „kooperationsbereit“ gewesen. Danach hatten die Verhörspezialisten des NKVD aus dem Mann alles herausgeholt, was er wusste – ALLES. Es ging um schnelle Ergebnisse, deshalb hatte man auf körperliche Gewalt gesetzt. Von dem Verräter war nichts geblieben, als ein wimmerndes, blutendes Bündel.
Oleg Bergmann sah auf seine Armbanduhr, dann las er weiter. Er zuckte nicht einmal zusammen, als von Draußen eine schneidende Stimme „OGON’!“ brüllte und eine Salve erklang.
Ruhig nahm Oberst eine andere Akte auf, die auf seinem Tisch lag und schrieb: „Urteil vollstreckt.“ Dann unterzeichnete er mit seinem Namen.

Mit einem kurzen Anflug von Unbehagen fragte er sich, ob bald ein anderer NKVD-Offizier unter eine Akte mit SEINEM Namen das gleiche schreiben würde. Die Operation war keineswegs verlaufen, wie erhofft. Die Verluste waren zu verkraften – aber es war nicht gelungen, die angreifenden Piraten zu vernichten. Natürlich hatten sie schwere Verluste erlitten, die in den Berichten gebührend herausgestrichen worden waren – aber es war keineswegs ein klarer Sieg gewesen. Die PUSCHKIN war schwer beschädigt worden. Sie hatte zwar ihren Zielhafen erreicht, aber den Rest der Strecke hatte die DIMITRI DONSKOJ Nahsicherung fliegen müssen. Dementsprechend waren weitere Piratenangriffe weitestgehend ausgeblieben. Immerhin konnten die Roten Flieger noch zwei Piratenflugzeuge abschießen, als eine andere Piratenbande sich etwas zu nahe heranwagte, bevor sie den hastigen Rückzug antrat. Das Gold hatte sicher (und ohne dass die List erkannt wurde) den Bestimmungsort erreicht.
Jetzt hing alles davon ab, wie die Führung entschied. Um das Militärische Oberkommando Fernost machte sich Bergmann keine großen Sorgen. General Grigori Shukow war roh, oft rücksichtslos, aber nicht ungerecht. Wenn ihm das Ergebnis nicht gefiel, würde er die beteiligten Mitglieder der Streitkräfte und der GRU zusammenscheißen, vielleicht auch jemanden degradieren – aber das würde alles sein.
Wenn hingegen die Dienststelle Fernost des NKVD zu der Ansicht kam, die Mission ein Reinfall gewesen war – nun, dann konnte Bergmann von Glück reden, wenn er mit einer Degradierung davonkam. Wahrscheinlicher aber würden dann zehn oder mehr Jahre Straflager sein. Oder das Todesurteil. Es war schwer abzuschätzen.
Doch diese Gedanken waren dem Oberst nicht anzusehen – man wurde nicht NKVD-Offizier, ohne zu lernen, sich Unsicherheit oder Unruhe nicht anmerken zu lassen.
Als es gegen die Tür hämmerte und auf Bergmanns „Wojdite!“ ein NKVD-Oberleutnant eintrat und salutierte, erwiderte Bergmann den Gruß ruhig und souverän.
„Genosse Oberst, Ein Fernschreiben aus Wladiwostok!“
„Geben Sie her.“ Auch Bergmanns Stimme klang ruhig und beherrscht. Wenigstens war nicht seine sofortige Verhaftung befohlen worden, ansonsten wäre der Oberstleutnant nicht alleine erschienen. Bergmann nahm den Papierstreifen und las. Er hätte fast gelächelt. Sie hatten Glück gehabt. Auch wenn die Führung den Erfolg für „geringer als erwünscht“ einstufte, zeigte sie sich insgesamt mit dem Konzept zufrieden.

Als Bergmann fünfzehn Minuten später Oberst Rybatows Büro betrat, grinste der Armeeoffizier frostig: „Ich habe die Nachricht bereits erhalten.“
„Die NKVD-Zentrale Fernost empfiehlt außerdem, die Aktion noch ein paar Mal mit anderen Risiko-Transporten zu wiederholen. Wenn sich das herumspricht, vor allem wenn wir passende Gerüchte lancieren, wird dies den Piraten und Weißgardisten einiges ihres Schneides abkaufen.“
„Nun, wir werden sehen was sich tun lässt. Moskau ist aber eher besorgt über diesen dilettantischen Versuch, uns auf die Japaner zu hetzen. Laut unseren GRU-Berichten…“ Rybatow grinste wieder dünn, die Rivalität zwischen NKVD und GRU war ein offenes Geheimnis, „…will Texas am liebsten einen neuen japanisch-russischen Krieg anstiften. Verdammte Hurensöhne. Wir haben strikte Anweisung – jedweder bewaffneter Zusammenstoß ist zu vermeiden, außer zur Selbstverteidigung.
Und GRU und NKVD sollen versuchen, mehr über die Aktivitäten dieser texanischen Banditen und Diversanten herauszufinden. Die GRU hat einen Mann an einer angeblich sicheren Quelle – aber diese Informationen gehen direkt nach Moskau. Wer weiß, was wir davon zu sehen bekommen – und wann. Wie sehen Ihre Möglichkeiten aus?“
„Wir sehen den Angriff auf die PUSCHKIN in direktem Zusammenhang mit der texanischen Provokation gegenüber Japan vor ein paar Tagen. Vermutlich wissen die Weißen, die an dem Angriff auf die PUSCHKIN beteiligt waren, mehr. Wir haben einige interessante Informationen und lose Enden, denen wir folgen können.“
„Moskau können Sie nicht mit diesen Versprechungen abspeisen, Genosse. Machen Sie bitte Druck.“
„Selbstverständlich. Inzwischen sollten wir jedoch die Piratenjagd…“
„Ich kenne meine Befehle. Ich werde sehen, was ich machen kann.“


Gleichzeitig, japanischer Marinegeneralsstab

Admiral Isoruko Yamamoto richtete sich auf. Seine Stimme klang ruhig und autoritär: „Wir sind uns also einig. Wir werden auf diese Aggression entschlossen, aber beherrscht reagieren. Der Flottenbesuch der ‚Akagi’ und ‚Shoho’ in Port Arthur dürfte das richtige Zeichen sein. Außerdem wird die Presse die Verlagerung der 12. Marineinfanterie-Division nach Manschuko…gebührend würdigen. Diese Verlegung war ohnehin geplant – und die Russen wissen das wahrscheinlich. Aber sie werden das Zeichen verstehen. Der…Vorfall auf den Aleuten wird hingegen vorerst nicht weiter thematisiert werden. Nicht, bevor wir nicht genauere Informationen über die Angreifer haben. Erfolgte der Angriff wirklich durch russische Maschinen? War es eine gezielte Provokation der Sowjetstreitkräfte? Oder nur ein lokaler Schlag von Militärs, die eine Entscheidung erzwingen wollen? Es hat solche Vorfälle schon gegeben.“
Im Kreis der Admiräle wurde geschmunzelt. Die japanischen Streitkräfte hatten mit eigenmächtigen Aktionen schon mehrfach die schwache und zögerliche Regierung zum Handeln gezwungen.
Admiral Nagumo schüttelte den Kopf: „Sie wissen genau, dass es in der Armee Kräfte gibt, die ein Losschlagen gegen die Russen bevorzugen. Sie wollen eine Revanche.“
„Und sie glauben wirklich, dass das Ergebnis diesmal ein anderes wäre? General Shukov hat uns zweimal sehr deutlich die Grenzen aufgezeigt. Es fehlt unserem Heer immer noch an genügend Panzern. Und auch die Luftstreitkräfte des Heeres müssen verstärkt werden. Der Krieg in China bindet weiterhin einen Großteil unserer Armee. Großangelegte Operationen in der Weite des russischen Raumes können wir uns nicht leisten. Vielleicht sähe es anders aus, wenn Russland in Europa gebunden wäre. Aber unsere Verbündeten haben trotz der Versprechungen ihres ‚Führers’ noch nicht einmal eine gemeinsame Grenze zur Sowjetunion. Außerdem wäre es Wahnsinn mit Frankreich und England als Nachbarn einen Krieg gegen Russland zu beginnen. Von dieser Seite können wir substanzielle Hilfe deshalb wohl kaum erwarten. Bestenfalls bindet das Deutsche Reich durch seine bloße Existenz und sein Potential einen Großteil des französischen Heeres und der britischen Flotte und Luftwaffe.
Unsere vordringliche Aufgabe muss weiterhin die Errichtung der großasiatischen Wohlstandszone sein. Und die Sicherung der nötigen Ressourcen an Lebensmitteln und Rohstoffen, die dem Kaiserreich Autarkie und die Verteidigung seiner Grenzen gewährleistet. Amerika ist zerfallen. Damit ist unserer Hauptgegner im Pazifik effektiv als Großmacht ausgefallen. Heute fürchten die Amerikaner eher eine Invasion ihres Kontinents, als dass sie sich bei einem Krieg gegen uns irgendwelche Chancen ausrechnen. Der pazifische Raum, die Kolonien der alten Kolonialmächte, sind zum Greifen nahe und nur schlecht verteidigt. In Indochina kann Frankreich noch nicht einmal die einheimische Bevölkerung kontrollieren. Singapur ist mehr ein Name, ein Propagandagespinst, als eine echte Festung. Aber ihr Fall würde die Herrschaft der Europäer endgültig als schwach und angreifbar entlarven. Großbritannien befindet sich in einem unerklärten Konflikt mit unseren Verbündeten. Frankreich ist immer noch geschwächt durch den letzen Krieg und starrt wie gebannt auf seine Nordgrenze. Diese Situation gilt es auszunutzen.
Und dies bedeutet vor allem den Ausbau der Marine und unserer Luftstreitkräfte – auch denen der Armee. Die Formierung neuer Luft- und Marinelandedivisionen. Es gibt in der Armee genug Offiziere, die wie wir nach Süden schauen. Wir müssen es nur verstehen, sie auf unsere Seite zu ziehen. Dann haben wir die Macht, der Regierung die nötigen Schritte abzunötigen.“
„Und der Kaiser?“
„Wird tun, was für Japan das Richtige ist.“ Die Blicke der Offiziere richteten sich bei diesen Worten unwillkürlich auf das Bild Kaiser Hiroitos. Sie alle wussten, der Kaiser war ein wenig entschlossener Mann, während die Politik de facto in den Händen des Militärs lag. Aber dennoch, wenn Hiroito eine Entscheidung treffen sollte, dann würden auch sie seinem Wort folgen. Er war der Kaiser. Und der Kaiser war Japan.

***
In der Deutschen Botschaft, Tokio

„Unsere japanischen Freunde scheinen ziemlich aufgebracht. Und diese Texaner sind wirklich versessen drauf, einen Weltkrieg auszulösen. Sie sind wirklich verrückt.“ Eugen Ott lachte bellend, während er noch einmal den letzten Funkspruch des deutschen Agenten überflog, der sich auf dem texanischen Kaperer eingeschleust hatte. Dann blickte der deutsche Botschafter auf und runzelte die Stirn: „Ist etwas, Richard?“
Richard Sorge schüttelte nur den Kopf und verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln: „Manchmal schmerzen die alten Wunden wieder.“
Eugen Ott glaubte zu begreifen: „Glaub mir, Richard, ich verstehe dich. Verdammt, ich weiß doch, was ihr damals in den Schützengräben durchgemacht habt. Aber glaub mir, dieser Krieg wird anders werden. Ganz anders. Diesmal werden die Bolschewisten uns nicht mehr in den Rücken fallen.“
„Ja. Dieser Krieg wird anders werden…“ Dann wirkte das Gesicht Sorges wieder ruhig und entschlossen: „Nun, genug mit den alten Grillen. Deswegen hast du mich ja nicht hergerufen.“
„Ich wollte dir eigentlich nur mitteilen, dass Berlin deine Expertise in den höchsten Tönen gelobt hat. Mach so weiter, und sie ernennen mich noch zum Botschafter England. Wie würde dir das gefallen?“ Eugen Ott lachte. Der Botschafterposten in England wurde nur von den besten Beamten des Auswärtigen Amtes bekleidet. Gleichzeitig aber war der Posten ein Schleudersitz – nur wenige Männer hielten sich dort länger als ein, zwei Jahre, bis eine politische Krise, eine Agentenaffäre, eine gewollte oder ungewollte diplomatische Indiskretion die Ablösung erzwangen.
„Ich würde dich vermissen, Eugen.“ Das meinte Richard Sorge sogar ernst.
„Du würdest natürlich mitkommen, Richard.“
„Was soll ich in London? Ich hasse das englische Wetter. Und die Engländer…Die Japaner haben wenigstens nicht drei Jahre lang versucht, mich umzubringen.“
„Und die englischen Frauen können wohl auch nicht mithalten, nicht wahr?“ Eugen Ott lachte schallend.
Richard Sorge lächelte nur: „Mein Platz ist hier, Eugen.“ Und auch das meinte er ernst. Und im Stillen schwor er sich, alles – ALLES - zu unternehmen, damit diese neue Provokation nicht das wurde, was sich diese verdammten texanischen Kapitalisten erhofften. Und worauf Botschafter Ott spekulierte. Dieses hinterhältige Intrigenspiel würde sich nicht zu einem neuen Krieg ausweiten – einem Krieg, der leicht den gesamten asiatischen Raum, die Sowjetunion, Japan und China in einen blutigen Taumel der Vernichtung stürzen könnte.
Ein paar Schüsse in Sarajewo hatten vor zwanzig Jahren den Imperialisten gereicht, einen weltweiten Krieg zu entfachen, der ihm selber seine Gesundheit und Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Was immer in seiner Macht stand, um eine Wiederholung dieses Wahnsinns zu verhindern, musste er tun. Und würde er tun.

***
Etwas Später, Berlin, RSHA

„Also Seattle.“ Sturmbannführer Friedrich Hoffmann grinste raubtierhaft. Sein ‚Mann’ bei der Abwehr – wenn man diesen Päderasten einen Mann nennen konnte – lieferte weiterhin und pünktlich alles, was dieser Abwehragent von Bord des Piratenluftschiffs sendete.
Er hatte allen Grund zur Zufriedenheit. Denn jetzt fühlte er die lang ersehnte Beute schon beinahe in Reichweite. Er würde nicht länger warten. Wenn Friedrich Hoffmann seine Möglichkeiten jetzt klug nutzte, dann würde Thomas David Marquardt bald in seiner Hand sein. Lebendig oder tot. Und dann wäre endlich dieser Makel aus seiner Akte und seinem Leben getilgt. Marquardt wusste es natürlich nicht. Aber wenn er, Sturmbannführer Friedrich Hoffmann – und bald vermutlich wieder Obersturmbannführer – etwas zu sagen hatte, dann würde Marquardt in Seattle bereits erwartet werden. Und dieser verdammte verjudete Verräter würde dies erst dann bemerken, wenn es zu spät war.

***
Kaum einer der Männer und Frauen an Bord der NORTH STAR konnte richtig ermessen, wie viel Unruhe und Befürchtungen die zwei unbedeutenden Angriffe hervorgerufen hatten, an denen sie teilgenommen hatten. Und keiner von ihnen wusste, wie viel wirklich über sie bereits bekannt war und welche Kräfte sie zu entfesseln riskierten. Hätten Sie es gewusst, vielen an Bord wäre es wohl schwer gefallen zu schlafen. Aber nicht einmal Ernst von Stahlheim kannte die Ausmaße und die Gefahren des unsichtbaren Netzes, dass sich langsam um die NORTH STAR zusammenzuziehen drohte. Nachdem der Agent seine letzte Funkmeldung abgesetzt hatte, hatte er das Gerät wieder versteckt. Bis Seattle wollte er Funkstille halten, alles andere wäre zu riskant gewesen. Während er noch einmal die Wandplatte, die das Funkgerät verbarg, nach verräterischen Kratzspuren absuchte, wanderten seine Gedanken unwillkürlich zu einer bestimmten, rothaarigen Abwehr-Agentin in Sky Haven. Der deutsche Offizier lächelte kurz, fast wehmütig.
13.02.2020 17:49 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Prolog:

„Das ist es also“, murmelte Dave leise. Er hätte gelacht, wenn ihn das nicht an die blau geschlagenen Augen, die dick geschwollenen Wangen und die diversen blauen Flecke und Rippenbrüche auf seinem Oberkörper erinnert hätte. Seine Handgelenke schmerzten und das atmen fiel ihm schwer. Verdammt, wie hatte er nur in diese Situation kommen können?
Wieso saß er jetzt hier, auf einen Stuhl gefesselt, die Augen verbunden und furchtbar verprügelt?
Wann war er so unachtsam geworden? Er, der immer auf der Flucht vor der Gestapo und der RSHA gewesen war, der dem militärischen Geheimdienst immer ebenso einen Schritt voraus gewesen war wie privaten Häschern, die den Preis auf seinen Kopf hatten kassieren wollen.
Er, der sich in der Welt der Piraten durchgeschlagen hatte und nebenbei noch auf ein kleines Mädchen hatte aufpassen müssen.
Er, der… Nun, in irgendeiner Lagerhalle in Seattle oder Umgebung saß, der heftig mit den Schmerzwellen zu kämpfen hatte, die ihn regelmäßig überfielen und nicht wusste, wann man ihm einfach eine Kugel durch den Kopf jagen würde.
Wer hatte ihn überhaupt erwischt? Die Offiziellen? Geheimagenten? Kopfgeldjäger? Gekaufte Schläger?
Die Offiziellen und der Geheimdienst wollten ihn eher tot sehen als die Chance zu haben, dem Verräter Marquardt in Berlin den Schauprozess zu machen.
Kopfgeldjäger würden sich zumindest vergewissern, dass sie mit ihm die richtige Beute hatten, bevor sie ihm den Kopf von den Schultern bliesen.
Und gekaufte Schläger würden gar nichts tun, bevor sie nicht neue Anweisungen bekamen.
So oder so, er saß in der Scheiße und er konnte nichts dagegen machen.
Dabei waren die Zeiten ohnehin nicht rosig für ihn und die NORTH STAR gewesen…

1.
Nach der Aktion gegen die Kommunisten und die Japaner in Kanada war die NORTH mit vollen Lagerräumen weiter gezogen. Die Beute war dick und fett gewesen, wenngleich ein wenig einseitig. Immerhin hatten sie vier Zigarren gekapert und einer fünften kräftig den Arsch versohlt, obwohl sie der Köder in einer Falle gewesen war – der sie selbstredend auch entkommen waren.
Nachdem sie sich von ihren weißen Verbündeten getrennt hatten, die sehr viel mehr gelitten hatten als die Besatzung der NORTH, hatte Dave Befehl gegeben, den erstbesten kanadischen Flughafen anzusteuern der sie landen lassen würde.
Gegen ein erhebliches Bestechungsgeld, der Mountie nannte es Beteiligung am schwachen Stand der Sozialkassen, war es ihnen erlaubt worden, auf Victoria Fields zu landen, nahe der großen Stadt Victoria, der größten Siedlung auf Vancouver Island.
Armstrong hatte einiges des Erdöls verkauft, dass sie erbeutet hatten, nicht jedoch Pelze und dergleichen. In dieser Region hatten die Kanadier selbst genug davon und hätten nur zu Dumpingpreisen gekauft.
Anders würde es in Seattle aussehen, das sich zu einem beträchtlichen Umschlagplatz für Kaperer entwickelt hatte, die im Nordpazifik auf Beutefang gingen.
Nun, immerhin hatte ihnen diese Entwicklung erlaubt, ihre Verletzten, Klutz und Happy, zu einem verdammt guten Wundarzt zu schaffen.
Dave hatte die Gunst der Stunde und diesen hervorragenden Arzt genutzt, um ihm ein sehr unmoralisches Angebot zu machen.
Als sie drei Tage später abflogen begleitete sie der beste – beileibe aber nicht der einzige – Arzt von Vancouver Island.
Für seine Entscheidung sprach nicht nur der erwartete Offiziersanteil an der Beute, sondern auch die einmalige Prämie von eintausend Greenbucks, die ihm Dave im Voraus für drei Monate Dienst auf der NORTH gezahlt hatte.
Das Geld ruhte jetzt fest verzinzt auf einer Bank in Victoria und die NORTH hatte einen extrem kompetenten, aber noch sehr jungen Arzt, der sich sein Selbstvertrauen durch sein erhebliches Können erst verdienen musste.
Das spielte vielleicht auch eine Rolle bei seiner Entscheidung. Der junge Mann war vorher nur für das Studium in Vancouver von der Insel fort gekommen und gleich nach seiner Doktorarbeit zurückgekehrt. Viel gesehen hatte er also nicht von der Welt und als junger Mensch war es nur zu verständlich, dass er ein wenig von der großen weiten Welt erschnuppern wollte.
Zwei Tage später verließen sie kanadisches Territorium, eskortiert von einer Staffel Mountie-Piloten in Avengers. Ein kleines Dankeschön des Captains von Vancouver Island für die großzügige Spende an den Sozialfonds. Aber vielleicht wollte Jenkins auch nur sichergehen, dass Armstrong mit seiner Kapererbande auch wirklich das kanadische Gebiet verließ.

„Doktor Mertens!“
Der Arzt der NORTH sah erschrocken auf. Gerade hatte er mit Hilfe eines seiner Sanitäter, die von den Marines gestellt wurden – er hatte schon danach gefragt, ob ihm nicht permanentes Pflegepersonal zugewiesen werden konnte, und eine Schwester würde das Budget der Zigarre sicher nicht überlasten – einen Verband bei Klutz gewechselt, was der dicke Mann von Empire dazu genutzt hatte, um lautstark mit seinen fliegerischen Leistungen anzugeben und wie er der Übermacht der Kommunisten entkommen war, lautstark begleitet von Stick, seinem Heckschützen aus den Industrials, der jede freie Minute bei seinem Partner verbrachte, als Sam den Doc aus seiner Arbeit aufschreckte.
„Sam, verdammt, schleiche dich nicht von hinten an! Und brüll mir nicht ins Ohr!“, mahnte der Nachfahre deutscher Einwanderer ernst, nachdem sein Puls wieder die Ruhezone erreicht hatte.
Mit einem unverschämten Grinsen, das ihre kurz gemurmelte Entschuldigung ad acta legte, winkte sie ihm, ihr zu folgen.
Arthur Mertens war beinahe sofort mit allen am Bord gut klar gekommen, was nicht zuletzt daran lag, dass es sich keiner mit jemandem verscherzen wollte, der vielleicht mal das eigene Leben unter dem Skalpell hatte, aber er hatte schnell die Hierarchie an Bord verstanden. Er wusste dass Samantha als Chefin der Techniker ganz oben auf der Fressleiter stand, noch über den meisten Piloten. Ausgenommen natürlich Steel, dem Chef der zweiten Staffel und den Commander selbst. Deshalb folgte er ihr nach einer kurzen Einweisung an den Pfleger, damit dieser seine Arbeit zu Ende führte.

Er folgte Sam durch die halbe Zigarre und fragte sich dabei irritiert, wieso der schlotternde Overall, mit dem die Frau aus Texas zu arbeiten pflegte, ausgerechnet bei der kleinen, schlanken Frau am Hintern so eng sitzen musste. Nicht, dass er es als wirklich unangenehm empfand.
Als sie im Hangar ankamen, erwartete ihn ein Höllenlärm. Steel drillte Cat Pack und Dog Pack wieder einmal im Nachtflug und übte die Landung am Haken. Wie es schien verlief die Übung ohne Schwierigkeiten und würde ihm keine neuen Patienten bescheren.
Zufrieden folgte er Sam weiter und landete an der großen Hangartür.
Dort stand Dave Stone, der Chef der fliegenden Zigarre, hielt sich an einem Handgriff fest und sah Silence dabei zu, wie er mit seiner Mühle aus dem Schiff kippte.
Armstrong lächelte dünn, als der schwere zweisitzige Jagdbomber vom Typ Brigand durchsackte, bevor der mundfaule Indianer die Maschine abfangen konnte. Dabei schoss sie aus dem Erfassungsbereich der Scheinwerfer und tauchte auch nicht wieder darin auf.
„Nettes Schauspiel, Chef!“, rief Arthur über den Lärm hinweg.
Armstrong grinste ihn an, nickte Sam zu, die sich mit einem freundlichen Lächeln entfernte und bedeutete dem Kanadier, sich an einem Griff festzuhalten.
„Was kann ich für Sie tun, Chef? Kneift es irgendwo?“
Das sollte ein Scherz gewesen sein, aber seit er an Bord der Zigarre war, hatte er festgestellt, dass vor allem die männlichen Piloten eine ausgenommen sture Rasse waren. Bevor ihr Blut nicht zu zwei Dritteln in einem Cockpit verschmiert war oder sie vor Schmerzen nur noch kriechen konnten, kamen sie nicht gerne zum Doc.
Armstrong grinste breit. Dann deutete er hinaus.
Arthur Mertens folgte der Handbewegung automatisch…Und erstarrte in Ehrfurcht.
Vor ihm breitete sich ein Lichtermeer aus, wie er es noch nie gesehen hatte. Dicht an dicht reihten sich die Lampen, bildeten ein komplexes Netz aus Straßen, Gassen und Winkeln. In der Ferne verschmolzen sie zu einer uniformen Masse.
„Wow.“
Armstrong grinste ihn an. „Ist ein wenig was anderes als Victoria bei Nacht, was?“
„Das können Sie laut sagen. Welche Stadt ist das?“
„Erlauben Sie mir, Sie einander vorzustellen. Doktor Arthur Mertens, Seattle. Seattle, Doktor Arthur Mertens. Die Hauptstadt von Pacifica.“
Dave Stone grinste nur noch breiter. „Habe ich Ihnen zuviel versprochen, Doc?“
„Das…Das ist…Ich hätte nie gedacht, dass…Ich meine, ich kenne Vancouver bei Nacht, aber aus so einer Perspektive habe ich noch nie eine so große Stadt gesehen. Das ist wie ein Wunder.“
„Und die Wunder enden hier nicht. Warten Sie erstmal ab, bis Sie Los Angeles, Sky Haven, Chicago oder New York bei Nacht gesehen haben.“
Armstrongs grinsen verschwand. „Wir werden ein paar Tage hier bleiben. Verkaufen, was wir hier abstoßen können, Treibstoff, Ersatzteile und Munition bunkern. Und dann machen wir uns weiter auf nach Sky Haven, wo wir den Rest verkaufen werden. Dort sehen wir uns auch nach einem neuen Piloten um.“
Müde rieb sich Armstrong den Nacken. „Ich musste bei dieser Kampagne frustrierender weise feststellen, dass meine Planung einen dicken Fehler enthält. Ich hätte von vorne herein einen Reservepiloten mitnehmen sollen. Eine Maschine, die man nicht in die Luft bringt ist wertlos. Und unsere Ersatzmühle, die Devastator, hätte uns ab und an hilfreich sein können.
Außerdem brauchen wir Ersatz in der Luft, solange Klutz ausfällt. Von Happy ganz zu schweigen.“
„Ein paar Tage, hm?“, erwiderte der Doc und offenbarte damit, dass er überhaupt nicht zugehört hatte. Mit glänzenden Augen sah er auf die Stadt nieder. „Kann man sich hier irgendwo amüsieren? Ich meine nicht gerade ne Kneipenschlägerei. Aber eine gemütliche Bar, nette Leute, etwas Weltstadtflair…“
„Durchaus. Pacifica ist eine der Nationen, die in Prohibition lebt. Aber das hiesige Gesetz ist etwas…Flexibel. Es verbietet, Alkohol zu produzieren oder ins Land zu bringen. Es verbietet nicht, ihn zu lagern oder zu verkaufen. Oder sogar zu trinken. Das heißt, die Menschen hier sind sehr findig dabei, wie sie dennoch an ihre Ration kommen. Und dementsprechend gibt es schon einige nette Läden in der Stadt, die Sie sich mal ansehen sollten, Doc.
Außerdem gibt es drei, vier ziemlich wohltätige Familien mit riesigen Vorräten an Alkohol, die sie bei Festivitäten recht freimütig ausschenken. Gegen eine Spende für einen wohltätigen Zweck können ordentlich gekleidete und gesittete Menschen wie Sie und ich durchaus auf diese Feiern kommen.“
„Verstehe.“ Mertens deutete auf eine Ansammlung naher Lichter. „Was ist das? Ein Vorort?“
Armstrong kramte in seiner Erinnerung. Die Richtung, die Position. Er suchte nach markanten Gebäudemerkmalen, nach Straßen und anderen Hinweisen und verglich sie mit der Karte in seinem Kopf, die er von Seattle hatte. Schließlich kam ihm die Erkenntnis. „Ach. Ein Zeppelin.“
„Ein Zeppelin?“ Verwundert rieb sich der Doc mit der freien Hand das Kinn.
„Ein ganz besonderer. Um genau zu sein, eigentlich eine Bar.“
„Haben Sie nicht gerade gesagt, es sei ein Zeppelin?“
Armstrong lachte rau auf. „Die Geschichte ist etwas länger. Das da war früher mal der letzte Schnapstransport, der Pacifica vor der Prohibition erreichte. Aber anstatt vorschriftsmäßig zu landen, stürzte das Ding dort ab. Die Fracht blieb nahezu unversehrt, und da man nichts Besseres damit anzufangen wusste, machte man eine Bar draus, um den Alkohol gleich an Ort und Stelle zu verkaufen. Jeder Gast hat so genannte zwei Shots, die er pro Abend bekommt. Das bezieht sich auf den Whisky, der an Bord ist.
Das Geschäft wird so lange laufen, wie die Vorräte nicht erschöpft sind.“ Er nickte in Richtung der Lichter. „Deshalb die zwei Shots pro Gast und Abend. Aber der Schuppen ist dennoch sehr gut besucht, auch wenn der Whisky ziemlich teuer ist. Und merkwürdigerweise gibt es selbst jetzt, nach Jahren, noch immer kein Anzeichen, dass die Vorräte zur Neige gehen…“
„Was wollen Sie damit andeuten, Chef? Das sich die Bar immer wieder mit neuem Stoff versorgt?“
Armstrong klopfte dem Arzt mit der freien Hand auf die Schulter. „Der Gedanke liegt nahe, oder? Die Prohibition hat nicht funktioniert. Warum Pacifica sie nicht aufhebt weiß ich nicht, aber in manchen Vororten kann man sehen, wozu sie geführt hat. Es gibt einige kleinere Städte dort draußen, in denen schlimmer gesoffen und gehurt wird als in New Orleans.“
„Oh.“ Arthur sah den Commander erstaunt an. Natürlich kannte er die Gerüchte über Dixie und auch die Gerüchte über New Orleans, den Sündenpfuhl der modernen Welt. Einen solchen Vergleich zu treffen bedeutete einiges.
„Kö…Können wir uns da mal umsehen? Bei Gelegenheit? Ein wenig vielleicht, Chef?“
Armstrong grinste. „Sicher. Wie sicher sind Sie mit der Pistole, Doc?“
„Geht so.“
„Dann sollten wir definitiv ein paar Marines mitnehmen.“

Scheinwerfer schossen in den Nachthimmel, griffen nach de NORTH STAR. Der riesige Zeppelin korrigierte nach und hielt nun auf die Scheinwerfer zu.
„Nett“, kommentierte Armstrong. „Seattle lässt uns tatsächlich bei Nacht landen.“ Er runzelte die Stirn. „Was das wieder kosten wird…Gehen Sie wieder an Ihre Aufgaben, Doc. Ich wollte Ihnen nur mal einen Hauch der großen weiten Welt zeigen.“
Arthur nickte, obwohl er diese Worte auch als Beleidigung hätte auffassen können. Als kleiner Hinweis auf sein eher ländliches Weltbild. Als…Ach, es war müßig, darüber nachzudenken und einfach, die Worte als das zu nehmen, was sie sicherlich waren: Mit freundlichem Spott unterlegte Wahrheit.
„Das werde ich. Vor dem Abendessen wollte ich mir Happy noch mal ansehen.
Ach, und danke, Chef.“
„Danke wofür, Doc?“
„Danke, dass Sie mir einen Hauch der großen weiten Welt gezeigt haben.“
Armstrong schmunzelte dünn. „Gern geschehen“, murmelte er, während Silence zwanzig Meter hinter ihnen an den Haken genommen wurde. Nachtflug erfolgreich.
13.02.2020 17:50 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Irgendwo in Seattle

Kaum jemand der Männer und Frauen, die Steel an Bord der NORTH STAR mehr oder weniger gut zu kennen glaubten, hätte den Piloten momentan erkennen können. Und genau darauf hoffte Ernst von Stahlheim. WENN er einem seiner „Bordkameraden“ begegnen sollte, und WENN dieser ihn tatsächlich erkannte – dann steckte von Stahlheim in Schwierigkeiten. Dann würde vielleicht jemand sterben müssen, den Steel eigentlich nicht töten wollte. Und die Mission, wegen der er jetzt alleine in einem der eher mieseren Viertel der Stadt unterwegs war, wäre unmöglich geworden.
Denn Steel war auf der Jagd. Auf der Jagd nach einem Menschen.

Momentan trug Steel ein reichlich abgewetztes und unpassend zusammengestückeltes Mischmasch aus Uniformteilen und Zivilkleidern, alles ziemlich dreckig. Ein schäbiger Hut verdeckte die kurz geschnittenen, rotblonden Haare. Alles im Allen sah er momentan aus wie ein Soldat oder Pirat, der in letzter Zeit kein Glück gehabt hatte. Wer von den Passanten, die allerdings teilweise nicht wesentlich besser gekleidet waren, dichter an dieser schäbigen Gestalt vorbeischritt, der registrierte wohl auch die deutliche Schnapsfahne, erkannte jedoch auch, dass der Mann trotz allem wohl keine leichte Beute war. Steels Hand blieb immer in der Nähe des Pistolenkolbens, und der leicht schwankende Gang wirkte eher angriffslustig als schwerfällig.
Er hatte sich die Kleidung bei einem der zahllosen Pfandleiher zusammengesucht, die aus den finanziellen Nöten ihrer Mitmenschen ein mehr oder weniger einträgliches Geschäft machten. Nachdem er die Kleidung dann noch ein wenig verunstaltet, im Straßendreck gewälzt und mit etwas billigen Fusel beträufelt hatte, war seine schnell improvisierte Tarnung perfekt gewesen. Er war abgerissen genug, um kein Interesse zu erwecken.
Unwillkürlich dachte er daran zurück, wie er vor ein paar Wochen durch Sky Haven gestreift war, ebenfalls auf der Suche nach einem bestimmten Menschen. Allerdings war Seattle längst nicht so gesetzlos, nicht einmal hier in den Slums. Und von Stahlheims Auftrag war diesmal um einiges gefährlicher…
Dann hatte er sein Ziel erreicht, ein Einfamilienhaus, wie die meisten in dieser Gegend aus genagelten Holzbalken und –Latten errichtet. In keinem der Fenster brannte Licht, und kurz verzog sich von Stahlheims Lippen zu einem dünnen Lächeln. Bisher sah alles gut aus. Er sah sich um, trotz der fortgeschrittenen Stunde war die Straße ziemlich bevölkert und stärker beleuchtet, als es ihm lieb war. Von Stahlheim wartete ab, bis ihn ein sich schwerfällig durch den Straßendreck voranquälender, hochbeladener LKW verdeckte, und huschte dann in die schmale, kaum einen Meter breite Gasse, die das Haus seines Interesse von dem Nachbargebäude trennte.

***

Gleichzeitig an anderer Stelle

„Er kommt nicht mehr.“ Die Stimme klang leise und wütend, ließ Johann Mueller zusammenzucken. Beinahe hätte er sich zu dem Mann umgedreht, der am Nachbartisch saß, mit dem Rücken zu Mueller. Aber das wäre ein schwerwiegender Verstoß gegen die konspirativen Regeln gewesen.
Einmal mehr fragte sich Johann Mueller verzweifelt, wie er in diese Lage hatte geraten können. Zuerst hatte er das alles für ein Abenteuer gehalten, eine Möglichkeit dem Land und der Partei zu dienen, die er als guter Auslandsdeutscher verehrte. Er war nur zu gerne bereit gewesen, sich von der Abwehr anwerben zu lassen. Es war nicht nur ein patriotischer Akt, es brachte zudem gutes Geld, und das konnte er damals gebrauchen. Also sagte er ja, und richtete mit dem Geld der Abwehr ein kleines Fotoatelier ein. Gewiss, die Gegend war nicht die beste, aber damals, als arbeitsloser Fotograf, war es ihm wie ein Wunder erschienen.
Die Abwehr hatte scheinbar nicht viel verlangt. Regelmäßige Berichte über alltägliche Vorfälle und die Lokalpolitik waren kein Problem, auch wenn er nicht begriff, warum sich die Abwehr dafür interessierte – und sogar für die diversen Banden und Gangs, die in den schlechteren Vierteln Seattles ihr Unwesen trieben.
Gelegentlich hatte er auch „Pakete“ erhalten, die er an bestimmten Stellen deponiert oder weitergesandt hatte, oder Fotografien, die er entwickeln sollte. Und ein paar Mal im Jahr konnte es passieren, dass er für ein paar Tage einem Fremden sein Haus überlassen, oder ihn beherbergen musste.
Er hätte damit zufrieden sein und den Mund halten sollen. Aber er hatte Mist gebaut. Ein- vielleicht zweimal hatte er im Suff vielleicht mal etwas angedeutet – nichts Konkretes natürlich. Aber das hatte wohl gereicht. Oder hatte er sich bei einer Hure verplappert? Er wusste es nicht, aber eines Tages standen dann Polizisten vor seiner Tür, die angeblich nach Zeugen für einen Doppelmord suchten. Als diese Männer erst mal im Haus waren, hatten sie ihre Maske fallen lassen. Natürlich waren das keine Polizisten gewesen. Vielmehr gehörten sie zum militärischen Nachrichtendienst Pacificas. Sie hatten das ganze Haus auf den Kopf gestellt – und waren bald fündig geworden. Dann hatten sie ihn verhört, gnadenlos, stundenlang. Sie hatten alles aus ihm herausgeholt, was er wusste.
Dann stellten sie ihn vor die Wahl. Entweder er würde nun für sie arbeiten, sich „umdrehen“ lassen – oder er würde sterben. Die Entscheidung war ihm nicht schwer gefallen. Aber seitdem war er nicht mehr froh geworden. Er schickte weiter seine Berichte – aber jetzt eben das, was man ihm zu senden befahl. Er reichte weiter die „Pakete“ weiter, die die Abwehr schickte, und entwickelte Fotos – aber immer sah ihm dabei einer seiner neuen Herren über die Schulter, wie sie auch immer zugegen waren, wenn er funkte. Und sie hatten ihm klar gemacht, ein verdächtiges Wort über Funk, ein unautorisierter Funkspruch – und er würde sterben.
Zweimal waren seitdem noch Männer der Abwehr nach Seattle gekommen, und Johan Mueller hatte sie verraten. Weil er keine andere Wahl gehabt hatte. Es ging um seinen eigenen Kopf. Nach ein paar Tagen waren die Abwehrleute verschwunden, er hörte nie mehr von ihnen. Und er wagte es nicht, nachzufragen. Aber seitdem war seine Angst noch gewachsen, überschattete jeden Tag, jede Stunde. Was, wenn die Abwehr misstrauisch wurde? Was, wenn er für seine neuen Dienstherren nicht länger mehr von Nutzen war?

Und jetzt war zum dritten Mal ein Mann angekündigt worden. Diesmal nicht durch einen Funkspruch. Johan Mueller hatte eine Karte erhalten, eine belanglose Glückwunschkarte, deren nichts sagender Text nur dem eingeweihten Auge ihre wahre Botschaft vermittelte – die dringende Aufforderung zu einem Treffen, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit. Es war knapp gewesen, aber er hatte es geschafft seinen Führungsoffizier zu kontaktieren und rechtzeitig beim Treffen zu sein. Und nun ließ der Agent auf sich warten…
Johan Mueller unterdrückte den Impuls, sich in dem verräucherten Lokal umzusehen – auch das widersprach den Regeln der Konspiration. Wenn er sich zu auffällig verhielt, und wenn der Agent doch anwesend war, schöpfte er vielleicht Verdacht. Oder die zwei Männer vom Militärgeheimdienst glaubten, er benähme sich mit Absicht so auffällig.
„Es ist nicht meine Schuld! Ich habe doch alles getan, wie befohlen…“ Johann Mueller spürte, wie ein bittender, verzweifelter Ton in seiner leisen Stimme mitschwang, und er hasste sich dafür.
Die Stimme des Geheimdienstmanns klang verächtlich: „Still, Idiot! Wir geben Ihrem Agenten noch ein Stunde. Dann brechen wir ab. Und BETEN Sie darum, dass wir nicht zur Ansicht kommen, dass Sie uns hereinlegen wollen. Das würden Sie nicht überleben.“
Johann Mueller fühlte, wie Hass in ihm aufstieg, Hass auf den Mann hinter ihm, Hass auf den unbekannten Abwehragenten, dessen Unpünktlichkeit oder Misstrauen Johanns Leben bedrohte. Wie hatte er nur so dumm sein können?!
Die Minuten schienen sich zu Stunden zu dehnen, doch niemand trat an den Tisch, niemand sprach die Losungsworte.

Als eine geflüsterte Bemerkung des Geheimdienstlers Johann Mueller vom Abbruch der Operation informierte, war der ehemalige Abwehragent in Schweiß gebadet. Nur mühsam konnte er sich davon abhalten, sofort die Kneipe zu verlassen. Stattdessen wartete er, bis die beiden Geheimdienstler gegangen waren, wartete dann noch einmal zehn Minuten, bevor er selber aufstand und zur Tür eilte. Dabei war es ihm egal, dass er in seiner Hast einen anderen Gast anrempelte und eines der Serviermädchen überrascht seinen überstürzten Abgang musterte. Johann Mueller wollte nur einfach raus, die stickige Luft in der Kneipe nahm ihm die Luft.
Endlich saß er in seinem Wagen, keuchend wie nach einem Hundert-Meter-Lauf, am ganzen Körper zitternd. Er war für dieses Geschäft nicht geschaffen. Er musste da raus kommen. Aber wie? Der Militärgeheimdienst überwachte ihn, da war er sich sicher. Und er konnte wohl kaum in die deutsche Botschaft fliehen…
Es dauerte einige Minuten bis er sich wieder soweit im Griff hatte, dass er den Wagen starten konnte. Langsam beruhigten sich seine angespannten Nerven etwas. Vermutlich hatte der avisierte Abwehr-Agent einfach Pech gehabt. Oder er hatte geglaubt, er würde verfolgt. Vielleicht hatte er auch einfach andere Order erhalten.
Und der militärische Geheimdienst von Pacifica würde ihn nicht fallenlassen. Dazu war er zu wertvoll. Durch ihn waren sie in den deutschen Funkcode eingebrochen. Über ihn lief brisantes Material, dessen Studium Pacifica Einblick gab in die Pläne und Aktivitäten des Reiches an der Nordostküste Amerikas. Er hatte zwei Abwehragenten enttarnt. Er war zu wertvoll für Pacifica…
Als er sein Haus erreichte, das zu seinem Gefängnis geworden war, war es Johann Mueller beinahe gelungen, sich selber zu überzeugen. Er parkte seinen Wagen in der schmalen Garage, die aus nicht mehr als einem Lattenverschlag bestand. Dann ging er zur Haustür, schloss auf und öffnete die Tür.
Nur beiläufig nahm er einen merkwürdig stechenden Geruch war, hörte noch ein leises Zischen, nicht lauter als ein Streichholz, das angezündet wurde. Halb wandte er sich um, wollte zurückweichen – doch es war zu spät.

Die Explosion überschüttete die schmale Straße mit einem Schrapnellhagel von Glas- und Holzsplittern, ließ die Fenster der Nachbarhäuser förmlich implodieren. Nur der vorgerückten Stunde war es zu verdanken, dass es keine weiteren Toten gab.
Für Johan Mueller hatte niemals auch nur der Hauch einer Chance existiert. Sein Körper wurde von der Wucht der Explosion zurückgeschleudert wie eine Stoffpuppe. Holz- und Glassplitter bohrten sich in seinen Leib, als hätte man vor seinem Bauch eine Handgranate gezündet. Als sein verunstalteter Körper gegen die gegenüberliegende Hauswand prallte, brach Johanns Rückgrat wie ein trockener Ast.
Dennoch war er nicht sofort tot. Mit aufgerissenen Augen starrte Johann Mueller zum Nachthimmel, unfähig zu begreifen, was passiert war. Warum lag er auf dem Boden? Warum konnte er sich nicht bewegen? Was war geschehen – warum konnte er sich nicht bewegen, nicht atmen…
Irgendjemand schien sich über ihn zu beugen. Er konnte das Gesicht des Fremdens nicht erkennen, sah nur ein paar Stiefel, dicht neben seinem Kopf.
„Hilfe. Ich brauche Hilfe! Warum…“ Aber er hörte keine Antwort, keine tröstenden Worte, gar nichts. Stattdessen wandte sich der Fremde ab, ging mit ruhigen, bedächtigen Schritten davon, als wäre nichts passiert. Der Kopf des Sterbenden sackte zur Seite, unwillkürlich folgten seine brechenden Augen dem hoch gewachsenen Mann, der ohne Eile durch die Trümmer schritt. Dann versank Johann Mueller in der Dunkelheit, aus der es kein Zurück mehr gab. Sein letzter, wortlos röchelnder Schrei verhallte ungehört.

Ernst von Stahlheim duckte sich in eine kleine Seitengasse und sah mit ungerührtem Gesicht zu, wie ein Wagen der Städtischen Feuerwehr vorbeiraste. Eine sehr kurze Reaktionszeit, aber da die Amerikaner vielfach nur mit Holz bauten, wohl auch bitter nötig. Er war mit dem Ergebnis der Operation zufrieden. Der Verräter war tot, er hatte sich mit eigenen Augen davon überzeugt. Die Abwehr war schon vor einiger Zeit misstrauisch geworden und hatte begonnen, diesen Agenten zu überprüfen. Seine Meldungen waren auf Ungereimtheiten und potentielles „Spielmaterial“ des Gegners untersucht worden, und die Abwehr hatte einige „Versuchsballons“ gestartet. Sie hatte Johan Mueller Material zugeschickt, das eventuelle ungebetene Mitleser zu ganz bestimmten Reaktionen verleiten würde.
Und die Abwehr hatte auch sehr sorgfältig überwacht, welches Material von dem verdächtigen Agenten ordnungsgemäß weitergeleitet wurde, oder was nur unvollständig, verspätet, oder gar nicht am Bestimmungsort eingetroffen war.
Schon in Sky Haven hatte Steel den Auftrag erhalten, den Verräter bei nächster sich bietender Gelegenheit zu liquidieren. Die Aufgabe war speziell an ihn weitergegeben worden, weil die Abwehr gewollt hatte, dass ein „auswärtiger“ Agent die Sache erledigte – das Spionagenetzwerk in Pacifica war dank Johann Mueller ohnehin schwer genug angeschlagen worden. Deshalb wollte man keinen der noch aktiven Agenten mit einer derart riskanten Aufgabe betrauen - zumal man nicht wissen konnte, ob diese Agenten nicht auch überwacht wurden oder man sie sogar "umgedreht" hatte. Und von Stahlheim war außerdem für solche Aufgaben ausgebildet worden, was keineswegs eine Selbstverständlichkeit war.
Er hatte seinen Auftrag erfüllt, so schnell und sicher wie möglich. Nachdem er den Verräter – und seine Kettenhunde – zu einem falschen Treffpunkt gelotst hatte, war er in Johann Muellers Haus eingebrochen. Er hatte das Gebäude untersucht, und hatte schnell festgestellt, dass die Abwehr offenbar mit ihrem Verdacht recht gehabt hatte. Johann Mueller war zum Doppelagenten geworden – und damit war er direkt für die Gefangenname oder den Tod von zwei Agenten verantwortlich. Von Stahlheim hatte weder „Fram“ noch „Lanista“ persönlich gekannt – tatsächlich waren ihm nur die Codenamen bekannt, unter denen die beiden Agenten verschwunden waren. Aber das war unwichtig. Johann Mueller hatte diese Agenten verraten, wie er die Abwehr verraten hatte. Er verdiente den Tod.
Ursprünglich hatte von Stahlheim erwogen, auf die Rücker des Verräters zu warten, und ihn eigenhändig zu töten – aber das wäre riskant gewesen. Zu seinem Glück besaß das Haus, obwohl die Gegend wirklich nicht die beste war, einen Gasanschluss. Alles Weitere war ein Kinderspiel gewesen, in weniger als einer halben Stunde hatte Steel einen Zünder installiert. Dann brauchte er nur noch zu warten…

Jetzt mußte er nur noch die Kleidung loswerden, und zum Zeppelin zurückkehren. Man würde in den Trümmern des Hauses nichts finden, was auf ihn hindeutete – mochten sich die Polizei und der Geheimdienst Pacificas daran die Zähne ausbeißen.
Die ganze Sache hatte gerade mal sechs Stunden gedauert, wahrscheinlich würde sein Fehlen an Bord der NORTH STAR nicht einmal auffallen. Falls doch, er hatte momentan keinen Dienst, und konnte tun und lassen was er wollte. Und das würde er auch sagen, falls jemand doch dumme Fragen stellte.
Insgesamt konnte man den Abend als einen vollen Erfolg verbuchen.
12.03.2020 17:46 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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„Die üblichen Verdächtigen“, murmelte Dave grinsend, als er Dusk, Rainmaker und Gallagher zusammen hocken sah.
Seit zwei Tagen lagen sie in Seattle vor Anker und mussten dabei zusehen, wie ihre Warenbestände schrumpften. Es war, als würde Pacifica einen Jahrhundertwinter mitten im Sommer befürchten, so sehr waren die Händler hinter den Robbenfellen und dem Öl her.
Die Zeppelinmannschaft hatte alle Hände voll zu tun, während bei den Piloten und Marines gähnende Langeweile herrschte. Die meisten nutzten die freie Zeit, um die Ausrüstung aufzupäppeln oder in einem der öffentlichen Bäder zu schwimmen – der Pazifik war hier zu dieser Jahreszeit doch etwas kalt. Oder sie steckten zusammen und quatschten.
In diesem Fall aber wurden internationale Intrigen aufgedeckt, die Welt aufgeteilt und neu sortiert und verschiedene Ideologien gesponnen.
Dusks ausgesprochener Nationalismus kollidierte mit Rainmakers Forderung nach eigenständigen Indianerstaaten in Appalachia und Empire State und musste dann noch vor Gallaghers wilden Verschwörungstheorien der europäischen Großmächte bestehen, die offensichtlich versuchten, die aufgespalteten USA einzukassieren.
„…sage ich euch, es ist absolut kein Zufall, dass Arixo politisch so isoliert ist. Ein Bündnis mit Texas wäre die beste Wahl für meine Stammesbrüder, denn auch Texas steht noch nicht unter der Knute einer europäischen Großmacht.“
„Well, well, well, dann müssen sie aber erst mal von diesem unsäglichen Bündnis mit dem Peoples Collective runterkommen. Die Befreiung der arbeitenden Massen ist ja gut und schön und gerechter Lohn für gerechte Arbeit ist weit besser als Nationalismus“, sagte Gallagher mit einem Seitenblick auf Dusk, „denn der macht nicht so satt wie Brot, aber das Collective hat zu den letzten internationalen Sowjets, den Versammlungen von Kommunisten aus aller Welt acht Jahre in Folge Abordnungen geschickt. Defacto sind die Kommis im Collective, und damit haben sie eine Schneide sowohl an Pacifica und an den Industrials. Kommt es zu einem Krieg, ziehen sie Arixo mit rein, ob die wollen oder nicht, immerhin haben sie beim Überfall auf Sky Haven zusammengearbeitet, und niemand auf dem Kontinent hat es vergessen.
Wenn Texas dann mit ihnen verbündet ist und Arixo sich nicht distanzieren kann, sind wir mit im Arsch. Wenn es schon zu einem Krieg kommen muß, dann bitte zu unserer Zeit und unseren Regeln.“
„Leute, Leute, Leute, ich finde Nationalismus um den Nationalismus Willen ja auch nicht gut. Hey, was guckt Ihr mich so merkwürdig an?“
„Schon gut, Vandersen. Das aus deinem Mund zu hören ist nur merkwürdig.“
„Was denkst du wer ich bin, Gallagher? Denkst du, nur weil ich Texas vor alles andere stelle, schreie ich jedes Mal Hurra, wenn dem Vorstand von Colt Aviation ein feuchter Furz entweicht?“
„Ich würde nicht ganz so übertreiben“, sagte die Infanteristin gedehnt.
„Nicht ganz so, eh? Na, egal. Jedenfalls sehe ich ein, dass eine Grundversorgung für alle Menschen, sprich Wohlstand in der Region, die über anderen Regionen der USA steht, das beste Argument für uns ist und die Entscheidung von Texas, als erster Staat die USA zu verlassen. Aber sehen wir der Realität ins Auge.
In Mexiko sitzen wieder die Spanier, die sind wegen Kuba und der MAINE vor dreißig Jahren immer noch sauer auf uns.
Im Norden hocken die Deutschen in den Industrials und bilden Piloten aus und forcieren das Material. Die Hellhounds sind gute Mühlen und die Deutschen haben noch Bessere.“
„Hört, hört“, sagte Dave grinsend.
„Klappe, Pack Leader. Aber es geht ja noch weiter. In der Nation of Hollywood hocken die Japaner und sind damit schon halb über den Teich. Stellt euch vor, sie erobern das Königreich Hawaii. Das wäre gleichbedeutend mit der Beherrschung des Nordpazifiks.“
„Aggression gegen ein unabhängiges Königreich. Die Welt wird es lieben.“
„Was denn, was denn? Ein Überraschungsangriff mit fünf Militärzeppelinen im Morgengrauen, danach fünf, sechs Kriegsschiffe, die Pearl Harbour einnehmen. Gegenüber der Weltpresse behaupten sie einfach, die japanische Minderheit auf der Insel, immerhin vierzig Prozent der Bevölkerung hätte sie wegen Repressalien der Regierung zu Hilfe gerufen. Und schon haben wir die Japse da, wo wir sie nicht haben wollen.
Habe ich was vergessen? Ach ja. Die Froschfresser hocken in Dixie, zumindest in den Gebieten, die sich kontrollieren lassen. Und in Empire und Columbia sitzt der Tommie und hätte auch zu gerne seine Hand auf Appalachia.“
„Was schlägst du vor? Ein freies Bündnis der unbeeinflussten Staaten? Teile der Nationen von Dixie, Appalachia, Pacifica und Utah? Dazu, wenn sie sich gut führen und auf das neue Bündnis schwören, Lakota und Arixo?“
„Das wäre doch nicht schlecht, oder, Jerry?“
Der Indianer winkte ab. „Hm. Du bräuchtest nur einen der verbündeten Staaten angreifen. Nach einiger Zeit und diversen Umschichtungen unterstützender Truppen würden die Bündnisstaaten ehrlich und berechtigterweise fragen, warum sie soviel Material und Truppen in einen Teilstaat pumpen müssen, obwohl sie selbst jederzeit angegriffen werden können. Wir würden zerrissen werden.“
„Dann nur ein Bündnis mit Lakota, Pacifica, Appalachia und Texas“, schlug Gallagher vor.
„Wir könnten uns zuerst nur mit Pacifica verbünden. Und denen müssten wir als Zeichen des guten Willens erst einmal ein paar Rotten unserer besten Piloten überstellen, bevor sie uns gut genug trauen, um das Bündnis ernst zu nehmen.
Und erst wenn dieses Bündnis die Feuertaufe hinter sich hat und sie in uns aus Texas nicht den Zwei Meter groß und blond – Stereotyp sehen, können wir daran denken, weitere Staaten aufzunehmen.“
Müde rieb sich Gallagher die Augen. „Und wir dürften in diesem Bündnis nicht die führende Rolle spielen. Wir müssten den Vorsitz Pacifica überlassen. Aber wir hätten damit sowohl ein Tor in den Atlantik und in den Pazifik. Das wäre es wert.“
„Hurra dem uneingeschränkten Handel“, bemerkte Dave amüsiert.
„Etwas in der Art, Commander“, bestätigte Norah Gallagher grinsend.
„Willst du was bestimmtes, großer Chef, oder willst du uns nur auf die Nerven gehen?“ Misstrauisch beäugte Dusk den Deutschen.
„Ach, ich wollte nur zwei Dinge. Weiß einer wo Steel ist?“
„Keine Ahnung. Ich verfolge ihn nicht mehr, seit er mir einen flotten Dreier angeboten hat. Und das zweite Ding?“
„Hast du Lust, mit mir essen zu gehen? Mir fällt gerade der ganze Zeppelin auf den Kopf.“
„Bedaure, Chef, ich habe schon eine Verabredung mit meinen beiden Spitzenpolitikern hier. Wir wollen uns Vierzig Unzen-Steaks reinhauen, darauf Bier kippen soviel reinpasst und dann ins Kino gehen. Willst du mit?“
„Nein, aber danke für das Angebot. Ich will wirklich nur was essen gehen.“

Dave winkte den dreien zu und ging weiter. Na toll, Mel war seine zweite Wahl gewesen. Die erste, Max, war bereits mit Blue verschwunden. Wohin und was sie dort machten, wollte Dave gar nicht erst wissen.
Und wo steckte Steel überhaupt? Okay, die Piloten hatten Freigang, aber Dave hätte von dem Industrial eher erwartet, dass er seine Ausrüstung pflegte.
Aber stille Wasser waren schon immer tief gewesen und vielleicht bumste sich der Pilot einfach nur mal so richtig aus.
Dave grinste schief. Mit dieser Art Gedanken und seiner vollkommen vulgären Aussprache hätte er von seinem alten Ausbilder mindestens fünfzig Extraflugstunden aufgebrummt bekommen, weil sie einem deutschen Offizier vollkommen unwürdig war.

„Chef? Du musst das hier gegenzeichnen.“
Dave sah zur Seite und zuckte erschrocken zusammen. Neben ihm stand Sam – Samantha Rogers, seine Cheftechnikerin. Wie immer hatte sie ihr langes, blondes Haar unter dem Käppie zusammengerafft und sah mit leuchtenden Augen zu ihm hoch. Doch heute war etwas anders an ihr. Es dauerte eine Weile und eine Unterschrift unter ein Bestellformular nebst Zahlungsanweisung, bis er es begriff. Der Reißverschluss ihres Overalls war bemerkenswert weit herabgezogen, wahrscheinlich weil es auf dem Flugdeck etwas, nun, wärmer war.
Dass sie weitaus mehr Busen hatte als ihre zierliche Gestalt verhieß, wusste Dave schon länger. Einen Blick Auf den Ansatz ihrer Brüste zu werfen war jedoch etwas vollkommen anderes.
„Ist was, Chef?“
Dave räusperte sich lautstark. Seit sie ihn vor der Mission mit den Russen geküsst hatte, war er unsicher, wie er mit dieser Frau umgehen sollte. Dabei ging es nicht um Annie. Nein, es ging wirklich nicht um sie oder die Tatsache, dass die Frau, die er so sehr geliebt hatte, nun tot war und ihr Mörder noch immer frei herum lief.
Es ging darum, dass Dave nicht mit der Erkenntnis klar kam, dass diese Frau in ihn verknallt war.
„Schon in Ordnung, Sam. Ziehen Sie nur den Reißverschluss etwas höher, bitte.“
„Stört es Sie, Chef?“
„Das ist es nicht, aber ich sehe es noch kommen, dass sich einer der männlichen Techniker einen Finger flach klopft, wenn Sie so rumlaufen.“
„Danke für das Kompliment“, erwiderte sie mit einem wirklich niedlichen Lächeln. Leider machte sie keinerlei Anstalten, den Reißverschluss hoch zu ziehen.
Nachdenklich rieb sich Dave die Nase. „Hör mal, Sam, ich wollte was essen gehen und irgendwie lässt mich hier absolut jeder hängen. Ich weiß, das klingt jetzt so als würde ich einen Notnagel suchen. Aber hast du Lust?“
„Aber wieso klingt das wie ein Notnagel, wenn der Boss seinen Cheftechniker zum essen mitnimmt? Lust hätte ich ja schon, aber leider hat mein Boss bestimmt, dass ich noch drei Stunden zu arbeiten habe, bevor ich ne Pause machen darf.“
„Und wenn du dich ersetzen lässt?“
„Und meinen Leuten damit ein schlechtes Vorbild gebe?“
Dave seufzte schwer. Wieder hängen gelassen. „Okay. Nicht so wild.“
„Aber wenn du Lust hast, Chef, können wir nach meiner Schicht in der Kantine einen Kaffee trinken. Und ein paar Details besprechen.“
„Details?“
„Dies und das“, wich sie aus.
„Gerne. Das würde ich gerne machen. In drei Stunden also?“ Dave lächelte seine Untergebene freundlich an.
Seit sie ihn geküsst hatte, war da etwas zwischen ihnen, irgendetwas, was ihn an Annie erinnerte und doch wieder nicht. Es war…Anders und doch gleich. Er konnte es nicht einordnen und vielleicht wollte er das auch gar nicht.
Er winkte Sam zum Abschied zu und ging. Mist, doch alleine essen.

**
Der Diner, in dem Dave sein Mittagessen serviert bekam, gehörte nicht zu den Läden, die ein Pilot normalerweise besuchte. Hier hielten sich meistens die Banker in der Mittagspause auf, die Mittelschicht oder diverse Angeber. Dafür war die Küche aber auch gut, bei gesalzenen Preisen.
Dave lächelte dünn, als er wiederholt bemerkte, wie die anderen Gäste unauffällig zu ihm herüber starrten. Na, wenigstens forderte ihn niemand auf, seine Fliegerjacke zu schnappen und in ein angemesseneres Etablissement zu wechseln. Nicht, dass er als ehemaliger deutscher Offizier nicht einiges an Etikette gelernt hatte.
Aber für viele Menschen machte das Äußere automatisch auch das Innere aus.
Arrogante Bastarde. Genau diese Einstellung hatte ihm diesen verhängnisvollen Besuch der Gestapo eingebracht, in dessen Verlauf zwei Agenten starben – erschossen von seinem Ausbilder.
Der gleiche Ausbilder, der ihm auch geraten hatte, mit einer ME zu fliehen.
Wenn man es genau betrachtete, hatte der alte Max ihn damit erst richtig in die Scheiße geritten, aber es war allgemein bekannt, dass Verhöre durch die Gestapo meistens dazu führten, dass die Leute nicht wiederkamen. Und wenn sie es wagten, sich am Militär vorbei an einem Offizier zu vergreifen, war der Mann eigentlich schon so gut wie unauffindbar verschollen.
Das alles wusste Dave. Deshalb hatte er auch die Flucht auf sich genommen. Und für sich behalten, wer die tödlichen Schüsse auf die Agenten abgegeben hatte…

Das Essen war wirklich gut. Und die Portionen großzügig zu nennen wäre eine Untertreibung gewesen. Dazu gab es einen erstklassigen Kaffee und ein edles französisches Importmineralwasser. Dave beschloss bei sich, der Bedienung ein kräftiges Trinkgeld zu geben. Ehre wem Ehre gebührte.
„Commander Stone?“
Dave sah von seinem Schnitzel auf. „Wer will das wissen?“
Vor ihm stand ein junger Mann, hochgewachsen, mit weichem Gesicht, blond, blauäugig, aber irgendwie übernächtigt. Als hätte er zu wenig geschlafen. Oder zuviel gesehen. Dave kannte dieses Gesicht, konnte es aber nicht einordnen.
„Sir, wir haben uns bereits kennen gelernt. Ich bin Jerry Ryan. Ich bin…Ich war BAS-Pilot, bevor…“
„Ich erinnere mich. Sie haben mit zwei Rotten die AVIGNON beschützt, als diese Piraten angegriffen haben. Die Howlin´ Hounds, nicht? Setzen Sie sich, mein Junge.“
„Danke, Sir.“
Dave winkte der Bedienung und bestellte zwei Whisky. Erstens weil der Junge so aussah, als könne er einen gebrauchen und zweitens weil er dann gleich bezahlen konnte. Mit einem wirklich prächtigen Trinkgeld, dass die Banker vor Neid grün werden lassen würde.
„Wie ist es Ihnen ergangen, nachdem Sie desertiert sind, Mr. Ryan?“
„Sie wissen, dass…“ Verlegen senkte der Mann den Kopf. „Entschuldigen Sie, Sir. Natürlich wissen Sie es, weil ich Ihre Zigarre passiert habe.“
„Soviel zum Offensichtlichen.“
Der Whisky kam, Dave bezahlte und registrierte befriedigt das leise japsen der Bedienung, als sie das Trinkgeld im Kopf nachrechnete. „Jetzt erzählen Sie mir den Rest. Sie haben die Hounds gejagt, weil die Ihr Mädchen abgeschossen haben.“
„Nicht mein Mädchen, Sir. Aber ein Mensch, der mir sehr wichtig war.“
„Haben Sie die Bande erwischt?“
„Ja, Sir. Ich habe jemanden getroffen, der die Hounds mindestens so sehr hasst wie ich. Zusammen haben wir ein Prisenkommando aufgestellt, die restlichen beiden Brigand vom Himmel geputzt und den Zeppelin geentert. Die Details davon was wir dort gefunden haben erspare ich Ihnen, aber jedenfalls hat mich mein Partner großzügig abgefunden und die Beute sowie die Zigarre mit nach Arixo genommen. Von den Piraten hat übrigens keiner überlebt.“
„Es hätte mich auch gewundert, wenn Sie Gnade hätten walten lassen, Junge.“
Der ehemalige BAS-Pilot lächelte dünn. „Ich habe meine Mühle umlackiert und bin nach Sky Haven. Ich hatte so ein Gefühl, als wäre ich bei BAS nicht mehr so sehr willkommen und ich brauchte Zeit für mich selbst. Ich…“
„Weiter“, ermunterte Dave den Piloten und trank einen Schluck Whisky als Zeichen an Ryan, dass er ebenfalls trinken durfte.
„Ich habe in Sky Haven viel gesehen und hatte auch viel Zeit zum nachdenken. Sicher war nach der ganzen Sache nur eines für mich. Ich will fliegen. Ich will unbedingt fliegen. Ich will… Ich hätte mich einem Dutzend Banden anschließen können, Sir. Auch wenn sie nach außen auf BAS schimpfen, so sind sie doch sehr dankbar, wenn sie einen erfahrenen, gut ausgebildeten Security-Piloten aufnehmen können.“
„Was hat Sie gehindert, Ryan?“
„Ich will fliegen, aber nicht um jeden Preis. Andererseits kann ich weder nach Hause noch in mein altes Leben zurück. Ich hatte dann eines Tages diese Idee und habe nach der NORTH geforscht und…Kurz und gut, Ihre Aktion mit der AVIGNON, Ihre Taten und Worte haben mich überzeugt, dass Sie ein anständiger Pilot und Mensch sind. Jetzt muß ich es Ihnen noch beweisen, dass ich es wert bin, in Ihrer Staffel zu fliegen.“
„Geradeheraus. Das gefällt mir. Wie es der Zufall will, spiele ich gerade mit dem Gedanken, einen Reservepiloten an Bord zu nehmen. Haben Sie noch die Bloodhawk?“
„Ja, Sir. Sie ist in einem exzellenten Zustand.“
„Sehr gut.“ Dave kippte seinen Whisky und stand auf. „Dann kommen Sie morgen mit Ihrem Vogel zur NORTH. Wenn Sie sich schon die Mühe machen, uns hinterher zu fliegen will ich sehen, wie gut Sie geworden sind. Übersetzt heißt das, Sie kriegen Ihre Chance.“
„Okay. Okay. Okay, danke, Sir. Ich…“
„Armstrong heißt das.“ Dave klopfte dem Jüngeren auf die Schulter. „Und ich freue mich schon auf morgen. Lassen Sie mich kurz auf Toilette gehen. Vielleicht erzählen Sie mir danach noch was über den Fight mit den Hounds, und wer Ihr Partner war.“
„…Vielleicht, Sir.“

Dave grinste schief. Er ging auf Toilette und warf sich ein paar Hände Wasser ins Gesicht. Nach einem ausgiebigen Ölwechsel wusch er sich erneut die Hände und wunderte sich noch darüber, dass in so einem exklusiven Laden kein Toilettenmann mit Handtuch bereit stand, als in seinem Spiegel ein Reflex aufleuchtete. Bevor er sich versah, spürte er einen harten Schlag am Hinterkopf und danach war Dunkelheit…
12.03.2020 17:47 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Ernst von Stahlheim warf dem jungen Mann, der sich neben ihm an die Wand presste einen misstrauischen Blick zu: „Und da soll der Commander drin sein, sagen Sie?“
„Ja.“ Der junge Ex-BAS’ler wirkte hochgradig nervös, Bodenkämpfe schienen nicht sein Metier zu sein. Aber er war sich offenbar seiner Sache sicher.
Steel blickte hinüber zu dem heruntergekommenen Fabrikgelände. Der Ort bot sich tatsächlich als Versteck an. Keiner in dieser Gegend würde sich um Schreie, Hilferufe oder auch Schüsse kümmern.
Er fragte sich unbehaglich, wer diese Männer sein mochten, die den Commander entführt hatten.
Waren es vielleicht Russen oder Japaner? Die Geheimdienste BEIDER Länder mochten Grund dafür haben, sich an Marquardt rächen zu wollen. Vor allem wenn sie über das Doppelspiel Bescheid wussten, dass der texanische Kaperer im Auftrag seiner Regierung gespielt hatte.
Aber nach den Worten dieses BAS-Deserteurs waren die Männer Einheimische gewesen, vielleicht auch Söldner – aber keine ausgebildeten Einsatzagenten. Die Leichtigkeit, mit denen der Junge die Entführer hatte verfolgen können, bestätigte seine Vermutung.
Von Stahlheim war dankbar dafür, dass Captain Norah Gallagher gerade nicht anwesend war, als die Nachricht von der Entführung eintraf. Die Ledernacken hatten, was subtiles Vorgehen betraf, keinen guten Ruf und er hatte lieber selber das Kommando. Die vier Piloten die ihn begleiteten, darunter Dusk und Max, und die sechs Marines aus dem Bordkontingent akzeptierten wohl oder übel, dass Steel momentan das Kommando hatte.
Sie waren allesamt mit Pistolen oder Maschinenpistolen, Dolchen und Handgranaten bewaffnet, nur zur Sicherheit hatte Steel auch noch einen Karabiner mitgenommen.
Aber den würden sie wohl nicht brauchen, der stämmige Mann, der eher nachlässig an dem verrosteten Tor zum Fabrikgelände lehnte und sogar rauchte, schien der einzige Wachposten der Entführer zu sein.
„Max. Zu mir.“ Steels Stimme klang leise, aber nachdrücklich. Die junge Pilotin schob sich näher an den Industrial-Piloten heran. Marquardts „Adoptivschwester“ war kaum zu halten gewesen, als sie die Nachricht von der Entführung erhalten hatte. Von Stahlheim hatte sie fast festbinden müssen, während er hastig die Rettungsmannschaft zusammentrommelte.
„Geht’s endlich los, Steel? Was warten wir noch?“
„Halt den Mund. Siehst du den Man dort vorne? Wie gut bist du mit dem Messer?“
Max musste schlucken, ihre Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an. Sie versuchte ihrer Stimme eine Selbstsicherheit zu geben, die sie nicht empfand: „Gut genug.“
„Das will ich hoffen. Hör zu, bei einer Frau ist dieser Idiot wahrscheinlich nicht so misstrauisch. Also kommst du wahrscheinlich an ihn ran, ohne dass er Alarm gibt. Aber er muss lautlos sterben, kapiert? Wenn er schreit, legen sie den Commander wahrscheinlich sofort um. Nimm nur das Messer mit – den Rest lass hier. Und zieh am Besten die Jacke aus.“
Während sich Max mit fliegenden Händen auf ihren Einsatz vorbereitete und im Stillen Gott dafür dankte, dass Blue zurückgeblieben war – er hätte jetzt bestimmt protestiert – teilte Steel die Rettungsmannschaft auf. Die drei anderen Piloten und zwei der Marines würden über das Tor vorrücken, Steel selber mit den anderen vier Marines über eine baufällige, oben mir rostigem Draht gesicherte Mauer auf das Fabrikgelände eindringen.
Als Dusk etwas misstrauisch fragte, wozu man sich überhaupt teilen sollte, erklärte Steel barsch, eine feindliche Stellung greife man am besten von zwei Seiten an. Und wenn einer der Stoßtrupps festgenagelt wurde, konnte der andere zu Hilfe kommen oder weiter vorrücken.
Kurz wunderte sich Max über die Selbstverständlichkeit, mit der Steel das Kommando übernommen hatte und Befehle gab. Natürlich, er war ein erfahrener Pilot – aber das hier war etwas anderes. Nun ja, wenn er tatsächlich Pirat gewesen war, vielleicht sogar Offizier auf einem Freibeuterzeppelin…
Sie machte sich keine Illusionen darüber, warum ausgerechnet sie den Posten ausschalten sollte. Sie war die kleinste in der Runde, und der Mann müsste schon sehr misstrauisch sein, wenn er in ihrer eher schlanken Figur eine Gefahr erkannte.
„Gib uns eine Minute – dann gehst du los. Verstanden?“ Steel wartete die Antwort nicht ab, geduckte schlich er, gefolgt von den vier Marines, davon, verschmolz mit der Dunkelheit.

Max starrte auf die schwach leuchtenden Zeiger ihrer Armbanduhr – die Sekunden schienen sich zur Endlosigkeit zu dehnen. Kurz blickte sie auf ihr Blick begegnete dem von Jerry Ryan. Das Gesicht des jungen BAS-Piloten war vor Anspannung zu einer regelrechten Maske erstarrt. Max versuchte ihn mit einem eher verzerrten Lächeln zu beruhigen, sah wieder auf die Uhr, und erkannte, dass sie bereits zehn Sekunden über der Zeit war. Hastig stieß sie sich von der Wand ab, strauchelte beinahe, bevor sie sich zur Ordnung rief – der Wachposten würde wohl doch misstrauisch werden, wenn sie auf ihn zu gerannt kam.
Sie verlangsamte ihren Schritt bis zu einem fast gemächlichen Schlendern und versuchte sogar, mit ihren vor Nervosität trockenen Lippen zu pfeifen. Es klang ziemlich schief. Aus einem Gedankenimpuls öffnete sie die ersten drei Knöpfe ihrer weißen Bluse.
Der Posten hielt wirklich schlecht Wache, er sah sie erst an, als sie keine zehn Schritt mehr von ihm entfernt war. Automatisch wanderte seine Hand zu dem Kolben des Armeerevolvers, der offen im Gürtel steckte. Aber dann zögerte der Mann, richtete sich auf und die Hand entfernte sich wieder von der Waffe: „Na Süße, so spät noch alleine unterwegs?“ Seine raue Stimme sollte wohl forsch klingen, und Max hätte beinahe gelacht. Es klappte tatsächlich!
Sie schluckte und gab ihrer Stimme einen anzüglichen Tonfall: „Und was sollte mir hier passieren, Großer? Hast du mal Feuer für mich?“ Die Worte kamen ihr idiotisch vor, wie aus einem schlechten Film – aber sie schienen zu wirken. Der Wachposten trat näher, angelte mit der Rechten ein Feuerzeug aus der Tasche und beugte sich näher zu Max. Er stank nach Alkohol, Schweiß und ungewaschenen Kleidern: „Für dich doch immer, Baby…“
Er sah die Klinge nicht, die Max plötzlich in der Hand hielt. Während sie dem Posten die Linke auf den Mund presste, rammte sie ihm das Messer aufwärts in den Bauch – einmal, zweimal, dreimal, immer wieder. Blut schoss widerlich warm über ihre Hände, aber sich wich nicht zurück, presste weiter die Hand auf den Mund des tödlich getroffenen Mannes, bis das dumpfe, erstickte Stöhnen verstummte.
Es ging um Thomas, und sie hatte keine andere Wahl. Über den zu Boden sinkenden sprang sie vorwärts, schlüpfte durch das rostige Tor auf das Fabrikgelände. Die anderen folgten ihr, und versuchten dabei nicht in die sich ausbreitende, dunkle Lache zu treten.

„Max.“
Sie fuhr herum, die Maschinenpistole im Anschlag, bis sie begriff, dass es Steels Stimme gewesen war. Der hoch gewachsene Staffelführer tauchte aus dem Schatten eines Schrotthaufens auf. Nicht zum ersten Mal fragte sich Max, wie ein so großer Mann nur derart leise sein konnte.
„Schleich dich verdammt noch mal nicht so an!“ fauchte sie.
Steel grinste kalt, in seinen Augen schien ein seltsamer Glanz zu liegen: „Ich dachte, dass ist der Sinn des Ganzen? Der Posten…“
„Ist tot!“ zischte Max leise, aber wütend. Sie wollte nicht darüber sprechen. Nur Thomas Sicherheit war wichtig.
„Sehr gut. Sie sind in einer der Lagerhallen – da drüben. Sie fühlen sich sehr sicher. Der Commander ist vermutlich in einem Nebenräume.“
„Wie gehen wir vor?“
Steel grinste wieder: „Alles schon geplant. Diesmal können wir nicht von zwei Seiten angreifen – das Gebäude hat nur Fenster nach Vorne. Aber das macht nichts. Die hocken ziemlich auf einem Haufen. Wir setzen ihnen eine Handgranate vor die Füße und stürmen die Bude. Sie halten schandhaft Wache.“
„Wenn Tho…Wenn der Commander zu Nahe dran ist…“
„Ist er nicht. Schon überprüft.“

Eine halbe Minute später war der Stoßtrupp in Angriffsposition. Die Entführer schienen sich wirklich allzu sicher zu fühlen. Durch die Bretter, mit denen die Fenster eher nachlässig verschalt waren, drang das Licht einer Parafinlampe, und es war Stimmgewirr zu verstehen. Von Stahlheim musterte die Waffe die er in den Händen hielt etwas skeptisch – er hielt wenig von den amerikanischen Mpi’s, eine Schmeißer, eine Sten oder sogar eine russische Waffe wären ihm lieber gewesen.
Lautlos gab er das Signal, sah wie zwei der Marines je eine Ei-Handgranate vom Gürtel lösten, scharf machten…
Und im selben Augenblick öffnete sich die Tür des Gebäudes und ein vierschrötiger Mann trat ins Freie.
Von Stahlheim handelte sofort, ohne nachzudenken. In einer fließenden Bewegung drehte er die Mpi um und rammte dem Gegner den Kolben der Mpi ins Gesicht: „Los! Los!“
Noch während den Angriffsbefehl gab, hatte er ein zweites, ein drittes Mal zugeschlagen. Der Mann taumelte zurück – dann explodierten die Handgranaten.
Die Wirkung war verheerend. Durch die Lücken die zwischen den vor die Fenster genagelten Brettern klafften, eröffneten die Marines und die Piloten zusätzlich das Feuer mit Pistolen und Maschinenpistolen. Die Entführer hatten nicht den Hauch einer Chance.
Von Stahlheim sprang geduckt durch die Tür, die Waffe locker in der Hüfte – jeder Griff, jede Bewegung war hundertfach geübt. In der Tür, die zu einem der hinteren Räume führte, tauchte eine Gestalt auf – ein Mann, die Augen weit aufgerissen, fassungslos. Aber er hatte eine Automatic in der Hand – und von Stahlheim eröffnete sofort das Feuer. Die Salve traf den Mann in Brust und Bauch, ließ ihn wie einen Kreisel herumwirbeln und schleuderte ihn zu Boden. Ohne auf die Todeszuckungen des Entführers zu achten, hetzte von Stahlheim vorwärts, sprang in den Raum, aus dem der Mann gekommen war – und senke die Waffe. Er hatte den Commander gefunden. Wie es aussah, hatte Thomas David Marquardt mal wieder Glück gehabt.

*****************

Als Marquardt ihm offen erklärte, dass ein deutscher Geheimdienst hinter der, reichlich dilettantischen, Entführung stecken sollte, hatte Ernst von Stahlheim das Gefühl, jemand würde ihm die geballte Faust in den Magen rammen. Zum Glück war der Commander desorientiert und bemerkte nichts davon. Mit aller Mühe und nur dank jahrelanger Erfahrung und dem Training der Abwehr gelang es dem deutschen Agenten, die Maske aufrechtzuerhalten, die er nicht einmal im Schlaf ablegen konnte.
Er half dem Commander, beteiligte sich sogar an der Durchsuchung der Toten. Er machte auch bei dem obligatorischen Schulterklopfen mit. Innerlich aber war ihm kalt geworden. Konnte es sein?
Zum Glück waren die Toten offenbar keine Abwehragenten gewesen, sondern nur hiesige Schläger. Wäre es anders gewesen…von Stahlheim war sich nicht sicher, ob er dann noch hätte weitermachen können. Aber während seine „Kameraden“ im Triumph zur NORTH STAR zurückkehrten, arbeitete es pausenlos in seinem Kopf.
Die Beute war unerheblich, einige Waffen, wenig Geld, etwas Schmuggelgut – offenbar hatte die Bande auch ein wenig Alkohol ‚geschmuggelt’. Aber der materielle Gewinn war Steel momentan sowieso gleichgültig.
Konnte dies eine nicht abgestimmte Aktion der Abwehr gewesen sein? Gelegentlich griff der deutsche Militärgeheimdienst auf „Vorortkräfte“ zurück, wenn der Einsatz von Agenten zu schwierig, politisch heikel oder riskant war.
Aber das konnte es nicht gewesen sein, auf keinen Fall hätte man eine solche Aktion gestartet, ohne ihn zu informieren. Wenn es nur darum gegangen wäre, Marquardt zu töten, einen Verräter zu liquidieren – dann hätte man von Stahlheim mit dieser Aufgabe betraut. Und er hätte sie auch erfüllt. Auch wenn er Marquardt als Flieger respektierte, der Mann hatte seine Heimat verraten.
Und von Stahlheim konnte sich keinen plausiblen Grund vorstellen, warum die Abwehr Marquardt überhaupt lebend oder tot in ihrer Hand wollte – der Abwehr waren Informationen über den Nitro-Booster und die Piratenbanden der zerfallenen USA weit wichtiger, als ein desertierter Leutnant. Keinesfalls würde die Zentrale in New York – die einzige Dienststelle auf dieser Seite des Atlantiks mit dem nötigen Maß an Autonomie – wegen Marquardt eine Mission gefährden, die direkt von Berlin eingeleitet worden war.
Oder doch?
Natürlich gab es auch andere Möglichkeiten. Nicht nur die Abwehr betrieb Auslandsspionage. Das Außenministerium war dafür bekannt, einen eigenen Privat-Geheimdienst zu unterhalten. Aber auf keinen Fall würde das Auswärtige Amt eine solche Aktion einleiten – operative Aktionen waren den „Auswärtigen“ viel zu riskant.
Die RSHA? Das war schon wahrscheinlicher – Heydrichs Behörde hatte die nötigen Mittel und die nötige Rücksichtslosigkeit, eine Liquidierung oder Entführung zu befehlen. Da die RSHA nicht über ein ähnlich großes Netzwerk an Agenten verfügte wie die Abwehr, und zudem ihre eigenen Leute ungern bei direkten Aktionen gefährdete, erschien der Einsatz von Kriminellen und Kopfgeldjägern nicht unplausibel.
‚Und es passt, dass sie es wieder mal versaut haben!’ dachte von Stahlheim wütend. Auch wenn die Beziehung zwischen Abwehr und RSHA nicht direkt feindselig war, er hielt wenig von der RSHA. Die Suche nach irgendwelchen Kommunisten und Sozialisten und die Jagd nach untergetauchten Juden und intellektuellen Dissidenten waren für seinen Geschmack eher erbärmliche Angelegenheiten. Die Führung mochte sie ja für notwendig halten, und vielleicht waren sie das auch – aber das war nichts, worauf man stolz sein konnte. Und wenn die RSHA sich in die Belange der Abwehr einmischte…
Aber auch das ergab keinen Sinn. Wenn die RSHA Marquardt aufgestöbert hatte, dann musste sie eigentlich auch wissen, dass von Stahlheim ein Agent der Abwehr war.
Es wäre ein Zeichen großer Dummheit gewesen, wenn sie ihn nicht vorgewarnt hätten – und außerdem würde ein solches Verhalten die Beziehungen zwischen den beiden Diensten zusätzlich belasten. Selbst die RSHA würde schlecht dastehen, wenn sie bei der Jagd nach einem Verräter eine Abwehr-Operation gefährdete, die seit fast einem Jahr lief und deren militärische Bedeutung so offensichtlich war.
Von Stahlheim hätte am liebsten ausgespuckt, unterließ es aber und schluckte seine Wut hinunter. Dieses fruchtlose Theoretisieren brachte ihn nicht weiter. Er könnte noch stundenlang die Für und Wieder abwägen, die für diesen oder jenen deutschen Dienst sprachen, Gewissheit würde er keine erhalten. Und er brauchte Gewissheit, brauchte sie unbedingt, um sein weiteres Vorgehen planen zu können.
Denn wenn ein Anschlag gescheitert war, dann würde der nächste todsicher folgen. Und das hieß, er musste schnell erfahren, wer wirklich dahinter steckte. Er musste erfahren, was er tun sollte. Sollte er Marquardt unterstützen, einfach zur Seite treten – oder sollte er selber aktiv werden, dem nächsten Anschlag zuarbeiten?

Das Problem war nur, dass er sich momentan kaum an die Zentrale in New York wenden konnte. Sein Gerät war recht minderwertig, ein Funkspruch würde über mehrere Stationen laufen müssen. Das stellte ein gewisses Sicherheitsrisiko dar, das von Stahlheim nicht gewillt war einzugehen – nicht in einer derart unübersichtlichen Situation.
Außerdem hatte er vor nicht einmal zwölf Stunden einen Verräter liquidiert, der sich vom militärischen Geheimdienst Pacificas hatte umdrehen lassen. Inzwischen wusste der Dienst bestimmt, dass der Doppelagent tot war – und man würde wohl kaum an einen Unfall glauben. Und das bedeutete, der militärische Geheimdienst würde auf Alarmstufe Rot sein. Es konnte gut sein, dass jeder verdächtige Funkspruch angepeilt und mit Stecknadeln auf dem Stadtplan Seattles markiert würde. Von Stahlheims Funkgerät war zudem nicht einfach zu transportieren, er müsste das Gerät zerlegen und die Einzelteile aus dem Zeppelin schmuggeln – das war zu riskant, vor allem da er das Gerät auch wieder hineinschaffen müsste.
Dieser Aufwand wog den Nutzen nicht auf.
Also musste er die Nachricht auf einem anderen Weg weiterleiten. Leider hatte der Doppelagent dem hiesigen Agentennetz der Abwehr schweren Schaden zugefügt – von Stahlheim konnte einfach nicht das Risiko eingehen, die üblichen Kanäle und „toten Briefkästen“ zu nutzen. Bis man die Kommunikationswege und alle noch in Freiheit befindlichen Agenten auf ihre Zuverlässigkeit geprüft hatte, würde Zeit vergehen – Zeit, die von Stahlheim nicht hatte.
Eigentlich hatte er nur noch eine Möglichkeit, sowenig sie ihm auch gefiel. Er traute diesem speziellen Agenten nicht über den Weg. Aber dieser Mann war der einzige, von dem der Verräter Johann Mueller bestimmt nichts gewusst hatte – denn dieser spezielle Agent war von einem RSHA-Mann angeworben worden, bevor die Abwehr ihn übernommen hatte. Angeblich arbeitete er nicht nur für die Deutschen, sondern ebenso für den japanischen Geheimdienst, und hatte zudem Kontakte zu diversen rechten Gruppierungen in den USA. Der Mann galt als kapriziös, selbstverliebt, arrogant und schwierig, viel zu unabhängig und auf seine eigenen Ziele bedacht, um richtig zuverlässig zu sein. Aber von Stahlheim hatte keine Wahl.

Und deshalb hatte er darauf verzichtet sich Schlafen zu legen, obwohl er hundemüde war, eigentlich zu müde, um die nötige Vorsicht aufzubringen. Die Zeit war zu knapp, er durfte nicht weiter „blind“ operieren – im Geheimdienstgeschäft war das ebenso tödlich, wie in der Fliegerei. Außerdem würden sie nur noch ein paar Tage in Seattle sein.
Obwohl er damit gegen die eine oder andere Konspirationsregel verstieß, hatte er deshalb noch einmal das Zeppelin verlassen. Zum Glück würde die Kontaktaufnahme nicht lange dauern. Steel hatte zielsicher eines der kleineren Postämter Seattles aufgesucht und steuerte ohne zu zögern einen der öffentlichen Fernsprecher an. Er wählte eine bestimmte Telefonnummer. Als der Hörer am anderen Ende abgenommen wurde, sprach von Stahlheim schnell, hastig: „Hören Sie, das geht zu weit! Wir brauchen das Flugbenzin, und zwar dringend. Glauben Sie nur nicht, wir lassen uns mit Lastwagenkraftstoff abspeisen! Und ich will keine weiteren Verzögerungen! Wenn Sie der NORTH STAR genug Treibstoff liefern können…“
„Wovon reden Sie? Wer sind sie eigentlich?“ Die Stimme klang verschlafen und genervt.
„Wieso? Spreche ich nicht mit der Pioneer-Flugzeug…“
„Nein, verdammt.“
„Oh, dann entschuldigen…“
„Gehen Sie doch zum Teufel!“ Damit hatte der andere schon wieder aufgelegt.
Von Stahlheim lächelte dünn und wandte sich zum Gehen. Der genaue Wortlaut des Gespräches war unwichtig, entscheidend waren nur zwei Worte gewesen: ‚Dringend’ und ‚NORTH STAR’.


Das war erledigt. Aber so sehr sich Ernst von Stahlheim auch nach Ruhe sehnte, noch war er nicht fertig. Wenn er sich schon an diesen Mann wandte, dann auf keinen Fall mit leeren Händen. Marquardt würde in Zukunft wachsamer sein, solange er vermuten musste, dass ein Geheimdienst, erst recht ein deutscher Geheimdienst, hinter ihm her war, würde er sehr sorgfältig den eigenen Rücken bewachen und die Sicherheitsvorkehrungen an Bord der NORTH STAR verbessern, wenn er nicht dumm oder gemeingefährlich sorglos war. Das konnte bedeuten, dass von Stahlheims Spielraum in Zukunft kleiner werden würde, die Gefahr einer Enttarnung stieg.
Außerdem, wenn es wirklich neue Befehle gab, wenn Berlin am Ende doch entschieden hatte, Marquardt aus dem Spiel zu nehmen, dann musste sich von Stahlheim beeilen, seinen Auftrag zu erfüllen – und das war nun einmal der Nitro-Booster. Außerdem würde heute Nacht bestimmt keiner im Hangar sein.

********************

Tatsächlich war der Hangar dunkel und menschenleer. Von Stahlheim trug immer noch die leichten Turnschuhe, die er vor der Befreiungsaktion angezogen hatte. Fast lautlos huschte geduckt zu einer der abgestellten Maschinen. Ja, das war seine Fury, er hätte den Weg auch mit verbundenen Augen finden können. Und in den vergangenen Wochen hatte er oft genug an der Maschine gearbeitet, jeder Handgriff saß.
Und wenn ihn tatsächlich jemand überraschte, würde er wohl am ehesten eine Entschuldigung finden können, wenn man ihn bei seiner eigenen Maschine fand. Die besondere Beziehung der Jagdpiloten zu ihren Flugzeugen war ebenso der Inhalt billiger Witze, wie diverser von Aberglauben und Tradition verbrämter „Regeln“ und Traditionen.
Den Fotoapparat hatte er sich in Sky Haven besorgt – genauer gesagt hatte ihm Elisabeth O’Conner den Tipp gegeben, wo er das kompakte, zuverlässige Gerät erwerben konnte. Es war ein amerikanischer Apparat, aber natürlich die Lizenz eines deutschen Fotoapparats. Carl Zeiss hatte einen guten Ruf auf beiden Seiten des Atlantiks – und sogar die japanischen U-Bootfahrer schworen auf Zieloptiken und Fernrohre aus Jena.

Schnell hatte von Stahlheim die Motorhaube geöffnet. Da war er ja – der berühmte Nitro-Booster Texas. Natürlich waren Fotos, Skizzen und ein detaillierter Bericht über Leistung und Eigenheiten nicht so aussagekräftig wie ein Originalgerät, aber das musste warten. Im Geheimdienstgeschäft galt allemal die Regel, dass der Spatz in der Hand besser war, als die Taube auf dem Dach.

Eilig, aber sorgfältig prüfte von Stahlheim die Einstellung des Fotoapparats. Die einzige Lichtquelle war momentan eine heruntergeschaltete Taschenlampe – aber das musste reichen. Die Entwicklungsexperten und Fachleute der Abwehr würden daraus schon klug werden.
In schneller Folge schoss von Stahlheim zwei Dutzend Fotos, wechselte dabei ein paar Mal die Stellung. Trotz der Müdigkeit, trotz der Anspannung blieben seine Hände ruhig. Sorgfalt und Präzision waren jetzt von entscheidender Bedeutung, oder alles war umsonst, das Risiko sinnlos.
Er hatte den Fotoapparat schon wieder verstaut, wollte sich zum Gehen wenden, als ein leises Geräusch die aufs äußersten gespannten Sinne des Agenten alarmierten. Schritte!
Von Stahlheim schaltete die Taschenlampe aus und verschwand lautlos unter der Tragfläche der Fury, wurde eins mit der Dunkelheit.

Samantha ‚Sam’ Rogers liebte die besondere Atmosphäre des Hangars. Diese besondere Atmosphäre des riesigen Raumes erinnerte sie manchmal an eine Kathedrale, und manchmal an ein lautes, dunkles Höllenloch, aus dem gepanzerte und mit Feuer und Blitz bestückte Kampfmaschinen ausschwärmten. Und da war auch der eigenartig charakteristische Geruch des Hangars, diese Mischung aus Flugbenzin, Schmieröl, und der Himmel mochte wissen was noch. Sie liebte ihren Beruf.
Und nachts, wenn der Hangar menschenleer war, wenn das Luftschiff schlief, dann kam sie manchmal hierher, wenn sie nicht schlafen konnte. Dann hatte sie die riesige Halle für sich alleine, schlenderte zwischen den Maschinen herum. Hier hatte sie Ruhe und Zeit zum Nachdenken, wenn ihr der Sinn danach stand.

Heute hatte sie wieder nicht schlafen können, obwohl sie sich eigentlich zum Umfallen müde war. Und schuld daran war natürlich Dave Stone, oder wie auch immer der Commander wirklich hieß.
In seiner Gegenwart fühlte sie sich unsicher – und sie sagte manchmal Dinge, die sie eigentlich gar nicht sagen wollte. Als sie gehört hatte, dass er entführt worden war, da hatte sie das Gefühl gehabt, jemand würde ihr ein glühendes Messer in den Leib bohren. Aber sie hatte nichts tun können. Sie hatte nur warten können, wie so eine blöde Wohlstandsgöre in einem schwachsinnigen Südstaatenroman.
Als Steel und die anderen den Commander angeschlagen, aber unversehrt zurückgebracht hatten, da wäre sie Dave am liebsten um den Hals gefallen – oder hätte ihm ein paar geknallt, weil er so unvorsichtig gewesen war. Das ergab alles keinen Sinn.
Dabei wusste sie nicht einmal, was er für sie empfand, ob er ÜBERHAUPT etwas für sie fühlte. Eben hatte sie doch tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, zur Kabine des Commanders zu gehen und anzuklopfen. Natürlich würde er öffnen und dann…
Was dann? Wenn er sie einfach fortschickte, würde sie ihm in Zukunft nicht mehr ins Gesicht sehen können. Und wenn er sie nicht wegschickte…
„Blöde Kuh!“ Das war doch idiotisch, sie war schließlich kein kleines Mädchen mehr, das vom Mann ihrer Träume schwärmte.
Dann fiel ihr etwas auf – etwas stimmte nicht. Tatsächlich, bei dieser Fury, Steels Maschine… Wütend marschierte sie zu dem Flugzeug, innerlich ein Ventil für ihre Wut zu finden.
Schwungvoll knallte sie die Motorhaube zu. Das sah dieser Bande von Halbmechanikern und Aushilfsschraubendrehern ähnlich! Die Motorhaube hatte geschlossen zu sein! Kurz spielte sie mit dem Gedanken, am nächsten Tag ihren Leuten die Hölle wegen dieser Nachlässigkeit die Hölle heiß zu machen. Aber dann verwarf sie den Gedanken wieder, das war denn doch zu trivial. Sie würde einfach die Augen aufhalten, und wenn sie einen ihrer Leute erwischte…
Dann wandte sie sich endgültig zum Gehen. Morgen würde es bestimmt genug Arbeit für sie und ihre Leute geben. Am besten, sie versuchte noch etwas Schlaf zu finden.
Und bezüglich Dave Stone…
Nun, sie wusste ja nicht einmal, ob es da überhaupt etwas gab. Verdammt!

Der Hangar lag wieder dunkel, verlassen und still da, nichts rührte sich. Dreißig Sekunden, eine Minute – mit der Lautlosigkeit eines Geistes tauchte Steel aus seinem Versteck auf. Hätte Samantha Rogers den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, sie hätte das kalte Grauen gepackt. Eine Minute später war der Hangar wieder menschenleer.
12.03.2020 17:50 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Da saß er also in der Dunkelheit, mit brummendem Kopf und schmerzenden Schwellungen im Gesicht, die Augen verbunden und die Hände und Füße an einen unbequemen Stuhl gefesselt.
Na, wenigstens war er noch am Leben. Noch.

Eines war an seiner Situation interessant. Er fühlte sich ein wenig wie auf einem Nachtflug, isoliert von der Umgebung, nur begleitet von der schwachen Beleuchtung der Armaturen, vollkommen seinem Gefühl, seinem Gehör ausgeliefert, beides sorgsam auf Veränderungen im Motorengeräusch achtend…
Sein Gefühl war flau, sehr flau. Und sein Gehör wurde plötzlich fein. Fein genug, um das leise säuseln, welches er unterschwellig gehört hatte, nun als Gesprächsfetzen eines Streits zu identifizieren.
„…Bannführer ausdrücklich gesagt…“
„…nur einen simplen Beweis!“
„…Kopf abschneiden, oder was?“
„…Und wenn sich diese Hunnen auf den Kopf stellen!“
„…werden zahlen, das sage ich dir!“

Sein Magen ballte sich zusammen und er fühlte sich in dieser Situation noch schlechter als ohnehin schon. Gefangen, gefesselt, und misshandelt auf einem harten Stuhl aufzuwachen verkündete schon von einer wirklich miesen Situation. Aber wenn Dave die Gesprächsfetzen richtig ordnete, dann hatte Berlin hier irgendwie seine Finger drin. Und anscheinend legte Berlin keinen Wert darauf, ihn lebend zu bekommen!
Dave zerrte an seinen Fesseln, prüfte sie auf Schwäche. Der erste Versuch ging daneben, aber aufgeben war noch nie seine starke Seite gewesen. Deshalb beschloss er die Zermürbungstaktik. Oder sollte er darauf warten, dass sie ihn eventuell losbanden und dann angreifen? Falls sie ihm eine Chance dafür gaben?
Es schienen keine ausgebildeten Agenten zu sein, nur ein paar Schläger, die sich ein Kopfgeld verdienen wollten…Und die anscheinend zumindest eine Ahnung davon hatten, wer er wirklich war. Schön, er selbst wusste es nämlich immer noch nicht. Vielleicht konnte er die Bastarde fragen, bevor sie ihm den Schädel einschlugen oder dem Zustand eines Schweizer Käse näher brachten.
Dave schluckte trocken, als er sich mit dem Gedanken vertraut machte, eventuell sehr schnell Annie wieder zu sehen. Nicht, dass ihn das nicht freute. Aber so ein Treffen wollte gut vorbereitet sein, ein wenig Zeit musste verstreichen und vor allem sollte es nicht zu plötzlich geschehen, zum Beispiel mit Hilfe einer Tommygun.
Verdammt, eigentlich hatte er noch einiges vorgehabt in diesem Leben. Zum Beispiel war da immer noch die LEVIATHAN!
Wieder riss er an seinen Fesseln, sie schnitten in seine Haut ein. Lederstriemen, mist.
Dave konnte sich sehr gut vorstellen, wie die Kerle vorgegangen waren. Sie hatten gewusst, auf wen sie zu warten hatten. Dann waren sie ihm gefolgt und hatten ihm in der Toilette aufgelauert. Und dann…Erfolgte eine Explosion.

Explosion?
Wirklich, das hatte sich ganz nach einer Handgranate angehört! Und darauf Pistolenfeuer! Geschrei, weitere Schüsse! Was ging da vor? Eine Befreiungsaktion? Wohl kaum, er war alleine unterwegs gewesen und dies war kein Hollywood-Streifen. Wie hätten seine Leute ihn so schnell vermissen, geschweige denn finden können?
Holz brach irgendwo vor ihm. Das Geschrei wurde nun sehr viel lauter.
„Chef, sind Sie hier?“
Dave glaubte für einen Moment, für einen winzigen Moment, dass es wahr war, dass das wirklich die Stimme von Steel gewesen war. Er hätte weinen können vor Glück. Aber dann kam die Ungewissheit, er könnte sich diese Stimme nur eingebildet haben.
„Hier! Hierher!“
Licht flammte auf. „Verdammt, Armstrong! Du siehst scheiße aus!“
Jemand entfernte die Augenbinde.
Geblendet blinzelte Dave. „Ernst, dich schickt der Himmel.“
Grinsend zerschnitt der Industrial die Fesseln. „Nicht der Himmel. Ein gewisser junger ehemaliger BAS-Agent hat uns gesagt, wo wir dich finden können. Er fand es merkwürdig, dass du nicht zurückkamst, hat vor deinem Lokal rumgefragt und etwas recherchiert.
Danach hat er Blue so lange in den Ohren gelegen, bis der wiederum mich überzeugt hat. Tja, und ab da gab es kein halten mehr. Wir sind zu zehnt hier. Und das auch nur, weil wir gelost haben. Also bedanke dich bei dem Bengel.“
„Ich bedanke mich erstmal bei dir, Ernst. Danke.“
„Gern geschehen. Was war hier überhaupt los?“
Der Industrial griff zu und half Dave auf.
„Ich schätze, meine Vergangenheit holt mich ein. Irgendein deutscher Geheimdienst steckt hier hinter.“
„Die Krauts? Wieso?“
„Das wüsste ich selber gerne. Angefangen hat es wegen meiner französischen Mutter. Aber das erzähle ich ein anderes Mal. Gibt es Überlebende?“
„Nein. Daran habe ich nicht gedacht“, gab Steel zu.
„Auch egal. Durchsucht den Laden, nehmt alles von Wert mit und dann verschwinden wir, bevor die Polizei kommt.“
„Wir klauen?“
Dave grinste schief. „Die haben angefangen.“
„Jawohl, Chef.“
Diesmal hatte sein Fehler keine gravierenden Folgen gehabt – abgesehen von einer Riesenbeule am Hinterkopf, auf den Wangen und einem blauen Auge. Aber würde sein unbekannter Gegner dran bleiben? Das nächste Mal erfolgreich sein?
Es wäre hilfreich, wenn er einen Namen hätte. Person oder Geheimdienst…

***
Den Morgen nach der Rettungsaktion von Steel begann Dave, als würde er den ersten Kreis der Hölle betreten. Als er in seinen Spiegel starrte, fragte er sich unbewusst, wer der hässliche Kerl war, der ihn aus den verquollenen Augen ansah – von den blauen Flecken einmal ganz zu schweigen.
Jimmy, der Stuart, schüttelte mitfühlend den Kopf. „Sie sehen echt scheiße aus, Sir.“
„Danke. Ohne dich wäre mir das nie aufgefallen.“ Beide Augen blau gehauen, der Oberkörper schillerte wie ein Regenbogen, was für ein Anblick. Wenigstens war ihm nichts gebrochen worden. Und die Zähne waren auch noch alle da wo sie sein sollten.
„Dafür bin ich doch da, Sir“, sagte der japanische Junge und reichte Dave zwei Steaks, roh.
„Was soll ich denn damit?“, fragte Dave verblüfft.
„Dafür bin ich auch da. Legen Sie es sich auf die Schwellungen. Sie sind aus dem Kühlhaus der Kantine.“
„Und das funktioniert?“
„Altes Hausrezept meiner Tante.“
„Eine japanische Familienweisheit?“
Jimmy schüttelte den Kopf. „Nein, eine amerikanische Familienweisheit. Meine Tante lebt in der zweiten Generation in den Atlantics.“
Dave schmunzelte, wusch sich das Gesicht, putzte seine Zähne und rasierte sich.
Danach legte er sich auf sein Bett und platzierte die Steaks. Wenn das wirklich funktionierte, wäre das klasse und würde in sein Repertoire zu den halben Kartoffeln bei verblitzten Augen kommen.
Himmel, wenn Ryan nicht gewesen wäre…Wenn Steel nicht gewesen wäre, dann hätten diese Typen ihn erwischt.
In Sky Haven war er immer besonders vorsichtig gewesen, damals hatte er die Verantwortung für sich und Max gehabt. Diesmal aber hatte er die Verantwortung für eine ganze Zigarre und ging sorglos durch eine fremde Stadt! Das war kein Benehmen für einen Commander!

„Armstrong, du hast Besuch.“
Dave lupfte eines der Steaks und sah Blue an. „Ich bin beschäftigt. Schick ihn wieder weg, wenn es nicht lebenswichtig ist.“
Jeff Blue Daynes wirkte unschlüssig, nein, hochgradig nervös. „Ich glaube, es ist lebenswichtig.“
Seufzend richtete sich der Commander der NORTH auf. „Hör auf rumzuzappeln. Du siehst aus wie ne Jungfrau vorm ersten Mal.“
„Vielleicht wäre es gut, wenn du dich etwas beeilst, Dave. Ich habe die Küche bereits angewiesen, eine Kanne vom guten Kaffee zu machen und schnell eine Kleinigkeit zu zaubern.
„Nein“, korrigierte sich der Commander selbst. „Du wirkst eher wie die Brautmutter, wenn sie ihre Kleine dem Zukünftigen schmackhaft machen will.“
Blue räusperte sich verlegen.
„Wer ist es überhaupt, Nathan Zachary?“
Der Pilot aus Empire hustete unterdrückt. „Es ist nicht Nathan Zachary.“
Dave schnappte sich ein Hemd, zog es über und knöpfte es halb zu. Er warf einen letzten Blick in den Spiegel und beschloss, für jede Art von unangemeldeten Besuch vorzeigbar zu sein, und wenn es der König von England war!

Während seinem Weg in die Messe begegnete Dave vielen seiner Leute, welche die Köpfe gesenkt hatten. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, dann hätte er gesagt, die Mitglieder einer Schulklasse vor sich zu haben, die gerade vom Rektor heftig gescholten worden waren.
Als er die Messe hinter Blue erreichte, wusste er auch wieso.
Nach einer kurzen Schrecksekunde, die der ältere Mann am Tisch sehr wohl registriert hatte, trat Dave ein und grinste schief. „Na, das nenne ich mal eine Überraschung. Mit jedem hätte ich gerechnet, aber nicht mit Ihnen. Willkommen an Bord meiner bescheidenen Zigarre, Paladin Blake.“
„Danke, junger Mann. Bitte, setzen Sie sich.“
Blakes Stimme besaß Autorität, sogar über ihn, wie er sich eingestand. Für einen kurzen Moment wankte er zwischen Trotz und Gehorsamkeit und entschied sich für einen Mittelweg. „Hören Sie, Paladin, wie Sie sehen hatte ich gestern einen beschissenen Tag und könnte etwas Ruhe gebrauchen.“
„Mr. Marquardt, bitte, setzen Sie sich.“
Verblüfft ließ sich Dave auf den Stuhl sinken, während Jimmy Kaffee und Donuts servierte.
Paladin Blake, DER Paladin Blake, die Legende, der Gründer der ersten Flugsicherheitsfirma, die lebende Legende, saß nicht nur hier mit ihm an einem Tisch, etwas was Dave immer in die Abstrakte der Phantasie geschoben hatte. Nein, er kannte sogar seinen richtigen, deutschen Namen.
Blake musterte ihn, bevor er schmunzelte. „Junge, Sie sehen beschissen aus.“
Verlegen rieb sich Dave die Wangen. „Nur ein kleiner Hinterhalt. Was kann ich für Sie tun, Sir?“
Paladin Blake goss sich Kaffee ein und probierte ihn. „Nette Sorte. Haben Sie die von den Russen geklaut?“
Dave war nicht überrascht, dass der Chef von BAS wusste, woher die NORTH gerade kam, denn so etwas zu wissen war sein Job.
„Ist von der KIEV, der letzten Zigarre, die wir erobert haben. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen gerne ein paar Kilo verkaufen. Zu einem guten Preis.“
Blake musterte ihn über den Rand der Tasse hinweg. „Es scheint, als hätten Sie sich schon sehr gut in die Rolle als Freibeuter eingefunden, Thomas Marquardt. Das ist nichts Gutes und nichts Schlechtes. Es sind interessante Zeiten.“
„Allerdings. Mal verliert man, mal gewinnt man. In welche der beiden Richtungen wird unser Gespräch führen, Sir?“
„In letztere. Hoffe ich.“

Blake versuchte zweifellos, ihn nervös zu machen. Er legte eine lange Pause ein, griff nach einem Schokoladendonut und tunkte ihn in den Kaffee.
Dave nutzte die Zeit, um ein Versäumnis nachzuholen. Er sah sich in der Kantine um und versuchte sich den Gang noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. „Erstaunlich. Sind Sie alleine an Bord gekommen, Sir?“
„Brauche ich etwa Begleitschutz auf einem texanischen Kaperer?“, erwiderte der Ältere spöttisch.
„Nein. Sie brauchen keinen Begleitschutz. Noch nicht. Also noch einmal. Was führt Sie her? Womit kann ich Ihnen dienen?“
Blakes Blick ging zur Tür. „Kommen Sie ruhig rein, Mr. Daynes. In diesem Gespräch gibt es nichts, was Ihr Commander vor Ihnen verheimlichen muß.“
„I-ich bleibe lieber, wo ich gerade bin, Sir“, stotterte Blue.
„Was Jeff angeht, er…“
„Ich habe die Geschichte damals auf meinem Schreibtisch gehabt, Mr. Marquardt. Und ich habe auch versucht, sie wieder gerade zu rücken. Aber Mr. Daynes hat sich mittlerweile zu weit von uns entfernt, um noch zurück zu kommen. Oder wünschen Sie eine Chance, Blue?“
Der Kapitän der NORTH schluckte heftig. Normalerweise ließ Blue an Blake Aviation Security nicht ein gutes Haar. Zu sehr steckte ihm in den Knochen, wie ihn sein alter Agenturchef wegen der Affäre mit dessen Tochter hatte fallen lassen, wie die anderen Piloten ihn geschnitten hatten.
Aber jetzt, hier von Blake persönlich gesagt zu bekommen, dass es vielleicht einen Weg zurückgab… „Nein, danke, Sir. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, wie es ist.“
„So, so.“ Blake schmunzelte leicht. „Nun, wie man an der AVIGNON sieht, sind Sie nicht in den schlechtesten Händen.
Mr. Marquardt, lassen Sie mich Ihnen nachträglich dafür danken. Auch wenn Sie sich bezahlen ließen, Sie haben den Transporter gerettet.“
„Ach, ich habe die Stelle überhört, in der BAS verkündet hat, nur noch um der Menschlichkeit willen die Luftsicherheit zu übernehmen, und nicht mehr für Bezahlung.“
„Punkt für Sie.“ Blakes Miene wurde hart. Man sagte dem ehemaligen Pinkerton-Detektiv ein cholerisches Temperament nach. Vor allem konnte er nicht verlieren.
Und so langsam fragte sich Dave, ob nicht ein, zwei Staffeln von Blakes Sicherheitsagentur gerade in diesem Moment über der NORTH kreisten, bereit zum Angriff.
„Danke. Also, was kann ich für Sie tun, Sir? Und warum ist es so wichtig, dass Sie persönlich in meine bescheidene Zigarre reinschauen?“

Die beiden sahen sich in die Augen, keiner bereit, als erster den Blickkontakt abzubrechen.
„Es ist nicht so, dass ich extra für diese Sache nach Seattle gekommen bin. Ich war nur gerade hier, als sie mir zugetragen wurde. Also habe ich beschlossen, sie selbst in die Hand zu nehmen. Auch um Sie ein wenig kennen zu lernen. Offiziell, mein lieber Thomas, sind Sie ein von den Deutschen gesuchter Landesverräter, auf dem es in einigen Staaten ein Kopfgeld gibt. Inoffiziell aber haben Sie sich das letzte Jahr bei den Texas Air Rangers mehr als bewährt. Und entschuldigen Sie, wenn ich nichts dagegen habe, wenn von den Sowjets zwei oder drei Zigarren in den Pazifik fallen.
Ich werde nicht ganz schlau aus Ihnen und ich wollte Sie kennen lernen, bevor ich vielleicht in einem Luftkampf auf Sie treffe.“
„Ich fühle mich geehrt“, erwiderte Dave mit sarkastischer Stimme. Warum war ein kleiner Deserteur so interessant für Blake? Nun, weil er jetzt zwei Staffeln Flieger und eine Zigarre kommandierte und zu einem kleinen Machtfaktor wurde, der eventuell mal mit BAS aneinander geriet.
„Sie haben gestern einen neuen Piloten aufgenommen. Einen alten Bekannten von der AVIGNON. Ich…“
Dave erhob sich. „Ich weiß, Ryan ist desertiert. Aber selbst Sie müssen zugeben, dass er einen guten Grund hatte. Einen schwachsinnigen, okay, aber dennoch guten Grund. Ich kann Ihnen den Mann nicht ausliefern. Nicht, nachdem er mir gestern das Leben gerettet hat.“
„Setzen Sie sich wieder.“
„Paladin Blake, ich…“
„SETZEN SIE SICH!“
Langsam sank Dave wieder auf den Stuhl zurück.
Blake schenkte sich und ihm Kaffee nach. „Es geht um Jerrard Ryan, richtig. Ich kann es nicht beschönigen und will es auch gar nicht, er ist nach dem Kampf um die AVIGNON desertiert. Dass er es erst getan hatte, nachdem die Ablösung in Form einer Staffel von BAS angekommen war, macht den Vorgang nicht weniger verwerflich. Ich denke nicht, dass ich ihn wieder bei BAS aufnehmen kann. Im Gegensatz zu Mr. Daynes hat ihn niemand gezwungen, und die blutige Rache, die er an den Howling Hounds vollzogen hat, kollidiert mit den Prinzipien meiner Agentur.
Andererseits habe ich als Pilot Respekt für seine Beweggründe. Ich verstehe ihn. Kein richtiger Pilot kann den Anblick ertragen, wenn ein Pilot aus der Seide geschossen wird. Ich werde ihn nicht verfolgen. Aber ich werde ihm auch nicht helfen. Und wenn die BAS ihn in der Luft aufgreift, wird er behandelt wie jeder andere Ihrer Freibeuter an Bord.“
„Verstehe. Dann war unser Treffen vor allem ein kennen lernen?“
„Nicht ganz, Mr. Marquardt. Mr. Ryan kam mit einer Bloodhawk zu Ihnen. Es ist die gleiche Bloodhawk, mit der er desertiert ist. Diese Maschine gehört BAS. Mr. Marquardt, geben Sie mir mein Eigentum zurück!“

Verblüfft starrte Dave den heiligen Blake an. Ein kennenlernen, ein Freibrief für einen desertierten Piloten und „gib mir mein Spielzeug wieder“?
Leise begann er zu lachen. „Ich denke, ich kann damit leben, wenn ich Ryan auf die freie Devastator setze. Holen Sie den Vogel ab, wann immer Sie wollen, Paladin Blake. Aber erwarten Sie nicht, dass ich ihn voll aufmunitionieren und betanken lasse.“
Blake trank seinen Kaffee aus und erhob sich. Dave tat es ihm gleich.
„Also gut. Ein Versprechen unter Männern.“ Blake hielt ihm die Hand hin, Armstrong griff zu. Damit war es besiegelt.
„Ach, Sir, eine Frage noch.“
Blake schmunzelte. „Machen Sie sich keine Sorgen. Offiziell weiß der BAS nicht, dass der desertierte deutsche Leutnant Marquardt und der texanische Kaperer Dave Stone ein und dieselbe Person sind. Ich habe nicht vor, den Deutschen etwas zu schenken. Nicht nach der Sache mit den Black Hats.“
„Danke, Sir.“ Dave verstärkte noch einmal den Druck seiner Hand, dann ließ er los.
Blake nickte zufrieden. „Guter Kaffee, Junge. Wirklich guter Kaffee.“

Als Blake gegangen war, kam Blue vorsichtig herein. „Chef?“
„Komm nur rein, Jeff. Einer von uns beiden muß es dem Jungen sagen.“
„Ist das alles, was dir gerade durch den Kopf geht?“, meinte Blue zweifelnd und setzte sich. „Wir hatten hier gerade Blake sitzen! Paladin Blake!“
„Stell dir vor“, erwiderte Dave bissig, „das ist mir aufgefallen!“
Leiser fügte er hinzu: „Und wir sind relativ glimpflich davon gekommen. Ich bin glimpflich davon gekommen.“
12.03.2020 17:51 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Thomas David Marquardt mußterte den Mann vor ihm etwas konsterniert. Es war eine etwas ungewöhnliche Erfahrung für ihn, gleich zweimal an einem Tag von der "Prominenz" belästigt zu werden - vor allem, da er noch am Vorabend damit hatte rechnen müssen, in irgendeiner anonymen Lagerhalle zu verrecken.
Und nun...
"Neville Sinclair? Was will denn der von mir? Braucht der Mann vielleicht ein neues Stunt-Double?"
Der breitschultrige Mann, der sich als Roger "Red" Barnes vorgestellt hatte, Ex-BAS'ler, Ex-Pirat und inzwischen Stuntpilot in Hollywood, lachte lauthals: "Das will ich nicht hoffen! Immerhin müßte ich Ihnen dann eine Blutfehde ansagen.
Aber im Ernst, Commander, Sie interessieren Sinclair. Sie gehörten zu Cat Shannons Bande. Der alte Pirat hat sich erst kürzlich wieder in Erinnerung gerufen - und in ganz Nordamerika hat man das Cat-Shannon-Manöver noch nicht vergessen.
Und kaum sind sie zwei Tage hier, stattet Ihnen ausgerechnet Paladine Blake einen Besuch ab. Sie haben prominente Bekannte. Und das ist fast so gut, wie selber prominent zu sein.
Und Sinclair sammelt Prominente für seine Party's - und solche, die das Zeug dazu haben, berühmt zu werden.
Außerdem...da gibt es noch diese Geschichte, dass ihre Maschinen immer ein klein wenig schneller sind als die der Gegner, Sie verstehen?
Männer wie Sie könnten seiner kleinen Veranstaltung etwas zusätzlichen Glanz verleihen. Seattle zieht nicht gerade die Elite der Fliegerschaft an."
"Aber das ist doch noch nicht alles, oder?"
"Nicht ganz. Sehen Sie, wir sind natürlich auch immer an neuen Talenten interessiert."
"Schauspielern?"
"Piloten. Hollywood sucht immer nach vielversprechenden, jungen Fliegern."
"Und ich soll ihnen meine Jungs und Mädchen servieren?"
"Na, na. Sie trauen Ihren Leuten doch wohl gut genug, um nicht zu fürchten, dass jemand ihren Trupp nur wegen den fetteren Fleischtöpfen verläßt? Und wenn es so wäre - warum sollten Sie so jemanden behalten wollen..."
"Das ist auch eine Sicht der Dinge..." Marquardt rekapitulierte im Stillen, was er über Neville Sinclair wußte:
Nicht gerade Errol Flynn, aber ein aufsteigender Stern in Hollywood. Der Mann war schon mehr als eine lokale Berühmtheit und seine Party's hatten einen legendären - wenn auch leicht skandalumwitterten Ruf. Neville Sinclair war allerdings nicht nur ein Playboy und Schauspieler. Er flog selber viele der Stuntmanöver in seinen Filmen. Angeblich hatte er in einigen Scharmützeln mit Piraten drei oder vier Gegner abgeschossen.
Er hatte dem Gerücht nach fast ein halbes Dutzend Duelle siegreich absolviert - und war bei zwei weniger erfolgreichen verwundet worden.

Allerdings sollte er auch recht undurchsichtige politische Ambitionen haben - weswegen in einigen Zeitungen schon über den Grund seines inzwischen einmonatigen Aufenthalt in Seattle gemunkelt wurde.
Seine präzise Einstellung zu den politischen "Freunden" Hollywoods war unklar. Es hieß allerdings auch, er strebe neben seiner schauspielerischen auch eine politische Kariere an. Falls es da einen Unterschied gab, wie mancher zu bemerken pflegte.
Wieder musterte Marquardt seinen Gegenüber. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, seinen Leuten noch mal ein wenig Auslauf zu gönnen, bevor es wieder richtig losging. Er hatte die vage Vermutung, dass die nächsten Monate brenzlig werden könnten. Die Tatsache, dass Neville Sinclair ausgerechnet seinen persönlichen Stunt-Piloten geschickt hatte, warf ein interessantes Bild auf den Filmstar.
Und außerdem war sich Marquardt ziemlich sicher, dass die Abwehr, die RSHA, oder wer auch immer hinter der mißglückten Entführung steckte, nicht so schnell einen zweiten Versuch starten würde. Das wäre unvorsichtig gewesen, überhastet - und überstieg wohl auch die Kapazitäten eines normalen Agenten.
"Also gut. Wir schauen vorbei."

***
Innerlich war Ernst von Stahlheim angespannt, auch verärgert, doch äußerlich war dem hoch gewachsenen, rotblonden Deutschen dies kaum anzumerken. Er hatte gelernt, sich zu verstellen.
Er hatte damit gerechnet, hatte darauf gehofft, dass der von ihm kontaktierte Agent bald mit ihm in Verbindung treten würde. Der Rahmen, in dem dieses Treffen allerdings stattfinden sollte, gefiel ihm überhaupt nicht.

Die Party stieg in einem der alten Repräsentationsbauten Seattles, der von einer notorisch nach Finanzmitteln suchenden Stadtverwaltung nur zu gerne vermietet wurde, erst recht an Leute wie Neville Sinclair.
Der Rahmen des Festes war einem Hollywood-Star durchaus angemessen. Der massive Stein- und Betonbau erinnerte von Stahlheim etwas an die Monumentalbauten, die im Deutschen Reich seit 1933 in Mode gekommen waren, auch wenn er diese Assoziation für sich behielt. Schon von Außen boten die hell erleuchteten Fenster und der über dem Haupteingang montierte Flakscheinwerfer einen durchaus beeindruckenden Anblick.
Und im Inneren…
Ein Großteil der Seattler Oberschicht schien hier versammelt: Industrielle, Großkaufleute, Finanziers und Banker. Dazu kamen hochrangige Mitglieder der Politik und des Militärs. Die Piloten und Offiziere einiger ausgewählter Kaperer und Fliegereinheiten schienen auf den ersten Blick etwas aus dem Rahmen zu fallen, aber von Stahlheim wusste um die Vorliebe der Amerikaner für „Pioniercharakter“ und „Abenteurer“. Der schmähliche Zerfall der Großmacht USA hatte dies eher verstärkt. Männer wie David Stone gaben derartigen Veranstaltungen den passenden Anstrich von „Frontier“-Gesellschaft und Wildwestromantik.
Und zuletzt waren da dann noch etwa zwei Dutzend Frauen, allesamt recht hübsch und oft mehr als gewagt gekleidet, die von Stahlheim als „Professionelle“ eingeordnet hatte, auch wenn diese Frauen natürlich meilenweit entfernt waren von den unglücklichen Straßenhuren, die sich in den Elendsvierteln Seattles für ein paar Dollar prostituierten. Ergänzt wurden sie von einigen Mädchen, die nach von Stahlheims unausgesprochener Meinung eigentlich noch nicht alt genug waren, um alleine zu so einer Party zu gehen. Allerdings waren seine Vorstellungen über das richtige Verhalten eines Mädchens aus gutem, oder wenigstens bürgerlichen Haus etwas veraltet. Vielleicht lag es auch an diesen „Gästen“, dass unter den anderen Anwesenden die Frauen in der Minderheit waren – wer von den eingeladenen Honoratioren verheiratet war, der hatte darauf verzichtet, seine Angetraute mitzunehmen. Es herrschte keine Kleiderordnung, deshalb war die Gesellschaft recht bunt. Wer von den Männern glaubte, ein Anrecht darauf zu haben, trug Uniform, die anderen entweder Fracks, oder legere Zivilkleidung. Bei den Frauen überwogen Kleider – abgesehen von einigen Offizierinnen und Pilotinnen, die einem paramilitärischen Outfit den Vorzug gaben.
Trotzdem der Abend noch jung war, ging es schon ziemlich hoch her. Die zur Verfügung stehenden Spirituosen sprachen der offiziell in Seattle herrschenden Prohibition Hohn. Aber das schien niemanden zu stören. Es wurde reichlich getrunken. Die Unterhaltung war angeregt, laut, oft etwas gewagt. Oder, es ging um die Dinge, die die Amerikaner seit jeher faszinierten – Krieg, Gewalt, Politik und Profit.

Neville Sinclair war der unübersehbare Mittelpunkt der Party. Um den aufsteigenden Hollywood-Star hatte sich ein regelrechter Rattenschwanz von Bewunderern, vorgeblichen Freunden und Bekannten formiert, Männern und Frauen, die wollten, dass etwas von dem Glanz des Schauspielers auf sie fiel, die aufzufallen hofften.
Trotzdem hatte Neville Sinclair Zeit gefunden, David Stone persönlich zu begrüßen, ihm und seinen Offizieren einen kräftigen Händedruck (den Männern) oder einen galanten Handkuss (den Frauen) zukommen zu lassen.
Neville Sinclair war Ende Dreißig, und damit jedenfalls aus dem Alter heraus, in dem er den jugendlichen Helden spielen konnte. Er war nicht unbedingt gut aussehend, aber er hatte Charisma – seine hagere Gestalt und das ausdrucksstarke Gesicht schienen Energie und Tatkraft auszustrahlen. Seine dunkeln Augen schienen den Gegenüber zu fixieren, gaben dem Gesprächspartner das Gefühl, dass sich Neville Sinclair völlig auf ihn konzentrierte. Es wunderte von Stahlheim überhaupt nicht, dass der Filmstar Erfolg bei Frauen hatte.

Ernst ‚Steel’ Stahl blieb nicht lange bei seinen Kameraden von der NORTH STAR, nur so lange, dass es nicht auffiel, dass er sich absonderte. Dabei hatte er ein leichtes Spiel. Der Commander stand ziemlich im Zentrum des Interesses. Offenbar wusste jeder zweite anwesende Militär oder Pilot von Armstrongs Vergangenheit bei der Piratenbande des inzwischen weithin berüchtigten Cat Shannon, oder hatte zumindest Gerüchte über den neuen texanischen Nitro-Booster gehört. Die Militärs, Politiker und Geschäftsleute wollten zudem wohl nur zu gerne erfahren, was Texas mit der Entsendung von Kaperschiffen an die Ostküste der ehemaligen USA bezweckte. Andere, vor allem einige Kaperkapitäne, und die Geschäftsleute, die Piraten finanzierten oder Freibeutern ihre Beute abkauften, interessierten sich für die Verhältnisse in Alaska – vor allem, da sich dort momentan der Konflikt zwischen den sowjetischen Streitkräften und den Vorposten des Kaiserlichen Japans zu verschärfen schien.
Es hatte in von Stahlheim eine kalte, schwelende, und äußerst unprofessionelle Wut darüber entfacht, wie diese Aasgeier danach gierten, durch Piraterie und Kriegsgefahr ihre Profite zu maximieren. Vor allem aber war er wütend, weil er wusste, was wirklich der Grund für die Gerüchte von neuen japanisch-sowjetischen Spannungen war. Die Arroganz und Selbstgefälligkeit, mit der die Amerikaner am Rande eines neuen Krieges tanzten, stieß ihn ab. Etwas von seinen Gefühlen musste auch in seinem Gesicht zu sehen gewesen sein, jedenfalls hatte keiner der anderen Gäste mit ihm ein längeres Gespräch gesucht. Eine junge Frau, die von ihm hatte wissen wollen, ob er auch schon mal einen Russen abgeschossen hatte und ob Texas wirklich eine neue Kaperoffensive plante, hatte er ziemlich kurz abgefertigt.

Letztlich spielte das alles natürlich keine Rolle. Wichtig war nur, dass der Abwehragent, wegen dem von Stahlheim heute überhaupt hier war, endlich Kontakt aufnahm. Aber diese Kontaktaufnahme ließ auf sich warten. Und der für das Treffen gewählte Rahmen – dieses idiotische Fest – machten ein unauffälliges Treffen eigentlich unmöglich. Natürlich war es eine der wichtigen Regeln der Konspiration, eine große Menschenmenge als Deckung zu nutzen. Aber dazu durfte man kein Aufsehen erregen, durfte nicht im Mittelpunkt stehen. Hier und Heute und angesichts der Identität seines Kontaktmannes…

Unbewusst folgte von Stahlheim dennoch den in Fleisch und Blut übergegangenen Regeln der Konspiration. Er blieb in Bewegung, suchte keine Gespräche, hielt sich im Hintergrund. In dieser Hinsicht wenigstens bot diese Party genug Möglichkeiten. Die Räumlichkeiten waren sehr umfangreich, in den zahlreichen Zimmern und langen Fluren hätte ein halbes Dutzend Agenten sich bewegen, und unauffällig unter die Gäste mischen können. Die verschiedenen Seitengänge und Nebenräume boten sich eigentlich hervorragend zu konspirativen Treffen an. Aber dazu musste man sich natürlich ungesehen, oder vielmehr unauffällig bewegen können. Von Stahlheim konnte das. Aber er war ja nicht das Problem…
So aber blieb ihm nichts, als sich die Zeit totzuschlagen und darauf zu warten, dass sein Kontaktmann endlich den ersten Schritt machte.
Während er darauf wartete und sich langsam vorkam, wie ein Junge den seine Verabredung sitzengelassen hatte, bekam er genug von Neville Sinclairs Party mit, um seine Frustration und unterschwellige Verachtung noch zu steigern. Es gab hier offenbar für jeden Geschmack etwas – aber diese Geschmäcker empfand er als entweder dekadent, oder vulgär. Der reichliche Alkoholkonsum, das ziemlich schamlose Verhalten und die Anzüglichkeiten, zu denen einige der Gäste mit fortschreitender Zeit neigten, widerten ihn an. Er trank selber mehr, als er eigentlich sollte, aber das war wenigstens eine Möglichkeit, beschäftigt zu wirken.

In einigen Räumen wurde getanzt, aber das laute Gelächter und die schrille, hektische Musik, die fast krampfhaft zuckenden Leiber der Tänzer und Tänzerinnen, trieben ihn bald wieder in die Flucht. Andere Gäste fanden ihre Unterhaltung im Poker – um Beträge, wie sie ein normaler Pilot oder gar Soldat niemals in seinem Leben sein Eigen nennen konnte. Von Stahlheim ertappte sich selber dabei, wie er es immer schwieriger fand, seine Rolle aufrecht zu halten, die Maske die er trug, begann an den Rändern unmerklich zu zerbröckeln.
In den letzten vierundzwanzig Stunden war zu viel passiert – die Liquidierung des Verräters, dann die versuchte Entführung des Commanders und Marquardts Behauptung, ein deutscher Geheimdienst würde hinter dieser Aktion stecken. Dann hatte ihn diese Technikerin beinahe entdeckt und er hatte sich schon darauf eingestellt, sie töten zu müssen. Von Stahlheim hatte kaum geschlafen, dennoch fühlte er sich nicht müde, sondern vielmehr so, als stünde sein Körper unter Strom. Er wusste, dass er in Gefahr stand, einen Fehler zu machen, aber er hatte zunehmend Mühe, einen klaren, zusammenhängenden Gedanken zu Ende zu führen. Wie lange sollte das denn noch dauern, verdammt?

Er achtete nicht so richtig auf seinen Weg, stieß beinahe mit einer Frau in Abendkleid und einen jungen Offizier zusammen, die in einer Ecke standen, eng umschlungen. Eher abwesend registrierte von Stahlheim, dass die Frau eigentlich alt genug war, um die Mutter des Mannes zu sein, dann wandte er sich ab und ließ die beiden alleine, die ihn nicht mal bemerkten. Einige Minuten später fand er sich in einem der kleinen Nebenzimmer wieder. Drei oder vier andere Gäste waren außer ihm anwesend, saßen in den in einem lockeren Kreis angeordneten Sesseln. Ein schwerer, süßlicher Geruch füllte den Raum, legte sich wie eine schwere Decke auf seine Gedanken. Opium…sie rauchten Opium. Er kannte den Geruch, aus seiner Dienstzeit in der Mandschurei. Von Stahlheim stützte sich an einem der Sessel ab, schüttelte langsam den Kopf. Ein Mann in Kellneruniform hielt ihm eine Opiumpfeife hin, von Stahlheim nahm ein paar tiefe Züge, dann fiel sein Blick auf einen der anderen Raucher, der in seinem Sessel halb zusammengesunken war, die Augen halb geschlossen, die Lippen zu einem entrückten Lächeln höchster Wonne verzogen. Aus seinem Mundwinkel rann ein Speichelfaden auf den Boden.
Von Stahlheim ließ die Pfeife fallen, als hätte er sich verbrannt und verließ fast fluchtartig den Raum.

„Parzival.“ Dieses einzelne Wort wirkte wie ein Guss kalten Wassers. Jäh ernüchtert fuhr von Stahlheim herum, seine Hand glitt noch in der Drehung zum Griff des Derringers, den er unter dem Hemd verborgen trug. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, ein junger Bursche in Kellnerkleidung, war neben von Stahlheim momentan der einzige Mensch in diesem Flur.
Der junge Mann fuhr leicht zusammen, als er plötzlich eine Waffe auf sich gerichtet sah, seine Stimme klang leise, drängend: „Paris schickt mich. Ich…“
„Dann gehen wir – los!“ von Stahlheims Stimme klang hart, während er den Derringer wieder verschwinden ließ. Endlich! Es passte ihm freilich gar nicht, dass sein Kontaktmann so freizügig mit von Stahlheims Codenamen umging. Aber daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Im Stillen amüsierte er sich allerdings einmal mehr über den recht esoterischen Geschmack Arnim von Tautens – der Oberst hatte eine Schwäche für Codenamen aus der Mythologie, dem Altertum oder Mittelalter. Einen Agenten ‚Paris’ zu nennen, nach dem missratenen Trojanerprinzen, war wohl eine subtile Andeutung dafür, welche Rolle von Tauten dem Agenten zugedacht hatte – und was er von ihm hielt.
Von Stahlheim folgte dem jungen Mann, aber vorsichtig. Dies konnte auch eine Falle sein. Diese Möglichkeit bestand immer. Er durfte niemals in seiner Wachsamkeit nachlassen, erst recht nicht jetzt. Manchmal war er dessen ziemlich müde.
Sein Führer mochte jung sein, aber er kannte den Weg, benutzte die Hintertreppen und Personalräume, die zurzeit natürlich menschenleer waren. Nur einmal begegnete ihnen jemand: zwei Männer, der eine mittelgroß, etwas stämmig, mit einem ausdrucksstarken, aber nicht gerade gut aussehenden, südländischen Gesicht. Von Stahlheim gefielen die Augen des Mannes nicht – sie waren zu wachsam, suchend, abschätzend. Dieser Mann war gefährlich, und trotz der tadellosen Kleidung hatte er etwas von einem Straßenkämpfer an sich. Sein Begleiter war etwas kleiner, aber um einiges breiter – ein Schläger mit der Statur eines Boxers und einem breiten, quadratischen Gesicht.
„Mafia?“ Das war eigentlich keine Frage, aber von Stahlheims Führer fühlte sich trotzdem zur Antwort verpflichtet: „Das war Toni ‚Doc’ Corvese. Er…“
„Ich weiß, was er ist.“ Also war die Mafia auch im Boot. Das wurde ja immer besser. Natürlich waren die Italiener dafür berüchtigt, dass sie die Geheimhaltung noch ernster nahmen, als viele Geheimdienste – aber sie waren alles andere als billig, und behielten stets ihre eigenen Ziele im Auge.

Dann waren sie offenbar am Ziel. Der Gang endete in einer einzelnen Tür, vor der ein Mann stand – falls man damit diesem Kollos gerecht wurde. Von Stahlheim war hoch gewachsen, aber dieser Mann war noch einmal eine Handbreit größer und schien fast doppelt so breit. Das Gesicht war von ausgesuchter Hässlichkeit. Diesem Mann wollte man bestimmt nicht in einer dunklen Gasse begegnen. Wie von Stahlheim bemerkte, schien der junge Bursche, der ihn hergeführt hatte, ziemliche Angst vor diesem Typen zu haben – seine Stimme schwankte deutlich: „Hallo Lothar. Hier ist…“ Der Hüne grunzte nur unartikuliert und stieß die Tür auf. Offenbar seine Aufforderung an von Stahlheim, einzutreten. Was blieb dem anders übrig, als dem Folge zu leisten?

Er betrat das kleine Zimmer, und musterte den Mann, der sich betont lässig zurückgelehnt in einem Sessel räkelte und an einem Weinglas nippte. Neville Sinclair musterte von Stahlheim mit einem schiefen Lächeln: „Hallo, Parsifal.“
„Lassen Sie das doch. Sie wissen genau, wie ich heiße. Vermisst man Sie nicht da Unten?“
„Die denken wahrscheinlich, ich würde es irgendeinem dieser wohlerzogenen Betthäschen besorgen, die hier herumhüpfen. Und wenn Sie nicht hier aufgekreuzt wären, dann hätten die Leute mit dieser Einschätzung wohl Recht. Aber was tut man nicht alles für das Reich.“
Von Stahlheim schnaubte abfällig. Er hatte keine Lust auf derartige Nebensächlichkeiten: „Das Reich, dass Sie auch sehr großzügig dafür bezahlt.“
„Tja, was das betrifft…Aber zuerst das Wichtigste. Haben Sie den Nitro-Booster?“
„Natürlich nicht! Glauben Sie etwa, ich würde so ein Gerät in der Hosentasche transportieren? Ich habe Skizzen, Fotos, einen Einsatz- und Wartungsbericht.“ Bei diesen Worten knöpfte von Stahlheim sein Hemd auf und legte etliche eng beschrieben Blätter und einen Umschlag, in dem sich die noch unentwickelten Fotos befanden, auf den Tisch. Neville Sinclairs Reaktion überraschte ihn. Der Agent tippte nur müßig auf die Papiere, schien aber nicht unmittelbar interessiert.
„Aber das ist doch wohl nicht Alles, oder? Als Sie meinen Kontaktmann anriefen, sprachen Sie davon, dass es dringend sei…“
„Ich will wissen, wer hinter dem Entführungsversuch unseres Commanders steckte. Stone hat behauptet, die Kopfjäger hätten im Auftrag eines deutschen Dienstes agiert.“
„Was? Eine Entführung? Und wie kommt ihr Commander zu der verstiegenen Idee, er stände auf unserer Abschussliste? Ich meine, warum sollten wir an einem Kaperer interessiert sein?“ Neville Sinclair Stimme klang ungläubig, fast schockiert, doch da war auch ein seltsam lauernder Ton. Irgendetwas stimmte da nicht – von Stahlheim hatte das Gefühl, dass dies nur Theater war. Und egal, welche Gefühle in Sinclairs Stimme lagen, seine Augen verrieten ihn. Kalt, Abschätzend, berechnend - er hatte schon vorher von der Entführung gewusst. Und ja… wahrscheinlich wusste er sogar, wer David ‚Armstrong’ Stone wirklich war. Ernst von Stahlheim biss die Zähne zusammen, er war nicht in der Stimmung für Frage-Gegenfrage-Spielchen: „Lassen Sie das. Sie haben die nötigen Kontakte, Sie stehen quasi in ständigem Kontakt mit der New Yorker Zentrale. Gab es eine Einsatzorder?“
„Müssten Sie nicht dann als Erster informiert werden? Immerhin sitzen Sie praktisch direkt an der Quelle – während sonst keiner bis vor ein paar Tagen wissen konnte, dass Stone nach Seattle kommt. Wenn also eine direkte Aktion gegen ihn geplant gewesen wäre…“
„Hören Sie auf, mit mir zu spielen! Sie sind ein Agent der Abwehr – aber Sie sind KEIN Offizier! Sie werden mir antworten!“ Es war ein Fehler, Sinclair derart barsch zu kommen, aber von Stahlheim war mit seiner Geduld am Ende. Er wollte verdammt sein, wenn er sich von diesem Möchtegern-Star an der Nase herumführen ließ.
„Oder was? Werden Sie ein Ehrengericht einberufen? Eine Beschwerde wegen Befehlsverweigerung einleiten?“
„HABEN DIE ABWEHR ODER DIE RSHA DIESE AKTION BEFOHLEN?!“
„Nein, haben Sie nicht. Ich weiß ehrlich nicht, wie Sie auf diese Idee kommen…“ Und immer noch blieb da diese kalte Berechnung, eine zynische Belustigung in den Augen Sinclairs. Ernst von Stahlheim packte den Schauspieler an der Schulter, seine Finger bohrten sich in das Seidenhemd, zerrten Neville Sinclair über den Tisch. Er hatte genug, in dieser Stadt gab es anscheinend nur Lügner und Verräter: „SIE LÜGEN! SIE LÜGEN, VERDAMMT!“ Plötzlich wurde er von hinten gepackt, herumgewirbelt und gegen die Wand gepresst. Offenbar hatte Lothar gehört, dass sein Arbeitgeber in Schwierigkeiten war. Mit einer fast verächtlichen Bewegung stieß der Hüne von Stahlheim gegen die Zimmerwand. Einmal, zweimal – dann erstarrte er mitten in der Bewegung.
Von Stahlheims Stimme klang leise, eiskalt: „Pfeifen Sie Ihren Gorilla zurück, Sinclair. Oder ich schlitze ihm den Bauch auf.“ Der beidseitig geschliffene Kommandodolch, der plötzlich in von Stahlheims Hand aufgetaucht war, unterstrich die Drohung wirkungsvoll. Eine knappe Bewegung – und das Messer würde seinem Gegner in den Unterleib dringen.

Wieder Willen war Neville Sinclair beeindruckt. Es war lange her, dass jemand Lothar derart Paroli geboten hatte. Aber das war jetzt weit genug gegangen. Er brauchte diesen Abwehroffizier schließlich noch: „Entschuldigen Sie, Herr Hauptmann. Lothar reagiert manchmal etwas übereilt. Lothar – lass ihn los. Und dann verschwinde hier, ich brauche dich momentan nicht.“

Der Hüne grunzte nur, ließ von Stahlheim los und wandte sich zur Tür – nachdem er dem deutschen Abwehroffizier noch einmal einen hasserfüllten Blick zugeworfen hatte. Der aber hatte seine Aufmerksamkeit schon wieder auf Neville Sinclair fokussiert: „Ich warte immer noch auf eine Antwort.“
„Und ich kann Ihnen wieder nur dieselbe geben. Weder die Abwehr, noch die RSHA, haben eine Aktion gegen ihren kostbaren Piratenkapitän bewilligt. Dieser Typ sieht wahrscheinlich nur Gespenster. Wenn Sie mir nicht glauben – prüfen Sie es nach. Ich werde ja wohl nicht der einzige Kontaktmann sein, den sie in Amerika haben.“
Von Stahlheim musterte seinen Gegenüber. Er glaubte nicht, dass Neville Sinclair die volle Wahrheit sagte. Aber er hatte momentan keine Möglichkeit, ihm die Wahrheit abzuzwingen. Dazu war Sinclair zu wertvoll – und er wusste das. Ihn zu bedrohen war eine Sache, aber alles andere überschritt von Stahlheims Kompetenzen.
„Nun gut. Wenn das Alles ist, was Sie mir zu sagen haben…“
„Warten Sie. Wir hatten vielleicht einen schlechten Start. Aber wir stehen immer noch auf derselben Seite. Lassen Sie uns noch mal von Vorne beginnen. Wollen Sie einen Drink?“ Von Stahlheim registrierte diesen Umschwung mit leichter Überraschung: „Danke. Aber ich glaube, ich habe schon zu viel getrunken heute Abend.“

„Ich will zu Ihnen ehrlich sein, Herr Hauptmann…“, Sinclair war sich ziemlich sicher, dass von Stahlheim diese Lüge nicht schlucken würde, aber er versuchte es trotzdem, „…die Situation hier in Pacifica ist momentan alles andere als stabil. Der militärische Geheimdienst hat fast die Hälfte des hiesigen Agentennetzes aufgespürt oder diskreditiert. Wir haben kaum noch vertrauensvolle einheimische Agenten, von meinen Quellen einmal abgesehen. Die legalen Residenten – Mitglieder der deutschen Botschaft und einer kleinen Wirtschaftsmission – müssen sich ruhig verhalten. Es ist ein Glück für das Reich, dass dieser Verräter keinen Zugang zu meinem Netzwerk hatte, bevor sie ihn liquidierten. Aber dennoch besteht natürlich ein erhebliches Defizit an Informanten und Kontakten. Wir müssen deshalb auch auf Kräfte zurückgreifen…“

Von Stahlheim war natürlich klar, was Neville Sinclair mit seiner kleinen Rede bezweckte. Er hob unauffällig seine eigene Bedeutung hervor und ließ durchschimmern, dass er über die von Stahlheim durchgeführte Liquidierung des Verräters Johann Mueller informiert war. Aber dieses Spiel konnte von Stahlheim auch spielen: „Beschäftigen Sie deshalb die hiesige Mafia?“
Sinclair ließ sich nicht aus dem Konzept bringen: „Die Mafia…kann nützlich sein. Zumal sie teilweise über gute Kontakte zu unseren italienischen Verbündeten hat. Und exzellente Informanten in den hiesigen Exekutivorganen, der Justiz – und auch in der Legislative.“
„Mag sein. Aber das ist recht teuer.“
„Aber der Erfolg ist es wert, denke ich. Und solange wir das Agentennetz in Pacifica noch nicht wieder aufgebaut haben, können wir es uns nicht leisten, auf die Mafia zu verzichten.“
„Mag sein.“

Mit einem gelinden Gefühl der Frustration musste Neville Sinclair erkennen, dass sein Charme bei diesem Mann nicht griff. Allerdings, am besten funktionierte er natürlich bei Frauen – und von Stahlheim und Sinclair hatten keinen guten Start gehabt. Er hätte vorsichtiger sein müssen, weniger selbstsicher. Er hatte diesen verdammten preußischen Junker falsch eingeschätzt. Jetzt war der Hauptmann misstrauisch. Nun ja, Sinclair konnte es nur versuchen: „Ich habe gewisse Informationen erhalten. Informationen über ein neues Gerät, von revolutionärer Bauart. Eine…Maschine, die den Einsatz von Luftlandetruppen revolutionieren, die herkömmlichen Fallschirmjäger überflüssig machen würde. Es soll einen Prototypen geben, der…“
„Was ist das für ein Gerät? Und haben Sie die Zentrale in New York schon informiert?“ von Stahlheims Stimme klang jetzt kühl und sachlich.
„Ich habe die Zentrale natürlich informiert. Aber ihr Urteil, Herr Hauptmann, könnte die Entscheidung in New York wesentlich beeinflussen. Das Wort eines Offiziers, das Wort eines Agenten, dessen Befehle direkt aus Berlin kommen, gilt viel.
Das Gerät – man könnte es eine Art portable Turbine bezeichnen. Ein miniaturisiertes Strahltriebwerk, nicht größer als etwa einen Meter, nicht schwerer als zwanzig Kilogramm. Dieses Gerät…befähigt einen einzelnen Soldaten, aus so ziemlich jeder Höhe abzuspringen, um dann in geringer Höhe abzubremsen. Es sollen sogar Sprünge von bis zu einhundert Metern und begrenzte Flugmanöver möglich sein…“
Von Stahlheim sah den Schauspieler an, als hätte der angefangen zu bellen. Unglauben und Verachtung schwangen in seiner Stimme mit: „Und haben Sie diese Ein-Mann-Turbine überhaupt gesehen? Ihn im Einsatz beobachtet?“
„Bisher noch nicht. Aber ich habe verlässliche Berichte. Meine Leute sind dicht dran. Ich brauche nur noch etwas Zeit – und etwas Geld.“
Die Stimme des deutschen Agenten wurde schneidend: „Das ist doch Schwachsinn! Warum erzählen Sie mir nicht gleich, Sie wollten auf den Mond fliegen? Oder vielleicht Atlantis entdecken?! Hören Sie auf, mich für dumm zu verkaufen! Sie brauchen Geld, nicht wahr? Nun, mit solchen schwachsinnigen Geschichten bekommen Sie nicht eine einzige Reichsmark. Und ganz gewiss werde ich nicht für Sie bürgen. Fragen Sie doch Ihre Freunde bei der RSHA! Vielleicht kaufen die Ihnen diese Spinnerei ab.“
„Hören Sie…“
„Nein. Sie hören mir zu. Die Abwehr finanziert Ihren luxuriösen Lebensstil. Wir haben Ihnen geholfen, als Sie noch ein mittelmäßiger Aushilfsdarsteller für drittklassige Filme waren. Dafür erwarten wir etwas – solide Arbeit, und Loyalität. Verschonen Sie mich also mit diesen Hirngespinsten. Guten Tag – Ihre Gäste waren sicher schon auf Sie.“ Damit drehte von Stahlheim sich brüsk um, und riss die Tür auf und ging.
Neville Sinclair starrte hinter dem Abwehroffizier hinterher, und sah seine Hoffnungen den Flur hinunter entschwinden. Er brauchte das Geld, brauchte es unbedingt. Er hatte zu viele Schulden gemacht. Der Lebensstil, die Bestechungen, vor allem seine diversen politischen Ambitionen und Aktionen, verschlangen Unsummen. Das Projekt „Rocketeer“ verlangte ebenfalls viel Geld, weit mehr als er geplant hatte. Aber er brauchte diesen Erfolg, wenn er weiterhin seine Stellung und seine Bezüge würde halten wollen.
Auf seiner Gehaltsliste standen Polizisten und Offiziere, er konnte Politiker erpressen oder ihnen Ämter und Positionen verschaffen. Er war per Du mit Millionären. Und dieser elende, kleine Wehrmachtshauptmann wagte es einfach, ihm die kalte Schulter zu zeigen. Nun gut, er würde das nötige Kapital schon auftreiben. Und dieser elende Wurm würde er bitter bezahlen lassen!

Von Stahlheim hatte genug. Er wollte nur noch weg. Er hatte zuviel getrunken, zu wenig gegessen und geschlafen in der letzten Zeit. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Ziellos eilte er den Gang entlang, riss eine Tür auf. Im nächsten Augenblick umgab ihn eine wahre Kakophonie der Misstöne. Die viel zu laute Musik wurde noch übertönt von dem Grölen einiger inzwischen restlos betrunkener Gäste. Auf einem der Tische verrenkte sich eine inzwischen fast nackte Frau zu den Klängen der Musik, während einige Zuschauer mit wieherndem Gelächter Beifall klatschten und Anzüglichkeiten brüllten.
Normalerweise wäre von Stahlheim höchstens etwas angewidert gewesen, in den deutschen Offiziersklubs ging es oft genauso wild zu. Aber jetzt war es zuviel für seine ohnehin überreizten Nerven. Taumelnd versuchte er sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ein junges Mädchen drängte sich gegen ihn – von Stahlheim stieß sie roh beiseite, mit einem Aufschrei fiel sie hin.
Ein Mann in Uniform versuchte ihn zu packen – das war ein Fehler. Von Stahlheim wirbelte herum, rammte dem Mann seinen Ellenbogen in die Kehle. Einem anderen trat er die Beine unterm Leib weg, stach einem dritten mit den Fingern seiner rechten Hand nach den Augen.
In seinem Kopf überlagerten sich die Gesichter der Gäste mit denen der Toten, den Menschen, die er getötet hatte. Vor seinen Augen tauchte auf einmal das verzerrte, fassungslose Gesicht Johann Muellers auf, sah er die im Todeskampf aufgerissen Augen des namenlosen Entführers, den er niedergeschossen hatte. Auf seinen Fingern glaubte er wieder das Blut des Mannes zu spüren, dem er in New Haven die Kehle durchgeschnitten hatte. Feinde, alles Feinde – oder Verräter. Mit einmal hatte er seinen Derringer in der Hand, schwenkte die Waffe im weiten Bogen. Seine Stimme klang schrill, fast überschlagend: „Weg! WEG!“
Eine Frau kreischte, irgendjemand fluchte, andere suchten panisch Deckung, wichen zurück. Von Stahlheim sah sich gehetzt um. Sie waren überall! Überall – und er hatten nur zwei Patronen. Ruckartig hob er die Hand - und schoss.
Mit einem lauten Knall explodierte die Deckenlampe, war der Raum mit einmal in Dunkel getaucht. Jetzt brach Panik unter den etwa zwanzig Gästen aus, die sich zurzeit in dem Raum aufhielten. Keiner von ihnen bemerkte, wie eines der Fenster zerbarst und eine hoch gewachsene Gestalt ins Freie sprang.

Erst ein, zwei Strassen weiter, in einer kleiner Seitengasse, kam Ernst von Stahlheim wieder etwas zu sich. Was war nur in ihn gefahren? Er hatte sich benommen wie ein blutiger Anfänger, schlimmer noch. Der Alkohol, das Opium, Stress und Müdigkeit, das Gefühl niemanden trauen zu können, die ständige Bedrohung der Entdeckung…Aber das entschuldigte nichts. Er durfte nicht die Nerven verlieren, durfte sich nicht gehen lassen. Die Toten waren tot, sie konnten ihm nichts mehr tun. Sie hatten ihren Tod verdient. Keuchend, am ganzen Körper zitternd, suchte er Halt an einer Wand. Dann krümmte er sich stöhnend zusammen und übergab sich.
Erst Stunden später kehrte er zur NORTH STAR zurück. Sein Gesicht wirkte grau und eingefallen.

***

Einige Stunden später

Der Abend war für Neville Sinclair nicht gerade ein Erfolg gewesen. Don Corvese bestand auf einer pünktlichen Zurückzahlung seiner Schulden, und das hieß, Sinclair würde das Geld irgendwie beschaffen müssen. Der Don war kein Mann, mit dem man es sich verscherzen durfte.
Es war Sinclair nicht gelungen, diesen Abwehroffizier für das Projekt „Rocketeer“ zu gewinnen. Schlimmer noch, von Stahlheim schien zu vermuten, dass Neville Sinclair etwas mit dem gescheiterten Entführungsversuch zu tun hatte. Und damit hatte er auch Recht, auch wenn es tatsächlich keine offizielle Einsatzorder der Abwehr oder RSHA gegeben hatte.
Neville Sinclair kannte Sturmbannführer Friedrich Hoffmann nicht persönlich. Aber Hoffmann hatte gute Kontakte zur Amerikaabteilung der RSHA und wusste zudem, dass Neville Sinclair quasi auf eigene Faust einige ausgewanderte deutsche Juden aufgespürt, beseitigt, und – was in den Augen der RSHA das eigentliche Verbrechen war – sich ihr Vermögen angeeignet hatte. Zusammen mit dem Versprechen, eine nicht unbeträchtliche Summe zu überweisen hatte dies gereicht, um Neville Sinclair dazu zu bewegen, seine Unterweltkontakte zu nutzen und diesem Marquardt eine Bande Kopfjäger auf den Hals zu hetzen.

Aber die Möchtegernentführer hatten sich als inkompetent erwiesen. Sturmbannführer Friedrich Hoffmann war über die Nachricht des Scheiterns nicht erfreut gewesen. Er verlangte Erfolge – und schloss mit der Drohung, er würde sich entweder Marquardts Kopf holen, oder im Fall eines Scheiterns Sinclairs Kopf.
Und um den Abend komplett zu machen hatte auf der Party irgendein Idiot durchgedreht und ein ziemliches Chaos angerichtet. Es war nicht mal klar wer das gewesen war, und warum er plötzlich angefangen hatte, verrückt zu spielen und sogar zu schießen. Nun ja, solche kleineren Unstimmigkeiten mussten akzeptiert werden.

Und auch ansonsten war noch nicht alles verloren. Der stellvertretende Bürgermeister von Seattle hatte es sich tatsächlich nicht nehmen lassen, es in einem Nebenraum mit zwei Mädchen zu treiben, die seine Töchter hätten sein können. Neville Sinclair betrachtete die Fotos und grinste – nicht lüstern, sondern äußerst hämisch. Damit hatte er den Mann in der Hand. Dieser selbsternannte Saubermann und Republikaner würde ALLES tun, damit diese Bilder nicht an die Öffentlichkeit gelangten.

Und was Sturmbannführer Friedrich Hoffmann, Hauptmann von Stahlheim und diesen lästigen Marquardt anging…Nun, auch da gab es eine Lösung. Hoffmann würde erst dann zahlen und zufrieden sein, wenn Marquardt tot war. Und von Stahlheim würde wohl kaum noch der Frage nachstöbern können, ob Neville Sinclair hinter dem Entführungsversuch steckte, wenn er zusammen mit Marquardt den Heldentod starb, nicht wahr?
Alles was Neville Sinclair dazu brauchte, war ein Kontakt zu „General" Michael Jerome von der LEVIATHAN. Bestimmt war der „General“ an dem Mann interessiert, der ihm Rache geschworen hatte, der ihn, nach Stahlheims Bericht, unbedingt töten wollte. Sollte doch die LEVIATHAN die Drecksarbeit erledigen und Marquardt erledigen. Und diesen arroganten von Stahlheim gleich mit…

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Neville Sinclair…David Stone hatte diesen Namen oft genug gehört und auch einige seiner Filme gesehen. Wenngleich er Errol Flynn bevorzugte, dessen Flugstunts waren besser choreographiert. Dafür hatte Sinclair aber zumeist die Filme mit der besseren Handlung.
Ob er sich nun geehrt fühlen sollte eingeladen zu sein oder abgeschreckt, als Accessoire des Abends ausgesucht zu werden wusste der junge Pilot nicht.
Jedenfalls war die Abordnung, die ihn von der NORTH begleitete auf Sicherheit ausgelegt und nicht auf Vergnügen. Er hatte durchweg verlässliche, kampferfahrene Leute mitgenommen, und einige andere dafür daheim gelassen, die ihn ansonsten auf einer Party begleitet hätten.
An erster Stelle stand natürlich Steel, das stand außer Frage. Der Anführer seines Rettungskommandos hatte es sich verdient.
Dazu zierte Dusk seine Seite, gekleidet in ein atemberaubendes Abendkleid, mit dem sie eindeutig klar machte, dass sie in Texas – abgesehen von ihrer Tätigkeit für die Texas Air Ranger – zu den höheren Töchtern gehörte. Glücklicherweise aber auch zu den Schlagfertigeren.
Max und Blue hatte er daheim gelassen. Das junge Mädchen, das er liebevoll als seine Schwester bezeichnete, würde wahrscheinlich in diesem Moment aufgelöst an Jeffs Brust gelehnt liegen und hemmungslos schluchzen. Sie hatte aus nächster Nähe einen Mann getötet. Okay, für ihn, ihren geliebten großen Bruder. Aber Dave wusste selbst, dass der Tod Auge in Auge eine besondere Qualität hatte. Und Max war noch nicht abgestumpft genug, um selbst den Tod dieser Ratte so einfach hinzunehmen.
Norah Gallagher begleitete sie ebenfalls. Aber sie trug diesmal eine leicht abgespeckte Version ihrer Ausgehuniform. Zwar machte sie in einem Kleid eine sehr gute Figur, war aber viel zu unsicher darin. Bei Cats Party war das deutlich zu sehen gewesen, und auf dieser Feier würde Dave kein Pulverfass auf zwei Beinen gebrauchen können.
Clancy Montjar, Steels Flügelmann, begleitete sie ebenfalls. Dave hatte es als falsch empfunden, die Rotten auseinander zu reißen. Außerdem hatte Hammer sich bewährt und bewiesen, dass er auf fremdem Terrain gute Arbeit leistete. Er trank immer nur soviel wie er vertrug, und das machte ihn auf dieser Party zuverlässig.
Ein kleines Schmankerl hatte sich Dave dennoch gegönnt. Doktor Mertens war mit dabei. Er trug einen geliehenen Smoking und war sichtlich nervös. Bisher war es Dave nicht gelungen, den jungen Arzt zu beruhigen, aber ein oder zwei Whisky würden das schon für ihn tun.
Hammer hatte strikte Anweisung, auf Mertens aufzupassen, und Dave wollte ihn selbst auch im Auge behalten.

Der gediegene Prachtbau, vor dem der Hoplit landete, gehörte der Stadt, hätte aber ohne weiteres irgendwo in Europa als Heimat eines Grafen oder Fürsten herhalten können.
Die Stadt Seattle vermittelte Gebäude wie diese zu bestimmten Anlässen und sorgte dann dafür, dass sie rechtsloser Raum wurden.
Diese Drei-Affen-Taktik, nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, sollte für die Stadtkasse recht einträglich sein.
Entgegen seiner Gewohnheiten hatte er Sam diesmal nicht gefragt, ob sie mitkommen wollte. Mit dem Doc hatten sie bereits ein Sorgenkind im Schlepp, und die Technikerin mitzuschleppen hätte bedeutet, dass Dave keine ruhige Minute gehabt hätte.

Sie stiegen aus und der Commander der NORTH fühlte sich für einen Moment wie ein Hollywood-Star. Die Zaungäste, die jeden neuen Gast frenetisch bejubelten, die Presse, die eifrig Bilder schoss, ein, zwei Radioreporter, die mit glühendem Eifer direkt berichteten, das hatte schon was.
Auch dass er sofort erkannt wurde schmeichelte ihm.
Grund genug, sich selbst zur Ordnung zu rufen und darauf zu konzentrieren weshalb sie hier waren. Sinclair hatte sie eingeladen, um sich mit einer erfahrenen Fronttruppe schmücken zu können, aber Dave war sich nicht sicher, ob nicht noch mehr dahinter steckte.
Aus diesem Grund hatte er sich dazu entschieden, keinen Smoking zu tragen, sondern in einer vorzeigefähigen, aber martialischen Mischung aus Pilotenkluft und Zivilkleidung aufzutreten, was ihm etwas Paramilitärisches gab.

Es war noch relativ früh am Abend, was wohl der Grund dafür war, dass Sinclair sie noch persönlich begrüßte, anstatt sich in einem der vielen Salons seinen bereits eingetroffenen Gästen zu widmen.
„Ah, David Armstrong Stone! Es ist eine Freude Sie zu sehen. Für jede russische Zigarre, die Sie aufgebracht haben, müssen wir einen trinken, versprechen Sie mir das, mein Freund.“
Artig schüttelte Dave die Hand des Schauspielers, der Griff war trocken und fest. Dennoch, in seinen Augen… „Das wären dann vier Drinks, Mr. Sinclair.“
„Aber. Aber. Sagen Sie doch Sidewinder zu mir, von Pilot zu Pilot.“
„Dann bestehe ich darauf, dass Sie mich Armstrong nennen, Sidewinder.“
Der Mann lächelte sein überzeugendstes Lächeln, aber es erreichte seine Augen nicht.
„Darf ich vorstellen? Ernst Steel Stahl, der Anführer meiner zweiten Staffel, dem Dog Pack.“
„Steel also. Freut mich Sie kennen zu lernen. Ich habe schon einiges über Sie gehört. Einiges.“
Steel wirkte unkonzentriert, sonst wäre ihm sicher aufgefallen, in welch heuchlerisch beeindrucktem Tonfall der Kalifornier gesprochen hatte.
„Meine Flügelfrau, Melissa The Dusk Vandersen.“
„Ah, The Dusk. Wie ich hörte haben Sie drei neue Abschussmarkierungen auf Ihrer Fury, Miss.“ Galant beugte er sich über ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Andere Frauen hätten dafür getötet, Mel hingegen verzog nur das Gesicht und korrigierte: „Sidewinder, es sind vier neue Abschussmarkierungen.“
„Oh. Mein Fehler. Mein Fehler. Verzeihen Sie mir und meinem unzureichenden Nachrichtendienst.“
„Clancy Hammer Montjar, Steels Flügelmann“, sagte Dave schnell, der Dusk damit aus einer längeren Konversation rettete, die zweifellos irgendwann von Sinclair in Richtung Kopulation gedrückt worden wäre. „Zwei Abschüsse“, fügte er grinsend hinzu.
„Hammer. Als Katschmarek zwei Abschüsse zu erzielen ist eine gute Leistung. Sind Sie so gut, oder ist Ihr Flügelleader so nett?“
Clancy lachte rau auf. „Beides, nehme ich an, Sidewinder.“
„Norah Gallagher. Mein Infanterie-Commander. Ihre Leute haben die Zigarren geentert. Wir hatten nie Verluste bei diesen Aktionen und nie ist ein Schuss gefallen.“
„Miss Gallagher. Das ist eine Leistung, die für Sie spricht. Jeder, der ein wenig Ahnung von Kriegsführung mit Zeppelinschiffen hat weiß, dass der Moment der Kaperung der einzige Moment ist, um, ah, das Gesamtergebnis noch einmal zu drehen. Vier Zigarren ohne einen Schuss zu kriegen oder abzugeben zeugt von viel Glück und sehr guten Leuten. Aber vielleicht waren die Russen einfach nur von Ihrer Schönheit geblendet.“
Der Schauspieler gab Norah einen Handkuss, und Dave sah die Texanerin das erste Mal seit er sie kannte rot werden. „Sie schmeicheln mir zu sehr, Mr. Sinclair.“
„Doktor Arthur Mertens, mein Bordarzt. Der beste Wundarzt, den es nördlich Mexikos zu finden gibt. Er wollte mal etwas Weltflair schnuppern, also dachte ich mir, ich bringe ihn mit.“
„Eine sehr gute Idee, Armstrong. Doc, wenn ich mal die üblichen achtzig Prozent schamloser Übertreibung bei Piloten raus streiche, dann sind Sie immer noch besser als die meisten Quacksalber in Hollywood. Ich bin versucht, Sie vom Fleck weg für mein Studio zu engagieren.“ Der Schauspieler seufzte. „Die Stunts heutzutage werden einfach immer gefährlicher. Und da ich immer so viele selbst fliege, verletze ich mich häufig. Ich würde mich dann gerne in guten Händen wissen.“
„D-d-d-danke, Mr. Sinclair. Es ist mir eine Ehre, Mr. Sinclair! Ich habe so viele Filme von Ihnen gesehen! Admiral Blood, The Hun Strike, Empire Desaster…“
Dave legte dem Arzt eine Hand auf die Schulter, um seinen Redeschwall zu stoppen. „Arthur. Ich bin sicher, Sie werden später ausführlich Gelegenheit bekommen, mit Sidewinder über seine Filme zu reden. Aber hinter uns warten noch eine Menge Gäste darauf, von ihrem Idol begrüßt zu werden.“
„Leider, leider“, seufzte der Filmstar. „So gerne ich mit Ihnen und ihrer Mannschaft rede, die Pflicht geht vor. Bitte, fühlen sie alle sich wie Zuhause.
Ach, Armstrong. Captain Fisher hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass er Sie gerne sprechen würde. Captain Aaron Fisher ist im Gelben Salon.“
„Ich danke Ihnen, Sidewinder.“

Damit waren sie entlassen.
„Wer ist Captain Fisher?“
„Ich habe absolut keine Ahnung, Mel. In Ordnung, Leute, ab hier könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Ich suche diesen gelben Salon und rede mit Fisher. Ich will keine Klagen hören und erst recht will ich nicht, dass ihr Teile dieses Gebäudes einreißt, okay? Amüsiert euch, aber übertreibt es nicht. Und wer genug hat, fliegt nach Hause. Besprechung beendet.
Moment, mein lieber Doktor, wo wollen Sie denn hin?“
„Sie haben doch gesagt, dass…“
„Das galt nicht für Sie. Die erste Stunde bleiben Sie schön an meiner Seite.“
Murrend fügte der Arzt sich in sein Schicksal.

**
Im Saal angekommen – seine Rasselbande hatte sich wie erwartet sehr schnell sehr selbstständig gemacht – blieb Dave für einen Augenblick stehen. Die Leute, die sich hier versammelt hatten, gaben sich grundsätzlich einen militärischen Touch. Selbst wer keine militärische oder paramilitärische Uniform trug, verriet sich durch den Haarschnitt oder dadurch, wie unwohl er oder sie sich in Festgala fühlte.
„Ah, Armstrong!“ Ein großer, grauhaariger Mann winkte ihn mit seinen fleischigen Händen näher. „Ich bin Aaron Fisher. Captain Aaron Fisher.“
„Freut mich, Sir. David Armstrong Stone, Commander der NORTH STAR.“
„Sie brauchen sich nicht extra vorzustellen, mein Junge. Hier in Pacifica sind Sie etwas…Nun, berühmt. Jeder weiß, dass die Kommunisten gerade besonders heftig gegen Piraten und Freibeuter vorgehen, und Sie haben ihnen trotzdem vier Frachtzigarren abgenommen. Stand sogar in der Presse. Die Russen haben den Ton, in dem über die NORTH geredet wird, nicht wirklich positiv aufgenommen, aber wir haben nun mal eine freie Presse.
Entschuldigen Sie, ich bin unhöflich. Ich bin Stellvertretender Kommandeur der Pacifica-Luftflotte. Genauer gesagt, der Kerl der für einen lausigen Rang die lausigen Laufarbeiten verrichtet.“
Dave grinste schief. Der Mann begann ihm zu gefallen. „So etwas habe ich mir schon gedacht, Sir. Der junge Mann neben mir ist mein Bordarzt, Dr. Mertens. Er wollte mal was von der großen weiten Welt sehen.“
„So? Und dann schleppen Sie ihn geradewegs in Sinclairs Schlangengrube?“
„Schlangengrube?“, echote der Bordarzt der NORTH.
„Sie werden schon noch verstehen was ich meine, wenn die Zeit fortschreitet. Bis dahin willkommen im sicheren Hafen.“

Fisher winkte den beiden ihm zu folgen. Sie gingen gemeinsam zur kleinen Bar im Hintergrund des Saals, wo der Barkeeper ihnen sofort drei Whisky auf Eis einschenkte.
Dave fühlte sich genötigt, seinen Lieblingskommentar, Whisky und Eis betreffend, abzugeben, ließ es dann aber doch.
Arthur runzelte die Stirn. „Das ist doch Whisky, oder? Ich dachte, Pacifica hat Prohibition?“
„Das ist generell richtig“, sagte eine Frau in einem paramilitärischen Hosenanzug, „aber wenn der Staat mit einem Filmstar glänzen kann, oder ein paar zehntausend Greenbucks extra für die Stadtkasse bekommen kann, drückt die Polizei schon mal beide Augen zu.
Eileen Foster, Pilotin.“
„Freut mich, Miss. Dave Stone. Das ist Doc Mertens.“
„Ich habe schon von ihnen gehört, Armstrong. Und ich bin gespannt was sie uns über die Situation bei den Kommies berichten können.“
„Komm mal schnell aus deinem Angriffsvektor wieder runter, Sweet“, ermahnte Fisher die Frau ernst und drückte den Männern je einen Whisky in die Hand. „Lieutenant Foster dient zur Zeit auf einem Kaperer, der drüben in den spanischen Besitzungen auf den Philippinen ein wenig herum wütet. Aber ihr Captain hat auch schon ein Auge auf Erdöl und Felle in Alaska geworfen. Seien Sie also nicht verwundert, wenn ich mich breitschlagen lasse, Sie später am Abend ihren Fängen zu überlassen, Armstrong.“
Dave betrachtete für einen Augenblick, die kleine, schwarzhaarige Frau mit den ausgeprägten weiblichen Rundungen. Von ihr ein Pinup für seinen Spind, das wäre es doch. Es hieß, die Hawaiianerinnen würden nur Baströcke und Blumengirlanden tragen, um ihre Blöße zu bedecken. Miss Foster in diesem Outfit zu sehen wäre bestimmt die reinste Freude.
„Ich hätte nichts dagegen, in ihren Fängen zu landen, Sir“, erwiderte Dave mit einem Schmunzeln, obwohl ihm eher nach einem breiten Grinsen war. Er verbeugte sich über der Hand der Dame, gab ihr aber keinen Handkuss. Bei einer Pilotin, egal wie hübsch sie war, erschien es ihm unpassend.
Ein anderer Pilot, Halbglatze, Militäruniform und ergrautem Chaplin-Bärtchen, gesellte sich zu ihnen. „Genau. Erzählen Sie mal, Armstrong, wie ist es da oben?“

Dave nahm einen Schluck von seinem Whisky. Bourbon, verdammt. Diese Amerikaner. Bourbon. Nicht mal richtigen Whisky konnten sie machen.
„Was soll ich schon groß berichten. Wir sind hoch an die Südküste, haben vier Transporter aufgegriffen, den Begleitschutz niedergekämpft und dann mit Infanterie übergesetzt. Danach haben wir alles ausgeräumt was irgendwie wertvoll war. Und soweit wir Platz hatten. Tatsächlich mussten wir bei der letzten Kaperung noch etwas zurücklassen. Die NORTH ist brechend voll.“
„Interessant. Und Sie hatten keine eigenen Verluste? Ich will mit meiner Zigarre auch mal hoch, aber jetzt wo die Stimmung zwischen Japanern und Russen immer heißer wird weiß ich nicht so recht, ob das eine Chance oder ein Risiko bedeutet.“
Dave rieb sich nachdenklich das Kinn. Arthur hing dabei an seinen Lippen, wie der Deutsche zufrieden feststellte.
„Nun, ich will ehrlich mit ihnen sein. Die Russen haben gute Piloten da oben. Hätte ich nicht jedes Mal mit massiver Übermacht angegriffen und einen guten Kommandeur für meine zweite Staffel gehabt, hätte es das Dirty Pack nicht ohne eigene Verluste geschafft. Die Russen waren sehr schwer niederzukämpfen und noch schwerer dazu zu überreden, aufzugeben. Sie haben eine hohe Kampfmoral, gut gewartete Maschinen und besitzen fliegerisches Können, das sich ohne weiteres mit dem Standard hierzulande messen lassen kann. Wenn Sie wirklich da hoch wollen, Sir, dann suchen Sie sich Ihre Ziele mit Vorsicht und Bedacht aus.“
„Oh mein Gott. Ein Realist. Rette sich wer kann, wir haben hier einen Realisten vor uns“, scherzte Fisher und legte Dave eine Hand auf die Schulter. „Aber Realist hin, Realist her, ich denke ich bin nicht der einzige hier, der sich von den Kommunisten wie im Sandwich eingepackt fühlt bei ihren Aktivitäten oben in Kanada und im Osten beim People´s Collective. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Whittaker eines Tages einen Zwei-Flanken-Angriff auf uns führt.“
„Whittaker? Überschätzen Sie den mal nicht. Mein alter Leader Cat Shannon ist gegen ihn geflogen und hat ihn vom Himmel geholt.“
Aufgeregtes Raunen antwortete ihm.
„Ach ja, Cat Shannon. Der aufsteigende neue Schurke, der neulich mit Miss Charlene Steele so prächtig gespielt hat. Wenn Sie Cat sehen, richten Sie ihm doch bitte aus, dass er gerne mal nach Pacifica kommen kann, um mit uns zu feiern – wenn er unsere Züge in Ruhe lässt.“
Die Leute lachten bei Fishers Worten.
„Aber jetzt würde ich gerne auf Ihr Wohl trinken, Armstrong. Alles was die Kommunisten schwächt ist gut für Pacifica. Ihnen vier Zigarren leer zu räumen ist in jedem Fall eine große Leistung und eine Demütigung für die Roten.“ Er hob sein Glas und prostete Dave zu.
Auch mehrere der Anwesenden, unter ihnen Sweet und der Mann mit dem Chaplin-Bärtchen, prosteten.

Notgedrungen nahm Dave einen weiteren Schluck.
„Aber jetzt mal ans Eingemachte, Junior“, sagte der Chaplin ernst. „Was wissen Sie über die neuen Spannungen zwischen den Russen und den Japsen?“
Dave hatte diese Frage kommen gesehen, und es musste am schlechten Whisky liegen, innerlich grinste er bereits von einem Ohr bis zum anderen. „Nun, um ehrlich zu sein, das war eine Anordnung der Republik von Texas. Ich habe die neuen Streitigkeiten ausgelöst.“
Aufgeregt raunten die Anwesenden. Der Pulk um Armstrong, den Doc und Fisher wurde dichter.
„Was, bitte? Sie wollen das…Verkaufen Sie mich nicht für dumm. Der Provokationsangriff der Russen wurde bei Nacht geflogen, über siebenhundert und mehr Meilen. Der Angriff selbst erfolgte ebenfalls noch bei Nacht und zerstörte die Startbahn des Stützpunktes Weißer Bär“, zählte der Chaplin auf. „Die Russen haben jede Menge kyrillischer Sprüche auf ihren Bomben zurückgelassen und ein halbes Blutbad angerichtet, ohne eigene Verluste zu erleiden. Und das wollen Sie gewesen sein?“
„Was sollte ich machen?“, erwiderte Dave und zuckte die Achseln. „Befehl ist Befehl.“
„Also noch mal für die Dummen unter uns. Eine Ihrer Staffeln wurde umlackiert. Das schafft jeder drittklassige Mechaniker. Dann ist sie bei Nacht gestartet und hat sich nur mit Hilfe von Tacho und Stoppuhr, ohne zusätzliche Orientierungspunkte oder Funk über Meer auf den japanischen Fliegerhorst zu bewegt, ohne einen Piloten zu verlieren. Danach hat die Staffel ihren Angriff geflogen, perfekt getimed, ohne eigene Verluste zu erleiden, die Startbahn vernichtet und sich wieder zurück gezogen, teils wieder im Nachtflug, wieder nur mit Stoppuhr und Tacho, wieder ohne Funk? Erzählen Sie das doch bitte jemanden, der sich die Hose mit dem Schweißgerät schließt, Armstrong. Das ist eine Elite-Leistung, die Ihrem Dirty Pack einfach nicht möglich ist.“
Armstrong kippte sein Glas und stellte es auf dem Tresen ab. „Noch einen, Laddie. Nun, glauben Sie es, Sir, oder glauben Sie es nicht. Es ist mir egal. Ich bin nur froh, dass ich keine Verluste hatte.“

„Sagen Sie, Armstrong, beim Gegenangriff auf den Goldtransporter, waren Sie das auch?“, fragte Sweet mit glänzenden Augen.
„Sie meinen die Attacke auf den Transporter, der von einem militärischen Zeppelin begleitet wurde? Eine üble Falle, eine wirklich üble Falle. Es hat uns echte Mühe bereitet, uns und unsere Verbündeten da wieder raus zu holen. Die Infanterie war zum Glück nicht von meiner Zigarre, sonst hätte ich einige gute Männer in schwarzen Säcken nach Hause schicken müssen. Wenigstens haben wir den Zeppelin halb in den Bach geschickt, als Rache sozusagen.“
„Jetzt hört es aber wirklich auf“, echauffierte sich der Chaplin. „Der Angriff auf den Goldtransporter ist eine klare Erwiderung auf den Nachtangriff der Kommunisten. Es ist belegt, dass es drei Staffeln waren, zwei mit weißen Kräften und eine mit japanischen Elite-Piloten. Die Japse haben den Weißen nicht nur die Tür zurück aufgehalten, soweit ich weiß hat der Staffelchef auch noch ihre Infanterie mit einem gewagten Manöver wieder aus dem Landedeck raus geschossen.“
„Stimmt nicht ganz. Ich habe nur raus geschossen, was von der Infanterie übrig war. Und ich wette, bei dem Manöver habe ich noch ein paar Verbündete getroffen. Aber besser so als alle zu verlieren.“
Der Chaplin machte einen spöttischen Laut. „Ja, klar. Und anschließend geben Sie sich als Japaner zu erkennen und funken den angreifenden Roten zu, dass die Attacke auf den Transport die Rache für den Nachtangriff auf die Basis Weißer Bär ist.“
„Was sollte ich machen? Befehle, Befehle.“
„Sie sind ein ziemlich eingebildeter Mensch, wissen Sie das, Armstrong? Texas in allen Ehren, aber jedem hier im Raum sollte klar sein, dass die Republik nicht so ohne weiteres einen Krieg zwischen zwei Weltmächten auslösen kann.“ Der Mann kam herüber und stieß Dave den Zeigefinger auf die Brust. „Wenn Sie sich öfters mit fremden Federn schmücken, junger Mann, wird Sie eines Tages einer beim Wort nehmen. Und dann sehen Sie alt aus, ganz alt. Was, wenn die Russen oder die Japaner auch nur eine Sekunde ernsthaft glauben würden, was Sie hier gesagt haben? Was wären die Folgen für Sie und Ihre Crew? Was die Folgen für Texas?“
„Zacharias.“ Fisher legte dem Chaplin eine Hand auf die Schulter. „Es ist in Ordnung. Wir sind hier fast alle Piloten und wir sind auf einer Feier. Und wir wollen uns alle amüsieren. Lass Armstrong doch seine Geschichte erzählen und lass ihn ruhig ein wenig angeben. Niemand glaubt wirklich, dass Texas einen zweiten Großen Krieg auslösen kann. Barkeeper, noch einen Bourbon.“
Nur zögerlich ließ sich der alte Mann von Fisher wieder zur Theke ziehen.

Dave schmunzelte amüsiert. Wenn sich diese Meinung durchsetzte, würde es ein klein wenig mehr Sicherheit für die NORTH bedeuten. Kam irgendwann einmal heraus, dass es tatsächlich die NORTH gewesen war, die hinter beiden Angriffen gesteckt hatte, und gab es bereits entsprechende Berichte, die die Unglaubwürdigkeit betonten, hatten sie sehr gute Chancen, zwischen den Maschen der Geheimdienste hindurch zu schlüpfen.
Arthur Mertens sah Dave aus großen Augen an. „Sir, ist es nun wahr oder erfunden? Waren Sie es? Oder doch nicht?“
Armstrong grinste breit. „Nun, ein wenig Übertreibung gehört zum Pilotenhandwerk einfach dazu. Das ist nicht anders als beim angeln.“
Wieder lachten die Zuhörer leise. „Aber ob und wie viel davon stimmt, überlasse ich Ihrer Fantasie, Doc.“
„Wie gemein“, kommentierte der Arzt unter dem wieder einsetzenden Gelächter.
12.03.2020 17:57 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Am nächsten Morgen – am sehr, sehr späten Morgen – fand Dave seinen Staffelkommandeur in der Bordmesse, mit dunkel unterlaufenen Augen und zitternden Händen, die sich um seine Kaffeetasse krümmten.
„Verdammt, Ernst, du siehst scheiße aus.“
„Halt die Klappe und sei nicht so laut. Ich fühle mich auch scheiße.“
Dave setzte sich dazu und schenkte sich ebenfalls ein. „Was hast du gestern bloß angestellt?“
„Ich weiß nicht mehr, verdammt. Dieser dämliche Bourbon ist doch kein richtiges Getränk. Ich hätte bei Bier bleiben sollen.“ Steel rieb sich mit der Linken die Augen. „Na, hinterher ist man immer schlauer. Und, wie war es bei dir?“
Armstrong unterdrückte ein lautes Lachen in Anbetracht des Katers, der Steel in den Fängen hatte. „Tja, die Party ging sehr überraschend zu Ende. Irgend so ein Trottel hat um halb zwei mit einer Derringer um sich geballert. Das hat die Stimmung enorm gedrückt. Einige sind sogar regelrecht geflohen. Mann, ich habe noch nie so viele fette nackte Männerärsche gesehen. Ich will gar nicht wissen, was die alten Säcke auf dieser Party gemacht haben. Die Mädchen bei ihnen hätten ihre Töchter sein können und…“
Armstrong sah auf und lachte verlegen. „Entschuldige. Für mich war das eine halbe römische Orgie, und das kollidiert mit meiner Erziehung.“
„Nicht so laut“, mahnte Steel stöhnend. „Mit deinen angebrochenen Rippen bist du schon wieder viel zu fröhlich, Dave.“
„Sorry. Ich lasse dich und deinen Kater bald allein, versprochen. Ich wollte dir nur persönlich bescheid sagen, dass es heute schon weitergeht, bevor du dich erschreckst.“
Interessiert sah Steel auf. „Neue Befehle?“
Dave nickte ernst. „Kamen heute Morgen an. Wir sollen so schnell wie möglich nach Sky Haven fliegen und unsere Vorräte ergänzen. Dazu sollen wir von einem Verbindungsmann eine Menge Ausrüstung übernehmen. Wir treffen uns mit zwei weiteren Kaperern und fliegen eine gemeinsame Mission.“
„Mit zwei anderen Kaperern? Ich hoffe, wir haben den Oberbefehl.“
„Weiß ich noch nicht. Aber ich hoffe es auch. Ich hasse es, ein Wolf unter Wölfen zu sein, der von einem Esel befehligt wird.“
Bedächtig schenkte sich Steel nach. „Weißt du schon wo es hingehen soll? Wenigstens grob?“
„Hm. Magst du Ananas?“
Steel schreckte hoch, aber sein Kater meldete sich sofort und nachdrücklich wieder zu Wort. „Sag mir nicht, dass wir nach Afrika fliegen. Doch wenn es nicht Afrika ist, dann…“
„Richtig“, sagte Armstrong ernst. „Unser Ziel heißt Hawaii.“

***
„Kann ich dich kurz sprechen?“
David Stone sah seinen Staffelführer an. Aber wie immer fiel es ihm schwer, in dem verschlossenen, kantigen Gesicht zu lesen. Ernst Stahl war kein Mann, der seine Gefühle gerne offen zeigte.
„Was gibt es?“
„Du bist immer noch hinter der LEVIATHAN her.“ Das war keine Frage, und der Commander sparte sich eine Antwort. Er presste nur kurz die Lippen zusammen und versuchte Wut und den Hass zu unterdrücken, die wieder in ihm hochkamen. Ja, er war immer noch hinter der LEVIATHANn her – und er würde nicht eher Frieden finden, ehe die LEVIATHAN mit ihrer Besatzung zur Hölle gefahren war: „Warum die Frage? Du kennst die Antwort.“
„Ich habe Informationen, die vielleicht…nützlich sein könnten.“
„Informationen? Woher – und warum fällt dir das erst jetzt ein?“ Die Stimme des Commanders war hart geworden. Aber der hoch gewachsene Deutschamerikaner ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Zwar wirkte er immer noch ziemlich übernächtigt, aber ungefähr so ‚weich’ wie ein Granitblock.
„Weil ich diese Informationen selber vorgestern erhalten habe. Und woher ich sie habe…Ich habe jemanden getroffen, einen alten Bekannten aus der…Privatwirtschaft. Bis vor einem dreiviertel Jahr sind wir zusammen geflogen.“
„Und woher kennt sich der über die LEVIATHAN aus?“ Davids Stones Stimme wurde misstrauisch. Ihm gefiel die Richtung nicht, in die das Gespräch steuerte.
„Er war drei Wochen an Bord.“
„WAS?!“ David Stone war aufgesprungen. Eine Woge nackter Wut drohte ihn zu überrollen. Annie…
Jetzt trat Ernst Steel tatsächlich einen halben Schritt zurück. Gleichzeitig hob er halb die Hände, locker zu Fäusten geballt – als rechne er damit, dass der Commander gleich auf ihn losgehen würde. Aber er schien keine Angst zu haben: „Nur die Ruhe, verdammt!“
„Wie heißt dieser ‚Freund’?“
„Tut mir leid. Das gehört nicht zu den Dingen, die ich preisgeben darf. Er…hat nun wirklich kein Interesse, dieses Kapitels seines Lebens publik zu machen. Deshalb wird er auch ganz bestimmt nicht mit dir reden wollen. Er will diese drei Wochen möglichst vergessen.“
David Stone zwang sich zur Ruhe. Er konnte schließlich nicht einfach eine Prügelei mit dem Chef seiner zweiten Staffel anfangen. Außerdem würde Ernst Stahl sich so etwas kaum gefallen lassen. Der Commander musterte den rotblonden Staffelchef düster. Seine Worte klangen gepresst: „Rede schon.“
„Mein Bekannter hat vor etwa einem halben Jahr bei der LEVIATHAN angeheuert. Und er hatte schnell genug davon. Er ist nicht gerade ein Unschuldsknabe, aber was dort an Bord abgeht…“
„Hat er auch verwertbare Informationen geliefert, oder nur Schauergeschichten?“
„Hat er. Für einhundert Dollar. Er war ziemlich abgebrannt.“
„Berichte.“ David Stones Stimme klang hart. Ernst Steels Stimme hingegen war genauso ausdruckslos wie sein Gesicht: „ Der Captain der LEVIATHAN ist ‚General’ Michael Jerome. Ein begnadeter Pilot und wegen seiner absoluten Rücksichtslosigkeit extrem gefährlich. Ein Psychopath. Früher mal hat er angeblich zur französischen Fremdenlegion gehört und ist desertiert, nachdem er einen Vorgesetzten getötet hat. Jedenfalls erzählt er das selber. Wenn das stimmt, dann hat die Legion auf jeden Fall ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Danach soll er angeblich eine Zeitlang bei den Grenzkonflikten der Dixie-Konföderation mit Französisch-Lousiana gegen seine ehemaligen Kameraden gekämpft haben. Dann hat er sich selbstständig gemacht und tauchte einige Zeit später in Mexiko auf. Es folgten etliche erfolgreiche - und immer sehr blutige - Operationen gegen Texas. Aber auch die Zeppelins anderer Mächte sind vor ihm nicht sicher. Ebenso greift er schwächere Piratenbanden an. Seine Aktionen folgen keinem bestimmten Muster, es gibt kein erkennbares System. Angeblich lässt er sich auch anheuern. Aber er hat keine Hemmung, die Hand zu beißen, die ihn gestern noch gefüttert hat. Über seine übliche Vorgehensweise wissen wir ja bereits Bescheid.
Was die LEVIATHAN selber betrifft, es handelt sich um ein mit Helium gefülltes, zum ‚Hilfskreuzer’ umgerüstetes, Transportluftschiff. Das heißt etwas zusätzliche Panzerung, vor allem bei den Motorgondeln, den Gefechtsständen und dem Kommandostand. Die LEVIATHAN verfügt über einen 360-Grad-Drillings-Werfer für Lufttorpedos, außerdem zwei Fla-Raketenwerfer. Die sonstige Bewaffnung besteht wohl vor allem aus MG’s Kaliber 50, einigen 70er MK und ein paar 30ern.
Die Enterkommandos sind selten größer als zwanzig Mann, aber sie sind gut ausgerüstet, gut ausgebildet und absolut rücksichtslos.
Die Fliegereinheit der LEVIATHAN soll in der Regel zehn bis vierzehn Stück stark sein. Die Piloten sind besser als Durchschnitt, aber nicht unbedingt Elite. Aber sie werden wohl bis zum letzten Mann kämpfen. Angesichts dessen, was ihnen bei einer Gefangenschaft blüht…
Sie scheinen vor allem auf schwerere Einheiten zu setzen: eine Anzahl Brigands, etliche Peacemaker und zwei oder drei Vampire. Dazu einzelne Defender, Fury und auf jeden Fall eine Bloodhawk – die Maschine des Kapitäns. Ein ziemlich harter Brocken.
Und noch etwas. Die LEVIATHAN macht gelegentlich schon mal Gefangene. Die meisten von denen leben allerdings nicht sehr lange. Nur, bis sie ihren…Unterhaltungswert verlieren. Deswegen ist mein…Bekannter ja auch desertiert. Es hat ihm gereicht, was er gesehen hat. Piraterie ist eine Sache. Aber so was…
Längere Zeit am Leben bleiben nur Gefangene, die wertvoll sind. Gelegentlich betreibt Jerome nämlich auch etwas Menschenhandel. Hübsche Mädchen und Jungen kann man mit gutem Gewinn loswerden. Vielleicht können wir bei einigen einschlägigen Hehlern fündig werden…“

Die letzten Bemerkungen hatte von Stahlheim eher widerwillig hinzugefügt. Er tat das nicht unbedingt gerne, aber erstens stimmte es, und zweitens wollte er dem Commander etwas zu denken geben. Bei der Erwähnung des Menschenhandels und der Praxis, gelegentlich Gefangene ‚zum zeitweiligen Vergnügen’ mitzunehmen, war David Stone aschfahl geworden.
Darauf hatte von Stahlheim gehofft. Dies, der Zeitpunkt des Gespräches, und die Erwähnung eines fiktiven ‚Bekannten’ der zeitweise auf der LEVIATHAN gedient hatte, diente nur einem Zweck: die wahre Quelle der Informationen über Michael Jerome sollte verschleiert werden. Denn in Wirklichkeit hatte von Stahlheim diese Informationen bereits in Sky Haven erhalten, von Elisabeth O’Conner, der dortigen Abwehr-Agentin.
Normalerweise hätte Steel Marquardt niemals einen solchen Brocken vor einer größeren Operation, wie sie jetzt offensichtlich anstand, serviert. So etwas konnte eine gefährliche Ablenkung darstellen. Aber der Schutz der Informationsquelle – der Schutz Elisabeth O’Conners – ging vor.

David Stone hatte sich inzwischen wieder etwas gefasst, aber seine Stimme klang gepresst, und ein schmerzerfüllter und gleichzeitig merkwürdig abwesender Gesichtsausdruck lag in seinen Augen: „Gut, Steel. Das wird…das wird nützlich sein. Danke. Wenn das stimmt, dann hast…hast du etwas gut.“
„Es wird sich schon etwas finden.“ bemerkte von Stahlheim lakonisch, drehte sich um und ging. Der Commander nahm seinen Abgang nicht einmal richtig wahr.
12.03.2020 17:58 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Sky Haven

„Sky Haven sehen und sterben“ - dieses geflügelte Wort bezog sich weniger auf die Einmaligkeit der Piratenstadt, geschweige denn ihre Schönheit, sondern auf die Tatsache, dass es in Amerika dem Gerücht nach kein gefährlicheres Pflaster gab. Im Vergleich dazu war angeblich sogar die „Comancheria“ des 18. und 19. Jahrhunderts, die von ständigen Stippangriffen und Guerillaaktionen der Komantschen und Apachen beunruhigten Gebiete Texas und Mexikos, ein ruhiges Pflaster gewesen.
In Sky Haven lebte man schnell und starb noch schneller. Die Stadt war ein Treffpunkt für Piraten, Banditen, Verbrecher und Glücksritter jeden Couleurs, für alle Menschen die vor dem Gesetz auf der Flucht waren. Und diese Flüchtlinge zogen Kopfgeldjäger an, die sie jagten – Männer und Frauen, bei denen nur der Zufall entschied, auf welcher Seite des Gesetzes sie gerade standen. Und Sky Haven war auch ein perfekter Treffpunkt für Spione. Hier konnte man alles, absolut ALLES erwerben – nur keine zweite Chance.

Die NORTH STAR war vor fünf Stunden gelandet. Das ‚Dog Pack’ hatte den Landeanflug eskortiert. Natürlich hatte es sich Steel nicht nehmen lassen, persönlich mit zu fliegen. Aber keiner war so dumm gewesen, die NORTH STAR anzugreifen.

Es war von Stahlheim schwer gefallen, in den letzten Tagen seine Ungeduld und Unruhe zu verbergen. Egal was Neville Sinclair auch immer beteuert hatte, der Schauspieler und Agent des Deutschen Reiches war von Stahlheim einige Antworten schuldig geblieben – oder hatte die Fragen nur recht unbefriedigend beantwortet. Es waren Unklarheiten geblieben, und Verdächtigungen. Manchmal hatte sich von Stahlheim gefühlt wie ein Pilot, der in sternenloser Nacht, mit ausgefallenen Instrumenten, versuchte, ein Gebirge zu durchfliegen. Ein Pilot, der wusste, dass sein Fallschirm defekt war.
Doch mit ein wenig Glück hatte niemand an Bord etwas davon gemerkt. Er hatte versucht, seine Unruhe mit Aktivität zu kaschieren und seine Sorgen so zu betäuben. Wenn er nicht gerade in der Luft war, ob auf Patrouille oder einer Flugübung, hatte er sich im Hangar nützlich gemacht, oder die Piloten seiner Staffel gedrillt. Wenn sich jemand darüber wundern sollte – bald würde ihnen der Commander einen plausiblen Grund nennen…
Ansonsten war Steel meist für sich geblieben. Aber er suchte ja auch sonst relativ selten Gesellschaft, von dem Commander und den Piloten seiner Staffel einmal abgesehen. Am häufigsten hatte er sich sonst mit Max getroffen – aber das Mädchen hatte offenbar immer noch Probleme wegen dem Mann, den sie in Seattle erstochen hatte. Eigentlich merkwürdig, immerhin hatte sie schon länger unter Piraten gelebt…
Aber in Sky Haven würde er die Antwort erfahren, die Wahrheit. Und vielleicht würde er dann auch feststellen können, ob Neville Sinclair ein doppeltes Spiel spielte. Falls das der Fall war, dann würde er mit dieser Ratte eigenhändig abrechnen. Falls die vorgesetzten Dienststellen ihm dies erlaubten. Aber diese etwas unprofessionelle Hoffnung war nicht der einzige Grund, warum er der Landung der NORTH STAR entgegengefiebert hatte.

Trotzdem er am liebsten aus der Mannschaftsgondel gesprungen wäre, als das Zeppelin noch nicht einmal vollständig vertäut gewesen war, jetzt ließ er sich Zeit. Methodisch und ruhig hatte er darauf gedrungen, dass die Maschinen seiner Staffel in den nächsten Tagen einer gründlichen Generalüberholung unterzögen wurden, hatte sich mit Sam auf einen halbstündigen Streit darüber eingelassen, was seine Staffel alles ‚unbedingt’ brauche.
Er hatte es sich auch nicht nehmen lassen, den Piloten des Dog Pack einen detaillierten Trainingsplan vorzulegen. Natürlich wusste er, dass die meisten Piloten sich vor allem amüsieren wollten. Aber zu heftiger Protest war ausgeblieben, nachdem Steel mit kalter Stimme das Angebot machte, jedwede Unzufriedenheit sofort, hier und jetzt, zu klären. Er hatte an Bord bisher erst zweimal die Fäuste einsetzen müssen. Die Art und Weise, wie er das gemacht hatte, sorgten dafür, dass niemand auf das Angebot einging.
Anschließend war er in seiner Kabine verschwunden und hatte das bisschen ‚Papierkram’ erledigt, der sogar an Bord eines Kaperfahrers anfiel. Die wichtigeren, nun ja…geheimeren Papiere und Berichte hatte er natürlich schon Tage vorher fertig gehabt – oder zumindest in Gedanken formuliert.
Dann zog er sich eine neue Fliegerkombination an. Die Lederjacke hatte er an Bord eines der russischen Frachtluftschiffe mitgehen lassen. Er empfand eine gewisse zynische Belustigung, als er sie überstreifte. Außerdem war sie von besserer Qualität, als die amerikanische Massenware. Unbewusst, automatisch, überprüfte er die Waffen, die er offen oder verborgen am Körper trug – die italienische Autopistole, den Derringer, den Kommandodolch, die Garotte. Gerade in Sky Haven war es ratsam, nie unbewaffnet zu sein. Vor allem wenn man in demselben Geschäft tätig war, wie von Stahlheim.
Erst danach hatte er unauffällig, aber keineswegs heimlich das Zeppelin verlassen. Er kannte sein Ziel, aber er wählte keinen direkten Weg. Auch jetzt ließ er sich Zeit, achtete dabei unauffällig darauf, dass ihm niemand folgte. Bei seinem letzten Aufenthalt war er zu unvorsichtig gewesen. Und von Stahlheim war bemühte, keinen Fehler zweimal zu machen.
Deshalb dunkelte es bereits, als er sein Ziel erreichte. Die Seitenstraße hatte sich in den vergangenen Wochen nicht verändert, natürlich nicht, ebenso wenig wie das stabile Steinhaus. Leise, aber rasch trat von Stahlheim an die stabile Tür, die wie er wusste von innen mit Eisen verstärkt war, und klopfte. Nur einem aufmerksamen Beobachter der in unmittelbarer Nähe stand, wäre aufgefallen, dass das Klopfen einem bestimmten Rhythmus folgte, der keinesfalls zufällig war.
Nach einer halben Minute öffnete sich die Tür. Der Mann, der geöffnet hatte, füllte den Türrahmen fast völlig ein. Selbst in der beginnenden Dunkelheit sah man seinem Gesicht die indianischen Vorfahren an. Er hielt eine Pumpgun in den Händen, und von Stahlheim registrierte mit einer gewissen Belustigung, dass der Raum hinter der Tür im Dunkeln lag – so bot der Mann kein leichtes Ziel und wurde zudem nicht vom Licht im Inneren des Hauses geblendet.
„Hallo, Joe.“ Das Halbblut nickte nur knapp und winkte den deutschen Agenten hinein. Dann verschloss er die Tür wieder und verriegelte sie gleich noch. Mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete er von Stahlheim, er soll nach nebenan, in die Wohnräume gehen. Der deutsche Agent folgte der Aufforderung.

Der Raum war gut, allerdings recht sparsam eingerichtet. Die Person, die hier lebte, wusste Luxus zu schätzen, war aber immer bereit, die Zelte abzubrechen.
Und da war sie. Elisabeth O’Conner lehnte locker an der Wand, und musterte von Stahlheim, die Arme verschränkt, ein rätselhaftes Lächeln auf den Lippen. Ihre grünen Augen, die den deutschen Agenten an eine Katze erinnerten, schienen ihm direkt bis auf den Grund seiner Seele zu sehen – auch wenn er sich nicht völlig sicher war, ob er überhaupt so etwas wie eine Seele hatte.
Sie war wunderschön. Ernst von Stahlheim musste sich räuspern, sein Hals fühlte sich wie ausgetrocknet an.
„Elisabeth.“
„Du hast dir Zeit gelassen. Ich habe mich schon gefragt, ob du überhaupt noch auftauchst.“
Natürlich hatte sie von der Ankunft der NORTH STAR erfahren, vielleicht schon bevor das Luftschiff überhaupt gelandet war. Deswegen war sie ja auch trotz ihres Alters schon verantwortlicher Standortagent der Abwehr in dieser Stadt. Von Stahlheim zuckte mit den Schultern: „Du weißt, wie das ist. Ich musste sicher gehen.“
Elisabeth Lächeln verstärkte sich, wurde spöttisch: „Na, das sind ja ganz neue Töne. Ich meine, als wir uns kennen lernten, hast du in der Öffentlichkeit einem Piraten die Kehle durchgeschnitten.“
„Das passte zu meiner Tarnidentität. Aber ich will nicht, dass mich jemand zu häufig hier aufkreuzen sieht…“
„Besorgt um meinen guten Ruf?“
„…und außerdem, ich glaube das Spiel ist inzwischen etwas gefährlicher geworden.“
„Du meinst eure bescheuerten Aktionen in Alaska? Texas Versuch, einen neuen Weltkrieg anzuzetteln? Die Russen sind hier nicht besonders präsent, ich kenne ihre Residentur. Und wegen den Japanern brauchst ja wohl ausgerechnet DU dir keine Sorgen zu machen, oder?“
„Wenn das Alles wäre…Aber das dürfte erst der Anfang gewesen sein. Offenbar sehen diese dämlichen Texas-Ranger in der NORTH STAR so etwas wie eine Trumpfkarte für verdeckte Operationen. Oder wir sind einfach entbehrlich. Außerdem hat irgendjemand versucht, den Commander…“
Sie hob die Hand und schnitt ihm so wirkungsvoll das Wort ab: „Also über deinen verdammten Commander will ich jetzt ganz bestimmt nicht reden. Der Mann ist eine geballte Ladung Ärger.“

Von Stahlheim schüttelte im Stillen den Kopf über sich selber. Zuerst war Elisabeth O’Conner nur ein Kontakt gewesen, eine Agentin der Abwehr, von der er Informationen und neue Instruktionen erhalten sollte. Aber dann war sie für ihn zu sehr viel mehr geworden. Er hatte sie nicht vergessen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Obwohl er nicht einmal genau wusste, was sie eigentlich für ihn empfand.
Es war nicht nur ihre Schönheit, ihre Intelligenz und ihr Humor. Sie war seit Monaten der erste Mensch gewesen, dem er nicht eine Lüge vorleben musste, die wusste WER und WAS er wirklich war, der er vertrauen konnte. Die ihn verstand, den unsichtbaren Druck kannte, der auf ihm lastete – sie spürte ihn ja selber. Auch deshalb hatte er seine Professionalität und etliche Regeln der Konspiration ignoriert. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde er sich bewusst, dass er einfach nur dastand und sie wortlos ansah. Und irgendwie schien das Elisabeth O’Conner ungemein zu amüsieren.
„Nun, bist du wirklich nur hierher gekommen, um mich anzuschauen?“ sie stieß sich von der Wand ab und richtete sich auf. Damit reichte sie dem hoch gewachsenen Deutschen zwar immer noch nur bis zum Kinn, aber ihre Selbstsicherheit ließ sie größer wirken.
Ernst von Stahlheim wollte mit seinem Bericht beginnen, aber dann sah er das ihm inzwischen vertraute Glitzern in ihren Augen, und er verstand den leicht anzüglichen Ton in ihren Worten.
Im nächsten Augenblick hatte er sie schon in die Arme geschlossen, und sie küssten sich. Während seine Hände nach den Knöpfen ihres Kleides suchten, glitten ihre Finger bereits unter seine Uniformbluse. Seine Mission, selbst die Frage, ob Neville Sinclair ein Verräter war, der sein eigenes Spiel spielte – all das war nun vergessen, für den Augenblick unwichtig geworden.

Einige Stunden später lagen sie ziemlich erschöpft nebeneinander. Von Stahlheim hatte einen Arm um Elisabeth gelegt, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust. Behutsam fuhren seine Finger durch ihr rotes, verschwitztes Haar, während er erzählte. Sie hörte aufmerksam zu, meistens schweigend, wie er von den Ereignissen der letzten Wochen berichtete. Von dem texanischen Doppelspiel in Alaska – von seinen Befürchtungen, dies könne einen Krieg auslösen, seinen Gewissensbissen, als er gezwungen gewesen war, auf japanische Soldaten zu schießen. Er erzählte ihr natürlich auch von Seattle, von dem Entführungsversuch – und von dem undurchsichtigen Verhalten Neville Sinclairs.
„Als was das betrifft, kann ich dich beruhigen. Es ist keine Einsatzorder betreffs Marquardt raus gegangen. Jedenfalls nicht von der Abwehr – und ich glaube nicht, dass die RSHA sich derart in eine unserer Operationen hineindrängen würde. Das ist Marquardt ihnen bestimmt nicht wert.“
„Bist du dir sicher?“
„Nicht völlig, aber ich kann in New York nachfragen. Sie sollten dort eigentlich wissen, was die RSHA gerade am Laufen hat. Aber auf keinen Fall war das eine von Berlin abgesegnete Aktion. Ich glaube eher, dass diese Entführung ein Unternehmen der Russen oder der Japaner war. Marquardt hat ihnen ja genug Gründe geliefert. Ich tippe auf die Russen. Wenn es die Japaner gewesen wären, und wenn sie WIRKLICH hinter Marquardt her wären…Dann hätten sie die Ninjas geschickt. Und dann hätte es keine Zeugen gegeben. Euer dämlicher Commander hätte sich einfach in Luft aufgelöst.“
Das stimmte. Diese mysterienumwitterten Kommandosoldaten der Japaner hatten einen legendären Ruf. Manche bezweifelten sogar ihre Existenz. Andererseits gab nichts, absolut gar nichts, was man ihnen nicht zutraute. Nicht wenige Leute, angeblich auch in Geheimdienstkreisen, glaubten sogar die Geschichten, die von geradezu übernatürlichen, magischen Fähigkeiten sprachen. Ninjas konnten dem Gerücht nach über Wasser laufen, stundenlang die Luft anhalten, sich unsichtbar machen, sogar fliegen.
„Vielleicht arbeitet Sinclair nicht nur für uns…“
„Nein, so dumm ist nicht mal er. Er ist ein arrogantes Arschloch, aber er ist klug genug, um nicht die Hand zu beißen, die ihn füttert.“
Von Stahlheim drehte den Kopf zu ihr, in seiner Stimme klang leichtes Misstrauen mit: „Du kennst Sinclair? Wie gut…“
Elisabeth musste ein Lachen unterdrücken: „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig? Weil dieser Pseudo-Errol Flynn hinter jedem Rock her ist, glaubst du, er hätte es auch mit mir versucht? Also…“
Von Stahlheim fühlte, wie er rot wurde – vor allem, weil sie ihn so leicht durchschaut hatte: „Schon gut, vergiss es. Es geht mich nichts an.“
„Allerdings nicht. Ich frage dich schließlich auch nicht nach deinen früheren Eroberungen.“ Sie schien allerdings eher amüsiert, als verärgert: „Nun, nachdem wir das Thema unseres jeweiligen früheren Liebeslebens abgehakt haben…Es gibt da etwas, das ich dir vermutlich sagen sollte.“ Ihre Stimme war jetzt wieder ernst, aber da schwang ein Unterton mit, den von Stahlheim nicht ganz einordern konnte. „Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll, Ernst. Ich muss es dir wohl sagen. Du musst es erfahren, aber ich bin mir nicht sicher, was dass für uns bedeutet. Vielleicht, vielleicht habe ich auch ein wenig Angst...“
Von Stahlheim richtete sich auf die Ellbogen auf, und sah sie an: „Was ist los, Elisabeth?“
Also sagte sie es ihm.
*
*
*
„Du bist wirklich verrückt, Elisabeth.“ Der deutsche Agent schüttelte den Kopf. Er war nicht wütend, aber ihm war wieder bewusst geworden, dass er die Frau, die neben ihm lag, immer noch nicht völlig verstand. Er vertraute ihr, vielleicht mehr als er eigentlich sollte. Aber er durchschaute sie nicht, sie konnte ihn immer wieder überraschen. Obwohl sie beide Agenten der Abwehr waren, ihre unterschiedlichen Herkunft, Laufbahn und Charakter waren manchmal einfach nicht zu übersehen. Von Stahlheim tat das, was er als seine Pflicht ansah, seine Berufung. Elisabeth handelte sicherlich auch aus Loyalität, aber viel mehr als von Stahlheim hatte sie den ‚Beruf’ des Spions ergriffen, weil sie das Risiko reizte. Und ihr Humor war manchmal etwas gewöhnungsbedürftig.
Die Antwort auf seine Bemerkung war ein erneutes Gelächter. Elisabeth presste ihr Gesicht gegen seine Brust, während ihre Schultern vor unterdrückter Heiterkeit zuckten: „Dein Gesicht…das war wirklich einmalig! Was hast du denn geglaubt, was ich sagen werde? Dass ich schwanger bin!? Ich bin katholisch erzogen, aber ich bin doch nicht blöd.“
„Aber was du mir erzählt hast, das ist nicht komisch.“
Abrupt, übergangslos, wurde sie wieder ernst: „Nein, das ist es nicht.“ Und jetzt erkannte von Stahlheim, dass auch sie sich Sorgen machte.
„Und du bist dir wirklich sicher?“
„Absolut. Der Mungo ist in der Stadt. Und zwar erst seit ein paar Tagen.“
Von Stahlheim dachte darüber nach, was diese Nachricht bedeuten konnte. ‚Mungo’ war ein Auftragskiller, und ein guter dazu. Der Mann war seit mindestens zehn Jahren in einem Geschäft tätig, das keine Fehler erlaubte. Mehr als ein Dutzend anspruchsvoller ‚Hits’ wurden ihm in Geheimdienstkreisen zugeschrieben, und man ging davon aus, dass er zahlreiche weitere Morde auf seinem Konto hatte, die man aber nicht mit direkt ihm in Verbindung brachte.
Der Mungo war schon für mehrere Geheimdienste tätig gewesen. Auch die Abwehr – und die RSHA – hatten seine Dienste in Anspruch genommen. Mungo galt als absolut zuverlässig, auch wenn seine Loyalität niemand gehörte. Seine wahre Identität allerdings blieb ein Rätsel. Es gab nur eine recht vage Personenbeschreibung, und einige minderwertige Fingerabdrücke. Die deutsche Abwehr vermutete, dass der Attentäter einen geheimdienstlichen und/oder militärischen Hintergrund hatte. Anders waren sein hohes ‚fachwerkliches’ Können und seine beunruhigende Fähigkeit, mit Tarnidentitäten und Verkleidungen zu agieren, kaum zu erklären.
Die Tatsache, dass sich dieser Mann in Sky Haven aufhielt, war in der Tat beunruhigend. Und in Verbindung mit den trüben Gewässern, in denen David Stone zurzeit zu fischen schien, war die Nachricht von dem Auftauchen dieses Killers sogar noch mehr als das.
„Vielleicht sollte ich mich mal umhören. Egal wie gut der Mungo ist, er wird Spuren hinterlassen.“
„Nein!“ Ernst von Stahlheim war selber überrascht über die Vehemenz in seiner Stimme: „Das ist viel zu gefährlich. Wenn er erfährt, dass jemand ihm hinterher spioniert…Wenn er sich bedroht fühlt, wird er zurückschlagen, ohne Zögern, ohne Gnade. Er wird dich…“ Seine Stimme stockte.
„Deine Fürsorge ist ja sehr rührend, aber ich bin kein kleines Mädchen mehr. Wie du festgestellt haben dürftest. Ich bin hier groß geworden, in des Teufels höchsteigenen Planschbecken. Seit sechs Jahren arbeite ich für deine Leute – zwei Jahre davon als Standortagentin für Sky Haven. Ich kann auf mich aufpassen.“
Es war von Stahlheim klar, dass sich Elisabeth niemals von ihm bevormunden lassen würde. Aber er versuchte es trotzdem noch einmal: „Der Mungo ist weitaus mehr, als irgendein Pirat oder Totschläger. Dieser Mann ist absolut tödlich. Wenn schon jemand Nachforschungen anstellt…“
„Wer soll es denn tun, außer mir? Du?! Du kennst doch in dieser Stadt niemanden. Oder willst du meine Kontaktleute und Informanten abklappern? Hör mal, wir arbeiten für die gleiche Firma. Wir schlafen sogar zusammen. Und ich denke…“, sie grinste amüsiert, „…mit dem Arrangement bist du genauso zufrieden, wie ich es bin. Aber deswegen werde ich dir noch lange nicht alle meine Geheimnisse verraten.“
Von Stahlheim seufzte frustriert. Er hätte es von Anfang an wissen müssen. Einen Standortagenten derart bevormunden zu wollen, war äußerst unprofessionell. Dass er es überhaupt versucht hatte, sagte einiges über seine eigene Professionalität in dieser Hinsicht aus. Außerdem würde es Elisabeth ihm niemals verzeihen, wenn sie das Gefühl hatte, er würde sie nicht als gleichwertig anerkennen. Was das betraf war sie ein richtiger irischer Dickschädel. Aber er hatte es dennoch wenigstens versuchen müssen.
„Sei wenigstens vorsichtig. Wenn dir etwas zustoßen würde…“
„Nun mal doch nicht dauernd den Teufel an die Wand. Glaubst du etwa, ich hätte hier auch nur ein Jahr überlebt, wenn ich nicht vorsichtig wäre? Andernfalls wäre ich inzwischen längst tot – oder irgend so ein Hurensohn hätte mich in seinem Bordell angekettet.“
„Sehr eloquent.“
„Danke. Aber wenn der Mungo in dieser Stadt einen Hit vorhat, dann braucht er vielleicht noch Ausrüstung. Und Informationen. Und wenn das der Fall ist, dann habe ich gute Chancen, davon zu erfahren. Die kleineren Raubfische in diesem Teich werden ganz schön nervös werden, wenn sie merken, dass ein Hai im Wasser ist.“
„Ein verdammter Weißer Hai, meinst du wohl.“
„Entspann dich, Agent. Es ist ja nicht so, dass ich persönlich hinter dem Mungo herschleichen will.“ Der Deutsche murmelte etwas, was Elisabeth nicht verstand. Dem Tonfall nach war es jedenfalls kein Gebet. Sie musste grinsen. Diese Fürsorge war ja fast rührend, aber sie wollte nicht, dass Ernst anfing, sich für sie verantwortlich zu fühlen. Für Elisabeth O’Conner war nur sie selbst verantwortlich. Und was von Stahlheim betraf…: „Um wieder auf unser Arrangement zurückzukommen…Ich hoffe doch, du bist nicht zu sehr entspannt.“ Bei diesen Worten sah sie ihn wieder direkt an. Der Funke sprang sofort zu ihm über, wie jedes Mal. Manchmal fragte sie sich, ob sie diesen Mann nicht zu nahe an sich heran ließ. Eine kurze Affäre war das eine, dies aber…
Von Stahlheims Stimme war sehr leise: „Vor Morgen erwartet mich bestimmt keiner zurück.“ Seine Hände begannen über ihren Körper zu wandern. Elisabeth O’Conner warf den Kopf zurück und überließ sich ganz dem Augenblick.

***********

Zur gleichen Zeit an anderer Stelle

Der Attentäter sah zufrieden auf das Werk seiner Hände. Sein Zimmer, ein mickriger Verschlag in einer billigen Absteige, war weder sauber, noch komfortabel – aber sehr anonym. Auf dem wurmstichigen Tisch hatte er ein sauberes, weißes Leinentuch ausgebreitet. Darauf lagen, aufgereiht wie zur Inspektion, zehn Päckchen einer zähen, knetartigen Masse. Es war nicht einfach gewesen, an militärischen Sprengstoff der gewünschten Qualität heranzukommen, nicht einmal hier.
Aber dennoch war er fündig geworden. Die Zündkapseln hatte er ebenfalls schon, jetzt fehlten nur noch einige andere Bestandteile, aber die zu beschaffen würde kein Problem sein. Die nötigen Komponenten waren nicht einmal illegal, allerdings mussten sie sowohl kompakt, als auch unbedingt zuverlässig sein. Aber in Sky Haven würde er mit der Beschaffung keine Probleme haben.
Der Mungo wusste nicht, warum sein Auftraggeber unbedingt wollte, dass die NORTH STAR – und vor allem ihr Commander – vernichtet wurde, und es interessierte ihn auch nicht besonders. Er wusste hingegen, dass sein Auftraggeber gute Beziehung zu einem deutschen Geheimdienst hatte, was gewisse Rückschlüsse auf die Intentionen dieses Auftrages zugelassen hätte. Was die Sache interessanter machte, war die Tatsache, dass die Abwehr, die in Sky Haven natürlich präsent war, offenbar auf keinen Fall von der Aktion Wind bekommen sollte. Der Attentäter erlaubte sich ein kurzes Grinsen, das allerdings seine kalten, blassblauen Augen nicht erreichte. Wenn die verschiedenen Geheimdienste ein und desselben Landes gegeneinander operierten, konnte ihm das nur Recht sein. Das hatte ihm schon früher genützt.
Die NORTH STAR würde vermutlich nur ein paar Tage in Sky Haven bleiben. Vielleicht rechnete ihr Commander auch mit einem erneuten Anschlag auf sein Leben – eine Entführung, oder ein Scharfschützenattentat. Aber so etwas würde nicht geschehen. Und wenn das Luftschiff in ein paar Tagen wieder startete, dann würde der Tod mit an Bord sein. Und keiner würde dies bemerken, ehe es zu spät war.
07.04.2020 08:26 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Tausend Gedanken gingen Dave durch den Kopf, als er den Zeppelin – seinen Zeppelin – die Passage nach Sky Haven nehmen ließ. Dies war das zweite Mal, dass die NORTH STAR die gefährliche Passage fuhr, und Blue nahm sie bereits mit einem gefährlichen Hang zum Risiko, für die Dave den Freund noch mal ordentlich ins Gebet nehmen würde.
Dennoch. Zuviel war passiert. Viel zu viel.
Seine Zeit bei den Air Rangern erschien ihm so fern wie ein fremdes Leben, wenn er bedachte, was er in der kurzen Zeit als Chef dieser Zigarre erlebt hatte.
Nur Annie erschien ihm nicht so sehr ein Schatten zu sein wie das restliche Leben in Texas.
Annie…Die LEVIATHAN. Die Eröffnungen von Steel über diesen ehemaligen Legionär, über sein Schiff und seine Methoden hatten alles wieder hoch gespült. Hatten ihn emotional wieder an den Anfang seiner Reise gebracht.
Dave achtete kaum darauf, wie die NORTH die letzten tausend Meter nahm und dann auf ihrem Stammplatz, soweit man ihn so nach der zweiten Landung nennen konnte, die Landeleinen abwarf.
Er achtete auch nicht wirklich auf den Scherz, mit dem Jeff Daines, Kapitän der Zigarre, den Flug beendete.

Beim ersten Mal hatten sie einen regulären Frachtflug vor Piraten gerettet und waren mit einigermaßen vollen Taschen und genügend Freizeit hier her gekommen. Diesmal aber waren die Frachträume brechend voll, noch immer, selbst nachdem sie einen Teil in Kanada und in Seattle verkauft hatten. Der Gewinn, den diese Verkäufe versprachen, würde jedes einzelne Crewmitglied in die Lage versetzen, ein oder zwei Jahre von dem Geld zu leben. Und das nach nur einer einzigen ernsthaften Kaperfahrt, die zudem ohne eigene Verluste ablief.
Nun, die meisten waren Texaner und würden notfalls auch ohne Bezahlung auf Daves Seite stehen, wenn er unproduktive Aufträge annahm.
Der Rest…Hm. Wieder ein unwillkommener Gedanke. Er würde ungern ein paar Leute aus der Crew verlieren. Aber es würde schwer werden, seinen Leuten einen Auftrag schmackhaft zu machen, der keinen wirklichen Gewinn versprach. Nur für Ruhm und Ehre konnte sich keiner was kaufen.
Und wenn es erst einmal soweit war, dass er endlich, endlich die LEVIATHAN zur Hölle schicken konnte, wenn er diesen Jerome packen, töten konnte, wer würde ihm dann zur Seite stehen? Verdammt, er wollte auf keinen verzichten! Aber er wollte auch keinen dabei verlieren…
Annies Bild entstand vor seinem geistigen Auge. Wie immer wenn er unvermittelt an sie und ihren gewaltsamen Tod dachte, vermischten sich die Begriffe. Anstatt der wunderschönen, blonden Frau mit dem Herz eines Löwen und der Anmut eines Schwans sah er ein brennendes Skelett, welches den Ring trug, den er ihr geschenkt hatte.
Wütend schüttelte Dave den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben.

„Was? Du bist dagegen?“, klang Blues Stimme zu ihm durch.
Dave sah auf. „Was?“
„Ich wollte auf kleine Wache gehen, wie letztes Mal auch.“
Der Commander der NORTH nickte. „Wir erwarten die LONGHORN in einem und die SHOOTIST erst in zwei Tagen. Steel will mit seinen Leuten intensiver üben. Ich habe meine Piloten mit angehängt. Aber der Rest kann sich dienstfrei nehmen. Bei kleiner Wache.“
„Sag mal, nimmst du die Piloten nicht zu hart ran? Wir sind ein Freibeuter, nicht die Air Force.“
„Haben wir bisher überlebt, ja oder nein? Ich denke, es ist nicht verkehrt, in solchen Dingen auf Steel zu hören. Der Mann ist ein kleines Genie“, erwiderte Armstrong leise. „Außerdem bietet das unserem Neuzugang die Möglichkeit, sich auf der Devastator einzufliegen und den Verband kennen zu lernen, bist Klutz wieder in seine Brigand steigen kann.“
„Schon klar. Und ansonsten? Was passiert danach? Wenn die LONGHORN und die SHOOTIST eintreffen?“
„Ich kenne bisher nur die Namen und bin in groben Zügen über unser Ziel informiert worden, Blue. Mehr werde ich erst in zwei Tagen erfahren, wenn alle Staffelchefs und Commander ins Hilton kommen sollen. Ich weiß nicht, was für Interessen ein Land wie Texas an Hawaii hat, weil Texas an den Atlantik, aber nicht an den Pazifik grenzt. Aber wie wir in Alaska gesehen haben, sind die Interessen der hohen Herren vielschichtig.“
„Ja, vielschichtig genug, um uns einen zweiten großen Kriege anzetteln zu lassen, bei dem wir zwischen den Fronten herumdümpeln. Armstrong, verdammt, wenn die Ruskies oder die Japse jemals erfahren, wer sie da angegriffen hat, dann…“
„Dann bete mal, dass sie es nie erfahren. Denn wenn sie sich wirklich für uns interessieren, kommen sie nicht selbst sondern setzen ein Kopfgeld auf uns aus, während wir in Sky Haven liegen.“
Jeff runzelte die Stirn. „Armstrong, die Sache in Seattle, meinst du, das war so was? Ein Haufen primitiver Schläger, der dich einkassiert und fortschafft und töten will, das passt doch in dieses Schema.“
„Keine Ahnung. Steel war zu gründlich beim Aufräumen. Er hat nichts übrig gelassen, was man fragen könnte. Und Unterlagen hatten die Typen auch nicht. Wahrscheinlich konnten sie nicht mal lesen.“
„Westküste, was soll man da auch erwarten?“, spottete Blue, wurde aber sofort wieder ernst. „Meinst du, du schaffst es, in Sky Haven nicht in solchen Ärger zu geraten? Ich meine, ich will deinen Job nicht haben. Und ich will bei den neuesten Verrücktheiten, die Texas ausheckt, bestimmt nicht alleine unterwegs sein. Dir folgen die Leute in die Hölle. Mir nur bis zum nächsten Flughafen.“
„Unterschätz dich mal nicht“, kommentierte Dave mit einem dünnen Lächeln.

Armstrong erhob sich, nickte Blue zu und ging mit ihm in den Frachtraum. Dort hatte die Mannschaft der NORTH Aufstellung bezogen, soweit sie nicht für die kleine Wache eingeteilt war.
Ohne große Rede begann Dave den Leuten ihren Anteil in Greenbucks auszuzahlen, die sie für den bisherigen Verkauf bekommen hatten. Manch einer machte große Augen, wenn er plötzlich dreihundert Dollar für den einfachen Anteil in den Händen hielt – und das war nur der kleinere Teil der Beute. Eine vorsichtige Taxierung hatte Dave vermuten lassen, dass sie selbst bei den Dumpingpreisen in Sky Haven pro Anteil noch mal zweitausend Dollar auszahlen konnten. Wenn sie nicht zu ungeschickt verkauften. Dreihundert Dollar war schon mehr als selbst ein Fabrikarbeiter in zwei Monaten verdiente. Aber zweitausend, das war ein ansprechendes Sümmchen.
In Gedanken nahm sich Dave vor, diesen Betrag erst auszuzahlen, wenn die Zigarre ins nächste Abenteuer abhob oder jemand abmusterte. Zuviel Geld war nicht gut in Sky Haven. Lockte begehrliche Blicke unvernünftiger Leute an. Führte schnell zum Tode. Mit dreihundert Dollar sollten seine Leute mehr als in der Lage sein, sich ordentlich durch die Stadt zu trinken.
Nach dem einfachen Anteil kam der Offiziersanteil. Dave sah jedem seiner Leute ins Gesicht, und die meisten konnten sich angesichts von sechshundert Greenbucks ein Grinsen nicht verkneifen. Selbst Steel entwischte ein kurzes Lächeln, als er seinen Anteil entgegen nahm.
Anschließend ließ Armstrong wegtreten – und die Glücklichen, meistens keine Piloten, machten sich bereit, um in die Stadt aufzubrechen.

„Tad, Sie brauche ich noch mal kurz.“
„Sir, ist etwas?“ Captain Gallagher, schon halb zur Tür raus, hatte sich umgedreht und kam zurück. Mit dem sicheren Instinkt einer Glucke hatte sie gemerkt, dass eines ihrer Küken, ausgerechnet das Jüngste, Anderson, nicht mit der Herde lief. Und sie war sofort zu seinem Schutz herbei gesprungen. „Wenn er etwas falsch gemacht hat, dann…“
„Es ist in Ordnung, Norah“, beruhigte Dave sie mit einem falschen Grinsen. „Ich wollte den Private nur gerade um einen Gefallen bitten.“
„Sir, wenn es darum geht, dann…“
„Sie wollen mit in ein Freudenhaus kommen?“
Übergangslos wurde die stattliche Blondine rot. Sie war eine eiskalte Killerin, eine erfahrene Soldatin und gewiss jedem Ärger gewachsen, welches das Leben für sie bereit hielt, aber mit der ureigensten biologischen Möglichkeit, die Frauen hatten, kam sie anscheinend nicht klar. Oder aber schlicht und einfach mit dem Gedanken, eine Frau könnte daraus ein Gewerbe machen und damit Geld verdienen.
„Ich…Sir…Wenn Sie befehlen, dass…Ich…“
„Norah, ich will mit der Madame des Hauses etwas besprechen. Ich will Thaddeus mitnehmen, weil er den Weg kennt. Nicht mehr und nicht weniger. Sie brauchen nicht mitkommen und ich will Sie auch nicht in Verlegenheit bringen.“
Dankbar griff sie nach dem Rettungsanker. „Anderson ist ein guter Mann. Hat sich beim Kapern der Russen bewährt. Und wenn er das Gelände schon kennt, tja, und wenn er will, kann ich wohl nichts dagegen sagen. Na dann.“ Sie salutierte übertrieben, drehte sich auf dem Absatz um und ging.

„Ich bin einverstanden, Sir“, sagte der Private ernst.
„Ich habe dir noch gar nicht gesagt, was uns erwartet, Junge.“
„Das ist egal, Sir. Sie würden nichts Unmögliches von mir verlangen und ich schulde Ihnen persönlich was. Ich komme mit.“
„Auch wenn ich dir sage, dass du dich gut bewaffnen solltest?“
„Wie gut?“
„Unsichtbar, aber viel Munition und Feuerkraft.“
„Pistolen, Handgranaten, Messer. Habe verstanden, Sir. In einer halben Stunde?“
„In einer halben Stunde. Ach, und bringen Sie mir das gleiche mit, was Sie sich anhängen.“
„So schwer, Sir?“ Anderson nickte und ging ab.

Dave seufzte. Steel war schuld. Eindeutig. Steel war schuld. Und wie es der Zufall wollte, lief ihm der Mann schon über den Weg. Er trug wie so oft in letzter Zeit die feste Lederjacke, die er bei den Russen abgestaubt hatte. Dave hatte zwar stets verboten, die Privatsachen der Mannschaften zu plündern, aber die Jacke war gut verarbeitet und Steel hatte sie sich verdient. Armstrong hatte es damals auf sich beruhen lassen und würde es weiterhin auf sich beruhen lassen. „ERNST!“
Der junge Industrial wandte sich um. „Dave?“
Armstrong atmete tief durch. „Ehrlich gesagt komme ich mir fliegerisch immer kleiner neben dir vor. Ich meine, ich halse dir das Training aller Piloten auf, du meisterst es und ich bin aus dem Schneider, aber…Die Verantwortung gebe ich dir auch ab. Ich muss mich wohl wieder selbst stärker ins Training integrieren.“
„Das kannst du machen oder lassen. Schlechter als Pilot und Anführer wirst du deswegen nicht, Dave. Wäre das der Fall, hätte ich dich längst drauf hingewiesen.“
„Danke, Ernst, aber mit Lobreden ist es nicht getan. Ich werde die nächsten Tage stärker mit einsteigen. Ich wollte, dass du das weißt.“
„Ist in Ordnung. Ist deine Zigarre, deine Crew, deine Maschinen. Ich borge es mir nur von dir.“
„Schön, dass du es so siehst. Ach, Ernst. Was dein Spezialtraining angeht, ich habe mir überlegt, ob du mehr als zwei Staffeln trainieren kannst.“
Misstrauisch hob der Industrial eine Augenbraue. „Was?“
„Ich würde es gut finden, wenn wir mit den Piloten der anderen beiden Zigarren ein oder zwei Geschwaderübungen einlegen, spätestens auf Hawaii. Dann brauche ich jemanden, der einen klaren Blick für das Geschehen hat. Dich.“
Steel grinste freudlos. „Einerseits willst du mir Arbeit abnehmen, andererseits ein ganzes Geschwader aufhalsen. Hüte dich vor den Danaern, wenn sie Geschenke bringen.“
„Vielleicht kommt es ja auch ganz anders. Vielleicht sind die anderen Piloten waschechte Gunmen, die alleine fliegen und alleine sterben. Dann kommt es bestimmt nicht zu einer Geschwaderübung und du bist fein raus.“
Steel schnaubt abfällig. „Ha! Und die Tommies schmieren ihre Motoren ab sofort mit Rotz. Du wirst die anderen beiden Skipper doch so besoffen quatschen, dass sie dich hinterher als neuen Präsidenten der wieder gegründeten U.S.A. einsetzen wollen. Sie zu einer Geschwaderübung zu überreden sollte dir leicht fallen.“
„Spötter.“
„Ich meine es immer ehrlich und gut mit dir, Dave“, erwiderte der deutschstämmige Pilot grinsend.
„Fast immer und fast gut. Beim Frühstück hast du mir den letzten Beagle geklaut.“
Steel unterdrückte ein Auflachen. „Selber schuld. Vielleicht wirst du einfach langsam und alt?“ Mit einem lauten Lacher wich Steel Armstrongs gespieltem Schlag aus.
„Aus meinen Augen, du Verleumder. Wer wird hier alt?“
Steel grinste herüber, salutierte spielerisch und machte sich dann wie die anderen Piloten auf in die Stadt.

„Boss?“
„Was gibt es denn, Sam?“
Die kleine blonde Cheftechnikerin sah ihn aus großen, unendlich tiefen blauen Augen an. „Boss, ich habe gehört, dass…Ich meine, du…Vergiss, was ich gesagt habe.“
Die Texanerin wollte sich an ihm vorbei drücken, aber Dave legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sam, ich könnte jetzt ein paar aufmunternde Worte gebrauchen. Ich gehe gleich mit Anderson da raus, um ein paar Spuren aufzunehmen. Ich will ein wenig schnüffeln und sehen, was ich zutage fördere.“
„Schnüffeln? Was? Aber Norah meinte doch…“
„Es geht um Menschenhandel. Die LEVIATHAN macht das ganz gerne. Vielleicht kriege ich ein paar mehr Informationen zusammen, wenn ich jemanden auftreibe, der an Bord gewesen ist. Falls er noch sprechen kann.“ Dave schmunzelte. „Ich denke, in einem Bordell anzufangen ist keine schlechte Idee.“
„Ach so. Und ich dachte…Ich meine…“
„Sam. Meine aufmunternden Worte“, tadelte Dave.
Kraftvoll setzte die kleine Frau dem großen Deutschen einen Schwinger auf die Brust. „Du machst das schon. Nur nicht unterkriegen lassen. Und nicht vergessen: Nur wer zuerst schießt, kann was fragen.“
„Autsch“, brummte Armstrong. Aber in Wirklichkeit freute er sich. Sein Umgang mit Samantha wurde immer besser, immer routinierter, immer…Himmel, er begann schon sich bei ihr zu entschuldigen, wenn er in den Puff ging. Also, Anwärterin auf den Posten der großen Schwester war sie nicht. Aber was dann?

„Sir, ich bin so weit.“ Wortlos reichte Anderson dem Commander eine Leinenstofftasche.
„Danke, mein Junge. Es dürfte spät werden, Sam. Blue weiß Bescheid, also bleib nicht auf, um auf uns zu warten, ja?“
„Klar. Autogyro, Boss?“
„Nein, ich will mal mehr als fünfzig Meter am Stück in eine Richtung zurücklegen.“
„Dann viel Glück, Boss.“

**
Madame Rochefort ließ sie anstandslos ins La Fleure ein, obwohl es noch nicht einmal sechs Uhr abends war.
Sie begrüßte den Commander und Thaddeus Anderson überschwänglich wie alte Stammgäste.
Ha, gutes Benehmen machte sich eben öfters bezahlt als man annahm.
„Seien Sie mir sehr willkommen, Commander Stone, Private Anderson. Die Mädchen sind leider noch nicht fertig, aber wenn Sie warten wollen, begleiten Sie mich doch in den kleinen Salon und trinken etwas mit mir.“
Dave nickte und folgte dem Wink der Lady.
„Äh, ist Molly…“, begann der junge Marine zögerlich.
„Unser Spätzchen macht sich auch gerade fertig. Sie wird richtig aufgeregt sein, wenn sie hört, dass Sie beide hier sind. Wir haben so vieles über die NORTH STAR gehört, vor allem von den weißen Russen. Die lassen den Commander und den Zeppelin regelmäßig hochleben. Und Molly ist richtig verrückt nach diesen Geschichten.“ Die Dame seufzte. „Wenn das so weitergeht, verliere ich sie noch.“
Anderson wurde rot. Und das aus mehrerlei Gründen.

„Ich bin heute nicht zum Vergnügen hier, Ma´am“, eröffnete Armstrong im Salon, während er an einem erfrischenden Cherry nippte.
„Das habe ich mir schon gedacht, Sir. Nicht wenn Sie so früh kommen. Nicht wenn Sie zwei so viele Waffen bei sich tragen. Sind das Bowies oder Ka-Bar-Messer?“
Bedächtig zog Armstrong eine der Klingen unter der Fliegerjacke hervor. „Ka-Bar. Ich habe mir sagen lassen, dass man mit ihnen jede Kehle durchschneiden kann.“
Madame Rochefort nickte. „Ich dachte es mir. Sie sind mit einer kleinen Gruppe unterwegs. Kommando. Unauffällig. Und bei mir suchen Sie Informationen. Schauen Sie nicht so überrascht drein, Thaddeus. Ich war nicht immer Mutter meiner Mädchen. Im Großen Krieg habe ich meinem Land als Agentin gedient. Und danach gab es irgendwann kein Land mehr, und…Sie verstehen doch sicherlich, dass ich mir erst anhöre was Sie von mir wissen wollen, Commander, bevor ich darauf antworte?“
Dave nickte verstehend. Er erhob sich, ging zu einer Wand und maß an ihr vier Meter mit Schritten ab. „Ich denke, der Schwanz sollte nach hier, und der Kopf in diese Richtung. Das Maul gespreizt. Hm, das dürfte gut aussehen.“
„Wovon sprechen Sie, Commander?“
„Von dem Eisbären, den ich Ihnen schenken werde, Ma´am. Ich habe nicht viel Ahnung von der Jagd und vom Kürschnern, aber er ist schneeweiß und als unter dem Fell noch ein ganzer Bär steckte, wog er sicherlich seine tausend Pfund. Ein Monster, wenn Sie mich fragen.“
„Ein Eisbärenfell?“ Sie klang amüsiert. „Frauen erwarten normalerweise Schmuck oder Blumen als Mitbringsel.“
„Sie wollen es nicht?“, frage Dave mit enttäuschter Stimme.
„Nun reden Sie schon, was wollen Sie von mir, Commander?“, erwiderte sie mit einem leisen Lachen.

Dave setzte sich wieder. „Ich entschuldige mich schon jetzt für meine Frage. Was wissen Sie über Sklavenhandel?“
„Wenn Sie damit andeuten wollen, dass meine Mädchen etwa…“
„Nein, Ma´am, sicherlich nicht. Das La Fleure ist ein anständiger Laden. Aber es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn Sie nicht etwas zu diesem Thema mitgekriegt hätten. Gewollt oder ungewollt.“
„Das stimmt in der Tat“, räumte sie ein. „Es gibt einen kleinen, florierenden Sklavenhandel in der Stadt. Manche der Bordelle versorgen sich so, ab und zu verschwinden auf diesem Weg ein paar Geiseln, für die kein Lösegeld bezahlt wurde. Und wie bei uns, gibt es da viele kleine Abstufungen in der…Ah, nennen wir es Qualität. Welche Qualität suchen Sie, Commander?“
„Die geringste, Ma´am.“
„Irgendwie habe ich diese Frage geahnt. Entschuldigen Sie, Commander, aber mit diesen Informationen kann ich nicht dienen. Selbst in dieser Stadt gibt es einen Bodensumpf, der so klebrig und stickig ist, dass die meisten Bürger ihn meiden. Oder es zumindest vorgeben.“
Armstrong erhob sich. „Dann tut es mir Leid, dass ich Ihre Zeit in Anspruch genommen habe. Es ist genau dieser Bodensatz, den ich suche.“ Er ergriff die Hand der Madame und hauchte einen Kuss auf den Handrücken. „Ich lasse Ihnen das Fell morgen bringen. Einige meiner Marines sind Stammkunden bei Ihnen. Tad, verabschiede dich und komm.“
„Ja, Sir.“
„Commander, warten Sie. Ich kann Ihnen nicht helfen, aber vielleicht Millard.“
„Millard?“
„Ein Haitianer. Er…er macht in Schuldverschreibungen. Er steckt nicht unbedingt im Sklavenhandel drin, aber er ist nahe dran. Vielleicht kann er Ihnen helfen.“
„Das klingt interessant, Ma´am.“
„Ich sage Greg Bescheid, er soll sie zwei rüberbringen. Was man nicht alles tut für ein Eisbärenfell.“
Dave grinste schief. „Danke, Ma´am.“
„Was man nicht alles tut für Helden“, tadelte sie. „Und Sie, junger Mann, sollten sich die Tage mal blicken lassen, wenn Sie schon hier aufkreuzen und gleich wieder gehen, ohne Molly zu treffen. Das Mädchen wird so enttäuscht sein.“
„Jawohl, Ma´am“, murmelte der Marine betreten.

**
Greg erwies sich als drahtiger kleiner Bursche mit breiter Zahnlücke und einem ewigen Dauergrinsen. Zudem führte er die beiden Männer von der NORTH durch den beginnenden Trubel so sicher wie Blue die Zigarre nach Sky Haven.
Das war alles bemerkenswert – für einen Zwölfjährigen.
Sie überquerten drei Brücken und wechselten einmal die Etage nach unten.
„So, das hier ist Millards Haus. Soll ich auf Sie warten und noch woanders hinbringen, Commander?“
Dave schmunzelte, griff in seine Hosentasche und holte eine paar Dollarscheine hervor.
„Hier. Fürs bringen. Und sieh zu, dass du wieder nach Hause kommst.“
„Och, Geld. Haben Sie keine Süßigkeiten, Sir?“
„Damit du noch mehr Zähne verlierst?“, scherzte Armstrong.
„Ich bin doch erst zwölf!“
„Nun geh schon. Vielleicht bringe ich dir nächstes Mal was mit.“
Der Junge grinste breit und sprintete dann los. Er war zweifellos hier aufgewachsen und hatte bisher überlebt. Er würde noch sehr viel länger leben und sich hier durchschlagen, erkannte Dave.

Der Commander und der Marine wechselten einen entschlossenen Blick. Da öffnete sich die Tür und eine junge Schwarze lächelte sie freundlich an. „Sie wollen den Meister sprechen? Treten Sie ein, treten Sie ein, er erwartet Sie.“
Nach einem simultanen Schulterzucken betraten sie das Haus und folgten der sittlich gekleideten jungen Frau.
„Das habe ich mir hier drin anders vorgestellt“, flüsterte Anderson.
„Kommen Sie, hier entlang bitte.“
Die junge Frau führte sie in einen abgelegenen hinteren Raum, der wie ein Büro eingerichtet war – und es sicherlich auch war.
Hinter dem obligatorischen Schreibtisch saß ein Mann, ein hagerer alter Mann, dem man die Herkunft als Mestize ansah. Sein harter französischer Akzent tat den Rest. Das musste der Haitianer sein.
„Ünd wenn isch dir sage du musst liefern, dann liefere! Ischabe bestellt und vorab bezahlt! Vier Frauen, nischt drei! Vier, `ast du verstanden? Du `ast Zeit bis Mittwoch!“
Wütend legte der Mann auf. Es vergingen ein paar Sekunden, in denen er sich sammelte. Dann sah er zu Armstrong und Anderson hoch und lächelte. „Bitte, meine Herren, nehmen Sie doch Platz. Was kann ich für Sie tun?“
Dave sah kurz zur jungen Frau zurück, die in der Tür geblieben war. Ihre Rechte hatte sie auf den Rücken gelegt, Dave vermutete eine Pistole.
„Sir, Madame Rochefort hat Sie uns empfohlen. Wir brauchen Informationen über den Sklavenhandel.“
„Sklaven´andel!“ Der hagere Alte sprang auf. „Sklaven´andel! Ich beschäftige misch nischt mit Sklaven´andel! Ich beschäftige misch mit Leibeigenen, mit langfristigen Schuldverschreibungen, mit Lösegeldtransfers, mit Arbeitsvermittlung zur langfristigen Schuldentilgung. Aber nischt mit Sklaven´andel!“
Langsam setzte er sich wieder. „Okay. Vielleischt doch. Ein wenig. Wenn isch gute Ware bekomme. Aber Sie müssen verstehen. Jemand der eine Schuld abarbeitet ist effizienter als jemand der den Rest seines Lebens als Sklave dienen müss. Ein unattraktiver Job.“
„In der Tat. Aber dennoch scheint ihn jemand zu organisieren“, wandte Dave ein.
„Ja, in der Tat. Es gibt da einige schwarze Schafe im Gewerbe, die…Nun, das sind Insiderinformationen, Sie verstehen, meine Erren?“
Dave griff in die Innentasche seiner Jacke und zog ein paar Zwanzig Dollar-Noten hervor. „Sagen Sie einfach stopp, Monsieur Millard.“
„Isch abe eine bessere Idee. Wissen Sie, was isch mit Sklaven´andel verbinde? Geiseln, für die niemand Lösegeld bezahlt, Menschen, die zur Belustigung einer Piratencrew an Bord genommen werden um ihnen gefügig zü sein und verkauft werden, wenn sie nischt mehr lüstig sind. Schleschte Ware, sehr schleschte Ware. Natürlisch gibt es auch hier Abstufungen. Für welsche interessieren sisch die Erren?“
„Für die Abstufung, welche Ware einnehmen würde, die, hm, beispielsweise von der LEVIATHAN kommen würde.“
Der alte Mann sah die beiden entsetzt an. Die junge Negridin an der Tür keuchte erschrocken auf.
„Das ist nischt Ihr Ernst.“ Der alte Haitianer sah sie zweifelnd an. „Sie würden nischt an so etwas denken, wenn Sie auch nur einmal einen Menschen gese´en `ätten, der von der LEVIATHAN verkauft wurde!“
„Also gibt es Sklaven von der LEVIATHAN in der Stadt.“
„Ja, und nur die abgerissensten und dreckigsten, der Abschaum im Gewerbe verkauft sie.“
Dave zählte einhundert Bucks auf den Schreibtisch des Alten. „Ich habe Fragen über die LEVIATHAN. Werden diese Menschen in der Lage sein, mir diese Fragen zu beantworten?“
Der alte Haitianer strich die Scheine ein. „Einer oder zwei. Vielleischt, wenn nischt Zähne und Zunge entfernt wurden.“
Entsetzt keuchte Anderson auf.
„Ruhig, Tad. Monsieur, was würde passieren, wenn jemand, sagen wir, diesen Abschaum im Gewerbe hochnehmen würde?“
„Nischt viel. Irgendwann würde jemand Abgerissenes diese Lücke füllen. Es ist keine wertvolle Ware, sie erregt keine Begehrlischkeiten. Also auch keine Aufmerksamkeit.“
„So“, meinte Dave zufrieden. „Sie haben mir sehr geholfen. Können Sie mir vielleicht noch einen Namen oder eine Richtung geben?“
„Antoinette!“ Die junge Frau trat hinter den Schreibtisch. „Meine Enkelin wird Sie so nahe wie möglisch `eranbringen. Der Rest liegt bei Ihnen beiden.“
„Ich danke Ihnen. Ist das im Geld mit drin, oder kostet das extra?“
„Es reischt schon, wenn Sie auf eine der Kügeln meinen Namen ritzen, si´il vous plait.“
Armstrong nickte.

**
Eine halbe Stunde später standen die beiden Männer an einem der kleinen Flugfelder, die eher privat oder überhaupt nicht mehr genutzt wurden.
Antoinette hatte sie so weit gebracht bis sie auf einen der Holzschuppen deuten konnte, um jeden Zweifel auszuschließen und war dann grußlos gegangen.
Nun überprüften die zwei ihre Waffen, den Sitz der Handgranaten, der Reservemagazine und der Messer.
„Wie gehen wir vor?“
„Es gibt keine Wachen, Tad. Aber aus einem der vernagelten Fenster bricht Licht hervor. Ich denke, ich lasse einfach mal etwas von dem Frust ab, den ich seit Seattle habe.“
Entschlossen lud Dave beide Pistolen durch. „Wir töten alles, was eine Waffe in der Hand hält.“
„Guter Vorschlag.“

Sie schlichen an die Holzhütte heran, beide in Sichtweite des anderen. Sich hier zu trennen hätte nur zu Unsicherheiten geführt. Dave warf einen Blick durch den Holzspalt. Dann zeigte er mit vier Fingern an, wie viele Gegner sie erwarteten.
Leider machte er den Fehler, neben dem Holzspalt zu atmen. Er unterdrückte so gut er konnte den Hustenanfall, den der beißende Gestank bei ihm auslöste. Hielten die da drin eine Rinderherde? Diese Schweine.
Sie kamen zur Vordertür, der einzigen Tür, Dave maß sie mit Blicken ab und kam zu dem Entschluss, dass er sie eintreten konnte.
Er wies Anderson an, vorzugehen, nachdem die Tür eingetreten war. Er würde den Mann sichern. Dann zählte er lautlos von drei herab.

Die Tür brach aus dem Schloss, flog krachend aus der Angel. Anderson riss beide Pistolen hoch, feuerte gleichzeitig zwei Schüsse ab.
Dave hechtete in den Türrahmen, sicherte seinen Mann.
Anderson gab erneut zwei Schüsse ab, dann ging er ein paar Schritte vor. Er sah um die nächste Ecke und bedeutete Armstrong zu folgen. Nun ging Dave voran, ließ sich von dem Marine sichern.
Der Schuppen bestand aus einem großen Raum, in das eine Art Büro und ein hinterer Schlafraum eingefügt waren. In der Bude herrschte ein übler Gestand nach Schweiß, Exkrementen und Blut. Drei Männer lagen tot am Boden. Anderson hatte schnell und sicher geschossen.
Dave trat die Tür zum Büro auf, schnellte zur Seite und duckte sich, nur für den Fall das jemand wusste, dass man Holzwände durchschießen konnte. Aber es geschah nichts.
Anderson kam langsam herum, sicherte und Dave ging in den Raum. Tatsächlich ein Büro, aber leer.
Der hintere Raum. Gleiche Prozedur.
Nur diesmal zwitscherte ihm eine Kugel entgegen.
„Haut ab, Drecksäcke!“
Ein stinkender Fettsack stand auf der anderen Seite, nur mit einer Hose bekleidet und in der Hand einen Colt. Dessen Mündung ruhte nun auf dem Gesicht von etwas, was vor den intensiven Misshandlungen mal eine Frau gewesen sein musste. Sie war halbnackt und der sichtbare Oberkörper wies weitere Spuren von Misshandlungen auf. „Die Kleine stirbt, wenn ihr euch nicht verpisst!“
Dave wechselte einen schnellen Blick mit Anderson. Der nickte.
Also zog Armstrong eine Handgranate hervor und warf sie in den Raum.
„Was zum…?“, klang die überraschte Stimme des Bärtigen auf, während seine Augen der Granate folgten. Dabei nahm er die Waffe leicht herab, eine Situation, die Anderson schamlos ausnutzte. Der Bärtige sank tot zu Boden, während die Frau wimmernd aus dem Zimmer kroch.
Anderson sicherte und Dave trat ein. Dabei klaubte er die Handgranate wieder auf, deren Stift nicht gezogen war. Pech.
Mehrere ungemachte und zum Teil benutzte Betten standen hier, aber er sah keine weiteren Menschen.
Dave steckte eine der Pistolen fort. „Miss, können Sie aufstehen?“
Die Frau sah ihn verständnislos an. Ängstlich krümmte sie sich an die Wand gelehnt zusammen.
„Miss, waren das alle?“
Sie schüttelte den Kopf und nickte in Richtung Raummitte.
„Thaddeus.“
Der Marine nickte und nahm wieder Sicherungsstellung ein. Tatsächlich, eine Bodenklappe.
Dave riss sie hoch und sprang automatisch zurück, bis die Wand ihn stoppte. Ein Schwall unerträglichen Gestanks schlug ihm entgegen. Erst langsam arbeitete er sich wieder zu der Klappe vor. „Licht.“
Anderson entzündete eine Petroleumlampe und reichte sie seinem Commander, während er sicherte.
Dave leuchtete die Tiefe aus. Es war eine Art Keller, keine drei mal drei Meter groß. Und in diesem Keller… „Oh mein Gott. Lebt da unten noch jemand?“
„Sir“, sagte der Marine mit stockender Stimme, „wäre es nicht gnädiger, wenn wir einfach unsere Handgranaten da runter werfen?“ Die Stimme des Texaners war nur wenig von hysterisch entfernt.
Dave schüttelte den Kopf und betrat langsam den Keller. Vorsichtig ging er hinab, vor allem um nicht auf dem Erbrochenen und den Exkrementen auszurutschen. Ja, so stellte er sich den Vorhof der Hölle vor. So stellte er sich die LEVIATHAN vor.
Er zählte fünf Körper. „Lebt hier noch jemand?“
Abgesehen vom Gestank wartete hier unten eine Aura der Gebrochenheit auf ihn, der Ergebenheit und des Wartens auf den Tod. Wie lange waren diese Menschen schon hier unten? Da hatte die geprügelte und vergewaltigte Frau da oben ja noch Glück gehabt.
„Ich suche jemanden, der mir etwas über die LEVIATHAN sagen kann.
Aber ich verspreche, ich hole jeden hier raus, auch wenn keiner was darüber sagen kann.“
Er sah in gebrochene Augen. Auch wenn diese Menschen atmeten, irgendwie schienen sie schon tot zu sein.
Kurz entschlossen zog er die andere Pistole wieder, lud ein neues Magazin und drückte sie dem erstbesten in die Hand. „Ich weiß nicht was hier passiert ist. Ich weiß nicht, ob man es jemals vergessen kann. Aber ich gebe jedem die Chance zu wählen. Ich warte zehn Minuten.“

Oben setzte sich Dave an die nächste Wand. Ein Schuss bellte auf. Er zuckte nicht weniger zusammen als die misshandelte Frau, die sich nun in die Reste dessen wickelte, was einmal ihre Bluse gewesen sein musste.
Dann fiel ein zweiter Schuss, und Anderson, der die Tür bewachte, wirkte, als wäre jede Kugel auf ihn abgefeuert worden. Sein Gesicht war aschfahl.
Schließlich fiel ein dritter Schuss, danach war Ruhe.
Dave wartete die versprochenen zehn Minuten ab, bevor er erneut herab stieg.
Dort erwartete ihn der Blick in die Mündung seiner eigenen Waffe. Der Eigentümer der Hand, die sie hielt, hustete mehrfach. Danach fragte er: „Was…wollen Sie…von…der LEVI…“
„Alle töten“, sagte Dave tonlos.
Der Mann lachte leise, wurde von einem Hustenanfall geschüttelt und legte die Waffe auf den Boden. „Willichsehn“, beschloss er und versuchte sich aufzurichten.
Dabei zog er etwas mit sich auf die Beine, was man mit etwas Phantasie als Frau bezeichnen konnte. Dave sah sich kurz um. Die anderen drei hatten sich erschossen.
„Wir hätten Arthur mitnehmen sollen“, murmelte Dave betroffen. Er hatte es sich nicht so schlimm vorgestellt. Schlimm, ja, aber nicht so schlimm.

**
Eine Stunde später waren die drei Überlebenden notdürftig zusammengeflickt und so gut es ging gesäubert worden. Dave hatte alle Petroleumlampen geleert und ein paar Handgranaten in die Holzhütte geworfen. Nun brannte die Hütte wie ein kleines Freudenfeuer lichterloh.
Anderson starrte mit starren Augen in die Flammen. „War das eine Heldentat, Commander?“
„Nein, es war etwas, was längst überfällig war und wir getan haben. Kommen Sie, Tad, Sie haben sich was von meinem Whisky verdient.“
07.04.2020 08:27 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Steel musterte den Jungen düster, der vor ihm stand und sich wohlweißlich außerhalb seiner Reichweite hielt: „Wenn du eine Nachricht für mich hast, dann gib sie mir gefälligst!“
„Nicht umsonst, Chef. Das sollte dir schon ein paar Greenbucks wert sein. Komm schon, du hast doch genug Geld. Ich dachte, ihr Piraten seid großzügiger.“
„Ich stehe nicht auf Jungen.“ Aber dann warf der hoch gewachsene Deutsche dem Jungen doch ein paar Dollar zu, und erhielt dafür ein unscheinbares, zusammengefaltetes Papierstück. Steel warf einen schnellen Blick auf die Nachricht, dann hatte er auch schon ein Feuerzeug in der Hand, und zündete das Papierstück an.
„Willst du, dass ich für dich auch `ne Nachricht weiterleite, Chef?“
Steel grinste sarkastisch: „Ich bin nicht sicher, ob ich mir deine Tarife leisten kann. Und Freundchen, ich traue dir nicht. Also verschwinde einfach, O. k?“
Der Junge zuckte mit den Schultern und machte sich davon. Steel sah ihm noch einen Augenblick hinterher. Sein Gesichtsausdruck war nicht gerade freundlich. Er hielt wenig davon, Halbwüchsige als Kuriere zu benutzen, aber das hier war nun einmal Elisabeths Revier – und wie er inzwischen wusste, reagierte sie etwas empfindlich auf Kritik an ihrem Arbeitsstil. Genauso wie auf den Versuch, sie zu einer vorsichtigeren Vorgehensweise anzuhalten.
Nun ja, sie war eben Irin – und außerdem wollte sie vermutlich etwas beweisen. Es gab nur wenig Standortagentinnen, und noch weniger in Elisabeths Alter.
Er hatte allerdings sowieso in den letzten Tagen wenige Chancen gehabt, sie zu sehen. Elisabeth spürte dem Mungo hinterher, hoffentlich vorsichtig, und er selber hatte einiges zu tun. Wenn sie schon wieder eine der verrückten Ideen verwirklichen sollten, die in den whiskygetränkten Gehirnen der texanischen Stabschefs entstanden waren, in Steels Augen eine Bande geistig minderbemittelter Größenwahnsinniger, die offenbar unbedingt im Kreis der Großmächte mitspielen wollten, dann mussten Maschinen und Piloten der NORTH STAR in Topform sein. Von Stahlheim empfand nur bedingt Loyalität für die Männer und Frauen an Bord des Kaperers, aber er hasste Verschwendung. Außerdem ging es natürlich auch um seine eigene Haut. Und seine eigene Mission.

Was ihm Elisabeth mitzuteilen hatte, war nicht viel. Die Nachricht war nur recht einfach verschlüsselt gewesen, immerhin so, dass ein unbefugter Leser vielleicht misstrauisch werden konnte, aber wohl kaum den Sinn der Worte verstand:

- zwei Fernrohre und zehn Rationen Kraftnahrung
- Termin noch ungewiss
- Adresse für Lieferung noch unbekannt

Diese Worte verhießen nichts Gutes. Elisabeth war bei ihren Nachforschungen anscheinend auf die Tatsache gestoßen, dass zwei Scharfschützengewehre und zehn Kilogramm militärischen Sprengstoffs in Sky Haven an jemanden gegangen waren, der vielleicht der Mungo war.
Natürlich war sich von Stahlheim klar, dass Elisabeths Ermittlungen in einer Stadt wie Sky Haven der Suche nach einer Nadel in einem Heuhaufen glichen – hier wurden ständig Waffen, Munition und anderes Kriegsgerät verkauft, angeboten und umgeschlagen.
Deshalb hatte sie auch gar keine Chance gehabt festzustellen, wann ein möglicher Anschlag des Mungos erfolgen sollte, wer das potentielle Ziel war, oder wo sich der Attentäter eigentlich aufhielt.
Und von Stahlheim selber konnte nichts tun. Außer sich vorzustellen, was ein Mann wie der Mungo mit einem Scharfschützengewehr und militärischem Sprengstoff alles anrichten konnte. Die Möglichkeiten waren mehr als nur beängstigend. Aber von Stahlheims Hände waren gebunden. Solange es keine Spur gab, die man verfolgen konnte, solange konnte er nur wenig tun. Nur die Augen aufhalten, wachsam sein – und hoffen, dass Elisabeths Netzwerk erfolgreich war. Und sie selber vorsichtig…

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Einige Stunden später

Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, aber Sky Haven schlief nicht. Nur partiell verlangsamte sich der hastige, ungeduldige und oft brutale Pulsschlag der Freibeuterstadt, während er an anderen Stellen umso schneller, hektischer – und oft auch blutiger - schlug.
Dennoch bot die Nacht auch jenen Schutz und Deckung, die bei ihrem Tun nicht beobachtet werden wollen. Der Mungo war auf der Pirsch. Lautlos, unauffällig und zielstrebig wie eine Schlange bewegte sich der Attentäter im Mantel der Dunkelheit in den unbeleuchteten Seitenstraßen und an den Rändern der Stadt. Gewiss, so verlor er Zeit, brauchte zwei Stunden für einen Weg, der normalerweise weniger als eine gedauert hätte, aber er hatte es nicht eilig. Zeit sparte Blut.
Außerdem wollte er gerade jetzt nicht auffallen. Der Sprengsatz war zwar so kompakt wie möglich gebaut, aber zehn Kilogramm Sprengstoff und der Zünder ergaben zusammen doch ein beachtliches Paket, und der Mungo beabsichtigte nicht, sich damit von irgendjemand sehen zu lassen.
Dann hatte er endlich sein Ziel erreicht – einen der „Flughäfen“ der Stadt. Hier lag die NORTH STAR, davon hatte er sich in den zwei vorherigen Tagen überzeugt. Gleichzeitig hatte er auch die Sicherheitsvorkehrungen und Bewegungen auf dem Gelände erkundet. Wie alle anderen Einrichtungen in dieser Stadt, war der Flughafen in Privatbesitz, und wurde von bewaffneten Wachleuten beschützt – der übliche Abschaum, den man in dieser Stadt finden konnte. Den meisten dieser Leute fehlte eine gute Ausbildung, die nötige Professionalität und Disziplin, aber sie waren dennoch nicht zu unterschätzen.
Aber man konnte sie überlisten. Den Wachleuten fehlte zum Beispiel der Enthusiasmus und ihren Offizieren die Phantasie, um unregelmäßige Patrouillen und variierende Routen zu etablieren. Meistens waren die Wachleute alleine unterwegs. Man hatte auf Wachhunde verzichtet, und die Männer auf den zwei Wachtürmen ließen die Scheinwerfer in regelmäßigen, voraussehbaren Bahnen über das Gelände kreisen.
Der Attentäter wusste, er konnte dies schaffen – wenn er schnell handelte, entschlossen, leise – und mit einem präzisen Zeitplan.

Er trug eine schwarze Kombination, hatte sein Gesicht und die Hände geschwärzt. An den Füßen trug er leichte Sportschuhe mit weichen Sohlen. Er machte nicht mehr Geräusche als eine Katze.
Der Mungo wartete, bis der Scheinwerfer des nächsten Wachturms über den rostigen Drahtzaun gewandert war, der das Landefeld begrenzte. Dann robbte er lautlos zum Zaun, in den Händen bereits die kleine Drahtschere. Binnen Sekunden hatte er eine Öffnung geschaffen, zwängte sich unter dem Zaun hindurch und bog den Draht anschließend wieder zurück. Wenn man die Stelle nicht sehr eingehend untersuchte, würde man gar nicht bemerken, was hier geschehen war.
Dann sprang er lautlos auf die Beine und eilte geduckt zu einem der riesigen Hangars, die normalerweise einem Zeppelin Schutz boten. Dieser Luftschiffhangar aber war leer, er hatte das überprüft. Der Mungo duckte sich, an die Wand des Hangars gepresst.
Da war auch schon die Patrouille – zehn Sekunden zu spät. Der Attentäter wartete, bis der Mann vorbei war, dann huschte er weiter. Er lag gut im Zeitplan. Und die Wachposten patrouillierten vor allem am Rande des Geländes, sie sollten vor allem das Eindringen verhindern. Hatte man erst mal diese Linie überwunden, dann war man relativ sicher…
„Du da – Halt!“ Der Attentäter hielt abrupt inne, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Nur seine Augen bewegten sich, suchten nach dem Sprecher. Der tauchte jetzt aus dem Schatten des Hangars auf. Der Mann entsprach nicht gerade den Erwartungen des Mungos – es war ein vielleicht vierzigjähriger Mann, gekleidet in der üblichen Mischung aus zivilen und militärischen Kleidungsstücken, abgenutzt und mit Schmierölrückständen verschmutzt. Der Mann war offenbar Techniker, hielt jetzt aber einen schweren, sechsschüssigen Colt Kaliber 40 in der Hand. Auf seinem bärtigen Gesicht lag ein hässliches Grinsen: „Wolltest wohl auch `n bisschen nassauern, was? Aber das hier ist mein Revier! Ich lass mir mein Geschäft nicht von so einem Clown wie dir vermiesen!
Hände hoch! Hinter den Kopf! Eine falsche Bewegung, und ich knall dich ab!“
Der Attentäter befolgte widerspruchslos diese Aufforderung, stand breitbeinig, ein wenig gebückt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Da der Techniker in seinem Rücken stand, konnte er das Gesicht des Mungos nicht sehen. Hätte er es gekonnt, hätte er den ausdruckslosen, unheimlich kalten Gesichtsausdruck auf dem Gesicht seines Gefangenen bemerkt, er wäre vielleicht vorsichtiger gewesen. Aber so sah der Mann nur einen gehorsamen Gefangenen, der zudem nicht einmal bewaffnet zu sein schien.
„Was soll überhaupt dieser affige Aufzug? Glaubst du etwa, ich seh’ dich so nicht? Und was hast du da eigentlich auf dem Rücken? Wohl schon was abgegriffen? Na das will ich doch mal sehen! Hier mach nur ich Geschäfte!“ Der Techniker trat näher an seinen Gefangenen heran, griff nach dem Rucksack. Der Mungo drehte den Kopf leicht zur Seite: „He, komm doch, Kumpel! Wir sind doch quasi Kollegen! Wir machen Halbpart…“
„Schnauze, du Ratte! Jetzt stelle ich die Bedingungen! Hier habe ich das Kommando!“ Der Techniker schlug seinem Gefangenen den Lauf des Colt gegen den Kopf. Auf diese Gelegenheit hatte der Mungo nur gewartet. Sein Ellbogen bohrte sich mit einem widerlich knirschenden Geräusch in die Kehle des Technikers. Der riss den Mund auf, aber statt einem Schrei drang nur ein dumpfes, röchelndes Stöhnen aus seinem Mund. Noch in der Drehung trat der Mungo dem Taumelnden die Waffe aus der Hand. Dann packten die Hände des Attentäters den Kopf des Technikers. Ein schneller Ruck brach dem Mann das Genick.
Vorsichtig ließ der Mungo die Leiche zu Boden gleiten. Der Attentäter atmete nicht einmal schneller, und sein Gesicht blieb ausdruckslos, während er wachsam in die Dunkelheit lauschte. Nein, der Mann war alleine gewesen, zweifelsohne um seine eigenen krummen Geschäfte zu tätigen. Niemand hatte etwas gemerkt. Der Attentäter warf dem Leichnam einen verächtlichen Blick zu: „Idiot.“
Dann packte er den Toten unter den Achseln und schleifte ihn weg. Fünf Minuten später war er wieder auf dem Weg, nach weiteren drei Minuten hatte er sein Ziel erreicht.

Jetzt, um drei Uhr nachts, lag das riesige Zeppelin wie verlassen da. Aber das täuschte, wie die meisten Kaperer verließ sich dieser David Stone nicht auf die privaten Sicherheitsleute des Flughafens. Zwei Marines bewachten das Luftschiff. Niemand sollte sich an Bord, oder gar zum Flugzeughangar schleichen können. Aber das war auch gar nicht das Ziel des Mungos.
Es kostete ihm fast zehn Minuten, sich heranzuschleichen. Er kannte diesen Zeppelintyp, hatte die technischen Daten und den Grundriss eingehend studiert. Seitdem die meisten Zeppeline auf Helium umgerüstet worden waren, war es nicht mehr so einfach wie früher, ein Zeppelin zu sabotieren. Bei den Wasserstoff-Luftschiffen hatte schon ein Funke an der richtigen Stelle genügt, um das Zeppelin in ein brennendes Inferno zu verwandeln. Aber auch ein mit Helium gefülltes Luftschiff hatte seine Schwachstellen.
Die NORTH STAR war für Langstreckenflüge ausgelegt. Zudem hatte sie verhältnismäßig viele Flugzeuge an Bord. Und diese beiden Tatsachen hatten zur Folge, dass immense Mengen Treibstoff an Bord waren - Flugbenzin. Zwar waren die Tanks vermutlich nicht randvoll, aber das machte die Sache nur noch schlimmer. Denn das bedeutete, dass sich in den Treibstofftanks auch hochexplosive Benzindämpfe gebildet hatten. Zehn Kilogramm militärischen Sprengstoffs waren mehr als genug, um den nächsten Flug der NORTH STAR in einen Flug ohne Wiederkehr zu machen.
Keine fünfzehn Minuten später war der Mungo wieder im Dunkel der Nacht verschwunden, ohne dass die Marines auch nur etwas von seiner Anwesenheit ahnten. Jetzt brauchte er nur noch zu warten…
07.04.2020 08:28 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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