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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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Themenstarter Thema begonnen von Tyr Svenson
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Einige Tage später

Nachher wusste von Stahlheim nicht einmal genau, was seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. An der kleinen Gruppe Menschen bei dem leer stehenden Hangar war wirklich nichts Ungewöhnliches. Einige Techniker, ein paar Matrosen, Wachleute. Sie waren auch nicht besonders laut. Aber vielleicht war es gerade dass, was seine Aufmerksamkeit weckte – eine besondere Spannung, die in der Luft lag, die er schon ein paar Mal gefühlt hatte. Die Anspannung der letzten Tage, dass Wissen darum, dass ein Mann wie der Mungo in der Stadt war, sich unsichtbar und lautlos durch Sky Haven bewegte, wie ein Hai in der offenen See, hatten von Stahlheim etwas dünnhäutig werden lassen. Ein paar Mal wäre er beinahe in die Luft gegangen – die anderen Mitglieder seiner Staffel gingen ihm so gut es ging aus dem Weg.

Die Männer und Frauen bemerkten von Stahlheim zuerst gar nicht. Ihre Aufmerksamkeit war auf wichtigere Dinge gerichtet.
„Was ist los?“
Auf diese Frage drehte sich einer der Wachleute um, ein hagerer, hoch aufgeschossener Blondschopf, an dessen Seite eine abgesägte Schrotflinte baumelte: „Wer will das wissen?“
„Ich.“ Die Stimme des deutschen Agenten klang weder laut noch aggressiv. Aber gerade das völlige Fehlen irgendwelcher Emotionen ließ sie umso bedrohlicher wirken. Der Wachmann sah den Neuankömmling an, registrierte das geöffnete Pistolenhalfter, den kalten, abschätzenden Blick.
„Was geht es dich an, verdammt?“
„Wir haben hier immerhin unsere Zigarre liegen. Wenn es Ärger gibt, dann will ich es verflucht noch mal wissen, Idiot.“
Der Wachmann war sich bewusst, dass sich die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden inzwischen auf das Streitgespräch fokussierte. Deshalb machte er auch keinen Rückzieher: „Du kannst mich mal am Arsch lecken!“
Der andere grinste zynisch: „Das mach ich lieber bei deiner Frau.“
Damit hatte er ein paar Lacher auf seiner Seite, wenn auch unbehagliche – einige fragten sich wahrscheinlich, ob es zu einer Schießerei kommen könnte. Beide Männer waren bewaffnet, keiner wollte zurückweichen.
„Das reicht!“ schaltete sich der zweite Wachmann ein, ein untersetzter Schwarzer: „Wenn ihr scharf aufeinander seid, dann macht das woanders aus! Wir haben hier Wichtigeres!“
Der Neuankömmling musterte ihn kurz, dann grinste er wieder, reichlich humorlos, und hob die rechte Hand beschwichtigend: „Lass mal stecken, Sheriff. Also was ist hier los?“
Der schwarze Wachmann warf seinem Kollegen einen kurzen Blick zu, signalisierte ihm, ebenfalls den Frieden zu halten, und wandte sich wieder Steel zu: „Es hat einen von unseren Technikern erwischt.“
Aus der Gruppe der anwesenden Techs ertönten halblaute Protestlaute.
„Na ja, er war mal einer von unseren Techs. Pieter hat zu viele krumme Dinger gedreht, hat sich an der Ladung von Kunden vergriffen. So was ist schlecht für den Ruf. Er hatte verdammtes Glück, dass ihn deswegen niemand kaltgemacht hat.“
Der erste Wachmann schnaubte abfällig: „Na wie’s aussieht, hat’s dann eben doch einer getan.“
Einer der Techs meldete sich zu Wort: „Ich glaub eher, das Arschloch wollte noch ein Ding drehen bevor er sich absetzt, und hat sich mit den falschen Typen eingelassen.“
Der schwarze Wachmann schnaubte abfällig: „Und die legen ihn dann mitten auf dem Flugplatz um, statt sich ein etwas weniger sensibles Terrain dafür auszusuchen?
Wie du siehst, Fremder, war Pieter allgemein beliebt, dieser Schwachkopf. Von welcher Zigarre kommst du überhaupt?“
„NORTH STAR.“
„Ach so. Der tollkühne Stone und seine fliegenden Kisten.“ Der Wachmann schnaubte verächtlich. Das schien aber sein Gegenüber nicht besonders zu stören.

„Wir vermissen jedenfalls nichts…“ mit diesen Worten beugte sich von Stahlheim vor und nahm die Leiche in Augenschein. Der Mann hatte wohl auch zu Lebzeiten nicht besonders gut ausgesehen. Vierundzwanzig Stunden als Leiche hatten ihn nicht eben präsentabler gemacht, zumal ihn wohl schon einige Ratten besucht hatten.
Aber es war noch genug übrig, um die Todesursache festzustellen: Jemand hatte ihm offenbar den Kehlkopf eingerammt und das Genick gebrochen. Das Holster des Toten war leer, seinen Colt hatte man ein paar Schritte neben ihm gefunden.
„Wenn bei euch nichts fehlt, dann geht dich das ja wohl nichts an.“ schaltete sich wieder der hagere Wachmann ein. Von Stahlheim sah ihn kurz an, blickte wieder zur Leiche: „Na dann, habt Spaß miteinander.“ Und mit diesen Worten ging er. Der Wachmann machte Anstalten, ihm zu folgen, aber sein Kamerad packte ihn am Arm und schüttelte scharf den Kopf.

Es kostete von Stahlheim Mühe, seinen lässigen Gang beizubehalten – und das nicht nur, weil er lauschte, ob der Wachmann ihm folgte. Er hatte nicht unbedingt Streit gesucht, nun ja, höchstens ein wenig, aber als Kaperoffizier musste er gewisse Erwartungen erfüllen.
Aber das war eigentlich unwichtig. Der Tote war viel wichtiger. Die anderen hatten es nicht begriffen, vermutlich waren sie als Einwohner von Sky Haven an den Anblick von Toten nur zu gewohnt, achteten nicht einmal mehr besonders darauf.
Aber dieser Mann war mit einer Präzision getötet worden, die von Stahlheim unangenehm bekannt vorkam. Der Tote hatte offenbar seine Waffe gezogen gehabt, war aber von Vorne getötet worden – schnell, gezielt, eiskalt. Keine sinnlosen Schläge, kein wahlloses Drauflosprügeln. Hier war ein Nahkampfexperte am Werk gewesen, der wusste was er tat. Genauso hätte von Stahlheim gehandelt. Der Kehlkopfschlag hatte verhindert, dass Pieter schreien konnte. Schon dieser Treffer war tödlich, ohne sofortige Hilfe wäre Pieter erstickt. Aber sein Gegner hatte ihm dennoch das Genick gebrochen, um ihn schnell und endgültig zu neutralisieren.

Und all das war keine fünfhundert Meter von der NORTH STAR entfernt geschehen. Das konnte wohl kaum ein Zufall sein. Aber warum war der Mungo hier gewesen?
Die Möglichkeit eines geplanten Scharfschützenattentats schloss von Stahlheim sofort aus. Der Mungo wäre nie das Risiko eingegangen, sich derartig zu exponieren. Denn auch wenn der Anschlag gelang, es wäre sehr schwierig geworden, das Flughafengelände anschließend zu verlassen. Der Mungo war kein Fanatiker, er war ein Profi, der für Geld arbeitete.
Außerdem hätte er dann die Leiche sorgfältiger versteckt – denn wenn man sie fand, dann hätte das den Anschlag gefährden können. Der Attentäter wäre dieses Risiko nicht eingegangen. Nein, der Mungo befand sich ganz bestimmt nicht mehr auf dem Flughafengelände. Und das hieß, was er auch immer gewollt hatte, er hatte es bereits erledigt. Und das wiederum konnte nur bedeuten…
Als von Stahlheim klar wurde, wohin seine Gedanken führten, begann er zu rennen.


Er hatte Glück, momentan war der riesige Flugschiffhangar quasi menschenleer. Die meisten waren wohl auf ‚Freigang’, soffen, spielten oder hurten in der Stadt. Sam und ein paar der Techniker waren vermutlich an den Flugzeugen zugange, aber damit stellten sie keine Gefahr dar.
Die Gedanken des deutschen Agenten rasten. Was sollte er tun?
Dem Commander, dem Captain – oder sogar Sam – von seinem Verdacht berichten, eine allgemeine Suche einleiten?
Nein, das kam nicht in Frage. Man traute ihm an Bord sowieso nicht völlig. Zu schnell wären Fragen aufgetaucht, woher er von dieser Gefahr wissen konnte. Der Fund des Leichnams alleine hätte nicht genügt als Erklärung. Er durfte auf keinen Fall seine Tarnung gefährden.
Nichts zu tun, kam natürlich erst recht nicht in Frage.
Damit blieb ihm natürlich nur noch eine Option. Wenn er ein Zeppelin mit Hilfe einer Bombe vernichten wollte, einer Bombe, die ein einzelner Mann problemlos transportieren und installieren konnte, wo würde er den Sprengsatz platzieren?

Es dauerte fast dreißig Minuten, bis er fündig wurde. Der Attentäter hatte sich wirklich Mühe gegeben. Obwohl von Stahlheim ahnte, wo und wonach er suchen musste, hätte er den Sprengsatz beinahe nicht gefunden.
Auf eine grimmige Art und Weise musste der Agent dem Attentäter sogar Achtung zollen.
Die Bombe war nicht etwa außen an den Treibstofftanks platziert. Nein, der Mungo hatte das Kunststück fertig gebracht, einen der Tankverschlüsse aufzuschrauben, und den Sprengsatz INNERHALB des gigantischen Kraftstofftanks anzubringen. Genauer gesagt befand sich die Bombe an der inneren Decke des zentralen Treibstofftanks. Auch wenn die Tanks weiter aufgefüllt würden, dort oben würde immer ein gewisser Freiraum bleiben, indem sich ein hochexplosives Gemisch aus verdunstetem Kraftstoff und Luft staute.
Dass ein einzelner Mann, alleine, keine dreißig Meter von einer bewaffneten Wache, dies geschafft hatte, war schon erstaunlich genug. Und um eine Bombe an dieser Stelle zu platzieren, in dem Wissen, dass ein Fehler, ein einziger Funke den sicheren Tod bedeuten konnte, dazu brauchte man eiserne Nerven.
Und jetzt…
Von Stahlheim sah sich noch einmal um, sein Gesicht war vor Anspannung verzerrt. Und vor Angst. Er hatte keine Wahl. Die Bombe musste weg, unbedingt. Und er konnte nicht zulassen, dass außer ihm noch jemand davon erfuhr. Das hieß, er musste sie entschärfen, sofort – und zwar alleine.

Er ging langsam dabei vor, sehr bedächtig. Jede Hast, jeder falsche Handgriff konnte jetzt der letzte sein. Die Augen vor Konzentration geschlossen ließ er seine Fingerspitzen langsam, vorsichtig, fast zärtlich über den Sprengsatz wandern. Der stechende Treibstoffgeruch nahm ihm beinahe den Atem. Aber das durfte ihn jetzt nicht ablenken.
Jetzt war nur noch der Zünder wichtig, den er unter seinen Fingern fühlte.

Der Zünder war relativ kompakt, aber die Konturen, die von Stahlheim erfühlte, konnte er nicht einordnen. Von den Dämpfen beinahe betäubt, ließ er sich nach Luft ringend zu Boden sinken. Er durfte jetzt nichts überstürzen. Während er versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, dachte er fieberhaft nach.
Was war das für ein Zünder?
Kein Säurezünder. Diese Sorte von Zündern war beim Militär beliebt, aber sie hatten eine maximale Verzögerung von ein paar Stunden. In diesem Fall wäre die Bombe bereits explodiert.
Ein Zeitzünder, verbunden mit einer Uhr, kam da schon eher in Betracht – immerhin konnte so eine Bombe mit einer Verzögerung von bis zu zwölf Stunden gezündet werden. Aber von Stahlheim hatte keine Uhr erfühlt.
Was konnte es also dann für ein Zünder sein?
Von Stahlheim hatte mit seinen Fingern eindeutig irgendein technisches Gerät ertastet. Aber was für ein Instrument? Von Stahlheim schloss die Augen, versuchte sich zu vergegenwärtigen, wie das Gerät wohl aussehen mochte. Irgendwie kamen ihm die erfühlten Konturen vage vertraut vor…

Dann begriff er, und er hätte beinahe gelacht. Dieser gerissene Halunke!
Es war ein Höhenmesser gewesen, ein Gerät, dass man in jedem Flugzeug finden konnte, und dass zudem in Sky Haven praktisch an jeder Straßenecke zu kaufen war. Sobald der Zeppelin eine bestimmte Höhe erreichte – vielleicht sechstausend Fuß, oder auch nur dreitausend – würde die Bombe zünden. In dem Fall hätte keiner an Bord eine Chance gehabt, höchstens die Begleitschutz fliegenden Jäger hätten überlebt – und es war eher unüblich, dass der Commander selber den Abflug eskortieren würde. Das war ein ebenso einfacher, wie genialer Zünder.

Aber da war noch etwas gewesen, ein Glasröhrchen, direkt neben dem Höhenmesser befestigt. Von Stahlheims dünnes Lächeln erstarrte. Das musste die ‚Absicherung’ des Mungos sein – ein Quecksilberzünder, der aktiv wurde, wenn jemand versuchte, die Bombe zu entschärfen. Wenn das Glasröhrchen auf die Seite gekippt wurde, wenn das Quecksilber das andere Ende des Glasröhrchens erreichte – dann würde die Bombe auf jeden Fall zünden.
Der Mungo hatte wirklich an alles gedacht. Wenn jemand die Bombe gefunden hätte, ein Techniker, oder sogar jemand der mit zivilen Sprengmitteln vertraut war – die Bombe wäre dennoch explodiert. Zwar hätte dann Marquardt wahrscheinlich überlebt, aber das Zeppelin hätte schwersten Schaden erlitten, und von der Bombe wäre nichts übrig geblieben, was der Identifizierung hätte dienen können.
Von Stahlheim wusste nur deshalb über die Eigenschaften der Bombe, über die verschiedenen Zündertypen Bescheid, weil er selber an derartigen Geräten ausgebildet worden war. Allerdings wünschte er sich jetzt, er wäre damals aufmerksamer gewesen.
Ernst von Stahlheim zog das Stiefelmesser, das er praktisch immer bei sich trug. Er holte noch einmal tief Luft, dann machte er sich an die Arbeit.

Zuerst nahm er sich den Quecksilberzünder vor. Dieser war direkt unter dem Höhenmesser positioniert worden, bei einer flüchtigen Überprüfung hätte man ihn nicht einmal bemerkt – mit recht beklagenswerten Folgen.
Allerdings hatte der Mungo den Zünder recht einfach befestigt, funktionell, aber nicht sehr kompliziert. Während von Stahlheim mit der einen Hand das Glasröhrchen festhielt, führte seine andere Hand die Klinge, schnitt durch die Befestigungsschnüre. Einmal rutschte seine Klinge ab, schnitt tief in seinen Handrücken. Aber er zuckte nicht zusammen – er hatte zu viel Angst dafür. Den Schmerz spürte er kaum.
Dann war es gelungen, die letzte Schnur durchtrennt. Während ihm schon wieder schwarz vor den Augen zu werden drohte, holte er vorsichtig, behutsam das Glasfläschchen aus dem Tank – mitsamt der Zündkapsel am Ende. Noch einmal wurde das Messer angesetzt, dann hatte er die Zündkapsel gelöst.
Während er sich gegen die Hülle des Zeppelins lehnte, holte er fast krampfhaft Luft, hustete unterdrückt. Das alles dauerte zu lange! Noch ein paar Mal, und die Dämpfe würden ihn ausknocken. Er musste das jetzt durchziehen.

Wieder machte er sich an die Arbeit. Der Höhenmesser-Zünder war besser befestigt. Während von Stahlheim die Befestigungsschnüre los schnitt, musste er ein paar Mal innehalten, nach Luft ringen. Beinahe wäre ihm das Messer aus der Hand geglitten, und sein Griff am Zünder war auch nicht mehr so sicher wie vorher. Inzwischen brannte seine Hand wie Feuer. Aber er machte weiter. Wenigstens konnte dieser Zünder nicht einfach in seiner Hand detonieren. Hoffte er. Andererseits neigten manche Zündkapseln dazu, bei falscher Handhabe zu explodieren. Wenn das geschah…Nun, von Stahlheim würde seinen Fehler vermutlich nicht einmal mehr bewusst wahrnehmen können.

Dann, endlich, war es geschafft. Der Höhenmesser-Zünder kam frei. Mit inzwischen vor Anstrengung und Anspannung bebenden Händen zog von Stahlheim ihn ins Freie. Geschafft.
Das war ein Fehler. Denn mit einmal strauchelte von Stahlheim, wäre beinahe gestürzt. Die Zündkapsel entglitt seinen Händen, fiel zu Boden.
Es war nur ein leiser Knall, vergleichbar mit der Explosion eines Tischfeuerwerks. Die Motorengeräusche eines landenden Flugzeuges übertönten den Knall. Aber die Zündkapsel explodierte praktisch unmittelbar neben von Stahlheims Fuß. Die metallenen Bestandteile des Zünders verwandelten sich in winzige Schrapnelle. Mit einem dumpfen, unterdrückten Schrei stürzte von Stahlheim hin. Fassungslos starrte er auf seinen Fuß. Als er seine Hand in den Stiefelschaft schob, kam sie blutverschmiert wieder zum Vorschein.
Mühsam, verkrümmt, kam er auf die Beine. Er musste hier weg! Musste weg – sie durften ihn so nicht finden. Er musste sich irgendwo verkriechen, seine Wunde verbinden. Er musste… Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte von Stahlheim davon, die Hände um die Zünder gekrampft. Niemand durfte sie finden, niemand durfte IHN so finden. Um den Sprengstoff würde er sich später kümmern müssen. Jetzt musste er erst mal hier weg!
07.04.2020 08:28 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Eines musste Armstrong wirklich zugeben, aus dem zwanzigsten Stock des Hilton Hotels hatte man einen atemberaubenden Blick. Der prasselnde Kamin erfüllte das Zimmer zudem mit angenehmer Wärme und der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee, der vom Konferenztisch herüberwehte, umschmeichelte die Nasen der Anwesenden.
„Wie sieht es aus, Arthur?“
Der Bordarzt der NORTH zuckte zusammen, als Dave ihn ansprach. „Was?“
„Wie geht es den beiden, Arthur?“ Der Commander wandte sich halb um und betrachtete den Arzt.
Der junge Mann kämpfte mit sich, um seine Tränen zurück zu halten. Seit fünf Tagen betreute er das Pärchen, welches Armstrong und Anderson gerettet hatten. Zwar mit Hilfe von hervorragenden und gut bezahlten einheimischen Ärzten und Pflegern, die ohnehin einiges gewohnt waren. Dennoch hatte eine Schwester am zweiten Tag unter Tränen wieder gekündigt.
„Die Verbrennungen, Schnittwunden und Brüche heilen bei beiden gut ab“, zählte der Arzt monoton auf. „Beide haben ältere, schlecht verheilte Brüche.
Sharon hat aber immer noch Fieber. Ich behandele sie auf Schanker und hoffe, dass diese Therapie anspringt. Wir sollten sie so bald wie möglich zu einem Gynäkologen bringen, um die Schnittwunden im Genitalbereich…Gott, was waren das für Menschen? Was haben sie mit den beiden angestellt? Ich konnte zweifelsfrei feststellen, dass beide vergewaltigt wurden und…Tom hatte innere Blutungen, die von schweren Schlägen mit stumpfen Gegenständen stammen. Zudem mehrere gebrochene Rippen. Die hätten in die Lungen drücken können. Die Verbrennungen an seinen…Es heilt jedenfalls mit der richtigen Salbe.“
„Ich weiß, dass es schwer ist, die beiden zu behandeln. Aber ich habe beiden mein Wort gegeben. Und ich werde beiden die Chance geben, Rache zu nehmen, wenn die Zeit gekommen ist. Werden sie transportfähig sein, wenn wir weiter fliegen? Oder muss ich sie bis zu unserer Rückkehr in Sky Haven lassen?“
„Ich würde sie in Sky Haven lassen. Wenn Sharon ihre Termine beim Gynäkologen bekommt und das Pflegepersonal auf dem gleichen hohen Niveau arbeitet, sollten sie sich in einigen Monaten erholt haben.“
Dave nickte bestätigend. „Ich werde sie morgen befragen, wenn Sie nichts dagegen haben, Doc. Es eilt nicht, etwas über die LEVIATHAN zu erfahren. Aber ich möchte den beiden das Gefühl geben, dass sie wertvoll für uns sind.“
„Verstehe.“

„Wenn wir gerade bei dem Thema sind“, meldete sich Jeff Daynes zu Wort. „Habe ich dir in letzter Zeit vorgeworfen, dass du leichtsinnig warst, Dave? Dieses Menschenhändlernest alleine mit Anderson auszuheben war…Sehr gefährlich.“
„Gefährlich ist das falsche Wort“, meldete sich Ernst Stahl zu Wort. „Hirnverbrannt trifft es eher. Boss, verdammt, ein Wort von dir und wir wären da mit zwanzig Mann runter und…“
Dave sah zu den beiden herüber. „Seid ihr sicher, dass ihr diesen Anblick ertragen hättet?“
„Ich bin nicht Pilot geworden, weil ich am liebsten Puppentheater ansehe“, konterte Steel wütend, aber Jeff Daynes sah betreten zu Boden. Er hatte Armstrong auf seinem ersten Besuch begleitet und es immer noch nicht verkraftet.
Armstrong grinste amüsiert. „Gut. Steel, du begleitest mich morgen. Vierzehn Uhr geht es los.“
„Gut“, brummte der Industrial trotzig. „Gut.“

„Der Kaffee ist jetzt eingeschenkt, meine Herren“, meldete der Kellner und bot mit maskenhaftem Lächeln das Getränk an.
Dave trat heran, nahm eine der Tassen entgegen. Auch die anderen drei Männer bedienten sich.
Armstrong nahm einen Schluck des wirklich hervorragenden Kaffees. Irgendwie kam ihm dieser Kaffee bekannt vor. War es die Sorte, die sie den Russen geklaut hatten?
Und verbrannte sich prompt.
„Sie verspäten sich“, sagte er nach einem leisen Fluch.
„So sind die Frauen halt. Ich wette, Sam musste noch unbedingt an einem Motor rumschrauben und Norah ein paar Marines schleifen, wegen der Schlägerei im FORD´S“, meinte Jeff grinsend.
„Ich meine nicht die Frauen. Ich meine die anderen Kapitäne.“
Der Grund, warum Dave mit seinen Führungsoffizieren in einem der teuersten Hotels der Stadt in einem Konferenzraum stand und wartete, war das lange angekündigte Treffen mit den Kapitänen der anderen beiden Zigarren, die an der texanischen Geheimoperation teilnehmen würden. Und tatsächlich waren sie bereits eine Stunde überfällig.

„Reg dich nicht auf, mein Junge. Ich habe es arrangiert, um mit dir und deinen Leuten ein paar Minuten alleine reden zu können.“
Wie elektrisiert fuhr Dave herum. Genau rechtzeitig, um den Besitzer der dunklen, sonoren Stimme eintreten zu sehen.
„Dick“, sagte er leise. Richard Campbell. Mitglied des Vorstandes von Colt Aviation, Abgeordneter im Kongress des Freistaates Texas, mehrfacher Millionär und Konstrukteur der derzeitigen politischen Richtung, die der große Staat nahm.
„Thomas. Es tut unerwartet gut, dich gesund zu sehen. Aber munter siehst du nicht gerade aus. Bedrückt dich etwas?“
Der Geschäftsmann trat mit einem dreiköpfigen Gefolge in den Raum, nahm ein Kopfende des Tisches in Beschlag und ließ sich Kaffee geben.
„Die LEVIATHAN. Ich bin ihr auf den Fersen.“
Für einen Moment zitterte die Tasse in Campbells Händen. Dann hatte sich der bullige Texaner wieder gefangen. „Später“, bestimmte er. „Später. Jetzt, meine Herren, setzen Sie sich.“
Gehorsam setzten sich die vier Männer.
Die Sekretärin flüsterte Campbell leise ins Ohr. Der nickte mehrfach. Und sichtlich zufrieden.
„Mr. Stahl. Und Doktor Mertens. Gut. Was machen die beiden Mädchen, die ich dir an Bord geschickt habe? Leben sie noch? Behandelst du sie gut?“
„Mädchen ist vielleicht die falsche Bezeichnung für Captain Gallagher“, brummte Dave amüsiert. Bei Sam war er sich dagegen nicht so sicher.
„Was ist dann die richtige Bezeichnung, Commander?“, erklang Norahs Stimme von der Tür. Sie grinste in die Runde, salutierte vor Campbell und nahm, eine ziemlich stille und blasse Samantha Rogers im Gefolge, neben Arthur Platz.
„Frau wäre die richtige Bezeichnung, Captain.“
Die Offizierin räusperte sich verlegen.

„Gut. Dann sind die Führungsleute der NORTH STAR ja versammelt. Gut. Ich will euch vorab ein wenig über die Mission informieren. Ich will, dass du, Thomas, das Oberkommando über diese Mission führst. Deine Aktionen für die Weißen, mit denen du dich kurzfristig verbündet hast, zeigen mir, dass du auch auf deine Verbündeten achtest. Die Kapitäne der LONGHORN und der SHOOTIST hingegen haben sich recht eigenbrötlerisch gegeben.“
„Ist das der einzige Grund?“
„Nein, Thomas. Es gibt da noch ein paar mehr. Deine NORTH hatte die meisten Abschüsse, die meisten Eroberungen und hat das meiste verdient. Das spricht alles für dich. Und dabei ist die SHOOTIST eine Woche vor dir gestartet und die LONGHORN sogar drei Wochen vorher.“
„Gut.“ Der Commander der NORTH wagte es, ein klein wenig seiner Erleichterung zu zeigen. Die Frage nach dem Oberkommando hatte ohnehin die ganze Zeit an ihm genagt. Er wusste nicht, ob er ein Geschwader leiten konnte. Oder ob nicht doch einer der anderen Kapitäne fähiger war als er selbst. Aber im Moment war er mit dieser Entscheidung, dieser Entwicklung, zufrieden.
„Der nächste Punkt auf der Tagesordnung ist die Mission. Eure drei Zeppeline werden in genau vier Tagen nach Hawaii aufbrechen. Ihr tut das auf persönlichen Wunsch von seiner Majestät, Kamehameha dem Dritten.“
„Und was genau sollen wir für Kamehameha den Dritten erledigen? Piraten jagen?“
Campbell schmunzelte. „Richtig, Thomas. Und zwar die schlimmsten Piraten, die diese Welt zu bieten hat. Das Britische Commonwealth.“
„Was?“ Erschrocken waren er und Steel aufgesprungen.

***
„…ist das die Lage.“ Richard Campbell sah von Dave Stone zu Captain Joshua Arguile herüber, dem Herrn der SHOOTIST, und von dem zu seiner Stellvertreterin Melisandra Gomez. Danach touchierte er Captain Erica Bloomberg und ihren Chefmechaniker John Studd. „Das Commonwealth zeigt Begehrlichkeiten. Wie Sie alle wissen, Herrschaften, liegt Hawaii im Nordpazifik als Inselarchipel aus acht Hauptinseln, vulkanisch entstanden und in der idealen Position, um im Welthandel zwischen Ost und West eine entscheidende Zwischenstation zu spielen.
Um es einmal deutlich auszudrücken: Hawaii ist das Sprungbrett für jede Invasion, egal ob von Asien nach Amerika, oder umgekehrt. Bisher gibt es ein unausgesprochenes Stillhalteabkommen zwischen den Pazifkküstenstaaten, das neutrale Hawaii nicht zu assimilieren. Und auch die Weltmächte wie die Achsenmächte, Britannien, Frankreich, Russland und Spanien haben bisher kein offenes Interesse an den Inseln gezeigt. Bisher.“
Campbell nickte seinem Assistenten zu, der eine Karte an einem großen Kartenständer befestigte und entrollte. Die Karte zeigte eine topographische Darstellung der Pazifikregion.
„Der Pazifik, eine unendliche Wasserwüste. Im Süden gesegnet mit einem weiten Netz ungezählter Atolle und Inseln, aber im Norden leerer, als es die Sahara jemals sein könnte. Wie Sie alle auf der Karte sehen können, ist von Hawaii aus der Sprung zu den Aleuten, sprich Alaska, ebenso einfach wie nach Kamschatka in Sibirien, Japan, den Philipinen, unsere Westküste. Hawaii ist der Dreh- und Angelpunkt für alles. Wer Hawaii beherrscht, der beherrscht den Nordpazifik. Vorausgesetzt, er bringt ein Mindestmaß an Stärke auf.“
„Verstehe ich Sie richtig, Sir“, meldete sich Captain Bloomberg zu Wort, „dass wir Hawaii erobern sollen, bevor das Commonwealth dies tut?“
„Nein. Natürlich nicht. Texas hat keinerlei Interesse daran, eine Kolonie außerhalb des eigenen Territoriums zu unterhalten. Vor allem keine Kolonie, die fünftausend Meilen entfernt ist und nur über das Territorium von drei feindlichen Staaten erreicht werden kann.
Ihre Aufgabe, Herrschaften, wird es sein, diese Insel zu verteidigen.“

Verteidigen. Aha. Wenn Dave ehrlich war, dann hatte er sich so etwas schon gedacht. „Und gegen wen, Dick? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tommies offen angreifen und damit die Begehrlichkeiten der anderen großen Nationen wecken. Ich meine, für die Tommies kann Hawaii das Sprungbrett sein, um uns oder notfalls die Roten in die Zange zu nehmen. Aber Deutschland wäre größenwahnsinnig genug, um sich hier ebenfalls eine Kolonie zu sichern. Und mächtig genug, um sie zu verteidigen.
Frankreich hat mit Indochina einige große Kolonien direkt in der Nähe, könnte also auch Interesse anmelden.
Außerdem sind die Phillipinen immer noch spanisch. Die Paella-Fresser könnten auf den Gedanken kommen, sich auch mal als Großmacht aufzuspielen. Oder die Holländer. Die haben auch Kolonien in der Region. Ich meine, wenn ihnen das niederschlagen der ständigen Aufstände mal Zeit lässt.“
„In dem Punkt hast du Recht, Thomas. Die…Tommies können nicht offen und nicht mit voller Kraft angreifen, obwohl sie mit einigen gut ausgerüsteten Stützpunkten in der Region vertreten sind. Man denke nur an Hong Kong oder Macao.
Nein, die ganze Sache läuft etwas geschickter ab. Das Commonwealth schiebt einfach einen seiner Mitgliedsstaaten vor.“
„Australien“, sagte Captain Arguile ernst. „Sie schicken die Downunders vor und geben das Ganze als nachbarschaftlichen Konflikt aus. Quasi als Streit innerhalb der Region.“
„Das haben Sie gut erfasst, Captain. Genau so wird es laufen. Die Australier werden in zehn Tagen Hawaii besetzen und die Inseln als Kolonien annektieren. Danach werden natürlich alle Mitgliedsstaaten des Commonwealths bevorzugte Rechte erhalten. Allerdings wird keine der Weltmächte versuchen, Australien diesen Stützpunkt wieder abzunehmen, denn das würde bedeuten, dass die Krone offizielle Truppen schickt, um seinen Mitgliedsstaat zu schützen.“
„Teuflisch. Wir haben es also mit einer abgespeckten Version der Tommies zu tun. Aber sobald sie Erfolg hatten, holen sie die großen Jungs zum Spielen nach.“
„Genau. Und an dieser Stelle des Spiels treten ihre drei Zeppeline auf den Plan, Herrschaften.“

Auf einen Wink von Campbell wurde eine weitere Karte aufgestellt. Sie zeigte die acht Inseln.
„Kamehameha der Dritte, König von Hawaii, ist vor ein paar Wochen an uns herangetreten, um uns um Verstärkung zu bitten. Er weiß, dass wir keine offiziellen Interessen in dieser Region haben. Offiziell haben wir ihm auch keine Hilfe zugesagt.“
„Inoffiziell aber schickt ihr die NORTH, die LONGHORN und die SHOOTIST aus.“ Dave rieb sich nachdenklich das Kinn. „Aber zu welchem Nutzen? Ein solcher Einsatz wird zehntausende Dollar kosten, von unseren Verlusten einmal ganz zu schweigen.“
„Nun, einmal wäre da die Konzession für den Vertrieb von Rohrzucker und Ananas, die uns Kamehameha für die Hilfe angeboten hat. Das Jahresgeschäft hat ein Volumen von drei Millionen Dollar. Selbst wenn wir die Konzession splitten und an Pazifica oder Hollywood verpachten, bedeutet das einen erheblichen Gewinn, den wir in unserer Situation nicht ignorieren sollten.
Und zum anderen ist da noch…“ Campbell stützte sich auf dem Tisch ab und grinste düster in die Runde. „Zum anderen ist da noch der wichtigere der Aspekte. Texas steht mit dem Rücken zu Wand, umgeben von Feinden. Unser Erdöl hält uns mächtig, aber es wird nicht ewig fließen. Irgendwann wird einer der großen Staaten versuchen, uns zu besiegen. Danach ein weiterer, danach ein dritter, bis wir nach und nach verschlissen sind. Bis wir nicht mehr können. Wir müssen einerseits klar und deutlich sehen, wie unsere Piloten und Kommandeure gegen die internationale Elite abschneidet.“
„Ein Feldtest“, murmelte Dave leise und ziemlich ernst.
„Andererseits ist dies vielleicht die passende Gelegenheit, um zu sehen was passiert. Texas wünscht sich einen Verbündeten. Einen Verbündeten, der unser Heimatland noch nicht direkt bedroht.“
Dave Stone erstarrte. Er ahnte, worauf das hinauslief. In diesem Szenario fielen die Franzosen und die Spanier automatisch heraus. Die Engländer als Kern der Bedrohung sowieso.
Blieben noch die Deutschen, die Japaner, die Spanier und die Russen. Interessant. Auch er war plötzlich sehr darauf gespannt um zu sehen, was passieren würde.

„Aber das wird sich ergeben. Kommen wir zur Einsatzbesprechung. Sämtliche Planungen, Aufteilungen und Zeitpläne überlasse ich ihnen, Herrschaften. Aber interessant dürfte für sie alle zu wissen sein, dass Hawaii über eine eigene fliegende Polizei verfügt, mit der sie während der Invasion zusammen arbeiten werden. Es handelt sich um achtzehn Maschinen, zumeist ältere Devastators, Furys, Vampire und Bloodhawks. Sie werden Ersatzteile mitnehmen, um diese alten Vögel aufzutrimmen. Ebenso Munition, Lufttorpedos und dergleichen.
Kamehameha der Dritte hat uns zugesichert, dass das Oberkommando beim Abwehr der Invasion, also auch über die Polizei, bei uns Texanern liegt.“
Der alte Mann sah in die Runde. „Genauer gesagt liegt das Kommando von diesem Moment an in den Händen von Dave Stone. Fragen?“
„Warum Stone? Gibt es einen besonderen Grund oder trauen Sie uns nichts zu?“, fragte Captain Arguile aufgebracht.
„Das würde mich auch interessieren“, brummte Erica Bloomberg trotzig.
„Herrschaften, Dave Stone ist der erfahrenste Pilot in dieser Runde. Er hat schon gegen die Tommies gekämpft, gegen die Russen, gegen die Spanier und wer weiß noch alles. Außerdem hat er bewiesen, dass er seine Zigarre mit Bravour führen kann.“
„Das ist nicht so viel Vorsprung vor uns“, beschwerte sich Arguile erneut.
„Außerdem ist er immer noch vereidigter Texas Air Ranger und hat vor nicht allzu langer Zeit eine Staffel Air Ranger geleitet. Ebenfalls mit Bravour. Sein richtiger Name ist Thomas David Marquardt, wenn ihnen das etwas sagt. Die Mexikaner mögen diesen Namen jedenfalls nicht sonderlich.“
Dave erhob sich und verbeugte sich leicht. „Es ist mir eine Freude, sie alle kennen zu lernen. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit.“
Damit hatte er die anderen Kapitäne noch nicht überzeugt, aber zumindest die ersten Einwände waren beiseite geräumt. Den Rest würden sie schon gerade rücken. Irgendwie.

„Noch etwas. Texas lässt sich diese Mission einiges kosten. Neben Munition, Ersatzteilen und vielem mehr erhält jeder Zeppelin volles Bergungsrecht. Außerdem schüttet Texas eine Prämie in Höhe von dreihundert Dollar pro Schiffsanteil aus, unabhängig ob sie Erfolg haben oder nicht.“
„Apropos Erfolg. Womit rechnen wir? Was schicken uns die Downunder entgegen, Mr. Campbell?“
„Sie schicken eine kleine Flottille, drei Fregatten, einen Zerstörer, einen Truppentransporter, sechs Schnellboote, einen Nachschubfrachter… Und zwei militärische Zeppeline mit jeweils achtzehn Maschinen an Bord. Unsere Agenten vor Ort arbeiten im Moment an einer genauen Aufstellung der Flugzeugtypen, der Piloten und der kommandierenden Offiziere. Noch Fragen?“

***
„Das wird auch unsere Feuertaufe“, brummte Dave nach der Besprechung bei einem guten Glas Traubensaft. Wieder sah er aus dem Fenster und beobachtete den Sonnenuntergang.
„Und du willst wirklich keinen Whisky? Texas bezahlt“, schmunzelte Steel, als er zu seinem Commander ans Fenster trat.
„Nein, danke. Nicht mehr heute Abend.“

Die beiden Männer sahen zusammen aus dem Fenster, während sich hinter ihnen der Konferenzraum mehr und mehr leerte.
„Was meintest du mit Feuertaufe, Dave?“
„Hm. Wenn wir die Downunder überleben, dann haben wir die Feuertaufe hinter uns. Dann sind wir bereit für die LEVIATHAN. Das meinte ich.“
„Interessant. Besser als die Aussies dürften der Franzose und seine Leute auch nicht sein.“
Steel nahm einen Schluck aus seinem Glas, rollte ihn ein wenig im Mund und schluckte.
„Ich habe noch eine Frage, Dave. Wer ist Thomas David Marquardt?“
Armstrong seufzte. „Thomas ist ein Texas Air Ranger, mein Freund, und im Moment ist er ein Freibeuter.“
„Und was war Thomas vor seiner Zeit bei den Air Rangern?“
„Jemand, der echte Willkür kennen gelernt hat und vor ihr geflohen ist. Sehr weit und sehr lange. Und manchmal habe ich das Gefühl, ich werde der Willkür niemals entkommen.“ Er strich sich über das linke Auge, unter dem sich immer noch ein Rest des blauen Flecks abzeichnete, den er den Schlägern in Seattle verdankte.
„Verstehe.“ Steel nahm einen weiteren Schluck. „Hoffe ich.“
„Weißt du, Ernst, es ist mir egal wer ich einmal war. Ich habe jetzt und hier zuviel erlebt, um mich auf die Vergangenheit reduzieren zu lassen. Genauer gesagt darf ich es auch gar nicht, wenn diese Mission nicht in einem großen Fiasko enden soll. Also hoffe ich einfach, die anderen Kapitäne, Arguile und Bloomberg beurteilen den Mann, den sie sehen, und nicht den Mann, der ich einmal gewesen bin.“
„Verstehe“, versetzte Steel nachdenklich.
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Sky Haven

Nachdem der Commander endlich die Katze aus dem Sack gelassen und die staunende Runde in die neusten Pläne der texanischen Führung eingeweiht hatte, war Ernst von Stahlheim kaum noch zum Schlafen gekommen.
Ihm hatte nichts Gutes geschwant, seitdem Marquardt zum ersten Mal ‚Hawaii’ gesagt hatte – und das dann auch noch in Zusammenhang mit einer kombinierten Operation mehrerer Freibeuterschiffe.
Aber dann war der deutsche Agent doch ehrlich überrascht gewesen. Er hatte sich einfach nicht vorstellen können, dass ausgerechnet Texas, dessen einzige Seegrenze der Golf von Mexiko war, so größenwahnsinnig sein konnte, eine Verwicklung in einen pazifischen Krieg zu riskieren. Aber da hatte er sich mal wieder getäuscht.

Von Stahlheim hatte sich – mit erheblicher Anstrengung – zurückgehalten, und nicht einmal den Vorschlag gemacht, den gesamten texanischen Generalsstab in Zwangsjacken zu stecken. Stattdessen hatte er sich den praktischen Problemen des Unternehmens zugewandt. Und auch die hatten gereicht, um ihn auf Trab zu halten.
Ein derartiger Einsatz, wie er Texas vorschwebte, verlangte auf jeden Fall eine Umrüstung der Flugzeuge. Zuerst einmal flog die gesamte zusätzliche Ausrüstung raus, die für den Einsatz in Alaska eingebaut worden war. Die Piloten brauchten tropentaugliche Monturen, Schwimmwesten und diverse andere Seenotrettungsmittel. Von Stahlheim versuchte sogar, für jede Maschine ein kleines, aufblasbares Ein-Mann-Schlauchboot aufzutreiben. Auch gute Karten waren unerlässlich. Zudem würde man die Einsatzrichtlinien für Notwasserungen wiederholen – und einigen Piloten erst einmal begreiflich machen müssen. Eine derartige Ausbildung gehörte keineswegs in allen Luftstreitkräften zur Standartausbildung. Aber wenn es hart auf hart kam, dann hing das Leben der Piloten davon ab, schnell genug aus der Maschine herauszukommen. Zudem mussten die Fallschirme revidiert und teilweise modifiziert werden. Es war überlebenswichtig, dass sich die Piloten schnell und selbstständig aus den Gurten lösen konnten. Von Stahlheim wusste, viele Piloten, denen es gelungen war, aus ihrer in die See stürzenden Maschine abzuspringen, ertranken, weil sie sich in den Fallschirmschnüren verhedderten.

Und all das war erst der Anfang – bevor sie in Hawaii festmachten, mussten die Piloten noch mit den üblichen Maschinen, Flugmanövern und –taktiken der ANZAC vertraut gemacht werden – soweit das überhaupt möglich war. Auch wenn Australien formell zum Commonwealth gehörte, die Aussies unterschieden sich von den Fernost-Verbänden der Royal Airforce in einer ganzen Reihe von Punkten.

Es war darum kein Wunder, dass er erst nach zwei Tagen dazu kam, Elisabeth O’Conner von dieser genialen Kopfgeburt des texanischen Generalsstab in Kenntnis zu setzen. Ein Wunder war es eher, dass er überhaupt Zeit dazu fand, ohne die Regeln der Konspiration allzu sehr zu verletzen.
Ihr Treffen verlief nach einem ähnlichen Muster, wie das letzte. Zuerst schliefen sie miteinander – und dann fingen sie an zu streiten. Elisabeth war fuchsteufelswild, dass er sie nicht früher informiert hatte, und ließ seine Erklärungen nicht gelten. Außerdem erklärte sie die Ganze für schlicht und ergreifend selbstmörderisch.

„Die müssen ganz einfach übergeschnappt sein! Siehst du denn nicht, was das bedeuten kann?! Glaubst du etwa, die Japse sehen einfach zu, wie Texas sich auf Hawaii breit macht?! Und die ANZAC?! Und das ganze verdammte Commonwealth?! Ist diesen Schwachköpfen eigentlich klar, dass sie schon wieder einer Großmacht in die Suppe spucken wollen?! Alleine die ANZAC haben mehr Flugzeuge, Soldaten und mehr Schiffe als Texas und Hawaii zusammen – und außerdem alle auf der RICHTIGEN Seite des Kontinents! Was diese bescheuerten Texaner planen ist ungefähr so, als würden die Industrials den Äthiopiern gegen Mussolinis Schwarzhemden helfen wollen!“
„Wenigstens setzen die ANZAC kein Giftgas ein.“
Aber Elisabeth fand diese Bemerkung gar nicht komisch: „Du Idiot! Selbst wenn die ANZAC euch nicht zusammenknallen – ist diesem dämlichen Marquardt eigentlich klar, dass er sich in bequeme Schlagweite der Japaner begibt? Es gibt fast mehr Schlitzaugen auf Hawaii, als Polynesier! Und nachdem der Schwachkopf in Seattle unbedingt mit seinen ‚Heldentaten’ in Alaska angeben musste – glaubst du, die Japse kriegen das nicht mit?! Wenn euch die Aussies nicht kaltmachen, dann erledigen das die Japaner! Und du hilfst ihnen auch noch dabei – oder was meinst du, wo diese großartigen texanischen Allmachtsideen landen, die du jetzt weitergeben willst?! Fünf Minuten, nachdem Berlin Bescheid weiß, schicken sie das nach Tokio!“
„Und was soll ich tun? Die Meldung unterdrücken? Das wäre Verrat! Berlin MUSS davon erfahren! Es ist zu wichtig! Die ANZAC würden niemals auf eigene Faust losschlagen. Wenn London den Marschbefehl gegeben hat…Das könnte der Beginn eines pazifikweiten Krieges sein!“
„Und du Idiot marschierst brav mit in den Untergang, wenn Berlin es befiehlt?! Oder glaubst du, von Tauten zieht dich ab?!“
„Und was soll ich sonst tun?! Ich habe meine Befehle – die führe ich aus. Das weitere…“
„Du verdammter Idiot! Es ist nicht dein Auftrag, einen Krieg im Pazifik mit anzuzetteln! Schick deine Scheißmeldung, aber dann setz dich ab! Schnapp dir eine der Maschinen, und mach dich davon!“
„NEIN. Marquardt wüsste sofort, das etwas faul ist. Meine ganze Arbeit in den letzten Monaten wäre umsonst. Wir hätten niemanden mehr, der so direkt an der Quelle sitzt, der unmittelbar nach Marquardt erfährt, was Texas plant. Wenn ich jetzt flüchten würde ich wäre als Informant verbrannt.“
„Du wirst VERBRENNEN, wenn du an Bord bleibst!“

Schließlich endete der Streit damit, dass Elisabeth plötzlich eine Pistole in der Hand hielt und sie auf den Tisch knallte: „Da, erschieß dich doch gleich selbst, du Idiot! Das läuft aufs Selbe hinaus!“
Ernst von Stahlheim zuckte sichtlich zusammen, auch wenn ihn sonst scheinbar nichts aus der Fassung bringen konnte: „Elisabeth…“
„Du weißt, dass diese ganze Aktion Wahnsinn ist!“
„Ich weiß. Irgendjemand in Texas hatte einen fürchterlichen Alptraum. Und den lassen wir jetzt wahr werden.“
„Du willst auf jeden Fall gehen…“ Ihre Stimme klang auf einmal ausdruckslos.
Ernst von Stahlheim zögerte kurz. Aber...: „Du kennst die Antwort.“
„Selbst wenn ich dich darum bitte, diesen…diesen Selbstmordeinsatz nicht mitzumachen?“
„Es ist meine Pflicht. Als ich den Eid geleistet habe, gab es keine Einschränkungsklausel, verdammt. Das weißt du. Wir…“
„Komm mir jetzt nicht mit ‚Wir’. Schick die verdammte Meldung für Berlin. Und dann verschwinde. Hau ab. Wenn es noch irgendetwas gibt, dass du mir mitteilen musst, du kennst den toten Briefkasten.“ Jetzt klang ihre Stimme dumpf, fast erstickt. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Ernst von Stahlheim zögerte, trat einen Schritt auf sie zu. Doch dann drehte er sich um und ging.

Elisabeth O’Conner lauschte den verhallenden Schritten. Sie biss die Zähne zusammen, und wischte sich zornig über die Augen. Das kam davon, wenn man jemanden an sich heran ließ, der in derselben Branche tätig war. Genauso gut konnte man durch ein Minenfeld tanzen. Irgendetwas ging auf jeden Fall schief.
Als sie sich umdrehte, sah sie auf dem Tisch die Pistole liegen, die sie Ernst zugeworfen hatte. Sie griff nach der Waffe, wog sie abwesend in der Hand. Dann, mit einem wütenden Fluch, schleuderte sie die Pistole gegen die Wand.
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„Da hast du uns ja in eine schöne Scheiße geritten“, brummte Ernst Stahl ärgerlich, während er in den Lauf einer Tommygun starren musste.
„Es ist ja nicht gerade so, als hätte ich es vorgehabt!“, konterte Dave Stone wütend, was ihm einen Hieb in die Nieren einbrachte. „Nicht reden. Gehen.“
Die vier schwer bewaffneten Männer waren Techniker der LONGHORN. Sie hatten den beiden Anführern der NORTH STAR direkt am Eingang des LA FLEURE aufgelauert, sie herzlich in Empfang genommen, ihnen die Waffen aus den Schulterholstern gezogen und waren nun dabei, sie in den großen Salon zu treiben.
Dave nutzte den Schlag in die Nieren dazu, kurz stehen zu bleiben und gequält aufzustöhnen. Dabei sah er sich schnell um, erkannte aber keines der Mädchen. Dass sie damit automatisch in Sicherheit waren, konnte er sich nicht so recht vorstellen.

Im Saal angekommen empfing sie eine sichtlich betretene Madame Rochefort, die Herrin oder vielmehr die Mutter des Bordells.
Im Hintergrund lag ein blutender Mann am Boden. Dave erkannte ihn als einen der Wächter wieder, die in dem Haus für Ruhe und für Ordnung bei den Mädchen sorgten. Sein Gesicht war fürchterlich zugeschwollen, ihm fehlten ein paar Zähne und er blutete aus einer Schusswunde im linken Bein.
„Kommen Sie doch, Commander Stone, kommen Sie doch“, empfing sie eine süffisante Frauenstimme. „Oder sollte ich Sie bei Ihrem richtigen Namen nennen? Oberleutnant Thomas David Marquardt von der Deutschen Luftwaffe?“
Die beiden Männer stockten. In einem bequemen Ohrensessel, umgeben von weiteren schwer bewaffneten Männern, saß Captain Erica Bloomberg. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen, trank Sherry und lächelte den beiden entgegen. „Bitte, mein lieber Thomas, setzen Sie sich doch. Ihr Begleiter darf sich ebenfalls setzen. Hm, ich habe mit mehr Leuten gerechnet. Es ist wohl wirklich so wie mein Informant sagte. Sie betrachten dieses Haus der käuflichen Kätzchen längst als eine Art Hinterhof für Ihre NORTH.“
Thomas sagte nichts, sondern nahm gehorsam Platz. Steel bekam keinen Ohrensessel mehr ab und musste mit der Couch vorlieb nehmen, auf der Madame Rochefort saß.

Dave deutete auf den Boden. „Wann haben Sie vor, dem Mann zu helfen? Er sieht mir nicht danach aus als wäre er eine Bedrohung.“
„Sie verkennen Ihre Lage, Marquardt!“, rief die Frau zornig und warf ihr Glas zu Boden. „Sie befinden sich auf der anderen Seite der Tommyguns und reden gefälligst nur wenn ich Sie etwas frage!“
Übergangslos beruhigte sie sich wieder. „Also los, fragen Sie. Fragen Sie mich, was das soll.“
„Gut, Kapitän. Ich frage Sie: Was soll das? Warum brechen Sie in dieses Haus ein? Warum empfangen Sie Steel und mich mit geladenen Waffen?“
„Eine gute Frage, Marquardt. Und die Antwort ist soooo simpel. Weil Sie mir bereitwillig in die Falle gegangen sind.“ Die Frau lächelte wölfisch. „Ursprünglich hatte ich mich ja nur maßlos geärgert, dass der Schoßhund vom alten Mann Campbell mir für diese Mission vor die Nase gesetzt wurde. Aber er war ja so unvorsichtig, Sie bei Ihrem richtigen Namen zu nennen, Marquardt. Darauf folgte ein wenig Recherche bei ein paar Freunden in Texas, wo Sie ebenfalls als Marquardt geflogen sind. Der Rest war dann nicht gerade schwer zusammen zu setzen. Ich habe eine Menge über Sie erfahren. Deserteur. Mörder. Landesverräter. Feigling. Und das schönste was ich erfahren habe ist, dass die Hunnen eine Belohnung auf Ihren Kopf ausgesetzt haben.“
„Ach, wie nett. Wie viel ist es denn?“, fragte Steel interessiert.
„Eine kleine Summe. Zwanzigtausend Greenbucks.“
Der Chef des Dog Packs pfiff anerkennend. „Dafür muss meine Oma aber lange stricken. Dave, was hast du getan, dass die Krauts dein Kopfgeld sogar in Dollar zahlen wollen?“
Armstrong zuckte die Achseln. „Das Übliche, das Übliche. Darf ich eine Frage stellen, Kapitän?“
Erica Bloomberg lächelte leicht als Bestätigung.
„Was haben Sie jetzt mit mir vor?“
„Ich denke, ich werde Sie hinter dem Haus erschießen lassen, Ihren Kopf abschlagen und ihn an die deutsche Botschaft in den Industrials verschicken. Dann werde ich die Belohnung einkassieren und Texas kann mich dann mal.“
„Ein guter Plan“, murmelte Dave. „Was meinst du, Steel?“
„Definitiv. Normalerweise hätte ich gesagt, den Anführer des Geschwaders zu töten würde automatisch die Rache der Texaner nach sich ziehen. Immerhin bist du ja Campbells liebster Schoßhund.“
„Na, danke.“
„Aber wenn die LONGHORN mit deiner Leiche an Bord bei Nacht und Nebel verschwindet und alle Kontakte nach Texas abbricht und vollends zu den Piraten überläuft, dürften sie einigermaßen sicher sein und entkommen.“
„Sie unterschätzen doch etwas die Macht des alten Mannes. Nur weil ein deutscher Deserteur verschwindet bedeutet das nicht, dass ich und meine Mannschaft verdächtigt werden.
Sie waren ja so nett, auf die fingierte Einladung von Madame Rochefort hereinzufallen und mir direkt in die Arme zu spazieren. Wenn es Spuren gibt, dann nur hierher. Es wird einen neuen Kommandeur geben. Und ich rechne mir gute Chancen aus, das zu sein.“
„Noch besser“, kommentierte Steel grinsend. „Aber das bedeutet, dass ich auch sterben muss. Genauer gesagt jeder in diesem Raum, der nicht zu Ihrer Mannschaft gehört, wird sterben müssen, damit keine Spuren zu Ihnen führen, Kapitän Bloomberg.“ Steel sah an die Decke. „Ich nehme an, Sie halten die Mädchen im Obergeschoss fest. Auch sie werden nicht überleben dürfen. Was planen Sie, einen kleinen Brand?“
„Etwas in der Art, ja.“
Die beiden Männer wechselten einen missmutigen Blick.
„Es sollen also alle sterben. Und das alles nur für zwanzigtausend Dollar“, stellte Dave resignierend fest. „Lassen Sie wenigstens die Mädchen und Madame Rochefort da raus.“
„Wie ich schon sagte, Sie sind nicht in der Position, um irgendetwas zu verlangen.“

Dave erhob sich. Das ließ einige der Männer ihre Waffen hochnehmen, aber Erica hielt sie mit einer Handbewegung zurück.
Armstrong trat an die Nordwand heran, strich über das prächtige Bärenfell, dass dort aufgehängt worden war. Dann sah er lächelnd zu der Hausherrin zurück. „Sie haben tatsächlich den Platz genommen, den ich vorgeschlagen habe. Das freut mich. Der Eisbär macht sich da wirklich gut.“ Sein Lächeln erstarb. „Es tut mir Leid, dass Sie da rein geraten sind, Ma´am.“
„Es ist schon in Ordnung, Commander. In dieser Stadt muss man immer damit rechnen, ein wenig schneller zu sterben als im Rest des Landes. Es tut mir nur um meine Mädchen leid. Sie sind alle noch so jung.“
Steel seufzte. „Eine Tragödie ist das. Drei Dutzend Menschen werden dahingerafft, ermordet, gemeuchelt. Und das alles nur um ein abscheuliches Verbrechen zu vertuschen. Was wäre passiert, wenn Armstrong die Einladung nicht angenommen hätte? Hätte dann das Gebäude trotzdem gebrannt?“
Erica Bloomberg beobachtete Steel scharf. „Sie sind recht intelligent. Beinahe bin ich versucht, Ihnen einen Job anzubieten.“
„Würde er mein Leben retten?“
Bloomberg öffnete den Mund, aber Steel unterbrach sie: „Jedoch nicht meine Ehre.“

„Wie dem auch sei. Sie haben einen guten Plan aufgestellt, Kapitän Bloomberg. Und ich habe Ihnen in die Hände gespielt, weil ich nur mit dem Kommandeur meiner zweiten Staffel gekommen bin. Alle Zeichen stehen für Sie. Respekt. Ich bin Ihr Gefangener. Ich hoffe, Sie genießen es wenigstens, wenn Sie mich erschießen lassen. Oder werden Sie es selbst tun?“ Dave lächelte dünn. „Nein, so viel Mumm haben Sie nicht.“
„Aber, aber. Es geht nicht um Mumm. Ich mache mir einfach nur an einem Kraut nicht die Hände schmutzig.“ Sie lächelte und ließ sich ein neues Sherry-Glas geben. „Aber eines interessiert mich doch. Thomas David Marquardt, bester Pilot der Eisenwall-Garde mit siebzehn verifizierten Abschüssen, einem Fangschuss auf einen Zeppelin und über dreißig Unterstützungen hatte eine beeindruckende Karriere. Wie konnten Sie hier landen, im Chaos der Welt?“

Dave lächelte dünn. „Sie haben gut recherchiert. Aber es waren nur fünfzehn Abschüsse.
Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen. Über einen jungen, aufstrebenden Piloten, der sein Bestes gab, um von Helgoland aus die Iron Route zu sabotieren, jenen Luftweg, den die Briten benutzen, um von Norwegen Stahl ins Land zu fliegen. Ich will Ihnen von epischen Luftschlachten berichten, die wir über der eisigen Nordsee ausgetragen haben.
Und ich will Ihnen von zwei Männern des deutschen Geheimdienstes erzählen, die mich aufsuchten, auf einem Flugfeld in eine Ecke drängten und mir den eiskalten Stahl einer Luger an die Schläfe hielten. Wie sie den Abzugshahn spannten und von mir Namen und Aufenthaltsorte französischer Agenten im Reich verlangten. Wie sie… Nein, das führt zu weit.
Ich überlebte diese Situation, in die ich nur geraten war, weil ein Verwandter meiner französischen Mutter tatsächlich Offizier im Geheimdienst ist. Soviel habe ich mir zumindest selbst zusammengereimt. Und ich bin geflohen. Zuerst nach Polen, dann in das Osmanische Reich. Von dort über Indien nach China. Schließlich kam ich nach Hollywood und begann meinen Weg, der mich bis nach Texas brachte.“
Dave stieß sich leicht von der Wand ab und nahm wieder Platz. „All die Zeit auf meiner Flucht waren mir Agenten auf den Fersen. Agenten, um mich, den Verräter, zur Strecke zu bringen. Erst bei den Flying Tigers konnte ich sie abschütteln. Aber ich wusste, wenn ich in Texas meinen richtigen Namen benutze, würde mich dieses Leben wieder einholen.
Ich bin lange geflohen um einen Ort zu finden, an dem ich leben kann. An dem mir ein Mensch ermöglicht, unbedroht zu leben, nur nach meiner Leistung beurteilt und mit Respekt behandelt. Ich habe diesen Menschen in Richard Campbell gefunden. Deshalb gehört ihm meine Loyalität. Und deshalb habe ich auch seine Loyalität.“
Dave lachte rau und hässlich. „Was ich damit sagen will ist, dass er sich nicht damit zufrieden geben wird, dass ich bei einem Brand ums Leben gekommen bin. Er wird schnüffeln, graben und recherchieren. Und er wird eine Spur finden. Er wird viele Spuren finden, Spuren von allen, die in diesem Raum sind. Und er wird sie zur Strecke bringen. Diejenigen, die ihm entwischen aber werden sich bis an ihr Lebensende nicht mehr nach Texas wagen können. Sie werden genauso aus ihrer Heimat verbannt sein wie ich es bin. Und sie werden ebenso gejagt werden, erbarmungslos. Ich kann mir auch ein Kopfgeld gut vorstellen. Ist es das wert? Ist es das wert, meine Herren?“
Einige der Männer senkten ihre Waffen. Verunsicherte Blicke trafen die Kapitänin der LONGHORN.

„Ihr Idioten! Lasst euch doch nicht von ihm einwickeln! Was will er schon machen? Uns aus dem Jenseits verfolgen? Niemand kann nach einem Brand Spuren ziehen und uns verfolgen!“, blaffte sie wütend.
„Nun, vielleicht sollten Sie den Brand auf ein paar weitere Häuser ausdehnen. Und zwar auf alle Häuser, von denen aus man sehen kann, wer das LA FLEURE betritt oder verlässt“, kommentierte Steel ungerührt. „Ich schätze, Sie werden dafür dreihundert oder mehr Menschen töten müssen.“
„Chef, das geht vielleicht zu weit! Wir…“
Es gab einen lauten Knall, dann lag der Sprecher am Boden und wand sich unter Schmerzen, während aus einer Bauchwunde Blut sickerte. „Noch jemand, dem das zu weit geht?“, brüllte sie zornig.
„Ja, einem“, sagte Dave und ließ sich in seinem Sessel herab gleiten. „Er heißt Thaddeus Anderson, und normalerweise begleitet er mich, wenn ich ins LA FLEURE gehe. Ich bin mir sicher, er hat garantiert etwas dagegen, was Sie vorhaben, Skipper.“
„Ha! Und was will dieser Thaddeus machen?“
„Er könnte seinen Freunden Bescheid sagen.“
„Und was dann? Will er mit einem Haufen Schläger vorbei schauen? Er kann auf die brennenden Trümmer starren, wenn es ihm Spaß macht!“
Armstrong musterte die vor Wut schäumende Frau und ihre verunsicherten Leute. Er grinste matt.
Steel schob den Ärmel am linken Arm zurück und sah auf seien Präzisionsuhr. „Fünf…Vier…Drei…Zwei…Eins…Runter, Madame!“ Steel drückte die Frau in die Polster und duckte sich. Zugleich glitt Amstrong auf den Boden.
Kurz darauf bellte das Feuer aus automatischen Waffen auf. Die Schüsse kamen von überall her. Danach wurde die Fronttür eingetreten. Schwer bewaffnete Infanteristen strömten herein, liefen in den Salon und ins Obergeschoss.
Aber die Schützen an den Fenstern hatten ganze Arbeit geleistet. Die Marines im Raum mussten die Waffen nur noch von den Toten und Verletzten fort treten.

Als der Raum gesichert war, stand Dave wieder auf. Er ging zu Kapitän Bloomberg herüber. Die Frau hatte gleich mehrere Kugeln abbekommen und würde es nicht mehr lange machen.
„Wissen Sie, Kapitän, Thaddeus hat eine Freundin in diesem Laden. Sowohl ich als auch Madame Rochefort heißen das gut. Deshalb glauben Sie mir, sie würde nie vergessen, den jungen Mann ebenfalls einzuladen, wenn sie mich in ihr Haus bittet. In Ihrer gefälschten Einladung aber wurde Thaddeus nicht einmal erwähnt. Geschweige denn dieses prächtige Bärenfell. Grund genug für mich, mit meinen Marines zu kommen und sie, ah, ein wenig schnüffeln zu lassen.“
„Bas…tard…“, hauchte sie. Ihre Augen brachen.
In einem Anflug von Gnade brach er den Widerstand der Lidermuskeln und schloss ihre Augen. „Mag sein. Aber ich lebe. Sie nicht.“
Armstrong erhob sich wieder. „Alles in Ordnung, Ernst? Madame Rochefort?“
„Es geht uns gut“, erwiderte Steel. „Aber ich glaube, ein paar Kugeln sind mir durchs Haar gegangen.“
„Ich werde mit Captain Gallagher reden“, erwiderte Dave viel zu ernst.
„Oberer Stock ist sicher! Boss, sie haben die Mädchen nur eingesperrt, keine Wachen aufgestellt.“
„Danke, Captain. Das war gute Arbeit. Aber sie ist noch nicht zu Ende. Rufen Sie den Doc rein, er hat Arbeit. Ein Melder soll sofort zu Richard Campbell aufbrechen und ihm berichten, was hier passiert ist. Danach brechen wir zum Flugfeld der LONGHORN auf. Wir haben noch eine Zigarre zu erobern.“
„Jawohl, Sir.“
Dave musterte einen der Infanteristen, der von der Tür aus die Erstversorgung der Verletzten überwachte. „Nun geh schon, Tad.“
„Danke, Boss.“ Hastig verschwand der Marine aus dem Salon und nahm die Treppe im Sturm. Kurz darauf war das freudige Quieken einer jungen Frau zu hören.
Dave seufzte. „Ich glaube, eines Ihrer Mädchen denkt bald über einen Jobwechsel nach, Madame. Das tut mir Leid, ebenso wie die zerstörte Einrichtung.“
„Das ist in Ordnung, Commander. Ab und an passiert das in dieser Stadt halt. Aber ich bin dankbar dafür, dass Sie Samuel helfen. Er… Wollte mich beschützen und wurde dafür niedergeschossen. Ich hoffe, er schafft es.“
„Das hoffe ich auch. Trotzdem werde ich Techniker von meiner Zigarre rüberschicken, die beim Aufräumen und reparieren helfen. Vor allem die Fenster müssen für die Nacht verbarrikadiert werden. Neues Glas können wir morgen einsetzen.“
„Ich danke Ihnen, Commander.“

Steel zog den Deutschen beiseite. „Auf ein Wort…Thomas David Marquardt. Stimmt das alles, was die tote Erica Bloomberg gesagt hat? Stimmt das, was du gesagt hast?“
„Entschuldige, wenn ich nicht deiner Definition von Held entspreche. Oder eines guten Piloten. Aber ich habe einfach ein Vorurteil dagegen, mich grundlos erschießen zu lassen. Und ja, es ist alles wahr. Nur habe ich die beiden Gestapo-Männer nicht getötet. Aber die Messerschmidt an die Polen verkauft. War ein nettes Taschengeld, das mich weit gebracht hat.“ Dave lachte hässlich auf. „Ein Mann, dem Unrecht angetan wird, handelt vielleicht nicht immer rational. Und in einem Land, in dem er wegen seiner Herkunft und einem vagen Verdacht dem Geheimdienst in die Hände gerät, kann er nicht leben.
Ich weiß, das ist sehr unbefriedigend, aber mehr kann ich dir nicht sagen. Komm jetzt, wir müssen uns die LONGHORN holen, solange die Crew nichts ahnt.
Die Zigarre braucht einen neuen Skipper und wie es aussieht auch ein paar neue Piloten.“
„Sofern sie von diesem hirnrissigen Plan etwas wussten“, brummte Steel. „Die Bloomberg sah mir nicht danach aus als hätte sie die zwanzigtausend Bucks gerne mehr als nötig geteilt.“
„Wir werden sehen. Deshalb wird Dick ja auch mitkommen.“ Daves Miene wurde verschlossen.
07.04.2020 08:30 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Seattle

Neville Sinclair genoss seine Berühmtheit in der Regel. Er hatte hart dafür arbeiten müssen – unter anderem auch dahingehend, dass er sich mit einem japanischen und gleich zwei deutschen Geheimdiensten (der RSHA und der Abwehr) auf einmal eingelassen hatte. Nicht, dass diese Dienste direkt das Show-Biz in Kalifornien kontrollierten, aber das mit der Agententätigkeit verbundene Geld und die Kontakte hatte der aufsteigende Star gut gebrauchen können. Natürlich war er auch gerade wegen seiner Popularität und den damit einhergehenden Kontakten zu Politik, Wirtschaft und dem Establishment umso interessanter für die Dienste geworden, was seine Gehälter steigen ließ.

Sein ‚Beruf’ und seine regen politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten boten zudem eine gute Tarnung für das Spionagegeschäft. Allerdings war sein Gesicht inzwischen so bekannt, dass er es tunlichst vermeiden musste, es an Orten zu zeigen, wo der Hollywood-Schauspieler Neville Sinclair nichts zu suchen hatte. Und er musste sich auch vorsehen, mit wem er sich traf – es gab immer irgendwelche Schmierfinken und Fotografen von der Presse, die ihm auf den Fersen waren. Er hatte bereits einmal einen Reporter beseitigen lassen müssen – zum Glück hatte der Mann eine Erpressung versucht und sich dabei gründlich verschätzt. Lothar hatte dem Mann derartig zugerichtet, dass ihn vermutlich nicht einmal mehr seine eigene Mutter wieder erkannt hätte, und den Leichnam dann auf einem Bahngleis liegen lassen.
Das Ganze war als ein Mob-Mord gewertet worden.

Aber das war eine Warnung für Sinclair gewesen. Seitdem unterließ er es weitestgehend, selber konspirative Treffen wahrzunehmen. Stattdessen hatte er seinen eigenen kleinen Spionageapparat aufgebaut, der etwa zwanzig Mann, darunter auch einen Funker und einen Foto-Spezialisten beinhaltete.
Aber manche Treffen waren zu sensibel, um sie irgendwelchen Laufburschen zu überlassen.

Wie dieses Treffen. Eigentlich hielt Neville Sinclair nicht viel von Sklavenhändlern. Für ihn rangierten sie auf derselben Stufe, wie Müllleute – sie erledigten eine widerliche, unansehnliche, aber eben notwendige Arbeit. Er selber hatte immer die Finger von diesem Geschäft gelassen. Dieser unappetitlichen Branche fehlte jeder Glanz, zudem stand realistisch betrachtet der Gewinn in keinem adäquaten Verhältnis zu den Risiken und dem sozialen Abstieg – sogar in der ‚Schattengesellschaft’ waren Sklavenhändler so ziemlich das Letzte, rangierten noch hinter den Zuhältern. Selbst viele Schmuggler und Piraten wollten nichts mit dem Sklavengeschäft zu tun haben.
Aber dennoch hatte Sinclair gewisse…Kontakte.
Gerade wegen der Parianatur dieses Gewerbes und der Tatsache, dass sogar die meisten Staaten, die ansonsten beide Augen zudrückten, den Sklavenhandel rücksichtslos verfolgten und mit drakonischen Strafen ahndeten, konnten die Sklavenhändler und ihre Lieferanten, dieses verborgene Netzwerk, durchaus nützlich sein.
Wenn man zum Beispiel eine gewisse Person ungesehen von der Ost- an die Westküste transportieren wollte, dann waren Sklavenhändler eine Option. Über die verborgenen Kanäle dieses Gewebes konnten Waffen und Ausrüstung weitaus unauffälliger verschoben werden, als über die ‚normalen’ Schmugglerrouten.
Und ein Sklavenhändler pflegte seinen Kunden selten übers Ohr zu hauen. Die Branche war zu klein – und ein Sklavenhändler würde wohl kaum versuchen, jemanden an die Behörden zu verraten – auf ihn selber wartete doch nur das Erschießungskommando, der elektrische Stuhl, oder die Gaskammer.

Natürlich musste man trotzdem vorsichtig sein. Denn wer in der Scheiße rührte, der machte sich zu leicht schmutzig. Aber im Vermeiden unschöner Flecken auf seiner weißen Weste hatte Sinclair inzwischen genügend Übung – wie auch darin, sich wenn nötig zu verstellen. So war es dem Mann, der Sinclair gerade gegenübersaß, bestimmt nicht klar, wie sehr der Schauspieler und Spion ihn insgeheim verachtete.
Roger Benten war sein Beruf nicht auf den ersten Blick anzusehen. Der Mann, der sein Geld vor allem der Belieferung diverser Bordelle mit mehr oder weniger willigem ‚Frischfleisch’ verdankte, wirkte eigentlich relativ harmlos, und auf keinen Fall gefährlich. Das dunkelbraune Haar, das seine gesunde Farbe allerdings zu einem Gutteil inzwischen der Färbflasche verdankte, war sorgfältig gescheitelt. Die braunen Augen wirkten etwas kurzsichtig, fast arglos, und der dünne Schnurrbart wirkte auch nicht gerade beeindruckend. Zudem war Benten von höchstens durchschnittlicher Größe und neigte ein wenig zur Dicklichkeit. Er gab sich üblicherweise jovial, übertrieb es damit allerdings häufig.
Aber wer Benten kannte, so wie Sinclair ihn kannte, der wusste, was sich hinter dieser Fassade verbarg. Benten war kein Sadist, kein Psychopath – er selber hatte in seinem Leben vermutlich noch nie einem Menschen mit seinen eigenen Händen ein Leid zugefügt. Aber seine völlige Instinktlosigkeit für die Leiden seiner ‚Ware’, das Fehlen irgendwelcher Skrupel oder Bedenken, die kalte, erbärmliche Mittelmäßigkeit seines Wesens, bereiteten sogar einem Mann wie Neville Sinclair Übelkeit. Für Benten gab es nur sich selber – ihm fehlte jedes Format, oder auch nur die Entschuldigung, durch irgendwelche fehlgeleiteten Ideale oder psychischen Defekte seiner Seele zu seinem Handeln getrieben worden zu sein.
Neville Sinclair hatte Roger Benten höflich begrüßt, ihm sogar die Hand geschüttelt – und den Drang unterdrückt, sich nach der etwas schwammigen Berührung die Handfläche abzuwischen.

„Sie haben Kontakte, die ich benötige. Dank Ihrer Geschäfte sind Sie in der Lage, gewisse Informationen…zuverlässig und diskret weiterzuleiten. Informationen, zum Beispiel, die für Michael Jerome bestimmt sind.“
Benten verzog das Gesicht abschätzig: „Ich habe keine direkte Geschäftsbeziehung zu Jerome mehr. Haben Sie eine Ahnung, in was für einem Zustand seine Ware meistens ist? Man muss schon Glück haben, wenn wenigstens 50 Prozent des Materials noch für einen angemessenen Preis losgeschlagen werden können. Jerome liefert billig, ja – aber er liefert nicht gut. Und wenn mir die Hälfte meiner Ware wegstirbt, was soll ich dann mit den Leichen machen? Sie zu Leim verkochen?“ Benten lachte bei seinen letzten Worten – und Sinclair stellte fest, dass er jetzt noch einen Grund mehr hatte, den Mann zu verabscheuen. Aber weil er ihn momentan brauchte, stimmte er in Bentens helles, fast kindisch klingendes Gelächter ein.
„Aber Sie haben doch immer noch gewisse Kontakte, oder? Verbindungsleute, Geschäftsfreunde. Sie kommen an Jerome heran? Ich will nichts von ihm kaufen, ich will ihm nur eine Botschaft zukommen lassen.“
„Nun ja, das kommt auf die Botschaft an. Jerome ist ein wenig eigenwillig – und selten lange an einem Ort. Wenn ihm die Botschaft nicht passt – dann muss ich anschließend einen neuen Boten suchen.“
„Ich denke, meine Nachricht dürfte ihn interessieren – und es wird jedenfalls auch Ihr Schade nicht sein.“
Benten richtete sich etwas in seinem Sitz auf. Sein Lächeln war fast gierig: „Sie waren immer sehr großzügig, Neville…“
Sinclair unterdrückte den Wunsch, auszuspucken. Jetzt musste er sich von dieser Ratte auch noch mit seinem Vornamen anreden lassen! Aber natürlich spielte er mit: „Was meinen Sie, Roger – würde sich Jerome dafür interessieren, wenn ich ihm mitteilen will, dass jemand hinter ihm her ist?“
Benten lachte jäh auf: „Das wäre wohl kaum eine Neuigkeit! Wer ist nicht hinter Jerome hinterher? Die Legion, so ziemlich jeder Staat zwischen Alaska und Mexiko…Sogar manche Freibeuter würden ihn liebend gerne fertig machen, wenn sie denn die Eier dazu hätten…“
„Und was ist, wenn ich sage, es gibt einen bestimmten Mann, der kein anderes Ziel hat, als die LEVIATHAN zu vernichten?“
„Ich würde sagen, der Mann ist offenbar lebensmüde. Was hat ihm Jerome denn angetan? Seine Tochter zugeritten?“
„Soviel ich weiß, hat er seine Frau getötet. Als er die SUN TRAIN abfackeln ließ.“
„Na da hat das Schmuckstück aber einiges versäumt…“
„Ich kenne Jeromes Ruf. Aber Scherz beiseite, ich weiß, dass dieser Mann nicht eher ruhen wird, bis entweder er tot ist – oder Jerome.“
„Und wer ist dieser Hanswurst nun?“
„Soviel ich weiß, gehörte er zu Cat Shannons besten Piloten. Er hat ein Militärzeppelin unter seinem Kommando, und sämtliche Maschinen an Bord haben den neuen texanischen Ntrobooster. Dieser ‚Hanswurst’ fliegt für die Texaner Spezialmissionen, und hat vier russische Zigarren in ein paar Wochen gekapert. Klingt das immer noch lächerlich?“
Benten zuckte mit den Schultern, aber seine Augen wirkten jetzt wacher, aufmerksamer: „Na ja, das klingt nicht schlecht. Jerome dürfte sich doch dafür interessieren. Hast du noch mehr darüber?“
„Ich kenne die Zusammensetzung der Fliegereinheiten, einige Leistungsparameter des Luftschiffs und die Namen und Abschusslisten einiger Offiziere.“
„Und warum willst du unbedingt Jerome vorwarnen? Ich wusste nicht, dass du sein Fan bist.“
„Das hat…persönliche Gründe.“
„Hat dieser texanische Kaperer etwa ein Häschen vernascht, dass du bespringen wolltest?“
„Rede keinen Blödsinn. Sagen wir mal lieber so, meine Geschäftsinteressen kollidieren mit einigen der Ambitionen dieses…Kaperers.“
„Na ja, im Grunde kann es mir ja egal sein. Solange du gut zahlst…Und ich schätze, diese Nachricht ist auch Jerome etwas wert. Hast du sonst noch Informationen – wo kann man diesen Rächer der Gerösteten denn finden?“
Neville Sinclair ermahnte sich selber, nicht zu vergessen, dass Roger Benten trotz seiner vulgären Sprechweise nicht dumm war. Er durfte sich keine Blöße geben. Er durfte nicht zu viel verraten – nicht so viel, dass Benten oder Jerome misstrauisch wurden. Das war das Problem mit Abschaum und Psychopathen – sie sahen überall Fallen, bissen mit Vorliebe in die Hand, die sie fütterte. Vermutlich hatte die Abwehr auch deshalb davon abgesehen, Jerome für sich zu rekrutieren. Sogar in der RSHA hielt man seine Methoden dem Vernehmen nach für reichlich grobschlächtig und etwas übertrieben: „Der Mann heißt David ‚Armstrong’ Stone. Und soviel ich weiß war er schon mehrmals in Sky Haven. Vielleicht kann man dort mehr herausfinden. Jerome hat doch da sicher seine Möglichkeiten. Wo dieser Armstrong momentan ist, weiß ich allerdings nicht.“
Letzteres war natürlich eine Lüge. Er wusste sehr genau, wo Armstrong zurzeit war, und zu welcher Operation er bald aufbrechen wollte. Aber zu enthüllen, dass er davon wusste, dass dieser texanische Kaperer sich in Hawaii mit den Australiern rumschlagen sollte, hätte Benten möglicherweise auf die falschen Fragen kommen lassen. Ganz zu schweigen davon, dass die NORTH STAR auf keinen Fall vor dieser Operation verschwinden durfte.
Erstens würde das nämlich der Abwehr gar nicht gefallen, und sie würde dann vielleicht zu misstrauisch werden. Und zweitens bestand ja immerhin die Hoffnung, dass die Aussies Jerome die Arbeit abnehmen würde.
Kurz fragte Sinclair sich unbehaglich, ob er mit seinem Hinweis auf Sky Haven nicht auch noch die dortige Abwehr-Agentin gefährden könnte – immerhin hatte diese Elisabeth O’Conner bestimmt Kontakt mit Hauptmann von Stahlheim aufgenommen. Doch dann verwarf Sinclair diesen Gedanken. Elisabeth war trotz ihres Alters ein Profi. Und auch wenn Sinclair von Stahlheim nicht ausstehen konnte, der Mann war gut. Es war absolut unwahrscheinlich, dass Jeromes tumbe Schläger auf die Abwehragentin aufmerksam wurden, wenn sie hinter Armstrongs Offizieren hinterher stöberten. Und selbst wenn doch – O’Conner konnte auf sich selber aufpassen, und momentan ging es Sinclair vor allem um die eigene Sicherheit.

Nachdem Benten gegangen war, erlaubte es sich Sinclair, sich etwas zu entspannen. Wenn die NORTH STAR erst einmal vernichtet war, dann würde Sturmbannführer Hoffmann zufrieden sein. Und das bedeutete, er würde Sinclair keine Schwierigkeiten machen, und wahrscheinlich sogar recht großzügig für Armstrong/Marquardts Tod zahlen. Und als besonderer Bonus für Sinclair würde auch dieser arrogante Abwehrhauptmann von Stahlheim dran glauben müssen. Neville Sinclair hasste es, bevormundet zu werden.
Wenn die Sache allerdings schief ging…Es war Sinclair egal, ob Jerome starb oder nicht. Aber er brauchte Armstrongs Tod, damit Hoffmann Ruhe gab.
Und wenn jemals durchsickern sollte, dass er Jerome auf die NORTH STAR und damit auch auf einen Top-Agenten der Abwehr angesetzt hatte…
Dann konnte er nur noch raten, ob es die RSHA oder die Abwehr sein würde, die einen Agenten auf ihn ansetzten, einen Mann wie Ernst von Stahlheim, oder einen einheimischen Killer. Die Deutschen verziehen niemals etwas, was sie als Verrat ansahen. In der Hinsicht nahmen sich RSHA und Abwehr nichts.
Aber Neville Sinclair verspürte dennoch keine Angst. Oder vielmehr fühlte er sie nicht als etwas Lähmendes, sondern als etwas Belebendes, Aufputschendes, fast Berauschendes. Dieses besondere Gefühl, das Balancieren auf des Messers Schneide, am Rande des Todes… Dieses Spiel konnte berauschender sein, als jede Droge. Dieses Gefühl war jedes Risiko wert – sogar den Umstand, dass er mit Leuten wie Roger Benten umgehen musste.
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Etwa zur gleichen Zeit, Sky Haven

Elisabeth O’Conner war alleine unterwegs. Sie war nicht gerade in bester Stimmung. Ihre Kleider stanken und schienen seit Jahren nicht mehr gewaschen worden zu sein. Ein langer, verdreckter Mantel und ein um den Kopf geschlungenes Tuch komplettierten das Ensemble, verbargen ihr Haar und ihr Gesicht. Vermutlich konnte ein Beobachter nicht einmal genau sagen, von welchem Geschlecht sie war. Das war Elisabeth momentan allerdings nur Recht.
Selbst in Sky Haven gab es Viertel, die als besonders unsicherer galten, während an anderen Stellen ein ungeschriebener Kodex zumindest für ein wenig Sicherheit sorgte.
Aber in dieser Gegend alleine, zumal als junge Frau unterwegs zu sein, war mehr als riskant. Hier wohnte der unterste Abschaum, die vollkommen Heruntergekommenen, die endgültig Gestrandeten, ohne Hoffnung oder Chance. Mancher hier würde für eine warme Mahlzeit töten. Gleichzeitig war dies hier auch ein Versteck für jene, die selbst in einer Stadt wie Sky Haven ihr Gesicht verbergen mussten. Diese Männer und (wenige) Frauen töteten bedenkenlos. Deshalb hatte Elisabeth nicht nur eine Automatic in der Tasche, sondern trug zudem noch eine abgesägte Pumpgun in den Händen. Die meisten menschlichen „Raubtiere“ die hier auf der Pirsch waren, würden sich angesichts dieser Waffe ihre Handlungsoptionen noch einmal überlegen – auf kurze Entfernung waren Schrottreffer angesichts hygienischen Bedingungen Sky Havens fast immer tödlich.
Hätte Ernst von dieser Aktion gewusst, bestimmt hätte er sie begleiten wollen. Trotzdem sie beide sich zurzeit tunlichst aus dem Weg gingen. Und genau das war der Grund, warum Elisabeth die Sache alleine durchziehen wollte.
Und die Beinahe-Katastrophe von gestern Abend, von der sie über ihre Zuträger erfahren hatte, ließ ihr Vorgehen noch dringlicher erscheinen. Dieser verrückte Marquardt war offenbar unfähig, seine Identität geheim zu halten. Und natürlich war auf seinen Kopf immer noch eine Belohnung ausgesetzt, schon seit Jahren. Diese zu stornieren hätte schließlich Aufmerksamkeit erregen können.
Somit würden jetzt nicht nur diejenigen hinter Marquardt her sein, die ihn als Armstrong tot sehen wollten…
Zeit, die Zahl der Verfolger zu reduzieren.

Es war nicht die Gefahr, überfallen zu werden, die die Abwehragentin momentan an erster Stelle ängstigte. Sie kannte sich immerhin aus, war schon ein paar Mal hier gewesen. Sondern es war das Treffen, zu dem sie jetzt unterwegs war. Ein Schwimmer, der sich zu einem Weißen Hai ins Wasser wagte, konnte vielleicht ermessen, was sie empfand.

Dann war sie am Ziel, einer abgebrannten, eingestürzten Lagerbaracke. Der Treffpunkt war gut gewählt – die Trümmer und Wandreste boten perfekte Deckung. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, und in den Schatten der Ruine hätte sich eine ganze Armee verstecken können.
Und der Mann, der sie gerade beobachten musste, war auf seine Art genauso gefährlich, wie eine Armee.
„Was will die Abwehr von mir?“ Die Stimme war leise, nur ein Flüstern, unbestimmt und körperlos, wie die Stimme eines Geistes. Elisabeth unterdrückte den Impuls, sich umzusehen. Sie war sich sicher, dass eine Waffe auf ihren Körper zielte.
„Wir wollen, dass Sie Armstrong in Ruhe lassen, Mungo. Der eine Sprengsatz war genug.“ In ihrer Stimme lag eine Ruhe, die sie nicht empfand.
„Sie wissen was er war. Trotzdem wollen Sie ihn schützen? Es gibt immer noch ein Preisgeld auf seinen Kopf. Ich bin überrascht. Waren Sie es, die meine Bombe entschärft haben?“
„Nein.“
„Richten Sie dem Mann mein Kompliment aus. Ich schätze gute Handarbeit.“ In der leisen, schattenhaften Stimme klang einen Augenblick lang fast so etwas wie Belustigung mit: „Beim nächsten Mal sollte ich dem Rechnung tragen.“
„Sie haben schon mehrmals für uns gearbeitet. Wir haben Sie gut bezahlt, Mungo.“
„Und ich habe immer gute Arbeit geleistet. Das ist kein Argument, um Armstrong am Leben zu lassen.“
„Wie wäre es mit folgendem Argument – wir zahlen Ihnen die ausgesetzte Summe und die Hälfte des ausstehenden Kopfgeldes. Das würden Sie nämlich niemals bekommen, wenn Sie ihn jetzt töten. Das sind dann zwanzigtausend Dollar, nicht wahr?“
„Sie kennen meine Preise. Aber ich habe einen Auftrag übernommen.“
„Dann geben Sie ihn eben wieder ab. Schicken Sie die Anzahlung zurück. Sie können sich das leisten. Wenn Sie den Auftrag fortführen wollen – wir können Sie finden. Selbst Sie sind nicht unsterblich.“
„Das haben schon etliche Jäger gedacht. Wollen Sie mir drohen? Sie sind wohl kaum in der Position dazu…“
„Ich weiß, dass Sie mich töten können. Aber das würde die Jagd auf Sie nicht beenden. Sie wissen das. Wenn Sie weiter versuchen, Marquardt umzubringen…gefährden Sie unsere Interessen. Wollen Sie alleine gegen das Reich antreten?“
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen, unterbrochen nur von dem fernen Grölen betrunkener Piraten. Dann war es wieder die Stimme des Mungos, die zu hören war. „Sie haben Mut, Mädchen.“
„Haben wir eine Einigung? Ich werde Sie nicht nach dem Namen ihres Auftraggebers fragen…“
„Nein, das werden sie nicht. Und nebenbei…mein Klient ist nicht der Einzige, der den Tod Stones – oder Marquardts – will. Das sollten Sie bedenken. Sie und ihr rotblonder Freund können ihn nicht immer beschützen.“
Es überraschte Elisabeth nicht, dass der Mungo von Stahlheim identifiziert hatte. Es gefiel ihr aber auch nicht besonders: „Mit dieser Tatsache können wir leben.“
„Das wird sich noch herausstellen. Ich rate Ihnen, dass wir uns nicht noch einmal unter ähnlichen Umständen begegnen. Andere Männer aus meinem Metier würden an Ihnen ein…Exempel statuieren, um der Abwehr eine Botschaft zu übermitteln.“
„Aber Sie werden das nicht tun.“ Elisabeth musste trotz ihrer Worte ein Zittern unterdrücken, das sich in ihre Stimme zu schleichen drohte. Sie durfte keine Schwäche zeigen.
„Warum sind Sie da so sicher?“
„Wenn Sie so etwas vorhätten, würden Sie nicht nur darüber reden.“
„Sie haben auch Humor. Die Abwehr hat einen guten Fang gemacht. Nun gut.
Aber ich glaube, selbst Sie werden Marquardt nicht vor sich selber beschützen können. Haben Sie eigentlich Melville gelesen?“
Elisabeth O’Conner gab keine Antwort. Nach einigen Sekunden begriff sie – der Mungo war gegangen, genauso unbemerkt, wie er aufgetaucht war. Sie konnte sich vorstellen, was er mit seinen letzten Worten gemeint hatte. Sie selber hatte schon einmal eine ähnliche Analogie Steel gegenüber benutzt.
Melvilles Lebenswerk, mit dem er unsterblich geworden war, war natürlich „Moby Dick“. Die Geschichte von dem wahnsinnigen Kapitän Ahab, der von Rachegefühlen besessen den Weißen Wal jagte, der ihn verstümmelt hatte. Am Ende hatte Moby Dick den Kapitän getötet, und sein Schiff versenkt. Die ganze Mannschaft war Ahab in den Tod gefolgt. Nur ein Einziger hatte überlebt, um davon zu berichten…
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Es war nicht jedermanns Sache, an Bord der eigenen Zigarre von schwer bewaffneten, überaufmerksamen Marines bewacht zu werden, zusammengepfercht im Hangar und direkt mit dem Tod bedroht.
Die Mannschaft Der LONGHORN hatte aber schnell gelernt, dass sie gegen die Infanteristen der NORTH STAR, erfahren in vier schweren Einsätzen vor Alaska, ohne eigene Infanterie nicht ankam.
„Was hat das alles zu bedeuten?“, rief John Studd, Chefmechaniker und Erster Offizier an Bord der umgebauten Zigarre.
Dave kratzte sich am Haaransatz seiner Stirn. Im Nachhinein wunderte er sich, wie leicht der Überfall abgelaufen war, mit welcher Einfachheit sie an Bord gekommen waren. Bis auf acht Mann, die irgendwo in Sky Haven unterwegs waren, hatten sie die ganze Bande eingesackt.
Waren sich diese Männer und Frauen klar, wo sie sich befanden? Hielten sie diesen Ort für einen gesicherten Militärstützpunkt oder für das verrottete Gomorrha Sky Haven? Na, einen Teil der Lektion hatten sie jedenfalls gelernt.
Dusk trat neben den Mann, hielt ihm ihre Beretta an den Kopf und rief: „Wir stellen hier die Fragen! Erkennen Sie die Situation, in der Sie sich befinden, Mister!“ Danach nickte sie Dave zu. „Okay, Boss.“
„Also, Mr. Studd, ist die Namensliste, die ich in der Hand halte, vollständig?“
Der Mann brummte unwillig.
„Er hat dich was gefragt!“, blaffte Dusk, riss die Waffe hoch und feuerte sie gegen die nächste Wand ab. Die Kugel wurde reflektiert und sauste aus Querschläger zwischen den abgestellten Maschinen hindurch.
„J-ja! Die Liste ist vollständig. Aber was hat das zu bedeuten? Ich dachte, wir sind Verbündete!“
„Das dachte ich bis vor zwei Stunden auch noch.“ Dave nickte seiner kleinen Schwester zu. Die warf dem Mann ein großes, in Ölpapier gewickeltes Paket zu.
Unsicher sah der Mechaniker auf das Paket, dann auf Stone. Erst als der nickte, öffnete er es.
Der Mann erstarrte. Dann, beinahe mechanisch, zog er den blutüberströmten Inhalt hervor.
„Das ist Ericas Fliegerjacke“, hauchte er.
Ein leises, erstauntes Raunen ging durch den Raum. Einige der Männer und Frauen ballten wütend die Hände.
„Damit kommen Sie nicht durch“, zischte Studd. „Vorsitzender Campbell wird Sie…“

„Vorsitzender Campbell ist hier“, erklang die Stimme des alten Texaners. Er trat ein, seine Augen blitzten vor Zorn und unter diesem Blick senkten die Gefangenen ihren Blick.
„Und er ist überhaupt nicht zufrieden! John, was ich wissen will ist: Wie viele von euch Idioten muß ich töten? Wer weiß noch alles von Bloombergs dämlichen Plan?“
„Was?“ Überrascht sah der Mechaniker auf. „Ein Plan? Was für ein Plan?“
„Spiel nicht den Idioten!“, blaffte Dusk und rammte ihm den Lauf ihrer Waffe hart auf den Kopf. „Der Plan, der vorgesehen hat, meinen Boss zu erschießen, ihn zu enthaupten und seinen Schädel in die Industrials zu schicken!“
Irritiert sah Studd auf. Den Lauf der Pistole ignorierte er. „Ich weiß nicht wovon Sie reden!“
„John. Erica Bloomberg ist gut drei Stunden in die Stadt aufgebrochen, richtig?“
„Ja, mit zwei der Piloten aus ihrer alten Staffel und ein paar Mechanikern, mit denen sie vorher zusammen gearbeitet hat. Insgesamt neun Leute. Wieso?“
„Nun, sie hat mir eine Falle gestellt. Sie wollte sich das Kopfgeld verdienen, das auf mich ausgesetzt ist. Immerhin zwanzigtausend Dollar“, informieret Dave amüsiert. Er deutete auf die besudelte Jacke in Studds Händen. „Hat übrigens nicht geklappt.“
„K-kopfgeld? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was für eine Falle? Warum Erica? Dick, was wird hier gespielt?“
Das Vorstandsmitglied des Aufsichtsrates von Colt Aviation räusperte sich. „Es ist gut, John. Du kannst wieder aufstehen. Deine Leute auch.“
Die Marines der NORTH senkten ihre Waffen und Dusk stellte sich hinter Dave auf, behielt die Beretta jedoch geladen und entsichert in der Hand.
„John, auf Dave ist ein Kopfgeld ausgesetzt. Die Deutschen zahlen, nun, zwanzigtausend Dollar für ihn. Erica wollte sich dieses Geld verdienen. Dafür lauerte sie ihm in… Nun, seinem Stammlokal auf. Dort wollte sie ihn töten und das Gebäude abbrennen. Mit allem was sie identifizieren kann. Von den Leuten die sie mitgenommen hat, sind sieben gestorben. Zwei werden noch behandelt, aber es ist unsicher ob sie durchkommen.
Du hast vorhin gesagt, du verstehst die Behandlung nicht, immerhin seid ihr Verbündete. Das gleiche sage ich jetzt dir. Verdammt, John, warum greifst du einen Verbündeten an?“
„Dick, ich habe es nicht gemerkt! Ich wusste nicht, was sie vorhat! Bei der heiligen Mutter Gottes, Dick, du hast mein Wort! Ich dachte, sie geht mit ihrem harten Kern einen trinken. Und die schwere Bewaffnung gehört in Sky Haven ja zum guten Ton. Ehrlich, ich wusste nichts davon!“

Richard Campbell und Dave Stone tauschten einen langen Blick aus.
Dave nickte schließlich. „Blue?“
„Keine Bedenken, Boss.“
„Steel?“
„Es deckt sich mit der Aussage der beiden Ratten, die überlebt haben, Boss.“
„Dusk?“
„Wenn du mich fragst, lass sie uns alle erschießen und irgendwo verscharren. Ich fliege nicht gerne mit Leuten, die mich jederzeit aus irgendwelchen Rachegedanken von hinten angreifen, obwohl wir die gleichen Farben tragen.“
„Deine Entscheidung, Dick.“
Campbell nickte. „Du hast die Lady gehört, John. Sie traut euch nicht. Was soll ich tun? Die LONGHORN zurückrufen? Die Mannschaft austauschen? Dich und die anderen erschießen lassen?“
„Dick, wenn du jemanden erschießen lassen willst, dann nimm mich und lass meine Crew aus dem Spiel! Ich lege für jeden Mann und jede Frau auf diesem Flugdeck meine Hand ins Feuer. Ich schwöre, wir alle wussten nicht was sie plant. Wir würden niemals gegen eine offizielle Entscheidung von Texas vorgehen. Das weißt du. Du kennst mich!“
„Und du meinst, du hast diese Leute besser im Griff als Erica Bloomberg und – wie hast du sie genannt – ihren harten Kern?“
Der Ältere grinste plötzlich. „Ich bin ganz gut mit ihr zurecht gekommen. Aber es war ein gewisser Richard Campbell, der sie mir mit ihren Leuten überhaupt erst vor die Nase gesetzt hat.“
„Da ist was Wahres dran.“ Schmunzelnd rieb sich der Texaner das Kinn. „Teufel, niemand ist perfekt. Und wenn zwei alte Freunde wie wir zwei sich nicht vergeben können, wer dann?“

Er sah zu Stone herüber. „Thomas. Du setzt die Strafe fest.“
Dave schnaubte verächtlich. „Mr. Studd, Sie brauchen drei neue Piloten. Und einen neuen Chefmechaniker, denn Sie werden mit sofortiger Wirkung eine Etage höher dienen.“
John Studd zuckte zusammen. „Eine Etage höher“ hieß für einen Piloten oder Mechaniker normalerweise zum Zeppelin-Personal versetzt zu werden. Aber durch ein paar Geschichten über die vernichteten Black Hats konnte „eine Etage höher“ auch bedeuten, in den ewigen himmlischen Ruhestand versetzt zu werden.
„Ich brauche für diese Zigarre einen Kommandanden, der sowohl Texas liebt als auch in der Lage ist, meine Befehle auszuführen. Darum, Kapitän Studd, vertraue ich ab sofort auf Sie. Enttäuschen Sie mich nicht, und diese unliebsame Episode mit Erica Bloomberg ist bald vergessen. Können wir auf dieser Basis weitermachen?“
„Ja. Ja. Ja, Sir!“
„Sagen Sie nicht Sir. Nennen Sie mich Armstrong oder Boss.“ Mit einem dünnen Schmunzeln reichte Dave dem ehemaligen Chefmechaniker und jetzigen Skipper der LONGHORN die Hand.
Der griff dankbar zu. „Sie können sich auf mich und meine Leute verlassen, Boss.“
„Da wäre noch das Pilotenproblem“, gab Richard Campbell zu bedenken. „In zwei Tagen ist ein Rendezvous außerhalb von Sky Haven mit einem Transportzeppelin aus Texas geplant. Alle drei Zigarren werden zusätzliche Ausrüstung, zusätzliches Personal und Flakbesatzungen für Hawaii an Bord nehmen. Ich werde dafür sorgen, dass drei texanische Piloten und Ersatztechniker dabei sind, John. Außerdem werde ich deiner Zigarre ein ständiges Kontingent Marines zuteilen. Auf der NORTH hat es sich gut bewährt.“
Wieder lächelte Armstrong dünn. Campbell würde dafür sorgen, dass diese Marines in erster Linie auf ihn, den Geschwaderchef, hörten.
„Das sind gute Nachrichten, Dick.“
„Ach, da wäre noch etwas. Ich leihe Ihnen bis zum Abflug zwölf meiner Marines, um Ihre Zigarre zu bewachen, Kapitän Studd. Sie sind mir doch etwas leichtsinnig, was Sky Haven angeht. Wenn sie willkommen sind, heißt das.“
„Natürlich, Boss. Sie haben ja gerade gezeigt, was mit leichtsinnigen Leuten passiert.“
„Dann ist es ja gut. Abrücken, Leute. Unsere kleine Krise ist beendet.“

**
Am nächsten Morgen stand Dave Stone in dem unscheinbaren Krankenzimmer einer Privatklinik in den besseren Gebieten von Sky Haven. Dieses Viertel war so gesittet, dass sich die Straßenräuber hinterher entschuldigten, wollte ein geläufiges Sprichwort wissen lassen.
Tom und Sharon lagen immer noch in Betten nebeneinander. Gegenüber den beiden Häuflein Mensch, die er aus der stinkenden Grube unter der Holzhütte hervor gezogen hatte, sahen sie sehr viel besser aus. Aber Dave wusste, was unter den Verbänden lauerte, mit denen die beiden großzügig eingewickelt waren.
„Ah, Armstrong, Sir. Es tut gut, Sie zu sehen“, sagte Tom beinahe heiter.
Dave unterdrückte den Impuls hart zu schlucken und lächelte stattdessen. Beide hatten in der Nacht wieder schwere Albträume gehabt und wähnten sich manchmal noch an Bord der LEVIATHAN oder in der Grube unter der Hütte.
Das Tom ihn so offen anlächeln konnte war nur seinem puren Willen zu verdanken. Der gleiche Wille, der ihn erst die LEVIATHAN und dann die Sklavenhändler hatte überleben lassen; der gleiche Wille, der verhindert hatte, dass er sich selbst und Sharon erschossen hatte, als Dave ihm und den anderen gemarterten Menschen in der Grube diese Chance gegeben hatte.
„Es tut gut, euch zwei so munter zu sehen. Ihr seht viel besser aus als letzte Woche. Dann dauert es wohl nicht mehr lange, bis ihr euren ersten Spaziergang macht, oder?“
„Der Doc hat gesagt, wir dürfen nächste Woche aufstehen“, warf Sharon ein. „Wir dürfen doch raus, oder, Sir?“
Missmutig sah Dave das Mädchen an. Sie mochte vor den Misshandlungen hübsch gewesen sein, und vielleicht wurde sie das auch wieder. Aber was sie erlebt hatte, musste ihre Seele vollkommen vernarbt haben. „Natürlich dürft ihr raus. Und sobald der Doc sagt, dass ihr gesund seid, hole ich euch auf die NORTH.“
Tom hatte plötzlich einen fiebrigen Blick. „Heißt das, Sie holen sich die LEVIATHAN?“
„Nein, vorher habe ich noch einen anderen Auftrag. Danach ist die LEVIATHAN dran. Wir werden einen guten Monat weg sein.“
„So lange?“ Ängstlich krallte sich Sharon in die Laken.
„Keine Sorge, euch wird nicht langweilig werden.“ Der Commander holte zwei dicke Blöcke hinter seinem Rücken hervor. „Ich weiß, es ist schwierig für euch, aber ich möchte gerne, dass ihr bis zu unserer Rückkehr alles aufschreibt, was euch über die LEVIATHAN einfällt. Wenn einer von euch zeichnen kann, würde ich mich über Skizzen aller Räume freuen, die ihr gesehen habt.
Natürlich auch Portraits der Piloten und anderen Crewmitglieder.
Ein Lageplan ist vielleicht auch nicht verkehrt. Falls wir in die Lage kommen, Jeromes Schiff zu entern wüsste ich gerne wo die Waffenkammer ist, wo die Sklavenquartiere sind und dergleichen.“
„Das wird Zeit brauchen“, wandte Tom ein.
„Zeit, die ihr im Übermaß habt, während ihr gesund werdet. Vergesst nicht, das ist genauso für meine als auch eure Rache gut.“ Er legte jedem einen Block auf die Bettdecke und packte ein paar Bleistifte dazu. „Ich zähle auf euch. Ihr wart an Bord. Ihr wisst, wie das Schiff drinnen funktioniert. Und mit diesem Wissen zerquetsche ich sie, versprochen.“
„Wir tun, was wir können, Sir.“ Sichtlich ergriffen zog Tom den Block an sich.
Dave lächelte stumm und wandte sich zum Gehen.
„SIR!“, hielt ihn Sharons Stimme zurück. „Haben Sie vielen Dank für alles, was Sie für mich und Tom tun.“
Dave wandte sich um und strich der jungen Frau sanft über den Kopf. „Es tut mir Leid, dass ich nicht mehr tun kann, Sharon.“
„Es ist in Ordnung“, sagte sie mit starrem Blick. „Es ist so in Ordnung.“

Vor dem Krankenzimmer erwartete ihn Steel. „Und? Wie war es?“
„Hasenfuß. Sie sehen schon viel besser aus als vorgestern. Du hättest ruhig mit reinkommen können.“
„Das ist es nicht. Ich wollte sie nicht unnötig aufregen. Dass du da reinstiefelst ist sicherlich Stress genug für die zwei.“
„Hm“, machte Dave amüsiert. „Gutes Argument.“
„Und? Tun sie es?“
„Ja. Sie schreiben uns alles auf was sie wissen. Und mit etwas Glück kriegen wir noch ein paar Lagepläne und dergleichen.“
„Dann hat sich dein idiotischer, selbstmörderischer Rachefeldzug gegen die Sklavenhändler ja gelohnt“, tadelte Steel.
„Für Sharon und Tom sicherlich“, brummte Dave.
Steel blieb ihm eine Antwort schuldig. Schweigend verließen sie das Krankenrevier.
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Irgendwo zwischen Sky Haven und der Westküste

Es war schon spät, zweifelsohne schliefen die meisten Männer und Frauen an Bord der NORTH STAR bereits – oder befanden sich zumindest im Bett. Eine Ausnahme bildeten nur diejenigen der Mannschaft, die auf Wache standen – in der Kommandozentrale, an den Maschinen und bei den Gefechtsständen.
Die dritte Stunde nach Mitternacht war inzwischen bereits durchgegangen. Es war die Stunde der Spione.
Ernst von Stahlheim erwachte übergangslos. Langes Training hatte ihm die Fähigkeit gegeben, seine „innere Uhr“ ziemlich genau einzustellen. Ein schneller Blick bewies ihm, dass er noch etwa eine halbe Stunde Zeit hatte. Das war mehr als genug. Lautlos erhob er sich, schaltete das Licht an, und vergewisserte sich noch einmal, dass die Tür verriegelt war. Er wollte nicht ausgerechnet jetzt gestört werden. Und der Grund dafür war keineswegs der Umstand, dass er momentan nur halb bekleidet war. Von Stahlheim wandte sich dem schmalen Wandbord zu, das seine „Bordbibliothek“ bildete, und warf ein, zwei Bücher auf das schmale Bett.
Noch einmal blickte er auf die Uhr. Plötzlich hatte er das schmale Kommandomesser in der Hand, dass sein ständiger geheimer Begleiter war – Werkzeug, Waffe und der letzte Ausweg aus einer hoffnungslosen Lage. Aber momentan brauchte er es nur, um ein paar Schrauben zu entfernen. Vorsichtig entfernte er einen Teil der Wandverkleidung, sorgfältig darauf bedacht, dass die Aluminiumplatte nirgendwo anstieß.
Dahinter kamen die Einzelteile seines Funkgeräts zum Vorschein. Wenn auch nur die bloße Existenz dieses Apparats bekannt würde, dann wäre er „verbrannt“. Alles konnte er erklären – aber bestimmt nicht das Vorhandensein dieses Geräts. Aber gleichzeitig stellte dies die einzige Verbindung mit seinen Vorgesetzten und den anderen Agenten der Abwehr dar, die auf dem gigantischen nordamerikanischen Kontinent im Auftrag des Deutschen Reiches spionierten.
Die Handbewegungen des Spions waren routiniert und sicher. Die Montage und der Einsatz derartiger Funkanlagen gehörten zu den Grundlektionen der Abwehrausbildung. Gleichzeitig aber lauschte von Stahlheim, suchten seine Sinne nach einem verdächtigen Laut von jenseits der Tür, nach Schritten oder Stimmen. Die Gefahr seiner Enttarnung war immer gegeben. Es würde schon ausreichen, wenn sich der Commander an einen bestimmten Abend erinnerte – einen bestimmten Abend, ein bestimmtes Fest, an einen bestimmten Fliegerleutnant…

Jetzt war das Gerät zusammengebaut. Von Stahlheim blickte auf die Uhr und lächelte dünn. Er hatte seinen eigenen Rekord um fast zehn Sekunden unterboten. Das war keineswegs nur ein Spiel – in bestimmten Situationen mochte es von entscheidender Bedeutung sein, wie schnell er die Anlage auf- und abbauen konnte. Hoffentlich war heute Nacht nicht solch eine Situation.

Von Stahlheim stülpte sich nur einen der Kopfhörer über. Das musste reichen – mit dem anderen Ohr würde er weiter nach Draußen lauschen. Mit vorsichtigen, tastenden Bewegungen regulierte er die Einstellung des Geräts – schon aus Gründen der Konspiration kam es nicht in Frage, das Funkgerät nach der Benutzung auf eine bestimmte Frequenz fixiert zu lassen. Außerdem variierten vorsichtige Agenten gelegentlich die Funkfrequenz etwas.
Da war auch schon das Signal, auf das er gewartet hatte. Der andere Funker war in Eile – und es musste sich um einen langen oder besonders geheimen Funkspruch handeln, denn gleich zu Anfang kam das vereinbarte Signal für „Funkspruch wird nicht wiederholt“.
Während von Stahlheim die Ziffern notierte, die ihm in schneller Reihenfolge gesandt wurden, verzog sich sein Mund zu einem düsteren Lächeln. Er war kein Experte im Funken, aber dennoch war sich von Stahlheim ziemlich sicher, dass er Elisabeth’s „Handschrift“ erkannte.
Sie würde natürlich kaum in einem „offiziellen“ Funkspruch irgendetwas Persönliches senden. Ganz bestimmt nicht jetzt. Nicht nach ihrem letzten Streit. Höchstens würde sie ihm noch einmal mitteilen wollen, dass er ein Idiot war Aber dennoch kam es von Stahlheim einen Augenblick lang vor, als würde so etwas wie eine unsichtbare Brücke geschlagen, könne er sie fast berühren. Dann aber verdrängte er diese Anwandlung. Nächstens begann er auch noch, an Todesahnungen zu glauben!
Der Funkspruch war wirklich ziemlich lang – fast drei Minuten. Von Stahlheim fühlte, wie sich langsam aber sicher in seinem Magen ein ungutes Gefühl breit machte. So viel…Das bedeutete nichts Gutes – oder es verhieß den Einsatzbefehl. War am Ende doch die Abwehr hinter Marquardt her – oder die RSHA? Kam jetzt der Befehl, den Commander zu eliminieren? Und was plante die Abwehr in Zusammenhang mit dieser neusten hirnrissigen Großmachtsattitüde Texas, diesmal in Hawaii. Wenn die Abwehr ihre japanischen Freunde informierte...
Natürlich würde die Abwehr das tun. Blieb nur die Frage, wie die Japaner reagieren würden.
Jetzt war Elisabeth zu Ende.
Von Stahlheim starrte auf die lange Zahlenkolonne vor ihm. Was mochte sie beinhalten?

Plötzlich flog sein Kopf herum, verzerrte sich sein Gesicht – Schritte! Eilige Schritte, zielgerichtet. Und sie kamen hierher, zu seiner Kajüte!
Jetzt war keine Zeit für Sorgfalt oder Vorsicht – hastig, mit fliegenden Händen begann der Agent, das Funkgerät zu zerlegen, schob die sperrigeren Stücke in das Wandversteck, einzelne Teile unter seine Bettdecke. Keine Zeit für ein besseres Versteck – wenn irgendjemand sein Quartier durchsuchen wollte, dann war er sowieso geliefert.

Er schaffte es nicht ganz. Als die Schritte vor seiner Tür innehielten, verschwand gerade der letzte größere Bestandteil in der Wandnische – aber die Wandverkleidung lag noch immer auf dem Bett. Selbst einem Blinden musste dieses Detail auffallen.
Eine Hand hämmerte gegen die Tür, ein, zwei Mal. Dann ertönte eine dumpfe Stimme: „Steel? Sind Sie wach? Der Commander...“
„Ja verdammt, ich komme gleich!“ Wut und Angst ließen Steels Stimme scharf klingen. Etwas von dieser Schärfe musste wohl auch durch die Tür gedrungen sein, denn wer auch immer draußen wartete, er blieb vorerst stumm.
Während Steel höchst überzeugend fluchte, rammte er das Wandstück wieder an seinen Platz und drehte die Schrauben provisorisch mit der Hand fest. Das musste vorerst reichen.
Dann war er schon an der Tür, riss sie mit der Linken ruckartig auf.

Draußen stand Johnnie Katayama. Der junge Kabinensteward des Commanders wirkte reichlich verschlafen. Als er in Steels Gesicht sah, wurde er sichtlich blass.
„Was will der Commander um diese verdammte Zeit von mir, verflucht noch mal?!“
Johnnie kam ins Stottern: „Er…er will Sie sprechen. Wir…wir haben einen Funkspruch aufgefangen, verstümmelt. Die LONGHORN meldet, dass sie von einem unbekannten Luftschiff angegriffen wird.“
„Will der Alte, dass wir den beschissenen Schutzengel spielen? Na schön.“

Von Stahlheim drehte sich um und griff nach seinen Sachen. So bekam der junge Kabinensteward allerdings Gelegenheit, einen Blick in die Kabine zu werfen. Er sah, dass das Bett ziemlich in Unordnung war, die Bettdecke zerwühlt. Jemand hatte anscheinend ziemlich achtlos ein Buch auf das Bett hingeworfen, mit dem Einband nach oben. Und auf dem Einband präsentierte eine farbige Zeichnung eine ziemlich üppige, ziemlich dunkelhäutige und völlig nackte Frau die den Kopf zurückgeworfen hatte und etwas aufgesetzt hatte, was wohl ein exstatisches Lächeln sein sollte.
Jetzt erst bemerkte Johnnie, dass Steel ihn ansah. Das scharf geschnittene Gesicht war ausdruckslos, aber jetzt erst registrierte der Junge, dass der Staffelkommandant halbnackt und sein Oberkörper schweißüberströmt war. Diese Tatsache, Steels Verärgerung, das Buch, dass zerwühlte Bett – Johnnie zog seine Schlüsse. Allerdings waren es die falschen. Der Junge lief rot an.
„Ist noch was?! Gibt es einen verdammten Grund, warum du Scheißer hier noch herumstehen musst, wie ein verfluchter Ölgötze?!“

Johnnie nutzte die Gelegenheit, die diese Worte boten. Mit ein paar zusammenhanglosen Worten drehte er sich um und sah zu, dass er davonkam. Mann, war das peinlich! Komischerweise schien es Steel aber überhaupt nicht peinlich zu sein. Vermutlich zählte ein Kajütensteward einfach nicht…

Ernst von Stahlheim sah dem davon hastenden Jungen hinterher. Seine Miene verriet nichts. Leise, fast behutsam schloss er die Tür. Legte die Jacke auf den Kabinentisch. Und steckte das Messer weg, das er darunter bereitgehalten hatte. Hätte der Junge auf die falsche Art und Weise reagiert…
Aber stattdessen…Kurz zuckte es um seine Mundwinkel, dann, übergangslos, begann Ernst von Stahlheim zu lachen. Es war ein zynisches, humorloses Lachen, dass selbst in seinen eigenen Ohren falsch klang. Aber er konnte nicht aufhören.
Es dauerte fast eine Minute, bis er sich wieder fasste.
Einmal mehr war er über den etwas abseitigen Humor der Abwehr froh, gerade SO ein Buch für die Ver- und Entschlüsslung von Funksprüchen zu benutzen. Es mangelte den Amerikanern in ihrer schizophrenen Mischung aus grenzenlosem Hedonismus und hysterischer Bigotterie wohl einfach an der nötigen Vorstellungskraft.
Dann aber rannte er los, obwohl er immer noch nicht voll angezogen war. Er hatte einen Einsatzbefehl.
Kurz überlegte von Stahlheim – ein Piratenangriff mitten in der Nacht? Konnte das sein? Aber sicher – und er hatte vermutlich einen Nigger unter seinen Vorfahren. Irgendjemand hatte da Mist gebaut, aber wenn der Commander wollte, dann sprang Steel. Vorerst noch.

*************

Ungefähr vier Stunden später

Wie erwartet hatte sich die ganze Sache als falscher Alarm erwiesen. Das texanische Luftschiff hatte wohl eher zufällig den Kurs eines anderen Zeppelins gekreuzt – und wem das auch immer gehört hatte, Piraten, Kaperern oder Schmugglern, sie hatten überreagiert, sofort aus allen Rohren das Feuer eröffnet und anschließend das Weite gesucht. Manchmal schien es, als würde der Himmel über den ehemaligen USA langsam zu voll werden – und als ob mindestens jedes zweite Luftschiff ein Pirat war, oder in irgendwelche anderen dunklen Geschäfte verwickelt war. Der neue Kapitän der LONGHORN hätte am liebsten alle seine Jäger rausgehetzt, und dem unbekannten Luftschiff die Hölle heiß gemacht. Aber in der Dunkelheit war die Verfolgung eines abgedunkelten Luftschiffs ein ziemlich sinnloses Blindekuhspiel. Außerdem wollte Marquardt nicht, dass ausgerechnet die LONGHORN sich weiter vom Verband entfernte. Bis auf weiteres, eingedenk der unbeweint verstorbenen Kommandantin, stand die LONGHORN etwas unter Verdacht. Wenigstens bekam das Dog Pack so mal wieder etwas Nachtflugroutine.

Als Von Stahlheim dann allerdings endlich dazu kam, den Funkspruch zu entschlüsseln, klappte ihm unwillkürlich die Kinnlade herunter.
DAS wollte das Oberkommando von ihm?! Und der Befehl kam nicht etwa von der Zentrale in New York, sondern der Unterschrift nach aus Berlin. War von Tauten übergeschnappt?
Doch dann begriff er, dass dies keineswegs der Fall war. Diese Operation war vielmehr genau das, was er von dem Oberst hätte erwarten sollen. Von Tauten hatte einen gewissen Ruf.
Vermutlich sollte er sich geschmeichelt fühlen, dass Arnim von Tauten ihm dies zutraute. Wahrscheinlich würde er einen Orden dafür bekommen. Wenn er überlebte. Aber sollte Marquardt jemals erfahren, was hinter seinem Rücken ablief, dann würde er von Stahlheim vermutlich ohne Fallschirm aus dem Hangartor schmeißen. Oder ihn vielleicht in einen der Hauptantriebspropeller hängen lassen.

Von Stahlheim war ein erfahrener Pilot. Im Verlauf der Jahre, in verschiedenen Konflikten, hatte er inzwischen siebzehn Maschinen abgeschossen – über der Nordsee, im spanischen Bürgerkrieg, in der Mandschurei und in Amerika. Aber der Flug, auf den ihn von Tauten nun schickte, würde etwas völlig Neues sein.
Nur einmal lächelte er dünn, als er den Tarnnamen der Operation las: „Operation Accolon“.
Oberst Arnim von Tauten hatte wieder einmal seinen schwarzen Humor und seine Vorliebe für die Sagen des Mittelalters nachgegeben.
Sir Accolon von Gallien hatte im Zweikampf beinahe König Artus erschlagen, da er dessen magisches Schwert Excalibur in den Händen führte, während Artus mit einer ihm unterschobenen Kopie focht.
Dann runzelte von Stahlheim allerdings die Stirn, als er sich an die weiteren Einzelheiten der Sage erinnerte. Accolon war der Geliebte von Artus Halbschwester Morgana gewesen. Morgana aber war der Codename gewesen, unter dem von Stahlheim Elisabeth kannte. War das nur ein Zufall, oder wusste Oberst von Tauten etwa von dem Verhältnis der beiden Agenten zueinander? Das war doch unmöglich!
Und außerdem, am Ende hatte Artus sein Schwert zurück gewonnen, Accolon war erschlagen und sein Kopf an Morgana geschickt worden.
Ernst von Stahlheim glaubte nicht an Zeichen und Omen. Dennoch fragte er sich einen Augenblick lang unbehaglich, ob von Tautens Witz nicht letztendlich auf seine Kosten gehen würde…

****

Sky Haven

Elisabeth O’Conner streifte die Kopfhörer ab und stützte ihren Kopf in die Hände. Ihre Miene wirkte düster. Sie hatte ihren Befehlen gehorcht, und hatte damit Ernst von Stahlheim auf einen Einsatz geschickt, den sie für riskant, leichtsinnig und nur halb durchdacht hielt. Als wäre die Ausgangssituation nicht schon gefährlich genug gewesen.
Das war nicht das erste Mal, dass sie Grund zu haben glaubte, an den Befehlen und Richtlinien zweifeln zu müssen, die sie empfing oder weiterleitete. Als sie vor sechs Jahren von der Abwehr rekrutiert worden war, da war Adolf Hitler seit gerade mal einem Jahr Reichskanzler. Die NSDAP schien vor allem damit beschäftigt, Sozialisten, Kommunisten und Juden zu schikanieren, sowie interne Flügelkämpfe auszufechten. Aber spätestens seit 1936 hatte sich das geändert. Die deutsche Hilfe für die spanischen Putschisten des General Franco, die Remilitarisierung des Rheinlandes, der Antikominternpakt, die forcierte Wiederaufrüstung – all das waren unübersehbare außenpolitische Signale gewesen. In den folgenden Jahren waren auch die Ziele und Operationen der Abwehr ambitionierter, waghalsiger und skrupelloser geworden. Das Deutsche Reich griff immer stärker in die amerikanische Innenpolitik ein. Nicht, dass Elisabeth für irgendeine der amerikanischen Staaten so etwas wie Loyalität empfand…
Der geheime Krieg wurde verbissener und immer blutiger geführt. Nun schickte das Reich Kommandotruppen, Männer wie Ernst von Stahlheim – Agenten, die zum Töten ausgebildet und für den Krieg bestimmt schienen. Es ging nicht mehr nur um Informationsgewinnung. Nun gehörten zu den Einsatzzielen Sabotage, Attentate, Destabilisierung, Desinformation, Entführungen. Die Einsätze hatten sich erhöht. Und damit stieg auch das Risiko.
Meistens machte ihr das nicht viel aus – auf eine gewisse Art und Weise genoss sie die Gefahr. Das Spiel mit dem Feuer, das Risiko und jener düstere Glanz, der das Spionagegewerbe umgab, hatte sie gereizt und waren – neben finanziellen Erwägungen und einem unbestimmten Groll gegen die amerikanischen Staaten, in denen eine arme irische Einwandererfamilie wie die O’Conners meist nur die Schattenseiten zu sehen bekamen - der Hauptgrund für ihre Entscheidung gewesen, sich von der Abwehr anheuern zu lassen. Aber manchmal, in kurzen, dunklen Augenblicken so wie jetzt, blickte sie zurück und erschrak beinahe bei dem Gedanken daran, was sie inzwischen als ‚normal’ oder gar ‚notwendig’ ansah.
Sie mochte Ernst, wahrscheinlich mehr, als klug war. Trotz allem. Sie schlief schließlich sogar mit ihm, auch wenn sie sich momentan nicht sicher war, ob das nicht ein verdammter Fehler gewesen war. Wenn man in ihrem Metier jemanden zu nahe an sich heran ließ, dann wurde man verwundbar. Doch wenn er diese Kamikazeaktion überleben, wenn er wieder in Sky Haven auftauchen sollte…
Aber was auch immer sie für ihn empfinden mochte, sie machte sich gleichzeitig keine Illusionen über ihn. Er war intelligent, zeigte sogar Humor, auch wenn er immer noch Vieles zu ernst nahm. Wahrscheinlich würde er keinen Augenblick zögern, sein Leben zu riskieren, um ihr zu helfen. Aber gleichzeitig war Ernst von Stahlheim ein Killer. Nicht einfach nur ein Soldat, oder ein Spion. Er war dafür ausgebildet, aus dem Hinterhalt zu töten, zu sprengen, und zu zerstören. Und er hatte das bereits getan. Nicht nur, wenn es darum ging, das eigene Leben zu retten. Sie war selber kein Unschuldslamm – immerhin lebte sie in Sky Haven. Sie hatte mehr als einmal in Notwehr getötet. Aber dennoch…
Das war natürlich alles Unsinn. Immerhin war sie die verantwortliche Abwehragentin für Sky Haven. Sie verfügte über Finanzmittel, Informationsquellen und Kontakte, die einer ‚normalen’ Schieberin ihres Kalibers niemals zugestanden hätten. Was sie geworden war – im guten wie im schlechten Sinne natürlich – verdankte sie zu einem großen Teil der Abwehr. Was sollte es sie kümmern, wenn sie in Berlin von der Weltherrschaft träumten? Das war alles weit weg. Sie achtete Arnim von Tauten, sie kannte die meisten Mitglieder der New Yorker Abwehrzentrale. Und sie vertraute Ernst von Stahlheim, trotzdem sie genau wusste, was er war. Sie…

Doch das Reich war diplomatisch, wirtschaftlich, industriell, und zunehmend militärisch, auf eine Art und Weise in den Staaten der ehemaligen USA präsent, die eine recht turbulente Zukunft versprach. Zusammen mit den japanischen Ambitionen in Kalifornien schienen die Achsenmächte bestrebt, Nordamerika von den Rändern her in die Zange zu nehmen. Das roch beinahe nach Krieg – in den dann allzu leicht all die anderen Großmächte eingreifen würden, die in den ehemaligen Vereinigten Staaten Fuß gefasst hatten. Elisabeth würde aufpassen müssen, sonst fand sie sich eines Tages inmitten dieses Krieges wieder. Falls der Große Krieg nicht bereits wegen Hawaii ausbrach.
Aber sie hatte auf dieses Pferd gesetzt, sie würde nicht vorzeitig abspringen. Sie war Irin - sie verriet nicht so einfach die Seite, für die sie sich verpflichtet hatte. So war sie nicht erzogen worden.
Außerdem…die Deutschen zahlten gut, sie hielten ihre Vereinbarungen ein. Und die meisten Abwehroffiziere waren Pragmatiker und Profis, mit denen man gut zusammenarbeiten konnte. Sie hatte Freunde und Kameraden im Agentennetzwerk der Abwehr. Undenkbar, auszusteigen – oder gar überzulaufen. Sie hätte nicht mehr in den Spiegel blicken können, ohne den Drang zu verspüren, das eigene Spiegelbild anzuspucken.
Nur manchmal hätte sie gerne gewusst, wohin dieser Zug eigentlich fuhr.

Aber auf diese Frage gab es keine befriedigende Antwort. Momentan konnte sie nur abwarten, was die Zukunft bringen mochte - warten und hoffen, dass die Befehle, die sie trotz aller Bedenken weitergeleitet hatte, Ernst von Stahlheim nicht in den Tod schickten.

Die Abwehragentin erhob sich mit einem leisen Fluch und verließ die Geheimkammer, in der ihr Funkgerät verborgen war. Wie immer achtete sie darauf, dass der Spreng- und Brandsatz scharf gemacht wurde, der das Versteck gegen ungebetenen Zugriff sicherte. Sie hoffte, dass Armin von Tauten wusste, was er seinen Agenten zutrauen konnte. Und dass Ernst auf sich aufpasste. Dieser verdammte Kerl!

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Etwa zur gleichen Zeit
Tokio, Hauptstadt des Japanischen Kaiserreiches

Oberkommando der Marine

„Und es gibt keinen Zweifel?“ Admiral Nagumos Stimme klang ungläubig.
Vizeadmiral Koda schüttelte den Kopf: „Nicht den Geringsten. Unsere Agenten in Australien und Neuseeland melden übereinstimmend Truppenbewegungen, die perfekt zu diesem Muster passen. Es werden bereits die Einheiten mobilisiert, die als Besatzungstruppen der ersten Stunde fungieren sollen. Für die gesamten Luftstreitkräfte der ANZAC-Staaten ist im Rahmen einer ‚Übung’ die Ausgangssperre verhängt worden. Truppentransporter und Kriegsschiffe wurden zusammengezogen, – unauffällig zwar, aber zusammen lassen die Informationen nur einen Schluss zu. Sie wollen Hawaii.“

Nagumo schüttelte den Kopf. Er war einer der älteren Generäle, so vorsichtig wie ein Samurai sein konnte. Manchmal hatte er Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass seine Gegner – erst recht Westler – derartige Risiken eigenen sollten: „Die ANZAC müssen wahnsinnig sein. Sie müssen doch wissen, dass wir dies niemals hinnehmen werden. Ein Hawaii in der Hand des Commonwealth – als Stützpunkt für die Royal Airforce und die Royal Navy - wäre ein Dolch an der Kehle Japans. Ich begreife einfach nicht, was sich die Briten dabei denken. Sie haben schon genug Schwierigkeiten mit den Deutschen. In Burma brodelt es. Sie sind hysterisch wegen unserem Vorrücken in China und unseren Ambitionen in Französisch-Indochina. Und in Indien werden sie nicht mit diesem Gandhi fertig. Mal ganz abgesehen von ihren Problemen im Nahen Osten, die ebenfalls Truppen und Ressourcen binden.“

Admiral Yamamoto ergriff nun das Wort. Auch wenn er nicht der dienstälteste Admiral war, er war der Oberkommandierende der japanischen Marine. Doch auch ohne diese Tatsache wäre es klar gewesen, wer in dieser Runde die beherrschende Figur war. Seine Energie, seine Innovationsbereitschaft und sein gleichzeitig kühler, analytischer Verstand machten ihn zu einem Mann, wie es ihn seit Admiral Togo nicht mehr gegeben hatte. Das sagte man jedenfalls hinter seinem Rücken über ihn. Er besaß nicht nur den Gehorsam seiner Untergebenen, sondern auch ihre Achtung: „Vielleicht liegt gerade darin der Grund. Sie fühlen sich an die Wand gedrängt. Und diese…Dummheit ist der Versuch, einen Ausweg zu finden, unseren Vormarsch zu stoppen, Stärke zu demonstrieren, uns – und vielleicht auch die eigene Regierung – unter Zugzwang zu setzen. Und vermutlich sehen die ANZAC unsere Interessen primär auf China, Indochina, die Philippinen und die englischen Kolonien fixiert. Sie wissen, dass in der Armee eine starke Fraktion existiert, die unsere natürliche Expansionsrichtung in Sibirien sehen. Die jüngsten Provokationen und Zusammenstöße mit den Russen geben solchen Vermutungen Nahrung.
Ich denke, die ANZAC hoffen, uns vor vollendete Tatsachen zu stellen. Diese Gajin träumen doch davon, im Schatten des Commonwealth ihr eigenes Imperium aufzubauen. Wenn sie erst mal eine Besatzung etabliert haben, Luftgeschwader, Fliegerabwehrbatterien, Boden- und Seestreitkräfte, dann – so glauben sie – werden wir es nicht wagen, einen Angriff zu starten. Vielleicht wollen sie UNS in die Zange nehmen. Und sie schaffen einen neuen Stützpunkt für die Fernost-Geschwader der Royal Navy und ihre eigene Flotte. “
„Nun, da verschätzen sie sich! Wenn diese Invasion gelingen sollte – das wäre die ideale Gelegenheit für uns, zuzuschlagen. Wir können die Hawaii-Inseln besetzen, ohne dass der lächerliche Chor der so genannten Weltmeinung seine Stimme gegen uns erheben könnte.“ Vizeadmiral Koda grinste raubtierhaft. Er kam von der Schlachtflotte und war einer der aggressivsten „Expansionisten“ im Admiralsstab. Obwohl er noch jung war, und einen relativ niedrigen Rang hatte, zögerte er nie, seine Meinung offen und oft recht vehement zu vertreten.

Yamamoto schüttelte – bedauernd – den Kopf: „So einfach ist das leider nicht. Eine Invasionsstreitkraft zu mobilisieren, kostet Zeit. Würden wir so lange warten, hätten die ANZAC tatsächlich Gelegenheit, sich zu verschanzen. Und wir müssten einen Mehrfrontenkrieg führen - vor Hawaii und in der Korallensee. Die Royal Navy würde spätestens dann eingreifen, wenn die ANZAC in ernste Bedrängung geraten. Ich will aber unsere Männer keinen Krieg führen lassen, bei dem sie Rücksicht auf den Feind nehmen müssen. Wenn der Konflikt aber eskaliert…die Marine alleine wäre mit dieser Aufgabe erheblich gefordert – vor allem, wenn wir weiterhin starke Verbände gegen die Pazifikflotte der Sowjetunion bereithalten müssten. Und in der Armee…“
„Ersparen Sie uns das bitte. Wir alle wissen, wie die Armee steht. China zuerst. Dann die Russland-Fraktion…“
„Wir brauchen einfach Zeit, um unsere Position zu stärken.“
„Wir brauchen Siege! Wie stehen wir da, wenn wir erlauben, dass diese Imperialisten, diese Nachkommen von Schafhirten und Sträflingen, die im Auftrag eines dekadenten, verrottenden Kolonialreiches handeln, unsere legitimen Interessen auf den Hawaii-Inseln durchkreuzen? Wenn wir dies zulassen, dann verlieren wir unser Gesicht!“

Admiral Yamamoto lächelte dünn: „Beruhigen Sie sich, mein Freund. Ich habe nicht die Absicht, tatenlos zuzusehen. Aber wir müssen vorsichtig vorgehen. Dieser Konflikt darf nicht eskalieren – oder nur nach unseren Bedingungen.
Zum Glück für uns wird die erste Welle der Invasion relativ schwach sein. Keine Kreuzer, nur ein paar Zerstörer und kleinere Einheiten. Die ANZAC wollen wohl nicht zu viel auf einmal riskieren – oder sie haben Schwierigkeiten, eine entsprechend große Streitmacht heimlich, und ohne eine gesicherte Landebasis zu verlagern. Und die Engländer sind – wie immer – sehr darauf bedacht, sich nicht irgendwelchen Risiken auszusetzen, die sie als unnötig ansehen. Nelson ist schon lange tot. Wenn dieser erste Angriff abgeschlagen wird, dann bricht die Invasion in sich zusammen. Und dann wird auch London stillhalten.“
Admiral Nagumo verzog den Mund, als spürte er einen schlechten Geschmack auf der Zunge: „Sie meinen, wir sollen mit diesen…diesen texanischen KAPERERN kooperieren? Das ist es doch, was Sie andeuten? Denn momentan haben wir nicht genügend Marineluftschiffe in dem fraglichen Gebiet. Dieser verdammte Chinakonflikt. Und diese elenden Russen!“
„Sie verachten die Kaperer. Ich stimme Ihnen zu. Es sind Barbaren, undiszipliniert und ehrlos. Gegen die RAF hätten sie keine Chance, nicht einmal gegen die Fernost-Verbände. Aber gegen die ANZAC könnten sie nützlich sein. Barbaren, die Barbaren schlachten. Weiße, die gegen Weiße kämpfen. Ein weiterer Nagel für den Sarg des westlichen Kolonialismus.“
„Diese…Freibeuter haben doch keine reelle Chance! Das sind keine Soldaten! Nicht einmal Milizionäre.“
„Vielleicht haben Sie Recht. Und aus eben jenem Grund werden wir ein Marineluftschiff entsenden. Keiner wird sagen können, dass Texas alleine Hawaii verteidigt hätte. Und jeder, der Verstand im Leib hat, wird begreifen, dass weitere Angriffe in Zukunft nur deswegen ausbleiben, weil WIR damit eine Verpflichtung eingegangen sind. London wird ein Risiko wie diesen Angriff nicht noch einmal wagen. Es sei denn, die Regierung will politischen Selbstmord begehen. Und auch auf Hawaii wird man begreifen. Die Texaner werden verschwinden. WIR aber sind immer in der Nähe. WIR lassen es nicht zu, dass eine Insel, an der das Kaiserreich Interessen hat, nur von Barbaren verteidigt wird.“
„Und wenn die Texaner nach einem Sieg bleiben wollen?“
„Texas wird sich das reiflich überlegen, nachdem wir derart unser Interesse bekundet haben. Außerdem würde das ihre Ressourcen völlig überlasten. Sie würden sich überdehnen. Sie haben gar nicht die Mittel, eine ständige Präsenz zu unterhalten. Und wir werden der Regierung Hawaiis Angebote unterbreiten, die sie schwerlich ablehnen wird – Berater, Schutzgarantien. Sogar Waffen.“
„Keine Schutztruppen?“
Yamamoto lächelte kalt: „Noch nicht. Außerdem kann unser Marinezeppelin so die Aufklärung der Verteidigungsstellungen Hawaiis forcieren. Wir werden die Mannschaften entsprechend instruieren – und die Maschinen modifizieren.“
„Und wenn die ANZAC dennoch gewinnen?“
Admiral Yamamotos war ausdruckslos, eine eisige Kälte lag in seinen Augen und in seiner leisen Stimme: „Dann werden unsere Soldaten als echte Samurai gestorben sein. Dann wird KEINE Regierung, die jemals in Japan regiert hat oder regieren wird, sich der Forderung nach einem militärischen Gegenschlag entgegenstellen können. Würde sie es tun, sie würde Mann für Mann politischen Selbstmord begehen, ja gegenwärtig sein müssen, dass sie ihre Feigheit mit Blut bezahlen muss. Und NIEMAND in der Armee wird noch einmal damit kommen, dass China oder Russland zuerst kommen soll.
Und ansonsten…Wir haben keine Träger vor Ort, und nicht genug Marineluftschiffe. Nicht in der kurzen Zeit. Aber Teile der Vierten U-Boot-Division befinden sich in dem Seegebiet vor Hawaii. Genauer gesagt sind es die Boote I-5, I-3 und I-154. Zudem habe ich bereits den Befehl gegeben, eine Kampfgruppe zu mobilisieren – den Schweren Kreuzer AOBA, sowie die Zerstörer MURAKUMO, FUBUKI und ISUNAMI. Vizeadmiral Koda – Sie werden diesen Verband kommandieren.“

Einige der anderen Admiräle hielten das vielleicht für einen Fehler. Koda galt als Hitzkopf, und nicht selten war ihm der Befehlshaber der japanischen Marine zu zögerlich gewesen. Aber andererseits war Koda ein exzellenter Seemann, mutig und entschlossen, und im Kampfeinsatz eiskalt. Bei seinen bisherigen Unternehmungen an der chinesischen Küste – Blockade, Patrouillen, Seebeschießungen – hatte er sich bewährt.
Koda lächelte knapp und neigte seinen Kopf. Seine Stimme allerdings klang nüchtern: „Ich danke Ihnen, Admiral. Aber das Zerstörerkontingent macht notwendig, dass ein Flottentanker mitgeführt wird. Das wird unsere Marschgeschwindigkeit senken. Wir werden wohl kaum vor den ANZAC-Streitkräften eintreffen.“
„Dessen bin ich mir bewusst. Aber unsere Kreuzer sind zu kostbar, um sie ohne Zerstörersicherung loszuschicken. Koda, Sie werden unsere Trumpfkarte sein. Wenn die Kaperer und unsere Flieger siegreich sind – gut. Sie werden dann die ablaufenden ANZAC-Verbände NICHT behelligen. Ich weiß, ich verlange damit viel von Ihnen. Aber es muss sein, Sie wissen warum. In dem Fall muss es uns reichen, dass das Commonwealth sein Ziel nicht erreicht hat, und diese Lehre verstanden haben. Manchmal müssen wir den Zwängen der Politik und der Diplomatie folgen, auch wenn das unserem Herzen widerspricht.
Sollten die Australier aber mit ihrer ersten Welle siegen – dann werden Sie bereitstehen, um blutige Vergeltung zu üben. Dann werden Sie die Kriegsschiffe der ANZAC angreifen und vernichten. Und wenn Sie sie dazu bis in den Hafen von Pearl Harbor jagen müssen. Keines der ANZAC-Schiffe soll wieder in die Heimat zurückkehren.
Und wir werden um die Hawaii-Inseln einen stählernen Blockadering legen. Wenn London dann immer noch den Krieg will…Dann stehen sie als Kriegstreiber da, weltweit und vor der eigenen Bevölkerung. Und dann werden sie dem göttlichen Wind gegenüberstehen, alleine, als Aggressoren. Nachdem sie das…unausgesprochene Abkommen über die Neutralität Hawaiis gebrochen haben. England wird keine Alliierten finden. Frankreich wird sich nicht ausgerechnet jetzt in einen Krieg verwickeln lassen, bei dem es nichts gewinnen, aber viel verlieren kann. Immerhin stehen wir an den Grenzen Indochinas. Wir wollen diesen Krieg nicht. Aber wir werden auch nicht einknicken, oder unsere Ehre vergessen. Das wird man auch in der Armee verstehen.“

Koda schien mit seinen Befehlen nicht ganz glücklich. Aber nachdem ihn Yamamoto mit dem Kommando beauftragt und so vor seinen Kameraden geehrt hatte, konnte er wohl kaum protestieren.
„Welches Marineluftschiff schicken wir?“
„Die KAMIKAZE unter Fregattenkapitän Ishida macht sich bereit. Korvettenkapitän Saburo Sakai führt die Fliegerstaffel.“
Zum ersten Mal im Verlauf dieser Besprechung lächelte auch Admiral Nagumo, wenngleich nur halbherzig: „Ein gutes Schiff. Gute Piloten. Saburo Sakai wird die Ehre der Marine hoch halten. Er ist ein wahrer Samurai.“
Vizeadmiral Koda nickte zustimmend: „Ein ehrenhafter Mann. Da Sie die U-Boote erwähnen, welche Befehle gelten für sie?“
Yamamoto lächelte frostig: „I-3 und I-154 haben freie Jagd. Wenn ihnen ein australisches Schiff vor die Rohre läuft…Man wird uns nichts nachweisen können. Sollte es zum Schlimmsten kommen, so haben die Kapitäne der Boote den Befehl, ihre Einheiten AUF KEINEN FALL aufzugeben, oder sich gefangen nehmen zu lassen. Die Männer kennen ihre Pflicht.“ Allen Anwesenden war klar, was der Admiral damit sagen wollte. Keiner reagierte geschockt. In der japanischen Marine galt es ohnehin, wie in der Armee, als grenzenlose Schande, in Gefangenschaft zu gehen.
„Und I-5? Sie wollen also…“
Admiral Yamamoto nickte knapp: „Ja, auch diese Operation wird durchgeführt. Wir verdanken unseren deutschen Freunden viel. Und wenn ihre Informationen stimmen, wenn die Aktion gelingt…Dann verdanken wir ihnen noch mehr.“
„Ich frage mich nur, was sie im Gegenzug dafür von uns wollen.“ Nagumo war nicht restlos überzeugt.
„Das werden wir sehen. Aber sie können uns schließlich zu nichts zwingen. Momentan haben wir gemeinsame Feinde und ähnliche Interessen.“
„Trauen Sie diesem…Führer? Einem ehemaligen Gefreiten…“
„Ich traue ihm soweit, wie es für die Interessen des Kaiserhauses nötig ist. Wir haben bereits die Versicherung, dass unsere Verbündeten uns in dieser Krise diplomatisch unterstützen werden. Das Reich wird aufs SCHÄRFSTE gegen diesen flagranten Akt der Aggression protestieren und noch einmal die gegenseitige Freundschaft und unbedingte Bündnistreue uns gegenüber versichern. Das kann London nicht ignorieren.
Wir brauchen die Deutschen. Und wir haben bisher immer von der Kooperation profitiert. Da bin ich bereit, die Tiraden dieses Gefreiten und seiner Entourage zu tolerieren. Manchmal redet er natürlich Unsinn. Aber unterschätzen wir ihn nicht.“
„Und vertrauen wir den Deutschen nicht zu sehr.“ Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

„Noch etwas. Wir werden gleichzeitig einen Schlag gegen das Spionagenetz der ANZAC auf Hawaii starten. Es ist inakzeptabel, dass sie eine Invasion so weit vorbereiten konnten, und vor allem so lange geheim halten. Wir haben ihnen zu lange freie Hand gelassen. Und dadurch, dass wir in diesem Gebiet inaktiv waren, haben wir die ANZAC in dem Glauben bestärkt, sie könnten sich so etwas überhaupt erlauben.“
„Und wie soll diese Operation anlaufen?“
„Zweigleisig. Zum einen wird die japanische Botschaft – begrenzt und diskret – den militärischen Abwehrdiensten der hawaiijanischen Streitkräfte Informationen liefern. Natürlich nur Material, das opportun erscheint und unsere eigenen Quellen nicht diskreditiert.“
Admiral Nagumo lächelt düster: „Das dürfte das Spektrum unserer Information allerdings etwas begrenzen. Und die zweite Säule unserer Offensive?“
„Einheit Vier-Zwei der Schattenkrieger wird aktiviert.“
Abrupt schien die Temperatur im Raum um mindestens zehn Grad zu sinken. Die Schattenkrieger – die Ninjas – waren ebenso gefürchtet, wie geheimnisumwittert, in Japan fast noch mehr, als in der westlichen Welt. Sie waren ein Mythos, vergleichbar den Assassinen, die die mittelalterliche Welt in Angst und Schrecken versetzen. Offiziell wurde ihre Existenz geleugnet, nur die höchsten Spitzen im Militär und im Kaiserhof wussten von ihrer Existenz. Sie beschützten den Kaiser. Jahrelanges Training, gnadenlose Auslese und Indoktrination formten eine kleine, verschworene Gruppe von Elitekämpfern, die den Tod nicht fürchteten und ihn bedenkenlos und scheinbar unfehlbar jedem Feind Japans brachten.
„Wenn wir die Schattenkrieger entsenden, dann wird Hawaii es irgendwann mitbekommen. Und sei es auch nur, indem sie die Leichen zählen.“
„Gut. Das wird sie umso mehr ihre weiteren Schritte, Handlungsoptionen – und die Risiken derselben – überdenken lassen.“ In der kleinen Runde erklang ein leises, gedämpftes Lachen.

Als Admiral Yamamoto den Sitzungssaal verließ, war sein Gesicht ausdruckslos, wie es sich für einen Samurai gebührte. Aber hinter der Maske arbeitete es. Egal was er gesagt hatte, die Ambitionen der Deutschen machten ihm Sorgen. Er verstand nicht so recht die ideologischen Motive, nach denen ihre politische Führung agierte. Manches daran erschien so…willkürlich, so unsinnig. Mit den deutschen Militärs war es da einfacher. Sie waren zwar häufig arrogant, manchmal bis zur Herablassung. Aber sie verfolgten meist klar umgrenzte, oft eher phantasielose Ziele. Natürlich gab es auch unter ihnen mehr als genug, die jedem noch so irrationalen Kurs folgen würden, den ihr geliebter ‚Führer’ einschlug.
Doch Japan brauchte Deutschland – als ein Gegengewicht gegenüber Frankreich, England und Russland. Die Deutschen waren keine guten Seeleute, sah man einmal von ihren U-Booten ab. Aber was für eine Landstreitkraft stellten sie dar! Besonders die deutschen Panzertruppen. Japan hatte nichts Vergleichbares. Tokio brauchte die Deutschen. Außerdem fiel es dem Reich leichter, die westlichen Geheimdienste zu infiltrieren.
Und mit Deutschland hatte man auch Italien als Verbündeten. Nicht, dass die italienischen Streitkräfte so bedeutsam gewesen wären. Das italienische Heer war schlecht ausgerüstet, die italienischen Luftstreitkräfte nur mittelmäßig. Lediglich die Marine war beeindruckend. Aber es musste sich erst noch beweisen, wie viel sie im Kampf taugten. Auch wenn die Einsatzmoral gerade der U-Boot-, Zerstörer- und Torpedobootbesatzungen sowie der Kleinkampfmittelverbände als gut galt, die Bewertung der italienischen Marineführung war weniger schmeichelhaft. Aber mit Somaliland hielten die Italiener ein Stück Afrikas in der Hand, dass eines Tages auch für Japan von großer strategischer Bedeutung sein konnte – als Flottenstützpunkt, um den Suezkanal abzuschneiden, und im indischen Ozean zu operieren, die englischen Besitzungen im nahen und Fernen Osten in die Zange zu nehmen.
Doch all das war die Zukunft.

Admiral Isoruko Yamamoto war nicht glücklich mit der „Lösung“ des Problems mit Hawaii – aber momentan gab es keine bessere Alternative. Gewiss, Japan war die führende Macht im Pazifikraum. Das Reich der aufgehenden Sonne hatte mehr Flugzeugträger, als alle anderen im asiatischen Raum operierenden Flotten ZUSAMMEN. Frankreich und Russland zum Beispiel besaßen nicht einen einzigen Flugzeugträger im Pazifik, und die Einheiten, die unter englischem Kommando standen oder einem der Diadochen der untergegangenen USA gehörten, waren meist veraltet. Die japanischen Flugzeugträger hingegen waren zum Großteil modern, oder zumindest modernisiert, bestückt mit 50 bis 80 Flugzeugen, die von erfahrenen Piloten geflogen wurden.
Im Bereich der Schlachtschiff- und Kreuzerflotten waren die Kräfteverhältnisse weniger günstig, aber auch hier hatte die kaiserliche Marine die moderneren Einheiten. Dazu waren ihre Schiffe und Mannschaften für das Operieren in großen, kombinierten Kampfverbänden ausgebildet.
Aber Yamamoto machte sich wenige Illusionen – die Ära der Großkampfschiffe neigte sich dem Ende entgegen. Sie spielten natürlich immer noch eine wichtige Rolle beim Kreuzerkrieg, dem Schutz der Träger- und Transportverbände, bei Landungsoperationen und Seebeschießungen, der Unterstützung von Landtruppen und der Verteidigung der eigenen Küsten. Aber Schlachtschiffe und Kreuzer entschieden wohl kaum noch den Krieg. Und auch wenn die japanische Marine die größte und am besten ausgebildete Flotte im Pazifik war, in einem Großkrieg konnte sie möglicherweise bald an ihre Grenzen stoßen – Japan war ein Inselreich, auf Nachschub und gesicherte Versorgung fast noch stärker angewiesen, als Großbritannien. Allzu leicht konnte die Flotte aufgesplittert und verzettelt werden. Und zusätzlich band der Krieg in China auch Bodentruppen, Flieger und Seeeinheiten der Marine.
Zudem war das Verhältnis bei den Marineluftschiffen am ungünstigsten – Japan hatte zwar die größte Zahl Zeppeline im asiatischen Raum, aber nicht, wenn sich mehrere Mächte gegen das Dai Nippon verbündeten. Luftschiffe waren relativ leicht zu bauen, und verhältnismäßig billig. Deshalb waren sie die Waffen der Wahl, selbst für nur regionale Mächte. Sie waren schneller als jeder Flugzeugträger, und konnten von der amerikanischen Küste aus sogar das japanische Mutterland bedrohen. Zwar waren ihre Kapazitäten begrenzt, selbst im günstigsten Fall hatte ein Militärluftschiff nicht mehr als höchstens zwanzig Einheiten an Bord – aber mehrere solcher Einheiten stellten eine Bedrohung dar, die man ins Kalkül ziehen, und gegen die das japanische Mutterland geschützt werden musste.
Was die Landstreitkräfte betraf, hatte Japan zwar keinen großen numerischen Vorteil, aber seine Truppen waren gut ausgebildet, beweglich, im Dschungelkrieg und Landungsoperationen geübt. Die potentiellen Gegner, von Russland einmal abgesehen, besaßen nur verhältnismäßig kleine Kontingente vollwertiger Fronttruppen im pazifischen Raum. Die eingeborenen Hilfssoldaten der westlichen Kolonialmächte waren keine richtigen Gegner. Japan besaß zwar nur wenige Panzer, aber immer noch mehr, als seine Gegner – wiederum mit der fatalen Ausnahme Russlands. Und was Luftlandetruppen betraf, wäre Japan unangefochten führend gewesen – wenn man die zwei Brigaden vergaß, die General Shukov unterstanden.
Die japanische Regierung war angesichts dieser Verhältnisse nicht bereit, ohne eine Provokation der Gegenseite ein Risiko einzugehen. Nicht, solange nicht Marine und Armee sich nicht wenigstens halbwegs einig betreffs der Hauptexpansionsrichtung präsentierten, oder eine akute Bedrohung japanischer Interessen bestand. Noch nicht. In ein, höchstens zwei Jahren hingegen…
In Wirklichkeit war sich Admiral Yamamoto nicht einmal völlig sicher, dass selbst der schlimmstmögliche Fall, die Besetzung Hawaiis und die Vernichtung der KAMIKAZE, die Regierung und die Armee dazu veranlassen würden, einem Krieg im Pazifik uneingeschränkte Unterstützung zu gewährleisten. Und ob Japan schon wirklich für einen solchen Krieg bereit war. Vermutlich wussten einige seiner Kameraden in der Admiralität auch von seinen Zweifeln. Aber er würde sie nicht öffentlich äußern, und noch weniger hatte es zur Debatte gestanden, auf diese Aktion der ANZAC überhaupt nicht zu reagieren. Japan – und natürlich auch Yamamoto selber – hätten das Gesicht verloren. Der von ihm eingeschlagene Weg war der momentan bestmöglichste. Jetzt lag es in der Hand der Soldaten, nicht zuletzt den Fliegern Sakais, und in der Hand der ANZAC und Londons, wie es weitergehen sollte. Yamamoto war sich relativ sicher, dass London vor einen Großkrieg zurückschrecken würde – zumal wenn es dann als Aggressor dastehen würde. Aber er war sich keineswegs völlig sicher…

Um die nötige Einheit mit der Armee zu erreichen, durfte die Marine nicht aus eigener Machtvollkommenheit einen Krieg anfangen. Andererseits aber durfte sie auch nicht zu schwach oder gar ängstlich erscheinen – die Armee-Führung bestand schließlich auch aus Männern, die im Geiste der Samurai erzogen worden waren. Sie respektierten Ehre, Stärke und Loyalität.
Aber der Generalsstab bestand, wie die Admiralität, gleichzeitig auch aus sehr praktisch denkenden Männern. Egal wohin sich die Expansion des Kaiserreichs richten mochte, und DASS es eine Expansion geben musste war unumstritten, die Armeeführung wollte wie die Marine einen freien Rücken.
Und das bedeutete für die Expansion in Richtung Pazifik – den Frieden mit Russland. Deshalb war Admiral Yamamoto daran interessiert, jedwede Verstimmung und Komplikation im Norden zu vermeiden oder zu bereinigen.
Nachdem General Shukov zweimal lokale japanische Vorstöße abgeschmettert hatte, gab es endlich auch in der Armee mehr und mehr Leute, die anerkannten, dass man nicht mehr 1904 schrieb.

Das war der einzige positive Aspekt dieser Schlappen. Darauf konnte man aufbauen…

***

Tokio, Deutsche Botschaft

„DIE WOLLEN WAS?“ Doktor Richard Sorge schrie die Frage beinahe. Der deutsche Botschafter und Chef der deutschen Abwehr-Abteilung in Tokio, Eugen Ott, antwortete mit einem amüsierten Lachen – es gelang ihm nur selten, den Korrespondenten der Frankfurter Zeitung zu überraschen: „Verzweifelte Zeiten erfordern nun einmal verzweifelte Mittel. Die Japaner sind nicht gewillt, die Texaner ihr eigenes Süppchen kochen zu lassen – und noch viel weniger können sie es dulden, dass die Aussies sich Hawaii schnappen.“
„Das meine ich nicht. Soweit gehe ich ja noch mit. Aber diese andere Sache…“
„Ist leider nicht auf meinem Mist gewachsen. Das kommt direkt aus Berlin. Dieser von Stahlheim muss schon ein ziemlicher Teufelskerl sein, wenn sie ihm so eine Nummer zutrauen.“
„Oder sie wollen ihn loswerden.“ Kurz fühlte Richard Sorge fast so etwas wie Mitleid aufkeimen. Er lebte die Gefahr und vielleicht liebte er sie sogar. Aber so eine Aktion…
„Das klingt doch eigentlich gar nicht einmal unmöglich. Wir warten, bis der Luftkampf im vollen Gang ist, dann setzt sich unser Agent mit seiner Maschine ab, fliegt zu einem verabredeten Treffpunkt. Er lässt seine Maschine notwassern, und ein japanisches U-Boot übernimmt das Flugzeug – die Japaner haben einige Boote, die ein Flugzeug aufnehmen können.
Unser Agent wird entweder von seinen eigenen Leuten aufgefischt, oder aber ein japanischer Fischtrawler findet ihn ‚zufällig’ – natürlich sind das dann alles japanische Agenten.“
„In der Tat, kein Problem. Nur eine selbstmordverdächtige Aktion, die zudem mitten in einer Luftschlacht und versuchten Invasion stattfindet. Kleinigkeit!“
Eugen Ott zuckte mit den Schultern: „Berlin glaubt, von Stahlheim kann es schaffen. Mensch, Richard – als du Anno `16 an der Westfront gekämpft hast, hast du da nach deinen Chancen gefragt, wenn es hieß ‚Sprung auf – Marsch, Marsch!’?“
„Damals war ich ziemlich dumm. Was ist mit der ANZAC-Flotte? Wenn die zum unpassenden Zeitpunkt auftaucht…“
„Wir können uns ungefähr ausrechnen, über welche Route sie vorrücken. Das ist natürlich keine Garantie…
Das U-Boot, I-5, hat Anweisung, jeder Feindberührung aus dem Weg zu gehen. Wenn die australische Flotte wirklich ausgerechnet an der Stelle ankern will, dann gibt es einen Ausweichtreffpunkt, etwa zwanzig Meilen entfernt.“
„Noch eine Frage – wollten wir eigentlich nicht, dass die Japse eben NICHT die Hand auf diesen Nitrobooster legen?“
„Hohe Politik, mein Freund, hohe Politik. Wir brauchen das Wohlverhalten Japans, nichts brauchen wir mehr als gerade das. Wir müssen uns als unentbehrlich präsentieren. Der Führer will, dass das Bündnis mit Japan auf einer gesicherten Basis steht. Deshalb lehnen wir uns auch so weit aus dem Fenster. Das Statement des Führers…wird so nahe an einer Kriegsdrohung sein, dass sich die Tommies bestimmt in die Hosen scheißen. Der nächste Schritt wäre die Generalmobilmachung. Sosehr sich diese Judenknechte als Löwen gebärden, das wollen sie ganz bestimmt nicht.
Und um unsere Verbündeten zufrieden zu stellen sind wir auch bereit, ihnen den ersten Blick auf diesen texanischen Superbooster zu lassen. Die Japaner sind schwierig – aber sie vergessen es nicht, wenn sie in unserer Schuld stehen. Jedenfalls nicht die Streitkräfte. Wir werden ihnen bei passender Gelegenheit schon die Rechnung präsentieren können. Außerdem stellt diese Operation einen Testfall dar – einen Testfall für eine engere Zusammenarbeit im Bereich von Geheimdienstoperationen. Es ist sogar eine gemeinsame deutsch-japanische Forschungskommission im Gespräch, die die erbeutete Maschine untersuchen soll. Das könnte ein Modell für die Zukunft sein.
Indem die Abwehr hilft, das Verhältnis zu Japan noch mehr zu verbessern, knüpfen wir auch ein engeres Band zwischen Auswärtigem Amt und Wehrmacht. Damit würde die RSHA Außen vor bleiben. Sollen sie ruhig weiter die paar faschistischen Offiziere und Politiker anfüttern, die es in Japan gibt – nach dem misslungenen Putsch der Rechten vor ein paar Jahren sind die ziemlich eingeknickt. Was also wollen wir mehr?“
„Und was ist mit unserem Agenten? Warum ziehen wir ihn nicht ab, nachdem wir die Maschine haben? Es ist ein ziemliches Risiko, ihn weiterhin im Einsatz zu belassen. Wieso verschwindet er nicht einfach – Missed in Action nennen es die Amerikaner wohl.“
„Das war im Gespräch, aber Berlin hat sich anders entschieden. Ihnen ist Texas in der letzten Zeit etwas zu rührig, als dass sie eine derart gute Quelle loswerden wollen. Das ist schon der zweite Versuch dieser Cowboys – und das innerhalb eines Monats – in der Weltpolitik mitzumischen. Das letzte Mal wollten diese Verrückten offenbar einen Krieg zwischen Japan und Russland anzetteln. Jetzt hetzen sie ihre Kaperer in einen verdammten Hexenkessel, der binnen kürzestem zu einem pazifikweiten Krieg eskalieren kann, ja in einen Weltkrieg. Und bei beiden Gelegenheiten kommen Kaperer – und genau DIESES Luftschiff zum Einsatz. Es ist eine Tatsache, dass der Commander der NORTH STAR beste Beziehungen zu Führungskreisen der texanischen Hochfinanz hat. Und bei den Amis bestimmen doch immer die Bankiers und Industriellen, wo es langgeht. Außerdem haben wir mit von Stahlheim ein Ohr am Puls der Freibeuterszene. Wir haben in dieser Subkultur keine vergleichbar zuverlässige Quelle – jedenfalls keinen ausgebildeten, deutschen Abwehragenten wie von Stahlheim. Nur angeworbene, lokale Kräfte. Also bleibt unser Mann, wo er ist.“
„Nun ja, es ist sein Risiko – und unseres. Wenn er enttarnt wird…
Und was genau ist meine Rolle in diesem Spiel?“
„Du weißt, Richard, die Japse schicken eines ihrer neusten Marineluftschiffe, mit einer ihrer besten Jagdstaffeln. Erstklassige Piloten, im Vergleich dazu sind die ‚Flying Tigers’ nur ein Haufen Schosskätzchen.
Aber offiziell ist das – vorerst – nur eine Art, naja ‚zufälliger Besuch’. Angeblich wird die KAMIKAZE wegen Maschinenproblemen Hawaii anfliegen. Schließlich wollen wir nicht, dass die Spione der Aussies Verdacht schöpfen.“
„Glaubst du, dass diese Tarnung hält?“
„Ein paar Tage nur, das wäre schon ausreichend. Und du wirst dieses Zeppelin begleiten. Damit verbesserst du unsere Tarnung sogar. Wer würde schon glauben, dass die Japaner einen deutschen Schmierfinken auf eines ihrer Luftschiffe lassen, wenn es eine Geheimmission fliegt. Bestimmt keiner, der die Paranoia der Japaner kennt.“
„Das ist doch wohl nicht meine einzige Aufgabe?“
„Natürlich nicht. Sieh mal, wir haben sonst niemanden, den wir unverdächtig mitschicken können. Nicht auf die Schnelle. Die meisten meiner Offiziere sind für solche Aufgaben nicht ausgebildet. Und auf jedem Fall sind sie keine Fernostexperten deines Kalibers. Du bist der beste Mann den wir haben...“
„Schmier mir nur weiter Honig um den Mund. Was soll ich nun wirklich tun?“
„Zuerst mal die Augen offen halten. Deine Expertisen haben in Berlin Interesse erregt. Man schätzt deinen Stil, Richard. In Berlin will man mehr von dir hören. Wie ist die Situation auf Hawaii? Wie stehen die Japaner da, wie die ANZAC, das Commonwealth an sich, wie die amerikanischen Diadochenstaaten? Wie stabil ist die Regierung in Hawaii?“
„Das kann ich doch unmöglich in ein, zwei Wochen feststellen!“
„Keine Angst, du bekommst das nötige Basismaterial. Es gibt ein paar Leute vor Ort…“
„Verstehe. Und ich soll aus den Steinchen ein Mosaik legen.“
„So in der Art. Natürlich brauchen wir dich auch als Kurier – es hat sich einiges…sensibles Material angesammelt, das wir nicht über legale Kanäle oder den Funk nach Tokio holen wollen. Außerdem bist du nicht gerade unbekannt in der intellektuellen Szene – nicht nur in Deutschland. Du hast Beziehungen zur japanischen Führung, aber ebenso zu dieser internationalen Schreiberkamarilla, die sich seit Ende der Zwanziger in Fernost herumtreibt.“
„Sehr freundliche Charakterisierung.“
„Hör dich um, schreib ein paar Artikel. Schildere zum Beispiel, wie unsere heldenhaften Verbündeten ihrer Verpflichtung gegenüber den Japanern auf Hawaii nachkommen. Zur rechten Zeit dann noch ein paar Andeutungen über die bleibenden Interessen des Kaiserreichs…Außerdem kannst du den Schreiberlingen der ANZAC Paroli bieten, die sicherlich die Invasion – ob sie nun gelingt oder nicht – ins rechte Licht rücken wollen. Mach deutlich, was diese Aktion wirklich ist – ein verdammtes Piratenstück, bei dem London die Fäden zieht.
Die Japaner sind damit einverstanden, dass du an Bord der KAMIKAZE mitfliegst. Verstehst du, damit bist du auch ein Art Gesandter der Abwehr. Wie ich schon sagte, wir wollen die Zusammenarbeit verbessern. Dabei zählen wir auf dich. Auch wenn du kein direktes Mitglied der Abwehr bist. Du bist mein Freund, ich habe mich für dich verbürgt. Und das gilt viel hier…“
„Verstehe. Damit lässt du mir eigentlich keine Wahl. Und…“

„Und wir wollen, dass du Kontakt zu unserem Agenten auf der NORTH STAR aufnimmst. Er kennt seinen Auftrag, aber die spezifischen Details – Treffpunkt, die spezielle Funkfrequenz und so weiter – erhält er von dir. Das ist zu sensibel, um es zu funken. Du bist ohnehin schon Geheimnisträger…“
„Aber was ist, wenn die Aussies – oder wer weiß ich – gerade WEIL ich an Bord eines japanischen Marineluftschiffs eintreffe, mich als Abwehragenten identifizieren. Irgendwie hätten sie ja sogar Recht.“
„Solange du nur eine gute Figur gegenüber unseren Verbündeten machst, ein paar Artikel schreibst, und unserem Agenten das nötige Material für unsere Spezialoperation übergibst… Ist alles andere unwichtig. Falls dir dass gelingt, hänge ich dir persönlich das Eiserne Kreuz erster Klasse um. Und wenn du dann eben als einer unserer Agenten giltst…
Bei den Japanern hättest du einen Stein im Brett. Und überleg doch mal – du als Geheimagent! Das zieht bei den Damen!“
Sorge grinste spöttisch: „Als hätte ich das nötig, Eugen. Aber gut, ich bin dabei. Wann soll es losgehen?“
„Morgen früh, vier Uhr Ortszeit. Und – Danke, Richard. Ich schulde dir etwas.“
„Darauf komme ich bei Gelegenheit zurück.“
„Woher habe ich bloß gewusst, dass du das sagen wirst, Richard?“

*********

Einige Zeit später, Firma Max Klasen

„Das ist zu gefährlich, Richard!“
„Beruhige dich, Max. Ich habe das Risiko kalkuliert. Selbst wenn die ANZAC gewinnen – ich bin doch nur Journalist. Sie werden sich hüten, einen westlichen Reporter – einen Mann, der beste Beziehungen zu japanischen und deutschen Regierungsstellen hat – zu behelligen.“
„Und was, wenn dich die Abwehr, oder der japanische Militärgeheimdienst mal etwas genauer unter die Lupe nehmen?! Was, wenn sie tiefer graben? Glaubst du, die können nicht herausbekommen, dass du nach dem Großen Krieg zum Kommunisten geworden bist?“
„Sie haben es bisher nicht herausbekommen, und sie hätten ohnehin nicht genug Zeit dazu. Wir fliegen bereits Morgen früh.“
„Wie kannst du dir dann eigentlich sicher sein, dass sie dich nicht jetzt vorbeugend observieren?! Vielleicht hast du sie genau hierher geführt?!“
Richard Sorge schüttelte den Kopf. Kurz spürte er einen Hauch von Verachtung für den Mann vor ihm. Max war ein guter Funker, aber es fehlte ihm an Risikobereitschaft. Außerdem hing er zu sehr an dem bürgerlichen Leben, dass er sich hier in Japan aufgebaut hatte: „Das Risiko muss ich eingehen, Max. Und du musst die Zentrale informieren. Es droht eine neue Eskalation. Das ist fast noch gefährlicher, als die Sache in Alaska. Wir dürfen nicht beiseite stehen. Was dort auf Hawaii geschieht, das kann den ganzen Pazifik entflammen, die ganze Welt! Wieder einmal. Manchmal glaube ich, diese Imperialisten sind nicht mehr als Kinder. Kinder, oder Wahnsinnige – unverständig, gedankenlos spielen sie mit Waffen, deren Wirkung sie nicht begreifen. Zwanzig Jahre, Zwanzig Jahre, Max! Und diese Verbrecher haben nichts gelernt, nichts begriffen! Sie werden die Welt erneut in Brand setzen…“
Max Klasen wirkte durch diesen Ausbruch fast eingeschüchtert. Nur selten ließ sich der Führer des Spionagering ‚Ramsay’ derart gehen: „Ich…verstehe. Aber was willst du tun – den deutschen Agenten enttarnen?“
„Nein. Das wäre zu riskant. Man würde zu schnell auf mich kommen. Das ist dieser Mann nicht wert. Wir müssen weiter machen. Unser Informantennetz hier ist viel wichtiger. Indem ich für den Botschafter und für die Japaner den fügsamen Boten spiele, kann ich meine Tarnung ausbauen.“
„Aber was, wenn die RSHA sich düpiert fühlt, und dich genauer unter die Lupe nimmt?“
„Unwahrscheinlich. Für die bin ich doch nur ein Laufbote. Oder bestenfalls ein halboffizieller Mitarbeiter der Abwehr. Sie glauben meine Laster zu kennen.“
„Ja – Frauen und Alkohol!“
Richard Sorge lächelte verzerrt. Vielleicht hatte Max da Recht. Der ungeheure Druck, der auf Sorge lastete, hatte ihn schon ein paar Mal etwas über die Stränge schlagen lassen. Aber bisher hatte er das immer noch in den Griff bekommen, ja es verstanden, dies in seine Tarnung einzubauen. Er war auch nur ein Mensch. Leider.
„Nun fang nicht schon wieder damit an, Max. Immerhin, es kann in unserem Interesse sein, wenn sich Japan auf den Pazifikraum konzentriert. Die Admiräle, die das alles ins Rollen gebracht haben, sind ausnahmslos Vertreter der Fernost-Fraktion. Sie votieren für die Expansion nach Burma, nach Hawaii, Indien, Indonesien. Sie wollen keinen Krieg gegen Russland. Den Krieg gegen die Sowjetunion aber wollen die Faschisten. Und dazu braucht Hitler Japan. Wenn ich irgendwie dazu beitragen kann, dass Japan sich nach Süden, statt nach Nordosten orientiert – dann ist das nahezu jedes Risiko wert. Wenn sie schon Krieg führen müssen, diese Narren…
Außerdem, solange dieser Abwehr-Agent weiter aktiv bleibt, und wenn sich die Zusammenarbeit zwischen den Japanern und dem deutschen Geheimdienst verbessert…Ich sitze ich direkt an der Quelle. Wir erfahren so Interna direkt aus dem Zentrum des Spinnennetzes.“
„Pass bloß auf, dass du dich nicht in den Fäden verhedderst.“
Richard Sorge grinste nur müde.
Als er sich zum Gehen wandte, ließ ihn die Stimme des Funkers noch einmal innehalten: „Sag mal, Richard – hast du es jemals bedauert?“
Richard Sorge drehte sich um. Seine Stimme klang fest und bestimmt: „Nein. Niemals. Ich tue, was getan werden muss. Für DIESEN Posten, für DIESEN Augenblick, gibt es keinen Anderen. Zu zögern, zu zweifeln – das wäre Verrat. Ich habe es nie bereut. Und ich werde es nie bereuen. Ganz gleich, was auch immer geschieht.“ Dann ging er.
„Viel Glück, Richard. Du brauchst es.“ Max Klasen sah ihm hinterher. Er bewunderte Sorge, aber er verstand ihn nicht immer. Manchmal machte ihm dieser Mann sogar Angst. Richards Pflichtgefühl hatte etwas Unheimliches – er würde nicht zögern, auch wenn es um sein eigenes Leben ging. Für die Komintern, für die Sache, der er sich verschworen hatte, war Richard Sorge bereit und Willens, zu sterben. Und irgendwann, irgendwo würde dieser Preis gezahlt werden müssen.


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Es klopfte an der Tür. „Herein“, brummte General Alexander Godley, Oberbefehlshaber der ANZAC-Kampfverbände. Der Veteran des Großen Krieges sah nur kurz auf, als die Tür aufging.
Ein Sergeant öffnete die Tür für einen hochgeschossenen Mann mit vier goldenen Ringen am Ärmel seiner Ausgehuniform.
James Conrad Fadden, Captain der Australian Navy, salutierte exakt und knapp vor seinem höchsten Vorgesetzten.
„Rühren Sie sich, Jim. Und nehmen Sie Platz.“
Steif, als hätte er einen Stock verschluckt, nahm der Marineoffizier Platz.
Godley sah wieder kurz auf, erhob sich, ging zu einem Wandschrank und öffnete die Bar. Mit zwei gefüllten Gläsern Whisky kam er zurück.
Eines stellte er vor Fadden ab, das andere behielt er selbst. „Jim, wie geht es Ihrem Bruder?“
Der Captain runzelte die Stirn. Er war der zweitälteste in der Familie, deshalb war er es gewohnt, dass jedermann zuerst nach Arthur William Fadden fragte, dem neuen Minister für Luftfahrt, seinem älteren Bruder. „Gut, Sir. Es scheint, als würden ihm die älteren Mitglieder der Regierung zu viele väterliche Ratschläge mit auf den Weg geben, aber ich denke schon, dass er sich durchboxen wird.“
„So, so.“ Godley prostete dem Offizier zu.

„Wenn Sie mich kommen lassen, um…“, begann Fadden, aber Alexander Godley winkte ab.
„Ich bin auf dem neuesten Stand, Jim. Ich weiß, wie weit die Vorbereitungen gediehen sind. Ich will wissen, was nicht in den Akten steht.“
Fadden räusperte sich. Er war Captain und Skipper der SIDNEY, dem neuesten und kampfstärksten Militärzeppelin der ANZAC und damit sowohl der Australier als auch der Neuseeländer. Nicht ohne gewisse Berechtigung sah er sich damit als Speerspitze der Aktion an.
„Sagen Sie es mir. Wie ist die Zusammenarbeit mit Commander Willinsborough? Kommen Sie mit dem Fischkopf zurecht?“
Für einen Moment verlor Fadden seine starre Miene. Colin Willinsborough war nicht nur Neuseeländer und Skipper der JAMES COOK, dem neuseeländischen Anteil der Operation, er war auch von der seegebundenen Marine auf dieses Kommando gewechselt, was ihm bei den Luft- und Bodentruppen den wenig schmeichelhaften Spitznamen Fischkopf eingebracht hatte.
Der junge Neuseeländer ertrug es stoisch und als Herausforderung an seine Fähigkeiten.
„Colin macht sich, Sir. Seine Piloten sind nicht die schlechtesten und unsere gemeinsamen Übungen im kombinierten Zeppelinkampf lassen hoffen.“
„So. Das freut mich zu hören. Sie brechen heute Nachmittag auf, nicht wahr?“
„So sieht es der Einsatzplan vor, Sir. Also ja.“
Wieder nahm der General einen Schluck von seinem Whisky, und Fadden tat es ihm diesmal nach.

„Wissen Sie, was ich denke?“, begann der ranghöchste Offizier plötzlich und fixierte seinen Untergebenen.
„Nein, Sir. Will ich es wissen?“, argwöhnte Fadden.
„Sie sollten es, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, Jim.“ Der alte Mann schmunzelte und stellte sein Glas ab. „Kennen Sie die Geschichte von Gallipolli? Was frage ich, natürlich kennen Sie die Geschichte von Gallipolli.“
Fadden runzelte die Stirn. Der ANZAC-Tag, der inoffizielle Feiertag der Streitkräfte wurde jeden fünfundzwanzigsten April gefeiert, dem Tag, an dem das ANZAC-Korps die Halbinsel Gallipolli betreten hatte und in den Konflikt zwischen Alliierten und Achsenmächten eingetreten war. „Natürlich, Sir. Es ist Pflichtlektüre an der Akademie.“
Der alte Mann räusperte sich. „Wir wurden geworfen, vernichtend geschlagen und wieder ins Meer zurückgetrieben.“
„Das ist mir bekannt, Sir.“
„Wir hatten enorme Verluste gegen die Türken“, führte der General fort. Sein Blick schien durch Jim hindurch zu sehen, in eine Vergangenheit, die für den jungen Offizier so unerreichbar schien wie ein Admiralsposten in London.
„Die ANZAC-Verbände haben sich in Ägypten reorganisiert und sind wieder in den Kampf eingetreten. Und diesmal weit erfolgreicher.“
„Ja, zerschlagen und über die halbe Front verteilt. Erst als wir uns bewährt hatten wurde uns gestattet mit allen Divisionen gemeinsam zu kämpfen. Zuvor wären wir vom Oberkommando als Sicherheitsrisiko eingestuft worden. Ein Frontabschnitt, der nur von der ANZAC gehalten wurde? Undenkbar. Eine potentielle Bruchstelle in der Front.“
Fadden sah verlegen zur Seite. Der General sprach hier offen Dinge aus, die man selbst in gemütlicher Runde nur hinter vorgehaltener Hand aussprach.
„Ich will offen zu Ihnen sein, Jim. In London gelten wir als Streitkräfte zweiter Klasse. Als Kanonenfutter, wenn Sie so wollen. Schlecht ausgerüstet, schlecht ausgebildet und schlecht motiviert. Für das Oberkommando ist die Operation Hawaii ein Knochen, den man uns vorwirft. Wenn wir ihn ordentlich zu fassen kriegen, wenn wir ein fettes Stück aus ihm heraus beißen, dann steigen wir vielleicht ein wenig auf. Von zweitklassig zu etwas besser als zweitklassig.“
„Sie halten die Operation für Wahnsinn“, stellte Fadden unverblümt fest.
„Gut formuliert. Aber es trifft nicht ganz den Punkt. Ich halte sie für verrückt. London kann Hawaii nicht selbst nehmen, ohne einen internationalen Eklat auszulösen. Deshalb werden wir vorgeschoben, damit es quasi ein Streit unter Nachbarn bleibt. Für diese Operation, diesen Testballon, hat man uns eine Operationsflotte aus einem Zerstörer, die PADDY, drei Fregatten, die MELBOURNE, die QUEENSLAND und die NORFOLK, dem Truppentransporter TASMANIA und einem halben Schnellbootgeschwader zugestanden. Zusätzlich zu Ihrer SIDNEY und Willinsboroughs JAMES COOK. Alles in allem nicht gerade ein atemberaubender Verband, oder?“
Fadden straffte sich. „Wir können dort eben nicht mit einer ganzen Invasionsflotte auftreten, Sir. Unsere Ausrede würde in sich zusammenfallen, wenn wir in Kreuzerbegleitung auftreten würden. Uns würde offene Aggression im Namen Londons vorgeworfen werden, etwas, was wir um jeden Preis vermeiden müssen.“
„Hm.“ Der General lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Und? Haben Sie Hoffnungen, dass Sie Hawaii mit diesen Truppen erobern können, Jim?“
„Ich habe die Geheimdienstberichte gesehen, Sir. Hawaii setzt sehr auf seine Neutralität. Abgesehen von Luftabwehrstellungen, einigen schweren Kanonen und zwei halbmilitärischen Flughäfen, die von jeweils zwei Alarmrotten bewacht werden hat Hawaii nicht viel zu bieten. Ich rechne mir gute Chancen aus, dass wir nach der Zerstörung der Kanonen unsere Truppen sicher landen können. Sobald wir den Boden gesichert haben, erobern wir die Flugfelder. Danach Honolulu zu besetzen dürfte mit dreitausend gut ausgerüsteten Infanteristen kein Problem mehr sein.
Was danach kommt, steht auf einem anderen Blatt.“

Godley grinste schief. „Aha, wir kommen der Sache näher. Was gefällt Ihnen an der Planung nicht, mein Sohn?“
„Mit vier Kampfschiffen, meinen sechsunddreißig Maschinen und dreitausend Mann Infanterie könnten wir einer Invasion – einer richtigen Invasion nicht widerstehen. Ganz Hawaii oder auch nur die Hauptinsel zu halten ist vollkommen illusorisch. Wir bräuchten alleine für die dauerhafte Besetzung Hawaiis zwanzigtausend Mann, und für eine erfolgreiche Verteidigung sechs, nein, besser acht Geschwader.“
„Heißt das, Sie wollen den Befehl verweigern?“
„Nein, Sir!“, rief der Mann entrüstet.
Godley schwieg verstimmt.
„Auch wenn es verrückt klingt, aber die ANZAC hat noch nie gekniffen! Wir werden Hawaii erobern. Wir werden Honolulu besetzen. Und sobald uns die ersten Einheiten feindlicher Großmächte zu vertreiben versuchen, werden wir solange unsere Stellungen halten, bis uns ein Einsatzverband des Commonwealths retten wird. Ich rechne damit, dass wir in der Luft bis zu drei Tage und am Boden bis zu acht Wochen widerstehen können. Das ist mehr als genug Zeit, um uns Hilfe zu schicken.“
„Hilfe, die vielleicht nur noch die Reste des Hawaii-Kommandos einsammeln wird.“
„Ich weiß, es ist etwa spät, wenn ich es jetzt erwähne, aber Sie sind gegen den Einsatz, Sir?“
„NATÜRLICH bin ich gegen den Einsatz! Wir bringen damit sechstausend gute Soldaten und Seeleute in Gefahr, in Lebensgefahr! Und zu welchem Preis? Welchen Nutzen haben Australien und Neuseeland davon? Einen Stützpunkt mit vollkommen überdehnten Nachschubrouten? Ich will nicht schon wieder einen Felsen im Nirgendwo mit dem Blut von Männern erkaufen, die meine Söhne sein könnten!“

„Sir, es ist unsere Pflicht, dass…“
„Es ist Ihre Pflicht, dieses Land zu beschützen, verdammt! Es ist Ihre Pflicht, den Bürgern dieses Landes zu dienen! Es ist nicht Ihre Pflicht, dem Commonwealth einen weiteren Seestützpunkt zu liefern, auf den es ausweichen kann, falls es seine Besitzungen in Indochina verliert!“
Wütend ergriff Godley sein Glas und stürzte den Inhalt die Kehle hinab. „Es gibt nur drei Gründe, die mich dazu veranlassen, diesem Wahnsinn zu zu stimmen. Grund eins ist offensichtlich. Wir waren seit dem Großen Krieg nicht mehr in größere Auseinandersetzungen verwickelt. Wir gehen unruhigen Zeiten entgegen. Wir müssen wissen, wie gut unsere Soldaten, wie gut unsere Navy wirklich ist.
Grund zwei ist noch offensichtlicher. Japan rückt uns immer näher. Und je mehr Ärger London in Europa mit den Deutschen und den Italienern hat, desto weniger Hilfe können wir hier in Downunder erwarten.“
„Japan, Sir?“ Verwundert runzelte Fadden die Stirn. „Sie erwarten, dass…“
„Die Japaner wären Idioten, wenn sie nicht auf eine offene Einladung wie ein geschwächtes Commonwealth reagieren würden. Indochina ist reich an Bodenschätzen, sehr reich. Wenn britische Truppen und Franzosen dieses Gebiet nicht mehr verteidigen können, werden sie sich dieses Gebiet nehmen. Dann gibt es nur noch zwei Gebiete, von denen wir den Japanern aus Einhalt gebieten können.“
„Indien und Australien.“
„Da haben Sie verdammt recht“, brummte Godley.
„Aber welche Garantie haben wir, dass es die Japaner sein werden, die uns angreifen? Dass wir gegen sie kämpfen werden?“
„Sie haben gar keine Garantie. Aber es würde mich doch sehr wundern, wenn Yamamoto einen solchen Affront wie ein australisch kontrolliertes Hawaii hinnehmen würde. Das weiß man auch in London. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass das Vorauskommando so klein ist.“
Fadden stockte. Es war das erste Mal, seit er dieses Büro betreten hatte, dass ihm ein kalter Schauder über den Rücken ging. Er hatte es geahnt, mehrfach in diese Richtung gedacht, aber er hatte den Gedanken nie ausformuliert.
„Wollen Sie den Befehl immer noch ausführen, Jim?“, fragte der General müde.
„Es ist immer noch ein Befehl, Sir“, erwiderte Fadden ernst. „Und ich denke nicht daran, dem Ruf der ANZAC zu schaden.“

Für einen Moment schnaubte der General wütend. „Grund drei“, nahm er den Faden wieder auf, „ist der Wichtigste. Sie kennen unseren Vorwand, um in Hawaii einzumarschieren. Rekapitulieren Sie.“
„Top eins. Der Hawaii-Verband begibt sich in Fliegerreichweite der Hauptstadt Honolulu. Die SIDNEY und die JAMES COOK laufen mit Höchstfahrt auf die Hauptinsel Hawaii zu.
Top zwei. MI6-Agenten provozieren Übergriffe auf australische Firmen und Siedlungen.
Top drei. Der Sprecher der australischen Migranten bittet offiziell das ANZAC um militärische Unterstützung zum Schutz der Zivilisten.
Top vier. Die Botschaft wir evakuiert.
Top fünf. Wir bitten König Kamehameha den Dritten darum, mit der SIDNEY und der JAMES COOK die australischen Zivilisten evakuieren zu dürfen.
Top sechs. MI6 und Kommandos unterminieren die Kommunikation der hawaiianischen Regierung und fördern Unruhen unter der asiatischen Bevölkerung Honolulus.
Top sieben. Die SIDNEY und die JAMES COOK werden gebeten, bei der Niederschlagung der Unruhen zu helfen.
Top acht. Die Verteidigungsstellungen der hawaiianischen Verteidigung werden zerschlagen, die Seestreitkraft zieht nach, landet auf Hawaii und die 5. Brigade besetzt mit ihren dreitausend Mann die Hauptstadt Honolulu.
Top neun. Nach Niederschlagung der Aufstände bieten wir König Kamehameha dem Dritten den permanenten Schutz durch das ANZAC an, welches der König in keinem Fall ablehnen wird.
Top zehn. Die evakuierten Zivilisten werden wieder nach Hawaii gebracht.
Top elf. Die Einsatzgruppe baut die bereits existierenden Verteidigungsstellungen weiter aus.“

Godley nickte bei jedem einzelnen Satz des Offiziers. Der Kapitän der SIDNEY hatte seine Hausaufgaben gemacht, das stand außer Zweifel. Und auf dem Papier sah der Plan auch gut aus, sogar ziemlich gut. Mit der Hilfe des britischen Geheimdienstes, einem der fähigsten und erfahrensten Geheimdienste der Welt, konnte, ja musste der Einsatz doch gelingen.
Aber es war wie mit allen Dingen im Leben. Um mit Murphy zu sprechen, wenn etwas schief gehen konnte, dann würde es auch schief gehen.
„Das ist der dritte, der wichtigste Grund. Jim, beschützen Sie unsere Zivilisten auf dieser verdammten Insel.
Aber ich gebe Ihnen als Chef des Vorauskommandos einen weiteren Befehl. Sie sind der einzige, der ihn erhält und Sie werden ihn ausführen.“
Fadden straffte sich. „Sir.“
„Sollte der schlimmste Fall eintreffen“, begann Godley, „sollte der Angriff ein vollkommener Fehlschlag werden, sollten wir unser zweites Gallipolli erleben, brechen Sie den Angriff ab.“
Nachdrücklich rieb sich der Chef der ANZAC die Schläfen. „Andererseits würde ich zu gerne sehen, wie wir gegen die Japaner abschneiden. Oder gegen die Russen, falls sie schneller als die Japse reagieren. Es wird Ihre Aufgabe sein, einen Mittelweg zu finden.“
„Sir!“

Fadden begriff, dass damit der offizielle Teil abgeschlossen war. Er erhob sich und salutierte.
„Nicht so eilig, junger Mann. Ihr Glas ist noch nicht leer und es wäre Verschwendung, das gute Zeug fortschütten zu müssen.“
Godley bedeutete dem jungen Offizier, sich wieder zu setzen. Danach stand er selbst auf und holte die Flasche aus der Bar. Bedächtig schenkte er das Glas den Navy-Offiziers wieder voll. „Bleiben Sie. Bleiben Sie noch ein wenig und hören Sie sich ein paar Geschichten aus dem Großen Krieg an. Vielleicht ist etwas dabei, wovon Sie lernen können, Jim.“
Gehorsam nahm Fadden einen Schluck aus dem erneut gefüllten Glas.

„Was ich Sie schon lange fragen wollte, Sir, ist das da wirklich Roosevelt auf dem Foto auf Ihrem Schreibtisch?“
„Der hier?“ Godley drehte das Bild so herum, damit Fadden es besser betrachten konnte. „Ja, das ist Roosevelt. Ein anständiger Offizier, der vielleicht etwas viel redete und etwas umständlich war. Deshalb hat es ihn wohl in die Politik gezogen. Wir haben uns im Großen Krieg in Frankreich getroffen, als es gegen die Krauts ging.“
„Interessant. Und der andere Mann auf dem Foto?“
„Ein Freund aus Texas. War damals texanischer Freiwilliger. Gott, ist das alles lange her. Ich, Teddy und Dick. Was für ein Gespann.“
Alexander Godley lachte. „Es gibt dazu ein paar Geschichten, Jim…“
19.05.2020 19:10 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Sie trafen das texanische Luftschiff am zweiten Tag, nachdem sie Sky Haven verlassen hatten. Auf einem provisorischen Flugfeld machten alle vier Zigarren fest.
Ausrüstung und Mannschaften wechselten in einem Stil, der einigen den Atem raubten.
„Sicher, dass wir keine Invasion von Hawaii planen?“, argwöhnte Maxine.
„Solange wir mehr Material als Soldaten aufnehmen – ja.“ Dave grinste schief und machte einem Jeep Platz, der Kisten mit zerlegten MGs an Bord fuhr.
Jeff Daynes stand inmitten des Gewühls, ein Klemmbrett in der Hand, einen Stift hinterm Ohr. Aufmerksam musterte er das Geschehen um sich herum, gab knappe Anweisungen, aber hatte die Lage sehr gut im Griff.
„Steel ist sauer, Dave“, meinte Max plötzlich.
„Was, bitte?“
„Steel ist sauer wegen letzter Nacht. Und entschuldige, das ganze Dog Pack auch. Wegen der LONGHORN mussten wir Überstunden schieben, für nichts und wieder nichts. Wenn ich mir wenigstens einen Abschuss hätte holen können. So aber…“
Dave runzelte die Stirn. „Zugegeben, das war eine heftige Überreaktion von Kapitän Studd. Er ist Mechaniker, nicht unbedingt Zeppelinfahrer. Aber ich habe zumindest gedacht, dass seine Crew genügend Ahnung hat, um das Ding in der Luft zu halten.“
Auf dem texanischen Transporter formierten sich Marine-Infanteristen. Sie bildeten drei Gruppen, die kurz darauf auf die drei Zeppeline der Streitmacht zumarschierten. Das Kommando für die NORTH war naturgemäß das Kleinste. Sie brauchten keine eigene Infanterie und nahmen nur die Verstärkungen für Hawaii an Bord.
„Trotzdem. Steel hat gesagt, wenn er wegen so einem Scheiß noch mal raus muß, dann bindet er Studd vor seine Siebziger und verteilt seine Eingeweide über die Rockies.“
„Wow, dann muß er doch ganz schön sauer sein. Na, wenigstens hat die SHOOTIST noch keinen solchen Ärger gemacht.“

Dave ging ein paar Schritt auf das Deck zu und winkte Blue, herüber zu kommen.
Der nickte, gab seinen Block an Samantha Rogers weiter und kam zu den beiden herüber.
„Sorgen, Boss?“
Dave nickte. „Steel ist sauer.“
„Abgesehen davon, dass er sauer sein darf soviel er will, es juckt mich nicht!“, versetzte Blue heftig. „Was hat denn unsere Industrial-Perle so aufgebracht?“
„Der Nachtflug gestern wegen nichts und wieder nichts.“
„Okay, das ist verständlich. Und, was willst du dagegen tun? Das Kommando der LONGHORN noch mal austauschen?“
„Ich schicke Winter rüber. Er ist mittlerweile gut genug für den Job. Dann kann sich Studd wieder auf die Vögel konzentrieren. Außerdem hat der Junge seine Offiziere gut genug heran gezogen, um ihn zu ersetzen.“
Blue setzte zu einem harschen Protest an. „Moment mal. Zak geht hier nirgendwo hin! Er ist mein Erster Offizier, und wenn hier jemand sagt, dass er versetzt wird, dann bin immer noch ich das! Kapierst du das, Dave?“
Der Deutsche schmunzelte. „Nicht schlecht, der Junge. In nicht mal einem halben Jahr ist er von einem Jungspund, der beinahe die NORTH an ein paar Mexikaner verloren hätte, zu einem Mann aufgestiegen, auf den du nicht mehr verzichten willst.“
„Zugegeben“, brummte Blue.
„Aber denke bitte auch mal an ihn. Inoffiziell wird er Kapitän der LONGHORN werden. Denkst du nicht, das ist eine gute Erfahrung für den Burschen? Außerdem gilt der Wechsel nur für den Dauer der Mission.“
Missmutig brummte Blue.
„Ach, komm schon“, mischte sich Maxine ein. „Du kriegst ihn ja wieder. Oder muss ich jetzt anfangen eifersüchtig zu werden?“
Sie schenkte Jeff einen koketten Augenaufschlag, den sie bei Melissa Vandersen gelernt haben musste, und der Kapitän der NORTH STAR schmolz dahin wie Butter in der Sonne.
„N-natürlich nicht, Max. Okay, aber ich bringe es ihm bei. Immerhin muß er von jetzt auf sofort auf die andere Zigarre rüber.“
„Die Verladearbeiten dauern noch vier Stunden. Lass dir Zeit“, kommentierte Dave schmunzelnd.

Blue stapfte davon, immer noch nicht zufrieden mit dieser Entwicklung.
„So, ich gehe dann auch mal. Steel will die ganze Staffel noch mal zusammen haben, um den Nachteinsatz abzuschließen.“
„Viel Spaß. Bring dem Lehrer einen frischen Apfel mit, das stimmt ihn milde“, spottete Dave.
Max zeigte dem Mann, der nun zwei Jahre lang ihr großer Bruder war, gespielt einen Vogel, was dieser mit einem Schmunzeln quittierte.

In Gedanken ging er die Liste der Materialien durch, die an Bord geschafft wurden. Maschinengewehre, Munition, Notrationen, Karabinergewehre, Pistolen, Handgranaten, Notzelte, drei komplette Feldlazarette, zwanzig Funkausrüstungen, Lufttorpedos, Flugzeugersatzteile, die Liste war endlos.
Dazu kamen die Marines. Alles in allem ließ sich Texas die ganze Sache was kosten. Und Hawaii ging nicht unbedingt ein Risiko ein, denn der große Freistaat würde einen Teufel tun und sich eine Kolonie mitten im Pazifik schnappen. Einzig gelockt durch die enorm günstigen Handelskonzessionen würden sie lediglich als gute Freunde bleiben.
Dave unterdrückte das Verlangen, rau zu lachen und berührte unbewusst die linke Innentasche seiner Fliegerjacke. Dort ruhte ein Dokument, das ihm Richard Campbell am letzten Tag unter vier Augen übergeben hatte. Es waren zwei gewesen, eines für Kamehameha dem Dritten, welches er ihm persönlich und nur ihm persönlich übergeben sollte.
Und dieses hier, das wie Feuer auf seiner Haut brannte, wenn er auch nur daran dachte. Er dachte an die Worte, mit denen Dick ihm das schreiben übergeben hatte und wusste nicht recht, ob er den Texaner fortan für verrückt oder genial erklären sollte.
Also hielt er ein Mittelmaß. Es musste geniale Verrücktheit sein.
Dabei war sich Dave nicht einmal sicher, dass er in der Lage sein würde, dieses Dokument zu übergeben. Zu viele Faktoren spielten hier noch eine Rolle, auf die er keinen Einfluss hatte. Zu viel musste geschehen, damit der Empfänger dieses Briefes auch in seine Reichweite kam.
Einher gegangen mit diesen Worten war eine Ausgehuniform der texanischen Marines, eine Beförderungsurkunde zum Colonel und die entsprechenden Abzeichen, um seinen, Daves, Worten genügend Gewicht zu verleihen. Als offizielles Sprachrohr dieses Staates.
Verantwortung. Gott, wie Dave sie hasste. Er war nicht Commander eines Kaperers geworden, um Verantwortung für einen Staat mit acht Millionen Einwohner zu übernehmen.

„Was beißt dich, Boss?“
Dave sah zur Seite und erkannte Rainmaker. Der indianische Pilot reichte ihm einen Becher Kaffee.
Dankbar nahm der Commander an. „Bist du schon mal in das Flakfeuer einer Fregatte hinein geflogen?“
„Nein, auf dem Festland sind Fregatten eher selten“, versetzte der Pilot indigniert.
„Ich bin oft genug gegen Fregatten geflogen. Gegen Zerstörer. Kreuzer. Es ist ein hübsches Feuerwerk, was diese Babies raufschicken können. Stell dir vor, du würdest mit einem Schrotgewehr auf Schmetterlinge schießen. Das dürfte in etwa hinkommen.“
Rainmaker runzelte die Stirn. „Boss, wir legen uns doch nicht mit den Fregatten an, oder?“
„Wenn es hart auf hart kommt und die Aussies ihre Bodentruppen landen wollen, werden wir müssen. Hawaii hat keine nennenswerten Bodentruppen. Sind die Aussies gelandet, sind wir im Arsch.“
„Verstehe. Und was tun wir, um das zu verhindern?“
Dave zuckte die Achseln. „Gewinnen, mein Bester. Gewinnen.“
19.05.2020 19:11 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Nach zwei Tagen Überseeflug meldete die Vor-Patrouille der LONGHORN Land; anhand der geografischen Berechnungen etwa zwei Sekunden zu früh.
Damit hatten sie Hawai´i erreicht, die Hauptinsel des Archipels.
Doch ihr Ziel würde noch etwas weiter führen, denn ihr eigentliches Ziel war die Insel Oahu mit der Hauptstadt Honolulu und dem bedeutenden Handelshafen Pearl City.
Auf Höhe des Mauna Kea, dem höchsten Vulkanberg der Welt, wenn man die rund sechstausend Meter dazurechnete, die die Insel und damit der Berg unter dem Meeresboden war, trennte sich die SHOOTIST von der Einsatzgruppe, um auf dem Flughafen der Westküstenstadt Captain Cook zu landen.
Dave sah die SHOOTIST als wesentlich zuverlässiger als die LONGHORN an, und das hatte nichts mit Loyalitäten zu tun, nur mit Erfahrung und der Fähigkeit, einkommende Befehle auch auszuführen.
Der Freibeuter und Anführer des Dreierverbandes hatte schon früh beschlossen, der LONGHORN seine ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken und den Piloten der Zigarre notfalls jeden Befehl einzeln vorzukauen.
Was Ernst Stahl zu dem zynischen Ausspruch veranlasst hatte, den Leuten der LONGHORN nicht so den Arsch einzupudern.
Auf Hawai´i folgten Maui und Kahoolawe, darauf erreichten sie Lanai und sahen Molokai auf Steuerbord vorbeidriften. Und schließlich tauchte Maui aus dem Meer auf. Die Berge der wichtigsten Insel waren nicht so gewaltig wie die von Hawai´i, aber Dave wollte nicht kleinlich sein. Die Zigarren korrigierten nun ihren Kurs und flogen in den international anerkannten Handelskorridor ein, der sie direkt um das Südarchipel führte. Die Hauptstadt Honolulu begrüßte die eintreffenden Zigarren mit ausgesprochener Nichtachtung.
Keine Alarmrotte stieg auf, niemand rief sie über Funk, man sah keine Soldaten zu Flaks hetzen, nichts. Sie wurden nicht einmal angeblinkt oder angemorst.
Mit der SHOOTIST im Schlepp umflog die NORTH STAR das Südarchipel mit der Hauptstadt Honolulu und nahm Kurs auf den Cook-Flughafen, der zwischen der Stadt und Pearl City auf der Kalihi-Ebene errichtet worden war.
Nun versetzte ihn die Stadt doch ins Staunen, denn auf dem weitläufigen Flugfeld war Platz für zwei Dutzend Zigarren. Und vierzehn Plätze waren tatsächlich besetzt.
Der natürliche Hafen von Pearl City, oft liebevoll Pearl Loch genannt, aufgeteilt in die drei Lagunen West Loch, North Loch und East Loch, war sehr gut zu erkennen, ebenso die beeindruckenden und vor allem gut besuchten Hafenanlagen. Hawaii schien nicht nur am Schnittpunkt des Handels zu liegen, es war auch sehr gut besucht.

„Cook Air Center, hier Cook Air Center. Wir rufen die NORTH STAR und die LONGHORN.“
Armstrong nickte und Blue machte sich an die Arbeit. „Cook Air Center, hier NORTH STAR, Kapitän Daynes spricht.“
„NORTH STAR, wir weisen Sie und Ihr Schwesterschiff auf Anlegeplätze ein. Halten Sie sich an die Anweisungen der Lotsen und des Bodenpersonals. Ein Liegeplatz kostet pro Tag fünfzig Dollar. Wie lange werden Sie voraussichtlich bleiben?“
Dave unterdrückte ein Schmunzeln. Kein Wunder, dass Hawaii als Geheimtipp unter Freibeutern und Piraten galt. Man nahm es hier überhaupt nicht genau mit der Identität der Besucher, solange sie ihre Liegegebühren bezahlten.
„Eine Woche, Cook Air Center. Sollen wir im Voraus bezahlen?“
„Das wäre nett, Kapitän Daynes. Sprechen Sie auch für die LONGHORN?“
„In der Tat.“
„Gut, für diesen Zeppelin gelten die gleichen Bedingungen.
Hören Sie, Kapitän Daynes, es gibt hier ein paar einfache Regeln auf den Inseln. Wenn Sie die beachten, kommen wir bestens miteinander aus.“
„Na, da bin ich aber gespannt, Cook Air Center.“
„Erstens, den Anweisungen des Bodenpersonals und der Polizei ist immer Folge zu leisten.
Zweitens, wir mögen keine Gewalt auf unseren Inseln. Wir ahnden das sofort und nachdrücklich.
Drittens, wer einmal von den Inseln runterfliegt, darf nie wiederkehren. Haben Sie das verstanden, Kapitän Daynes?“
„Ich habe verstanden. Diese Regeln bedeuten kein Problem für uns.“
„Na dann, willkommen auf Hawaii, NORTH STAR und LONGHORN.“
Armstrong und Blue wechselten einen langen, amüsierten Blick.
„Die Regeln sind kein Problem für uns?“
Jeff grinste. „Wenn das ANZAC erst einmal hier einfällt, werden wir das kleinste Problem für Hawaii sein.“

Dave Stone deutete auf den Flughafen. „Blue, ich habe einen Job für dich.“
„Schieß los.“
„Die Zigarren, die da unten liegen. Ich will wissen, woher sie kommen, wie lange sie bleiben und mit was sie sich verteidigen. Nur für den Fall, dass sie uns bei der Lösung eines Problems helfen können. Oder selbst zu einem Problem werden.“
„Verstanden. Ich setze ein paar Marines darauf an.“
Dave grunzte zufrieden. Bis hierhin ging alles gut.

Zusammen mit Steel und Dusk verließ Dave die Zigarre. Sie wurden bereits erwartet; nicht von den kaum bekleideten Blumenmädchen, die ihnen herrlich duftende Kränze aus farbenfrohen Blüten umlegten, sondern von einem drahtigen Japaner in schneidiger Uniform.
Er kam sofort auf die kleine Gruppe von der NORTH zu.
„Commander Stone, nehme ich an?“
„Na, wenigstens einer, der uns erwartet hat“, brummte Dave amüsiert, beobachtete aber genau die Pistolentasche des Mannes und seine rechte Hand. „Ganz Recht, ich bin Commander Stone.“
„Colonel Mizunami. Ich bin der Polizeichef von Honolulu.“ Der Mann streckte vollkommen unjapanisch die Hand aus und Dave ergriff sie.
Danach stellte er seine Leute vor und auch dort ergriff der Colonel die Hände ohne falsche Scheu.
„Wird uns noch jemand von der LONGHORN begleiten?“
„Kapitän Studd und Captain Winslow“, sagte Dave und deutete auf die beiden Männer, die von der LONGHORN herüber kamen.
Als sie die Gruppe erreichten, schüttelte Mizunami auch ihnen die Hand.
Danach deutete er auf zwei militärische Jeeps auf dem Landefeld. In jedem saß ein Fahrer. „Bitte kommen Sie. Kamehameha der Dritte erwartet Sie bereits.“
Hinter ihnen brach geschäftiges Treiben aus, als die Besatzungen der beiden texanischen Kaperer begannen, ihre Ausrüstung in die nahe gelegene Lagerhalle verbrachten; von dort würden einige Dinge über die ganze Insel verteilt werden.

Es war warm, aber nicht schwül. Die Wärme war trocken und angenehm. Dennoch beglückwünschte sich Armstrong dazu, dass er sich dazu entschlossen hatte, nur ein braunes Hemd zu tragen. Aber auch das war bereits nach wenigen Kilometern unter der prallen Sonne Hawaiis durchgeschwitzt.
Dusk ging es da besser. Sie schien überhaupt nicht zu schwitzen. Sie schien nie zu schwitzen, außer sie entschied sich dafür, dass es ihr irgendeinen Vorteil brachte. In verschwitzten, eng anliegenden Trainingsklamotten sah sie einfach großartig aus.
Steel hingegen fluchte stumm, aber hingebungsvoll und sagte nur ab und zu kleinere Bemerkungen, die sich auf Alaska bezogen.
Die beiden militärischen Jeeps, zweifellos in den Industrials gebaut – auch die Zigarren waren damit ausgerüstet worden – jagten eine Landstraße herab und in die Innenstadt. Es herrschte reger Verkehr, und Dave fiel die hohe Anzahl an Asiaten und Insulanern auf. Die vereinzelten Weißen dazwischen mochten vielleicht zwanzig Prozent ausmachen.
Der Palast lag am südlichen Stadtrand und war nicht sonderlich schwer bewacht. Sie durften ohne Kontrollen passieren. Sicherlich war die Anwesenheit von Colonel Mizunami ein Freibrief.
Nachdem sie den Palast betreten hatten – eigentlich auch nicht größer als das Rathaus von Hannover, fand Dave – führte ein Diener die vier Männer und eine Frau zuerst zu den Toiletten, wo sie sich ein wenig frisch machen konnten. Was Dave dankbar annahm.
Danach fühlte er sich besser und entspannter.

„Was denkst du, Junge?“, fragte Dave und stieß seinen Nebenmann mit dem Ellbogen in die Rippen.
Steel sah auf, nachdem er sich zwei Fuhren Wasser ins rote Gesicht gespritzt hatte. „Worüber genau? Darüber wie leicht es uns gefallen ist zu landen? Darüber, dass diese ganze Stadt vor Asiaten nur so wimmelt? Darüber, dass man mit dem Polizeichef als Geisel hier überall reinkommt? Darüber, dass ich nicht ein einziges Flakgeschütz gesehen habe? Etwas in der Art?“
„Du hast meine Gedanken bemerkenswert gut zusammengefasst“, brummte Dave, griff nach zwei Handtüchern und warf eines davon dem Industrial zu. „Hawaii ist ein Freistaat. Ein unabhängiges Königreich. Jeder, der sich an die Regeln hält, darf hier landen und seinen Geschäften nachgehen. Diese acht Felsen mitten im Ozean sind die einsamsten Flecken Erde auf dieser Welt, in jede Richtung sind es minimal zweitausend Kilometer, bevor man wieder auf Land trifft. Das macht es schwierig, das kleine Reich anzugreifen und zu halten.
Aber gleichzeitig macht es das Land auch wieder interessant. Australien und Japan wickeln zum Beispiel über den Hafen von Pearl City sechzig Prozent ihres Handels mit der amerikanischen Westküste ab. Außerdem hat man von hier einen Logenplatz für die Aleuten, für Kamschatka, für Japan, für Australien, für Pazifica und Hollywood, von Kanada mal ganz zu schweigen. Die polynesischen Inselkönigreiche nicht zu vergessen, obwohl sie strategisch relativ wertlos sind. Wenn wir mal von den deutschen Seehäfen auf den Marshall-Inseln absehen. Wir können es drehen, wir können es wenden, Hawaii wird im florierenden Welthandel immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt. Sehr lange kann sich das Königreich seine zurückhaltende, liberale Einstellung nicht mehr leisten. Entweder schließt sich Kamehameha einer Großmacht an, oder er stellt ein größeres Heer auf.
Dabei ist er im Vorteil. Er muss nur die Inseln verteidigen. Alle anderen müssen überhaupt erstmal herkommen.“
„So wie wir, in zwei Tagen von Seattle nach Honolulu“, spottete Steel.
„Über eine riesige, ebene Wasserfläche, die von einem einzigen Spähflugzeug in zwei Kilometern Höhe überwacht werden kann, solange das Wetter gut ist“, warf Studd ein. Er rieb sich den schweißgetränkten Nacken trocken und richtete seine durch das Wasser zerstörte Frisur. „Und nicht jeder Invasor wird auf Nebel warten, denn die acht Inseln sind das einzige Land in der Region.“
„Der beste Verteidiger von Russland, so sagt man, ist General Winter“, nahm Dave den Faden auf. „Napoleon musste bitter erfahren, dass riesige Schneemassen, schlecht ausgerüstete Soldaten und ein Gegner, der den Gegebenheiten der Region angepasst sind, eine tödliche Mischung sind.
Eine Armee, auf die Eigenheiten Hawaiis trainiert, dürfte ähnlich tödlich wie der Winter vor Moskau sein.“
„Unterseeboote“, sagte Steel schlicht.
„Ja, eine Flotte von Unterseebooten könnte eine tödliche Sperre für jeden Angreifer sein.“ Studd rieb sich das Kinn. „Aber ein paar landgestützte Riesengeschütze wären auch nicht verkehrt.“
„Zwei Geschwader Flugzeuge, hauptsächlich Jagdflieger und Jagdbomber“, mischte sich Winslow ein. „Sie brauchen keine große Reichweite, auftanken und nachmunitionieren ist eine Sache von einer halben Stunde. Das ergibt eine effektive Schlagkraft. Sie kommen nicht einmal in die Verlegenheit, sich weit von ihrem Stützpunkt entfernen zu müssen.“
Dave warf sein Handtuch ins Waschbecken. „Interessant, meine Herren. Leider haben wir keine U-Boote und keine Riesengeschütze im Gepäck, nur Flugzeuge und ein paar zusätzliche MGs. Aber erinnern Sie mich bitte daran, seiner Majestät zu empfehlen, sich ein paar Vierzehn Zoll-Geschütze und ein Dutzend U-Boote zu zu legen.“
Geschlossen verließen sie das Bad wieder, nur um von einer lässig an der Wand lehnenden Melissa Vandersen empfangen zu werden. „Männer. Brauchen immer so lange im Bad“, scherzte sie.

Mizunami empfing sie erneut und führte sie tiefer in den Palast. Wachen sahen sie keine, nur ein paar Diener in schwarzen Livrees, hauptsächlich Angehörige der polynesisch stämmigen Eingeborenen, aber auch ein paar Japaner und Weiße.
Sie kamen in einen großen Salon, der mit alten Ohrensesseln und großen Bücherregalen ausgestattet war.
„Entschuldigen Sie mich einen Moment“, sagte der Polizeichef, verschwand durch eine Schiebetür und schloss die Tür hinter sich nachdrücklich.
Die vier Männer wechselten bedeutende Blicke. Sie alle waren äußerst auf den König von Hawaii gespannt.
Als sich die Tür wieder öffnete, war Dave ein wenig enttäuscht. Der Mann, der Mizunami folgte, hatte überhaupt nichts von einem polynesischen Herrscher, wie er es erwartet hatte. Dazu gehörte in seiner Vorstellung mindestens ein Bauchumfang, der auch der Körpergröße entsprach. Außerdem ein angemessenes Alter.
Aber der kleine, schlanke und augenscheinlich etwas nervöse Mann in dem unauffälligen schwarzen paramilitärischen Anzug war höchstens Anfang zwanzig.
„Willkommen auf Hawaii“, sagte der Neuankömmling und eilte zuerst auf Dave Stone zu. Sicheres Zeichen dafür, dass Mizunami ihn instruiert hatte. Danach begrüßte er Kapitän Studd und anschließend erst die Piloten, wobei er Melissa mit einem formvollendeten Handkuss der alten Schule bedachte. Genauer gesagt der deutschen Offiziersschule. Dave runzelte die Stirn.
„Seine Majestät hat in Berlin studiert“, raunte Mizunami leise, während der Herrscher Winslow die Hand schüttelte. „Um seinem Volk ein möglichst guter König zu sein.“
Nach der Begrüßung trat der junge Mann enthusiastisch einen Schritt zurück. „Meine Herren, meine Dame, ich danke Ihnen im Namen des Volkes von Hawaii, dass Sie in unserer schwersten Stunde zu unserer Verteidigung gekommen sind. Bitte, folgen Sie mir in die Kommandozentrale.“
„Kommandozentrale?“, raunte Dave dem Polizeichef zu, den er instinktiv als Verbündeten erkannt hatte.
„Lassen Sie sich überraschen“, erwiderte der Japaner mit höflichem Lächeln.

Sie traten durch die Schiebetür… Und erstarrten. Sie standen auf einen Balkon, unter dem sich mehrere Tische befanden, zwischen denen schwarz uniformierte Männer umher liefen, während Frauen im Hintergrund an Telefonen saßen und Informationen entgegen nahmen oder weitergaben. Insgesamt mochten es wohl dreißig Leute sein; auf den Tischen befanden sich Detailkarten aller acht Inseln sowie einige Karten mit der näheren pazifischen Umgebung und Detailkarten der Städte.
Dave pfiff anerkennend. Da unten ging es zu wie in einem deutschen Stab.
„Kommen Sie, sehen wir uns das aus der Nähe an“, sagte Kamehameha im Plauderton.
Sie stiegen eine Treppe hinab und traten zu dem Tisch mit der Ozean-Sicht. Ein Offizier verschob gerade die Silhouetten von vier Schiffen und zwei Zeppelinen ein wenig mehr in Richtung Hawaii.
Danach gab er einem weiteren Zeppelinmodell, das erstaunlich nahe war und mit der Sonnenflagge der Japaner bemalt war einen weiteren Schubs in Richtung Inseln. Auf den Inseln selbst ruhten über dreißig Zeppelinmodelle.
Dem Commander genügte ein Blick, um seine beiden Zigarren sowie die SHOOTIST auf der Hauptinsel Hawai´i, genauer gesagt auf den Cook Air Field zu identifizieren.
Etliche Schiffsmodelle wurden nach Hawaii hin oder von den Inseln fort geschoben. Frachter, vermutete Dave.
„Unsere nähere Umgebung. Wir geben eine Menge Geld dafür aus, um zu wissen, wer was und mit welcher Motivation tut. Was Sie hier sehen ist die Streitmacht der ANZAC. Sie wird in dreißig Stunden in Reichweite der Inseln sein.
Dies hier“, der Herrscher deutete auf den einzelnen Zeppelin, „ist eine noch nicht identifizierte Zigarre, die aus dem japanischen Luftraum stammt. Ich hoffe, bald Informationen über Größe, Bewaffnung und Trägerkapazität zu bekommen. Einer unserer Fischtrawler hat Anweisung, den Kurs des Schiffes zu kreuzen und uns Typ und Namen zu melden. Und dies hier ist…“
„Majestät, entschuldigen Sie die Störung. Aber es gab noch einen Vorfall.“
Missmutig sah der junge Herrscher den Offizier an, der an ihn herangetreten war.
„Das wäre dann der achte in dieser Woche. Kommen sie bitte. Ich will ihnen unser neuestes Problem zeigen.“
Sie gingen zur Stadtkarte von Honolulu. Mehrere Union Jacks und zwei japanische Aufgehende Sonnen steckten in der Karte.
„Was sie hier sehen sind die Fundorte der Leichen von britischen und japanischen Staatsbürgern. Oder die diesen Ländern zugeordnet werden können.“
Erwartungsvoll sah der Herrscher Dave an.
„Gehen sich hier die Geheimdienste an die Gurgel?“
„In der Tat, so sieht es aus. Honolulu ist bereits ein Schlachtfeld, bevor die Schlacht beginnt. Und wir konnten bisher noch nichts dagegen tun“, sagte Mizunami mit Bedauern in der Stimme.

Steel kniff die Augen zusammen, als er die Karte betrachtete. „Sechs Briten, aber nur zwei Japaner?“
„Wir reden hier von den Leichen, die wir gefunden haben“, betonte seine Majestät.
„Hawaii ist sehr liberal, was die Einreisebestimmungen angeht. Es ist sehr leicht, unerkannt und unregistriert auf diese Inseln zu gelangen, zumindest für einzelne Personen. Tatsächlich haben wir fünf dieser Personen zugeordnet, anstatt tatsächliche Beweise für ihre Herkunft zu finden.“
„Interessant“, brummte der Industrial. „Trotzdem scheint es da ein Ungleichgewicht zwischen Japanern und Briten zu geben.“
Dave trat neben seinen Staffelführer. „Was geht dir durch den Kopf?“
Steel winkte ab. „Majestät, die Fundorte der Leichen, welcher ethnischen Gruppe können sie zugeordnet werden?“
„Hawaii macht keine Unterschiede in der Ethnik. Wir fördern ein friedvolles Miteinander bei gleichen Pflichten und Rechten“, betonte Kamehameha der Dritte.
Steel runzelte die Stirn. „Lassen Sie mich meine Frage anders formulieren. Überwiegen die hawaiianischen oder japanischen Staatsbürger in diesen Gebieten, oder werden sie bevorzugt von Europäern bewohnt?“
Seine Majestät lächelte. „Die britischen Staatsbürger wurden sowohl in Gebieten gefunden, die von Hawaiianern polynesischer Abstammung oder Hawaiianern japanischer Abstammung bewohnt werden als auch jenen Gebieten, die von Hawaiianern europäischer Abstammung, beziehungsweise europäischen Ausländern bewohnt werden.
Die japanischen Staatsbürger hingegen wurden ausschließlich in Gebieten gefunden, die von Hawaiianern europäischer Abstammung und europäischen Ausländern bewohnt werden.“
Steel wechselte einen kurzen Blick mit Armstrong. „Interessant“, sagten sie beide zugleich.
Armstrong sah zu Kapitän Studd herüber. Der schien etwas irritiert, nickte schließlich aber. „Sie sind der Fachmann, Boss.“
Kamehameha der Dritte sah interessiert zu dem Deutschen herüber. „Mr. Stone. Sie haben etwas auf dem Herzen?“
„Nun, Majestät, ich würde gerne einen Teil des Flugfelds für mich und meine beiden Zigarren alleine haben. Ich möchte eigene Patrouillen aufstellen dürfen und einen Zaun ziehen. Etwas Stacheldraht vielleicht.“
„Unser bescheidenes Militär verfügt über ein paar tausend Meter. Ich bin sicher, sie können Ihnen aushelfen. Aber was bringt Sie zu dieser Umstellung?“ Die Augen des Königs ruhten wach und interessiert auf Dave Stone.
„Sechs Briten über die Stadt verteilt, zwei Japaner in den europäischen Bezirken. Und das sind nur die, die Sie gefunden haben, Majestät. Ein Geheimdienstkrieg. Spionage, Sabotage und Gegenspionage. Meine NORTH und meine LONGHORN haben nicht die Möglichkeit, sich gegen geheimdienstliches Vorgehen zu wehren. Deshalb will ich die Schiffe militärisch abschirmen. Bevor mir jemand eine Zeitbombe in die Benzintanks klebt.“
Steel zuckte unmerklich zusammen. Es war aber auch eine scheußliche Vorstellung, einen solchen Flammentod zu sterben, fand Dave.
„Ich genehmige das. Mizunami-tono, bitte unterrichten Sie die Hafenmeisterei.“
„Majestät.“
Kamehameha lächelte. Zufrieden, wie es schien. „Kommen Sie, kommen Sie, hier spielt die Musik.“

Sie traten an den anderen Kartentisch mit dem Gesamtbild aller acht Inseln.
„Wir sind uns hoffentlich über eine Sache einig. Die ANZAC werden uns angreifen. Ein so großes Kontingent ist nicht aus reiner Höflichkeit auf dem Weg zu uns. Ein sehr interessanter Schachzug des Commonwealth, denn wenn Australien uns attackiert, kann London nicht direkt angeklagt werden. Natürlich können auch die Australier uns nicht einfach den Krieg erklären. Und welche Rolle die Japaner dabei spielen, ist mir noch vollkommen unklar. Es ist möglich, dass sie sich mit der ANZAC verbündet haben.“
Dave grinste still. Das war in etwa so wahrscheinlich wie ein Theodor Roosevelt, der New York zur neuen Hauptstadt der USA ausrief und in Empire ein Heer aufstellte, um die einzelnen Nationalstaatsregierungen zu stürzen.
„Der Vorwand“, sagte Studd und war sichtlich stolz darauf, etwas zur Diskussion beigetragen zu haben. „Die ANZAC werden in jedem Fall einen Vorwand brauchen, um ihr Gesicht nicht zu verlieren. Das australisch-neuseeländische Korps hat sich im Großen Krieg gleichermaßen mit Ruhm wie mit Scham bekleckert und wird einen Teufel tun, unmotiviert zu attackieren.“
„Sie werden nicht attackieren“, sagte Dusk fest. „Man wird sie rufen.“
„Interessant. Und wer wird sie rufen?“, fragte Kamehameha mit wachem Interesse in der Stimme.
Melissa Vandersen lächelte. Es war ihr Lächeln für kleine Jungen. So lächelte sie Jimmy, seinen Stuart, an, wenn er ihr Kaffee einschenkte. Für Männer, vor allem solche die sie interessierten, hatte sie ein ganz eigenes Lächeln. Dave hatte es einmal gesehen und bekam jetzt noch beim Gedanken daran ein Gefühl der Leere den Magen abwärts.
„Sie werden sie rufen. Oder der Polizeichef. Oder jemand aus Ihrer Regierung. Irgendjemand, der noch über ein Funkgerät verfügt und um Hilfe rufen kann.“
Melissa deutete auf das große Rund der acht Inseln. „Damit das gelingt muss ein Teil der Inseln im Chaos versinken. Höchstwahrscheinlich Honolulu oder Pearl City.“
„Das macht Sinn. Soweit wir wissen, verfügt der Truppentransporter der ANZAC über die Kapazität, dreitausend Mann mit Ausrüstung zu transportieren. Das wäre niemals genug, um alle acht Inseln zu erobern.“ Kamehameha sah zu seinem Polizeichef herüber. Der nickte.
„Das war sicherlich auch nie ihre Absicht. Ihnen wird es reichen, die Hauptstadt zu halten. Für eine gewisse Zeit“, fügte Dave hinzu. „Im Prinzip ist es simpel. Sie müssen gar nicht alle Inseln erobern. Sie müssen nur die Hauptstadt nehmen und lange genug halten, bis ihnen jemand zu Hilfe kommen kann. Im Zweifelsfall ein Geschwader Briten aus Indochina.“
„Interessant. Und wie, sagen Sie, werden die Angriffe erfolgen?“
Steel spürte den Blick seines Vorgesetzten auf sich ruhen. Zuerst ignorierte er den Blick, dann aber knurrte er resignierend und trat vor.
„So wie ich das sehe, und die Agenten sprechen dafür, wird es zu Unruhen kommen. Entweder brennt jemand die halbe Hauptstadt ab, oder ein Aufstand bricht los.“
„Unwahrscheinlich, denn wir leben innerhalb aller ethnischen Gruppen im Einklang“, entgegnete der König.
„Majestät, ich rede über Menschen in Panik! Menschen in Panik sind zu wirklich allem fähig. Außerdem ergreifen viel zu viele in einer Panik ihre Chancen! Nichts auf dieser Welt ist so heimtückisch und berechnend wie ein Mensch.“
„Reden Sie weiter, Mr. Stahl.“
„Es wird zu einem Hilferuf kommen. Die ANZAC wird dann entweder seine Zeppeline gelandet haben, oder kurz vor der Küste sein. Es kommt darauf an, wie schnell und wie groß die Panik sein wird. Wie es daraufhin zu den Luftkämpfen kommt ist unerheblich, denn es wird passieren. Die Luftwaffe der ANZAC wird bemüht sein, unsere Luftstreitkräfte niederzukämpfen und Pearl Lochs Hafen freizuschießen. Zu diesem Zeitpunkt wird die ANZAC-Flotte in der Lage sein, die Städte Pearl City und Honolulu von Land aus zu beschießen, während der Truppentransporter im East Loch anlandet und seine Truppen auslädt. Gedeckt von dem, was von den beiden militärischen Zeppelinen der ANZAC dann noch übrig ist, werden die Fußtruppen Honolulu attackieren und erobern. Gegen dreitausend gut ausgebildete und gut ausgerüstete Soldaten wird die Polizei keine Chance haben. Um die wieder zu vertreiben bedarf es eines weiteren Infanteriekontingents.“ Steel sah in die Runde. „Wir dürfen den Transporter also nicht landen lassen. Wir können noch so viele Flugzeuge abschießen, wenn die Bodentruppen ausgeschifft werden, haben wir verloren.“
„Eine gute Analyse“, sagte Kamehameha.

Eine der Melderinnen trat zu ihrem König. Leise wisperte sie ihm etwas ins Ohr. Es schien dem Herrscher nicht zu gefallen, denn er erwiderte ebenso leise, bevor er mit verdrießlichem Gesicht nickte. Daraufhin legte die junge Frau zwei weitere Symbole auf den Kartentisch. Sie stellten Zigarren auf Westkurs dar. Sie nahmen die gleiche Route wie die drei texanischen Schiffe und waren keine vierhundert Kilometer entfernt.
„Es kann Zufall sein“, sagte der König betont ruhig. „Wir werden sehr oft von Frachtzeppelinen frequentiert. Aber wir werden auf diese beiden ein besonderes Auge haben.“
„Das erscheint mir sinnvoll“, bestätigte Dave ernst.
„Wollen Sie mir jetzt sagen wie Sie sich die Verteidigung von Hawaii vorstellen?“
Dave sah in die Runde, aber keiner seiner Leute wollte ihm die Ehre streitig machen.
Also seufzte er und trat wieder an den Kartentisch mit Detailansicht der Insel Maui auf.
„Wie Sie wissen, Majestät, habe ich die SHOOTIST mit zwölf Maschinen nach Cook City detachiert. Ihr wird in jedem Fall eine Schlüsselrolle zukommen, denn ich denke nicht, dass Hawai´i in der Rechnung unserer Freunde von der ANZAC eine Rolle spielt. Die SHOOTIST wird entweder ein Flankenmanöver ausführen, um uns zur Hilfe zu kommen oder die Schiffe bedrängen. Auf jeden Fall ist sie ein Ass in unserem Ärmel, das ich beizeiten ziehen möchte. Zudem hat sie Truppen und Flugabwehr-MGs geladen, die in diesem Moment das Air Center von Captain Cook City verstärken.
Ähnlich gehen wir hier vor. Wir machen den Cook Air Center sicherer. Wir errichten MG-Stellungen rund um den Platz und richten außerhalb Igelstellungen ein. Der Flughafen ist unsere wichtigste Ressource. Wenn diese fällt, bleibt uns nur noch die Flucht. Falls wir dann noch Zigarren haben.
Unsere Ziele in der Operation sind selbstverständlich die gegnerische Luftwaffe und der Truppentransporter. Er ist der Joker der gesamten Operation. Aber abgesehen von den sechsunddreißig Fliegern, die wir auf den zwei ANZAC-Zeppelinen vermuten, werden die anderen Schiffe ihn gut bewachen. Aber ich habe die berechtigte Hoffnung, dass die Operation abgebrochen wird, wenn wir die Flieger eliminiert haben.
Was die Japaner in diesem Szenario wollen, kann ich nicht sagen, aber wir müssen sie im Auge behalten. Ebenso natürlich die Luftschiffe, die zurzeit im Cook Center festgemacht haben und jene, die noch hinzukommen.“
Dave rieb sich die Nasenwurzel. „Ich hatte mir das leichter vorgestellt.“
„Und ich hätte nie gedacht, dass mein kleines Reich einmal Begehrlichkeiten bei den Großmächten erwecken würde“, sagte Kamehameha bedauernd. „Man lernt eben nie aus, Mr. Stone. Und solange man flexibel bleibt, wird man auch überleben.
Sagen Sie, es gibt da einen Themenkomplex, der mir schon seit einiger Zeit zu denken gibt. Angenommen, wir schaffen es den Aufstand, das Unglück oder was auch immer als Vorwand dienen wird, im Vorfeld zu unterdrücken. Wir lassen es einfach nicht geschehen. Wird die ANZAC ihren Angriff dennoch ausführen? Wenn sie so offensichtlich für die Welt zum Aggressor wird?“
„Ja.“
„Ich habe es befürchtet“, stellte der Herrscher deprimiert fest.
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Rot geht die Sonne auf

Als die Pläne für die Invasion der Hawaii-Inseln in London entwickelt worden waren und die ANZAC-Streitkräfte mit der operativen Planung und dann der Verwirklichung begannen, hatte man vergessen, einer Reihe von Möglichkeiten und Risiken Rechnung zu tragen.
Erstens die Möglichkeit, dass die Invasionspläne vorzeitig aufgedeckt würden.
Zweitens, dass Hawaii sich mit der Bitte um Hilfe an andere Militärmächte wenden würde.
Und drittens, dass das kaiserliche Japan in jedem Versuch, Hawaii zu besetzen, einen nicht akzeptablen Vorstoß in die imperiale Interessensphäre sehen würde.
Texas hatte sich bereit erklärt, Kaperluftschiffe, Marines und Kriegsgerät zu schicken.
Die japanischen Streitkräfte waren bereit, notfalls einen Krieg zu beginnen. Und keineswegs wollte man sich bei der Verteidigung Hawaiis alleine auf Kaperer und die Streitkräfte Hawaiis verlassen.
Die KAMIKAZE war nur ein Teilstück der japanischen Strategie, wenn auch ein wichtiges.
Die von lokalen Agenten und einer Ninja-Spezialeinheit gestartete Offensive gegen die englischen und ANZAC-Agenten diente mehreren Zielen. Sie war ein deutliches Signal an Englands Adresse, mit Blut geschrieben. Die Kette ebenso rücksichtsloser wie präziser Schläge sollte zudem das feindliche Spionagenetz schwächen und lahm legen. Dezimiert, gejagt, und in die Defensive gedrängt, sollten die Agenten des Commonwealth erst gar nicht in der Lage sein, Sabotageaktionen durchzuführen, oder präzise Informationen über die Verteidigungsmaßnahmen zu sammeln.
Die japanische Handelsmission in Pearl City und die Botschaft in Honolulu verwandelten sich gleichzeitig in regelrechte Festungen. In der Botschaft leisteten immerhin fast sechzig Soldaten Dienst, die Handelsmission wurde von zwanzig vorgeblich zivilen Sicherheitskräften beschützt – die aber in Wirklichkeit Armeesoldaten waren. Von Anfang an auch nach militärischen Richtlinien gebaut und modernisiert, würden diese Objekte sich in die Verteidigungsanlagen einfügen – und Hawaii, dem Commonwealth, Texas und dem neutralen Ausland demonstrieren, dass Tokio in diesem Konflikt keineswegs neutral stehen würde.
Die knapp vierzig Marineinfanteristen und etwa zwanzig Armeesoldaten die in der Botschaft stationiert waren, stellten, geschützt durch die dicken Mauern, und unterstützt durch 13,2-Millimeter-MG’s, 25-Millimeter-MK’s und Fünfzig-Millimeter-Mörser, eine beachtliche Macht dar. Und auch wenn die Soldaten der Handelsmission an schwereren Waffen nur zwei LMG und zwei Mörser besaßen, immerhin waren sie echte Soldaten – den Polizisten Hawaiis deutlich überlegen. Aber das war noch nicht Alles.

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Der gewählte Versammlungsort entsprach in keiner Weise der Bedeutung des Treffens, wohl aber den Zwängen der Konspiration. Die alte Lagerhalle einer schon vor Jahren bankrottgegangenen Kopra-Firma starrte vor Unrat und Schimmel. Im Schatten der Wände und unter dem verfaulenden Holzboden huschten Ratten hin und her.
Von den drei Männern, die sich hier versammelt hatten, wirkte einer etwas fehl am Platz. Fumio Kazuo war dicklich, kleingewachsen und wirkte in seinem hellen Tropenanzug recht bieder. Angeekelt musterte er die Umgebung, verkniff sich aber ein Kommentar. Auch wenn er als inoffizieller Vorsitzender der japanisch stämmigen Geschäftswelt in Hawaii über weit reichende Kontakte bis in die Staatsführung und die Streitkräfte Hawaiis verfügte, insgeheim hatte er einen gehörigen Respekt vor den beiden anderen Anwesenden, fürchtete sie vielleicht sogar ein wenig, ihre Skrupel- und Furchtlosigkeit, ihre Bereitschaft zu töten.
Hiroshi Shimada war deutlich größer als der Geschäftsmann, aber er war so schlank, dass er schon fast ausgezehrt wirkte. In dem hageren, scharf geschnittenen Gesicht brannten zwei Augen in einem gefährlichen Feuer.
Vor zehn Jahren war Shimada nach Hawaii gekommen. Über seine Vergangenheit in Japan sprach er nie, aber angeblich hatte er zu der heftig verfolgten Kommunistischen Partei Japans gehört. Hier in Hawaii jedenfalls stieg er recht bald bei der mächtigen Gewerkschaft der Dockarbeiter auf. Ihre Fusion mit der Flughafengewerkschaft war angeblich vor allem Shimadas Idee gewesen. Mochte er früher Kommunist gewesen sein, inzwischen verfolgte er eine pragmatische Linie. Im Austausch für gute Löhne, effiziente Kranken- und Invalidenversicherungen garantierte die Gewerkschaft eine tadellose Warenabwicklung und verzichtete auf kostspielige Streiks. Am Ende verdienten beide Seiten daran. Die Arbeiterorganisation war sogar so mächtig geworden, dass sie vor drei Jahren den hiesigen Ableger der japanischen Yakuza in seine Schranken verweisen konnte. Nach zwei Monaten blutiger Zusammenstöße, Schlägereien und Mordanschläge, bei denen die Arbeiter mindestens ebenso rücksichtslos und brutal vorgingen wie die Yakuza, war ein inoffizieller Waffenstillstand geschlossen worden.
Gleichzeitig hatte Shimada offensichtlich auch seinen Frieden mit seinem Heimatland gemacht – der japanische Geheimdienst wusste die Offerte sehr zu schätzen.
Trotzdem Shimada inzwischen über genug Mittel verfügen konnte, sich ähnlich gut zu kleiden wie Kazuo, trug er weiter die einfache, robuste Kleidung eines Dockarbeiters. Aber man durfte ihn auf keinen Fall unterschätzen. Er verband einen wachen Verstand mit den rücksichtslosen Instinkten eines Straßenkämpfers.
Der dritte Mann trug eine dunkle Kombination. Sein Gesicht war maskiert. Obwohl er unbewaffnet schien, hatte sogar Shimada vor ihm Respekt. Denn der Maskierte, den Shimada und Kazuo nur unter dem vermutlich falschen Namen Yasuo kannten, war der Kommandant der Ninja-Einheit, die vor einigen Tagen auf Hawaii aktiv geworden war. Als Offizier dieser legendenumwitterten Elitetruppe war Yasuo berechtigt und in der Lage, dem gesamten japanischen Geheimdienstapparat auf den Hawaii-Inseln Befehle zu erteilen. Selbst der japanische Botschafter konnte ihn nur bitten, ihm aber keinesfalls befehlen. Es war klar, auch ohne darüber ein Wort zu verlieren, wer bei diesem Treffen das Sagen hatte.
„Shimada. Ihre Gewerkschaftsschutztruppen sind das Mittel unserer Wahl, wenn es zur Invasion kommen sollte. Wir brauchen sie auch für den Fall, dass die verdammten Gajin ihre fünfte Kolonne mobilisieren. Außerdem haben Sie die nötigen Kontakte zu den Landarbeiterorganisationen. Auch die werden wir brauchen. Sollte es zum Landkrieg kommen, sind nur sie fähig, eine effektive Guerilla aufzubauen, als Führer und Späher zu agieren.“
„Uns fehlen Waffen. Meine Männer – und einige Frauen – sind ja durchaus bereit, ihre Freiheit zu verteidigen. Keiner will eine Militärherrschaft der ANZAC. Ihre rassistischen Attitüden gegenüber Asiaten sind bekannt. Aber ich kann meine Leute wohl schwerlich mit Knüppeln, Messern, Bleirohren, ein paar Pistolen und Schrotflinten gegen reguläre Infanterie schicken.“
„Um die Waffen kümmern Sie sich, Kazuo. Sie haben die nötigen Kontakte. Sie wissen, was gebraucht wird. Gewehre, Pistolen, Sprengstoff. Und wir haben nur wenig Zeit.“
„Das wird nicht billig…“
„Japan wird Sie dafür entschädigen. Außerdem sind Sie wohl durchaus in der Lage, derartige Verteidigungsmaßnahmen der Administration schmackhaft zu machen. Sagen Sie denen, wenn es hart auf hart kommt, können sie wählen – wollen sie in ihren Straßen Einwohnerwehren die FÜR Hawaii kämpfen – oder australische Infanterie, die auf den Palast vorrückt? Haben die ANZAC erst einmal Bodentruppen gelandet, dann reichen die Sicherheitsstreitkräfte sowieso nicht aus. Und auch nicht die zehn Dutzend texanischer Marines.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“
„Was ist mit den Schwarzen Zellen?“ Auf diese direkte Frage Shimadas schien Yasuo zu lächeln, auch wenn die Maske seine Gesichtszüge verbarg: „Die behalten wir erst einmal in der Hinterhand. Nicht nötig, dass Hawaii ALLE unsere Geheimnisse erfährt. Außerdem sollen sie aktiv werden, wenn die ANZAC sich doch festsetzen sollten.“ Die Schwarzen Zellen waren kleine, paramilitärisch ausgebildete Terror- und Sabotagekommandos japanisch stämmiger Einheimischer. Ursprünglich geschaffen um eine eventuelle japanische Invasion zu unterstützen, waren sie gut ausgebildet und verfügten über eigene Waffen- und Sprengstofflager.
Auch wenn Shimada persönlich von diesen Einheiten wenig hielt, er kannte ihr Potential. Aber er hätte damit rechnen müssen, dass der japanische Geheimdienst immer noch ein paar Asse im Ärmel behielt. Wie auch immer die Invasion ausging – die ANZAC sollten offenbar auch bei einem Sieg nicht glücklich mit ihrem Erfolg werden.

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Gleichzeitig lauschte in der Zentrale der militärischen Abwehr von Hawaii ein Fernmeldeoffizier mit besorgter Miene auf die Signale, die pausenlos aus seinen Kopfhörern drangen. Vor fünfzehn Minuten hatte die japanische Botschaft plötzlich zu senden angefangen. Das war an und für sich nicht unüblich – aber diesmal benutzte sie einen Marinekode. Nur zu gerne hätte der Offizier gewusst, was und an wen die Botschaft da sendete. Aber der japanische Marinekode galt als extrem schwierig, für Abwehrdienste wie den von Hawaii praktisch unmöglich zu knacken. Die pausenlos wiederholten, kurzen Signale jagten dem Fernmeldespezialisten eine Gänsehaut über den Rücken.

Selbst wenn es den Commonwealth-Streitkräften möglich gewesen wäre, den Marinekode zu entschlüsseln, sie würden daraus wohl kaum klare Schlüsse ziehen können. Denn die wieder und wieder gesendeten Funksignale verzichteten auf Klartext, bestanden aus Signalwörtern und -zahlen, die nur die Empfänger verstehen konnten:
„Shusui Rot – Zwanzig. Tsunami. Tsunami. Renzan Zwei.“

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Ungefähr einhundertfünfzig Kilometer von den Hawaii-Inseln entfernt empfingen die Funker der Shusui-Kampfgruppe den Funkspruch. Shusui bedeutete im Japanischen ‚Schwertstreich’.
Nur eine halbe Stunde nach dem Empfang des Funkspruchs war auf allen Schiffen roter Gefechtsalarm befohlen worden, hatte auch der letzte Matrose in der aus Zerstörern und einem schweren Kreuzer bestehenden Flottille Vizeadmiral Kodas Worte vernommen: „Matrosen der imperialen Marine! Die australische Invasion Hawaiis steht unmittelbar bevor. Im Verlauf der nächsten zwanzig Stunden wird sich das Schicksal der Inseln entscheiden. Wir werden nicht zulassen, dass die arroganten Imperialisten aus Hawaii einen Dolch schmieden, der auf die Kehle unserer Heimat zielt. Wir werden nicht japanische Frauen, Kinder und Alte der barbarischen Willkür der britischen Söldlinge überantworten. Samurais! Im Namen des göttlichen Tennos wende ich mich an euch. Es ist Zeit, eine Linie zu ziehen. Bis hierher und nicht weiter! Nicht länger werden wir es dulden, dass die verkommenen westlichen Staaten in Asiens nichts anderes sehen, als eine wehrlose Verfügungsmasse! Der Kaiser, Japan und die Ehre der Marine verlangen von euch Pflichterfüllung bis zum Letzten. Ich weiß, ihr werdet eure ruhmreichen Ahnen mit Stolz erfüllen. Es lebe der Kaiser! Banzai!“
Ungeachtet dieser Worte und trotzdem er auf einen Gefechtseinsatz gegen eine ECHTE Marine brannte, sprach Koda dennoch im Stillen ein kurzes Gebet für die Männer an Bord der KAMIKAZE und die Soldaten in der japanischen Botschaft. Sie würden sich als erste Krieger des Tennos gegen die Invasion stellen. Er selber sollte und würde erst eingreifen, wenn es zwingend notwendig war, oder wenn ihn die Botschaft um Hilfe rief. Angst hatte er keine. Seine Kampfgruppe verfügte über die gebündelte Feuerkraft von sechs 20,3 Zentimeter, sechzehn 12,7 Zentimeter und zwei 7, 6 Zentimeter Geschützen. Dazu kamen 30 Torpedorohre. Das war genug, um notfalls die Invasionsstreitmacht der ANZAC in eine andere Realität zu schießen.
In seinem Innersten sträubte er sich gegen diese einem Samurai wenig zur Ehre gereichende Hinhaltetaktik. Aber er hatte seine Befehle. Er würde sie befolgen.
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Irgendwo in der endlos sich dehnenden Meereswüste rings um die Hawaii-Inseln empfingen auch I-3 und I-154 den Funkspruch. Die Kapitäne der beiden U-Boote wussten, was sie zu tun hatten. Mit Höchstgeschwindigkeit, im Schutze der Dunkelheit alles aus ihren Dieseln herausholend, strebten sie in Richtung Hawaii, näher an die Inseln heran. Wie eine ‚Monsterwelle’, ein Tsunami würden sie dicht am Ufer ihr tödliches Werk verrichten. Die Invasion stand unmittelbar bevor. Noch ehe der Tag herauf dämmerte, mussten sie bereits in günstigen Lauerpositionen sein. Dort würden sie warten, getaucht, unsichtbar. Bis ihnen ein australisches Schiff vor die Rohre lief.

I-5 allerdings folgte den Schwesterbooten nicht. Das Unterseeboot folgte mit halber Kraft einem anderen Kurs, der es sogar von dem vermuteten Angriffskurs der ANZAC entfernte. I-5 würde sich nicht direkt am Kampf beteiligen, außer es musste unbedingt sein. Stattdessen würde es an einer bestimmten Position auf den Meeresgrund legen und abwarten. ‚Renzan’ bedeutete ‚Gebirgszug’. Die Bedeutung dieses Kodenamen war sogar den meisten Besatzungsmitgliedern unbekannt. Sie hatten auch nicht verstanden, warum vor zwei Tagen das Bordflugzeug – I-5 konnte als einziges U-Boot der Junsen-Klasse ein Wasserflugzeug an Bord nehmen – zerlegt und die Einzelteile dann versenkt worden waren. Der Kapitän hatte keine Erklärung angeboten, nur etwas von einem ‚Spezialauftrag’ gemurmelt. Die Matrosen konnten also nur warten. Aber eines wussten auch sie. Die nächsten dreißig Stunden würden die Entscheidung bringen.
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Dave Stone erwachte, als es an der Tür zu seiner Kabine dezent klopfte. Er warf einen Blick zur Uhr an der Wand, die ihn darüber informierte, dass es schon sechs Uhr durch war.
Zeit für ihn, aus den Federn zu kommen. Leider fiel ihm das etwas schwer. „Herein.“
Die Tür öffnete sich, und mit aller gebotener Vorsicht trat Johnny ein, der Schiffssteward. Der junge Bursche war Japanoamerikaner, und er erledigte seine Arbeit sehr gewissenhaft für sein Alter. „Guten Morgen, Boss.“
„Wehe, du sagst das Wort mit G noch mal, Jimmy.“
Der junge Steward grinste schief. „War einer von den Drinks gestern schlecht, Boss?“
„Der fünfte oder sechste. Die machen hier einen Rum, der hat es in sich. Aber bis du so was in dich rein schütten musst, vergehen noch ein paar Jahre.“
„Danke, ich verzichte ganz.“ Johnny trat an den Schrank heran und begann die Kleidung für den Tag herauszulegen.
Dave wusste nicht mehr, wann es derart eingerissen war, aber der Junge polierte sogar seine Schuhe auf Hochglanz, und wenn der deutsche Pilot nicht höllisch aufpasste, würde Johnny ihm auch noch das Essen vorkauen.
„Kluge Entscheidung, mein Junge“, brummte Dave und dachte an den Abend zurück.
Nach dem Besuch der Einsatzzentrale und einer allgemeinen Stimmung allumfassender Bedrohung hatten sie noch die Möglichkeiten Hawaiis diskutiert. In der Tat besaß die Insel Oahu, auf der sich die Hauptstadt Honolulu befand, nur zwei Alarmrotten, eine auf dem Cook Air Center, auf dem auch seine Zigarre festgemacht hatte, und eine auf dem Danaus Airport im Norden, benannt nach dem auf Hawaii beheimateten und extrem populären Monarchfalter, lateinisch Danaus Plexippus, der als himmlischer Bote der Götter angesehen wurde.
Danke für die Nachhilfestunde, Majestät.
Sie hatten noch die Aufstellung für die schweren Maschinengewehre besprochen, die sowohl die Luftangriffe, die sie von den Australiern erwarteten abwehren sollten, als auch die gelandeten Truppen aus Pearl, falls es zum Schlimmsten kommen sollte.
Herausgekommen war vor allem ein Sperrgürtel um das Cook Air Center und einige Nester in der Hauptstadt und an der Küste selbst. Texas hatte sich nicht lumpen lassen, weder bei den Waffen noch bei der Munition, und texanische Ausbilder würden die Einheimischen auf den neuen Waffen drillen, aber Dave wünschte sich doch, er hätte auch ein paar Fla-Kanonen mitgebracht. Nun, hinterher war man immer schlauer als zuvor.
Nach der Besprechung mit dem König hatte es sich Dave nicht nehmen lassen, Honolulu zum Sturm freizugeben – natürlich nicht, ohne eine ausreichend große Bordmannschaft auf den beiden Zigarren zurück zu lassen. Aber da sie unruhigen Zeiten entgegen sahen, war dies vielleicht die letzte Möglichkeit, sich auf Hawaii zu vergnügen, bevor es hart auf hart ging.
Johnny stellte ihm eine Schüssel mit warmem Wasser hin und striegelte das Rasiermesser. Danach rührte er den Seifenschaum auf.
„Doc Mertens ist übrigens raus“, informierte der Steward seinen Chef, während er die Morgentoilette vorbereitete. „Die Hawaiianer wollen eines der portablen Lazarette aufbauen, und der Doc will die Arbeiten überwachen und das Ärzte- und Schwesternteam einweisen. Blue hat es genehmigt.“
„Dann ist gut. Es dauert ja noch, bis die ANZAC und die Japaner eintreffen.“
Der Junge zuckte leicht zusammen. Dave konnte es ihm nicht verdenken, Johnny war ja selbst Japaner. Genauer gesagt kam er aus Empire und hatte außer der Ostküste und einem Teil von Texas noch nicht viel von der Welt gesehen, aber dieses Wort hing ihm an, ob er wollte oder nicht: Japaner.
„Ob sie auf unserer Seite sind?“, fragte der Junge leise. Er sah Dave an. „Die Japaner, meine ich.“
„In einem Punkt bin ich mir sicher“, erwiderte der Commander, erhob sich und streckte sich. Mistbett. Er sollte sich ein neues besorgen, solange der Ärger noch nicht losging. „Sie sind definitiv auf ihrer eigenen Seite. Mal sehen, ob wir in die gleiche Richtung schießen, wenn es losgeht.“
„Hm“, brummte der Steward. „Auf einen Kaffee kommen sie sicher nicht vorbei.“
„Das hast du gut erkannt.“ Dave klopfte dem Jungen auf die Schulter. „Danke, das war es vorerst.“
„Okay, Chef.“ Er stockte auf seinem Weg raus aus der Kabine und sah noch einmal zurück. „Chef?“
„Was gibt es, Johnny?“
„Wenn es ruhiger wird…Darf ich dann mal mit rauf?“
Dave stockte mitten in der Bewegung, mit der er Seife aufgetragen hatte. „Du willst in einem Jäger mitfliegen?“
„Wenn ich darf, Chef.“
„Wenn es ruhiger geworden ist. Okay. Versprochen. Aber bis dahin hältst du deinen Kopf raus aus der Schusslinie, verstanden?“
„Verstanden, Chef.“ Er winkte zum Abschied und schloss die Tür hinter sich.
„Aufgeweckter Bursche.“ Dave verkniff sich ein Grinsen, weil es jetzt ans rasieren ging, und zur Melodie vom kleinen grünen Kaktus setzte er das scharfe Messer an.

***
„Guten Tag, Majestät.“
„Commander Stone. Ich freue mich, Sie zu sehen. Äh, ist Dusk nicht mitgekommen?“, fragte der Monarch betont gleichgültig.
„Nein, Majestät. Ich habe eine gemeinsame Übung über See mit den Piloten der LONGHORN angeordnet. Das Seewasser hat einen schädigenden Einfluss auf unsere Flieger, der durch das warme Klima noch verstärkt wird. Über Alaska war es eher Eis, das uns Sorgen machte. Hier ist es Korrosion.“
„Korrosion geht nicht so schnell.“
„Das ist wahr, aber ich gehe gerne auf Nummer sicher. Wir haben noch nicht in solch einem Klima gekämpft, Majestät.“
„Hm. Es wäre dumm, sich nicht auf etwas vorzubereiten, was eine potentielle Störung bedeutet. Außerdem ist eine Geschwaderübung vor den Kampfhandlungen nie verkehrt.“
„Richtig, Majestät. Was kann ich für Sie tun?“
Der Monarch von Hawaii sah Dave mit einem verschmitzten Lächeln an. „Aber, aber, Commander. Wollen Sie mir nicht erst Ihre beiden Begleiterinnen vorstellen?“
Dave schmunzelte. „Entschuldigen Sie, Majestät. Darf ich Ihnen vorstellen, Captain Gallagher, die Chefin meiner Marines und Samantha Rogers, Boss meiner Mechaniker. Die beiden haben noch nie einen König gesehen, deshalb habe ich sie mal mitgenommen.“
„Dave!“, rief Sam erschrocken und wurde puterrot.
Seine Majestät sah die beiden Frauen an – und brach in Gelächter aus. Nacheinander ergriff er die Rechten der beiden Damen und hauchte einen Handkuss auf. „Na, dann will ich die Damen mal nicht enttäuschen. Guten Tag. Ich bin Kamehameha der Dritte, neunter König von Hawaii. Darf ich Sie bitten, mir mit Commander Stone ins CIC zu folgen?“
Einladend deutete er in Richtung der altvertrauten Tür in der Bibliothek, die für Dave schon einmal zur Überraschung geworden war.
Verdutzt und überrascht gingen die Damen voran.
„Ein netter Spaß“, raunte seine Majestät dem Commander zu.
„Ich fliege am liebsten für Leute, mit denen ich Pferde stehlen kann“, gab Dave schmunzelnd zurück.
„Bei uns stiehlt man keine Pferde, sondern heißen Zuckerrohr von den Feldern, Commander.“
„Klingt interessant. Laden Sie mich zum nächsten Mal ein, Majestät?“
Die beiden Männer grinsten sich zu und folgen den Frauen in Kommando-Center.

„Wow“, klang die Stimme von Sam Rogers auf. Norah Gallagher pfiff anerkennend.
Übergangslos schaltete Stone auf Profi. „Was haben Sie für mich, Majestät?“
„Wir kennen jetzt die Identität der japanischen Zigarre. Sie wird heute Nachmittag anlanden, wenn sie Kurs und Geschwindigkeit beibehält. Ihr Name ist KAMIKAZE. Das ist einmal ein sehr gebräuchlicher Begriff für…“
„Ich weiß. Ich habe eine Zeitlang Versorgungsflüge für die Flying Tigers gemacht. Kami bedeutet Gott, Kaze ist die Luft, oder in diesem Fall eher der Wind. Göttlicher Wind. So nennt man einerseits jene bedauernswerten Piloten, die freiwillig für ihr Missionsziel sterben…Ich habe gesehen, wie sich einer von denen in ein Munitionsdepot der Tigers gerammt hat. Tapfer, aber dumm. Eine Bombe hätte den gleichen Effekt gehabt.
Andererseits steht es für eine historische Lektion. Zwei Angriffe von Mongolen wurden abgewehrt, weil sie in Taifune gerieten. Dies nannte das mittelalterliche Japan den göttlichen Willen oder den Wind der Götter. Habe ich was vergessen?“
Der König, der nun am Tisch mit der Silhouette von Oahu stand, schüttelte den Kopf. „Es gibt noch ein paar Querverweise, aber die tun nichts zur Sache. Ich finde es aber bezeichnend, dass die Japaner uns einen Zeppelin mit diesem Namen geschickt haben.“
„Das finde ich auch. Was wissen wir über die KAMIKAZE, Majestät?“
„Nichts, nur die Klasse. Ein Militärzeppelin der Yamato-Klasse. Achtzehn Flieger, vielleicht zwanzig. MG-Nester, Lufttorpedos, das Übliche. Interessant an der Geschichte ist, dass die japanische Botschaft vor einiger Zeit einen verschlüsselten Funkspruch abgegeben hat. Ich denke, wir können jetzt sagen, dass die Japaner nicht zufällig hier sind. Polizeichef?“
Mizunari trat an die Seite seines Monarchen. „Wir beobachten diese Entwicklung nicht ohne Sorge. Wir haben in der letzten Nacht weitere drei Tote gefunden. Dazu gab es eine Schießerei in einem von Japanohawaiianern bewohnten Viertel, bei dem unter anderem fünf Zivilisten verletzt wurden, teilweise schwer. Die Bevölkerung wird unruhig, und glauben Sie mir, was hier gesagt und gehört wird, landet zwangsläufig auch auf der Straße.
Wovor ich Angst habe, meine Damen und Herren, das ist ein bewaffneter Konflikt von wütenden Bürgern zwischen den einzelnen Fraktionen.“
„Das gleiche haben wir uns auch auf der NORTH gedacht“, sagte Gallagher. „Deshalb bin ich hier. Unser Marines-Kontingent wurde verstärkt, bevor wir hier her kamen. Abgesehen vom Zeppelinschutz und den MG-Nestern auf dem Landefeld, die wir selbst bemannen, verfüge ich über eine Eingreifreserve von dreißig Mann. Für den Fall des Falles.
Zum Beispiel, wenn aufgebrachte Hawaiianer europäischer Herkunft“- sie grinste ihren Boss an, der sie in der hier üblichen Wortwahl unterrichtet hatte –„glauben, dass der anrückende ANZAC-Verband von ihnen erwartet, zur Waffe zu greifen.“
„Unruhen wären der ideale Vorwand, um auf Hawaii einzumarschieren, oder?“

Seine Hoheit winkte Stone und Rogers weiter zur nächsten Karte, die das Stadtgebiet von Honolulu zeigte, während Norah einen Crashkurs über die Ressourcen der Inselverteidigung und deren Verteilung bekam.
„Ehrlich gesagt“, begann seine Majestät ernst, „bereitet mir die Ankunft der KAMIKAZE beinahe mehr Sorgen als der ANZAC-Verband. Wir haben viele Japanohawaiianer in der Hauptstadt, und nicht wenige sind…Nun, Traditionalisten. Ich weiß, ein Zeppelin ist zu wenig, um unsere stolzen Inseln zu nehmen, selbst ohne die Hilfe unserer Handelspartner aus Texas. Aber ich halte es für das falsche Signal. Die Australier werden vielleicht den Hinweis Finger weg verstehen. Aber wie fassen es alle anderen auf?“
„Abstauber.“
„Wie meinen?“
„Ein Begriff aus dem Fußball. Entschuldigen Sie, Majestät. Soccer.
Abstauber nennen wir einen Spieler, dem zum Beispiel bei einem Kampf vor dem Strafraum der Ball vor die Füße rollt und er ihn zum Tor versenkt. Er hat nicht gerade drum gekämpft, aber hat die Gunst des Augenblicks genutzt.“
Seine Majestät strich sich nachdenklich über sein Kinn. „Und Sie meinen die KAMIKAZE wird so ein Abstauber sein?“
„Es gibt zwei Dinge, bei denen ich mir sicher bin, Majestät. Erstens, dass eine Zigarre wirklich nicht reicht, um diese Insel zu nehmen. Und zweitens, dass die ANZAC nicht zu einem Freundschaftsbesuch rüber kommen. Wenn einer von beiden die Chance bekommt, Hawaii zu schlucken, wird er es tun. Zwischen Nationen gibt es keine Freundschaften und keine netten Gefallen. Es gibt nur Stärke.“
„Aha. Und was ist, wenn die NORTH und ihre drei Schwesterschiffe die Gelegenheit nutzen werden, um…abzustauben?“
„Ich kann Ihnen aufrichtig versichern, Majestät, dass dies nicht der Fall sein wird.“
„Und was unterscheidet Sie von der ANZAC und der japanischen Marine, Commander?“, fragte der König amüsiert.
„Nun. Ich werde nicht dafür bezahlt, Hawaii zu erobern“, schloss Dave mit einem Augenzwinkern.
Seine Majestät nahm es mit Humor und lachte. „Das ist wahr, Commander. Miss Rogers, bitte kommen Sie doch mal an die Karte. Ihr wunderbarer Commander hat gestern gemeint, dass Informationen das Wichtigste sind, und er hat angeboten, das Telefonnetz von seinen Technikern überprüfen zu lassen. Wollen Sie mit mir die wichtigsten Punkte durchgehen?“
Eine der Melderinnen rollte eine neue Karte von Honolulu aus.
„S-sehr gerne, Majestät.“
Dave grinste schief. Seine Flieger übten in der Luft mit Steel, die Japaner würden hier bald eintreffen, auf dem Flughafen lagen ein Dutzend Zigarren, zwei weitere kamen von Osten, und die ANZAC würde sehr bald anklopfen. Und er hatte nichts zu tun. Ein merkwürdiges Gefühl, fand er.
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Auch wenn Steels Stimme über das Funkgerät etwas blechern klang, die anderen Piloten verstanden ihn nur zu gut. Und auch wenn sie es vielleicht lieber nicht getan hätten. Der Stellvertreter des Commanders war mal wieder nicht zufrieden: „Was glaubt ihr, was das ist? Ein Schauraufen? Diese Kaschemmenprügelei-Taktik funktioniert vielleicht gegen andere Piraten und irgendwelche amerikanischen Halbsoldaten und Milizflieger. Aber wir werden mit ANZAC kurbeln müssen. Auch wenn diese Schafeschänder normalerweise nicht die hellsten sind, sie sind verdammte Cracks. Keine Japaner, aber wenn es etwas gibt, das man den ANZAC nicht vorwerfen kann, dann die fehlende Bereitschaft, zu sterben. Schon mal was von Gallipolli gehört?
Und wenn ihr diesen Gegner nur als Rotte angeht, wenn ihr nicht in der gesamten SCHWADRON operiert – dann werden wir Federn lassen müssen. Und das können wir uns nicht leisten. Denn wenn wir die ANZAC im Verhältnis Eins zu Ein in den Teich schicken, dann haben wir am Ende keine Chance mehr, eine Landung zu verhindern. Und mit den paar Cops und Milizionären, die Hawaii aufzubieten hat, wischen ECHTE Infanteristen ganz einfach den Boden auf. Also wenn ihr siegen wollt, dann lernt verdammt noch mal, als EINHEIT zu kämpfen, denn ansonsten geht unsere ganze beschissene Mission schwimmen. Und ihr auch.“
„Na ja, das Wasser soll ja schön warm sein.“ witzelte einer der Piloten.
Max schaltete sich ein: „Wenn du dich nicht in deinen eigenen Schnüren verhedderst, und absäufst.“ Auch wenn ihr Verhältnis zu Steel nicht problemfrei war, sie wusste, dass er mit seiner Kritik Recht hatte. Wie eigentlich recht häufig. Manchmal beunruhigte sie die kalte Perfektion und skrupellose Professionalität des Deutschamerikaners. Aber gleichzeitig war ihr seine Meinung wichtig. Nicht, dass sie sich etwa in ihn verguckt hatte – sie war sich nicht mal sicher, ob ein Mann wie Steel überhaupt ihr Typ gewesen wäre. Er sah zwar nicht übel aus, aber er ließ keinen an sich heran. Und manchmal hatte sie den Eindruck, dass hinter Steels grauen Augen Abgründe lauerten. Aber eben WEIL er meistens kalt, abweisend und in seiner Kritik gnadenlos war, wollte sie sich vor ihm beweisen.
Steel überraschte die anderen Piloten mit einem bellenden, irgendwie unheimlichen Lachen: „Ein Ausbilder hat mir mal gesagt, im tropischen Wasser stirbt es sich leichter.
Und die lieben Haifische helfen einem dabei.“ Der Witz kam irgendwie nicht so gut an.

Vielleicht war auch die sehr frühe Stunde schuld an der eher mittelmäßigen Performance der Piloten. Sie waren praktisch im Morgengrauen gestartet, und viele der Männer und Frauen waren reichlich verkatert oder übernächtigt in ihre Maschinen geklettert. Dieser Umstand stimmte Steel allerdings nicht gnädiger. Solche Entschuldigungen ließ er für sich selber nicht gelten, und auch für keinen Mann und keine Frau unter seinem Kommando. Der Feind würde sich schließlich auch nicht langfristig ankündigen oder nur zu einem genehmen Zeitpunkt auftauchen. Die Zeit war knapp genug, um sich Terrain und Fluglage einzuprägen. Am liebsten hätte Steel die Piloten noch mal einen Nachtflug absolvieren lassen. Aber dafür würde die Zeit wohl nicht mehr reichen. Denn in den nächsten vierundzwanzig Stunden war mit dem Angriff des Gegners zu rechnen.

Die Maschinen flogen in einen Bilderbuchsonnenaufgang hinein. Die rötliche Sonnenscheibe beschien weiße Strände, hohe Palmen und hellblaue Wellen. Die reinste Postkartenidylle. Es fehlten nur noch ein paar barbusige Mädchen in Palmenröckchen am Strand. Allerdings wäre es Steel momentan wohl doch lieber gewesen, wenn auf dem weißen Sand keine Hulamädchen, sondern japanische Marineinfanteristen gestanden hätten, gut bewaffnet mit „Kniemörsern“, schweren Maschinengewehren und vielleicht sogar leichten Feldgeschützen. Und statt der texanischen Kaperer hätte er nur zu gerne ein paar Staffeln Flugzeuge mit der aufgehenden Sonne auf Rumpf und Tragflächen hinter sich gehabt. Nun ja, wenn alles gut ging, würde zumindest dieser Wunsch teilweise in Erfüllung gehen.

Steel war sich nicht so sicher, was er von diesem ‚König’ von Hawai halten sollte. Er schien nicht dumm zu sein. Aber er war jung, und man musste sich fragen, inwieweit er bei der Bevölkerung bereits akzeptiert, und als Herrscher etabliert war. Nun ja, sollte er diese Invasion überstehen, dann würde sich das Ansehen Kamehamehas natürlich erhöhen. Das musste man im Kopf behalten. Immerhin, er schien fähige Untergebene zu haben. Und darauf kam es an. Obwohl von Stahlheim selber adlig war, er hegte gewisse Zweifel an der Monarchie als Institution. Natürlich bewunderte er Könige wie Friedrich den Großen. Und wusste auch Wilhelm den Ersten zumindest wegen seines Kanzlers Bismarck zu schätzen. Aber Männer wie Wilhelm der Zweite oder Zar Nikolaus hatten überdeutlich die Grenzen der Monarchie aufgezeigt. Doch er war schließlich nicht hierhergekommen, um die Staatsform Hawaiis zu bewerten. Allerdings hatte er durchaus erkennen können, dass der König jedenfalls nicht nur eine Marionette irgendwelcher politischen Fraktionen war. Sollte zum Beispiel Japan einmal ernsthaft nach Hawaii greifen, dann empfahl es sich wohl, den König für sich zu gewinnen. Oder ihn gleich vorbeugend zu liquidieren. Aber das würde sich zu gegebener Zeit entscheiden. Vorerst mussten sie erst einmal verhindern, dass sich das Commonwealth die Inselgruppe aneignete.

Die Flugübung dauerte etwa zwei Stunden, was einschließlich Hin- und Rückflug für einige der Flugzeuge bereits gefährlich nahe am Rande ihrer Treibstoffreserven lag. Viele der Maschinen waren vor allem für schnelle Überfälle und Kurzstreckeneinsätze gedacht und das konnte sich hier schnell rächen. Die Japaner waren da vernünftiger, konzipierten ihre Marineflugzeuge gleich für Langstreckeneinsätze. Natürlich konnte man mit Zusatztanks die Einsatzreichweite erhöhen, aber nur auf Kosten der Wendigkeit und Schnelligkeit. Im Kampf mussten diese Tanks abgeworfen werden – auch weil kein Pilot gerne eine nicht beschussfeste Benzinbombe unter dem Rumpf mitschleppte. Steel ließ noch einmal all jene Manöver absolvieren, bei denen es in diesem „Geschwader“ – in Wahrheit gerade mal eine einzige Staffel nach Luftwaffemaßstäben – haperte. Zum Beispiel das Fliegen in mehreren „Etagen“. Eine ‚obere’ Kampfgruppe gab den niedriger fliegenden Flugzeugen Rückendeckung, die als erste angreifen sollten. Auch das Fliegen im Verband wurde noch einmal kurz durchexerziert, vor allem das schnelle Auflösen eines Verbandes. Steel ließ jeden Piloten auch ein paar „Angriffe“ auf andere Maschinen fliegen, beobachtete Vorgehen und Gegenmaßnahmen der „Kontrahenten“.

Und dabei geschah es. Happy hatte vergeblich versucht, sich an Max zu hängen. Sie war ihm mit einem eleganten Abschwung entkommen. Bei dem Versuch, ihr zu folgen, hatte Happy ihre Geschwindigkeit offensichtlich überschätzt, und seine Maschine schoss an Max vorbei.
Steels Stimme klang scharf, schneidend: „HOCHZIEHEN!“
Happys Maschine sank zu schnell. Buchstäblich in letzter Sekunde, nur noch etwa zehn Meter über den träge dahinrollenden Wellen konnte er seinen Jäger abfangen. Und im nächsten Augenblick schrie er überrascht auf: „Da! DA!“
Die Nerven der Piloten hatten durch den Beinaheabsturz schon genug gelitten. Der wenig aussagekräftige, aber allarmierende Aufschrei Happys, wirkte wie ein Streichholz in einem Heuschober. Irgendjemand, es sollte nie herauskommen wer, verstand Happy völlig falsch und machte mit dem Ruf: „Die ANZAC!“ das Chaos perfekt. Die Maschinen kurvten durcheinander, während zu viele Piloten auf einmal ins Funkgerät brüllten, und fieberhaft nach dem Gegner suchten. Es war ein Wunder, dass es zu keinen Zusammenstößen kam, und niemand das Feuer eröffnete. Steels Stimme ging in dem allgemeinen Chaos beinahe unter: „Ruhe, verdammt noch mal! Meldung! Ich verlange eine anständige Meldung!“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Happy antwortete: „Da Unten, im Wasser…nein darunter – in vielleicht zehn Meter Tiefe – da war etwas! Ich habe es ganz deutlich gesehen! Ich habe es gesehen!“
„WAS haben Sie gesehen?“ Steels Stimme klang scharf, misstrauisch, während seine Gedanken rasten. Das konnte doch nicht sein…
„Da war ein Schatten unter Wasser. Ein riesiger Schatten. Fünfzig, hundert Meter lang, mindestens…“
„Na klar. Vielleicht war es ja die Große Seeschlange. Ich schau mir das mal selber an. Der Rest von euch – Position halten. Und versucht bitte, nicht wegen einem Vogelschwarm den nächsten pazifischen Krieg anzufangen.“ Mit diesen Worten ließ Steel seine Fury nach Unten sacken. Er ging sehr tief, flog mehrere weite Bögen, während seine Augen angestrengt die Wasseroberfläche absuchten. Und dann, im letzten Augenblick, als er schon wieder in den Steigflug übergehen wollte, sah er es. Es war nur ein dunkler Schatten, verschwommen, unscharf, aber dennoch bedrohlich. Und er war GROSS – mindestens einhundert Meter, schätzte Steel. Aber im nächsten Augenblick war der Umriss dann auch schon wieder verschwunden, in Tiefen abgesunken, die dem menschlichen Auge verschlossen blieben. Steel fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog. Soviel Pech war doch gar nicht möglich. Er glaubte nur zu gut zu wissen, was Happy da unten entdeckt hatte. Und das passte ihm überhaupt nicht.
Seine Stimme duldete keinen Widerspruch: „Haben Sie Gespenster gesehen, Happy? Ich sehe hier jedenfalls nichts.“
„Aber ich habe es doch deutlich gesehen! Das muss ein…“
„Mund halten. Wir fliegen zurück. Und kein Wort über diese Sache, bis wir wieder gelandet sind. Es gibt mir hier zu viele neugierige Ohren.“

Als die Flugzeuge landeten, hatte Steel die Strategie im Kopf, der er bei der Bearbeitung dieses Problems folgen wollte. Zuerst einmal befragte er die anderen Piloten. Offenbar hatte nur Happy den Schatten gesehen, oder gab es jedenfalls zu. Und auch Happy wurde jetzt langsam unsicher, als ihm Steel glaubhaft klar machte, ER jedenfalls hätte da unten nichts gesehen. Auf Nachbohren musste Happy zudem zugeben, dass er vorher noch nie ein getauchtes U-Boot, oder sonst ein Unterwasserobjekt gesichtet hatte, und dass seine Erfahrungen bei Flügen über der offenen See recht begrenzt waren.
„WENN dort überhaupt etwas war, dann kann das alles Mögliche gewesen sein. Es fällt verdammt schwer, die Größe eines Unterwasserobjekts richtig einzuschätzen. Genauso gut kann es ein Wal gewesen sein. Oder ein Walhai. Oder du hast dich ganz einfach getäuscht.“
„Aber ich bin sicher…“ das klang aber nicht mehr sehr überzeugt. Und Steel setzt natürlich nach: „Damit bist du aber auch der einzige. Und ich will nicht das ganze Treiben hier mit irgendwelchen Tatarenmeldungen verrückt machen. Die Lage ist schon angespannt genug. Kann sich hier irgendjemand eigentlich vorstellen, was Gerüchte über unbekannte U-Boote anrichten können, die angeblich dicht vor der Küste kreuzen? Die Zivilisten spielen sowieso schon verrückt.“
„Und wenn es doch ein U-Boot war?“ das war Max.
Steel wusste, dass er nicht ZU vehement agieren durfte: „Na schön. Ich werde dem Commander von Happys ‚Sichtung’ berichten. Zufrieden? Aber ihr haltet gefälligst das Maul. Ich will nicht, dass die hiesigen Nutten plötzlich anfangen, von englischen U-Booten vor der Küste zu quatschen.“ Und tatsächlich würde er dem Commander Meldung machen. Aber natürlich auf eine Art und Weise, die seine ‚Skepsis’ deutlich machte.
Tatsächlich wusste er ja, dass Happy Recht hatte. Und da Steel im Gegensatz zu dem Piraten im Rahmen einiger Geleit- und Einsatzflüge in der Ostsee bereits tauchende und auf Seerohrtiefe fahrende U-Boote hatte beobachten können, hatte er auch eine ziemlich präzise Vorstellung von der realen Größe und Natur dieses ‚Schattens’.
Wenn das Commonwealth nicht den Einsatz beträchtlich erhöht und eines seiner wenigen Fernost-Flottenboote entsandt hatte, dann gab es nur eine Erklärung für die Herkunft des U-Bootes. Es musste ein japanisches Boot sein. Aber wenn möglich durften natürlich weder die Texaner, noch die hawaiianischen Verteidiger eine solche Möglichkeit in Betracht ziehen. Wenn sie es taten, dann war die gesamte Operation Accolon gefährdet. Als ob er nicht schon genug andere Probleme gehabt hätte…

****

Tarro Watanabes Stimme blieb leise. Der Kapitän von I-3 war kein Mann lauter Worte. Aber auch ohne Brüllen konnte er einen Mann mit eiskalter, beherrschter Stimme derartig abkanzeln, dass dieser wohl ein ‚normales’ Donnerwetter vorgezogen hätte: „Lernen Sie daraus, Erster Wachoffizier! Sie dürfen niemals, NIEMALS in Ihrer Wachsamkeit nachlassen. Anzunehmen, dass hawaiianische Flugzeuge nicht so früh starten, oder so weit fliegen würden, war eine ebenso leichtsinnige, wie offenbar falsche Annahme. Die wichtigste Verteidigungswaffe eines U-Boots, noch vor Geschützen und Torpedos, ist seine Unsichtbarkeit und die Ahnungslosigkeit des Gegners. Haben Sie verstanden? Sie verdanken es nur den scharfen Augen des Seemanns erster Klasse Shimura, dass wir die Flugzeuge rechtzeitig bemerkten und tauchen konnten. Aber darauf können wir uns nicht immer verlassen. Merken Sie sich das.“
Der derart zurechtgewiesene Offizier salutierte mit vor Scham hochrotem Kopf, drehte sich um, und sah, dass er wegkam. Watanabe sah ihm einen Augenblick lang hinterher, dann wandte er sich dem Zweiten WO zu: „Langsame Marschgeschwindigkeit, Generalkurs West-Nordwest. Ich will mindestens zwanzig Seemeilen zwischen uns und dieser Stelle hier bringen. Auch wenn das unsere ‚Freunde’ waren…“, Watanabes Stimme klang kurz spöttisch, „…ich will nicht, dass Hawaii auch nur ahnt, wo wir operieren. Wir tauchen erst heute Nacht auf, um das Boot zu lüften, und die Batterien aufzuladen. Schicken Sie die dienstfreie Mannschaft in die Kojen. Ich will nicht, dass wir mehr Sauerstoff als nötig verbrauchen.“
„Zu Befehl!“

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„Boss, hast du mal nen Moment?“
Dave sah auf, als Steel an den Rahmen seiner Tür klopfte. „Klar. Komm rein. Gutes Timing, Johnny bringt gleich Kaffee.“
Der Deutschamerikaner lächelte dünn und nahm an dem großen Tisch mit den vielen verschiedenen Karten Platz. Die meisten zeigten Oahu und die Hauptstadt Honolulu und waren mit Kritzeleien übersäht. Einige zeigten Fliegerformationen, andere Infanteriestellungen, und alles war mit handschriftlichen Legenden versehen. Steel sah seinen Chef argwöhnisch an. „Planst du jetzt selbst die Invasion von Hawaii?“
„Hey, das wäre doch einen Gedanken wert. Ich meine, mein persönlicher Traumstrand, der Titel König inklusive und der wichtigste Handelsschnittpunkt des Nordpazifiks in meiner Hand…Einfach langweilig.“
Steel grinste matt. Für einen echten Piloten gab es eben nichts Schlimmeres als einen Schreibtisch zu fliegen.
Johnny kam herein und schenkte beiden Kaffee ein. Die volle Kanne ließ er auf dem Tisch stehen. „Soll ich ein paar Donuts bringen? Der Chefkoch frittiert gerade welche.“
„Schokoladenüberzug“, sagte Steel.
„Zuckerguss“, fügte Dave hinzu.
Der Stewart nickte und machte sich wieder auf den Weg.
„Nett, nett, nett. Gute Analyse. Du gehst bei deinen Kriegsspielen davon aus, dass die ANZAC ein festes Ziel haben. Ihre Flieger werden, wenn es nach dir geht, die Abwehrstellungen ausschalten und ein Luftschild für die Seestreitkräfte bilden. Du hast gut erkannt, dass darin eine Chance für uns liegt. Wenn wir unsere Zigarren tatsächlich nach Norden verlegen, haben wir zwei Orte zum nachmunitionieren, das Cook Center und unsere Zeppeline. Selbst wenn wir Cook aufgeben müssen, müssen wir nicht den Kampf beenden.“ Steel kniff die Augen zusammen. „Das sind Pläne für den Fall, dass die Infanterie der ANZAC landet, Dave.“
„Ich habe mir die letzten Tage Gedanken gemacht. Bisher haben wir immer gesagt, dass die Landung der Infanterie das Ende des Kampfs ist. Aber ich finde, das ist Quatsch. Weißt du, was eine Siebziger im Tiefflug mit einem Platoon anrichten kann, Steel?“
„Nette Idee“, kommentierte der Pilot.
„Das ist natürlich ein Worst Case-Szenario. Für den Fall, dass…“ Dave verharrte kurz. Die Gedanken, die ihm jetzt durch den Kopf gingen, waren nicht spruchreif. Noch nicht. Und im Voraus die Pferde scheu zu machen brachte auch nichts. „Für den Fall, dass Pearl in die Hand der ANZAC fällt.“
„Hm, verstehe. Deshalb findet der größte Teil des Luftkampfs bei dir über Land statt.“
„In der Deckung unserer MGs.“
„Aber du nimmst die Feuerkraft der Zigarren fort.“
„Ich bringe sie dorthin, wo wir ihnen keine zusätzliche Deckung geben müssen. Alles was an uns vorbeikommt, können sie selbst vom Himmel putzen.“
„Wo ist die SHOOTIST in diesem Szenario?“
„Überall da wo sie gebraucht wird. Sie bildet unsere Reserve. Vorausgesetzt, sie wird nicht angegriffen. Ich glaube nämlich nicht, dass ihr Aufenthaltsort ein Geheimnis ist. Und so sehr sollten wir die Schlapphüte der anderen nicht unterschätzen, oder?“ Dave grinste burschikos.
„Nein, das sollten wir besser nicht“, stellte Ernst Stahl gedehnt fest.
Der Stewart brachte die Donuts und die beiden Männer langten herzhaft zu.
„Also, was kann ich für dich tun, Steel? Wie war die Übung?“
„Eine Übung, bei der du übrigens hättest teilnehmen müssen, Dave. Du reißt deine eigene Staffel auseinander und die Leute fliegen mit einer Lücke am Himmel. Ich weiß, du selbst brauchst kein Training. Aber deine Leute brauchen das Training mit dir.“
„Ich wünschte, ich wäre ein einfacher Staffelkommandeur, ohne Verpflichtungen im Stab oder im CIC seiner Majestät, ohne Sorge um die Infanterie, die Zigarren oder die Landesverteidigung haben zu müssen“, versetzte Dave sarkastisch.
„Treffer“, kommentierte der Deutschamerikaner trocken. „Sieh trotzdem zu, dass du die nächste Übung selbst leitest, ja? Es tut den Leuten gut, wenn sie deine Stimme über Funk hören. Das ist so ein wenig wie guter Cop, böser Cop. Ich mache ihnen die Hölle heiß, und wenn sie dir dann zeigen was sie bei mir gelernt haben, lobst du sie und sie schweben auch ohne Flugzeug im siebten Himmel.“
„Ich sehe zu. Wir machen heute noch eine Übung. Wir fliegen raus und eskortieren die KAMIKAZE nach Oahu. Dabei trainieren wir noch ein wenig Verbandsflug.“
„Hältst du es für so klug, die Japaner so offen herauszufordern? Was, wenn sie es missverstehen? Dann haben wir die ANZAC und die Aufgehende Sonne am Hals, und glaub mir, das willst du bestimmt nicht.“
„Natürlich nicht. Du weißt, ich kenne die Japse. Ich habe sie schon fliegen sehen.“ Flapsig deutete er auf ein Papierdokument am Rand des Tischs. „Aber ich muss ja meiner neuen Aufgabe gerecht werden.“
Neugierig griff Steel nach dem Dokument. „Hm, hat deine Hybris eigentlich Grenzen, Armstrong? Oberkommandierender der Landesverteidigung, gesiegelt und beglaubigt von Kamehameha dem Dritten. Ist damit ein schöner Rang verbunden? General, Admiral oder gleich ein Adelstitel?“
„Was denn, was denn, der Wisch ist doch nützlich. Wir sind jetzt ganz offiziell die hawaiianische Verteidigung, und das gibt uns ein paar Möglichkeiten. Unter anderem gibt es kein Kompetenzgerangel. Wie zum Beispiel die beiden hawaiianischen Rotten auf Oahu. Jetzt wissen wir wenigstens auf wen die hören, wenn sie aufsteigen.“
„Zugegeben, es ist nützlich. Und deine erste Amtshandlung wird es sein, die Japaner reinzuholen.“
„Ihnen entgegen zu fliegen, sie freundlich zu begrüßen und respektvoll zum Air Center zu eskortieren“, betonte Dave.
„Armstrong, du hättest dir gleich einen Adelstitel geben lassen. Graf wäre doch nett. Und ich hätte dann Baron werden können oder Reichsritter.“
„Sehr witzig. Unter Herzog würde ich so was niemals machen.“
Die beiden Männer grinsten.
„Ach, bevor ich es vergesse, Happy hat was gesehen.“
„Hm?“ Interessiert zog Dave die Augenbrauen hoch.
„Vorhin bei der Übung. Im Wasser. Einen großen schwarzen Schatten. Er wäre beinahe gecrasht, als er sich in der Höhe verschätzt hat, und als er tief unten war, da meinte er, den Schatten zu sehen.“
„Ein Unterseeboot?“
„Ich habe sofort nachgesehen, aber nichts entdeckt. Es war wohl nur die Fliehkraft, die Happy nen Tunnelblick beschert hat. Es könnte auch ein Wal gewesen sein, oder ein Fischschwarm. Ich habe nicht vor, deshalb das ganze Geschwader nervös zu machen. Du hättest sie sehen sollen, als einer ANZAC! ANZAC! geschrien hat. Sie sind durcheinander geflattert wie aufgeschreckte Hühner. Stell dir vor was passiert, wenn sie sich jetzt noch wegen U-Booten einpissen.“
„Noch ein Grund mehr, über Land zu bleiben“, schloss Dave. „Willst du nachsuchen?“
„Ich schicke eine Rotte aus, die ein wenig in geringer Höhe kreist. Um die Nerven unserer Leute zu beruhigen. Finden werden sie eh nichts.“
„Stimmt. Wenn es ein U-Boot war, dann ist es jetzt bereits weit weg. Aber das ist auch egal. U-Boote interessieren uns nicht. Sie können nicht fliegen.“ Armstrong griff nach seinem Kaffee, schnappte sich einen Donut und starrte auf die Karten.
Als das Telefon klingelte, verbrühte er sich beinahe die Hand. Mit einem herzhaften Fluch stellte er den Kaffee wieder ab. „Armstrong!“, brüllte er in den Hörer.
Darauf folgte diverses nicken, Stirnrunzeln und ein leiser Fluch. „Sag Norah, dass Plan grün in Kraft tritt. Ausgang ist gestrichen, bis auf weiteres. Wir erhöhen die Alarmbereitschaft.“
„Was ist los?“, fragte Steel, nachdem Armstrong wieder eingehängt hatte.
„Es scheint loszugehen. Aber nicht ganz so wie ich es erwartet habe. Aus dem Umland häufen sich die Berichte von Übergriffen auf europäische Farmen. Und jetzt rate mal, wer diese Übergriffe ausführt.“
Steel fühlte, wie er bleich wurde. „Das ergibt keinen Sinn. Mit einem Zeppelin können sie Hawaii nicht erobern, geschweige denn halten. Was nützt es ihnen, die Zivilbevölkerung aufzuwiegeln?“
„Keine Ahnung, aber ich lasse nicht zu, dass mein derzeitiger Brötchengeber in Gefahr gerät. Ich habe Gallagher mit dreißig Mann zum Palast geschickt. Sie verstärkt dort Mizunamis Polizei, für den Fall des Falles. Wäre ja schön, wenn es ein Problem auf dem Land bleibt. Aber wenn es in die Hauptstadt schwappt…“
„Kein schönes Szenario. Könnte es eine Ablenkung der ANZAC sein? Verdeckte Operationen? Ein wenig im Feuer stacheln, um es anzuheizen?“
„Nun, wenn ich bedenke, wie viele tote Commonwealth-Agenten bereits sechs Fuß unter der Erde ruhen, ist das durchaus möglich. Aber wir können nicht mehr als vorsichtig sein. Steel, das Dog Pack bleibt hier. Ich fliege den Japanern nur mit dem Cat Pack entgegen. Oder meinst du, sie werden sechs Flugzeuge als ernsthafte Bedrohung auffassen?“
„Wenn sie doch dahinter stecken, fliegst du direkt in eine Hölle aus heißem Blei, der du nicht entkommen kannst“, warnte Steel mit Sarkasmus in der Stimme.
„Aber ich glaube nicht, dass sie mit den Übergriffen zu tun haben. Noch nicht, meine ich.“
Steel nickte düster.
19.05.2020 19:15 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Als Dave Stone achtzig Meilen westlich vom Cook Air Center auf Oahu entfernt seine Staffel leitern ließ, um alle Schäfchen auf einer Höhe zu halten, hatte sich die Lage auf Oahu beruhigt. Die Meldungen von Übergriffen auf europäische Farmen waren zurückgegangen und hatten dann ganz aufgehört. Die Polizei führte reguläre Ermittlungen durch und alles schien friedlich zu sein. Abgesehen von einer japanischen Zigarre mit Ostkurs. Abgesehen vom ANZAC-Verband, der von Süden schnell näher kam. Abgesehen von zwei weiteren Zigarren, die von Osten kamen, und die Dave vorsichtshalber misstrauisch im Auge behielt. Texas hatte das Anwerben von Söldnern nicht erfunden. Genauso misstrauisch beäugte er die bereits gelandeten Zeppeline, aber bisher hatten sich die Verdachtsmomente noch nicht erhärtet.
„Damit das klar ist“, ermahnte Dave seine fünf Piloten noch einmal eindringlich. „Geschossen wird nur, wenn ich zuerst schieße, klar? Und wenn das passiert, dann löst euch und fliegt so schnell es geht nach Hause. Mit drei Staffeln und ner Zigarre können wir es nicht aufnehmen.“
„Was machen wir dann hier draußen so alleine? Warum haben wir dann nicht die LONGHORN-Flieger und das Dog Pack mitgenommen?“, maulte Dusk.
„Weil ich die berechtigte Hoffnung habe, dass die Japse uns nichts Böses wollen.“ Noch nicht, fügte er in Gedanken hinzu. „Und um diese Theorie zu bestätigen, sind wir hier draußen, okay?“
Murrende Zustimmung antwortete ihm.

„Da kommen sie. Zwei Maschinen, direkt aus Westrichtung. Fünfhundert Meter unter uns, sieht nach Vorauspatrouille aus.“ Rockets Stimme klang ruhig, aber Dave ahnte das leichte Vibrieren, das sich unter der gefassten Art des Texaners verbarg.
„Gut, die Party beginnt.
Unbekannte Flugzeuge auf einhundert Fuß Höhe mit Ostkurs, bitte kommen. Ich wiederhole, unbekannte Flugzeuge auf einhundert Fuß Höhe mit Ostkurs, bitte kommen.“
„Hier spricht Tai-i Sakai Saburo vom kaiserlichen Marineluftschiff KAMIKAZE. Identifizieren Sie sich.“
„Commander David Stone von der Landesverteidigung Hawaii. Tai-i Sakai, ich bin mit meiner Staffel rausgekommen, um Ihr Luftschiff zum Flughafen zu eskortieren.“
„Wir benötigen keine Eskorte, Commander Stone. Geben Sie den Luftraum frei.“
„Wir sind nicht hier, um Sie zu behindern, Tai-i Sakai. Ich wiederhole, wir sind nicht hier, um Sie zu behindern. Auf Anweisung seiner Majestät, König Kamehameha dem Dritten bin ich hier, um Sie mit militärischen Ehren zu begrüßen. Bitte gestatten Sie mir und meiner Staffel, um die KAMIKAZE Ehrenformation einzunehmen. Meinetwegen lassen Sie meine Vögel direkt vor Ihren MG-Nestern fliegen, wenn Sie das beruhigt.“
„Sie sind ja reichlich frech, Commander“, spottete Sakai.
„Hier spricht Sho-sa Ishida, Kommandeur des kaiserlichen Luftschiffs KAMIKAZE. Ich erlaube hiermit Commander Stone und seiner Staffel, uns Ehrengeleit zu geben. Bitte übermitteln Sie seiner Majestät den aufrichtigen Dank der japanischen Marine.“
„Seine Majestät wird hoch erfreut sein, das zu hören. Danke, Sho-sa Ishida. Ach, eines noch, Sho-sa. Was führt Sie eigentlich in unser wundervolles Paradies?“
Die Staffel brach auseinander. Vier Maschinen flogen dem Zeppelin entgegen, während sich Dusk und Armstrong neben das Vorauskommando legte.
„Wir haben einen Schaden am Flugbenzintank. Wir haben über See bereits zwei Drittel verloren. Mit Bordmitteln können wir das nicht reparieren, ohne den gesamten Treibstoff abzulassen, deshalb steuern wir den nächsten Landhafen an.“
„Ich werde sofort Anweisung geben, dass Ihnen Personal und Material zur Verfügung gestellt wird. Commander Stone Ende und aus.“
Armstrong lachte leise. Wenigstens hatten sie einen Grund.
19.05.2020 19:16 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Der Broadway von Manhatten hatte auch nach dem Zerfall der USA nichts von seinem Glamour eingebüßt, und es war allgemein bekannt, dass man in Sky Haven alles bekommen konnte – ALLES. Angeblich gab es keine Sünde, die dort nicht offeriert wurde.
Aber trotzdem hatten die Vergnügungsviertel von Pearl City im gesamten amerikanischen Kulturkreis einen geradezu überragenden, legendären Ruf, auch nach der Unabhängigkeit der Hawaii-Inseln. Obwohl die Matrosen der amerikanischen Pazifikflotte abgezogen waren, um nie wieder zurückzukehren - den Huren, Zuhältern, Opiumhöhlen, Spielhöllen, Bars und Massagesalons mangelte es nie an Kundschaft.

Das ‚Dragon and Sword’ gehörte zu den gehobenen Etablissements der mannigfaltigen Vergnügungsindustrie. Das namensgebende Emblem über dem Eingang des dreistöckigen Steingebäudes aus der Kolonialzeit stellte einen roten Drachen dar, der seinen schlangenartigen Körper um ein senkrecht stehendes japanisches Schwert wand. Hier gab es alles, was das Herz des (zahlenden) Kunden verlangte. Exquisite Spirituosen, Drogen, Glücksspiel, und natürlich käufliche Liebe. Allerdings wahrte das ‚Dragon and Sword’ einen gewissen Standart. Es kam bei weitem nicht jeder hier rein, und einige eher abseitige Dienstleistungen wurden auch nicht offeriert. Dafür konnte man sich beim Glücksspiel tatsächlich Hoffnungen auf einen Gewinn machen. Wein, Schnaps und Bier wurden nicht gepanscht, das Rauschgift nicht verschnitten. Ein ‚werkseigener’ Sicherheitsdienst und sogar ein Arzt achteten auf das Wohlergehen (und Benehmen) der Gäste. Im ‚Dragon and Sword’ konnte man sich amüsieren, ohne befürchten zu müssen, irgendwelche peinlichen ‚Mitbringsel’ mit nach Hause zu nehmen. Und das ‚Dragon and Sword’ garantierte zudem Diskretion und Verschwiegenheit. All dies hatte natürlich seinen Preis.

Das ‚The Dragon and the Sword’ befand sich fest in japanischer Hand. Die Besitzerin, die man allgemein nur als ‚Madame Yamamoto’ kannte, gehörte trotz ihres recht anrüchigen Berufs zur High Society der Inseln – unter anderem deswegen, weil sie in dem Ruf stand die besten Partys organisieren zu können. Und die hübschesten Mädchen (oder Jungen, je nach Geschlecht und Geschmack der Kunden). Ihre Intelligenz, ihr Witz, und ihr Aussehen, kombiniert mit einem sorgfältig aufgebauten, geheimnisvollen Nimbus, machten ‚Madame Yamamoto’ zu einer Frau, die problemlos die sonst bestehenden sozialen Schranken überschreiten konnte und dies auch immer wieder tat. Zu ihrem Status trug sicherlich auch das verbreitete, und vielfach geglaubte Gerücht bei, sie sei die jugendliche Geliebte des letzten Königs gewesen. Die Hawaiianer liebten derartigen Klatsch.
Auch wenn sie offensichtlich Japanerin war, ihr Etablissement und ihre Wohnung befanden sich in einem Viertel, das hauptsächlich von Eingeborenen bewohnt wurde. Und das Personal wie auch die Kundschaft des ‚Dragon and Sword’ waren sowieso international.
Gerade bei Besuchern der Inseln, bei Diplomaten, Geschäftsleuten, aber auch den Streitkräften der Hawaii-Inseln und einigen kultivierteren und erfolgreichen Freibeutern war das ‚Dragon and Sword’ sehr in Mode. Paradoxerweise, aber vielleicht doch nicht überraschend, war es am ehesten die japanische Gemeinde der Inseln, die die ‚Madame’ etwas zu schneiden pflegte. Ihre ‚kosmopolitische’ Einstellung und ihr gar nicht in traditionelle japanische Geschlechterrollen passendes Auftreten stießen bei eher traditionellen Japano-Hawaiianern auf Ablehnung. In den letzten Tagen und angesichts der wachsenden Invasionsfurcht war sogar der böse Vorwurf aufgetaucht, die ‚Madame’ würde sich sicherlich auch mit der Commonwealthherrschaft arrangieren können, oder hätte es insgeheim bereits getan. Es hatte sogar einen Brandanschlag gegeben, der allerdings keinen ernsthaften Schaden angerichtet hatte.
Darüber waren nicht nur die Kunden des Etablissements erfreut. Auch der, allerdings nur recht knapp besetzte, Abwehrdienst des kleinen Königreiches wusste ‚Madame’ zu schätzen, die hin und wieder einige pikante Leckerbissen und Gerüchte weiterzureichen pflegte.

Nur wenige Menschen wussten, dass dies alles nur Fassade war.

Die Sonne war noch nicht einmal vollständig im Meer versunken, dennoch ging es im ‚Dragon and Sword’ schon hoch her. Die am Horizont drohende Invasion schien dem Geschäft nicht zu schaden, eher im Gegenteil. Offiziere und Piloten, die mit der Wahrscheinlichkeit rechnen mussten, die nächsten paar Tage vielleicht nicht zu überleben, waren in der Regel recht freigiebig. Es sah nach einem guten Abend auf.
Bei keinem der Gäste oder Passanten erregte es besonderes Aufsehen, als einer der drei Lastkraftwagen, die zum ‚Dragon and Sword’ gehörten, die Garage des Etablissements verließ, und Richtung Stadtrand rollte. Wegen dem beachtlichen Umsatz des ‚Dragon and Sword’ war das ein alltäglicher Anblick.

Nur ein halbes Dutzend Straßen vom ‚Dragon and Sword’ entfernt musste der Wagen allerdings abrupt anhalten, als eine Polizeistreife die Straße blockierte. Die jäh aufflackernden Unruhen und Übergriffe gegen europäische Anwohner waren erst vor wenigen Stunden abgeflaut. In Verbindung mit der drohenden Invasion war so eine recht instabile Situation entstanden, und die drei Polizisten, die von einem jungen Second Lieutenant geführt wurden, waren entsprechend nervös. Vielleicht hatte sie auch der japanische Schriftzug auf der Seite des Lastkraftwagens misstrauisch gemacht.
„Halt, Papiere. Was haben Sie geladen, und wo wollen Sie hin?“ Die Stimme des Lieutenant klang angespannt.
Der Fahrer, ein stämmiger Eingeborener, grinste fröhlich: „Bitte sehr. Aber geladen haben wir nichts. Noch nicht. Wir wollen erst was holen. Frisches Fassbier, Brauerei Krüger. Wollen Sie, das ich Ihnen was mitbringe?“ Unaufgefordert reichte er nicht nur seinen Führerschein, sondern auch eine etwas ramponierte Kladde mit den Frachtdokumenten hinaus.
„Lassen Sie diese Vertraulichkeiten.“ Der Lieutenant überflog die Frachtpapiere. Es schien alles seine Ordnung zu haben. Dann allerdings runzelte er die Stirn: „Nicht ein wenig spät, um Bier zu holen?“
„Die Gäste saufen das Zeug weg wie Wasser. Und wir können sie ja wohl kaum bis morgen früh warten lassen. Also holen wir Nachschub.“
Der Lieutenant wies auf die zweite Gestalt in der Fahrerkabine, die im Schatten saß und bisher geschwiegen hat: „Und wer ist das?“ Gleichzeitig richtete er seine Taschenlampe auf die angesprochene Gestalt. Im nächsten Augenblick hätte er die Lampe allerdings beinahe fallen gelassen.
Der zweite Insasse des LKWs war ein Mädchen. Offensichtlich war sie japanischer oder chinesischer Herkunft, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, schlank, zierlich, mit einem schmalen Gesicht und langen, schwarzen Haaren, die sie offen trug. Ihre großen, dunklen Augen musterten den Lieutenant direkt, fast herausfordernd, während sich ihr voller Mund zu einem unergründlich wirkenden Lächeln verzog. Sie trug ein locker geknöpftes kurzärmliges Hemd, und einen geschlitzten Rock, der ihre Oberschenkel gerade einmal zur Hälfte bedeckte. Als sie geschmeidig auf die Füße kam und sich in der engen Fahrerkabine zu dem Polizeilieutenant hinüberbeugte, konnte der junge Mann überdeutlich erkennen, dass sie offenbar nichts von Unterwäsche hielt.
„Ich bin…Kiki.“ Die Stimme des Mädchens klang ein klein wenig rau, aber ihr Englisch war makellos.
Der Lieutenant musste den Impuls unterdrücken, mit der Hand den Kragen seiner Uniformbluse zu öffnen. Auf einmal war ihm ziemlich warm geworden.
Er musste sich räuspern: „Also…Kiki. Haben Sie Papiere? Ich muss Sie das fragen, es hat Anschläge gegeben, und wir…“ Er unterbrach sich verwirrt. Warum erzählte er das eigentlich?
„Papiere? Natürlich, Sir…“ Die raue Stimme des Mädchens ließ diesen eigentlich völlig unpersönlichen Satz wie eine Einladung zu etwas weitaus intimeren klingen. Sie griff geschmeidig hinter sich, was allerdings auch dazu führte, dass sie dem jungen Lieutenant ihren Oberkörper entgegenreckte und das dünne Hemd sich über ihrem Körper spannte. Die Wirkung war durchschlagend.
Als Kiki dem Patrouillenführer ihre Papiere reichte, hatte der Mühe, sich auf die Schrift zu konzentrieren. Vor allem, da er den Atem des Mädchens auf seinem Gesicht zu spüren glaubte.
Die Papiere waren in Ordnung, soweit er das überblicken konnte. Als er wieder aufsah, war das Gesicht des Mädchens keine zehn Zentimeter von seinem entfernt. Diesmal zuckte er zusammen. Das Lächeln des Mädchens vertiefte sich.
Die Stimme des Lieutenant klang kratzig. Trotzdem er ein-, zweimal schluckte, fühlte sich sein Hals staubtrocken an:„Warum…warum fahren Sie mit, Miss?“
„Die ‚Madame’ hat mir freigegeben. Ich…muss mich um meine Schwester kümmern. Sie…hatte Ärger mit ihrem Freund. Sie braucht mich…“ Der Tonfall, indem sie sprach, gab Kikis Worten eine Doppeldeutigkeit, die vor dem inneren Auge des jungen Mannes ein wahres Kaleidoskop von Bildern explodieren ließ, die ihn erröten ließen.
„Alles…alles klar. Sie können…weiterfahren.“
„Danke, Chef.“ Das war der Lastwagenfahrer, aber der junge Lieutenant überhörte diesen Dank völlig. Er hörte nur Kikis letzte Worte, die ein Versprechen zu beinhalten schienen: „Auf Wiedersehen…“
Einige Sekunden lang konnte der Patrouillenführer nur sprachlos dem sich entfernenden Lastkraftwagen hinterher sehen. Das leise Kichern seiner Untergebenen überhörte er.

Im LKW wischte sich der Fahrer die Stirn ab und lachte jäh auf: „Mann, dem hast du aber Feuer gemacht, Kiki. Wetten, der kreuzt binnen vierundzwanzig Stunden im ‚Dragon and Sword’ auf? Wenn nicht gerade die Invasion gestartet ist.“
Seine Begleiterin schnaubte. Aber es klang…amüsiert: „Männer. Gib ihnen ein bisschen Zucker, und sie hören auf, mit dem Kopf zu denken.“

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Der Fahrer hatte nicht gelogen, als er dem Patrouillenführer das Ziel der Fahrt genannt hatte. Tatsächlich rollte der Wagen etwa eine halbe Stunde später auf das Gelände der Brauerei Krüger. Der einzelne Wachmann, der am Tor stand, ließ den Wagen kommentarlos durch. Der LKW verschwand in einer der Lagerhallen, in der Tag für Tag Dutzende Fässer Bier verladen wurden. Bier, das nach deutschem Rezept gebraut wurde, war ein Verkaufsschlager, und das ‚Dragon and Sword’ gehörte zu den Stammkunden der Brauerei.
Mit der Intention der Fahrt hatte der Fahrer allerdings gelogen, genauso mit der Behauptung, der Wagen sei leer. Kaum hatte der LKW gehalten, da tauchte ein halbes Dutzend Männer aus den Schatten der nur spärlich erleuchteten Lagerhalle auf. Sie bewegten sich leise, zielstrebig, jeder von ihnen wusste, was er zu tun hatte. Während fünf der Männer sofort begannen, etliche anscheinend recht schwere Kisten aus dem LKW zu heben, wartete der sechste Mann neben dem Wagen, bis die beiden Insassen ausgestiegen waren.
Mit dem Fahrer tauschte er einen schnellen, kräftigen Handdruck, aus dem eine gewisse Verbundenheit sprach. Dann wandte er sich dem Mädchen zu. Der schlanke, fast hager wirkende Mann war für einen Japaner recht hoch gewachsen, und überragte Kiki um mehr als Kopfeslänge. Trotzdem schien er einen Augenblick lang zu Zögern. Das Mädchen lachte kehlig: „Hallo Hiroshi…“
Im nächsten Augenblick allerdings hatte der japanische Gewerkschaftsführer sie ergriffen und presste das Mädchen ans sich. Der Kuss war fordernd, lang und fast rücksichtslos, bis sich Kiki lachend aus seiner Umarmung wand: „Wenn du deinen Leuten schon eine Vorstellung bieten willst, dann solltest du wenigstens Eintrittsgeld dafür verlangen.“
Hiroshi Shimada starrte sie hungrig an: „Zum Teufel damit…Ich wusste nicht, dass du bei dem Transport dabei bist. Warum verdammt noch mal gehst du so ein Risiko ein?!“
„Weil ich es will. Und weil ich genau weiß, wie man einen neugierigen Polizeilieutenant auf andere Gedanken bringen kann.“
In Hiroshi Shimadas Gesicht zuckte es kurz, aber er enthielt sich eines Kommentars: „Gibt es Neuigkeiten?“
„Die texanischen Söldner sind in Alarmbereitschaft versetzt worden. Dass unsere läppische Polizei jetzt Schützenhilfe durch ihre Marines erhält, weißt du ja wohl schon. Und der König hat den Bandenchef dieser amerikanischen Halsabschneider zum militärischen Oberbefehlshaber gemacht. Unserm jungen Monarchen steht das Wasser offenbar bis zum Hals…“ Mit großen Augen sah Kiki den Gewerkschaftsführer an, während ihre Stimme einen noch anzüglicheren Unterton gewann. „Willst du auch wissen, WIE wir das erfahren haben?“
Diesmal war es unübersehbar. In Hiroshi Shimadas Gesicht flammte kurz so etwas wie Wut auf: „Lass das, verdammt!“ Kikis Reaktion war nur ein spöttisches Grinsen. Dann wurde ihre Stimme sachlicher: „Madame ist beunruhigt. Sie fragt sich, ob du deine Leute noch unter Kontrolle hast. Der Brandanschlag war nötig, um uns unverdächtig wirken zu lassen. Aber diese Unruhen…“
Hiroshi Shimada fluchte halblaut. Seine Stimme klang gepresst: „Das sind nicht meine Leute. Oder vielleicht doch…teilweise. Es gibt einfach zu viel Unzufriedenheit und Angst. Wut auf all jene, die mehr verdienen. Furcht vor der Invasion. Ich habe sie nicht mehr vollständig im Griff. Es gibt ein paar hundert Mann, auf die ich mich verlassen kann. Aber die kann ich wohl kaum alle als Hilfspolizisten einsetzen. Ich darf unser Netzwerk nicht so offensichtlich machen. Unsere Arbeitermilizen sollten eigentlich erst im Falle der Invasion zum Einsatz kommen. Und ich kann schlecht von meinen Leuten verlangen, dass Sie auf ihre Kollegen einprügeln, und der Polizei Handlangerdienste leisten. Außerdem müssen wir immer noch die Abwehr der Invasionstruppen vorbereiten. Und das ist noch nicht alles. Auch die Yakuza hat offenbar Kontrollprobleme. Ein paar übereifrige Kumi-Ins und Wakagaschira-Hosas mischen kräftig mit bei den Unruhen. Von irgendwelchen Straßengangs und Banden ganz zu schweigen. Vermutlich wollen einige in der Yakuza sich vor dem japanischen Geheimdienst und der Botschaft als besonders nationalistisch gebären. Vielleicht versucht sogar der ein oder andere jüngere Oyabun, so zu punkten. Diese Narren! Sie begreifen einfach nicht, dass Japan keine Unruhen will. Jedenfalls jetzt noch nicht.“ Die Frustration in der Stimme des Gewerkschaftsführers war unüberhörbar. Einen Augenblick lang wirkte er müde, angeschlagen, überfordert. Das Mädchen streckte die Hand aus, berührte ihn leicht an der Wange. Ihre Stimme klang besorgt: „Ist dir eigentlich schon der Gedanke gekommen, dass jemand die Unruhen auch nutzen könnte, um DICH auszuschalten? Du bist weder bei der Polizei noch den Unternehmern besonders beliebt. Und einige Oyabuns würden es sicherlich auch begrüßen, wenn du verschwinden würdest. Sie haben nicht vergessen, dass sie klein beigeben mussten. Sie haben ihr Gesicht verloren.“
Hiroshi Shimada zuckte kurz mit den Schultern: „Ach was soll’s. Wenn wir Pech haben, stehen in zehn Stunden die ersten verdammten Langnasen am Strand. Im Vergleich dazu machen mir die Yakuza oder unser einheimisches Establishment wirklich keine Sorgen.“
„Wir sind fertig, Chef.“ Einer der fünf Männer war näher getreten. Tatsächlich hatten sie den Wagen in Rekordgeschwindigkeit entladen und anstelle der bisherigen Ladung etliche Bierfässer aufgeladen.
„Ja, verdammt.
Kiki. Mir wäre es lieber, wenn du für die nächste Zeit untertauchst. Wenn erst der Angriff startet…Sie werden die Stadt bombardieren, mit Flugzeugen, vielleicht sogar mit Schiffsgeschützen. Und wenn sie erst landen…
Und ich will nicht, dass du vielleicht ein paar Idioten über den Weg läufst, die meinen, ihre Loyalität für Japan unbedingt an dem ‚Dragon and Sword’ beweisen zu müssen. Du weißt, was deine Chefin für einen Ruf hat…“ Natürlich wusste Kiki das. Dieser Ruf machte ‚Madame’ ja erst zu einem so wertvollen Aktivposten für den japanischen Geheimdienst. ‚Madame Yamamoto’ hatte überallhin Kontakte – zur Yakuza ebenso, wie zum hawaiianischen Establishment und vielen Mitgliedern der Administration. Gerade die Tatsache, dass sie ihre japanischen Wurzeln offenbar mit Freuden zu verkaufen bereit war, garantierten ihre Tarnung. Über ‚Madame’ konnten nicht nur sensible Informationen beschafft, und gelegentlich dem Abwehrdienst von Hawaii Spielmaterial geliefert werden, über das ‚Dragon and Sword’ wurden auch Agenten und Materiallieferungen geschleust, Geld für Geheimoperationen und Bestechungen transferiert, sogar gelegentlich gekidnappte Feindagenten oder wertvolle Informationsquellen weitergeleitet.
„…warum ziehst du nicht einfach für ein paar Tage aufs Land?“
Kiki schüttelte den Kopf. Um ihre Lippen spielte jetzt wieder dieses halb spöttische, halb herausfordernde Lächeln: „Das ist sehr rücksichtsvoll von dir. Direkt rührend. Aber nein, danke. Würdest du dich einfach verkriechen? Na also.“
Hiroshi Shimada unterdrückte einen Fluch. Er hätte mit dieser Antwort rechnen müssen. Aber das machte die Sache nicht besser.
„War’s das? Wenn du nichts dagegen hast, dann verschwinden wir wieder. Ihr habt ja, was ihr wollt. Oder?“ Die letzte Frage klang wieder anzüglich. Hiroshi Shimadi blieb die Antwort schuldig und schwieg auch, als Kiki wieder in die Fahrerkabine kletterte.
Der Fahrer des Wagens warf dem Mädchen einen kryptischen Blick zu: „Ich werde aus euch beiden nicht ganz schlau. Warum bringst du ihn eigentlich immer auf die Palme? Der sah ja aus, als könnte er ein Metallrohr zerbeißen.“
Das Mädchen lachte jäh auf: „Da hast du die Antwort. Ich will…“
„Makiko.“ Das Mädchen drehte überrascht den Kopf zur Seite, als sie ihren echten Vornamen hörte. Shimada stand auf dem Trittbrett des Wagens. Seine Stimme klang leise, fast unsicher: „Ich habe mit ‚Madame’ geredet. Was deine Auslösesumme betrifft…“
Das Mädchen musterte Shimada ein paar Augenblicke lang. Ihre Stimme klang spöttisch: „Du willst mich auslösen? Und was dann? Willst du mich zu einer ‚anständigen Frau’ machen? Findest du nicht, dass es dazu ein wenig zu spät ist?“
„Hör auf, mich zum Narren zu halten! Ich…“
Kiki schüttelte den Kopf: „Ich werd’s mir überlegen. Aber ich glaube, momentan hast du noch etwas anderes zu erledigen. Ich dachte, da gibt es so eine Invasion, über die du dir Sorgen machen solltest. Pass auf dich auf…“
Und dann war sie auch schon weg. Als sich Hiroshi Shimada zu seinen Untergebenen umwandte, unterband sein Gesichtsausdruck jeden Kommentar. Die Männer wussten, wann man den Chef besser in Ruhe ließ.

Im Wagen schüttelte der Fahrer inzwischen den Kopf: „Ich verstehe dich WIRKLICH nicht. Sag bloß, dir gefällt dein Beruf. Das nehme ich dir nämlich nicht ab. So gut kannst nicht mal du lügen.“
„Und was hätte ich sonst tun sollen? Ihn um den Hals fallen? Hier irgendeine beschissene Filmszene abziehen? Ich will jedenfalls nicht, dass er denkt, er könne mich zu seinem gehorsamen Hausweibchen machen. Oder das ich die ewig dankbare Ex-Nutte spiele.“
„Ich glaube nicht, dass sich Shimada so eine Frau wünscht.“
„Aber glaubst du, er kann sich jemanden wie mich leisten? Ich meine, viele seiner Leute folgen ihm doch auch deswegen, weil er immer noch nicht viel besser lebt als sie. Na ja, dieser Lebensstiel ist nicht unbedingt meine Wunschvorstellung.“
„Verstehe. Und warum erzählst du mir das, und nicht ihm?“
„Du bist nicht verknallt in mich, Idiot.“

Gleichzeitig wandte sich Hiroshi Shimada im Lagerhaus den Kisten zu, die seine Leute aus dem LKW entladen hatten. Am besten war es, wenn der Inhalt so schnell wie möglich in andere Verstecke gebracht wurde. Immerhin sollte der Besitzer der Krüger-Brauerei nicht erfahren, für welche Zwecke seine Lagerhäuser gelegentlich noch benutzt wurden. Ein paar Mitarbeiter der Brauerei, natürlich allesamt Gewerkschaftsmitglieder, waren selbstverständlich eingeweiht. Zumindest wussten sie, was hier gelagert wurde, auch wenn sie nicht genau wussten, warum. Aber Herr Krüger gehörte nicht dazu. Und das sollte auch so bleiben.
Shimada öffnete eine von fünf identischen, länglichen Kisten und lächelte dünn. Eine Schicht pornographischer Zeitschriften und Poster diente als Tarnung. Und darunter lagen pro Kiste zehn Lee-Enfield-Gewehre Modell 1902. Diese Waffe war immer noch die Standartwaffe der britischen Infanterie, was ein beredtes Zeugnis ihrer Qualität darstellte. Zehn Schuss Kaliber 0,303, in zwei Ladestreifen. Treffsicher auf zweitausend Yards. Die ganze Waffe war gerade einmal vier Kilogramm schwer, sie war handlich, robust, anspruchslos und leicht zu bedienen. Das war schon etwas Anderes, als die Schrot- und Jagdflinten, mit denen seine Leute sonst bestenfalls ausgerüstet waren. Im Kreuzfeuer dieser Waffen waren im Großen Krieg zahllose deutsche, österreichische und türkische Sturmangriffe verblutet.
Und das war noch nicht Alles. Eingewickelt in Decken lagen hier auch noch zwei britische Bren-Maschinengewehre. Dazu kamen für Gewehre und MGs mehrere tausend Schuss, und zwei kleinere Kisten mit Handgranaten.
„Gut. Das ist ein Anfang.“ Aber gleichzeitig war sich Hiroshi Shimada der Tatsache bewusst, dass es wirklich nicht viel mehr als das war. Ja die Ironie der Situation hätte ihn fast zum Lachen gebracht, auch wenn es ein bitteres Lachen gewesen wäre. Die Invasionsstreitkraft bestand aus – wie viel? – fünf-, bis sechstausend Mann. Und hier auf Hawai war eine Lieferung von fünfzig Gewehren und zwei Maschinengewehren wichtig genug, dass Hiroshi Shimada sich persönlich darum kümmerte. Das Kräfteungleichgewicht, das aus dieser Tatsache sprach, war schon fast grotesk. Wenn die ANZAC landeten…
„Wir haben keine andere Chance. Wir werden kämpfen müssen. Ganz egal, wie die Chancen sind.“ Er war kein Soldat. Sein Vater war allerdings einer gewesen, ein Veteran des russisch-japanischen Krieges. Und er hatte Shimada viel von dem Glauben vermittelt, der die Soldaten bei Port Arthur und in der Seeschlacht von Tsushima beflügelt hatte. Auch wenn Shimada später zum Kommunisten geworden war. Und Hiroshi hatte sich auch noch nie vor einem Kampf gedrückt.
„Chef?“
„Vergiss es. Sieh nur zu, dass wir die Dinger bis Mitternacht hier wieder raus haben.“ Kurz stieg in Shimada so etwas wie Wut auf. Ja wenn der japanische Geheimdienst die Quellen und Waffenlager der ‚Schwarzen Zellen’ für Shimadas Leute geöffnet hätten…
Aber natürlich war das nicht der Fall gewesen. Der japanische Geheimdienst ließ sich nicht in die Karten sehen, außer er wollte es. Und er behielt immer eine Karte in der Hinterhand. Shimada war klar, dass sein Bündnis mit dem Geheimdienst ihm keine Sicherheit bot. Ja, der Dienst half seiner Organisation mit Geld, mit seinen Beziehungen, gelegentlich auch mit Waffen. Shimada war sich auch ziemlich sicher, dass es der japanische Geheimdienst gewesen war, der die Yakuza dazu angehalten hatte, mit den Gewerkschaften ein Auskommen zu finden, als klar wurde, dass die Yaks nicht in der Lage waren, die Gewerkschaften schnell unter Kontrolle zu bringen. Aber das alles geschah nur aus Berechnung. Was würde zum Beispiel geschehen, wenn Japan irgendwann wirklich nach Hawaii griff. Die japanische Marine konnte die armseligen Streitkräfte Hawaiis vermutlich einfach platt walzen. Aber wenn das geschah – was würde dann mit den Gewerkschaften geschehen? In Japan gab es keine vergleichbare Organisation mehr. Wenn Shimada seine Nützlichkeit überlebt hatte – was würde dann mit ihm geschehen?
Allerdings waren das natürlich die Sorgen eines fernen, zukünftigen Tages. Momentan hingegen…
„Ich verschwinde jetzt. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann geht ihr über die Kanalisation, auch wenn ihr dann die Knarren einzeln tragen müsst. Und denkt daran, die Dinger sind für die INVASION. Wir bringen sie erst ins Spiel, wenn die verdammten ANZAC anrücken. Ich will nicht, dass irgendein schießwütiger Milizmann vorzeitig losballert.“
Shimada sprach im Gehen, seine Leute mussten sich beeilen, um Schritt zu halten. Der Gewerkschaftsführer sprach leise, denn in der Lagerhalle und auf dem menschenleeren Gelände der Krüger-Brauerei klang jedes Geräusch unnatürlich laut. Selbst die leisen, schnellen Schritte von Shimadas Gruppe waren deutlich zu hören.
„Und passt auf…“ Shimada kam nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden. Denn mit einmal wurde die Dunkelheit in ein grelles, gelblichrotes Licht getaucht, und dann rollte der Donner einer Explosion über die Männer hinweg.
Shimada hatte instinktiv reagiert, sich zu Boden geworfen, den Kopf mit den Armen geschützt. Aber sofort war er wieder auf den Beinen: „Was war das?! Wo…“
„Das muss das MacArthur-Gaswerk sein. Das steht in einem der Weißen-Viertel!“
Shimadas Gedanken rasten. Das war schlecht. Sehr schlecht. Das bedeutete, entweder waren aufgehetzte Japano-Hawaiianer die Täter – oder die Sache war eine gezielte Provokation feindlicher Agenten. Die Möglichkeit, dass das Ganze nur ein Unfall war, verwarf er. Und selbst wenn, das konnte die Fackel sein, die ganz Pearl City in Flammen setzte. Wortwörtlich. Und auf jeden Fall würde dieses Feuerwerk die Polizei hochscheuchen. Das war nicht gut.
„Gegenbefehl. Die Waffen bleiben hier. Seht zu, dass ihr sie irgendwo versteckt. Es ist zu riskant, sie jetzt noch zu verlagern. Und dann müssen neue Befehle raus…“ Er musste seinen Arbeitermilizen klar machen, dass sie sich weiterhin ruhig verhalten sollten. Sie durften sich nicht provozieren lassen. Selbstverteidigung und Schutz ihrer Angehörigen musste er ihnen allerdings zugestehen. Und das konnte schnell eskalieren, wenn auf beiden Seiten so viel Angst und Wut im Spiel war.
Er musste seine Unterführer sprechen. Und zwar so schnell wie möglich, ehe jemand einen Fehler machte. Falls das nicht bereits geschehen war. Und außerdem…
Einer der Männer, die zur Lagerhalle zurückhastete, fühlte sich plötzlich an der Schulter gepackt, wurde herumgerissen. Shimadas Gesicht wirkte angespannt, seine Stimme klang hart: „Kanze. Ich habe einen Sonderauftrag für dich. Du wirst dich um Kiki kümmern. Hast du mich verstanden? Du bist mir dafür verantwortlich, dass ihr nichts passiert. Und wenn du sie dazu nötigenfalls bewusstlos schlagen und in Sicherheit bringen musst. Wenn ihr etwas zustößt…“
Shimada sparte sich eine Drohung. Sie war nicht nötig. Er wusste, bei seinen Männern war immer noch die Geschichte von dem Yakuza-Killer in Umlauf, den Shimada in eine Zuckerrohrpresse hatte stoßen lassen.
Das entsprach allerdings nicht ganz den Tatsachen. Der Mann war bereits tot gewesen, als Shimada ihn in die Presse warf. Aber er wusste um die Nützlichkeit solcher Geschichten. Auch wenn er lieber mit Vertrauen und Loyalität führte…
Der Mann nickte knapp: „Klar, Chef. Ich weiß, was ich zu tun habe.“
„Deshalb habe ich auch dich ausgewählt.“ Shimada lächelte kurz, was allerdings auf seinem hageren, vom Flammenschein des brennenden Gaswerks erhellten Gesicht ausgesprochen unheimlich wirkte. Dann wandte er sich um, und begann zu rennen. Automatisch tastete seine rechte Hand nach der Automatik unter seiner abgewetzten Jacke. Er musste versuchen, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Oder ihn wenigstens verzögern.

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Kurz nach der Landung auf dem Cook Air Center empfing Mizunami den jungen Anführer der Texaner. „Die Unruhen sind abgeflaut, Sir“, begann er seinen Bericht. „Wir nehmen an, dass einige der Gewerkschaftszellen überreagiert haben.“
Dave runzelte die Stirn. „Gewerkschaftszellen? Seit wann operiert eine Gewerkschaft in organisierten Gruppen?“
„Vergleichen Sie unsere Gewerkschaften bitte nicht mit dem amerikanischen Prinzip. Anstelle von Ortsgruppen, die beliebig viele Mitglieder aufnehmen können, orientieren sich unsere an einem Zahlenprinzip. Eine Zelle besteht aus zwanzig Mann, die zusammen agieren und auch kämpfen. Ihr Anführer ist einem Obergruppenführer verantwortlich, der fünf Zellen vereinigt. Dieser ist alleine dem Gewerkschaftsführer verantwortlich.“
„Interessant. Das klingt eher nach einem Geheimdienst als nach einer Gewerkschaft. Das heißt also, jeder Obergruppenführer hat seine eigene Armee von hundert Mann, richtig? Damit kann er einigen Ärger anrichten. Und bevor sein Chef ihn ins Gebet nimmt… Trotzdem, es ist ein frommer Wunsch, zu hoffen, dass es das gewesen ist, Sir.“
Dave schmunzelte kurz, als der Japaner bei der englischen Ehrenbezeichnung zusammenzuckte. Seit seiner Ernennung zum Boss der hawaiianischen Abwehr nannte der japanische Polizeichef ihn Sir. Damit hatte Dave kein Problem, aber er nannte den Japaner ebenfalls Sir. Hoffentlich verstand der Polizeichef den Wink nicht als Parodie falsch, denn der Deutsche wollte hier bestenfalls den Primus inter Pares geben, und nicht den absolutistischen Alleinherrscher.
„Wie dem auch sei, wir beobachten die Situation. Es ist auch schon eine Offerte an Shimada-san ergangen, uns notfalls mit loyalen Zellen seiner Gewerkschaft auszuhelfen.“
„Shimada? Den Namen höre ich bereits das dritte oder vierte Mal heute. Der Mann scheint berühmt zu sein.“
Sam reichte ihm ein Handtuch, mit dem Dave seinen verschwitzten Nacken abwischen konnte. Sie nahm ihm auch die dicke Fliegerjacke und die Kappe ab und richtete die Ruine wieder her, die einmal Frisur genannt worden war. Dave reagierte nicht einmal darauf, so normal war dieses Ritual zwischen ihnen mittlerweile geworden.
„Er IST berühmt, Commander. Immerhin hat er es nicht nur geschafft, nach dem Abzug der Amerikaner eine Gewerkschaft aufzubauen, er hat sie auch gegen den Widerstand der Yakuza und der Firmenchefs ausgebaut. Niemand auf den Inseln kommt an ihm vorbei, wenn es um Arbeitskräfte geht. Und dabei ist er genauso bodenständig geblieben wie die Menschen, die er anführt.“
„Sie mögen ihn, richtig?“
Der Polizeichef sah verwundert auf. „Nein, wie kommen Sie darauf? Ich persönlich halte ihn für ein aufbrausendes, gewaltbereites Arschloch. Zu seiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass er die anderen aufbrausenden, gewaltbereiten Arschlöcher unter Kontrolle hält.
Aber ich bewundere ihn für seine Bodenständigkeit. Er folgt dem Bushido weit besser als ich.“ Der Japaner seufzte. „Ich habe mich vom kargen Leben des Kriegers fortführen lassen, lebe in einem gut ausgestatteten Appartement, verzichte zugunsten von mehr Schlaf auf mein Training und bin beinahe so oft auf Parties wie in meinem Büro. Sir, weiter als ich kann man sich von seinem Erbe als Samurai nicht entfernen.“
Dave strich Sam dankbar über die Schulter und setzte sich in Bewegung. Sein Blick ging zu Gallagher, die sich wortlos anschloss. Darauf folgten Happy und Dusk. „Ich gehe rüber zur KAMIKAZE. Kommen Sie bitte mit, Sir.“
Wortlos schloss sich der Japaner an.
„Und in einem Punkt sollten Sie nachdenken, mein guter Freund. Es ist nicht Ihre Aufgabe, ein Zellensystem von ein paar hundert Mann zu führen, um sich gegen Yakuza, gemietete Prügellinge der Reichen oder jeden Gauner diesseits der Westküste durchzusetzen. Sie sind ein wenig weiter oben auf der Leiter. Ihr Fachbereich sind internationale Beziehungen und der Schutz seiner Majestät, so hochtrabend das auch klingen mag. Und um das zu erreichen, sollten Sie ausgeschlafen sein. Die lebenswichtigen Informationen, die nur Sie erreichen können, indem Sie auf diese Parties eingeladen werden, kommen noch dazu.“ Dave klopfte dem kleineren Mann auf die Schulter. „Verlieren Sie Ihren Fokus nicht, Mizunami-san.“
„Hm!“, brummte der Mann skeptisch.

Von der NORTH war es nur ein kurzer Weg bis zum zentralen MG-Nest. Dave hatte zehn von ihnen aufbauen lassen und damit den gesamten Flughafen umkreist. Die schweren doppelläufigen Schnellfeuerkanonen würden jedem, der dieses Gelände anflog und schlechte Laune hatte, noch schlechtere Laune servieren. Dave nickte den Marines zu, die hier gelangweilt Zigaretten rauchten und stramm standen, als er vorbei ging.
Stone schmunzelte dünn. Ihm war nicht entgangen, dass ihn der Corporal der Truppe schon beim Verlassen der Zigarre angesehen hatte.
Sie kamen an fünf weiteren Zeppelinen vorbei. Die restlichen Schiffe waren im Verlauf des Morgens gestartet. Schlechte Nachrichten verbreiteten sich mit Lichtgeschwindigkeit, und der ganze Rummel über eine Invasion der ANZAC hatte die Klugen veranlasst, die Segel zu streichen. Dave hatte allerdings ein ernstes Problem mit denen, die noch immer hier waren. Entweder waren sie dumm… oder klüger. Und das bereitete ihm Magenschmerzen.
Dazu kamen die beiden Zigarren, die von der Westküste herüberkamen und in etwa zeitgleich mit der ANZAC eintreffen würden. Ärger, überall wo man hinsah.

Als er den ersten Posten der japanischen Infanterie erreicht hatte, wurde Dave angefahren und mit einer sehr energischen Geste zum Stoppen gezwungen.
Doch der Deutsche ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich will Ihren Kapitän sprechen. Mein Name ist Commander Stone.“
Das schien den Infanteristen zu besänftigen. Er drehte sich halb um und rief etwas auf Japanisch nach hinten. Eine Antwort kam zurück und der Posten sah zufrieden wieder zu Dave. „Warten.“
Keine Minute später kam ein Infanterist die Rampe herab, der ein wenig Lametta auf der Schulter hatte und weit erfahrener ausschaute als der Grünschnabel auf Wache.
„Commander Stone? Der Kapitän erwartet Sie. Willkommen an Bord des kaiserlichen Zeppelins KAMIKAZE.“
„Danke. Führen Sie uns direkt zum Kapitän.“
Der Mann, den Abzeichen nach ein Gun-so, also Feldwebel, nickte und ging voran.
Er öffnete ihnen Tür und Tor, die Wachen salutierten und die Mechaniker stellten ihre Arbeit ein um stramm zu stehen. Einige Piloten äugten neugierig zu ihnen herüber, und mehrfach hörte Dave das Wort Gaijin, was ihn zum Lächeln brachte. Gaijin, das japanische Wort für Fremde. Meist etwas abfällig ausgesprochen und abwertend gemeint packten die Japaner in diesen Begriff die ganze Welt. Im Prinzip alles, was nicht japanisch war.
Dave kümmerte es nicht. Sein Ego war stark genug und oft genug bestätigt worden, um mit der Verachtung von zwei Nationen fertig zu werden. Die eine war Deutschland. Wenn Japan nun dazukam, hatte er damit keinerlei Problem.
Der Gun-so führte sie zu der größten Messe des Zeppelins. Dass sie dabei den halben Hangar durchqueren mussten war sicherlich beabsichtigt gewesen. Die Flugzeuge hatten die Gäste beeindrucken sollen.
Nun, das hatten sie.
Als sie eintraten, erhob sich ein schlanker Mann mit ehrlichem Gesicht. Das Lächeln auf seinen Zügen schien nicht gefälscht zu sein, geschweige denn das typische Asiatenlächeln zu sein.
„Willkommen an Bord der KAMIKAZE, Commander Stone. Ich bin Kapitän Ishida Isoruke.“ Entgegen der japanischen Höflichkeit trat der Offizier vor und reichte dem Deutschen die Hand. „Oder soll ich Sie Marquardt nennen?“
Dave kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als er dem Kapitän die Hand drückte. Das bedeutete einen Negativpunkt für die texanische Seite, denn trotz der freundlichen Begrüßung hatte Ishida deutlich gemacht, dass er von der Vergangenheit des Deutschen wusste – und noch schlimmer, da sein Land mit Deutschland verbündet war, wo er als Deserteur gesucht wurde, bedeutete dies, dass das Entgegenkommen Ishidas schon alles gewesen war. Nun würde Dave einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, damit sie Seite an Seite kämpfen konnten.
„Sagen Sie Armstrong zu mir, Kapitän Ishida. Das ist mir am liebsten. Und unter dem Namen bin ich gefürchtet.“
Für einen Moment huschte ein zweites Lächeln über das Gesicht des Kapitäns. Danach begrüßte er Armstrongs Begleiter und besonders herzlich den Polizeichef. Damit waren die Karten verteilt und die Sympathien offen gelegt.
„Darf ich vorstellen? Tai-i Sakai Saburo, der Chef meiner Flieger. Und das ist Herr Richard Sorge, deutscher Korrespondent.“
Dave reichte beiden Männern die Hand und stellte die offensichtliche Frage, was ein deutscher Reporter auf einem japanischen Kriegsschiff zu suchen hatte, nicht.
Einladend deutete Ishida auf den Tisch. „Bitte, setzen Sie sich, Armstrong und Begleitung. Ich lasse Tee servieren.“
Der Kapitän nahm wieder Platz und wurde ernst. „Also, was kann ich für Sie tun?“
Dave wog seine Chancen ab und beschloss zu beißen. „Im Namen seiner Majestät, Kamehameha dem Dritten sind Sie, Ihr Zeppelin KAMIKAZE und Ihre Staffel ab sofort zwangsverpflichtet.“
Sakai sprang entrüstet auf, aber Ishida hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. „Können Sie mir diesen ungeheuerlichen Vorgang erklären, Commander?“
„Als Oberkommandierender der Landesverteidigung Hawaii muss ich Sie darüber informieren, dass ein Verband der ANZAC-Streitkräfte Kurs auf die Inseln hält. Sein Ziel ist nach der letzten Lotung eindeutig Pearl City, unser Haupthafen. Kontaktversuche sind gescheitert und eine Anfrage in Melbourne wurde nicht beantwortet. Die Botschaft von Groß-Britannien ist geschlossen, der Botschafter abberufen. Ich komme nicht umhin, anzunehmen, dass der ANZAC-Verband etwas mehr vorhat als seine Leute hier ausruhen zu lassen. Für den schlimmsten anzunehmenden Fall – einer Invasion – verpflichte ich Sie und Ihre Leute für die Dauer der Krise und nehme Sie in die Streitkräfte Hawaiis auf. Bitte seien Sie versichert, dass ich das nicht tun würde, wenn ich es nicht für absolut nötig halten würde. Und außerdem kann ich ein Eliteluftschiff mit Veteranenfliegern gerade sehr gut gebrauchen.“
Der letzte Satz war absichtlich dazu gedacht gewesen, um den Japanern zu schmeicheln. Allerdings zweifelte er auch nicht an ihrer Reputation.
„Wie können Sie es wagen, Sie hergelaufener…“, begann Sakai, aber wieder hielt Ishida seinen Mann zurück.
„Yamero, Sakai-kun!“, blaffte er kurz angebunden. Dann sah er Dave direkt an. „In einem Punkt haben Sie Recht. Wir sind ein Elite-Luftschiff der kaiserlichen Marine und sehr stolz darauf. Und auch wenn ich die Krise verstehe, in der Hawaii offensichtlich steckt, so verstehen Sie, dass es dieser Stolz ist, der verhindert, dass ich mich Ihnen und seiner Majestät mit Haut und Haaren verpflichte. Vor allem nicht, nachdem Sie so unverblümt und dreist an uns herangetreten sind.“
`Gut´, dachte Dave, `er kocht die Deserteur-Geschichte wieder hoch. Er will, das spüre ich, aber ich muss es ihm sehr gut begründen.´
„Sie wissen selbst, was einen wirklich guten Offizier und Anführer ausmacht, Ishida-san“, sagte Dave bedächtig. „Während Menschen sterben, wenn die unteren Ränge versuchen selbstständig zu denken, sterben bei uns die Menschen, wenn wir nicht genug denken. Verzeihen Sie mir, wenn ich die einmalige Gelegenheit genutzt habe, um Hawaii mit der Elite der japanischen Streitkräfte zu verstärken. Ich würde es wirklich nicht tun, wenn ich es nicht als absolut nötig erachten würde. Und ich bin mir sicher, dass seine Majestät diesen Freundschaftsdienst fürstlich vergelten wird.
Hawaii ist ein freies Königreich, und das soll es auch bleiben, ich denke da sind wir einer Meinung. Ja, ich behaupte sogar, dass der Tenno dieser Meinung ist.“
Die Reaktion der beiden Japaner war unterschiedlich. Um Ishidas Mundwinkel spielte ein Lächeln, während Sakai-san kurz davor stand wieder aufzubrausen, weil der Gaijin in Anspruch nahm, die Gedanken des Kaisers zu kennen.
Aber das wollte Dave gar nicht. Dafür aber nahm er heimlich in Anspruch, genauso wie Yamamoto zu denken.
„Ein erobertes Hawaii, egal ob durch die ANZAC oder durch die Russen“, setzte Armstrong seinen Gedanken fort, wobei er Japan so bewusst ausklammerte, dass es einem Idioten aufgefallen wäre, „würde zwei Dinge bedeuten. Ein strategisch wertvoller Handelsknotenpunkt im Pazifik würde von einem Tag zum anderen von einer internationalen Großmacht kontrolliert werden; der Handel würde sich verteuern. Und die anderen Großmächte, ja, sogar Hollywood und Pacifica, selbst Mexiko könnten es nicht hinnehmen, dass hier fortan kein freier Durchgangsverkehr mehr herrscht. Schlimmer noch, im Umkreis von zweitausend Seemeilen könnte eine militarisierte Zone entstehen, die in der Pazifikregion jegliche zivile Schifffahrt enorm behindert.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die anderen Nationen solch einen Streich hinnehmen werden. Sie würden versuchen, Hawaii selbst zu erobern. Und was das für die Zivilbevölkerung bedeutet, können wir uns alle denken.“
Dave Stone erwähnte absichtlich den hohen Anteil Japanohawaiianer auf den Inseln nicht. Etwas, was Ishida selbst angeführt hätte, um seine zukünftigen Aktionen zu legitimieren, würde in diesem Moment nicht auf ihn wirken.
Dave sah zu Sorge herüber, der wissend schmunzelte und sich bestens zu amüsieren schien.
„Ich sehe es als außerordentlichen Glücksfall an, dass Sie gerade in dieser schwierigen Situation zu uns stoßen“, setzte der Deutsche seine Gedanken fort. „Ihr Schiff heißt KAMIKAZE. Das bedeutet Göttlicher Wind, was ich für ein wichtiges Symbol halte. Der Kamikaze war es, der Japan zweimal davor bewahrt hat, unter mongolische Fremdherrschaft zu geraten. Dass Ihr Luftschiff nun ein Leck an den Flugbenzintanks hat und gezwungen gewesen ist, Hawaii als nächsten erreichbaren Hafen anzulaufen sehe ich als meinen persönlichen göttlichen Wind an, denn Ihre Streitkräfte werden es sein, die über unseren Sieg und unsere Niederlage entscheiden; ob der göttliche Wind erneut wehen wird und Hawaii die Freiheit bewahrt. Ich sehe mich außerstande, unter diesen Umständen, bei dieser Symbolik auf Sie zu verzichten.“

Auf Dave Stones letzte Worte folgte eine lange Periode des Schweigens, in der ein Stuart Tee und Knabbereien servierte. Die Japaner waren Kuchenfanatiker, und das bewies sich wieder einmal, als ein paar Windbeutel auf dem Tisch Platz fanden.
Sorge griff ohne zu zögern zu, ohne dass die Japaner es missbilligten, dass er sich vordrängelte. Dave vermerkte es in Gedanken. Der Mann war mehr als ein einfacher Reporter, aber das hatte er von Anfang an gedacht.
„Ich…Habe ein leichtes Problem damit, von einem Deserteur befehligt zu werden“, sagte Ishida schließlich.
Armstrong setzte eine verärgerte Miene auf. „Springen Sie über Ihren Schatten! Ich bin ausgebildeter Luftwaffenoffizier und habe mich hundertfach bewährt. Erst über der Nordsee und dann im amerikanischen Luftraum!“
Ishida stutzte offensichtlich. Immerhin war er japanischer Offizier, und vor ihm saß ein Mann, der in der Armee seiner Verbündeten desertiert war. Selbst eine halbe Erdumrundung konnte diesen Fakt nicht auslöschen. Nun erwies sich Ishidas Erwähnung des Namens Marquardt als Bumerang.
Richard Sorge räusperte sich. „Bitte, Ishida-sama, Sie begehen einen gedanklichen Fehler. Sie dürfen Thomas Marquardt nicht als Deserteur sehen.“
Gespannt hob Armstrong die Augenbrauen. Unterstützungsfeuer vom Reporter? Das versprach interessant zu werden.
„Nachdem Sie mir gegenüber erwähnt haben, dass wir auf Hawaii auf Commander Stone treffen würden und mir gegenüber seine wahre Identität enthüllt haben, habe ich recherchiert und durch meine Kontakte…Etwas sehr interessantes erfahren.“
„Bitte sprechen Sie, Sorge-san“, sagte der Kapitän ernst.
„Der Mann, der einmal Thomas David Marquardt war, hat seinen Dienstherren nicht verraten. Es war der Dienstherr, der ihn verraten hat. Oder vielmehr, Oberleutnant Marquardt wurde Opfer von übereifrigen GESTAPO-Beamten und war gezwungen, zwischen seinem Leben und einer Verleumdung zu entscheiden. Er entschied sich für sein Leben, aber er hat seine Ehre als Offizier niemals abgelegt. Die Daten, die ich über seine Flüge in Amerika habe, besagen eindeutig, dass er noch immer nach dem Offizierskodex der deutschen Luftwaffe handelt.“
„Sie wollen also sagen, dass Commander David Stone ein Ronin ist?“
Ronin, die Wellenmenschen. Das war ein altes Wort für Samurai, die ihren Herrn verloren hatten und nun durch die Gestade drifteten. Einige hatten in der japanischen Geschichte einen legendären Ruf, andere waren nur Halsabschneider gewesen.
Dave war klar, dass Sorge versuchte, ihm das Image eines japanischen Robin Hoods anzupassen.
Ishida und Sakai wechselten einen kurzen Blick. Der Pilot räusperte sich, und es war das erste Mal, dass er dabei nicht wütend wirkte. „Wenn wir nun schon mal hier sind und die Zivilisten beschützen können…“
Sho-sa Ishida erhob sich und reichte Armstrong die Hand. „Ich hoffe, Sie haben nichts verlernt, Commander Stone. Jedenfalls haben Sie Ihren Elite-Zeppelin.“
Dave ergriff die dargebotene Hand und drückte sie fest. „Willkommen in den Streitkräften von Hawaii.“
Armstrong drückte auch Sakai die Hand, der merkwürdig zufrieden schien, es folgte ein kleines Begrüßungsritual mit den anderen beiden Piloten und Mizunami, was Sorge mit einem Schmunzeln beobachtete.
„Der ANZAC-Verband und besonders die beiden ihn begleitenden Zigarren werden nicht vor Morgen Mittag eintreffen. So lange haben wir Zeit, um die KAMIKAZE und Sakai-sans Piloten in meine Strategie einzubauen. Es ist Ihnen doch hoffentlich Recht, wenn ich Ihnen ein eigenes Territorium zur Verteidigung zuweise, für das Sie eigenverantwortlich kämpfen?“, sagte Dave leichtheraus. Das würde einiges an der Brisanz aus der Zusammenarbeit ihrer Truppen ziehen.
„Wir wollen uns morgen darüber unterhalten“, sagte Ishida ernst. „Aber für heute Abend würde ich es zu schätzen wissen, wenn Sie für die Zwangsverpflichtung Rechenschaft übernehmen.“
„Jederzeit!“, erwiderte Dave entschlossen.
„Gut. Dann laden Sie doch bitte mich, meine Offiziere und meine Piloten zu einem Umtrunk ein. Ich habe gehört, es gibt da ein exklusives Etablissement in Pearl City, das ein gewisses japanisches Flair atmet. Und es gibt dort deutsches Pils. Sie bezahlen die Rechung, Commander.“
Kurz sah Dave zu Mizunami.
„Das Sword and Dragon. Sehr teurer Laden“, erklärte der Polizeichef.
„Billiger kommen Sie nicht von der Leine, Armstrong“, fügte Sakai grinsend hinzu. Tatsächlich, der agile japanische Pilot mit dem kurzen Temperament grinste. Das machte ihn sympatisch.
„Einverstanden, ist Ihnen acht Uhr Recht?“
„Sehr recht. Nehmen Sie genügend Geld mit, Armstrong.“
Sie schüttelten sich zum Abschied die Hand. „Sie sind natürlich auch eingeladen, Herr Sorge. Auf einen mehr kommt es jetzt wirklich nicht mehr an.“
„Oh, wie großzügig von Ihnen“, erwiderte der Deutsche.
„Ach, bevor ich es vergesse“, sagte Dave im Gehen, wandte sich noch einmal um und zog aus der Brusttasche einen versiegelten Brief. „Dies soll ich dem höchstrangigen Offizier der japanischen Streitkräfte übergeben, sobald wir uns auf eine Zusammenarbeit geeinigt haben.“
Ishida nahm den Brief entgegen. „Ich danke Ihnen. Was enthält er?“
„Ich lese keine Briefe, die für andere bestimmt sind“, antwortete Dave brüsk. „Allerdings habe ich noch einen zweiten Brief in meinem Tresor, für den Fall das wir überleben.“
„Sie sind ein witziger Mann, Dave Stone“, warf Sakai ein. Seine Augen funkelten. Die Möglichkeit, über Hawaii zu sterben, existierte für ihn nicht.
Der gleiche Feldwebel wie zuvor führte sie wieder hinaus.

Auf dem Landefeld fuhr Mizunami den Commander an. „Wahnsinniger! Verrückter! Seine Majestät wird sich köstlich darüber amüsieren, wenn ich ihm erzähle, was hier passiert ist und gesagt wurde.“
Mizunami klopfte Dave entgegen der unterkühlten Art der Japaner auf den Rücken. „Ich gehe ins CIC, die Position der ANZAC neu bestimmen und die Ortsverteidigung kontrollieren.“
„Ich begleite Sie, Mizunami-san“, bot Gallagher an. Die beiden arbeiteten ziemlich gut zusammen, fand Dave.
„Okay, und wir suchen die Leute aus, die uns heute Abend begleiten.“ Dave warf Dusk und Happy einen amüsierten Blick zu. „Wenn ich schon heute Abend bezahlen muss, dann soll das Gros wenigstens für meine Leute sein.“
„Lass das mal unsere Sorge sein“, erwiderte Happy grinsend.
„Männer“, tadelte Dusk.
01.06.2020 19:10 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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An Bord der ‚Kamikaze’

Tai-i Sakai war ziemlich wütend: „Was sollte das eigentlich? Nennt die Abwehr DAS unauffälliges Verhalten?! Jetzt kann sich selbst dieser Idiot ausrechnen, dass Sie nicht nur ein einfacher Reporter sind!“
Richard Sorge zuckte mit den Schultern. Seine Stimme klang beherrscht: „Das hat mir kein Vergnügen bereitet. Und ich hätte es nicht getan, wenn es nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Glauben Sie etwa, ich bin diesem Idioten zu meinem Vergnügen zur Seite gesprungen? Aber es musste sein. Ich kenne diesen Typ. Er leidet offenbar unter einem Kontrollzwang. Wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, uns zu ‚kontrollieren’…Dann hätte er vielleicht Mittel und Wege gefunden, unsere Mission zu behindern. Und das können wir uns nicht leisten.“ Sorge blickte zu Sho-sa Ishida, der Sorges Worte mit einem zustimmenden Nicken quittierte. Der Deutsche räusperte sich, und fuhr fort. Es zahlte sich aus, dass er seit mehreren Jahren in Japan arbeitete, und die Mentalität der Japaner, und gerade auch der japanischen Offiziere, kannte: „Er war nicht bereit, klein beizugeben. Sie mussten ihm entgegenkommen. Und so haben Sie eine…Begründung dafür.“
„Alleine die Vorstellung…die Soldaten des Tennos – zwangsverpflichtet! An einem anderen Ort hätte der Mann Glück, wenn er unversehrt von Bord kommen würde.“
„Ich weiß, dass das für Sie schwer zu ertragen ist. Und nehmen Sie es nicht allzu wörtlich, wich ich dem Mann eben zur Seite gesprungen bin. Aber ich musste Ihnen schließlich einen Ausweg bieten, bei dem Ihr Gesicht gewahrt würde. Die Abwehr der Invasion hat nun einmal Vorrang. Sogar vor Ihrem Stolz. Das ist bitter, aber Sie sind ein Samurai.“
„Wenn Sie das schon wissen, dann wissen Sie auch, dass dieser gaijin mit seiner unverfrorenen Forderung die Ehre der japanischen Streitkräfte beleidigt hat. Japanische Streitkräfte ordnen sich nicht unter. Und wir sollen jetzt klein beigeben?!“
„Ich bin es nicht, der die Parameter dieses Einsatzes festgelegt hat. Wir müssen mit den hawaiianischen Streitkräften und auch mit diesen Söldnern kooperieren, wenn wir eine Chance haben wollen. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn die Shusui-Kampfgruppe eingreifen müsste? Dann hätten wir den Krieg, den Admiral Yamamoto nicht will.“
„Noch nicht!“ schnappte Saburo Sakai wütend: „ Nun gut. Aber wenn ich gewusst hätte, dass der alte Mann DAS von mir verlangt…“
Sorge hätte beinahe gegrinst. Der ‚alte Mann’, das war Yamamoto, obwohl er eigentlich noch recht jugendlich wirkte. Aber leider fiel es ihm nicht schwer, das Lächeln zu unterdrücken. Er brauchte nur an die Situation zu denken, in der sie sich befanden: „Machen wir also gute Miene zu unserem Spiel. Wenn wir Glück haben, wird dieser arrogante Commander Stone niemals erfahren, dass auch er nur eine Spielfigur ist. Und dass wir ihm einen seiner kostbaren Nitrobooster praktisch unter den Händen wegstehlen werden.“ Diese Bemerkung sollte die Situation entspannen, und Sorge hatte damit Erfolg. Sho-sa Ishida lächelte amüsiert, und auch Sakai grinste kurz. Der Fliegeroffizier wurde allerdings sofort wieder ernst: „Aber was war dieser Mann in der Luftwaffe - ein Leutnant? Und jetzt spielt er hier Shogun. Aber was kann man von einem Deutschen anders erwarten? Bei Ihnen spielt ja ein ehemaliger Gefreiter…“
Sho-sa Ishida sah sich offenbar genötigt einzugreifen: „Tai-i, das geht zu weit!“
Saburo Sakai brachte den Satz nicht zu Ende. Er entschuldigte sich aber auch nicht, sondern fuhr fort: „Ehrlich gesagt, ich habe meine Bedenken…“
Sorge schien nicht gekränkt: „Ich verstehe. Aber wir sind auf die Kooperation des Königs angewiesen. Und der wollte offenbar ausgerechnet diesen Mann als Oberbefehlshaber. Also müssen wir wohl oder übel tun, was Majestät will. Und auch wenn man wenig Positives über Marquardt sagen kann, er ist ein guter Pilot. Und er hat auch eine gewisse taktische Begabung. Er ist selbstverliebt, arrogant und unverschämt. Aber wenigstens im Kampf ist er kompetent. Und wenn Ihnen ein Befehl unsinnig erscheint – Niemand kann Sie zwingen, diesen zu befolgen.“
Sakai grinste säuerlich: „Vielen Dank, dass Sie mir diese Selbstverständlichkeit erlauben, Sorge-san.“
Sorge grinste knapp zurück und neigte den Kopf: „Ich entschuldige mich. Glauben Sie mir, ich finde die Situation auch nicht optimal. Aber da wir die Situation schon nicht ändern können…“
Saburo Sakai nickte – widerwillig: „Ich gebe zu, der Mann scheint zu wissen, was er tut. Oder glaubt es wenigstens. Geben wir ihm also die Chance. Es soll nicht heißen, dass sich die Marineflieger des Tennos vor einem Kampf fürchten. Aber was ist eigentlich mit IHREM Auftrag?“
„Der Abend im ‚Dragon and Sword’ ist die perfekte Gelegenheit. Wenigstens in dieser Beziehung hat Armstrong wie gewünscht reagiert. Was diese ‚Madame’ betrifft…“
„Sie gehört selbstverständlich zu uns. Auch wenn das keiner weiß. Und das soll auch so bleiben. Seien Sie also vorsichtig. Immerhin sind Sie kein echter Agent…“
Richard Sorge grinste verzerrt: „Vielleicht habe ich ja ein verborgenes Talent für dieses Spiel…
Wie dem auch sei. Was steht eigentlich in dem Brief, den uns dieser Söldner hat zukommen lassen hat, Sho-sa?“
Ishida grinste kurz: „Sie sind aber neugierig, Sorge-san.“
„Ich bin Reporter. Ich muss neugierig sein.“
Der Sho-sa drehte den Brief ein paar Sekunden scheinbar unschlüssig hin und her, dann öffnete er ihn und begann zu lesen. Kurz drauf schnaubte er abfällig: „Offenbar hält es Texas für nötig, uns ihre Ambitionen betreffs Hawaii zu erklären. So wie sie es darstellen, haben sie allerdings gar keine – außer ein paar vorteilhaften Handelsverträgen vielleicht. Und natürlich werden sie nach dem Ende der Krisensituation sofort wieder abziehen.“
Saburo Sakai lachte kurz auf: „Was für eine Überraschung! Natürlich, wenn sie vorhätten, sich hier festzusetzen, dann hätte Texas selbstverständlich den Anstand, es uns offen anzukünden…“
Sho-sa Ishida lächelte kurz: „Wohl kaum. Aber wir wissen doch, dass Texas einfach nicht die Mittel hat, Hawaii dauerhaft zu kontrollieren und zu halten. Das übersteigt ganz einfach ihre Ressourcen und ihr militärisches Potential.“
Darin stimmten ihm die beiden Anwesenden zu. Saburo Sakai setzte allerdings noch hinzu: „Immerhin beweist Texas damit genug Verstand, anzuerkennen, dass sie hier nicht einfach eine Militäroperation durchführen können, ohne sich gegenüber dem kaiserlichen Japan diplomatisch abzusichern. Allerdings wäre es besser gewesen, dies wäre schon früher gewesen. Aber immerhin…
Und dieser Marquardt hat zumindest so viel begriffen, dass er dieses Schreiben an UNS weiterreicht, und nicht an die Botschaft. Das lässt mich für ihn hoffen…“ Es war ein offenes Geheimnis, dass das japanische Militär de facto in der Lage war, der zivilen Regierung ihre Politik vorzugeben, während der Premier, das Kabinett und das Parlament gegenüber den Streitkräften nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten hatten – eigentlich nur, wenn sie sich die traditionelle Rivalität zwischen Marine und Armee zunutze machen konnten, oder den Kaiser zum Eingreifen bewegen konnten. Beides war allerdings eher selten der Fall.

Als Richard Sorge zu seiner Kabine ging, war seine Miene undeutbar. Keiner konnte erkennen, was dahinter vorging. Ein Agent, der seine wahren Gefühle allzu offen zeigte, lebte nicht lange. Hinter der Fassade des deutschen Korrespondenten und Gelegenheitsarbeiter für die Abwehr arbeitete es. Er machte sich Sorgen. Erst einmal war die ganze Aktion durch Marquardts Auftreten gefährdet worden. Einige japanische Marine- und Armeeoffiziere, die Sorge kannte, hätten den Piraten nach so einem Verhalten ganz einfach zum Teufel geschickt. Marquardts Glück war es, dass Ishida und Sakai sehr strikte Befehle, und damit nur wenig Bewegungsfreiheit hatten. Dennoch war das keine Art, wie man eine gute Zusammenarbeit einleitete. Nun ja, vielleicht konnte das Verhältnis heute Abend noch einmal geglättet werden. Er würde sein Bestes tun. Sorge war sich nicht ganz sicher, was er von Marquardt halten sollte. Natürlich konnte er dem Mann kaum vorwerfen, dass er zwei Gestapoleute erschossen hatte, im Gegenteil. Aber wie aussah, steckte dahinter nicht mehr, als private Gründe. Und nach seiner Flucht hatte Marquardt nicht erkennen lassen, dass er die wahre Natur der faschistischen Diktatur begriffen hätte. Seine Rache war privat, fast kleinlich gewesen. Marquardt war mutig, intelligent – aber er sah offenbar nicht über sein persönliches Schicksal hinaus. Er war ein Abenteurer, ein Söldner. Aber wohl kaum mehr. Vielleicht glaubte Marquardt sogar, dass er nur Opfer einiger besonders übereifriger Nazis gewesen worden war. Eigentlich war das bedauerlich, aber ihm fehlte offenbar die nötige Reife, um das Ausmaß an Hass, Aggression und Rassismus zu erkennen, die die Basis des Naziregimes bildete.
Aber das waren müßige Gedanken. Und selbst wenn er sich in Marquardt täuschen sollte, er würde diesen Mann ganz bestimmt nicht anzuwerben versuchen. Das Risiko war einfach zu groß. Es war schon ein Spiel mit dem Feuer, inmitten einer anlaufenden Invasion eine Abwehr-Operation von diesem Ausmaß aufzuziehen. Dem Hasardeurspiel des deutschen Geheimdiensts noch durch eine Anwerbung für den GRU die Krone aufzusetzen, wäre Wahnsinn gewesen. Auch wenn die Idee eine gewisse Attraktivität besaß…
Nein. Er hatte eine Verantwortung. Gegenüber der GRU, gegenüber den Männern und Frauen seiner Organisation, gegenüber der Sowjetunion. Er würde diese Verantwortung nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Er würde mit dem Abwehragenten Kontakt aufnehmen, seine Botschaft abliefern und gleichzeitig versuchen, soviel wie möglich an Informationen abzuschöpfen – bei der Abwehr, dem japanischen Geheimdienst, und den Hawaiianern. Aber nicht mehr.
Angst vor der Invasion, vor den drohenden Kämpfen, hatte Richard Sorge kaum. Er war in Shanghai gewesen, als die Japaner angegriffen hatten. Vor allem, er hatte im Großen Krieg als Infanterist gedient. Einen Mann, der das Grauen, den Wahnsinn und das Blutvergießen der Schützengräben erlebt hatte, den konnte dieser ‚merkwürdige Krieg’ um Hawaii kaum schrecken.

***

An Bord der ‚Kamikaze’

Tai-i Sakai war ziemlich wütend: „Was sollte das eigentlich? Nennt die Abwehr DAS unauffälliges Verhalten?! Jetzt kann sich selbst dieser Idiot ausrechnen, dass Sie nicht nur ein einfacher Reporter sind!“
Richard Sorge zuckte mit den Schultern. Seine Stimme klang beherrscht: „Das hat mir kein Vergnügen bereitet. Und ich hätte es nicht getan, wenn es nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Glauben Sie etwa, ich bin diesem Idioten zu meinem Vergnügen zur Seite gesprungen? Aber es musste sein. Ich kenne diesen Typ. Er leidet offenbar unter einem Kontrollzwang. Wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, uns zu ‚kontrollieren’…Dann hätte er vielleicht Mittel und Wege gefunden, unsere Mission zu behindern. Und das können wir uns nicht leisten.“ Sorge blickte zu Sho-sa Ishida, der Sorges Worte mit einem zustimmenden Nicken quittierte. Der Deutsche räusperte sich, und fuhr fort. Es zahlte sich aus, dass er seit mehreren Jahren in Japan arbeitete, und die Mentalität der Japaner, und gerade auch der japanischen Offiziere, kannte: „Er war nicht bereit, klein beizugeben. Sie mussten ihm entgegenkommen. Und so haben Sie eine…Begründung dafür.“
„Alleine die Vorstellung…die Soldaten des Tennos – zwangsverpflichtet! An einem anderen Ort hätte der Mann Glück, wenn er unversehrt von Bord kommen würde.“
„Ich weiß, dass das für Sie schwer zu ertragen ist. Und nehmen Sie es nicht allzu wörtlich, wich ich dem Mann eben zur Seite gesprungen bin. Aber ich musste Ihnen schließlich einen Ausweg bieten, bei dem Ihr Gesicht gewahrt würde. Die Abwehr der Invasion hat nun einmal Vorrang. Sogar vor Ihrem Stolz. Das ist bitter, aber Sie sind ein Samurai.“
„Wenn Sie das schon wissen, dann wissen Sie auch, dass dieser gaijin mit seiner unverfrorenen Forderung die Ehre der japanischen Streitkräfte beleidigt hat. Japanische Streitkräfte ordnen sich nicht unter. Und wir sollen jetzt klein beigeben?!“
„Ich bin es nicht, der die Parameter dieses Einsatzes festgelegt hat. Wir müssen mit den hawaiianischen Streitkräften und auch mit diesen Söldnern kooperieren, wenn wir eine Chance haben wollen. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn die Shusui-Kampfgruppe eingreifen müsste? Dann hätten wir den Krieg, den Admiral Yamamoto nicht will.“
„Noch nicht!“ schnappte Saburo Sakai wütend: „ Nun gut. Aber wenn ich gewusst hätte, dass der alte Mann DAS von mir verlangt…“
Sorge hätte beinahe gegrinst. Der ‚alte Mann’, das war Yamamoto, obwohl er eigentlich noch recht jugendlich wirkte. Aber leider fiel es ihm nicht schwer, das Lächeln zu unterdrücken. Er brauchte nur an die Situation zu denken, in der sie sich befanden: „Machen wir also gute Miene zu unserem Spiel. Wenn wir Glück haben, wird dieser arrogante Commander Stone niemals erfahren, dass auch er nur eine Spielfigur ist. Und dass wir ihm einen seiner kostbaren Nitrobooster praktisch unter den Händen wegstehlen werden.“ Diese Bemerkung sollte die Situation entspannen, und Sorge hatte damit Erfolg. Sho-sa Ishida lächelte amüsiert, und auch Sakai grinste kurz. Der Fliegeroffizier wurde allerdings sofort wieder ernst: „Aber was war dieser Mann in der Luftwaffe - ein Leutnant? Und jetzt spielt er hier Shogun. Aber was kann man von einem Deutschen anders erwarten? Bei Ihnen spielt ja ein ehemaliger Gefreiter…“
Sho-sa Ishida sah sich offenbar genötigt einzugreifen: „Tai-i, das geht zu weit!“
Saburo Sakai brachte den Satz nicht zu Ende. Er entschuldigte sich aber auch nicht, sondern fuhr fort: „Ehrlich gesagt, ich habe meine Bedenken…“
Sorge schien nicht gekränkt: „Ich verstehe. Aber wir sind auf die Kooperation des Königs angewiesen. Und der wollte offenbar ausgerechnet diesen Mann als Oberbefehlshaber. Also müssen wir wohl oder übel tun, was Majestät will. Und auch wenn man wenig Positives über Marquardt sagen kann, er ist ein guter Pilot. Und er hat auch eine gewisse taktische Begabung. Er ist selbstverliebt, arrogant und unverschämt. Aber wenigstens im Kampf ist er kompetent. Und wenn Ihnen ein Befehl unsinnig erscheint – Niemand kann Sie zwingen, diesen zu befolgen.“
Sakai grinste säuerlich: „Vielen Dank, dass Sie mir diese Selbstverständlichkeit erlauben, Sorge-san.“
Sorge grinste knapp zurück und neigte den Kopf: „Ich entschuldige mich. Glauben Sie mir, ich finde die Situation auch nicht optimal. Aber da wir die Situation schon nicht ändern können…“
Saburo Sakai nickte – widerwillig: „Ich gebe zu, der Mann scheint zu wissen, was er tut. Oder glaubt es wenigstens. Geben wir ihm also die Chance. Es soll nicht heißen, dass sich die Marineflieger des Tennos vor einem Kampf fürchten. Aber was ist eigentlich mit IHREM Auftrag?“
„Der Abend im ‚Dragon and Sword’ ist die perfekte Gelegenheit. Wenigstens in dieser Beziehung hat Armstrong wie gewünscht reagiert. Was diese ‚Madame’ betrifft…“
„Sie gehört selbstverständlich zu uns. Auch wenn das keiner weiß. Und das soll auch so bleiben. Seien Sie also vorsichtig. Immerhin sind Sie kein echter Agent…“
Richard Sorge grinste verzerrt: „Vielleicht habe ich ja ein verborgenes Talent für dieses Spiel…
Wie dem auch sei. Was steht eigentlich in dem Brief, den uns dieser Söldner hat zukommen lassen hat, Sho-sa?“
Ishida grinste kurz: „Sie sind aber neugierig, Sorge-san.“
„Ich bin Reporter. Ich muss neugierig sein.“
Der Sho-sa drehte den Brief ein paar Sekunden scheinbar unschlüssig hin und her, dann öffnete er ihn und begann zu lesen. Kurz drauf schnaubte er abfällig: „Offenbar hält es Texas für nötig, uns ihre Ambitionen betreffs Hawaii zu erklären. So wie sie es darstellen, haben sie allerdings gar keine – außer ein paar vorteilhaften Handelsverträgen vielleicht. Und natürlich werden sie nach dem Ende der Krisensituation sofort wieder abziehen.“
Saburo Sakai lachte kurz auf: „Was für eine Überraschung! Natürlich, wenn sie vorhätten, sich hier festzusetzen, dann hätte Texas selbstverständlich den Anstand, es uns offen anzukünden…“
Sho-sa Ishida lächelte kurz: „Wohl kaum. Aber wir wissen doch, dass Texas einfach nicht die Mittel hat, Hawaii dauerhaft zu kontrollieren und zu halten. Das übersteigt ganz einfach ihre Ressourcen und ihr militärisches Potential.“
Darin stimmten ihm die beiden Anwesenden zu. Saburo Sakai setzte allerdings noch hinzu: „Immerhin beweist Texas damit genug Verstand, anzuerkennen, dass sie hier nicht einfach eine Militäroperation durchführen können, ohne sich gegenüber dem kaiserlichen Japan diplomatisch abzusichern. Allerdings wäre es besser gewesen, dies wäre schon früher gewesen. Aber immerhin…
Und dieser Marquardt hat zumindest so viel begriffen, dass er dieses Schreiben an UNS weiterreicht, und nicht an die Botschaft. Das lässt mich für ihn hoffen…“ Es war ein offenes Geheimnis, dass das japanische Militär de facto in der Lage war, der zivilen Regierung ihre Politik vorzugeben, während der Premier, das Kabinett und das Parlament gegenüber den Streitkräften nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten hatten – eigentlich nur, wenn sie sich die traditionelle Rivalität zwischen Marine und Armee zunutze machen konnten, oder den Kaiser zum Eingreifen bewegen konnten. Beides war allerdings eher selten der Fall.

Als Richard Sorge zu seiner Kabine ging, war seine Miene undeutbar. Keiner konnte erkennen, was dahinter vorging. Ein Agent, der seine wahren Gefühle allzu offen zeigte, lebte nicht lange. Hinter der Fassade des deutschen Korrespondenten und Gelegenheitsarbeiter für die Abwehr arbeitete es. Er machte sich Sorgen. Erst einmal war die ganze Aktion durch Marquardts Auftreten gefährdet worden. Einige japanische Marine- und Armeeoffiziere, die Sorge kannte, hätten den Piraten nach so einem Verhalten ganz einfach zum Teufel geschickt. Marquardts Glück war es, dass Ishida und Sakai sehr strikte Befehle, und damit nur wenig Bewegungsfreiheit hatten. Dennoch war das keine Art, wie man eine gute Zusammenarbeit einleitete. Nun ja, vielleicht konnte das Verhältnis heute Abend noch einmal geglättet werden. Er würde sein Bestes tun. Sorge war sich nicht ganz sicher, was er von Marquardt halten sollte. Natürlich konnte er dem Mann kaum vorwerfen, dass er zwei Gestapoleute erschossen hatte, im Gegenteil. Aber wie aussah, steckte dahinter nicht mehr, als private Gründe. Und nach seiner Flucht hatte Marquardt nicht erkennen lassen, dass er die wahre Natur der faschistischen Diktatur begriffen hätte. Seine Rache war privat, fast kleinlich gewesen. Marquardt war mutig, intelligent – aber er sah offenbar nicht über sein persönliches Schicksal hinaus. Er war ein Abenteurer, ein Söldner. Aber wohl kaum mehr. Vielleicht glaubte Marquardt sogar, dass er nur Opfer einiger besonders übereifriger Nazis gewesen worden war. Eigentlich war das bedauerlich, aber ihm fehlte offenbar die nötige Reife, um das Ausmaß an Hass, Aggression und Rassismus zu erkennen, die die Basis des Naziregimes bildete.
Aber das waren müßige Gedanken. Und selbst wenn er sich in Marquardt täuschen sollte, er würde diesen Mann ganz bestimmt nicht anzuwerben versuchen. Das Risiko war einfach zu groß. Es war schon ein Spiel mit dem Feuer, inmitten einer anlaufenden Invasion eine Abwehr-Operation von diesem Ausmaß aufzuziehen. Dem Hasardeurspiel des deutschen Geheimdiensts noch durch eine Anwerbung für den GRU die Krone aufzusetzen, wäre Wahnsinn gewesen. Auch wenn die Idee eine gewisse Attraktivität besaß…
Nein. Er hatte eine Verantwortung. Gegenüber der GRU, gegenüber den Männern und Frauen seiner Organisation, gegenüber der Sowjetunion. Er würde diese Verantwortung nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Er würde mit dem Abwehragenten Kontakt aufnehmen, seine Botschaft abliefern und gleichzeitig versuchen, soviel wie möglich an Informationen abzuschöpfen – bei der Abwehr, dem japanischen Geheimdienst, und den Hawaiianern. Aber nicht mehr.
Angst vor der Invasion, vor den drohenden Kämpfen, hatte Richard Sorge kaum. Er war in Shanghai gewesen, als die Japaner angegriffen hatten. Vor allem, er hatte im Großen Krieg als Infanterist gedient. Einen Mann, der das Grauen, den Wahnsinn und das Blutvergießen der Schützengräben erlebt hatte, den konnte dieser ‚merkwürdige Krieg’ um Hawaii kaum schrecken.

Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Tyr Svenson: 01.06.2020 19:12.

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