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Zum Ende der Seite springen Der Schatun
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Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
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Aufgaben und Pflichten

Die Wachposten nahmen Haltung an, als die Dvensky sie mit seiner Begleitung passierte. Die Gesichter unter den Kampfhelmen waren ausdruckslos, geradezu maskenhaft – wie immer. Nun, wenn man es genau nahm, seitdem der Angriff erfolgt war, und die Gefahr bestand, daß sich in der Umgebung staatsfeindliche Elemente herumtrieben, schienen die bryantischen Elitesoldaten noch ,einen Zahn zugelegt zu haben‘, was Wachsamkeit und Einschüchterung betraf. Egal ob nun Fallschirmjäger oder SMERSCH- beziehungsweise Polizei-Elitekommandos. Viele von ihnen waren zusammen mit anderen Einheiten auf der Jagd, und besonders die Kräfte des Innenministeriums hatten noch Punkte gegenüber der Armee gutzumachen.
Die Gänge waren hier unten wie immer eisig kalt. Dvensky verschwendete selten etwas – und wenn es Besuchern ein wenig fröstelte, um so besser. Sein Gesicht verriet, daß er tief in Gedanken versunken war. Zunächst achteten seine Begleiter seinen Wunsch nach Stille. Aber dann machte sich seine Schwester leise bemerkbar – wenn auch nicht an den Herrscher selber.
„Übrigens Major... Du kannst meine Hand ruhig loslassen, er ist weg.“
Major Tereschkow grinste – was erwidert wurde – und löste den Griff. Doch sowohl er als auch Natalija fuhren überrascht zusammen, als Leonid Dvensky plötzlich bellend auflachte. Offenbar hatte er mehr von seiner Umgebung mitbekommen, als sie vermutet hatten. Er musterte seine Untergebenen: „Ich hatte mich schon gefragt, wann du es ihm sagst. Aber zweifelsohne beherzigt unser wackerer Major nur den Grundsatz, daß man eine Rolle am besten glaubhaft spielt, wenn man sich richtig in sie hinein versetzt.“ Der Panzeroffizier schien ein wenig zu erröten – bei der Kälte war das aber schwer festzustellen – und stimmte in das Gelächter der Geschwister ein. Dann wurde er wieder ernst.

„Was halten Sie von der Sache, Leonid? Ich habe ehrlich gesagt meine Bedenken. Zum einen – entweder dieser Danton hat seine Truppe wirklich nicht im Griff, oder er lügt uns was vor. Zum anderen - mir ist nicht wohl bei dem Gedanken ihm kampffähige Soldaten zu geben.“
Der Herrscher lächelte geringschätzig, wobei seine Verachtung nicht seinem Gesprächspartner galt: „Wie man es nimmt. Ich bin ja auch der Meinung, daß sogar unsere Musterexemplare des Neuen Soldaten, die mit ,Immortal Warrior‘ aufwachsen, GEWISSE Dinge auch irgendwann lernen. Nämlich daß kleine Kinder nicht wie kleine Battle Mechs gebaut werden, und WIE sie entstehen. Und vor allem, wie man sich dagegen vorsieht, daß es zur Unzeit geschieht. Wenn Danton nicht mal dahingehend für Ordnung sorgen kann – und der Wegfall einer Pilotin in einer Truppe ohne Ersatzleute ist kein Kinderspiel – dann sitzt er wirklich nicht fest im Sattel. Oder die Pilotin war nicht die klügste in der Einheit, das soll ja auch mal vorkommen.“
Tereschkow nickte: „Aber wenn es stimmt, und sie ist wirklich schwanger – geben wir ihm dann Ersatz? Wir würden riskieren, daß er so eine Schwächung seiner Truppe, die uns nur gelegen kommen könnte, wieder wett macht. Oder die Gefangenen unter der Hand an die New-Home-Ratten weitergibt. Dann dürfen wir sie beim nächsten Mal wieder abschießen. Bei den Infanteristen ist mir das relativ egal, aber die Mechkriegerin und der Jagdpilot...“
Der Diktator schien dem halb zuzustimmen: „Mag sein. Allerdings, nach der Aktion werden sie nicht viel überschüssiges Material haben drüben. Und Ersatz beschaffen – das kostet Zeit und Geld. Etwas, daß sie bald nicht mehr haben werden, bei den Einbußen. Die Ersatzteile könnten wir gut gebrauchen.“
Natalija mischte sich ein. Sie sah wenig erfreut aus, vielleicht war ihr das Thema unbequem: „Ich denke allerdings, es gibt einige Leute die sich mit unseren Gästen gerne mal unterhalten würden. Und das dauert, oder sie sind für Danton vielleicht nicht mehr ganz... verwendungsfähig.“ Sie verschleierte durch die Euphemismen nur ungenügend ihr Unbehagen. Natürlich wußte sie um die Bryanter Methoden, wenn es darum ging Ergebnisse zu erzielen. Die waren ja weiß Gott nichts ungewöhnliches – MI, ISA, Maskirovka, Secura, LNC, sie alle folterten. Vermutlich mit mehr Einfallsreichtum, aber keinesfalls mit geringerer Skrupellosigkeit. Aber auch wenn so etwas Gang und Gebe war, es mußte ihr ja nicht gefallen.

Major Tereschkow drückte kurz ihre Schulter. Vielleicht teilte er ihre Gefühle, aber die Jahre in Dvenskys Stab hatten ihn den bitteren, aber oft auch verführerisch süßen Geschmack des Wortes „Notwendigkeit“ gelehrt. Anders als Dvensky wußte er wohl nichts von dem Staatstheoretiker, der diesen Begriff als erster zum obersten Gebot erhoben hatte, vor gut 1500 Jahren. Aber er folgte seinen Lehren.
Dvensky registrierte, daß seine Schwester nichts gegen die Berührung zu haben schien. Soso...
Aber das mußte warten. Nun, wenigstens ETWAS, das nach Plan lief.
„Das muß Major Jegorowa entscheiden. Wenn sie denkt, es lohnt sich, etwas nachzubohren, dann kann sich Danton seine Ersatzteile...
Zur Not halten wir ihn noch ein paar Tage hin. Aber kein physischer Zwang, nichts, was dauerhafte Schäden hinterläßt. Und vielleicht kann sie etwas herausfinden oder ausdenken, was uns in Sachen Gefangene weiterhilft.“ Wie oft fungierte Natalija als menschliches Notizbuch. Sie hatte bisher nie den Ehrgeiz gezeigt, WIRKLICH an der Spitze dieses Teils der Regierungsarbeiten zu stehen. Obwohl sie an ihnen teilhatte und von ihnen wußte.
„Glaubst du wirklich, er will jetzt gut Wetter machen?“ fragte sie ihren Bruder.
Der lächelte verzerrt: „Damit ich ihn nicht anfalle, oder damit du ihn ranläßt? Keine Ahnung. Aber ich habe weiterhin meine Zweifel. Immer wenn er einen Schritt nach vorne macht, um uns zu beruhigen, gibt es wieder andere Anzeichen, die ganz was anderes sagen. Wir haben einige Neuigkeiten von diesen jämmerlichen Kreuzrittern gehört. Es scheint, als würden sich die Chevaliers in Leipzig erstaunlich gut auskennen. Man könnte meinen, die ganze Suchaktion sei von langer Hand geplant. Und daß er davon nichts gewußt hat...“
Tereschkow zuckte mit den Schultern: „Er hat ja – wenn es stimmt – nicht mal gewußt, daß einige seiner Piloten noch nicht über das Bienen-und-Blumen-Stadium hinaus sind, oder besser, nur im praktischen Teil...“
Die etwas grobere Sprache entsetzte die einzig anwesende Frau in keiner Weise. Sie hatte schon das ,Vergnügen‘ gehabt mit Leuten zu verhandeln, die in jedem Satz zumindest einmal bei Gott und dem Teufel fluchten. Inzwischen filterte sie Dinge, die ihr nicht gefielen, einfach raus, so lange sie nicht von Belang waren. Jetzt aber kicherte sie. Mit der Art bissigen Humors konnte sie durchaus etwas anfangen – auch wenn ihr das nicht jeder zugetraut hätte, vor allem wenn sie sich arglos gab.

„Was mir Sorgen macht, sind die moralischen Aspekte.“, kam Tereschkow wieder auf den Kern des Problems zurück. „Unser Staat lebt davon, daß wir die Leute schützen. Sie müssen sich sicher fühlen. Wenn wir jetzt das Pack, das versucht hat uns zu überfallen, laufenlassen, wie wird das wirken? Eine Übertretung bedeutet Strafe, und wenn sich DIE einfach so davonstehlen können...“
Dvenskys Gesicht hellte sich auf: „Gesprochen wie ein echter Politiker, meinen Glückwunsch. Du begreifst, wie ich sehe, daß es ein Leichtes ist, eine Schlacht zu führen – im Vergleich zu einem Staat. Aber du machst dich wirklich gut. Muß wohl an der Lehrerin liegen, oder an ihren Methoden.“
Jetzt lief Natalija Dvenskya rot an – wenn auch unnötigerweise, wie sie sich selber sagte. Tereschkow kam ihr zu Hilfe: „Nun, an der Lehrerin ist nichts auszusetzen, aber wir beide lernen bei dir, oh Wolfssonne Bryants.“
Was der Diktator mit einem erneuten Gelächter quittierte. Er schien überhaupt weit lockerer als in den letzten Wochen, verglichen mit seinem üblichen Auftreten. Vielleicht hatte die siegreiche Schlacht – trotz aller Verluste – und die glückliche Rettung seiner Geliebten seine Stimmung beeinflußt.
„Aber du hast Recht.“, nahm er den Faden wieder auf.
„Doch...“, und bei diesen Worten lächelte er leicht: „...jetzt will ich dir zeigen, daß es immer noch etwas zu lernen gibt. Wir werden das Ganze nicht kleinreden, aber auch nicht an die große Glocke hängen. Wir verkünden, die Söldner hätten den Wunsch geäußert, die Gefangenen zu übernehmen. Ich bin bereit das zu gewähren, wenn sie uns dafür tatkräftige Hilfe leisten, die Schäden zu beseitigen und unsere Streitkräfte wieder verteidigungsbereit zu machen. Zwar wäre es wünschenswert, die Gefangenen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, aber das Wohl der Einwohner Bryants geht vor. Deshalb werde ich die Söldner dazu auffordern, im Gegenzug nicht nur Ersatzteile für unser Militär zu liefern, sondern auch die Schäden an Bausubstanz und Infrastruktur zu beseitigen. Überdies werden Strafkommandos verstärkt mitwirken.“ Der Diktator nickte vor sich hin.
„So werden die Söldner uns beim Wiederaufbau helfen, und WIR werden das Lob dafür einfahren. Ich gestehe den Leuten Rachegefühle und den Wunsch nach Gerechtigkeit zu, appelliere aber an ihre Solidarität mit den Streitkräften und vor allem ihren geschädigten Mitbürgern.“
Natalija überlegte: „Das könnte klappen. Ich würde aber vorschlagen, daß wir deinen Plan etwas modifizieren. In Tscheljabinsk haben wir keine Helfer – wie wäre es, wenn wir einen Teil der hiesigen Strafgefangenen verlagern? Am besten die Ausländer, die können auch in Tscheljabinsk nicht auf Hilfe rechnen. Und der Aufbau dort geht dann schneller. Auch wenn wir dort keine Helfer zweifelhafter Verlässlichkeit haben. Zudem kühlen wir die Gemüter ab, die wegen der Flucht aus dem Lager beunruhigt sind.“
Ihr Bruder blickte sie traurig an: „Ich sehe schon, ich werde langsam alt. Bald wird mein kleines Schwesterlein mich beerben.“ Die junge Frau grinste: „Ja, GROßER Bruder.“
Aber die Heiterkeit auf ihrem Gesicht verschwand, als sie sah wie sich die Miene ihres Herrschers und Bruders veränderte: „Wir werden es so machen, wie du gesagt hast, Natalija. Das ist die eine Seite. Aber neben dem Zuckerbrot muß immer auch die Peitsche sein. Es gibt Leute, die warten nur darauf, daß wir Schwäche zeigen. Und denen werden wir eine Lektion erteilen.“
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Das Geschenk der Danaer

Zwei Tage später, Brein
Das Zimmer der ,Spinne‘ sah nicht gerade so aus, wie man sich das Reich einer Geheimdienstchefin vorstellte. Allerdings, wie stellte man sich so etwas eigentlich vor? Der Raum war nüchtern und zweckmäßig eingerichtet, aber neben der unverzichtbaren Staatsflagge und dem Wappen des Dienstes hatte Major Jegorowa auch einige Landschaftsbilder aufhängen lassen, die unter anderem den kleinen Ort zeigten, in dem sie zur Welt gekommen war. Und daß die Chefin der Bryanter In- und Auslandsspionage in ihrem Raum einen Teekocher hatte, paßte wohl auch nicht ganz zum Bild, das man sich normalerweise von ihr machte. Die schwere Pistole mit dem wuchtigen Magazin, die auf dem Schreibtisch lag, die hätten wohl die meisten erwartet.
Major Jegorowa sprach wie immer ruhig, fast leise. In dem selben Tonfall hatte sie nach dem Umsturz die Liste der Leute verlesen, die nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt werden sollten, sondern gleich an Ort und Stelle ,erledigt‘ wurden. Sie sprach selten anders, und gerade deshalb hörte man ihr aufmerksam zu. Wenn man klug war – und das Glück oder Pech hatte, ihr gegenüberzusitzen.

„Ich habe es mir gründlich überlegt. Für den Außendienst sind Sie nicht mehr zu gebrauchen, das ist ja wohl klar. Auf New Home schon gar nicht, und damit ist auch das Risiko gegeben das jemand anders davon erfährt.“ Die junge Frau nickte. Damit hatte sie gerechnet. Im Geheimdienst waren die Spielregeln einfach – wenn man Mist baute, war man draußen. Dann hatte man noch Glück, wenn man zu den eigenen Leuten zurückkehren konnte, und nicht dauerhaft gesiebte Luft atmete. Oder Schlimmeres.
„Ich erwarte, daß Sie dies nicht als Strafe betrachten, sondern als Herausforderung Ihrem Lande möglichst gut zu dienen – wie wir alle es tun. Ich habe mich entschlossen, unter anderem weil mir auch eine Bitte um Ersatz vorliegt, Sie mit sofortiger Wirkung vom GKVD zu SMERSCH zu versetzen. Sektion Vier, Wachaufgaben. Ihren alten Rang behalten Sie. Ihren genauen Stationierungsort erfahren Sie noch zu gegebener Zeit, der Abteilungsleiter stellt gerade die Pläne zusammen.“
Anna Sergejewna Kalinskaya mußte an sich halten um den Kopf nicht sinken zu lassen. Halb und halb hatte sie etwas derartiges erwartet. Es war einerseits eine Rüge für ihr Versagen, aber auch ein Tadel für die ganze Spionageabteilung New Home – die den feindlichen Angriff nicht hatte aufdecken können. Sie war zum GKVD gegangen, weil der Beruf der ,Kundschafterin‘ nicht nur nach Abenteuer klang, sondern auch neben hohem Risiko Karrierechancen und Prestige bedeutete. Abteilung Vier bei SMERSCH hingegen war die Verwaltung der Arbeitslager und Gefängnisse. Zwar war es nicht die ,schlechteste‘ Abteilung. Die Mitarbeiter wurden keineswegs innerhalb der Organisation als Parias gesehen, und die Bevölkerung fürchtete und mißtraute ihnen weniger als etwa der Abteilung Innere Sicherheit, der größten und stets gegenwärtigen Einheit der Geheimpolizei. Auch konnte man bei guten Leistungen – wenn die unterstellten Brigaden gut arbeiteten, es keine Ausbrüche oder Revolten gab, kurz gesagt alles gut lief – durchaus belohnt werden. Aber ihr Traum vom Ruhm und vom abenteuerlichen Dienst für ihre Heimat war ausgeträumt. Zumindest fürs Erste. Sie hatte das Leben im Untergrund fast genossen, und es würde ihr fehlen. Aber sie ließ sich nichts anmerken, obwohl sie ihre Zweifel hatte, daß sie die ältere Frau täuschen konnte.
Major Jegorowa nahm die schweigende Einsatzbereitschaft mit leichtem Lächeln zur Kenntnis. Ein Lächeln, das so kalt war wie der Wind Bryants: „Aber vorher gibt es noch etwas zu erledigen. Ich habe Ihrer Akte entnommen, daß Sie in der paramilitärischen Bereitschaft geschult wurden. Einer der Gründe, warum ich Sie für geeignet halte. Melden Sie sich jetzt in Zimmer 327, beim exekutiven Leiter der Abteilung Vier-Sieben.“
Anna Kalinskaya wurde bleich. Unterabteilung Vier-Sieben oblag der Strafvollzug. Mit Betonung des Wortes Vollzug, oder besser, Vollstreckung. Doch dann stand sie auf und salutierte, drehte sich um und ging.

Die Geheimdienstchefin nickte leicht. Um so besser. Wenn Sie sich geweigert hätte...
Nachdem man die junge Agentin abgehört hatte, stand für Jegorowa fest, daß diese nicht mehr so verläßlich war, wie es das GKVD erforderte. Geteilte Loyalität oder Schuldgefühle waren ein Luxus, den sich eine Agentin einfach nicht leisten konnte. Folglich würde man sie ,unschädlich machen‘, und zugleich ihre Loyalität nicht nur prüfen, sondern auch festigen. Gewisse Dinge ließen einem Menschen keine Wahl mehr – dann gehörte er dazu. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen...
Vor der Geheimdienstmajorin lag ein gutes Dutzend Bögen Papier. Namen, Paßphotos, etwas Text. An jedes Blatt war ein zweites angeheftet – ein Urteil, gesiegelt mit dem Staatswappen Bryants und Dvenskys persönlicher Unterschrift. Ein halbes Dutzend ehemaliger Kriminelle, vier Ausländer – Piraten und Schatzsucher – und drei Politische. Sie alle waren recht bald nach ihrer Flucht aus dem Lager wieder aufgegriffen worden. Einige hatten Widerstand geleistet, andere hatten versucht etwas zu stehlen, ein Fahrzeug etwa, um aus der Stadt zu entkommen. Drei waren bei gewaltsamem Raub aufgegriffen worden...

Diesmal hatte die Justiz Bryants noch schneller und härter als ohnehin schon gearbeitet. Sie hatte ohne weiteres die Befugnis, Strafen massiv hochzusetzen. Auch und gerade im Schnellverfahren. Und da den Richter einiges an Deutungshoheit zukam, lauteten die Anklagepunkte und Urteilsbegründungen diesmal auf ,Terrorismus‘, ,Bildung bewaffneter Gruppen gegen den Staat‘ und dergleichen.
Von den etwa 30 gefaßten Sträflingen hatte ein halbes Dutzend die Strafe verdoppelt bekommen, andere, die sich gestellt hatten, waren ohne viel Aufhebens zurückgeführt worden in ein anderes Lager. Die dreizehn hier aber – die waren zum Tode verurteilt worden. Und Dvensky hatte die Gnadengesuche abgelehnt. In einem Innenhof liefen bereits die Vorbereitungen. Wieder würde ein Kapitel abgeschlossen werden – ein für alle mal.
Die Geheimdienstchefin war über Skrupel in der Hinsicht längst hinaus. Warum auch? Dvensky machte nur nach, was ihm die Nachfolgefürsten vorlebten, in wesentlich größerem Maße. Der Einsatz von Gewalt zur Herrschaftserrichtung, zum Ausbau und zur Erhaltung der Macht war in der Freien Inneren Sphäre nicht weniger alltäglich als bei den Clans. Wenn auch die Methoden oft etwas subtiler waren. Sie griff zum Telefon, wählte eine Nummer: „Hallo? Ja, Jegorowa. Ist das Präparat eingetroffen? Was, schon da? Ausgezeichnet. Ja, fangen Sie sofort an.“
Sie lächelte erneut. Noch eine Sache, die ausnahmsweise nach Plan zu laufen schien. Nun, dann blieb nur noch eines, Dvensky Bescheid zu sagen.
„Mylord – Sie können Danton Bescheid geben. Morgen bekommt er seine neuen Rekruten.“

Die Stimme des Nachrichtensprechers klang scharf, geradezu schneidend.
„Drei Tage nach dem heimtückischen Überfall sind die Aufräumungsarbeiten in vollem Gange. Mylord Dvensky hat den durch die gegnerischen Truppen obdachlos gewordenen Einwohnern Notunterkünfte zuweisen lassen, die Lebensmittelversorgung läuft auf vollen Touren. Bald können die ersten Familien in ihre in Stand gesetzten alten Wohnungen zurückkehren, oder sie erhalten neue Quartiere angewiesen. Auf Wunsch des Herrschers und gegen die bereits erwähnten Zugeständnisse haben sich auch die Söldner Com Stars bereit erklärt, an den Arbeiten teilzunehmen. Die Bevölkerung nimmt ihre Hilfe dankbar in Anspruch.
Zur gleichen Zeit wird einmal mehr deutlich, wie entschlossen Bryant mit seinen Feinden umgeht. Entflohene Schwerstverbrecher, die versuchten, die Verwirrung nach dem Angriff für ihr abscheuliches Treiben zu nutzen, trifft die volle Härte des Gesetzes. Diesmal hat selbst Mylord Dvensky darauf verzichtet, von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen. Er erklärte, er sei nicht willens, dem Wunsch nach Gerechtigkeit im Wege zu stehen.“
(Bildwechsel – ein Hof, Gefangene auf einem Haufen, angetretene Milizionäre von SMERSCH, von hinten aufgenommen. Dann Blick auf eine Hand, die einen Kolben umschließt, den Lauf entlang.)

„Tod durch die Kugel lautet das Urteil, und es wird sofort vollstreckt. Es gibt keine Gnade für Menschen, die Krieg und Not für ihren primitiven Vorteil nutzen wollen. Mord, Plünderung, Vergewaltigung – in Zeiten des Krieges kann es darauf nur eine Antwort geben.
(Die ersten drei Gefangenen werden vor das Peleton geführt. Kurz Nahaufnahmen der Gesichter, die unrasiert und bleich sind.)

„Vermutlich bereuen sie jetzt ihre Taten. Doch dafür ist es zu spät, und ihr Bedauern gilt wie immer nur der eigenen Person, niemals ihren Opfern. Bryant gibt auch Menschen, die einen Fehler begangenen haben, eine zweite Chance. Doch wer dieses Angebot so schändlich ausschlägt, darf nicht endlos auf Großmut hoffen.“
(Wieder Blick auf die Soldaten – nie Gesichter im Bild, sondern Stiefel in Reihe, Hände die Repetierhebel der Karabiner zurückreißen, ein Blick auf die Schützenlinie von der Seite. Dann Großaufnahme einer Hand in Handschuh, die sich zum Signal hebt.)

„Gerechtigkeit wird geübt werden – Großmut für den, der aufrichtig Besserung gelobt. Doch wer unser Feind sein will, der ist dem Untergang geweiht. Mylord Dvensky sagte: ,Es ist niemals leicht, ein Leben auslöschen zu lassen. Gerade ich, als Herrscher und Soldat, weiß dies. Aber manchmal ist es notwendig, wenn Menschen sich so eindeutig als Feinde Aller entpuppen. Wie Piraten sind sie vor allem eines – Feinde der gesamten Menschheit. Ich habe vom Volk das Mandat erhalten es zu schützen, und ich sehe diese Aufgabe als Verpflichtung. Und wer dieses, wer unsere Volk bedroht, den werden wir zerschmettern. Sei es ein Mann oder eine Armee.’
Und während weitere Verbrecher ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, suchen die Organe des Innenministeriums und der Armee unablässig nach den letzten flüchtigen Verbrechern. Es gibt kein Entkommen für sie, nirgendwo bietet sich ihnen eine hilfreiche Hand. Sie haben sich als Feinde der Menschheit entpuppt, und als solche werden sie behandelt.“
(Mündungsfeuer aus den Gewehren, von weitem sieht man, wie die drei Gestalten zurückgeworfen werden und im Schnee liegen bleiben, der sich rasch rötet. Wieder Blick aus der Perspektive eines der Schützen – erneut werden die Waffen durchgeladen…)
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Vor dem Sprung

Dvensky ließ das Scherenfernrohr langsam von einer Seite auf die andere wandern. Durch das Objektiv betrachtet, schienen die Mauern der HPG-Anlage Com Stars zum greifen nahe. Auch wenn es von hier aus nicht möglich war, in den Hof zu sehen, so würde niemand die Anlage auf dieser Seite verlassen können, ohne daß er von hier aus gesichtet wurde.
Der Diktator trat vom Fernrohr zurück. In seiner schmucklosen Tarnuniform, die keinerlei Rangabzeichen aufwies, war er allerhöchstens durch seine Erscheinung erkennbar. Sein ganzer Begleitschutz bestand aus zwei Soldaten, die identische Tarnanzüge wie er trugen. Sie hatten – ebenso wie er – weiß gestrichene militärische Scharfschützengewehre. Allerdings trugen sie diese schußbereit, während der „Schatun“ seine Waffe geschultert hatte. Da auch sie kräftig gebaut waren, war es für einen zufälligen Beobachter nahezu unmöglich, den Diktator auf Anhieb ausfindig zu machen. Das einfach Auftreten war nur zur Hälfte Berechnung. Natürlich war es auch eine psychologische Botschaft an seine Soldaten. Zum einen sollte es ihnen zeigen, daß die Lage ernst war. Zum anderen verstärkte es ihre Identifikation mit ihm und damit mit dem System, für das sie kämpften. Doch neben diesen Gründen handelte er auch aus Vorsicht so. Er traute den Leuten auf der anderen Seite der Mauer nicht weiter als er einen ihrer Mechs hätte werfen können. Und so sehr er auch ansonsten Risiken einging – lebensmüde war er sicher nicht. Ein großer Auftritt wäre geradezu eine Einladung für einen Zwischenfall gewesen. Natürlich war er an der Verschärfung der Lage nicht unschuldig, aber wenn diese Söldner eben mit eindeutig feindlicher Absicht nach Bryant kamen, würde er den Teufel tun und vor ihnen kuschen. Für solche Besucher hatte Dvensky sein Militär geschult und aufgebaut. Er nickte zufrieden:
„Gute Arbeit. Die Tarnung ist fast perfekt, und das Sichtfeld ausgezeichnet.“

Der Unteroffizier, der hier offenbar das Sagen hatte, grinste breit. Lob von Oberbefehlshaber war immer gut und mochte sich in seiner Akte niederschlagen. Seine schwarze Haut machte nur zu deutlich, daß er kein geborener Bryanter war – die „Eingeboren“ waren überwiegend Slawen, auf jeden Fall fast alles Kaukasier. Dvensky gehörte jedoch nicht zu denen, die irgendwelche rassistischen Vorurteile pflegten. Er war Pragmatiker, und wer für ihn kämpfte, der mochte eine beliebige Hautfarbe oder Augenform haben. Die Leistungen entschieden, und die Loyalität.
Den Postenführer schien es wenig zu stören, daß seine „Truppe“ im Augenblick aus drei Kameraden bestand, deren schwerste Waffen ein halbes Dutzend geballter Ladungen und eine Einweg-Panzerfaust waren. Diese Stellung sollte spähen, nicht kämpfen. Allerdings konnten sie mit diesen Waffen auch einen Elementar ausschalten, wenn sie kaltes Blut behielten. Ihre wichtigste „Waffe“ war jedoch das einfache Telefon, mit dem sie der Artillerie Zielangaben übermitteln würden. Ein Funkgerät würde die Verbindung zu den mobilen Verbänden sicherstellen.
Dvensky überzeugte sich, daß die Waffen in gutem Zustand, die Granaten in Reichweite und die Panzerfaust griffbereit waren. Er klopfte dem Postenführer auf die Schulter: „Weitermachen. Und seien Sie auf alles vorbereitet. Lassen Sie sich nicht provozieren, aber beim geringsten Anzeichen...“ der Mann hatte offenbar verstanden. Der Diktator teilte an die vier Späher Zigaretten aus. Auch dies eine Geste mit Berechnung, denn hierbei handelte es sich um eine importierte Marke, die wesentlich besser war als die bryantischen Tabakwaren. Ein kurzer Gruß, dann machte er sich wieder auf den Weg.

Die drei Männer huschten geduckt dahin. Sie verhielten sich fast so wie im Kampfeinsatz. Dvensky war zwar kein ausgebildeter Scharfschütze, aber er war ein guter Jäger, und zusammen mit seiner Grundausbildung machte ihn das zu einem Gegner, den man auch außerhalb des Mechs besser nicht unterschätzte. Er machte sich natürlich wenig Illusionen darüber, wieviel Chancen er gegen einen wirklich guten Elitesoldaten hatte, oder gar einen Elementar – aber er vertraute auch auf seine beiden Begleiter. Beide waren sie Veteranen, und auf ihre Loyalität konnte er sich verlassen.
Ständig darauf bedacht, jede Deckung zu nutzen, kontrollierten der Diktator und seine Begleiter die Stellungen. Zwei Mörserbatterien, eine Raketenwerferstellung, mehrere Scharfschützen- und MG-Nester. Dazu immer wieder Postenlöcher. Nach dem Zwischenfall vor wenigen Tagen hatte Dvensky die Konsequenzen aus den Ereignissen gezogen. Die Effizienz der Elementare war erheblich gewesen, und er hatte vor, dem einen Riegel vorzuschieben. Jetzt waren überall Deckungslöcher geschaffen worden, mit Schnee verblendete Sandsackbarrieren. Handgranaten, geballte Ladungen und Raketenwerfer lagen griffbereit. Sollten die Elementare so etwas noch einmal versuchen, würden sie einige unliebsame Überraschungen erleben. Selbst ohne den Einsatz der schweren Fahrzeuge, die in Bereitschaft standen, würden sie diesmal wohl nicht weit kommen.

Er brauchte eine geschlagene Stunde – kein Vergnügen in der Kälte, dem Schneegestöber und der Dunkelheit, die Bryant Besuchern wie Bewohnern augenblicklich zu bieten hatte. Aber Dvensky war zufrieden. Der Anblick kampfbereiter Truppen und Fahrzeuge wärmte zwar wenig, aber er beruhigte enorm. Schließlich erreichte der Schatun die drei MTW’s, mit denen er sich der „Wand“ des Kessels, in dessen Zentrum sich die HPG-Anlage befand, genähert hatte. Die beiden anderen Kontrollteams erwarteten ihn bereits. Auch sie bestanden aus je drei Mann mit identischen Uniformen und Waffen. Dvensky ging eben auf Nummer Sicher. Ein knapper Befehl genügte, und die drei Fahrzeuge setzten sich in Marsch, ständig ihre Position im Konvoi verändernd. Zu dieser Zeit und angesichts der Umstände gehörte die Straße ihnen allein.

Eine Stunde später

Der Herrscher Bryants hielt die Hände über den Heizkörper. Für einen Augenblick genoß er die Wärme. Auch wenn er sich nach außen stets den Anschein der Unermüdlichkeit und Stärke, ja Härte gab – die Arbeit zehrte natürlich auch an seinen Kräften, und vor allem die letzten Wochen hatten ihm einiges abverlangt. Vor allem, was Geduld und Nerven betraf. Nun, das brachte die Herrschaft in solchen Zeiten eben mit sich.
Er drehte sich wieder um und musterte seine Vertrauten. Für einen Augenblick runzelte der Herrscher leicht die Stirn, als sein Blick dem seiner Luftwaffenchefin begegnete. Sie hatte soeben ihren Vortrag beendet. Die verbliebenen Maschinen waren einsatzbereit, und die notgelandete feindliche Transgressor wurde mit Hochdruck repariert. Ihre Worte waren knapp und präzise gewesen, und eigentlich war auch der Inhalt den Umständen entsprechend zufriedenstellend. Dennoch...er sah sie nicht gerne hier. Dvensky wäre es lieber gewesen, sie hätte sich weiterhin ausgeruht – ihr Absturz war noch nicht lange her, und auch wenn sie keine ernsteren Verletzungen erlitten hatte... Natürlich ließ sie sich nichts anmerken, aber eben das gefiel ihm nicht sonderlich. Nicht zum ersten Mal kollidierten seine persönlichen Gefühle für sie mit den Anforderungen seines und ihrer Position. Aber die Pflichten duldeten einfach keinen Aufschub, und er wußte das mindestens so gut wie sie. Das fiel freilich nicht immer leicht, und diesmal hatte er sie dringend aufgefordert, sich zu schonen.
Aber in der Hinsicht war er , auch dies nicht zum ersten Mal, sowohl an ihrer Hartnäckigkeit als auch an der Logik ihrer Argumente gescheitert. Die Zeit war einfach nicht danach, „Urlaub“ zu machen. Also hatte er sich dreingefügt. Wenn er ehrlich war – vielleicht revanchierte sie sich so für frühere Ereignisse, als er derjenige gewesen war, der sich exponiert hatte, obwohl es nicht klug gewesen war. In der Hinsicht waren sie sich ähnlich, auch wenn er mehr Ehrgeiz aufwies – und vermutlich sowohl gegen sich als auch gegen andere weniger Skrupel. Nun, auch das war offenbar eine Basis für eine glückliche Beziehung, in dienstlicher wie privater Hinsicht...
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln, das sie mit leichtem Spott erwiderte. Dann wanderte sein Blick weiter.

Die Innenministerin wartete – wie so oft – nicht erst ab, bis er sie zum Sprechen aufforderte. Ihre Stimme klang wie immer ruhig, fast etwas trocken: „Die Proteste gehen planmäßig weiter. Wir könnten die Lage natürlich weiter verschärfen, doch ich rate momentan davon ab. Illoyale Elemente und Provokateure haben wir selbstverständlich herausgefischt und sichergestellt.“ Dvensky nickte leicht. Er wußte, es wurmte die „Spinne“ immer noch, daß sie das Attentat nicht verhindert hatte.
„Wie wird der Zwischenfall denn eigentlich aufgenommen?“ fragte er. In seinen Worten war keine bewußte Schärfe, aber es war klar, daß die Majorin dies als sanfte Anklage auffassen mußte. Immerhin war sie die Chefin der Gegenspionage. Es war auch ihr nicht ganz klar, wer eigentlich hinter dem Anschlag steckte. Sie war jedoch der Meinung, daß es sich kaum um einen erfundenen Zwischenfall handeln konnte, und auch die Söldner selber steckten wohl kaum dahinter. Bei Com Star – beiden Fraktionen – sah die Sache aber anders aus. Beiden bedeuteten die Soldknechte vermutlich wenig, auch ihren Auftraggebern. Und wenn sie einen Zwischenfall inszenieren wollten...
„In der Bevölkerung tun unsere Gerüchte ihr Werk. Viele glauben, die ganze Sache wäre eine Erfindung der Söldner oder ihrer Auftraggeber. Aber natürlich gibt es auch Leute, die andere Möglichkeiten für denkbar halten. Wir haben da auch noch das Gerücht ausgestreut, möglicherweise würde ein flüchtiger Verbrecher hinter der Tat stecken. Immerhin könnte er sich Vorteil von einem Zwischenfall versprechen, oder er könnte gewillt sein, Com Star für ihre Zurückhaltung zu bestrafen.“ Es war klar, daß sie dies nicht glaubte – aber das hinderte sie natürlich nicht daran, entsprechende Gerüchte auszustreuen.
Dvensky nickte nur. Er wollte das Rätselraten um die Hintergründe nicht wieder anfachen. Der Attentäter war tot, und dank der gewohnt grobschlächtigen Vorgehensweise der Söldner – mit Kanonen auf Spatzen schießen war wohl noch eine gelinde Bezeichnung – waren weitere Untersuchungen an der Leiche oder der Waffe unmöglich. Der Mann, wenn es einer gewesen war, was nicht als selbstverständlich betrachtet werden konnte, Dvensky selber hatte in seinen Truppen etliche weibliche Scharfschützen, hatte offenbar versierte technische Kenntnisse besessen. Nur so hatte er die technischen Überwachungssysteme ausschalten können, die in dem Haus postiert worden waren. Dvensky hatte das Gebäude mit Richtmikros und Objektiven versehen lassen, aber auf menschliche Beobachter verzichtet, um einen Zwischenfall zu vermeiden. Jetzt tat es ihm leid.

„Ich hoffe doch, wir lassen die Sache nicht zu weit gehen.“ meinte die Schwester des Herrschers. Sie wirkte hochgradig nervös. Die Aussicht auf eine weitere Schlacht in ihrer unmittelbaren Nähe behagte ihr gar nicht. Sie wäre wohl lieber in Tscheljabinsk gewesen, wo sie den Wiederaufbau zu koordinieren hatte. Aber im Augenblick brauchte Dvensky sie hier. Was sie damit sagen wollte, war klar. Wenn die Söldner verrückt spielten, würden sie ein Blutbad unter den Demonstranten anrichten. Ihr Bruder schüttelte den Kopf: „Auf keinen Fall. Wir wollen sie unter Druck setzen – aber wann es kracht, das müssen wir entscheiden.“
Er sah ihr an, daß sie keineswegs zufriedengestellt war. Die Demonstrationen waren ein Spiel mit dem Feuer und riskanter, als es Dvensky lieb war. Aber wenn er nicht auf einen direkten Angriff setzen wollte, waren sie die beste Möglichkeit, seine Gegner – nichts anderes waren die Chevaliers mehr für ihn – in Atem zu halten. Und dazu gaben ihnen die Proteste keinen Vorwand, sondern brachten sie vielmehr in Erklärungsnöte. Sein Lächeln wirkte nicht ganz echt, aber hier brauchte er sich selten zu verstellen, und tat es auch kaum: „Mir wäre es auch lieber, wenn das alles hinter uns läge und ich wieder ungestört schlafen könnte.“
Aus irgend einem Grund errötete Natalija Dvenskya leicht und blickte zur Seite. Vielleicht glaubte sie, ihr Bruder machte einen Witz auf ihre Kosten oder spielte auf etwas an. Doch der ging darüber hinweg. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders.

Seit genauere Nachrichten aus Leipzig eingetroffen waren, hatte der Diktator die Vorstellung, die Chevaliers seien lediglich als Wachhunde Com Stars nach Bryant gekommen, oder nur ein Teil der Truppe stecke hinter den Vorfällen, restlos verworfen. Für ihn – und ebenso für seinen Stab – war klar, daß die Söldlinge ein doppeltes Spiel spielten, um Bryant zu berauben. Was sie sonst noch an feindseligen Handlungen vorhatten, das war freilich noch nicht abzusehen. Aber Dvensky fürchtete das Schlimmste. Allerdings traute er seinen „Freunden“ auch nicht sehr weit. Die Crusaders hatten ihn verraten – Söldnerabschaum eben. Sie waren ohne eine glaubwürdige Erklärung abgezogen. Alles was sie ausgerichtet hatten, waren offenbar Blechschäden an einigen Chevaliersmaschinen gewesen. Soviel zu ihrer angeblichen Qualität. Nun, er hatte ihnen ein paar nette Abschiedsgrüße hinterher geschickt, und getan was er konnte, um sie zumindest etwas auf Outreach in Mißkredit zu bringen. Viel würde es wohl nicht bringen. Die aufgeblasenen Affen und Kanistergeburten, die sich Wolfs Dragoner schimpften, gaben oft nicht viel auf Beschwerden kleinerer Herrscher – eine Krähe...
Aber das war noch längst nicht alles. Dvenskys Truppen in Leipzig berichteten von unübersichtlichen Schießereien, in die offenbar Mechs von Blakes Wort verwickelt waren. Die Infanterie hielt sich bisher befehlsgemäß heraus, meldete aber Sichtungen an die Ordenstruppen weiter. Es war mehr als wahrscheinlich, daß die Truppen der Gralshüter alter „Ideale“ Com Stars eigene Interessen verfolgten. Zudem waren ihre Mitteilungen an Dvensky mehr als dürftig. Aber er mußte sich das gefallen lassen – einen richtigen Streit durfte er einfach nicht wagen, schon gar nicht jetzt. Dem Diktator war klar, daß die Lage drohte immer mehr aus seiner Hand zu gleiten. Er mußte um jeden Preis verhindern, daß eine der Seiten hier völlig das Ruder übernehmen konnte. Das war sowieso schon immer sein Alptraum gewesen, seit er sich selbständig gemacht hatte. Zwar hatte er Verteidigung und Untergrundkampf vorbereiten lassen, aber ein massiver Angriff konnte ihn sein ganzes Lebenswerk und sein Vermächtnis an seine Kinder kosten. Und es brauchte nicht einmal sehr viel, verglichen mit den Möglichkeiten der großen Mächte.

Aber Ängste konnten nur warnen, sie durften nicht lähmen – ebenso wie Träume anspornen, aber nicht blenden durften. Er konnte nur tun, was in seiner Macht lag.
„Ich denke, es wäre von Vorteil, wenn wir sichergehen könnten, daß die Söldner etwas vorsichtig sind.“ Dvensky sprach nachdenklich, er hatte diesen Gedanken im Innersten Zirkel schon des öfteren erwogen. „Wenn wir ein paar ihrer Leute wegen krimineller Übergriffe oder ähnlichem verhaften könnten...“
Auch das war ein Wagnis. Wer garantierte, daß es nicht zur Eskalation kam? Danton schien mit wahrer Affenliebe an seinen Totschlägern zu hängen, und inwieweit er rational handelte, war für Dvensky unsicher. Jedenfalls unsicherer als ihm lieb war. Andererseits – ein Faustpfand war genau das, was er brauchte. Sollte etwas über die Schießereien in Leipzig durchsickern, dann würde der Söldnerführer vermutlich sofort losschlagen. Immerhin wußte er, daß Dvensky mit Blakes Wort liiert war, und würde eine Beteuerung des Diktators, von nichts gewußt zu haben, wohl ebenso wenig glauben wie der Herrscher Bryants im umgedrehten Falle. Dann würde es darauf ankommen, was Dvensky gegen ihn in der Hand hatte – und wie hart und schnell er zuschlagen konnte. Auch dies war ein Grund, wegen dem jegliche Kommunikation der Söldner nach „draußen“ strickt überwacht wurde. Im Zweifelsfall würde es um Minuten gehen, und der Diktator hatte in den letzten Wochen kaum noch richtig geschlafen, da er jeden Augenblick mit dem entscheidenden Anruf rechnen mußte. Er mußte einfach etwas unternehmen!
Der Herrscher straffte sich: „Major Jegorowa – Sie haben Ihre Befehle. Leiten Sie alles notwendige in die Wege. Was uns andere angeht – wir können uns nur bereit machen.“ Er brauchte nicht auszusprechen, was auf dem Spiel stand, denn das wußten sie alle ohnehin. Und er wußte, auf ihre Entschlossenheit konnte er sich verlassen.
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