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Zum Ende der Seite springen OT: Mein Gott, meine Göttin 2 Bewertungen - Durchschnitt: 10,002 Bewertungen - Durchschnitt: 10,002 Bewertungen - Durchschnitt: 10,002 Bewertungen - Durchschnitt: 10,002 Bewertungen - Durchschnitt: 10,00
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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
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Mein Gott, meine Göttin
Erster Chapter

Prolog:
Die Erde. Ein blau schimmerndes Juwel in den Weiten des Alls.
Nun, es ist nicht ganz die Erde, die wir kennen. In vielem gleicht sie unserem Planeten. Aber ein gewichtiges Detail macht sie beinahe zu einer fremden Welt: Es gibt Götter auf ihr!
Es sind insgesamt vier Stämme oder Clans von Göttern, die sich die Erde mehr oder weniger friedlich teilen. Daneben unterscheiden sich diese äußerst realen Götter nicht besonders von den Menschen, abgesehen von ihrer Macht.

Diese Götter siedeln meistens in einer Dimension, die sie Obere Ebene nennen. Einige sind auch in der Mittleren Ebene zu finden, einen Bereich, der eigentlich den Dämonen gehört, die aber schon vor Jahrhunderten von den Göttern nahezu ausgerottet wurden.
Auf der Unteren Ebene, unserem Planeten, sind Götter eher selten anzutreffen. Aber durch ihre Taten auf der Oberen Ebene und gelegentliche Eingriffe auf der Unteren Ebene sind sich die Menschen ihrer Existenz immer gegenwärtig. Wobei sich oftmals die Aktionen der verschiedenen Götter gegenseitig aufheben.
Damit die Götter auf der Unteren Ebene aktiv sein können, was einige von ihnen überhaupt nicht wollen, benötigen sie Menschen, die ihren Lehren folgen.
Dabei gibt es solche und solche Götter, ebenso wie es Dutzende Typen von verschiedenen Menschen gibt.
Im Lauf der Jahrhunderte hat sich aber eine recht schwammige Aufteilung der Welt ergeben.
Der Stamm der Lüfte residiert hauptsächlich in Nordamerika, unterhält aber auch durch einzelne Götter des Clans vertreten Enklaven in Asien.
Südamerika ist dem Clan des Feuers vorbehalten.
Asien und Ozeanien sind fest in der Hand des Stamms des Wassers.
Und Afrika wird geführt vom Clan der Erde.
Manchen wird es wundern, wo Europa in dieser Aufstellung bleibt.
Aufgrund einer Geschichte, die von der unseren nicht sehr weit entfernt ist, hat sich Europa recht ähnlich entwickelt, wie wir es kennen. Europa ist nun ein sehr toleranter Ort, an dem der Tempel jedes Gottes geduldet wird. Dasselbe gilt für Australien, welches vor Jahrhunderten von Europäern besiedelt wurde, nun aber unabhängig ist.
Und in Europa, in einem Land, das dem heutigen Deutschland sehr ähnlich ist, beginnt ein neues Kapitel der Geschichte…

1.
Ralf hatte es nicht leicht. Vor allem Zurzeit nicht. Erst war er aus seinem Elternhaus geflogen, dann hatte ihn keine Studentenverbindung aufnehmen wollen, vom Wohnheim mal ganz zu schweigen. Und dann hatte er auch noch in dieses überteuerte Hotel ziehen müssen.
„Das kann ja auch nur wieder dir passieren“, brummte der junge Student, zog die Fernbedienung zu sich heran, um den Kanal auf dem winzigen Fernseher zu wechseln und fläzte sich auf das klapprige Bett. „Ausgerechnet wenn du es am wenigsten brauchen kannst, fällt deinen Eltern ein, dass du eigentlich längst auf eigenen Füßen stehen solltest. Und das ohne Stipendium, ohne Reserven, ohne Job.“
Eine leise, aber extrem nervende Stimme in seinem Hinterkopf informierte Ralf immer wieder darüber, dass Fernsehen in dieser Krise nicht die richtige Vorgehensweise war – und Talkshows schon gar nicht!
Vielmehr, so die Stimme, sollte er besser zu den Göttern beten, dass ihm eine Lösung für sein Finanzproblem einfallen würde. Immerhin war ein Studium allein durch die Nebenkosten sehr teuer.
„Götter“, brummte er. „Was können die schon helfen? Was kümmert die ein Normalsterblicher wie ich?“
Als hätte er damit ein Signal gegeben, verfinsterte sich der kleine Raum, der Fernseher fiel aus. Die Wanduhr reagierte auf das Geschehen, indem sie ihre drei Zeiger in einem irrwitzigen Tempo rotieren ließ.
Und Ralf war mittendrin und starrte auf den plötzlich vor seinem Bett entstehenden rot leuchtenden Energiewirbel. Was zu den Göttern war das?

Plötzlich blendete Ralf ein Blitz. Kleine Sterne tanzten vor seinen Augen, und sein Gehirn informierte ihn darüber, dass er genau so gut in einen Fünfhundert Watt-Scheinwerfer hätte sehen können, das Ergebnis wäre das gleiche gewesen.
Ralf blinzelte, drückte die Lider zusammen und blinzelte wieder. Langsam wurde sein Blick wieder klarer. Zuerst sah er wieder Helligkeit, dann Schatten. Verschwommen erkannte er eine weiße Gestalt, die vor dem Fernseher stand. Ralf blinzelte erneut, und noch einmal.
Endlich sah er klar. Oder auch nicht, denn das, was da seine Sicht auf den - noch immer ausgeschalteten – Fernseher blockierte, konnte nicht wirklich da sein.
Oder doch? Nein. Das war unmöglich wahr.
Dennoch sah er es. Eine Auswirkung des Lichtblitzes? War er in Ohnmacht gefallen und träumte jetzt?
„Ähemm“, räusperte sich das Objekt seiner Verwirrung.
Ralf sah auf. „Ja?“
Die Gestalt reckte sich. Ralf sah vor sich eine gut eins siebzig große junge Frau in weißer Kleidung, eine Art Tunica. Ihre Augen waren blau, das kurze Haar blond und der Körperbau recht ansprechend – hätte dieser Frauenkörper nicht die dumme Angewohnheit gehabt, plötzlich den Platz mit einem jungen Mann zu wechseln, genau so groß, ebenfalls blond und eher schmal gebaut.
Außerdem umgab die Gestalt – oder die Gestalten – ein merkwürdiger, silberner Schimmer.
Ralf gestand sich ein, dass sie beide attraktiv wirkten, sowohl der Mann als auch die Frau.
„Darf ich dein Gott sein?“, fragte die Gestalt, diesmal als junge Frau.
„Bei Herress und Trema“, fluchte Ralf unbeherrscht.
„Oh, du hast schon Götter“, sagte die Frau enttäuscht. „Das ist aber merkwürdig. Dich umgibt gar keine Aura.“ Sie wechselte in den Männerkörper.
„Götter? Mit denen habe ich nichts am Hut. Ich bin nicht mal geweiht. Ha, Götter. Verlangen viel und geben nichts.“
„Oh“, machte der junge Mann. „Das ist gut. Darf ich dann dein Gott sein?“
Ralf kam die Absurdität des Augenblicks mit der gleichen Kraft ins Bewusstsein, die ein Vorschlaghammer mit der Aufschrift UNWIRKLICH gehabt hätte. „Warum willst du mein Gott sein?“, rief er verzweifelt.
Der junge Mann wechselte wieder mit der Frauengestalt. Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und schien nachzudenken. „Hm, das ist eine gute Frage. Weißt du, ich bin ein Gott. Na ja, noch nicht ganz. Aber so was ähnliches.“
„Ein Nachwuchsgott?“, half Ralf aus.
„Ja!“, rief die Göttin erfreut. „Das ist es. Ich bin ein Nachwuchsgott.“
„Und?“, fragte der junge Mann und forderte die ungewöhnliche Besucherin dazu auf, weiter zu reden.
„Nun, es ist so…“, brummte sie und wechselte wieder in den Männerkörper, „meine Eltern meinten neulich zu mir, ich solle endlich auf eigenen Beinen stehen. Und der erste Schritt in diese Richtung ist ja, sich auf der Unteren Ebene zu engagieren.“
Der junge Mann hob dozierend den Zeigefinger. „Die Untere Ebene, so nennen wir deine Welt, oder besser die Dimension, in der du existierst.“
„Gut zu wissen. Und du kommst dann von der Oberen Ebene?“
„Genau.“ Der junge Mann strahlte. „Die Ebene der Götter. Zumindest der Götter, die es nicht vorziehen, in der Unteren Ebene oder der Mittleren Ebene zu existieren.“
„Hm, und das willst du jetzt? Auf der Unteren Ebene existieren?“
Wieder wechselte der Gott den Körper und die junge Frau erschien. „Wie ich schon sagte, ich bin ein Nachwuchsgott. Um ein richtiger Gott zu sein, braucht man Menschen, die an ihn glauben, um es mal grob auszudrücken. Erst dann kann man herabsteigen und auf die Untere Ebene gelangen. Und dann Götterdinge tun und so.“
„Götterdinge?“ Ralf hob fragend die Augenbrauen.
„Na, Götterdinge eben. Was sie halt so tun, wenn sie nicht gerade unter den vier Stämmen Krieg führen oder so.“
„Ah ja. Du willst also Götterdinge auf der Unteren Ebene tun. Dazu brauchst du aber Gläubige. Die helfen dir dabei, herabzusteigen und dann bist du ein vollständiger Gott.“
„Wenn man es nicht zu genau nimmt, kommt diese Erklärung in etwa hin“, bestätigte die Göttin.

Ralf sagte für einige Zeit gar nichts. Er dachte nur nach. Das heißt, er machte ein nachdenkliches Gesicht und hoffte, sein neues Problem würde sich von selbst wieder lösen.
„Also“, nahm die Göttin den Faden wieder auf, „wenn man an einen Gott glaubt, umgibt ihn dessen Aura. Da du keine Aura hast, glaubst du auch an keinen Gott. Das heißt, du glaubst vielleicht schon an sie, aber du hast keinen Favoriten. Kann ich also dein Gott sein?“
Das war für Ralf der beste Beweis, dass er verrückt geworden war. Götter hin, Götter her, vom Clan der Erde bis zum Feuerstamm, so etwas konnte nicht wirklich passieren. Kurz entschlossen sprang Ralf auf und versuchte den Gott zu berühren.
Die junge Frau erschrak fürchterlich. „Du darfst mich nicht berühren. Solange ich nicht herabgestiegen bin…“
„Und wie soll ich wissen, ob du echt bist? Wie soll ich wissen, ob ich nicht gerade verrückt werde?“
Das machte die Göttin nachdenklich – und unachtsam. Ralf erwischte sie am linken Oberarm. Doch seine Hand glitt hindurch. Also wurde er doch wahnsinnig? Nein, er hatte zwar keinen Widerstand verspürt, aber da war etwas gewesen…Eine unwirkliche Wärme, die seine ganze Hand erfüllte.
Die Wärme wuchs an und umgab seine Hand als silbriger Schein. Der Schein schien zu wachsen und begann sich den Arm hochzuschieben.
„Deswegen!“, rief die Göttin vorwurfsvoll. „Da ich noch nicht herabgestiegen bin, existiere ich noch in der Oberen Ebene. Du hast mitten in mein Fluidum gegriffen. Meine auf die Untere Ebene projizierte Energie. Das kann dich töten, du Idiot! Haben dir das deine Eltern nicht beigebracht?“
Tatsächlich glaubte Ralf sich für einen Moment daran zu erinnern, etwas Ähnliches einmal von seiner alten Großmutter gehört zu haben. Berühre nie einen Gott.
„Danke“, hauchte er und sah, wie die Wärme seine Schulter erreichte. „Das hilft mir jetzt wenig.“
„Natürlich hilft es dir wenig. Mein Fluidum wütet jetzt in deinem Körper! Du stirbst, du Idiot! Sobald es dein Herz erreicht war es das!“ Die Stimme der Göttin schwankte zwischen Sorge und Zorn.
„Na toll“, murmelte Ralf und griff sich mit der anderen Hand an die Kehle, die sich plötzlich zugezogen zu haben schien. Eine ungewöhnliche Mattigkeit, ausgehend vom Fluidum, begann sich in seinem Körper auszubreiten.
In einem Anflug von Ironie dachte er daran, dass sich die Götter tatsächlich um seine Probleme gekümmert hatten. Wenn er starb, hatte er nämlich keine mehr.

„Jetzt hör mir gut zu. Richtig gut zu. Ich kann dir helfen und das Fluidum stoppen. Aber dazu muss ich herabsteigen! Verstehst du mich?“, redete die Göttin beschwörend auf ihn ein.
„Ja“, erwiderte Ralf mit matter Stimme.
„Und damit ich herabsteigen kann, musst du an mich glauben. Du musst versprechen, mir zu folgen. Verstehst du das? Und es muss schnell gehen!“
„Ja“, murmelte Ralf und schloss die Augen. Verrückt. Ein Gott stand vor ihm und verlangte von ihm, an ihn zu glauben, damit er auf die Untere Ebene herabsteigen konnte, weil er… Ja, was wollte der Gott gleich noch mal tun? IHM DAS LEBEN RETTEN!
Diese Erkenntnis ging wie ein Eisschauer durch seinen Körper. Erschrocken riss er die Augen auf. Was ihm nicht viel half, denn der Raum begann sich um ihn zu drehen. Und in der Mitte, wie in einem Kaleidoskop befand sich die Göttin.
Die Göttin. Seine Göttin. „Ich…“, begann er. Die Götter waren ihm immer egal gewesen. Die vier Stämme hatten ihm nichts gegeben, und er hatte nichts von ihnen verlangt. Aber dieser hier… Dieser hier würde sein Gott werden. Sein persönlicher Gott. „Ich…glaube an dich“, hauchte Ralf leise.
Das silbrige Leuchten um den Gott verschwand. Die junge Frau schien aus großer Höhe herab zu stürzen. Sie landete hart auf dem Fußboden, fing sich aber geschickt auf einem Knie und den Händen ab.
Sofort sah sie auf und fing den taumelnden Ralf auf, bevor er zu Boden stürzen konnte.
Die Müdigkeit wurde immer schlimmer. Der Student konnte die Augen kaum noch offen halten. Durch die schmalen Schlitze bekam er mit, wie sich das Gesicht der Göttin näherte.
„Ich gebe dir etwas Odem, das wird das Fluidum aufhalten“, sagte sie und legte ihre Lippen auf seine.
Wer konnte das schon behaupten? Von einer Göttin geküsst worden zu sein? Und außerdem von ihr das Leben gerettet zu bekommen – wenn man mal von der Tatsache absah, dass ihre Anwesenheit sein Leben erst in Gefahr gebracht hatte.

Jedenfalls wich die Müdigkeit, und auch die Wärme des Fluidums ging zurück. Mit jedem Moment ging es Ralf besser. Er machte die Augen auf und…Unterbrach den Kuss unsanft.
„Danke, dass du mir das Leben gerettet hast. Aber musstest du unbedingt wieder zum Mann werden, während du mich küsst?“, beschwerte sich Ralf vorwurfsvoll.
„Küsst?“ Der junge Gott dachte kurz nach. „Das Wort kenne ich nicht. Ich habe dir lediglich etwas Odem in eine Körperöffnung gehaucht. Ich dachte mir, in der Nase oder den Ohren würde es dir nicht ganz so gut gefallen.“
Entsetzt starrte Ralf den Gott an. „Darum geht es doch gar nicht! Du bist in deinen Männerkörper gewechselt! Während du mich geküsst hast! Wenn uns jemand gesehen hätte…“
„Ach“, sagte der Gott und winkte ab. „Ihr Menschen.“
Damit schien alles zu diesem Thema gesagt zu sein. Augenscheinlich nahm dieser Gott Ralfs Vorwurf nicht ernst. „Warum machst du das eigentlich?“
Der Gott wechselte wieder in die Frauengestalt und sah ihn an. „Was, bitte?“
Vorwurfsvoll deutete Ralf auf sie. „Na, das! Du hast schon wieder den Körper gewechselt.“
„Oh. Das.“ „Ja. Das.“
Die Göttin verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lachte unbeschwert. „Na ja, ich habe mich einfach noch nicht entschieden, ob ich als ein Mann oder als Frau auftreten will. Weißt du, beide Körper haben so ihre Vorteile und ihre Nachteile. Und wenn man sich auf eine Erscheinungsform festlegt, dann nimmt man auch diese Vorteile und Nachteile in Kauf.“
„Ja. Das ist ein Grund. Aber könntest du bitte bei einer Form bleiben? Wenigstens für eine Zeitlang? Und wie soll ich dich überhaupt anreden? Mein Gott, meine Göttin, oder hast du einen Namen?“
Die Göttin lächelte. Es war ein hübsches Lächeln, und Ralf beschlich der Verdacht, dass dieses gerissene unsterbliche Biest genau wusste, wie diese Erscheinungsform auf ihn wirkte. „Ich habe einen Namen. Aber der gilt nur auf der Oberen Ebene.“
„Hä?“ Verwirrt zwinkerte Ralf. „Wieso nur auf der Oberen Ebene?“
Immer noch lächelnd öffnete die Göttin den Mund. Einen Moment schien sie gar nichts zu sagen, dazwischen etwas helles, was wie Mako klang, nur um in einem hohen, beinahe schrillen Ton zu enden. „Deswegen. Wir Götter benutzen das gesamte Spektrum des Schalls für die Kommunikation. Ich habe dir gerade meinen vollen Namen gesagt. Aber du hast kaum etwas verstanden, richtig?“
„Ach so“, bestätigte Ralf und nickte.
„Wie heißt du eigentlich? Ich meine, ich kann dich ja nicht mein Gläubiger rufen.“
„Wobei das hier unten noch eine andere Bedeutung hat“, brummte Ralf im Selbstgespräch. „Was? Oh. T´schuldigung. Mein Name ist Ralf. Ralf Schneider.“
„Ralf Schneider. Ein netter Name.“ Die Göttin wurde wieder zum jungen Mann.
„Wenn ich dich richtig verstanden habe, willst du jetzt einige Zeit auf der Unteren Ebene verbringen, richtig? Oder öfter mal reinschauen. Dann brauchst du aber einen Namen. Ich meine, einen, den man auf der Unteren Ebene auch versteht. Wie wäre es mit Makoto?“
„Hm. Das ist aber ein asiatischer Name. Warum nimmst du keinen europäischen, sondern einen vom anderen Ende der Welt?“
„Na, weil die asiatischen Namen einen tollen Klang haben. Außerdem gelten sie manchmal sowohl für Männer als auch Frauen. Und ich will, dass Du einen Namen trägst, und nicht zwei. Das macht es leichter, wenn du wieder mal die Gestalt wechselst und so.“
Der junge Gott dachte nach. „Makoto also. Hm. Warum nicht? Er klingt ein wenig nach meinem richtigen Namen. Nehmen wir den, solange mir kein Besserer einfällt.“

„Gut. Du hast jetzt also einen Namen für die Untere Ebene und einen Gläubigen. Wie soll es weitergehen?“
„Solange du an mich glaubst, bekomme ich deinen Odem. Solange ich deinen Odem bekomme, kann ich auf die Untere Ebene herabsteigen.“
Wieder hob der junge Mann dozierend den Finger. „Odem ist eine Art Energie, die ein menschlicher Körper produziert und meistens ungenutzt an die Umgebung abgibt. Glaubt er aber an einen Gott, so kann er den Odem kanalisieren und dem Gott zur Verfügung stellen. Zum Beispiel mit einem Gebet oder einem tiefen Gedanken an seinen Gott.
Mit diesem Odem ist der Gott dann in der Lage auf der Unteren Ebene zu agieren. Dazu konvertiert er den Odem in göttlichen Odem. Und dieser Odem hat dir übrigens das Leben gerettet, Ralf.“
„Nett. Es war also meine eigene Energie.“
„Gereinigt, verstärkt und Zielgerichtet von mir eingesetzt“, erwiderte Makoto vorwurfsvoll.
Abwehrend hob Ralf die Arme. „Schon gut, schon gut. Du hast mir das Leben gerettet. Ich habe das nur festgestellt. Ich will nicht mit dir streiten.“
„Hm.“ Der Gott legte die Hand an die Schläfe und dachte nach. „Es wäre aber vielleicht nett gewesen, einen menschlichen Streit mit zu erleben. Wenn sich Götter streiten, dann geht es immer etwas laut zu. Neulich hat Capra vom Clan des Wassers mit Ausyl vom Stamm des Feuers gestritten. Man hat es noch bis zu mir gehört.“
Ralf riss die Augen auf. Der Streit zwischen Ausyl und Capra war ein Thema aus dem Geschichtsbuch. Übrigens Auslöser für einen Krieg zwischen Nihon und dem benachbarten Australien, der zwei Jahre dauerte. Das Ganze war nur schon hundert Jahre her.

„Wie alt bist du eigentlich, Makoto?“
„Was? Oh. Hm. In deinen Begriffen bin ich dreihundert und ein bisschen alt. Für einen Gott bin ich gerade mal aus den Kinderschuhen raus.“
„Dreihundert…“, stammelte Ralf. „Und ein bisschen“, fügte Makoto an.
„Na, für heute haben wir ja ne Menge geschafft. Ich habe einen Gläubigen, einen Namen und kann auf die Untere Ebene hinabsteigen.“
Er wechselte wieder in den Frauenkörper. „Das soll es dann erst mal gewesen sein. Ich steige auf die Obere Ebene zurück und erzähle mal meinen Eltern von dir.“
„Warte“, rief Ralf hastig, der befürchtete, dass Makoto so sang- und klanglos wieder ging. Vor allem wenn man die Lebenserwartung dieses Gottes in Betracht zog, wollte der junge Student doch in einigen Punkten gerne Klarheit haben. „Wann kommst du wieder?“
Die junge Göttin lächelte. Herzzerreißend süß, wie Ralf fand. „Ich komme Morgen wieder. Denkst du wirklich, jetzt wo ich endlich nach unten kommen kann, lasse ich mir diesen Spaß entgehen? Also. Bis dann.“ Makoto winkte zum Abschied.
Ralf sah seine Göttin – SEINE GÖTTIN – mit einer Mischung aus Verzweiflung und langsamen Verstehen an und winkte ebenfalls.
Wieder umgab Makoto dieser helle, silbrige Schein… Und sie verschwand.

Einen Augenblick später erklang ihre Stimme wieder und Ralf hatte gerade noch Gelegenheit, die Arme auszubreiten, um Makoto aufzufangen. Trotzdem trieb die Wucht ihres Aufpralls beide auf das alte Bett, welches protestierend unter der Belastung zusammen brach.
„Was vergessen?“, witzelte Ralf. Warum musste Makoto ausgerechnet als Frau zurückkommen? Und warum lag sie immer noch auf ihm?
Die Göttin indes strich sich über die Wangen und hielt Ralf ihre feuchten Hände hin. „Was ist das, Ralf?“
Der Student begriff. „Das sind Tränen. Sie kommen aus den Augen. Das nennt man weinen. Man weint, wenn etwas ins Auge gekommen ist, wenn man traurig oder sehr glücklich ist.“
Makoto nickte verstehend und weinte noch mehr. Sie drückte sich an seine Brust, und dem unglücklichen Ralf blieb nichts anderes übrig, als sie fest in seine Arme zu schließen.
„Ich“, schluchzte Makoto endlich, und Ralf war froh, dass sie sich nicht wieder in die männliche Form verwandelte, „ich darf nicht mehr aufsteigen.“
„Was?“ Erschrocken sah Ralf seine Göttin an.
„Meine Eltern haben es verboten. Sie haben gesagt, ich soll hier bleiben, auf der Unteren Ebene. Für eines deiner Jahre.“
„Oh“, machte Ralf. „Für ein Jahr gleich?“
Makoto nickte. „Damit ich lerne, was es heißt, ein Gott zu sein.“
Langsam richtete sich Ralf auf. Er wischte Makoto die Tränen von den Wangen und lächelte gezwungen. Nebenbei dachte er daran, dass er selbst schon genügend eigenen Ärger hatte und nicht auch noch den Ärger eines Gottes auf seine Schultern laden sollte. Aber dies war sein Gott. Das verpflichtete. „Hey, das ist doch gar nicht so schlimm. Das Leben auf der Erde wird dir gefallen. Am Ende willst du dann gar nicht mehr weg. Und ich bin ja immer da. Ich bin dein Gläubiger, dein Anhänger. Schon vergessen?“
Makoto schniefte und sah Ralf aus Tränenverschleierten Augen an. „Nein, habe ich nicht.“

Der junge Mann zog ein Taschentuch hervor und reichte es seiner Göttin. Als er sah, dass sie absolut nichts damit anzufangen wusste, benutzte er es selbst, um ihre Tränen abzuwischen. „Siehst du. Das ist doch ein Anfang. Da du jetzt ja einen menschlichen Körper hast, hast du auch menschliche Bedürfnisse. Dazu gehört auch Schlaf. Was denkst du darüber, wieder in die Männergestalt zu wechseln, und bis Morgen früh durchzuschlafen?“
„Schlafen? Werde ich dann auch träumen? Das ist nämlich eine ganz große Sache bei uns Göttern. Deswegen steigen viele der Älteren immer wieder auf die Untere Ebene hinab.“
Verlegen legte Ralf einen Arm an den Hinterkopf. „Tut mir leid, ich weiß leider nicht, ob Götter träumen. Ich habe auch absolut keine Ahnung, ob träumen dir Spaß machen wird, Makoto. Aber man muss ja alles…“
„Ahaaaa!“, erklang eine schneidend scharfe Stimme vom Eingang des Zimmers her. „Ein Bett zerstört und Frauenbesuch! Dies ist ein ehrenwertes Haus und kein Stundenhotel!“
Ralf sah herüber und erkannte den schmierigen Portier, bei dem er eingecheckt hatte. Zugegeben, das viele Geschreie und der Krach, mit dem das Bett zusammengefallen war, musste die anderen Gäste gestört haben. Und dann war dieser alte Schuft hier mit einem Nachschlüssel reingeplatzt. Na, danke.
„Das kann dieses Haus nicht verantworten. Verlassen Sie uns noch heute Nacht. Und das Bett…“
Ralf schluckte trocken. Auch das noch. Schadenersatz.
„Was ist mit dem Bett?“, fragte Makoto scheinheilig.
„Na, es ist…“, begann der Portier und schluckte hart. „Es ist… Ich meine, es war… Ich meine…“
Ralfs Kopf zuckte zur Seite. Das Bett war wieder heil. Und es schien in einem weit besseren Zustand zu sein, als er hier eingezogen war.
Der Portier wurde rot. „Nun, ja… Das ändert aber nichts daran, dass Sie das Zimmer räumen müssen. Und nehmen Sie Ihren Schatz mit.“ Wütend stapfte der Alte aus dem Zimmer.

Ralf wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das war knapp. Schadensersatzleistung hätte ich mir nicht mehr leisten können.“ Er sah Makoto an, die gerade wieder ein Mann geworden war. „Das warst du doch, oder?“
Der Junge lächelte. „Natürlich war ich das. Ich bin ein Gott, schon vergessen? Tote Materie zu verformen ist einfach für einen Gott des Erdclans. Vor allem, wenn es so wenig ist.“
Makotos Augen schienen plötzlich aus den Höhlen treten zu wollen. Er griff sich mit beiden Händen an den Magen. „Was… ist… das… für… ein… Schmerz?“
Für einen Moment erschrak Ralf. Obwohl ihn seit einiger Zeit eigentlich gar nichts mehr erschrecken dürfte. Nicht seit er einen Gott hatte. Aber dann begriff er. „Eine weitere Eigenschaft eines menschlichen Körpers. Hunger.“
„Hunger?“, argwöhnte Makoto, nur um kurz darauf zu strahlen. „Hunger? Du meinst, ich kann essen?“
Ralf stand auf, wurde sich für einen Moment bewusst, den männlichen Makoto in den Armen gehalten zu haben, schluckte seinen Ärger aber wieder herunter, weil er… oder sie… ihm geholfen hatte. „Das nehme ich doch mal stark an. Okay. Ich räume das Zimmer. Und dann gehen wir essen, ja?“
Makoto strahlte und wurde wieder zum Mädchen.
„Aber so nehme ich dich nicht mit“, kommentierte Ralf glucksend und deutete auf die Tunica seiner Göttin.
„Was hast du gegen meinen Ravir?“, murrte Makoto.
Ralf grinste und griff in seine Tasche. Er zog ein paar Sachen hervor und warf sie zu seiner Göttin aufs Bett. „Hier, das ist mein Trainingsanzug. Er dürfte dir etwas zu groß sein, aber wenigstens ist das bei dieser Kleidung egal. Du kannst die Hose am Bund mit dem eingezogenen Band raffen und die Ärmel hochkrempeln. Geh am Besten ins Bad dafür.“
Makoto sah ihn an und strahlte. „Danke. Ich glaube, wir zwei werden noch sehr gut miteinander auskommen, Ralf.“

Die Göttin verschwand im Bad und Ralf überdachte die Situation. Nun hatte er keine Unterkunft, nur noch wenig Geld und zudem eine zugegeben mächtige, aber absolut weltfremde Gottheit am Hals, die er auch noch ernähren musste. Aber wenigstens hatte er sich mit dem Trainingsanzug gewappnet. Falls Makoto noch einmal oder mehrmals die Gestalt wechseln würde, wäre dies egal.
Seltsamerweise verzagten ihn diese Gedanken nicht. Im Gegenteil. Die Situation machte ihm großen Spaß. Und der Rest würde sich finden. Woher er diese Sicherheit hatte, wusste er selbst nicht zu sagen. Aber sie war da. Und er wollte diese Sicherheit nicht wieder verlieren.

Nach einiger Zeit kam Makoto als Mann wieder aus dem Bad. Natürlich war ihm der Anzug etwas zu groß, immerhin war Ralf mit knappen eins neunzig größer und wesentlich breiter in der Schulter aber das schien den jungen Mann nicht weiter zu stören. Er grinste schief und warf Ralf seine Tunica zu. „Bewahr bitte den Ravir für mich auf, Ralf. Hm, ich dachte mir, als Mann passe ich am besten in dieses Kleidungsstück.“
Ralf nickte gewichtig, während er die Tunica auffing und in seiner mittlerweile gepackten Tasche verstaute. So konnte er wenigstens nicht abgelenkt werden.
Er half Makoto noch, in ein Paar viel zu großer Turnschuhe zu schlüpfen und fragte: „Was willst du eigentlich essen? Darfst du Fleisch essen? Gemüse? Wie steht es mit Alkohol? Verträgst du Milch?“
Makoto zuckte die Schultern. „Weiß nicht. Probieren wir es einfach aus. Überrasch mich am besten.“
Ralf überlegte einen Moment. „Ein paar hundert Real habe ich noch. Das reicht für ein südeuropäisches Restaurant. Komm, ich lade dich ein.“
„Real ist Geld, nicht wahr?“, fragte Makoto gerade heraus. „Sind ein paar hundert Real viel, Ralf?“
Traurig schüttelte der den Kopf. „Leider nein, Makoto.“
Dies verdüsterte die Miene des Gottes für einige Zeit.
„Verstehe“, brummte er mit trauriger Miene. Doch sofort grinste er Ralf wieder spitzbübisch an. „Aber das macht überhaupt nichts, Ralf. Meine Eltern haben mir versprochen, dass ich und mein Anhänger eine Starthilfe kriegen. Und meine Eltern halten, was sie versprechen.“
Einen Moment war Ralf versucht, nach Makotos Göttlichen Eltern zu fragen, aber er verkniff sich die Frage. Er kannte sich bei den Göttern kaum aus, und er wollte Makoto nicht verärgern, weil er mit den Namen seiner Eltern nichts anzufangen wusste.
„Na dann“, kommentierte er und hängte sich seine Tasche um. „Auf zum essen.“

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Ace Kaiser,
Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

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28.05.2004 22:19 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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Das südeuropäische Restaurant war so kurz vor Mitternacht nicht mehr besonders gut besucht. Aber Klingburg, die Hauptstadt von Mittreich, dem größten Staat von Europa, hatte die Angewohnheit, die Nacht zum Tage zu machen. Was bedeutete, dass dieses Restaurant seine ausländischen Spezialitäten bis weit in die Nacht servierte.
Und noch besser, die Küche würde noch bis weit nach Mitternacht warm sein.
Gut gelaunt – zu gut gelaunt, für die eigentlich auswegslose Situation, nahm Ralf an einem Tisch am Fenster Platz. Für einen Moment befürchtete er Komplikationen, eben jede Form von Komplikationen, die er mit Makoto im Gepäck haben konnte. Aber der Gott nahm ohne langes Nachdenken Platz und saß in einer geradezu steifen Pose.
Ein Kellner kam zu ihnen herüber und begrüßte sie freundlich. „Studenten?“, kommentierte er freundlich und reichte jedem eine Karte. Studenten, gerade um diese Uhrzeit waren eine Haupteinnahmequelle für solche Gaststätten.
„Staatliche Klingburg-Universität“, erwiderte Ralf leise und mit einem gewissen Stolz, an der besten der drei Universitäten der Hauptstadt eingeschrieben zu sein.
Ralf warf einen kurzen Blick in die Speisekarte und atmete erleichtert auf. Das Restaurant war wirklich auf Studenten eingestellt. Die Preise waren sehr moderat. Er würde mit hundert bis hundertzwanzig Real auskommen, falls Makoto nicht über einen Magen verfügte, der das Dreifache dessen vertrug, was sich Ralf bestellen wollte.
Aus großen Augen sah Makoto Ralf an. Kurz flackerte er, wurde für einen Moment zum Mädchen, nur um sich sofort wieder zum Jungen zu verwandeln. „Tschuldigung“, murmelte er. „Ich verwandele mich immer, wenn meine Stimmung entsprechend ist. Und wenn ich dir dumme Fragen stellen muss, bin ich eben lieber eine Frau. Das macht es mir leichter.“
Ralf wurde rot. „Äh, so darfst du nicht denken, Makoto. Es gibt keine dummen Fragen. Es gibt nur dumme Antworten. Was willst du denn wissen?“
Verlegen verschränkte Makoto beide Hände ineinander. „Bevor ich auf die Untere Ebene herab gekommen bin, habe ich euch Menschen gut beobachtet. Ich weiß also alles über eure Manieren, wie man isst und wie man trinkt. Soweit man das eben erkennen konnte. Aber eines habe ich nicht herausgefunden.“
Ralf sah seinen Gott fragend an. „Und das ist?“
Makoto druckste verlegen. „Wie viel isst man eigentlich?“
Ralf starrte seinen Gott an. Seine Kinnlade klappte nach unten.
„Eine berechtigte Frage, Makoto. Geh einfach davon aus, dass die meisten Gerichte in der Karte darauf ausgelegt sind, einen normalen Menschen wie dich oder mich zu sättigen. Außer es steht Getränk, Salat oder Vorspeise darüber.“
„Aha.“ Makoto klappte die Karte auf. „Was ist das denn? Nummer Neunzehn?“
„Pizza. Eine Art belegte Teigscheibe. Sehr lecker.“
„Und das hier? Nummer Siebenundvierzig?“
„Überbackene Tortellini. Tortellini sind Teigstücke, in die man Gemüse oder Fleisch eingefüllt hat. Das Ganze wird mit Käse überbacken. Auch sehr lecker.“
„Gibt es auch etwas in dieser Karte, was nicht sehr lecker ist?“, bemerkte der Gott amüsiert.
„Der Fisch“, kommentierte Ralf trocken. „Ich hasse Fisch.“
„Ich weiß gar nicht, ob ich auch Fisch hasse. Aber wenn er hier in der Karte steht, muss es Menschen geben, denen er schmeckt. Vielleicht gehöre ich ja dazu.“
Ralf grinste. „Finde es doch heraus, Makoto. Was willst du trinken?“
„Weiß nicht. Was trinkst du denn?“
„Ich wollte eigentlich ein Bier nehmen“, druckste Ralf verlegen. „Ich weiß aber nicht, ob es dir schmeckt. Die meisten Biere sind leicht bitter.“ `Und enthalten Alkohol, der betrunken macht´, fügte er in Gedanken hinzu.
Makoto grinste. „Vielleicht mag ich leicht bitter.“
„Na dann…“

Eine halbe Stunde später hatten sie ihre Bestellungen. Makoto aß mit sichtlichem Genuss. Und bestellte sich bereits das dritte Bier. „Ich mag leicht bitter“, stellte er fest.
Ralf indes machte sich doch Sorgen darum, dass sein Gott bereits angeschlagen sein könnte.
„Trink nicht soviel davon, Makoto. Du bist es nicht gewöhnt. Wir sollten uns sowieso lieber fragen, wie es ab hier weitergehen soll. Hast du irgendeine Idee? Du sagtest, du bist vom Clan der Erde. Kann dir einer der Tempel helfen?“
„Naaah, vergiss die Tempel. Die brauchen wir nicht. Wie ich schon gesagt habe, wir kriegen eine Starthilfe von meinen Eltern. Es müsste eigentlich jederzeit soweit sein.“
„Hier Ihr Bier, junger Mann.“ Der Kellner stellte das Getränk neben Ralfs Gott ab.
„Danke. Sie sind sehr freundlich.“
„Das sollte man auch sein, immerhin seid Ihr Studenten die Hoffnungsträger unserer Zukunft, oder?“
Ralf glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, aber der Kellner schien seine Worte durchaus ernst zu meinen. „Vielleicht, wenn wir die Gelegenheit bekommen, etwas zu bewegen“, erwiderte Ralf verlegen.
„Da bin ich sicher. Ich kenne eine Menge Studenten. Aber Ihr zwei… Haltet mich nicht für verrückt, aber ich glaube, Ihr seid für Großes bestimmt. Ihr habt großes Talent…“ Der Blick des Kellners fiel auf Ralfs Tasche, aus der ein Ärmel von Makotos Tunica hervorragte. Sofort ging der Kellner auf die Knie und öffnete sie ganz.
„Heyy“, beschwerte Ralf sich.
Da hatte der Mann aber bereits die Tunica ausgepackt. „Ein Ravir. Bei den Erdgöttern, ein echter Ravir! Wie kommt Ihr an so etwas?“
Makoto wollte dazu etwas sagen, aber Ralf trat ihn unter dem Tisch.
Erschrocken wechselte der Gott in seine weibliche Erscheinungsform, tauschte aber wieder mit dem Mann, als er Entsetzen in Ralfs Augen glimmen sah.
„Ein Erbstück“, erwiderte Ralf leise. „Ein uraltes Erbstück.“
„Das ist unglaublich. Götterkleidung ist unter Sammlern Zehntausende wert. Mein Onkel ist ein Antiquitätenhändler. Er würde euch für diesen perfekt erhaltenen Ravir bestimmt, sagen wir hundertzwanzigtausend Real zahlen.“
Makoto lächelte triumphierend. „Hundertzwanzigtausend Real sind eine Menge“, sagte er.
„Ja, das sind sie“, sagte Ralf entgeistert. Das dürfte für ihn und Makoto locker reichen, um das Jahr einigermaßen bequem hinter sich zu bringen. „Aber ich kann ihn nicht so ohne weiteres verkaufen.“
„Ich schon“, mischte sich Makoto ein. „Sagen wir hundertfünfzigtausend, und wir sind im Geschäft.“
Der Kellner besah sich die Tunica genauer. „Das Zeichen des Erdclans ist auf der Brust. Ich komme aus Afrika. Dort ist der Erdclan sehr stark. Er wird sehr verehrt. Mein Onkel wird diesen Preis sicher zahlen, auch wenn er hoffnungslos überteuert ist.“
Makoto verschränkte zornig die Arme vor der Brust. „Von wegen. Hundertfünfzig ist noch viel zu billig. Eigentlich müssten wir das Dreifache fordern.“
Der Kellner senkte den Blick für einen Moment. Als er wieder aufsah, grinste er. „Ertappt. Okay, ich rufe ihn an. Wenn alles gut geht, zahle ich euch noch in dieser Stunde bar aus.“
Ralf bekam große Augen. Zumindest die Geldsorgen waren erledigt.
„Ach, Ralf bekommt noch ein Bier“, stellte Makoto fest. „Selbstverständlich lädst du uns ein, nicht wahr? Die Provision, die du bekommen wirst, ist schließlich nicht von Pappe.“
Wieder grinste der Kellner. „Ihr beide seid mir ja zwei abgekochte Halunken. Natürlich lade ich euch ein. Und? Willst du auch noch ein Bier?“
„Nein, danke. Ich habe das hier ja noch nicht mal angefangen.“
„Na, vielleicht später. Ich gehe mal schnell telefonieren.“ Sorgfältig faltete der Kellner den Ravir und legte ihn in die Tasche zurück.

„Geldsorgen erledigt“, kommentierte Makoto.
„Bleibt noch die Unterkunft. Und überhaupt, was willst du das ganze Jahr überhaupt machen?“
„Ich dachte, wir bleiben so weit es geht zusammen. Ich habe euch Menschen zwar lange beobachtet, aber ich werde oft deine Hilfe brauchen, wenn ich mich nicht zu sehr blamieren will.
Dieses studieren klingt doch gut. Dazu hätte ich schon Lust.“
Ralf nickte. „Ja, das wäre eine Möglichkeit. Dann sollten wir zusehen, dass wir etwas in der Nähe von meinem Campus kriegen. Eine Unterkunft, meine ich.“
In diesem Moment wurde die Tür des Restaurants aufgerissen und ein dicker und kurzatmiger Mann trat ein. Ihm folgte ein hochgeschossener und wesentlich besser trainierter Junge.
„Ralf“, japste der Dicke und ging in die Hocke. „Ralf Schneider, endlich finden wir dich.“
„Markus“, rief Ralf überrascht. „Anselm!“ Markus Holt war einer seiner Studienkollegen in Geschichte und Geographie. Sein Begleiter, Anselm Stein, teilte mit Ralf die Sportkurse.
Verlegen legte der Große den linken Arm hinter den Kopf. „Ralf, das heute Morgen tut uns furchtbar leid. Weißt du, es war ein Riesenfehler von uns, dich nicht in unsere WG aufzunehmen. Dabei wissen doch sowohl Markus als auch ich, dass du ein anständiger und ordentlicher Student bist. Wir…“
Ralf verstand. Verstand mit der Gewissheit eines Mannes, der in einem dunklen Zimmer das Licht eingeschaltet hat. „Der Andere hat abgesagt, was?“
Markus grinste schief. „Anselm, ich habe dir gleich gesagt, wir machen es auf die ehrliche Art. Ja, du hast Recht. Der Auslandsstudent hat abgesagt, und nun brauchen wir so schnell es geht einen Nachfolger, sonst werden unserer WG für das laufende Semester die Zuwendungen gestrichen.“
Makoto sah erneut triumphierend herüber. Er hob Mittel- und Zeigefinger und deutete damit eine zwei an. Problem zwei gelöst.
Ralf dachte darüber nach. Und wollte ablehnen. „Wisst ihr, ich lasse euch ja nicht gerne hängen, Jungs, aber…“
„Das ist aber noch nicht alles“, gestand Markus. „Der andere ausländische Student, der den Neuen an uns vermittelt hat, hat ebenfalls abgesagt. Wir haben jetzt also zwei leere Zimmer. Und das kriegen wir dieses Semester nicht so schnell belegt.“
„Ich nehme es“, kommentierte Makoto trocken und nahm einen Schluck Bier. „Ich wollte mich Morgen sowieso einschreiben. Ein toller Zufall, dann brauche ich nicht lange nach einer Unterkunft suchen.“
„Phantastisch!“ Markus sprang trotz seiner Fettleibigkeit flink in die Höhe und schüttelte den beiden die Hände. „Das sind doch tolle Neuigkeiten! Willkommen in unserer WG! Wie wäre es, kommt doch nach dem Essen einfach mal zu uns rüber, und ich stelle euch den Rest vor.“
Ralf klappte der Kinnladen herab. So einfach war das also.
Starthilfe. Das hätte er allerdings schon öfter gebrauchen können. Machte es etwa doch Sinn, an Götter zu glauben?

Der Kellner kam an den Tisch zurück. „Hundertfünfzig, okay. Und das Essen geht auf mich.“ Er stellte ein Tablett mit kleinen Gläsern auf dem Tisch ab. Es waren fünf. „Ein gutes Geschäft soll man begießen. Ich dachte mir, eure Freunde wollen vielleicht auch einen. Keine Bange, es ist nur ein Likör.“
Interessiert griff Makoto zu. „Ich bin gespannt, ob mir das schmeckt.“
„Im Moment schmeckt dir ja noch alles, oder?“, kommentierte Ralf spöttisch und ergriff ebenfalls ein Glas.
„Mein Name ist übrigens Giorgio. Prost.“
Die fünf prosteten sich zu und tranken.
„Nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht.“ Makoto leckte sich über die Lippen. „Wie viele kann man davon trinken, Giorgio?“
Der Kellner verzog die Miene zu einem Lächeln. „Einer mehr wird schon nicht schaden.
Ach ja, das Geld ist unterwegs.“
„Den nehmen wir noch mit“, beschloss Markus. „Und dann gehe ich mal kurz telefonieren, um den anderen Bescheid zu sagen. Mann, Ralf, damit helfen du und dein Kumpel uns echt aus der Patsche.“
„Makoto. Mein Name ist Makoto.“
„Makoto. Nur Makoto?“, fragte Markus.
Hilflos sah der Gott zu Ralf herüber. Nachnamen, damit war er eindeutig überfordert.
„Yama“, half Ralf aus. „Makoto Yama.“
Dies war das Stichwort für den Kellner. Er kam mit neuen Gläsern und einem prall gefüllten Kuvert zurück. Das Kuvert landete auf dem Tisch, die Gläser gingen reihum.
„Auf die Zukunft“, sagte Georgio nur.
„Auf die Zukunft“, erwiderten die vier.
**
Klingburg lag nicht nur sehr zentral in Mittreich und bot somit allerbeste Verkehrsanbindungen sowohl in Nord/Süd- als auch Ost/West-Richtung, die Hauptstadt war auch einiges gewohnt. Diverse Eroberungsfeldzüge, Dutzende Flüchtlingsströme, einige industrielle und kulturelle Revolutionen. Damit einher ging in Klingburg eine gewisse Toleranz gegenüber anderen. Unter dem Motto: Die passen sich schon an, wenn sie erst mal da sind, begegneten die Klingburger den meisten Fremden mit offenen Armen, infizierten sie mit ihrer Lebensphilosophie, übernahmen was immer sie gebrauchen konnten vom Wissen und den Gewohnheiten ihrer Gäste und vielen Fällen neuen Bürgern, was zu einer sehr vielschichtigen Stadt geführt hatte. Bestes Beispiel für diese allgegenwärtige Toleranz waren die Tempel.
Alle vier Clans hatten hier einen Haupttempel, in dem die Gläubigen beten – oder sich beschweren konnten, wenn sie der Meinung waren, ihr Gott wäre nicht mit dem nötigen Ernst bei seiner Aufgabe.
Dazu kamen etliche kleinere Tempel, Schreine und Kapellen, die meist einzelnen Göttern aus den vier Stämmen geweiht waren. Nur der Clan des Feuers war hier etwas in der Unterzahl. Der Clan verfügte lediglich über den Haupttempel und eine kleine Kapelle am Stadtrand, die dem Gott Ausyl geweiht war. Denn wenn man auch das Feuer an sich verehrte, so traute man ihm doch auch nicht ganz. Bei aller Toleranz waren die Klingburger dem Stamm des Feuers gegenüber eher skeptisch eingestellt. Wenngleich die Glaubensgemeinde des Feuerclans auch nur klein war, es blieb eine Enklave inmitten der Stadt. Und Ausyl, einer der ranghöheren Götter galt als nachsichtig zu seinen Gläubigen, aber auch sehr rechthaberisch, um nicht zu sagen, jähzornig.
Aber solange man das Problem mit konsequentem Ignorieren und einem Dutzend Tempel der anderen Götter in allernächster Nähe zum Haupttempel des Feuers regeln konnte, umso besser. Außerdem war Südamerika groß, und Klingburg nicht die einzige Enklave in der Welt. Was die Hoffnung schürte, dass die Feuergötter sowieso keine Gelegenheit oder Lust hatten, um sich um Klingburg zu kümmern. Außer, es geschah etwas Ungewöhnliches.
Etwas sehr Ungewöhnliches…

2.
Eine halbe Stunde später betraten Ralf und Makoto ihr neues Zuhause. Es war eine alte, ehrwürdige Villa, wie sie in diesem Viertel zur Jahrhundertwende zu Dutzenden gebaut worden waren. Die weiten Salons im Erdgeschoss und das Dutzend Zimmer im Ersten Stock waren geradezu dafür geeignet, eine Wohngemeinschaft aufzunehmen. Wenngleich diese für Studenten geradezu luxuriösen Räume ohne Beihilfen der Uni undenkbar gewesen wären.

Im ehemaligen zum Fernsehraum umfunktionierten Speisesaal im Erdgeschoss hatten sich die anderen Mitglieder der Wohngemeinschaft versammelt.
Es waren zwei Frauen und vier weitere Männer, die ebenfalls an der Staatlichen eingeschrieben waren.
Markus begrüßte die beiden mit leuchtenden Augen. „Makoto, Ralf, willkommen. Äh, hast Du gar kein Gepäck, Makoto?“
„Das ist auf dem Flug verloren gegangen“, mischte sich Ralf ein, bevor der Gott die Situation verkomplizieren konnte. „Wir werden Morgen früh am Flughafen nachfragen und vielleicht was Neues besorgen müssen.“
„Oh. Na wie dem auch sei. Wenn wir dir was für die Nacht borgen müssen, ich glaube, Jean Duvalle hat die gleiche Größe wie du. Er kommt aus Terre de France.“
Markus deutete auf einen schüchternen, schwarzhaarigen, kleinen Jungen, der auf seinem Platz auf dem Sofa beinahe im Polster verschwand. Er winkte zaghaft herüber und wurde rot, als Makoto mit einem freundlichen Nicken erwiderte.
„Ich werde Morgen mal nachsehen“, sagte eine größere und ebenfalls schwarzhaarige junge Frau. Sie lächelte den Gott und Ralf verschmitzt an. „Bonsoir. Ich bin Katy, Jeans große Schwester. Ich glaube, wir kennen uns schon, Ralf.“
„Ja, stimmt. Du bist in meinem Geschichtskurs.“ Ralf schüttelte ihr die Hand.
„Der da hinten, der große Schweigsame ist Shawn Ironheart aus der Native Nation von Nordamerika. Er studiert hier Jura“, stellte Markus ein weiteres Mitglied der WG vor.
Der wirklich recht große Mann nickte den beiden zu, ohne seine dunkle Nische an der Wand zu verlassen. Seine Miene blieb ernst. Einzig ein goldener Anhänger mit dem Symbol der Götter der Lüfte um seinen Hals lockerte seine düstere Erscheinung etwas auf.
„Daneben sitzt Freya Helensdottir von der schönen Insel Eisland. Übrigens der größten Enklave der Wassergötter in Europa.“
Die noch recht junge Frau stand auf und kam auf die beiden Neuankömmlinge zu. Sie war beinahe so groß wie Ralf, und damit gut einen Kopf größer als Makoto. Sie war recht hübsch, und ihr Haar hatte den gleichen Farbton wie der des Gottes.
Freya reichte beiden die Hand, wobei Ralf bemerkte, dass ihr Händedruck nicht von Pappe war. „Freut mich, euch kennen zu lernen. Ich studiere Theologie und im Nebenfach Psychologie der Götterverehrung.
Hm, Makoto ist ein Nihon-Name, richtig? Warum habe ich noch nie von blonden Nihonjin gehört?“
Ralf wurde plötzlich heiß und kalt. Er konnte ja schlecht mit der Tür ins Haus fallen und Makoto als seinen Gott vorstellen.
Der Gott runzelte die Stirn. „Natürlich hast du noch nicht von blonden Nihonjin gehört. Es gibt ja auch keine.“
Ein aufgebrachtes Raunen ging durch den Raum.
Ralf verspürte das dringende Bedürfnis, sich eine Hand vor den Kopf zu schlagen.
„Und wie erklärst du das dann mit deinen Haaren?“, fragte sie geradeheraus.
Makotos Miene bekam etwas Spitzbübisches. Ralf sah es aus den Augenwinkeln und befürchtete, dass sein Gott die Sache nur noch verschlimmern würde. In Gedanken bereitete er bereits eine Erklärung vor. So selten war es nun doch nicht, dass ein Nachwuchsgott von seinen Eltern auf die Untere Ebene verbannt wurde.
„Ganz einfach“, erwiderte Makoto genüsslich. „Die Haare sind gefärbt.“
Kurz erhob sich bestätigendes Stimmgewirr, zu dem auch Freya nickte. „Ja, das ist eine Erklärung.“
Makoto blinzelte verstohlen zu Ralf. „Ich habe doch gesagt, ich habe eure Verhaltensweisen beobachtet“, raunte er.
„Anscheinend ziemlich gut“, erwiderte Ralf mit einem fahlen Lächeln leise. „Dann werde ich dir den Gang auf die Toilette wohl nicht erklären müssen.“
Makoto unterdrückte einen Lachanfall und schnaufte durch die Nase.
„Ist was?“, fragte Freya freundlich.
„Nein, nein“, sagte Makoto. „Ich musste nur gerade an was Lustiges denken.“

„Wie dem auch sei“, mischte sich Markus wieder ein. „Der Rotschopf da hinten mit den Sommersprossen ist Ian O´Brien. Er kommt aus Ireland. Vorsicht, er ist ein ziemlich penibler Anhänger der Erdgötter. Das kann schon mal nervig werden.“
„Red du nur, Markus. Red du nur“, sagte der hagere Rotschopf grinsend und reichte den beiden Neuen die Hand.
„Der Erdgötter, hm? Na, dann werden wir uns sicher großartig verstehen“, meinte Makoto und bekam dafür einen versteckten Schlag in die Rippen.
Für einen Moment wurde Makoto blass, dann wurde er rot. „Ich kann nämlich auch ziemlich gut mit dem Clan der Erde“, setzte er hinzu.
Ralf nickte zufrieden.
„Der letzte in der Runde ist Klaus. Klaus Fischer. Er kommt wie Anselm und ich auch aus Mittreich“, stellte Markus den Größten im Raum vor.
Der kräftige Mann erhob sich und stapfte auf die beiden zu. Er gab jedem seine schaufelartige Rechte und drückte sie mit einer Kraft, die Ralf beinahe die Tränen in die Augen schießen ließ. „Angenehm. Ich bin in der Judomannschaft der Uni und habe dafür auch ein Stipendium. Das brauche ich auch für meinen Studiengang. Ich mache auf Lehramt. Ich will nämlich mal an einer Grundschule unterrichten.“
„Das ist ein Scherz, oder?“, meinte Ralf flapsig.
Der Riese wandte sich ihm zu und blaffte: „Traust du mir das etwa nicht zu?“
Erschrocken hob Ralf die Arme und erwiderte abwehrend: „Nein, nein, es ist nur schwer, dich zu sehen und an einen Grundschullehrer zu denken.“
Klaus´ Gesicht verdüsterte sich. „Tut mir leid“, sagte er endlich. „Ich wollte dich nicht so anfahren, Ralf. Aber manchmal geht eben mein Temperament mit mir durch.“
Er sah wieder auf und strahlte über das ganze Gesicht. „Das mit dem Aussehen ist nicht so schlimm. Das kriege ich öfter gesagt. Aber ich gebe nicht auf! Ich erreiche mein Ziel! Je größer die Herausforderung, desto hartnäckiger arbeite ich daran.“
„Das ist eine sehr wichtige Eigenschaft“, kommentierte Makoto. „Bewahre sie dir und verliere deinen Weg nicht aus den Augen, und du kannst alles erreichen.“
Dem Riesen klappte die Kinnlade herab. Seine Augen schimmerten feucht. „Das ist… das ist das Netteste, was man mir je gesagt hat. Makoto, wir werden sehr gute Freunde.“
„Das ist nett“, sagte der Gott. „Ich glaube, ich kann Freunde auf der Unteren… Autsch, in diesem fremden Land gut gebrauchen.“

„Wie dem auch sei“, mischte sich Markus wieder ein, „ich zeige euch jetzt eure Zimmer. Der Mietanteil warm beträgt pro Zimmer sechshundert Real im Monat. Dazu kommen noch mal dreihundert für die Verpflegung, wenn Ihr euch an der Gemeinschaftsküche beteiligen wollt.“
Markus ging voran, Ralf und Makoto hinterher.
„Wenn Ihr eure Zimmer gesehen habt und im Bad wart und noch nicht schlafen wollt, wir warten auf einen Spätfilm, den wir alle sehen wollen“, rief ihnen Freya nach. „Ihr dürft gerne dazu kommen!“
„Das machen wir vielleicht sogar“, erwiderte Ralf. Aber ein schwammiges Gefühl in den Knien belehrte ihn darüber, dass er es vielleicht doch etwas übertrieben hatte. Als er Makoto und Markus auf die Treppe in den Ersten Stock folgte, gähnte er herzhaft.
Aus dem alten Saal klangen ihnen Stimmfetzen hinterher: „…Makoto ja sooo süß…Ralf schon immer ein netter Kerl gewesen… macht Makoto ja einen sehr netten Eindruck…ist Makoto ja richtig schlagfertig… ist ein Freund des Erdclans auch immer mein Freund…“
„Na, die hast du ja ordentlich um den Finger gewickelt“, murmelte Ralf leise und sah seinem Gott auf den Rücken.
Der drehte sich unverwandt um und strahlte Ralf an. „Ja, nicht?“

„So, das hier sind eure Zimmer. Die Neun und die Zehn. Es gibt hier eine Verbindungstür zwischen den Räumen. Es sind ehemalige Arbeitsräume, deshalb gibt es in ihnen auch keine sanitären Einrichtungen. Ihr müsst das Bad oder die Gästetoilette benutzen. Die Gästetoilette liegt auf diesem Ende des Gangs, das Bad ist unten im Erdgeschoss, wenn man an der Treppe vorbeigeht auf der linken Seite. Rechts ist die Küche. Wenn Ihr vor dem Schlafengehen noch baden oder duschen wollt, macht das ruhig. Die Wände unten im Erdgeschoss sind so dick, man hört hier im Ersten überhaupt nichts. Ihr stört also niemanden.“
Markus redete sich richtig in Rage. Dabei grinste er von einem Ohr zum anderen. „Morgen regeln wir dann die anderen Details. Ich nehme nicht an, dass Ihr das Geld bar dabei habt. Ich werde euch dann eine Kontonummer geben. Tut mir leid, dass ich dieses leidige Thema anspreche, aber es muss sein. Auf jeden Fall sind wir euch dankbar, dass Ihr so kurzfristig eingesprungen seid. Vor allem, nachdem wir dich so schlecht behandelt haben, Ralf“, sagte Markus, während er einige Schranktüren aufriss und das Bett zurückschlug.
„Schlecht behandelt? Was?“, brauste Makoto auf, wurde aber von Ralf mit einem verlegenen Lächeln zurückgehalten. „Du verstehst das falsch, Makoto. Er meint natürlich die Ablehnung meiner Bewerbung. Das ist nicht so schlimm.“
„Kannst du so aber auch nicht sagen, Ralf“, murmelte Markus. „Hätten wir uns gleich für dich entschieden, hätten wir den ganzen Ärger nicht gehabt.
So, wer die Neun und wer die Zehn nimmt, überlasse ich jetzt euch. Sagt mir nur Morgen Bescheid, ja? Und ach ja, wenn Ihr Lust habt, wie gesagt, es läuft noch ein Film.“
Markus warf den beiden noch einen fröhlichen Blick zu und verließ den Raum. „Die Schlüssel liegen auf den Nachttischen. Nur falls Ihr abschließen wollt oder so. Ansonsten Gute Nacht.“

Ralf und Makoto sahen sich an. Makoto nickte schließlich, ging zur Tür und schloss sie. Daraufhin wechselte er in die weibliche Form. „Ich musste einfach mal das Geschlecht wechseln. Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl, so lange im gleichen Körper zu stecken.“
Ralf lächelte matt. „Unsere Mitbewohner kennen dich jetzt als Jungen, Makoto. Da wirst du wohl öfter und für längere Zeit in dem Körper stecken.“
Die Göttin nickte eifrig. „Ach, das kriege ich schon hin. Das klappt schon irgendwie. Und? Was machen wir jetzt?“
Ralf sah sich um, bis sein Blick an der Verbindungstür zu Raum Zehn hängen blieb. „Ich schlage vor, du nimmst dieses Zimmer und ich das Nebenzimmer. Dann gebe ich dir ein Shirt für die Nacht. Und wenn du willst, können wir vorher noch ins Badezimmer gehen.“
„Hm. Baden. Klingt interessant.“ Makoto trat direkt vor Ralf und sah zu ihm auf. „Ich habe es oft beobachtet, konnte aber nie verstehen, was die Menschen daran finden. Oder warum sie es so sehr genießen. Ich freue mich darauf.“
Ralf schluckte trocken. Wieder hatte er den Verdacht, dass Makoto genau wusste, wie ihre weibliche Erscheinungsform auf ihn wirkte. „Da stelle ich aber eine Bedingung, mein Gott“, sagte er und rieb sich den plötzlich eng werdenden Hals.
„Und zwar, mein Gläubiger?“, erkundigte sich Makoto fröhlich.
„Ich zeige dir im Bad gerne alles was du wissen willst. Aber du musst ein Mann bleiben.“ Ralf sah ihr direkt in die Augen. „Versprich mir das, Makoto.“
Der Gott wechselte wieder in die männliche Form. „Na gut. Weil du es bist. Also, gehen wir baden.“
Ralf seufzte ergeben. Er ging in sein Zimmer, suchte frische Unterwäsche in seinem Gepäck und zog frische Handtücher aus den Schränken.
Für Makoto nahm er noch ein Paar Shorts und das versprochene Shirt heraus. Es würde für ihn – und sie - um einiges zu groß sein, aber zum schlafen sollte es reichen.

Als er wieder ins Zimmer trat, hockte Makoto in seiner männlichen Form auf dem Bett und starrte angestrengt auf das Holzgestell.
Kurz darauf begann es zu knarren. Langsam aber sicher wurden die Pfosten schmaler, das Bett aber breiter.
„Was tust du da, Makoto?“, rief Ralf überrascht.
Der Gott sah auf, und das Bett stoppte im Wachstum. „Es war mir etwas zu schmal. Darum habe ich ein wenig Substanz umverteilt, damit es breiter wird. Keine Angst, es bleibt weiterhin stabil. Und ich glaube nicht, dass die zehn Zentimeter auffallen werden.“
„Hast Du eine Ahnung, was einem Menschen alles auffällt“, schnappte Ralf wütend.
Wütend darüber, dass sein Gott so verantwortungslos handelte. Wütend darüber, weil er seinen Gott nicht richtig zurecht wies.
Makoto wechselte wieder in die Mädchenform und sah betrübt herüber. „Meinst du? Wenn du es willst, mache ich es wieder rückgängig. Aber es ist sehr schwierig, diese Art von Materie zu formen. Das hier ist Holz. Das hat mal gelebt.“
„Da gibt es Unterschiede?“, murmelte Ralf erstaunt.
„Oh ja. Viele Erdgötter haben die Fähigkeit, tote Materie zu formen. So wie der Luftclan den Wind beherrscht und die Wassergötter das Wasser. Es gibt sicher Götter, die auch lebende Materie formen können.
Aber ich habe schon Schwierigkeiten, solange der Materie noch die Aura des Lebendigen anhaftet. Vielleicht bin ich noch nicht alt genug, um etwas anderes zu formen als tote Materie.“
„Sehr interessant. Aber könntest du das bitte lassen?“
„Was, Ralf? Das wechseln? Ich werde bestimmt wieder ein Junge, wenn wir runter gehen, versprochen.“
„Nein, Makoto. Ich meine dieses formen. Zumindest an Orten, an denen du damit in Zusammenhang gebracht werden kannst.“
„Ich will es versuchen“, sagte sie leise und betrachtete wehmütig das Holzgestell ihres Bettes.

Ralf warf Makoto ein Handtuch und die anderen Sachen zu. „Hier, für dich.
Wir haben eine Frage ja noch gar nicht geklärt. Müssen wir es eigentlich geheim halten, dass du ein Gott bist? Ich meine abgesehen von der Tatsache, dass uns kaum jemand glauben wird?“
Makotos Blick verdüsterte sich. Sie senkte den Kopf. „Das… wäre vielleicht eine gute Idee. Wir… wir sollten es möglichst für uns behalten, dass ich ein Gott bin. Zumindest, bis ich wieder aufsteigen kann. Es kann für einen Gott auf der Unteren Ebene schon recht gefährlich werden.“
„Okay, dann ist das ja geklärt. Also, wechsele und steh auf. Wir gehen.“
Makoto wechselte wieder in die Jungenform, schnappte sich seine Sachen und erhob sich. „Ich habe heute schon eine Menge Sachen kennen gelernt. Fisch, Geld, Tränen, Bier. Und jetzt kommt noch baden hinzu.“
„Ein langer Tag“, brummte Ralf leise und ging voran. Ein Lächeln stahl sich auf seine Züge. Ein guter Tag.
**
Als sie das Bad betraten, pfiff Ralf anerkennend. Eine Wanne im eigentlichen Sinn gab es nicht. Aber ein riesiges gemauertes Becken, dass Platz genug für drei, vier Personen geboten hätte, wenn sie die Ellenbogen eingezogen hätten.
„Das nenne ich mal eine Wanne“, murmelte Ralf und legte seine Sachen ab. Neben dem Becken stand eine Duschkabine, und kurz überlegte er, ob eine Dusche nicht reichen würde.
Dann aber siegte die Bequemlichkeit. Ein heißes Bad würde beim einschlafen helfen. Und nach der ganzen Aufregung hatte er es sich verdient. Also drehte er den Wasserhahn auf und ließ das Becken voll laufen. Gedankenverloren begann er sich auszuziehen.
„Ähemm“, machte Makoto.
Ralf wirbelte herum und ließ vor Schreck die Hose fallen, die er gerade ausgezogen hatte.
„Nur für den Fall, dass du mich vergessen hast, Ralf“, bemerkte der Gott amüsiert.
„Tu-tut mir leid, Makoto“, sagte Ralf hastig.
„Ist schon in Ordnung. Hm, ich denke, so ist es auch ganz gut. Anstatt mir zu erklären, was ich beachten muss, kannst du es mir zeigen.“
„Äh…“ „Schämst du dich etwa vor deinem Gott?“, fragte Makoto amüsiert.
Resignierend ließ Ralf die Schultern hängen. „Dreh dich bitte um, Makoto. Es gehört sich nicht, andere Menschen nackt zu sehen. Merk dir das gleich für die Zukunft.“
Der Gott grinste schief. „Oh, Ihr Menschen…“
Er drehte sich gehorsam um.
Ralf vergewisserte sich, dass Makoto ihn nicht im Spiegel sehen konnte, zog auch noch die Boxershorts aus und stieg in das behaglich warme Wasser.
Ja, das tat wirklich gut. Leise seufzte der Student. Diese riesige Wanne war einfach super.

Irritiert sah Ralf auf, als ein Frauenbein neben ihm ins Wasser stieg. „Makoto, was…“, rief er und wendete sofort den Blick wieder ab. Der Gott hatte erneut die Gestalt gewechselt, und noch viel schlimmer, sie war nackt!
Makoto glitt neben ihm ins Wasser. Sie warf ihm einen neckischen Blick zu. „Was ist? Gehört es sich auch nicht, eine nackte Frau anzusehen?“
Ralf spürte, wie er rot wurde. „Das erst recht nicht!“
„Bin ich denn so unansehnlich, Ralf?“, fragte sie traurig.
Aus einem Reflex heraus sah er seine Göttin direkt an, nur um sofort wieder weg zu sehen und noch eine Spur roter zu werden. „N-nein, unansehnlich bist du bestimmt nicht. Aber das gehört sich doch nicht. Wir sind hier in Mittland, nicht in Nihon!“
„Das gehört sich nicht? Oh, Ihr Menschen.“
Nun war sich Ralf vollends sicher. Makoto wusste sehr genau, wie ihr weiblicher Körper auf ihn wirkte. Er spürte eine Bewegung im Wasser, als sie näher rückte. Ralf rückte weiter ab, stieß aber gegen den Beckenrand. Makoto rückte noch ein wenig weiter und lehnte sich auf ihn.
Ralf spürte, wie ihm abwechselnd heiß und kalt wurde. „M-makoto, das ist aber keine gute Idee…“
„Was?“, hauchte sie. „Das ich mit meinem Gläubigen Zeit verbringe?“
„Das du den Körper gewechselt hast und dich so eng an mich drückst“, haspelte er hervor. „M-man kommt ja auf den Gedanken, dass du…“
„Sex haben willst?“ Makoto kicherte. „Wäre Sex mit mir denn so schlimm?“
„D-du bist eine Göttin! Ich bin nur ein Mensch!“, blaffte Ralf verzweifelt.
„Oh, Ihr Menschen. Manche Götter steigen gerne auf die Erde hinab, nur um das zu haben, was Ihr Sex nennt. Es soll eine sehr schöne Erfahrung sein. Ich würde sie auch gerne machen.“
Ralf versuchte aufzustehen und die Wanne zu verlassen, aber Makotos pure Nähe hinderte ihn daran.
„Und wer wäre besser für diese Erfahrung geeignet als mein Gläubiger?“, hauchte sie.
Er senkte den Blick. „Ja, da hast du vielleicht Recht. Aber…“ Sein Kopf ruckte herum und er sah seiner Göttin direkt in die tiefen, blauen Augen. „Es ist ja nicht so, dass mir dein Körper nicht gefallen würde, Makoto. Nein, sehr sogar. Aber es wäre mir wohler, wenn du heute Abend nichts getrunken hättest. So weiß ich nicht, was aus dir spricht. Das Bier oder der Gott, der wirklich diese Erfahrung machen will. Ich will nicht, dass du Morgen irgendetwas bereuen musst.“
Makoto sah Ralf lange Zeit in die Augen. Endlich wendete sie den Blick ab. Sie legte ihren Kopf auf Ralfs Brust und sagte: „Danke, Ralf. Bei dir bin ich in guten Händen.“
Langsam, geradezu widerstrebend legte Ralf die freie Hand auf die Schultern der Göttin und drückte sie noch etwas an sich. Auf der anderen Hand lag sie mehr oder weniger.
„Schon gut. Du bist zwar mein erster Gott, aber ich tue, was ich kann.“
Makoto kicherte leise. „Ja, das tust du. Hm, so ein Bad tut wirklich gut. Das hätte ich früher wissen sollen.“
„Makoto. Ich habe eine Bitte.“
„Und die wäre?“
„Bitte wechsele nicht zum Mann, solange wir in der Wanne sind.“
Sie nahm den Kopf von seiner Brust, sah ihm in die Augen und murrte: „Ihr Menschen. Ihr wisst manchmal wirklich nicht, was Ihr wollt.“
Sie lachte, und Ralf lachte mit. Er hatte diese gefährliche Klippe umschifft, seine Göttin war ihm nicht böse. Für heute sollte eigentlich nichts mehr schief gehen…

„So“, erklang es von der Tür, als sie aufgestoßen wurde, „ich bringe noch ein paar Handtücher.“
Freya grinste hinter dem Stapel weißer Frottee-Handtücher hervor. „Keine Bange, ich gucke nicht.“
Sie hatte kaum ausgesprochen, als sie erstarrte. Mechanisch setzte sie sich wieder in Bewegung, ging zum Schrank und verstaute die Handtücher. Dann wirbelte sie herum. Und erstarrte erneut.
Friedlich saßen Ralf und der männliche Makoto in der Wanne nebeneinander und sahen zu ihr herüber.
„Hast du nicht gesagt, du wolltest nicht gucken, Freya?“, erkundigte sich Ralf höflich.
„Ich…“, stammelte sie, „ich könnte schwören, dass du eben mit einer blonden Frau in der Wanne gesessen hättest, Ralf.“
Makoto lächelte gemein und erhob sich. „Nun, wie du sehen kannst, ist hier keine Frau in der Wanne.“
Freya starrte Makoto an. Nun, sie sah nicht gerade in seine Augen.
„Aha“, machte sie. „Bleibt noch die Frage, warum Ihr Kerle zu zweit in die Wanne gestiegen seid. Ich habe euch doch hoffentlich nicht gestört? Ich meine…“
Makotos helles Lachen ließ sie verstummen. „Ich bin aus Nihon, Freya“, dozierte er mit erhobenem Zeigefinger. „Dort baden wir oft zu mehreren, vor allem, wenn die Wanne so groß ist. Es hat etwas von Verschwendung, eine solche Wanne nicht zu einem gemeinsamen Bad zu nutzen. Ralf kennt das schon. Immerhin sind wir seit Jahren Freunde.“
„Sind wir?“, brummte Ralf leise und fügte noch leiser hinzu: „Wie ein paar Jahre kommt es mir schon vor.“
„Also seid Ihr nicht…?“
„Aber nein, Freya. Übrigens, es ist noch genügend Platz in der Wanne. Willst du uns nicht Gesellschaft leisten?“ Makotos Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen.
„Was?“, rief die Eisländerin. „Was?“, rief Ralf.
Makoto zuckte die Achseln. „Wie gesagt, bei uns Zuhause ist das nichts Ungewöhnliches.“
„Äh, tja, vielleicht ein anderes Mal“, antwortete Freya, machte aber keinerlei Anstalten den Raum zu verlassen.
Makoto trat an den Rand der Wanne, beugte sich etwas vor und raunte der blonden Frau zu: „Übrigens, Freya, mein Gesicht ist hier oben.“
Die Eisländerin wurde puterrot im Gesicht. Ihr Kopf ruckte hoch, sie sah Makoto in die Augen, sie wurde noch eine Spur dunkler. „Oh. OH. Tja, ich meine, danke für die Einladung. Zum Baden meine ich, und so. Na, dann genießt mal das Wasser. Und Handtücher habe ich ja gebracht.“
Mit unsicheren, zögernden Schritten drehte sie sich um und ging zur Tür. Als sie den Raum verlassen hatte, atmete Makoto sichtbar auf.
Auch Ralf senkte den Kopf. Da waren sie ja denkbar knapp an einer mittleren Katastrophe vorbei geschliddert. Eigentlich an zwei. Denn genauso knapp waren sie darum herum gekommen, fortan als schwul zu gelten. Und da Ralfs Interessen eindeutig beim anderen Geschlecht lagen, wäre das auf die Dauer doch etwas hinderlich gewesen.
Wie es bei Makoto war, gerade beim männlichen, nun, Ralf ging einfach mal davon aus, dass ER sich für Frauen interessierte. Und SIE für Männer. Was er am eigenen Leib erfahren hatte.

Makoto drehte sich um. Er lächelte erleichtert. „Das war knapp, was?“
In diesem Moment ging die Tür noch mal auf und Freya sah kurz herein. „Falls ihr noch was braucht…“
„Mein Gesicht ist immer noch weiter oben, Freya“, kommentierte Makoto den Vorgang amüsiert.
Wieder wurde die Eisländerin rot und schloss die Tür.
„Nächstes Mal sollten wir abschließen“, brummte Ralf und ließ sich unter Wasser rutschen.
Neben ihm setzte sich Makoto wieder.
Als Ralf wieder hoch kam, hatte Makoto noch immer die männliche Form.
„Ralf?“
„Ja?“
„Danke. Danke, das du da bist.“
Dem Mittländer steckte plötzlich ein riesiger Kloß im Hals. Er legte seinem Gott eine Hand auf die Schulter und sagte leise: „Danke, dass du gekommen bist.“
**
Eine Stunde später schloss Ralf gerade die beiden Räume Neun und Zehn von innen ab. Er ging kurz in Makotos Zimmer zurück und betrachtete die schlafende Göttin. Sie hatte die Decke fortgestrampelt und lächelte selig. Ihr Kopfkissen hielt sie mit beiden Händen umklammert. Ralf zögerte nicht lange und deckte sie wieder zu.
Dann erinnerte er sich daran, was Makoto gesagt hatte, dass Götter öfters auf die Untere Ebene hinab stiegen, um zu träumen…
„Ich wünsche dir einen schönen Traum, Makoto“, flüsterte er und ging in sein eigenes Zimmer.
Dort ließ er sich aufs Bett fallen. Er dachte über den langen Abend nach. Über sich selbst, über Makoto. Über das Studium. Es würde schon göttliche Hilfe vonnöten sein, um seinen Gott irgendwie als Studenten mitten im Semester eingeschrieben zu bekommen. Und er war sicher, es würde nicht ohne gravierende Schwierigkeiten geschehen.
Ralf erforschte seine Gefühle. Erstaunlicherweise verspürte er keinerlei Ärger. Nein, da war nur eine Freude. Eine alles umspülende Vorfreude auf den morgigen Tag. Auf einen neuen Tag mit Makoto. Auf Ärger, Verwicklungen und Komplikationen. „Mit dir wird das nächste Jahr bestimmt nicht langweilig, mein Gott. Meine Göttin.“
Kurz darauf schlief der Student ein.

Epilog:
Und Makoto träumte.
In einem vollkommen dunklen Raum standen ein junger Mann und eine junge Frau. Irgendwo aus der Finsternis stach ein Lichtstrahl hervor und beleuchtete abwechselnd entweder die Frau oder den Mann. Je nachdem, wer der geistlos wispernden Stimme Rede und Antwort stand.
Der Strahl entriss den Mann der Dunkelheit.
„Was hast du gelernt, Makoto?“, hauchte die Stimme.
Der junge Mann lächelte schief. „Ich habe gelernt zu schmecken. Trinken und essen sind wunderbare Dinge. Ich habe vieles entdeckt was ich mag. Ich freue mich schon darauf etwas zu entdecken, was ich nicht mag.“
Der Strahl wechselte zur weiblichen Form von Makoto.
„Ich habe auch Vertrauen gelernt. Ralf ist ein guter Mensch, der mein Vertrauen wert ist. Vertrauen und Trost. Denn obwohl er selbst in einer schlechten Lage war, hatte er trotzdem Zeit, mir Trost zu spenden.“
„Es wird ein gutes, ein interessantes Jahr“, fügte der männliche Makoto hinzu, der für die Fakten sprach, während die weibliche Form auf Fragen nach Emotionen antwortete.
„Ich werde viel über die Menschen lernen und viel über die Götterwelt, wie sie auf der Unteren Ebene gesehen wird.“
Der Lichtstrahl wechselte wieder zur weiblichen Makoto. „Aber ich werde den Kreis meiner Gläubigen erst einmal nicht erweitern. Ralf reicht mir vollkommen. Der Odem, den er für mich konzentriert, ist mehr als ausreichend. Außerdem weiß ich ja nicht, ob ich bei einem zweiten, einem dritten Gläubigen wieder so viel Glück habe. Viele Gläubige bedeuten auch viele Schwierigkeiten.“
Ein lautes Gelächter erschütterte den dunklen Raum. „Ja, das stimmt allerdings“, bemerkte die körperlose Stimme.
Das Licht erlosch, der Raum versank vollends in der Dunkelheit.
Was für ein Tag.

__________________
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Mein Gott, meine Göttin
Zweiter Chapter

Prolog: Was sind Götter? Warum verehren oder hassen wir sie? Was macht sie aus? Was macht uns aus, wenn wir sie verehren?
Die Geschichte berichtet uns davon, dass es für die Götter drei Ebenen gibt. Den Bereich, den sie die Obere Ebene nennen, die Mittlere Ebene und unsere Welt, die Untere Ebene. Ob sich dies nur auf diesen Planeten bezieht oder auf das ganze Universum verrät uns die Geschichte nicht. Sie berichtet auch davon, dass die Mittlere Ebene von einer Art Wesen bevölkert war, die wir heute nur noch unter dem Begriff Dämonen kennen.
Die Götter lagen mit diesen Dämonen viele Jahrtausende im Krieg. Sie drohten zu unterliegen. Bei ihrer Suche nach der Rettung vor der Vernichtung erfanden sie das Gebet für die Menschen der Unteren Ebene und trugen den Sieg davon.
Soweit die Geschichte. Sie berichtet aber nicht davon, warum Götter und Dämonen Krieg geführt haben. Oder ob diese Dämonen überhaupt ein Interesse an der Unteren Ebene hatten. Oder ob sie eine unglaublich schreckliche Bedrohung für uns alle waren.
Haben die Götter uns gerettet? Oder wir die Götter?

Heutzutage sehen wir ihr Wirken fast jeden Tag. Nihon, eine Inselgruppe im Pazifik, besteht aus fünf Hauptinseln und unzähligen Nebeninseln. Und jeder der vier Götterstämme ist auf allen Inseln vertreten.
Gerade das Wirken der Götter des Feuerstammes ist auf den Nihon-Inseln gut zu beobachten.
Nihon befindet sich am so genannten Feuerring, einer Vulkankette, welche die gesamte pazifische Platte umgibt. Dementsprechend häufig sind Erdbeben und Vulkanausbrüche auf den Inseln von Nihon, ebenso die Springfluten. Es ist allgemein bekannt, dass der Erdclan die Erdbeben mildert. Der Stamm des Wassers die Tsunamis, die Springfluten in Folge von großen Seebeben, verhindert.
Und der Stamm des Feuers den Ausbruch der vielen Vulkane kontrolliert. Es ist eine Tatsache, dass es die Götter des Feuerstamms sind, die dafür sorgen, dass sich so genannte pyroklastische Wolken, mehrere hundert Grad heiße Staublawinen auflösten, lange bevor sie Menschen und Orte gefährden konnten – lange bevor die kinetische Energie aufgezehrt war.
Götter, wer sind sie? Einige von uns scheinen sie sehr zu brauchen. Vielleicht alle.

1
Als Ralf am Morgen erwachte, jagten sich seine Gedanken. Halb erwartete er, dass Makoto wieder in die weibliche Form gewechselt war und sich in sein Bett geschlichen hatte. Als er die Augen aufschlug, war er jedenfalls der einzige Benutzer. Gut. So konnte er seine Gedanken noch einmal sortieren, bevor der Tag und damit der Ernst begann.
Was war geschehen? Seine Eltern hatten ihn zuhause rausgeworfen. Damit er selbstständig wurde. Aber wie, ohne Job, ohne Bafög, ohne Unterkunft?
In einem schmierigen Hotel wurde ein Teil dieser Probleme gelöst, aber durch neue ersetzt. Er hatte sich nun einem Gott verpflichtet. Einem jungen Gott. Einem sehr jungen Gott.
Der sich zudem noch nicht sicher war, was er sein wollte, Mann oder Frau.
Na, immerhin hatte Ralf es seinem Gott zu verdanken, dass er nun über beides verfügte – eine Unterkunft und Geld.
Außerdem waren er und Makoto gar nicht so verschieden. Kaum hatte der Gott die Möglichkeit gehabt, auf die Erde oder Untere Ebene herabzusteigen, wie er es nannte, hatten ihn seine Eltern auch rausgeschmissen. Sprich, ihm – oder ihr – war verboten worden, für ein Jahr wieder auf die Obere Ebene zurückzukommen. Damit er – oder sie – selbstständiger wurde.
Oh ja, Ralf kannte diesen Text.
Er hatte sich nie besonders für Götter interessiert. Klar, er wusste es gab sie. Aber das war es auch schon. Sein Vater war immer der Meinung gewesen, dass ein Mann nur entschlossen genug sein musste, um die Götter nicht zu benötigen. Und Ralf hatte nie auf die Götter vertraut, nur auf sich und seine Familie.
Nun hatte er quasi seinen persönlichen Gott. Und er brauchte diesen Gott. Sehr sogar. Aber im gleichen Maße brauchte der Gott ihn. Sie waren verdammt noch mal aufeinander angewiesen.
Apropos angewiesen. Es war Freitag, also schon Ende der Woche. Es würde in den Büros eine Menge los sein. Gerade jetzt, knapp nach Semesterbeginn. Makoto hatte weder Ausweispapiere noch eine menschliche Identität. Immerhin war er ein Gott. Ein Gott, der studieren wollte. Ihn einzuschreiben würde schwierig werden. Und dann war da noch das Problem, dass sein Gott praktisch nichts besaß. Bis auf seinen Ravir, eine Art Tunica, die er für satte hundertfünfzigtausend Real verkauft hatte. Es blieb mehr als genügend Geld übrig, um den Gott komplett auszustatten, sicherlich. Nur hatte Ralf das dumme Gefühl, dass er nicht nur dem Gott einen kompletten Satz Bekleidung beschaffen musste, sondern auch der Göttin.

Es klopfte an der Tür. Makoto trat ein und grinste ihn an. „Na, ausgeschlafen?“
Ralf runzelte die Stirn. „Woher hast du denn die Jeanshose und das schwarze Hemd?“
„Katy hat ihr Versprechen gehalten und die Sachen ihres kleinen Bruders durch gesehen. Passt wie angegossen. Findest du nicht? Das sollte für das einkaufen reichen. Stell dir vor, er hatte sogar Unterwäsche für mich.“
„Auch Schuhe?“, fragte Ralf.
„Nein, danach habe ich nicht gefragt. Es ist leicht zu erklären, warum ich in einem Jogginganzug rumlaufe. Aber warum ich Schuhe trage, die mir drei Nummern zu groß sind, das dürfte doch etwas schwierig werden. Ach ja, ich habe bereits mit Markus gesprochen. Er hat mir die Kontonummer des Gemeinschaftskontos gegeben. Wir sollten in der Stadt am besten auch ein Konto eröffnen und das Geld überweisen.“
Ralf schlug die Decke zurück und richtete sich auf. „Zuerst sollten wir frühstücken. Danach besorgen wir dir was zum anziehen. Und dann beginnt der Ärger erst richtig. Du brauchst eine Identität.“
Makoto lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich kann aus toter Materie eines dieser Dinger formen, die Ihr Ausweis nennt. Das wird zwar dauern, ist aber nicht unmöglich.“
„Später vielleicht. Wichtiger ist, dass wir einen Makoto Yama ins Computersystem bekommen. Erst dann existierst du auch offiziell. Du kannst nicht zufällig auch Computer beeinflussen?“, fragte Ralf hoffnungsvoll.
„Weiß nicht, hatte bisher noch keine Gelegenheit, es auszuprobieren.“ Makoto wechselte wieder in die weibliche Form und lächelte verschmitzt. „Aber ich kann es ja mal probieren, wenn du mir ein paar Sachen erklärst, nicht?“
Ralf erschrak fürchterlich und raffte die Decke wieder zu sich heran. „Ich wünschte, du würdest dir dieses wechseln abgewöhnen.“
„Wieso?“, fragte Makoto erstaunt. „Ich verspreche dir, ich bringe dich nicht in Verlegenheit und wechsele nur dort, wo mich niemand beobachten kann. Ehrenwort.“
„Warum wechselst du überhaupt noch?“, rief Ralf vorwurfsvoll. „Hier kennen dich jetzt alle als Jungen. Warum bleibst du nicht einfach ein Mann?“
„Aber das ist langweilig. Außerdem habe ich mich immer noch nicht entschieden, ob ich ein Mann oder eine Frau sein will. Bis dahin werde ich eben wechseln, wenn mir die Form nicht mehr gefällt.“ Makoto wirkte enttäuscht. „Ich dachte, das wäre in Ordnung, Ralf.“
Der Mittländer spürte, wie er rot wurde. „Vielleicht habe ich etwas überzogen reagiert, Makoto. Das tut mir leid. Aber ich sehe da riesige Probleme auf uns zukommen, und die Hälfte wird alleine deswegen passieren, weil du mal wieder die Frau gibst.“
Lachend ließ sich Makoto auf das Bett plumpsen. „Würdest du es denn anders wollen, Ralf? Komm, sei ehrlich.“
Ralf sah auf und seiner Göttin direkt in die Augen. „Vielleicht hast du Recht. Mit dir wird es jedenfalls niemals langweilig.“

Makoto wechselte wieder in die Männerform. Schade, die Mädchenform hatte in Jeans und halb aufgeknöpftem Hemd auch recht gut ausgesehen.
„Ach, wegen Gestern, mein Gläubiger“, begann Makoto als er sich erhob.
„Ja, mein Gott?“
„Wegen der Sache in der Wanne…“ Makoto wurde rot und sah weg. „Du hattest wohl Recht. Da hat wirklich das Bier aus mir gesprochen. Und dieses Likörzeug, dass uns Georgio serviert hat, war wohl doch nicht so harmlos. Und als ich dann in die Mädchenform gewechselt habe…
Nun, ich habe dir gesagt, dass sowohl der männliche als auch der weibliche Körper verschiedene Ansprüche stellen. Anscheinend habe ich da nicht ganz die Kontrolle drüber.“
„Vor allem nicht, wenn Alkohol im Spiel ist.“
Makoto sah wieder herüber und nickte erleichtert. „Gerade nicht, wenn Alkohol im Spiel ist.“
Wieder verging ein langer, schweigsamer Moment, in dem sich die beiden in die Augen sahen.
„Gut, dass das geklärt ist, mein Gott.“ Ralf klopfte auf die Matratze. „Dann lass uns den Tag mal in Angriff nehmen. Beginnen wir ihn am besten mit einem ausgiebigen Frühstück.“
„Ich freue mich schon drauf. Wird Frühstück mir schmecken?“
Ralf grinste schief, während er in seine Hose schlüpfte. „Makoto, bisher haben wir noch nichts entdeckt, was dir nicht schmeckt.“
„In dem Fall sollte ich eifrig weiter probieren, nicht wahr?“
Die beiden lachten.

Ein Blick auf die Uhr belehrte Ralf darüber, dass es noch nicht einmal neun war. Für Studenten also noch mitten in der Nacht, wenn er mal einen allgemeinen Kalauer über seine Kommilitonen hinzuzog.
Nur Freya und Katy waren in der Küche. Freya stand am Herd und briet Pfannkuchen. Katy las in einer in Terre de France sehr populären Modezeitschrift.
„Da seid Ihr ja“, rief Freya erfreut. „Ich mache gerade Pfannkuchen und frage mich, ob Ihr nicht auch welche wollt.“
Ralf nickte und schenkte sich eine große Tasse Kaffee ein. „Gerne doch. Danke, Freya.“
„Ja, für mich auch. Danke.“
Katy sah von ihrer Lektüre auf. „Hm? Habe ich was verpasst? Unsere Freya verwöhnt unsere Neuen mit ihrem berühmten Handgemixten Rührteig? Ohne das sie eine Stunde oder noch länger betteln mussten?“
„Ach“, kommentierte die Eisländerin, „ich mag die beiden eben.“
Makoto holte sich ebenfalls eine Tasse. Ralf füllte ihm ein und warf ein paar Stück Zucker hinterher.
Der Gott runzelte die Stirn, aber Ralf sah ihn nur mit der Vertrau mir-Methode an.
Die beiden setzten sich, während der erste Pfannkuchen in der Pfanne brutzelte.
„Hm, warme, frische Pfannkuchen zum Frühstück. Dazu Erdbeermarmelade. Was? Oh, da steht dein Name drauf, Freya. Wir sollten wohl…“
„Das ist schon in Ordnung, Ralf“, rief die blonde Frau fröhlich. „Nehmt nur, nehmt nur.“
Mit diesen Worten schaufelte sie Makoto den ersten Pfannkuchen auf den bereit stehenden Teller.
„Also, jetzt ist aber genug“, brummte Katy und legte ihre Zeitschrift beiseite. „Pfannkuchen hin, Pfannkuchen her. Aber das du so freigiebig mit deiner selbst gemachten Marmelade bist, das kann doch nicht sein. Was ist los? Stehst du unter Drogen?“
Ralf sah von Katy zu Freya und wieder zurück.
„Ach, nun lass mich die beiden doch verwöhnen“, erwiderte Freya und schaufelte Pfannkuchen Nummer Zwei auch auf Makotos Teller. „Oh. Der sollte eigentlich für Ralf sein. Na egal. Der nächste kommt ja gleich.“
Misstrauisch hob Katy die Augenbrauen. „Das stimmt doch alles nicht. Was ist passiert? Und verkauf mich nicht für dumm, Missie. Das ist überhaupt nicht deine Art, so… unterwürfig zu sein.“
Makoto hob den Arm. „Nun, vielleicht hat sie auch einfach nur ein schlechtes Gewissen wegen der Sache im Bad.“
„Welcher Sache im Bad?“
Ralf spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Oh nein. Oh nein, oh nein, oh nein. Ihr Götter! Das konnte doch nicht wahr sein!
Freya kam mit dem dritten Pfannkuchen zu Ralf, grinste verlegen zu Katy herüber und meinte abwiegelnd: „Nichts, nichts, es ist nur, ich habe Gestern noch ein paar Handtücher nachgefüllt.“
„Und dabei hat sie mich nackt gesehen“, kommentierte Makoto freundlich und verfolgte interessiert, wie Ralf die Marmelade auf den Pfannkuchen strich, ihn einrollte und ein handliches Stück abschnitt.
„Nackt?“ Katy lachte laut auf. „Na, du bist mir ja eine.“
Freya wurde rot und begann mit dem vierten Pfannkuchen. „Nur ein klitzekleines bisschen“, wiegelte sie erneut ab.
„Hat es sich wenigstens gelohnt, Freya?“, fragte die junge Frau aus Terre de France geradeheraus.
Statt zu antworten wurde die Eisländerin noch ein wenig mehr rot.
Katy sah zu Makoto herüber, der gerade einen kleinen Kampf mit Messer und Gabel ausführte. „Hm, ich sollte vielleicht auch mal Handtücher nachfüllen.“
Makoto fiel das Stück Pfannkuchen wieder von der Gabel, welches er mit viel Mühe aufgespießt hatte. „Soll ich dir Bescheid sagen, wenn ich wieder baden gehe?“, bot er höflich an.
Ralf erstarrte. Er setzte die Kaffeetasse ab, aus der er gerade trinken wollte und begann zu husten und zu schnauben. „Mist, Kaffee in der Nase.“
Katy betrachtete Makoto amüsiert. „Hm. Das hast du aber sehr cool weg gesteckt, Makoto. Vielleicht komme ich auf dein Angebot zurück“, meinte sie zwinkernd.
„Warum nicht? Gib mir Bescheid, wenn du Zeit hast“, erwiderte der Gott lapidar.
„Treib es nicht auf die Spitze, Makoto“, brummte Ralf und trat seinen Gott unter dem Tisch.
Der verlor dabei erneut sein Stück Pfannkuchen. Wütend sah er herüber. „So lerne ich das nie, Ralf.“

„Und“, meinte Katy beiläufig, „was habt Ihr Zuerst vor? Makoto einschreiben oder nach dem Gepäck fragen?“
Ralf war für den Themenwechsel mehr als dankbar. „Zuerst jagen wir dem Gepäck hinterher.“
„So, das war es.“ Freya schaufelte Ralf einen zweiten Pfannkuchen auf den Teller und setzte sich mit an den Tisch. Ihr Gesicht hatte wieder eine beinahe normale Färbung angenommen. Sie stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und bettete das Gesicht auf den Händen. Dabei strahlte sie Makoto an. „Schmeckt es?“
„Fffehrr guff“, erwiderte der Gott.
„Ab zwanzig Gramm spricht man nicht mehr“, kommentierte Ralf. „Kauen, schlucken, sprechen, Makoto.“
„Nun triez ihn nicht. Das weiß er doch selbst“, mahnte Freya und lächelte sofort wieder zu Makoto herüber.
Amüsiert dachte Ralf daran, dass der Gott es eben nicht wusste, so wie er jetzt eilig kaute, um deutlich sprechen zu können.
„Sehr gut, Freya. Ich mag Pfannkuchen mit Erdbeermarmelade.“
„Das freut mich.“ Freya strahlte noch ein wenig mehr.
„Mir schmeckt es übrigens auch“, kommentierte Ralf spöttisch, erwartete aber nicht ernsthaft eine Antwort.

„Soll ich euch mit in die Stadt nehmen? Ich habe ein Auto und wollte eh in die große Bücherei im Zentrum. Mir fehlt noch Stoff von der Leseliste.“
„Danke, Katy, aber ich will Makoto noch zeigen, wie die Öffentlichen Verkehrsmittel funktionieren. Er wird es brauchen können.“
„So? Na ja. Du hast wohl Recht.“
Ralf beendete seine Mahlzeit und spülte mit einem Schluck Kaffee nach. Makoto beeilte sich, zu seinem Gläubigen aufzuschließen, aß die Pfannkuchen weit schneller als höflich gewesen wäre und spülte ebenfalls mit Kaffee nach. „Das war sehr lecker, Freya. Vielen Dank.“
„Das freut mich, Makoto“, erwiderte sie selig.
Wie auf ein geheimes Kommando erhoben sich Ralf und Makoto, räumten ihr Geschirr weg und verabschiedeten sich.
„Ach, Freya“, sagte Makoto und sah noch mal in die Küche.
„Ja?“ „Danke, dass du mir diesmal ins Gesicht gesehen hast.“
„Muss ich das verstehen?“, kommentierte Katy.
Grinsend zog Ralf seinen Gott hinter sich her. „Den konntest du dir wohl nicht verkneifen, was? Komm, wir gehen.“
„Was meinst du mit den, Ralf?“, erwiderte Makoto mit scheinheiligem Lächeln.

Als sich die Haustür hinter den beiden geschlossen hatte, trat Shawn Ironheart in den Flur, der zur Haustür führte. Er wartete einen Moment, dann folgte er den beiden.

2.
„Du hast Recht, Makoto, du unterscheidest dich wirklich sehr, wenn du das Geschlecht wechselst.“
„Das habe ich dir doch gesagt“, antwortete sie und drehte sich einmal um die eigene Achse. „Was meinst du, steht mir der Rock?“
„Wie viel willst du denn noch kaufen? Für deine männliche Form haben wir schon eine komplette Garderobe zusammen. Aber für deine weibliche Version reicht es mittlerweile, um Belitalia neu einzukleiden.“
Makoto dachte darüber nach und winkte dann ab. „Das ist nur einer der kleineren Staaten in Europa.“
Als Ralf seine Göttin mit blankem Entsetzen ansah, fügte sie hinzu: „Das war nur ein Scherz.“
„Na, Gott sei Dank.“
„Also, gefällt dir der Rock?“
„Ich sehe zwar Tausende Probleme auf uns zukommen, wenn du in so eindeutigen Mädchenklamotten herumlaufen willst, vor allem wenn du wechselst. Aber ja, der Rock steht dir ausgezeichnet. Oder sollte ich zu breit geratenes Stirnband sagen?“
„Hast du was dagegen, wenn ich meine Beine zeige?“ Makoto wirkte enttäuscht.
„Nein, habe ich nicht. Aber ich wette, in deiner männlichen Form siehst du in diesem Rock sehr lächerlich aus.“
„Na, vielleicht sollte ich mir das mal ansehen. Ich wechsele schnell mal.“
„Lass das!“, rief Ralf unterdrückt und sprang auf. „Hier sind noch mehr Leute im Laden. Ein Wunder, dass wir noch nicht richtig aufgefallen sind.“
„Nur ein Scherz“, wiederholte Makoto und streckte ihrem Gläubigen die Zunge raus.
Der ließ sich wieder auf seinen Platz sinken. „Oh, Ihr Götter, gebt mir Kraft.“
„He, lass die Konkurrenz aus dem Spiel“, beschwerte sie sich.
Ralf konnte nicht anders, bei diesen Worten musste er lachen.
„So gefällst du mir schon viel besser“, meinte die Göttin, beugte sich vor und stupste Ralfs Nase mit dem Zeigefinger an. „Du solltest öfter lächeln. Das sieht nämlich sehr gut aus.“
„Werde ich mir merken“, erwiderte Ralf und versuchte Makoto nicht in den Ausschnitt ihrer Bluse zu sehen.
„Also, den Rock nehme ich dann auch.“ Sie reckte die Arme hoch und streckte sich. „Puh, einkaufen ist anstrengend. Aber auch lustig.“
„Du hast gut reden. Du musst ja auch nicht die Taschen tragen“, beschwerte sich Ralf.
„Keine Sorge, ich lasse dich ja nicht alles alleine schleppen. Wenn wir hier raus sind, werde ich wieder ein Mann und helfe dir tragen.“ Die Göttin betrat die Umkleidekabine und zog sich aus. „Hier, die kannst du schon mal bezahlen gehen. Ich ziehe die Sachen von Jean wieder an. Die sind recht unauffällig und sie passen sowohl zu einem Mann wie zu einer Frau.“
„Okay.“ Mit der tiefen Hoffnung, dass der Einkauf damit beendet war, nahm Ralf die neuen Sachen und ging sie bezahlen.

Als er mit einer weiteren Tüte zurückkam, runzelte er kurz die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht.
„Na, wenn das mal nicht Ralfie ist, der Supergeschichtler“, erklang hinter ihm eine spöttische Stimme.
Ralf drehte sich langsam und mit einem tiefen Seufzer um. „Hi, Arnim. Du hier und nicht auf dem Mond?“
Arnim Kleyn war nicht wirklich das, was Ralf ein Problem nennen würde. Er war zwar größer als Ralf, aber langsamer und bestimmt nicht stärker. Abgesehen davon, dass er ein Angeber- und Großkotzdiplom wahrscheinlich mit Auszeichnung gewonnen hätte, störte eigentlich nur die Anzahl seiner Anhänger – der einzige Grund, warum Ralf lieber den Spott über sich ergehen ließ anstatt diesem Arsch mal tüchtig eine zu kleben.
Auch diesmal hatte Arnim drei seiner Getreuen um sich versammelt.
„Hättest du wohl gerne, was? Na, egal. Jedenfalls sind ich und die Jungs hier am Laden vorbei gegangen, und ich denke noch, wer ist denn der arme Trottel, der da auf die vielen Taschen aufpassen muss. Und dann erkenne ich dich. Ausgerechnet Ralf Schneider, der Mann mit dem Antigen gegen Frauen. Na, bist du mit deiner Mami einkaufen?“
Das Begleitkommando lachte in genau der richtigen Lautstärke und genau dem richtigen spöttischen Tonfall. Beinahe schien es, als hätten sie vorher geübt. Ob es einen Kursus an der Uni gab: Wie werde ich der perfekte Lakai für Sportstars und verwöhnte Muttersöhnchen?
„War es das? Bist du deine Sprüche losgeworden?“ Hoffentlich, hoffentlich.
„Aber, aber. Wer wird denn so unfreundlich sein. Was habe ich dir je getan?“
„Nichts Gutes zumindest“, presste Ralf zwischen den Lippen hervor.
„Aber, aber“, Arnim legte einen Arm um Ralfs Schultern. „Nun denk doch nicht so schlecht von mir. Ich will ja auch keinen schlechten Eindruck vor deiner Mami machen. Oder ist es deine Schwester? Vielleicht die Oma?“
„Eine Freundin“, brummte Ralf leise.
„Ach komm, das glaubt dir doch sowieso niemand.“ Wieder lachten die Lakaien.
„Du musst wohl wieder mal Manieren lernen, was, Schneider?“, knurrte Arnim, drückte Ralf noch enger an sich und riss sein Knie hoch.

Bevor Ralf aber reagieren konnte, schob sich eine kleine Hand zwischen seinen Magen und das Knie und blockte den Stoß ab.
Makoto funkelte den großen Sportler böse an. Sie umfasste sein Knie auch noch mit der anderen Hand, riss daran und holte Arnim so von den Beinen. Mit ein wenig Kraftaufwand mehr zog sie das Bein über ihren Kopf. Dabei wirbelte der überraschte Mann einmal um seine Achse und landete ziemlich hart auf dem Bauch.
Makoto wandte sich Ralf zu und lächelte ihn an. „Können wir dann?“
Der starrte ungläubig auf den am Boden liegenden Mann. „Wo hast du das denn gelernt?“
„Ach das“, sie schnappte sich ein paar Taschen und winkte ab. „Das kann jeder bei uns.“
Makoto sah zu den drei vom Begleitkommando und lächelte süß. „Wenn einer der Herren es vielleicht ausprobieren möchte…“
Die drei sahen von einem Moment zum anderen sehr desinteressiert an dem aus, was in ihrer Umgebung geschah. Einer hatte die Hände in die Hosentasche gesteckt und begann durch den Laden zu schlendern. Einer pfiff und starrte an die Decke. Der dritte wiegelte mit beiden Händen ab. „Nee, lass mal.“
Ralf raffte die anderen Tüten zusammen. „Wir können.“

Kaum waren die beiden aus der Tür raus, da stürzten die Lakaien auch schon dazu und halfen ihrem Idol auf. „Was ist passiert?“, fragte Arnim verwirrt.
„Zwei Dinge. Schneider hat ne Freundin. Und die hat dich zu Boden geschickt.“
„Eine Frau? Das bleibt unter uns, ja? Kein Wort zu irgendjemandem. Verstanden?“
Zähneknirschend sah Arnim den beiden nach. „Bei den Göttern. Dafür werde ich mich rächen.“
„Ist das nicht deins?“, fragte einer der Lakaien und reichte ihm eine Silberkette mit einem stilisierten Flammensymbol.
„Ja“, erwiderte Arnim barsch. „Das muss abgegangen sein, als ich den Boden geküsst habe.“
Er umklammerte das Zeichen der Feuergötter, bis sich die stilisierte Flamme in das Fleisch seiner Hand gebohrt hatte. „Das lasse ich mir nicht gefallen. Nicht von so einem reichen Schnösel wie Ralf.“
**
Als Makoto und Ralf wieder Zuhause ankamen, öffnete ihnen Shawn Ironheart die Tür, kurz bevor Ralf die Taschen abgesetzt hatte, um nach seinem Schlüssel zu suchen.
„Wow. Kannst du Gedanken lesen?“
Der Native American lächelte dünn. Für seine Verhältnisse war das ein breites Grinsen. „Das Haus hat Fenster“, sagte er leise.
„Oh. Er hat uns schwer beladen kommen sehen. Danke, Shawn“, rief Makoto fröhlich.
„Gern geschehen, Makoto, Ralf.“
Die beiden Freunde traten ins Haus.
„Wie es aussieht, war die Suche nach dem Gepäck nicht sehr erfolgreich“, sagte Shawn leise und deutete auf die Taschen.
„Ja, leider. Aber wir haben soweit alles gekriegt.“ Ralf schloss die Tür, indem er sie mit dem rechten Fuß wieder zurückschob.
Shawn deutete auf eine der Taschen und zog eine Augenbraue hoch. „Ist ELLIES nicht eine Boutique für Frauenmode?“
Makoto sah den Native überrascht an. Wie hatte er die Tüte entdecken können? Er hatte sie doch extra zwischen den anderen versteckt.
„Ja, ist sie. War uns auch ziemlich peinlich, damit rum zu laufen. Aber bei Jeans Store hatten sie nur noch diese Dinger. Die beiden Läden hängen irgendwie zusammen“, erklärte Ralf fröhlich und drückte den immer noch verdutzten Makoto in Richtung Treppe.
„Da steht ein richtiger Mann doch drüber“, kommentierte Shawn grinsend. Diesmal war es ein richtiges, breites Grinsen.
„Oh, Ihr seid wieder da. Das Gepäck von Makoto ist wohl nicht wieder aufgetaucht, was?“ Katy löffelte einen Joghurt und sah die beiden Männer an.
„Dafür waren sie in einer Boutique für Frauen einkaufen“, brummte Shawn Ironheart.
„Was?“ Katy wirkte erstaunt.
„Nur ein Scherz“, wiegelte Shawn ab und ging in die Küche.
„Du scherzt doch nie, Häuptling“, rief sie dem Native hinterher. „Und lächeln tust du auch sehr selten.
Tja, sieht so aus, als würde der Häuptling euch mögen.“
„Häuptling?“, echote Ralf.
„Ach, das hat dir ja noch keiner erzählt. Shawn ist ein richtiger Häuptlingssohn. Das ist so was wie ein vererbbarer Bürgermeistertitel.“
„Beeindruckend. Und er studiert Jura? Hier in Mittland und nicht Zuhause?“
„Hm“, Katy löffelte weiter in ihrem Joghurt. „Er ist ja nur für drei oder vier Semester hier. Seinen Jura-Abschluss macht er sicher drüben. Hat irgendwas mit neuen Erfahrungen und so zu tun.“
„Neue Erfahrungen sind wichtig.“ Makoto nickte nachdrücklich.
„Ja, deswegen bin ich ja auch aus Terre de France hergekommen. Und deswegen habe ich auch meinen Bruder nachkommen lassen.“ Katy wirkte nachdenklich.
„Habt Ihr denn was Schönes gekriegt? Darf ich mal sehen?“
Ralf wurde es heiß und kalt zugleich, als Katy an einer Tasche zu nesteln begann, die vom Einkauf des weiblichen Makoto stammte. „Weißt du“, begann er, „wir haben leider nicht viel Zeit. Wir wollen nur die Sachen weg bringen und dann sehen, wie es mit dem einschreiben für Makoto ist. Aber wir können ja heute Abend eine kleine Modenschau für dich veranstalten.“
Mit diesen Worten drückte er Makoto die Treppe hoch.

Oben angekommen schloss er erst mal ab, ließ die Taschen fallen und sackte gegen die Wand. „Mit dir wird es niemals langweilig, mein Gott. Glaubst du, Shawn ahnt etwas? Diese Stichelei mit der Damenboutique…“
Makoto hatte derweil wieder das Geschlecht gewechselt und wühlte in den Einkaufstaschen. „Das ist hübsch. Aber das hier… Warum habe ich als Mann nur diesen dämlichen Hang zu schwarzer Kleidung?“
„Hey, hörst du mir überhaupt zu?“
„Ja, klar, Shawn ahnt vielleicht was. Und?“
„Er könnte uns auffliegen lassen“, beschwerte sich Ralf.
„Und? Was soll er sagen? Hört mal, Makoto wird ab und zu ein Mädchen?“
„Hast du nicht gesagt, es wäre schlecht für dich, wenn bestimmte Leute herausfinden, dass du ein herabgestiegener Gott bist?“, brummte Ralf.
Erschrocken sah Makoto auf. „Du meinst, er ahnt auch, dass ich ein Gott bin?“
„Das hattest du nicht bedacht?“ Ralf runzelte die Stirn. „Viele Möglichkeiten bleiben da aber nicht mehr, wenn jemand sein Geschlecht wechseln kann.“
„Aber man muss deswegen doch nicht gleich ein Gott sein…“
„Schönheitschirurg dauert zu lange“, beschwerte sich Ralf.
„Es kann auch ein Fluch sein. Das kommt vor, dass Götter einen Menschen verfluchen. Je lustiger der Fluch, desto besser. Manche Götter haben einen merkwürdigen Humor.“
„Okay, wenn alle Stricke reißen erzählen wir allen, du seiest verflucht, alles klar.“ Frustriert klopfte er mit seinem Hinterkopf gegen die Wand.
„Und schon ist das Problem erledigt, nicht?“, lachte Makoto und hielt sich einen Rock an den Hosenbund. „Hier, das ist für dich.“
Ralf sah überrascht auf. „Was?“
Als etwas auf ihn zuflog, griff er zu. Und hielt ein weißes Shirt mit Knopfleiste in der Hand.
„Kleines Dankeschön, weil du so viel Geduld mit mir hattest“, meinte sie und lächelte.
„Ist sogar meine Größe“, stellte Ralf erstaunt fest.
„Frauen sehen so was“, stellte sie trocken fest und zog einen Männerpullover hervor. „Zu klein. Was habe ich mir nur dabei gedacht?“
„Wenn er dir als Mann nicht passt, kannst du ihn ja als Mädchen tragen.“ Ralf zwinkerte.
„Das dürfte reichlich eng werden.“ Makoto runzelte die Stirn.
„Eben.“ „Oh, du bist mir einer.“ Die Göttin wurde wieder zum Mann. „So, können wir dann?“
„Können was?“ „In die Uni gehen. Ich glaube, da besteht uns noch ein gewaltiges Stück Arbeit bevor.“
Ralf erhob sich. „Da könntest du Recht haben, mein Gott.“

3.
„Wer erwartet, dass die Götterstruktur klar gegliedert ist, wird bitter enttäuscht. Es ist keinesfalls so, dass Herress für das Wetter zuständig ist und Trema für die Fruchtbarkeit des Bodens, Kailin die Blitze bändigt und Agrinal den Regen bringt.
Vielmehr ergreift jeder Gott in jedem Pantheon, seien es nun die Götter vom Windclan unter Herress, oder die Erdgötter unter Trema eine diese Aufgaben, wenn sie erledigt werden muss.
Viele, wenn nicht alle Götter werden vor allem dann aktiv, wenn sie die Zahl ihrer direkten Gläubigen halten oder erhöhen wollen. Dies klingt auf den ersten Blick recht eigennützig, vor allem wenn man bedenkt, dass die Götter bis zu einem gewissen Punkt Gläubige um sich scharen, um die Kraft der Gebete zu erhalten. Aber letztendlich profitieren wir Menschen davon, mehr als manch einer glauben will.
Gewiss, wir sind die Geißel der Kriege noch lange nicht los. Und nicht wenige Kriege wurden geführt, um unter einem Feuerclangott einen Erdclangott zu bekämpfen.
Aber die meisten Kriege entstehen noch immer aus der menschlichen Eitelkeit. Und in diese Eitelkeit werden dann auch die Götter gezogen, denn sie bindet ein Pakt mit den Menschen.
Und in diesem Pakt ist der Mensch ein launischer Verbündeter, der viel fordert und wenig gibt. Das Gebet muss für die Götter auch nach Zeiten der Bedrohung durch die Dämonen sehr wichtig sein, sonst hätten sie der Unteren Ebene längst den Rücken zugedreht…“

„Hi, Ralf“, erklang Makotos helle Stimme vor dem lesenden jungen Mann.
„Hi, Makoto“, brummte er, sah kurz auf, sah wieder auf sein Buch, dachte eine Sekunde nach und erschrak. „Himmel, Makoto, warum bist du wieder ein Mädchen?“
„Ach, die Männerform war mir auf die Dauer zu langweilig. Und was soll schon passieren? Hier laufen doch fast zwanzigtausend Menschen herum. Alleine hier in der Mensa sind es doch schon an die tausend.“
„Du solltest nicht so viel mit dem Feuer spielen“, erwiderte Ralf ernst. „Je öfter du wechselst, desto höher ist die Gefahr, dass wir auffliegen. Und ich habe keine Ahnung, was dann hier los sein wird.“
Geknickt zog Makoto ihren Kopf ein. „Ich versuche mich zu beherrschen. Aber es ist wirklich langweilig immer nur Mann oder immer nur Frau zu sein. So ist es einfach lustiger.“
Ralf warf einen kurzen Blick in die Runde zu den anderen Tischen, die auf einmal voll besetzt waren. „Lustiger? Wegen denen da?“
Makoto winkte ab. „Sieht so aus, als hätte ich ein paar Verehrer, nicht wahr?“
Sie beugte sich über den Tisch und gab Ralf einen Kuss auf die Wange. „Aber keine Bange, mein Gläubiger, ich bleibe dir treu.“
Als Ralf nicht reagierte, fragte sie verwundert: „Nanu? Kein Kommentar?“
Ralf sah hoch. „Makoto, du solltest entweder einen BH tragen oder das Hemd höher zuknöpfen.“
Makoto griff sich an die Knopfleiste des Hemdes, wurde rot und setzte sich wieder. „Na und? Das ist nichts, was du nicht schon gesehen hast, oder?“
„Das ist hier nicht das Problem, Makoto“, erwiderte Ralf mit trockener Kehle.
Die Göttin musterte ihn intensiv. „Na? Ich bin mir da nicht so sicher. Oder warum bist du so rot im Gesicht wie Shawn?“
„L-lassen wir das“, erwiderte Ralf und wiegelte mit beiden Händen ab. „Für was hast du dich eigentlich eingeschrieben?“
Makoto strahlte von einem Moment zum anderen wieder. „Ich habe mich für etwas entschieden, was ich bereits kann. Sprachen. Vor allem die alten, ausgestorbenen. Die Sprechpraxis habe ich ja, nun will ich noch das schreiben lernen.
Und dann dachte ich, ich gehe in den gleichen Geschichtskurs wie du. Aber das wurde mir als Nebenfach abgeraten, und außerdem bin ich ja selbst mit der kleinen Täuschung bestenfalls Drittsemester…“
„Die kleine Täuschung, hm?“ Ralf musste grinsen. „Ausgemachte Verschwörung trifft es da schon eher. Es kommt nämlich nicht alle Tage vor, dass man vor dem Sekretariat von drei Nihonjin in Geschäftsanzügen empfangen wird, diese sich fast bis zum Boden verneigen und dir im Namen eines Urgroßonkels Fünften Grades deine verloren gegangenen Ausweise und Immatrikulationsbescheinigung übergeben.“
„Was ist falsch daran? Jetzt muss ich wenigstens keinen Ausweis erschaffen und den Computer der Uni nicht manipulieren. Jetzt gibt es sogar ganz und höchst offiziell einen Makoto Yama im System, Bürger von Nihon mit einjähriger Studienerlaubnis für Mittland.“
„Denkst du, das ist wieder so eine Schützenhilfe von deinen Eltern?“ Man sah Ralf an, dass ihm diese Variante nicht so gut gefiel.
„Durchaus möglich. Einem geschenkten Gaul sieht man aber nicht ins Maul, so sagt Ihr Menschen doch. Außerdem hatten alle drei die Aura des Erdclans an sich. Da können wir irgendeine Hinterlist oder Verrat fast ausschließen.“
„Dieses fast liegt mir irgendwie quer im Magen“, murmelte Ralf.
„Ach, komm, es wird schon nichts schief gehen. Wir sind doch schon so weit gekommen. Wir haben ne Unterkunft, wir haben Geld, wir haben uns eingeschrieben. Das wird ein tolles Jahr, das wir zusammen verbringen werden, mein Gläubiger.“
„Dieses fast liegt mir trotzdem quer im Magen“, beschwerte sich Ralf erneut.
„Hm. Dann sollten wir diese Sache im Auge behalten. So, ich will los. Da wir ja schon mitten im Semester sind und die Uni für mich eine Riesenausnahme gemacht hat, will ich zu meiner ersten Vorlesung nicht zu spät kommen.“
„Warte, warte, warte. Du hast dich doch hoffentlich nicht für einige Kurse als Frau eingeschrieben, oder Makoto?“
Sie lächelte schief. „Was, wenn ich es habe?“
„Makoto, du hast doch nicht…“
„Nur ein Spaß.“ Sie beugte sich wieder vor und drückte ihm erneut einen Kuss auf die Wange. Dann sprang sie auf und verließ im Laufschritt die Mensa.

Nur einen Moment später war Ralf von einer Horde junger Männer umgeben.
„Schneider, wer war das?“, rief der eine. „Und warum gibt sie sich mit dir ab?“, fragte der nächste. „Was viel wichtiger ist, warum küsst so eine heiße Braut so einen Trottel wie dich?“, beschwerte sich der Dritte.
Ralf sah sich verwirrt um. Das waren mindestes zehn, elf seiner Studienkollegen aus vier seiner Kurse. Und alle waren beinahe rasend vor Eifersucht.
Einen Moment ließ sich Ralf die Szenerie durch den Kopf gehen. Okay, es war ein allgemeiner Witz, dass seine Studienkollegen behaupteten, er hätte eine Immunität gegen Frauen. Und es war auch eine Tatsache, dass er bisher noch keine dauerhafte Freundin gehabt hatte, gerade seit er sich eingeschrieben hatte.
Aber das auch nur, weil ihm nie eine gereicht hatte.
Sollte er vielleicht diesen jungen Männern erzählen… Verdient hätten sie es ja. Aber nein, das wäre für Makoto nur peinlich geworden.
„Nun sag schon, ist sie deine Schwester, oder was?“
Das gab den Ausschlag. Ralf lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und erklärte süffisant: „Das eben gerade, meine Herren, war meine Freundin.“
Ein allgemeines, erschrockenes Raunen ging durch die Reihe.
„Das ist ein Witz“, stellte einer von ihnen resolut fest.
Ralf strich sich über die Wange, auf die Makoto ihn zweimal geküsst hatte. „Tja, glaub doch, was du willst.“
Wieder ein erschrockenes Raunen.
„Das kann ich so nicht hinnehmen. Ein wunderschönes Mädchen wie diese Frau, verschwendet an einen Idioten wie dich… Ich, William Cogsworth, werde sie vor dir retten!“
Kurz darauf saß Ralf wieder alleine am Tisch.
Wieder dachte er über die Situation nach. Und begann die plötzlich schmerzenden Schläfen zu massieren. „Was habe ich eigentlich gerade angestellt? Trottel, Trottel, Trottel.“
**
Vor der Mensa lehnte Makoto an der Wand und erwartete die Horde bereits.
Sie grinste schief. „Habt euch ja ganz schön Zeit gelassen.“
Die gut elf Mann starke Truppe erstarrte. Zehn von ihnen wurden zu Statisten degradiert, als William vortrat. „Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn…“
„Ich denke, ich sollte deiner kleinen Rede zuvor kommen“, sagte Makoto bestimmt und stieß sich von der Wand ab. Sie stellte sich direkt vor Cogsworth auf und musterte ihn.
„Ich weiß schon, was du sagen willst. Ralf ist mich nicht wert und so weiter. Und du würdest nur zu gerne seinen Platz einnehmen. Ich habe alles gehört, was Ihr da drinnen gesagt habt.“
Makotos Grinsen wurde ein feminines Lächeln.
Die Gruppe entspannte sich sichtlich.
„Und mir gefällt überhaupt nicht, was Ihr da gesagt habt.“
Von einem Moment zum anderen wurde ihr Minenspiel böse, fast dämonisch. „Jetzt hört mir mal alle gut zu. Ralf und ich haben eine ganz besondere Beziehung zueinander. Die lasse ich mir von keinem Mann kaputt machen. Und von solchen Trotteln wie euch schon gar nicht.
Wir beide sind aufeinander angewiesen, in einem Maß, dass Ihr euch nicht vorstellen könnt. Und außerdem mag ich ihn zu sehr, um daran etwas ändern zu wollen.“
„Ich könnte wirklich seinen Platz einnehmen“, wagte William einzuwenden.
Makoto musterte ihn und erkannte die Wasseraura um ihn herum. „Nein, könntest du nicht. In keinem Fall.
So, Jungs, wenn ich noch einmal höre, wie jemand hier schlecht über meinen Ralf spricht, ihn als immun gegen Frauen bezeichnet oder auch nur in Gedanken einen Trottel ruft, dann hat er Ärger mit mir.“
Makoto griff sich Williams Hemd, hob den mittelgroßen Mann vom Boden ab und hielt ihn so über sich, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. „Haben wir uns verstanden, Mister Cogsworth von den Gälischen Inseln?“
Als sie keine Antwort bekam, bemerkte sie, dass ihre Art, ihn hochzuheben seinen Körper unweigerlich gegen ihren drückte. Ihr Mund verzog sich zu einem zynischen Grinsen. „So ist das also.“
Wütend warf sie ihn davon. Er krachte in die Gruppe seiner Kommilitonen und riss vier von ihnen zu Boden.
„Beim nächsten Mal werde ich richtig wütend, klar?“, blaffte die Göttin und stapfte davon.
William schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. „Was für eine Frau. Was für eine Frau. Eine Göttin. Dieses heißblütige Engelswesen ist doch an Ralf vollkommen verschwendet. Ich schwöre, ich reiße sie ihm aus seinen klammen, feuchten Fingern und werde ihr richtiger, wahrer, einziger Freund.“
William sah hoch und bemerkte gut vier bis fünf Dutzend andere Studenten, die die Szenerie interessiert verfolgt hatten.
Der Gäle wurde rot. „Das ändert nichts. Ich kriege dich, auch wenn ich noch nicht einmal deinen Namen kenne, mein Engel.“

Ralf, der gerade aus der Mensa kam, schüttelte nur den Kopf. „Als Frau scheint sie besonders stark zu sein. Und besonders impulsiv.“
„Schneider!“, blaffte Cogsworth und enthedderte sich aus dem Pulk an Armen und Beinen. „Ab sofort sind wir Rivalen!“
„Erzähl das jemandem, den es interessiert!“, konterte der.
William kam letztendlich auf die Beine und lief Ralf hinterher. Als er ihn erreicht hatte, riss William ihn herum. „Schneider. Ich gebe zu, ich habe mich geirrt. Eine Frau wie diese zu bekommen ist eine Leistung, die mir Respekt abverlangt. Wenn ich sage, dass wir Rivalen sind, dann ist das auch ein Versprechen, dich nicht mehr zu drangsalieren. Aber bitte, tu mir einen Gefallen. Verrate mir ihren Namen.“
Ralf drehte sich um und ging weiter. „Der geht dich einen feuchten Kehricht an, Gäle.“
„Ach komm!“, rief William ihm hinterher. „Gib mir eine Chance. Wenn du dir deiner Freundin so sicher bist, dann verlierst du doch nichts, wenn du mir ihren Namen sagst.
Oder hast du Angst, sie doch an mich zu verlieren?“
Ralf fror mitten im Gehen ein. Er senkte den Kopf. „Makoto. Ihr Name ist Makoto.“
Als er weiterging, murmelte er vor sich hin: „Jetzt bin ich wirklich ein richtiger Trottel.“
**
An einem anderen Ort in der Stadt, genauer gesagt einer kleinen, geduckten Kapelle, hatte sich ein sichtlich frustrierter Arnim Kleyn ohne seine Gefolgschaft niedergekniet, um seine Wut durch ein Gebet zu kanalisieren.
Nur kurz ging sein Blick über den prächtig gestalteten Innenraum, der einige wichtige Episoden aus dem Wirken des Gottes bei den Menschen zeigte, dem die Kapelle gewidmet war – Ausyl.
Einige Bilder sprachen von verheerenden Bestrafungen. Andere zeigten prunkvolle Siegesfeiern. Hier und da aber flammte plötzlich mitten in einer eisigen Nacht ein Feuer auf, daß tagelang nicht erlöschen wollte und einsame, verlorene Reisende wärmte.
Ausyl war ein Gott des Feuers, ein wichtiger Gott. Er war launisch, rachsüchtig und kriegerisch. In seinem Namen wurden mehr Kriege unter dem Zeichen des Feuerstamms geführt als unter dem Namen von Kailin, der Herrin des Feuers. Aber man sagte ihm auch eine regelrechte Schwäche für die Menschen nach. Wen er für würdig befand, dem half er selbst in bitterkalter Nacht mit einem wärmenden Feuer aus dem Nichts.
Arnim schmunzelte kurz. Dieser Gott war wohl der einzige, der sich nicht entscheiden konnte, was er sein wollte – Wohltäter oder Kriegsgott.
Früher, als die Familie Kleyn noch bedeutend gewesen war, hatte sie die Kapelle Ausyl zu Ehren erbauen lassen. Heutzutage erinnerte nur noch eine kleine Gedenktafel daran. Vom Ruhm seiner Familie war im Zeitalter der Computertechnik nicht mehr viel übrig geblieben.
Vielleicht war das einer der Gründe, warum Arnim reiche Studenten wie Schneider verabscheute. Auch wenn er angeblich im Moment von seinen Eltern nicht gefördert wurde, er kam aus einem reichen Elternhaus und hatte Mittel zur Verfügung, für die er überhaupt nichts geleistet hatte. Ihm fiel alles in den Schoß. Er hatte keine Familientradition zu wahren, und was noch schlimmer war, Schneider war nicht einmal einem Gott geneigt!

Über dem Altar begann die kleine, ewige Flamme Ausyls aufzulodern. Arnim lächelte zynisch. Seine Wut regte die Aura der Kapelle an. Dadurch wurde die Flamme größer und größer.
Es hieß, dass sich Menschen, die voller Hass und Zorn und Rachegedanken zum Gebet gekommen waren, sich durch die Reflektion ihrer niedersten Gefühle selbst zu Asche verbrannt hatten.
Auch wenn er diese Geschichten nicht glaubte, war das auflodern der Flammen ein sichtbares Zeichen dafür, dass er nicht im Gleichgewicht war. Also wandte er seine Gedanken dem Gebet zu.
Um zu beten musste man sich nur auf den Gott konzentrieren, dem das Gebet galt. Manche benutzten gerne dazu ein Lied oder ein Mantra, manche schilderten ihre Sorgen und Nöte in Worten. Arnim wusste, dass es seinem Gott vor allem um den Odem ging. Also tat er einfach seine Pflicht seinem Gott gegenüber und ersparte ihm, seine Sorgen zu ertragen.

Merkwürdig, die Flamme hätte eigentlich schrumpfen müssen. Arnim hatte seine Gefühle wieder im Griff.
Doch die ewige Flamme wurde größer, immer größer.
Die anderen Anwesenden und ein Priester Ausyls verließen eilig die Kapelle. Sicher hatten auch sie die Geschichten der Gläubigen gehört, die sich selbst gerichtet hatten.
Auch Arnim wollte aufstehen und gehen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht.
Mit jedem Wachstumsstoß der Flammen wurde es heißer in der Kapelle. Erste Ausläufer der Flammen leckten bereits über die prachtvollen Reliefs an den Wänden.
Dem Studenten trat der Schweiß auf die Stirn.
„Ich… muss… hier… raus…“
Und dann…blendete ein greller, verzehrender Blitz seine Wahrnehmung.

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Arnim blinzelte, öffnete die Augen und blinzelte erneut.
Die Flamme auf dem Altar hatte wieder die alte Größe angenommen. Auch die Temperatur war wieder auf dem alten Niveau angekommen. Neu war nur die hoch gewachsene, von einem bläulichen Flimmern umgebene Gestalt mit dem Feuerroten Haarschopf vor dem Altar. Sie hatte breite Schultern, ein Gesicht, dass man durchaus als grobschlächtig bezeichnen konnte. Und schwarze Augen, die ihn stechend fixierten.
„Ausyl“, stellte Arnim atemlos fest.
„Ganz Recht“, erwiderte der Gott und trat langsam näher. Seine Stimme war warm, sanft und schien so gar nicht zu den harten Gesichtszügen passen zu wollen. „Ich bin Ausyl, dein Gott, Arnim Kleyn, Erbe der Familie, die mir zu Ehren diese Kapelle errichtet hat.“
„Du kennst mich?“, fragte der Student überrascht.
„Oh, ich beobachte die Untere Ebene von Zeit zu Zeit. Es gibt hier einiges, was meiner Aufmerksamkeit wert ist. Auch wenn dein Leben für einen Gott nur kurz währt, so habe ich dich doch kennen gelernt. Deine regelmäßigen Gebete bedeuten Odem für mich. Guten Odem von einer ehrenwerten Familie, von großer Reinheit.“
Der Gott kam mit langsamen Schritten näher. „Du hast Glück. Ich bin in der Laune, dir dafür einen Gefallen zu tun.“
„Einen Gefallen?“, argwöhnte Arnim leise. „Aber ich wünsche nichts.“
„Nein?“ Der Gott legte den Kopf schräg. „Lass mich nachdenken. Du bist heute zu deinem Gebet gekommen und warst voller Wut. Wut auf einen Mitstudenten. Wut auf seine Freundin. Wut auf das, was sie dir angetan haben.“
„Ich habe meine Wut im Griff, mein Gott“, presste Arnim zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich habe sie längst niedergerungen.“
„Aber warum niederringen? Warum nicht in die Offensive gehen? Warum nicht diese beiden bestrafen? Warum nicht vernichten? Warum nicht mit göttlicher Kraft ihr Ende beschwören?“
Ausyl lächelte kalt.
Arnim wurde klamm, obwohl der Gott eine Hitze ausstrahlte, die ein Wohnhaus hätte heizen können. Okay, der Gedanke war verlockend, dem reichen Halunken und seinem Kampfflittchen eins auszuwischen. Aber so wie der Gott vor ihm stand, war es mit auswischen wohl nicht getan.
„Das kann ich auch ohne deine Hilfe, Ausyl. Warum also deine Göttlichkeit für eine derart niedere Aufgabe verschwenden?“, wehrte Arnim ab.
Der Gott trat vor, sah auf den knienden Menschen herab. „Du lehnst meine Hilfe ab?“
Arnim schluckte hart. „Ich lehne deine Hilfe ab.“
„Es sind nur Menschen. Einfach nur Menschen. Sie glauben nicht einmal an den Feuerstamm. Der eine glaubt an gar nichts. Und die andere… Sie ist dem Erdclan verbunden“, stellte Ausyl fest.
„Ich lehne deine Hilfe ab“, blaffte der Student, überrascht über seine eigene Courage. Immerhin bot er hier einem Gott die Stirn, einem GOTT!
Der Feuergott kratzte sich nachdenklich die Stirn. „Nun, ich erkenne an, dass du deine Probleme selbst bewältigen willst. Das ist in der Tat ein Zeichen großer Innerer Stärke.“
Arnim schluckte hart, denn das klang gewaltig nach Aber, und dieses Aber, da war er sich sicher, würde ihm überhaupt nicht gefallen.

Der Gott trat näher, berührte ihn fast mit der rot flimmernden Aura. „Aber wie kommst du nur darauf, dass ich dir das Recht einräume, meine Hilfe abzulehnen?“
Ausyl berührte ihn, und eine warme Mattigkeit erfüllte den jungen Mann. Der Gott war nicht herabgestiegen. Somit berührte Ausyl ihn mit seinem Fluidum. Das war definitiv tödlich.
„Wie steht es jetzt, junger Kleyn? Wie steht es um meine Hilfe?“
Arnim sah auf, sah seinen Gott trotzig an. Damit er leben konnte, sollten zwei andere sterben?
Es verwunderte ihn selbst, dass er sich so entschied, aber man sagte ja nicht umsonst, dass man seinen Charakter erst strapazieren musste, um ihn kennen zu lernen. „Ich… lehne deine Hilfe ab. Ich habe meine Probleme bisher… immer selbst in den Griff bekommen, mein Gott“, japste er mit dem Gedanken daran, dass sich dieses Problem sowieso gleich erledigt haben würde. Doch neben dem Fluidum seines Gottes hatte etwas anderes ihn erfasst. Eine Tiefschöpfende, alles umfassende Ruhe…
„Das ist schade“, brummte Ausyl und sah dabei zu, wie Arnim Kleyn neben ihn im Todeskampf zu Boden sackte.

4.
„Tollpatsch!“, blaffte Ralf seinen Gott an und sprang vom Tisch zurück.
Makoto starrte wie hypnotisiert auf die brennende Paste, die sich langsam auf dem Tisch verteilte, und damit die brennende Stelle vergrößerte.
„Ich sagte doch, erst anzünden, wenn du die Paste eingefüllt hast! Nicht vorher. Was hast du dir dabei nur gedacht?“
„Tut mir leid“, sagte Makoto verlegen und lachte leise. „Mit Feuer habe ich keine großen Erfahrungen.“
„Musst du ja auch gar nicht“, stellte Freya fest, stand auf und ging zur Spüle.
„Warte, warte, warte“, wandte Jean ein. Als ihm alle seine Aufmerksamkeit widmeten, schrumpfte der junge Mann ein wenig in sich zusammen und wurde leiser. „Die Paste schwimmt doch bestimmt, wenn du Wasser nimmst, Freya.“
„Das ist gut. Ich halte einfach die Form an den Tischrand, Freya kippt Wasser drüber, und dann sammle ich die ganze brennende Paste ein. Und wir können trotzdem das Fondue damit anheizen“, stellte Makoto fest und ging am Rand des Tisches in Lauerstellung.
Ralf schlug sich eine Hand vor das Gesicht und stöhnte gequält. „Und wenn du die Paste nicht erwischst, brennt entweder deine Kleidung oder der Fußboden, Makoto!“, blaffte er. „Und Jean hat Recht, mit Wasser löschen zu wollen hilft hier nichts.“
Freya runzelte die Stirn. „Hm. Das ist aber die letzte Packung mit Brennpaste. Entweder wir nehmen die, oder wir müssen auswärts essen gehen. Außerdem ist der Tisch aus Holz. Das gibt bestimmt Brandflecken.“
„Man kann sie auch anders löschen“, stellte Shawn Ironheart fest und stülpte eine Glasschale über die brennende Paste.
Kurz darauf erlosch die Masse.
„Das war gut mitgedacht, Shawn“, sagte Jean beeindruckt. „Ohne Sauerstoff kein Feuer.“
„Kann man so auch nicht sagen. Manche brennbare Dinge bringen den Sauerstoff gleich mit. Ach, was rede ich da. Lass mich das mal machen, Makoto.“
Ralf nahm seinem Gott die Form ab, hob die Schale, die auf der Innenseite leicht verrußt war und kratzte die heiße Paste in die Form. Danach stellte er die Form unter den Fonduetopf und entzündete sie wieder. „Na also, klappt doch.“
Freya beäugte die Schale misstrauisch. „Die sollten wir besser gleich abwaschen. Wenn Katy sieht, was Ihr drei ihrer Kristallglasschale angetan habt…“ Sie zwinkerte Ralf, Makoto und Shawn zu.
„Wieso ihr drei? Ich habe doch überhaupt nichts damit zu tun“, beschwerte sich Ralf.
„Ein schöner Freund bist du“, meinte sein Gott grinsend. „Kaum wird es mal gefährlich, ist auf dich kein Verlass mehr.“
Ralf sah Makoto an. Und schwieg.
„Hey, das war nur ein Scherz, Ralf“, beschwichtigte Makoto.
„Hm“, machte Ralf und sah desinteressiert weg.
„Ach ja, bei der Gelegenheit“, meldete sich Markus Holt zu Wort, um die Situation zu entschärfen, „wie war eigentlich dein erster Tag, Makoto? Hat dir die Uni gefallen?“
„Also, ich fand es super. Ich hatte viel Spaß an meinem ersten Tag. Und ich habe einen Haufen Idioten… Ich meine, jede Menge nette Menschen getroffen.“
„Hast du dich gut zurecht gefunden?“, meldete sich Freya zu Wort. „Wenn nicht, ich kann mit dir gerne mal einen Rundgang machen.“
„Nein, nein, es ist recht einfach, sich in der Uni zu Recht zu finden.“
„Gut, dass Makoto mich nicht gefragt hat. Ich wäre wahrscheinlich zu unzuverlässig, um ihm auch nur die Mensa zu zeigen“, brummte Ralf leise vor sich hin.
„Da ist wohl jemand verärgert“, stellte Jean fest, zog aber sofort den Kopf ein, als ihn ein wütender Blick von Ralf traf.

„Was habt Ihr mit meinem Baby gemacht?“, erklang eine hysterische Frauenstimme von der Tür zum Flur her. Katy kam herein gestürmt und riss die Schale an sich. „Die gute Kristallschale von Grandmère. Habt Ihr etwa die Brennpaste für das Fondue hier drin angezündet?“
Sie sah zu Ralf herüber. Der hob abwehrend die Arme. „Aber nein, aber nein, Katy, das siehst du völlig falsch. Und du siehst auch den völlig falschen an. Es war…“
„Ein Feuer…“, hauchte Makoto.
„Ja, richtig. Ein Feuer. Und zwar die Brennpaste. Er hat sie nur angezündet, bevor sie umgefüllt war und…“
„Es brennt…“, hauchte Makoto.
„Nein, es ist aus, denn als die Paste sich über den Tisch ausgebreitet hatte, da hat Shawn die Schale genommen und…“
Ein lauter Entsetzensschrei ließ die anderen herum fahren. Makoto hatte ihn ausgestoßen und war vom Tisch aufgesprungen. „Das Feuer!“
Ralf stand auf. „Es ist doch erledigt, Makoto. Es ist nicht mal ein Brandfleck im Tisch. Und den Ruß kann man aus der Schale waschen.“
Makoto sah seinen Gläubigen an. „Nein, das ist es nicht, ich… Ralf. Ich… Ich muss noch mal weg.“
Der Gott sprang auf und verließ das Esszimmer im Laufschritt.
„Was ist denn mit ihm los?“, fragte Katy verwundert, während sie mit einem Taschentuch den gröbsten Ruß aus der Schale wischte.
„Tja, du wirkst eben nicht nur auf mich Angst einflößend, Schwester“, kommentierte Jean mit einem Feixen, wofür er einen schmerzhaften Schlag gegen den Oberarm kassierte.

Ralf hörte Makoto die Treppe hoch laufen, eine Tür schlagen, wieder eine Tür schlagen und Makoto die Treppe herunter rasen. Der Gott sah kurz herein und winkte. „Ich muss los. Guten Appetit noch.“
„Makoto!“ Ralf lief zur Tür. „Warte auf mich!“
Der Gott blieb stehen. „Nein, Ralf. Du kannst mir nicht helfen. Bleib hier, iss in Ruhe. Ich bin bald zurück.“
Makoto klopfte seinem Gläubigen auf die Schulter und verließ das Haus.
Ralf setzte sich wieder an den Tisch und zählte bis zwanzig. Dann sprang er auch auf und lief die Treppe hoch, seine Jacke holen.
„Was hast du vor, Ralf?“, rief ihm Katy nach.
„Na, was wohl? Glaubst du, dieser Idiot kommt alleine Zurecht? Ich folge ihm natürlich!“
„Aber du hast doch gar keine Ahnung, wo er hin ist. Und warum. Vielleicht hat er ja ne Freundin und du vermasselst ihm das Treffen.“
Als Freya die Freundin mit großen Augen ansah, fügte sie hinzu: „Oder was ähnliches.“
„Ich weiß, wo er hin will. Tut mir Leid um das Essen, Leute. Aber ich kann dieses Kleinkind nicht im Stich lassen.“
Ralf schlüpfte in seine Jacke, winkte noch einmal grüßend und verließ das Haus.

Na toll, das war ja gut durchdacht gewesen. In Wirklichkeit hatte er überhaupt keine Ahnung, wohin Makoto wollte. Er hatte nur gedacht, dass die Dinge sich schon richten würden, wenn er etwas tat. Stattdessen stand er nun an der Straße und konnte sich nicht entscheiden, ob er in die Innenstadt oder zur Uni laufen wollte.
Bis über der Uni eine feurige Säule in den Himmel schoss. „Das Feuer! Da ist er hin!“
Ralf lief los. Ob es gefährlich werden würde, interessierte ihm nicht. Da waren nur Makotos Worte, die in seinem Kopf hämmerten: „Ein schöner Freund bist du. Kaum wird es mal gefährlich, ist auf dich schon kein Verlass mehr.“
Ralf biss die Zähne zusammen.
**
Diese Präsenz… Sie war eindeutig. Makoto hatte nicht viel Erfahrung mit den Göttern der anderen Stämme. Wenn er ehrlich war, eigentlich gar keine. Aber es war, wie sein Vater immer gesagt hatte: Manche Dinge im Universum waren nun mal feste Konstanten.
Und ein Gott würde einen anderen Gott in seiner Nähe zwangsläufig spüren. So wie Makoto jetzt spürte, wie ein Gott des Feuers auf dem Gelände der Universität seine Fähigkeiten einsetzte. Was aber noch schlimmer war, Makoto wusste mit schmerzhafter Sicherheit, dass dieser Gott nach ihm rief. Direkt nach ihm. Nicht nach Makoto Yama. Nein, nach dem Gott Makoto!
„Was bin ich doch für ein Idiot!“, japste Makoto beim laufen. „Ich, ein unerfahrener Nachwuchsgott, mit einem einzigen Gläubigen ausgestattet, werde von einem was weiß ich wie erfahrenen Gott herausgefordert. Und ich habe nichts Besseres im Sinn, als auf diese Herausforderung einzugehen. Und das, nachdem ich meinen einzigen Gläubigen auch noch verärgert habe.“

Makoto sah vor sich eine Flammensäule in den Himmel schießen. Er wurde für einen Moment langsamer. „Das wird nicht gut ausgehen! Das wird ganz und gar nicht gut ausgehen!“ Er wechselte in die Mädchenform und wurde noch einmal schneller.
Für einen Kampf, wie er ihn erwartete, war die Frauenform einfach besser geeignet. Schneller. Gewandter. Aggressiver. Vielleicht sogar stärker.
Atemlos erreichte Makoto den Campus. Für einen Moment wunderte sie sich darüber, dass sich weder die Presse, Polizei und Feuerwehr, noch eine Horde neugieriger Studenten eingefunden hatte. Bis sie die Aura spürte, die über diesem Ort lag. Sie war nicht mehr so stark wie im Moment ihrer Erschaffung. Aber sie war deutlich spürbar. Wer sich immer während der Entstehung der Aura auf dem Campus aufgehalten hatte, würde noch für Stunden in tiefem Schlaf liegen.
Warum machte sich der Feuergott so viel Mühe mit den Menschen? Wollte er sie aus dem Kampf heraus halten? Oder verdiente das niedere Kroppzeug, wie manche Götter die Menschen nannten, seine Beachtung nicht?
Makoto rannte am Hauptgebäude vorbei und lief auf den Innenhof.
Vor sich erkannte sie eine einsame Gestalt, die in der ungefähren Mitte des Platzes stand und interessiert dabei zusah, wie das Gras zu ihren Füßen langsam verbrannte.
Makoto konnte die Aura deutlicher spüren als jemals zuvor. Dies war ein Feuergott. Ein Feuergott der herab gestiegen war – wofür?

Der fremde Gott sah auf. „So, so. Du bist also gekommen, Gott des Erdclans.“
Makoto blieb zwanzig Meter vor dem fremden Gott stehen und kniff die Augen zusammen. Um seinen potentiellen Gegner flimmerte die Luft, als wäre sie unglaublich heiß. Trotzdem fröstelte die Göttin.
„Wer bist du? Und was willst du von mir?“, rief Makoto und erkannte, dass ihre Stimme ins Schrille abgeglitten war. Diese Situation, dieser Mann machte ihr Angst. Mühsam zwang sie dieses Gefühl nieder.
„Wer ich bin? Was ich will?“ Der Gott kam langsam auf sie zu. In seinen Fußstapfen brannte das Gras. „Die Menschen nennen mich Ausyl. Und ich will… ein Opfer.“
Makoto riss die Augen auf. „Ich kenne dich. Nein, ich kenne den Körper! Das ist dieser Idiot aus der Boutique, der Ralf…“ Erschrocken legte Makoto die Hände vor den Mund. „Du hast Besitz von ihm ergriffen?“
Ausyl lachte. Lachte so laut, dass es Makoto durch Mark und Bein fuhr. „Dieser Mann ist mein Gläubiger. Er hat mich um einen Gefallen gebeten. Und ich erfülle ihn jetzt. Mach dich bereit zu sterben, kleiner Gott. Ich habe ihm nämlich Rache versprochen!“
Provozierend langsam stapfte Ausyl auf die Erdgöttin zu. Flammen schienen auf seiner Haut zu lodern, verzehrten sie aber nicht.

Als ihn und die weibliche Makoto nur noch ein paar Schritte trennten, fragte Ausyl: „Wie nennen die Menschen dich, Gott?“
„Makoto“, erwiderte die Göttin. Sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden. Sie fühlte pure, blanke Angst. Sollte sie hier sterben, ihre körperliche Hülle aufgeben? Würde sie auf die Obere Ebene zurückkehren? Durfte, konnte sie überhaupt zurückkehren? Und was würde aus Ralf werden, wenn sie nicht mehr hier war?
„Makoto also.“ Ausyl schien amüsiert. Er streckte die rechte Hand aus und richtete die Handfläche auf die Erdgöttin. „Makoto von den Erdgöttern.“
Sie sah auf, dem jungen Mann namens Arnim genau in die Augen. In Augen, in denen das Fluidum eines Gottes wütete. „Stirb, Makoto!“
Makoto duckte sich und erwartete das Ende. Ein helles Zischen und Brausen kündigte davon und sie erwartete die furchtbaren Schmerzen des Todes durch die Kraft des Feuers, doch nichts geschah. Also sah sie wieder auf.
Neben Ausyl stand Ralf, vollkommen außer Atem, in der Hand einen Feuerlöscher.
Der Gott selbst war seiner Flammenaura beraubt.
„Ralf, was machst du hier?“ Sie deutete auf Ausyl im Körper von Arnim. „Das ist ein Gott! Er kann dich töten!“
„Das… Das ist mir egal! Er will dich töten, das reicht mir. Egal was du denkst, du kannst dich auf mich verlassen!“ Ralf grinste Makoto schief an. „Mit dir wird es wirklich niemals langweilig, meine Göttin.“
Für einen Moment verschwand die Angst. Ein anderes Gefühl überwältigte Makoto. Pure, glücksselige Dankbarkeit.

Dieses Gefühl wich jedoch großer Panik, als sich die Linke von Arnim alias Ausyl um den Hals Ralfs schloss und ihn vom Boden abhob. „DU!“, grollte er. „Du wagst es, einen Gott anzugreifen?“
Ralf ließ sich nicht beeindrucken und versprühte den Rest des Schaumlöschers über den Gott. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Stattdessen verstärkte sich der Druck um seinen Hals.
„Ma… Makoto“, krächzte er. „Lauf!“
Die Göttin starrte auf die in die Luft gehobene Gestalt. „Das kann ich nicht! Ich kann dich doch nicht im Stich lassen!“
„Du… musst…“
„Nein, Ralf. Nein!“
Ausyl verzog seine Lippen zu einem zynischen Grinsen. „Warten wir noch ein Minütchen, dann kann ich meine Flammenkraft wieder einsetzen. Bleib einfach so lange stehen, ja, Erdgott?“
Ralf röchelte und schwang den leeren Feuerlöscher gegen den Feuergott. Einem normalen Menschen hätte er mit dem Hieb den Schädel eingeschlagen. Doch der Gott parierte mit unglaublicher Schnelligkeit und schlug den Feuerlöscher aus Ralfs Händen. „Ich gebe zu, du bist motiviert. Aber auch wenn dein Tod eine Befriedigung für meinen Gläubigen wäre, du bist nur eine Zugabe. Ich will zuerst den Erdgott. Du darfst dabei zusehen.“
Ralf riss beide Arme hoch und zerrte an der Hand, die sich um seinen Hals klammerte. „Das… werde… ich… nicht… zulassen!“
„Ausyl!“, blaffte Makoto und sank auf ein Knie. Entschlossen presste sie beide Hände auf den Boden. „Du willst mich, also lass den Menschen gehen!“
„Du willst also wirklich gegen mich kämpfen? Nun, vielleicht überlebst du die erste Minute. Dann lasse ich deinen Gläubigen eventuell am Leben.“

„AUSYL!“, gellte eine Frauenstimme auf. Ein Wasserrohr brach direkt neben den beiden. Die Wasserfontäne, die hervor kam, formte sich zu einer Säule, die den Gott hart im Bauch traf und umwarf.
„Makoto!“, rief die Frau wieder.
Die Göttin nickte und benutzte ihre Kraft, um die Erde zu formen. Ein dünner Speer aus Erdreich schoss aus dem Boden und drängte sich zwischen Ralfs Hals und Ausyls Hand. Eine weitere Anstrengung, und der Feuergott hielt nur noch die Erde in der Hand, während Ralf frei kam. Ausyl brüllte vor Zorn, konnte sich aber wegen der Wassersäule kaum bewegen.
Ralf kam hustend auf die Beine. Makoto lief zu ihm und half ihm dabei. Auf der anderen Seite tauchte Freya auf. Sie hakte sich bei Ralf ein.
Auf die fragenden Blicke der beiden rief sie: „Später! Erst mal hier weg!“ Sie liefen los, auf eines der Nebengebäude zu.

Während sie durch die schier endlosen Gänge der Uni liefen, japste Freya: „Ihr wollt eine Erklärung? Ihr kriegt sie. Ich bin eine Gesegnete.“
„Eine was?“, japste Ralf.
„Ach, du hast einen eigenen Gott, aber kennst dich nicht mal mit den Kleinigkeiten aus. Männer.“
„Ich mach das schon!“, rief Makoto, der wieder zum Mann geworden war. Hintern ihnen schrie Ausyl, was die Lungen des Menschenkörpers hergaben. Ein Lichtblitz wies sie alle darauf hin, dass sein Feuer wieder funktionierte. „Also, du weißt ja, dass manche Menschen geweiht werden, wenn sie sich einem Gott besonders verpflichten wollen. Daneben gibt es aber noch eine besondere Sorte Menschen, die Gesegneten. Diese Menschen, nun, wie erkläre ich das am besten, haben die Aufmerksamkeit ihres Gottes erregt.“
„Oder um es anders auszudrücken, sie haben das Vertrauen ihres Gottes“, fügte Freya hinzu und hielt an einer Abzweigung in einen Nebengang an. „Pause. Ich muss Luft holen.“
„Aha, Vertrauen. Und weiter?“, japste Ralf atemlos.
Makoto holte tief Atem. „Diese Menschen bekommen ein besonderes Los. Wenn sie erst einmal das Vertrauen des Gottes besitzen, sich also als fähig oder was auch immer erwiesen haben, kann es vorkommen, dass er diese Menschen segnet.“
„Erzähl mir doch nichts, was ich schon weiß. Was bedeutet dieser Segen?“
„Nun“, setzte Freya fort, „es gibt ja einige Götter, die den Menschen sehr wohl gesonnen sind. Aber sie können nun mal nicht überall sein. Oder all ihre Gläubige anhören.
Da kommen die Gesegneten ins Spiel. Der Gott leiht ihnen einen Bruchteil seiner Macht, um in ihrem Sinne zu wirken.“
„Wenn ich das richtig verstehe, dann hat also dein Wassergott dir einen Teil seiner Macht verliehen. Wow.“ Ralf war beeindruckt.
„Es ist nicht viel. Gerade genug, um im Sommer den Rasen zu sprengen und bei Regen nicht nass zu werden“, wiegelte sie bescheiden ab.
„Oder um ein Wasserrohr platzen zu lassen und einen Gott zu duschen“, kommentierte Makoto leise.
„Normalerweise bin ich nicht so mächtig. Das muss das Adrenalin gewesen sein.“
„Ich verstehe, was du meinst.“ Makoto ließ den Kopf gegen die Wand sinken. „Als Ralf… Als du in Gefahr warst, Ralf, bin ich auch über mich hinaus gewachsen.“
„Die Gefahr ist übrigens noch nicht vorbei!“ Ralf sprang wieder auf die Beine. „Wenn ich den Lärm richtig deute, dann folgt Ausyl uns gerade!“
„Oh nein“, flüsterte Freya. „Oh nein, oh nein, oh nein. Na, war ja klar, dass es nicht so einfach vorbei sein würde.“
Ralf half Makoto und Freya auf die Beine. Gemeinsam liefen sie auf den Nordflügel zu. „Ach ja, was machst du eigentlich hier?“
„Sag mal, für wie dumm haltet ihr beide mich? Da kommen zwei Typen an, die durch einen unglaublichen, doppelten Zufall die zwei Zimmer bekommen haben, die sie dringend brauchen, haben die absolut gleiche Aura eines Gottes, den ich überhaupt nicht kenne. Und als Gesegnete kenne ich hunderte Auren. Und einer von ihnen wechselt auch noch nach Lust und Laune das Geschlecht. Wie Ihr mir ja freundlicherweise im Badezimmer vorgeführt habt.“
„Du hast uns durchschaut?“ Makoto wirkte entsetzt.
„Hallo, ich bin eine Gesegnete“, erwiderte Freya trocken.
„Zum Glück bist du auf unserer Seite“, stellte Ralf erleichtert fest, sah kurz zurück und drückte die beiden in einen Nebengang. Hinter ihnen zuckte ein Flammenschwall durch den Gang.
„MAKOTOOO!“, brüllte der zornige Gott.
„Wäre ich nicht, wenn Ihr nicht füreinander eingestanden wärt. Als ich mir sicher war, dass Ihr keine Gefahr seid, blieb mir aber nichts anderes übrig“, bekannte Freya.
„Dann war das alles gespielt? Das ins Bad platzen, die Pfannkuchen und so? Alles nur, um uns einzuschätzen?“ Makoto wirkte konsterniert.
„Wenn ich ehrlich bin, ja. Aber wenn ich gleich noch mal ehrlich sein darf, ich mag euch trotzdem.“
Wieder bogen sie ab, diesmal auf einen Hauptgang. „Apropos Gefahr“, keuchte Ralf. „Was machen wir mit Arnim? Oder besser gesagt mit Ausyl?“
„Das ist schwierig. Arnim ist immerhin ein Mensch. Aber der Gott wird ihn nicht einfach verlassen, nur weil wir ihn darum bitten. Zudem weiß der Gott nun, wer Makoto ist und wird nicht locker lassen, bis sein Körper vernichtet ist. Und weil wir nicht gerade freundlich waren, uns beide gleich mit, Ralf. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig als ihn zu töten.“
Ralf blieb vor Entsetzen stehen. Stolperte und krachte gegen eine Wand. Als Makoto – diesmal wieder in weiblicher Form – ihn auf die Beine zog und hinter ihnen erneut eine Flammenwand durch den Nebengang raste, rief Ralf: „Ich habe es! Shawn, du gerissener Hund. Danke für die Idee. Also, hört mal her, Leute. Das ist ein Feuergott, richtig? Und das Gefährliche an ihm ist was? Die Flammenaura.“ Ralf riss einen weiteren Feuerlöscher von der Wand. „Löschen wir sie.“
„Aber das hat doch vorhin schon nicht geklappt“, begehrte Makoto auf.
„Genau. Deshalb brauche ich auch eure Hilfe. Hier ist der Plan.“
**
„Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein. Wo seid Ihr denn, meine Kleinen?“ Ausyl war guter Dinge. Zwar hatten sich die beiden als sehr erfinderisch erwiesen und sogar durch eine Gesegnete des Wassers Hilfe erhalten. Aber er war sich sehr sicher, dass seine Anstrengungen das gewünschte Ziel erreichen würden.
Plötzlich wallte Nebel durch den Gang. Das musste das Werk der Gesegneten sein. Ausyl lächelte spöttisch. Nur wegen einem kleinen Sichtproblem würde er die Spur des Erdgottes nicht verlieren. Als ihn kalter Löschschaum traf, stöhnte er auf. „Nicht schon wieder!“
Ausyl wirbelte herum und erkannte den Menschen, der sich im Schutz des Nebels hinter ihn geschlichen hatte. „Das bringt doch nichts. Hast du das noch nicht gelernt?“
Der Mensch verkniff sein Gesicht und warf den leeren Löscher nach ihm. Ausyl wich nur knapp aus. „Du wagst es? Dafür töte ich dich!“
Der Mensch warf sich herum und floh. Der Nebel löste sich auf. Allzu mächtig war die junge Gesegnete anscheinend noch nicht. Ausyl lief hinterher. Wo einer war, waren die anderen beiden nicht weit.
Der Feuergott folgte dem Menschen durch die Gänge, in das höhere Stockwerk und dann hinunter ins Erdgeschoss. Dabei regenerierte sich seine Feueraura wieder. Er gab eine Kostprobe davon dem Menschen, der wich jedoch geschickt aus, indem er sich die Treppe in den Keller hinab warf.
Ausyl folgte dem Menschen, lief in einen offenen Raum… Und erstarrte. Der Mensch erwartete ihn atemlos in der Mitte des Raumes. Langsam wich er zurück. Ausyl trat ein und lächelte. „So endet das also. Sackgasse, kleiner Mensch.“
„Ralf“, begehrte dieser auf. „Mein Name ist Ralf.“
Ausyl schritt in die Mitte des Raumes. „Nun gut, Mensch. Dir wird eine Ehre zuteil, bevor ich dich töte. Ich rufe dich bei deinem Namen. Ralf.“
Der Mensch sah Ausyl triumphierend an und der Gott begriff, dass er nachlässig gewesen war.

„JETZT!“, brüllte Ralf. Die Tür wurde zugeschlagen. Ausyl stürzte hin, jagte einen Feuerstoß dagegen. Doch die Tür war dicht, so dicht als wäre sie mit der Wand verwachsen.
Er wirbelte herum. Die Flammen seiner Aura loderten heiß. „Du. Du hast es gewagt!“
Ralf sank auf die Knie. Sein Gesicht rötete sich und er atmete schwer, aber dennoch lächelte er. „Na komm“, japste er atemlos. „Verbrenn mich endlich.“
„Der Raum ist also vom Erdgott versiegelt worden, was?“, stellte Ausyl nüchtern fest. „So sehr, dass kein Sauerstoff mehr in diesen Raum gelangen kann. Eine geschickte Falle, um meine Feueraura auszuschalten.“ Ausyl grinste wölfisch. „Das gestehe ich dir zu, Ralf. Aber eine andere Sache sollte dir zu denken geben. Ist hier noch genügend Sauerstoff vorhanden, um dich zu verbrennen? Probieren wir es aus!“
Ralfs Gesicht verzog sich vor Entsetzen, als Arnims Körper in Flammen zu stehen schien.

Als Ralfs Schrei bis vor die Tür erklang, wechselte Makoto in ihre Frauenform und legte die Hände an die mit der Wand verbundene Tür.
Freya ergriff sie und zog sie zurück. „Ralf hat gesagt, wir sollen zwei Minuten warten.“
In Makotos Blick war Angst und Sorge zu sehen. „Aber er stirbt!“
„Wenn wir die Versiegelung zu früh aufheben, wird er auf jeden Fall sterben, und wir mit ihm!“, presste Freya zwischen zusammengepressten Lippen hervor. „Ich verstehe ja dass du dir Sorgen um ihn machst. Aber es ist sein Plan. Vertrau ihm.“
Nervös sah Freya auf ihre Armbanduhr. Sie war bei weitem nicht so entschlossen, wie sie tat. Jede einzelne Sekunde schien sich für sie zu dehnen. Sie hatten einen Gott bekämpft, und die Frage, die sie beschäftigte war, wie hoch der Preis dafür sein würde. Einen Moment machte sie sich Vorwürfe, weil sie Ralf im Keller nicht unterstützt hatte. Ihre Wasserkraft hätte vielleicht das tragende Element sein können, um Ralf – und in dem Fall ihr – das Leben zu retten. Aber es war Ralfs Plan, und wie der junge Mann bei der kurzen, heftigen Diskussion festgestellt hatte, sein Risiko. Freya biss sich auf die Unterlippe. Warum klang es dann aber so schal?

Als die zwei Minuten um waren, nickte sie Makoto zu, die sofort die Hände an die Wand drückte und die Tür entsiegelte.
Makoto war es auch, die als erste bei der Tür war und sie aufriss. Ein starker Sog schlug sie beinahe wieder zu.
Freya und die Göttin wechselten einen besorgten Blick.
Das Licht im Keller brannte noch, wenngleich die Lampe teilweise rußgeschwärzt war. Am Boden lagen zwei Gestalten. Eine an der hinteren Wand und eine in der Mitte des Raums. Die Aura des Gottes war erloschen.
Makoto erkannte mit schlafwandlerischer Sicherheit an der Aura, welcher von ihnen Ralf war. Sie stürzte zu ihm und legte die Hände auf seinen Körper. Die ungewöhnlich hohe Wärme ließ sie aber zurückzucken. „Ralf“, klagte sie, als sie den geschwärzten Körper beim zweiten Versuch umdrehte. „Ralf, sag doch was.“
Sie sah Freya gehetzt an. „Er wird doch nicht…“
„Erstickt sein?“, antwortete der junge Mann mit belegter Stimme und richtete sich auf. „Ja, aber nicht an mangelnder Luft. Obwohl das mich ausgeknockt hat. Schlimmer war die ganze Asche und so.“
„RALF!“ Erleichtert fiel Makoto ihrem Gläubigen um den Hals. „Du lebst ja noch! Du lebst!“
Der grinste verlegen und drückte seine Göttin an sich. „Hast du etwas anderes erwartet? Der Plan war schließlich von mir, oder?“
Sie löste sich halb von ihm und versprach: „Ich zweifle nie wieder an dir, mein Gläubiger.“
„Hört, hört“, brummte Freya amüsiert.
Ralf und Makoto warfen sich einen belustigten Blick zu und lachten erleichtert. Endlich war die Gefahr vorbei. Die rote Aura des Gottes, der in Arnim gefahren war, gab es nicht mehr.
ARNIM!
„Wie geht es Arnim? Ich habe nur Ruß abgekriegt. Aber er…“
Freya kniete sich neben den am Boden liegenden Körper. Sie griff an den Hals um den Puls zu fühlen, und erschrak sich fast zu Tode, als eine Hand emporschoss und sich um ihr Handgelenk legte.
„Wo bin ich?“
Ralf kam taumelnd auf die Beine und ging zu Arnim herüber. „Du bist in einem Keller der Uni, Herr Kleyn.“
„Ich bin nicht tot?“, argwöhnte er.
„Nein, außer du glaubst daran, dass du das Leben nach dem Tod mit mir verbringen musst“, scherzte Ralf.
Arnim hustete gequält. „Bring mich nicht zum lachen. Mein ganzer Mund ist voller…“
„Ruß. Was ist das letzte, woran du dich erinnerst?“
„Wieso fragst du? Ich habe in Ausyls Kapelle gebetet und ich war mir ziemlich sicher, er würde mich umbringen, weil ich seine Hilfe nicht wollte, um mich an dir und der da zu rächen. Dann lag ich hier plötzlich am Boden.“
Ralf nickte gewichtig. „Das dachte ich mir. Du bist zwar ein widerliches Arschloch. Aber du trägst deine Kämpfe alleine aus.“ Er reichte dem jungen Mann die Hand.
Arnim Kleyn ergriff sie und kam langsam auf die Beine. Dann sah er die rußgeschwärzten Wände. „Kann mir mal einer sagen, was während meines Blackout passiert ist?“
„Oh“, kommentierte Freya, „Blackout trifft es. Komm, wir zeigen es dir. Aber erst mal suchen wir die nächste Toilette auf, damit Ihr euch waschen könnt.“
„Was zeigen?“, argwöhnte Arnim. „Und warum stützt mich der reiche Trottel? Da ist mir deine Kampfamazone ja noch lieber.“
„Ja, ja, so ist er, unser Spitzensportler. Da rettet man sein Leben und kriegt eine Sammlung seiner schönsten Beschimpfungen zu hören.“ Ralf grinste schief. „Wenigstens eine Konstante zur Zeit.“

Die vier verließen den Keller. Als ihre Schritte auf der Treppe verhallt waren, entstand ein rötliches Flimmern im Raum, und eine grobschlächtige Gestalt erschien. Sie schien sich gut zu amüsieren. „Ein sehr interessantes Gespann. Es wird sich lohnen, sie weiter zu beobachten. Nicht wahr, mein Gesegneter?“ Kurz darauf stieg Ausyl wieder auf die Obere Ebene empor.

5.
Nachdem sie sich heimlich wieder vom Campus geschlichen hatten – wenn der Werkshof aus der Betäubung aufwachte und die Verwüstungen sah, würde der Leiter einen Herzinfarkt bekommen – schlenderten sie eher gemütlich durch Klingburg.
„Also, damit ich das auch richtig verstehe. Mein Gott Ausyl ist in mich gefahren und hat versucht, Makoto zu töten. Deshalb sind Freya und du ihr zu Hilfe gekommen. Um ihn zu besiegen habt Ihr Ausyl in einem vorher von Makoto versiegelten Raum gelockt, ihn anschließend komplett versiegelt und gehofft, dass der Flammenaura der Sprit ausgeht, bevor Ralf verbrennt oder erstickt. Und nebenbei habt Ihr gehofft, dass mein Gott mich wieder verlassen würde. Was ja auch geklappt hat.“
„So in der Tat ist das richtig, Arnim. Ich weiß, es klingt verrückt, aber…“
Arnim Kleyn winkte ab. „Viel verrückter ist, dass Ihr drei euch mit einem Gott angelegt habt. Und auch noch gewonnen habt. Das muss erst mal in meinen Kopf.“
Schweigend gingen sie eine Zeitlang weiter.
Makoto biss sich auf die Unterlippe. Bisher war das Wort nicht gefallen, dass sie fürchtete: Warum.
„Tut mir leid“, brummte Arnim schließlich. „Ich bin beten gegangen, um meine Niederlage besser verdauen zu können, Makoto. Mein Gott muss das vollkommen missverstanden haben, als er in mich fuhr und deinen Tod wollte.“
Die anderen drei atmeten auf. Wenn Arnim die Schuld auf sich nahm, dann brauchten sie nicht erst zu erklären, dass Makoto ein Gott war. Dann würden sie es dabei belassen, dass Makoto ebenfalls eine Gesegnete war, wie Freya.
„Aber eine Sache gibt mir doch zu denken“, fügte der junge Sportler nachdenklich hinzu.
Ralf schluckte trocken. Makoto wurde rot. Und Freya verdrehte verzweifelt die Augen. Also doch.
„Ich bin mir sehr sicher, dass Ausyl mich töten wollte. Dennoch hat er es nicht getan.
Ich bin mir auch sicher, dass er euch hätte töten können. Trotzdem hat er auch das nicht getan.“
„Was willst du damit sagen, Arnim? Das Ausyl eigentlich ein netter Kerl ist, der nur mit uns spielen wollte?“, blaffte Ralf gereizt.
Der Sportler blieb stehen. „Ich sage nur, dass er ein Gott ist. Und wer außer einem Gott könnte einen Gott verstehen?“
„Das ist reichlich tiefsinnig für einen dumpfhirnigen Sportler wie dich, Arnim“, stellte Ralf fest.
„Aus deinem Mund ist das fast ein Kompliment, verwöhnter Bengel“, erwiderte der. „Da vorne ist meine Station. Wir sehen uns Morgen auf der Uni.“
„Nicht, wenn ich es verhindern kann“, erwiderte Ralf mit einem schrägen Lächeln.
„Macht es gut, Freya, Makoto. Lasst euch nicht von diesem Idioten ärgern. Und Makoto, falls du Lust hast, in der Sportsektion gibt es auch Kendo, Karate und anderen Kampfsport.“
„Das sehe ich mir vielleicht sogar an“, murmelte sie leise.

Eine Seitengasse weiter wurde Makoto wieder zum Mann. „Puh, das war allerhöchste Zeit.“
„Ja, ich weiß, es nervt dich, die ganze Zeit in einer Form zu stecken.“ Ralf winkte ab. „Ist doch nichts Neues.“
Makoto schmunzelte amüsiert. „Was denkt Ihr? Werden wir mit Arnim noch Ärger haben? Oder ist das Gegenteil der Fall?“
„Ich habe da eher eine andere Frage im Kopf“, erwiderte Freya und sah scheu zu Makoto herüber. „Warum hast du ihm als Frau versprochen, zu den Kursen zu gehen? Willst du mit Gewalt auffliegen?“
„Das ist eine sehr berechtigte Frage, Gesegnete. Nun, Makoto, wie hältst du es damit?“
Der Gott wechselte wieder die Form und drückte sich an Ralf. „Nun, wie soll ich es schon halten. Es ist doch egal, solange ich mit meinem Gläubigen zusammen sein kann.“
„Den Trick kenne ich schon“, erwiderte Ralf amüsiert. „Da musst du dir schon was Neues einfallen lassen.“
Makoto löste sich wieder von Ralf und wurde erneut zum Mann. „Hm, ich sehe mehrere Probleme auf uns zukommen. Problem Nummer eins: Ralf hat rum erzählt, meine weibliche Form wäre seine Freundin.“
„RALF!“, rief Freya überrascht.
„Du weißt davon?“ Erschrocken starrte Ralf seinen Gott an.
„Gute Ohren, mein Gläubiger. Ich werde also ab und an als Frau auftreten müssen. Wenn Ralf nicht erklären will, wohin die wunderschöne Frau aus seiner Begleitung verschwunden ist.“
„Schmeichle dir mal nicht zu sehr, mein Gott“, brummte Ralf beleidigt.
„Wieso hast du das gesagt, Ralf? Wieso behauptest du so was?“ Freya wirkte ziemlich aufgelöst. „Jetzt wo ich euer Geheimnis kenne und euch geholfen habe, helfe ich euch natürlich auch weiterhin. Aber musst du alles so verkomplizieren?“
„Willkommen in Makotos und meinem Leben“, kommentierte er leise.

„Das zweite Problem, ich habe eigentlich gedacht, ich wäre unbemerkt herab gestiegen. Aber zumindest Ausyl weiß nun, dass sich ein Erdgott auf der Unteren Ebene befindet. Wenn sich das herumspricht, dann könnte der eine oder andere Gott versuchen, ebenfalls seine Kraft mit mir zu messen. Und ehrlich gesagt, heute habe ich nur mit viel Glück überlebt. Und dank meiner Freunde.“
Makoto legte den beiden jeweils eine Hand auf die Schulter. Freya quittierte das mit einem strahlenden Lächeln.
Ralf winkte ab. „Geschenkt, mein Gott. Jederzeit wieder.“
„Das ist die Antwort, die ich erwartet habe. Immerhin schuldest du mir was, dafür, dass ich jetzt deine Freundin spielen muss.“ Makoto lächelte mit geschlossenen Augen.
„Nicht gerade du, eher deine weibliche Seite. Und wieso überhaupt muss? Ich gebe zu, ich hatte noch nicht viele Freundinnen, aber das sollte doch eigentlich keine Strafe sein, oder, Freya?“
„Was weiß ich? Ich kenne dich erst zwei Tage.“
„Und genau wegen solchen Antworten komme ich mit euch Frauen nicht klar“, brummte Ralf.
„Und das dritte Problem, Ihr beiden, ist, was machen wir mit den anderen? Sollen wir ihnen verraten, dass ich ein Gott bin und Ralf mein Gläubiger? Oder spielen wir ihnen was vor und beißen uns durch?“
„Vorspielen und durchbeißen klingt auf jeden Fall lustiger“, kommentierte Ralf leise. „Die Wahrheit glaubt uns doch sowieso niemand.“
„Also, mir ist das egal. Ich stehe dir – ich meine euch – auf jedem Fall zur Seite.“
„Das ist nett von dir, Freya. Ich hoffe, wir können im Gegenzug auch was für dich tun.“
Die blonde Frau zuckte mit den Schultern. „Ihr könnt die nächste Woche meinen Küchendienst übernehmen.“
„Sehr pragmatisch gedacht“, lachte Ralf. „Aber akzeptiert. Kannst du abwaschen, Makoto?“
„Ich kann es ja mal probieren. Wieder eine neue Erfahrung.“
Ralf lachte, und Makoto fiel ein.
„Ihr beide seid mir schon ein merkwürdiges Gespann“, murmelte Freya leise. „Merkwürdig, aber ich würde euch jederzeit wieder helfen.“
„Was mir gerade einfällt, Freya. Du erinnerst dich noch an Gestern Abend im Bad?“ Ralf feixte ihr zu.
„Ja, wieso?“ „Worauf hast du Makoto eigentlich gestarrt, hm?“
Freya wurde rot und sah weg. „Auf… Auf den Brustkorb.“
„Brustkorb, ja, klar, wer es glaubt!“, lachte Ralf.
Auf der Hauptstraße explodierte ein Hydrant.
Ralf stockte mitten im lachen. „Brustkorb, schon klar.“
„Das will ich dir auch geraten haben, mein Freund“, erwiderte Freya und wandte sich brüsk ab.

Als sie sich bereits einige Schritte abgesetzt hatte, drückte Makoto Ralf den Ellenbogen in die Seite und meinte: „Ich kenne mich in der Praxis mit euren Ritualen nicht so aus, aber ich glaube, sie mag dich.“
Ralf blickte seufzend zum Himmel. „Ihr Götter, glaubt er das wirklich oder will er mich nur ärgern?“
„Hey, ich habe dir schon mal gesagt, lass die Konkurrenz aus dem Spiel.“
Ralf starrte seinen Gott an.
Beide brachen in Gelächter aus. Schließlich riss Ralf seinen Gott an sich und drückte ihn. „Komm, mein Gott, holen wir unsere neue Freundin ein.“

Epilog:
Es war wieder der dunkle Raum in Makotos Träumen. Doch etwas war anders. Etwas nagte an dem Gott, und er erkannte, dass es Wissensdurst war.
„Kann ein Gott, der auf die Untere Ebene hinabsteigt, sterben?“, fragte die weibliche Makoto.
„Und wenn er stirbt, was passiert mit seinem Fluidum?“, fügte der männliche Makoto hinzu.
„Was wenn der Gott von einem anderen Gott getötet wurde?“, kam die dritte Frage von der weiblichen Form.
„Ein Gott, der auf der Unteren Ebene getötet wird, läuft Gefahr, sein Leben zu verlieren. Götter sterben nun mal, und Götter werden geboren. Dies ist der Lauf der Dinge. Wird er von einem anderen Gott getötet, ist die Gefahr, dass sich sein Fluidum auflöst, besonders groß.
Solch ein Gott wird verweht und kehrt niemals wieder.
Ein abrupter Tod auf der Unteren Ebene ist immer am gefährlichsten, wenngleich ein langsames Ende für einen erfahrenen Gott nur eine Zwischenstufe zur Oberen Ebene darstellt. Ein Gott wie du, dem die Obere Ebene verboten ist, wäre so gut wie verloren.
Willst du uns jetzt erzählen, was du gelernt hast?“
Das Licht beleuchtete die weibliche Makoto. „Ich habe gelernt zu vertrauen. Ich weiß jetzt wie gut Erdbeermarmelade schmeckt. Und Pfannkuchen.“
„Und ich“, sagte der männliche Makoto, als das Licht ihn beschien, „habe auch gelernt, dass eine gute Taktik der halbe Sieg ist. Und das Freundschaft einem aus vielen Problemen hilft.“
„Nanu? Hast du etwas Besonderes erlebt, junger Gott?“, fragte die körperlose Stimme.
Der männliche Makoto winkte ab. „Nichts, womit ich und mein Gläubiger nicht fertig geworden sind.“
Das Licht wechselte auf die weibliche Form. Fast unhörbar murmelte sie: „Wenn auch nur knapp…“

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Mein Gott, meine Göttin

Chapter vier.

Prolog: Gute Götter, böse Götter, wo ist der Unterschied?
Götter sind wie Menschen. Sie haben ihre eigenen Träume, Wünsche, Vergnügen und Ärger.
Ein Gott kann genauso rachsüchtig sein wie ein Mensch auch. Genauso nachtragend, aber auch ebenso verständnisvoll und voller Liebe.
Kann man die verschiedenen Clans in Gut und Böse aufteilen?
Viele sprechen davon, dass der Erdclan durch und durch gut ist, für die Menschen sorgt und ihnen zur Seite steht.
Andere sagen, dies sei eine unakzeptable Bevormundung durch den Erdclan.
Und hier beginnt das Problem. Auch wenn der Erdclan durch und durch gut wäre, was er nicht ist, so gibt es einen Faktor, der alle Taten relativiert. Dieser Faktor sind wir Menschen. Denn so wie wir die Götter betrachten, so sind sie für uns.
Egal ob sie Gut oder Böse sind. Es liegt einzig in unserem Auge.
Deshalb wird der Feuerclan in Südamerika auch sehr verehrt und im Rest der Welt gefürchtet.
Letztendlich starten die Angehörigen des Feuers viele Kriege, sowohl auf der Oberen Ebene wie auch auf der Erde. Aber vieles, was sie tun ist nützlich und wertvoll für jene, die an sie glauben. Freilich sehen das jene Menschen, auf deren Kosten diese Taten gehen, vollkommen anders.

1.
Fünf Tage waren vergangen, seit Makoto von dem unheilvollen Leuchten umgeben war. Ein Wochenende lag dazwischen, an dem er, Ralf, und sein Gott Makoto beinahe etwas Normalität in ihre professionelle Beziehung als Gott und Gläubiger gebracht hatten.
Wobei die weibliche Version seines Gottes nun viel Zeit mit Arnim Kleyn verbrachte, der an der Uni ein populärer Sportler war. Und die männliche Form ebenso viel Zeit mit Freya Helensdottir, der Gesegneten einer Wassergöttin.

Ralf sah von seinem Buch auf, als Makoto das Zimmer betrat. „Ich habe Kaffee gemacht.“ Der Gott stellte den Kaffee mit Milch vor Ralf auf dem Tisch ab.
„Setz dich doch“, meinte der und deutete auf den freien Stuhl neben sich.
Makoto stellte seine eigene Tasse ab und nahm Platz. Dann ergriff er Ralfs Lektüre.
„Professor Sayuri: Kleine Götterkunde der vier Clans. Hm. Liest du schon wieder in diesem Schinken?“
Ralf nickte. „Kleine Götterkunde ist gut, Makoto. Der Wälzer ist tausend Seiten stark. Das Hauptwerk besteht aus zwanzig Büchern. Dies ist nur eine kurze Einführung mit einer Erläuterung der wichtigsten Götter.“
„Ach, warum liest du das? Wenn du was über die Götter wissen willst, dann frag mich. Wissen aus Erster Hand ist doch immer das Beste, oder?“
Ralf sah zu Boden. „Es geht mir nicht darum, etwas über die Götter zu wissen, Makoto.“
Er sah auf, seinem Gott direkt in die Augen. „Ich will mehr über einen Gott an sich lernen. Dazu gehört zwar auch sein Umfeld, aber in erster Linie will ich meinen Gott besser verstehen.“
Makoto gab das Buch zurück und nahm einen Schluck Kaffee. „Hm. Du hast es dir also fest vorgenommen, Ralf. Dann tu mir einen Gefallen. Versuche nicht herauszufinden, wer meine Eltern sind.“
„Habe ich das nicht schon mal gehört? Sind sie dir etwa peinlich?“
Makoto wurde rot. „Äh, nicht wirklich, aber… Sie sind halt meine Eltern und ich…“
„Verstehe, verstehe.“ Ralf winkte großzügig ab. „Bei meinen Eltern ist es ja ebenso. Mein Vater ist so sehr darauf fixiert, ohne die Hilfe der Götter auszukommen, dass es einem schon peinlich werden kann, wenn er sich in aller Öffentlichkeit über seine Mitmenschen lustig macht, wenn diese die Hilfe der Götter erflehen.“
„Etwas in der Art, ja“, brummte Makoto und sah tief in seine Tasse.
„Also gut, ich verspreche dir, wenn dir das Thema so peinlich ist, nicht zu versuchen herauszufinden, wer deine Eltern sind. Wenn ich aber aus Versehen darüber stolpere, verzeih mir bitte.“
„Dagegen kann ich wohl nichts machen, solange du diesen Schmöker wälzt.“ Der Gott lachte leise.
„Aber versprich mir eines, mein Gott.“
Makoto sah auf. „Nanu, so ernst? Was denn, Ralf?“
„Wenn du eines Tages dafür bereit bist, dann verrate es mir selbst, wer deine Eltern sind, okay?“
Makotos Überraschung stand deutlich in seinem Gesicht geschrieben. „Äh…“
„Und wenn wir schon dabei sind“, Ralf verschränkte beide Arme hinter dem Kopf, „verrate mir bei der Gelegenheit doch gleich mal, wie Götter Kinder kriegen können und so.“
„Na, neugierig bist du ja überhaupt nicht, oder?“, erwiderte Makoto mit einem Grinsen.
„Also gut, mein Gläubiger. Eines Tages werde ich dir all das erzählen. Ich verspreche es dir.“
„Gut“, brummte Ralf und widmete sich nach einem Schluck Kaffee wieder seiner Lektüre.

„Wie geht es dir eigentlich?“, fragte er nebenbei. „Hast du die Geschichte von neulich gut verdaut?“
„Du meinst den Wirbel, den ich beim Kendo verursacht habe? Hm, ich weiß nicht, ob es wirklich reicht, als Naturtalent zu gelten, um meinen Geschwindigkeitsvorteil zu erklären. Ich sollte bei den nächsten Übungen verlieren.“
„Das meinte ich nicht. Die andere Sache.“
„Dieser geheimnisvolle Zwang? Nicht wirklich. Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn…“
„Sag mal, willst du mich falsch verstehen, Makoto? Ich meine das Problem deines weiblichen Körpers!“ Wütend starrte Ralf seinen Gott an.
„Oh, das meinst du.“ Makoto sah zu Boden. „Weißt du, es ist so, dass der weibliche Körper…“
Der Gott riss die Augen auf. Hinter seiner Stirn schien es heftig zu arbeiten. Dann atmete er erleichtert aus. „…seine eigenen Bedürfnisse hat. Und ich musste mich eben damit abfinden, dass mein Frauenkörper alle Extras hat. Gott sei Dank ist jetzt erst mal ein Monat Ruhe.“
„Du nimmst das trotzdem ziemlich locker auf“, erwiderte Ralf. „Wenn ich plötzlich meine Tage kriegen würde…“
„Du bist ja auch ein Mann“, erwiderte sein Gott sachlich. „Für dich wäre der Schock wahrscheinlich riesig. Aber wenn ich in die Frauengestalt wechsele, dann bin ich auch eine Frau. Mit allen…“
„Vor- und Nachteilen, schon klar“, vervollständigte Ralf und imitierte die Tonlage seines Gottes. „Erzähl mir nicht, dass es dich nicht aus den Latschen gehauen hat.“
Makoto legte eine Hand auf Ralfs Schulter. „Das hätte es bestimmt. Aber durch Freyas Hilfe und deinen Beistand habe ich das viel schneller verarbeitet als ich gedacht habe. Danke dafür, mein Gläubiger.“
Ralf starrte dumpf in seine Tasse. Schon wieder Freya. Langsam aber sicher wurde er eifersüchtig, wenn das so weiterging. Nicht dass er etwas gegen die Eisländerin gehabt hätte oder so. Aber es überraschte ihn schon, wie wenig er bereit war, seinen Gott zu teilen – und bei seiner Göttin lag die Toleranzgrenze noch niedriger.
Warum war er so, nach nur wenigen Tagen mit seinem Gott?
Ralf sah auf. Die Antwort war einfach. Er mochte seinen Gott. Sehr viel mehr als jemanden sonst auf dieser Welt. Sehr viel mehr als seine Geschwister, seine Eltern, seine anderen Freunde.
„Ralf, hörst du mir überhaupt zu?“, beschwerte sich Makoto.
„Äh, was? Tut mir leid, ich habe an etwas anderes gedacht. Was sagtest du gerade?“
Erst jetzt bemerkte er, dass sein Gott wieder in die Frauenform gewechselt war. Die Göttin wurde rot und sah zu Boden. „Ach, nichts, überhaupt nichts. Ich… Es ist nur…“
„Makoto, es tut mir leid, dass ich nicht zugehört habe. Aber du kannst jederzeit und überall mit mir sprechen. Vertrau auf mich.“
Sie sah auf. Ihre Blicke trafen sich. „Natürlich, das weiß ich doch, mein Gläubiger.“
Ralfs Rechte grub sich tief in seinen Oberschenkel. Nicht gut, nicht gut, ging es ihm durch den Kopf, als der Schmerz nicht ausreichte, um ihn bei klarem Verstand zu halten.
Als der Schmerzimpuls endlich in seinem Gehirn ankam, schlug sein Knie gegen die Tischplatte. Sein Kaffee fiel um und ergoss sich auf die Tischplatte. Von dort expandierte die Pfütze schnell zum Tischrand und floss auf Ralfs Hose.
Makoto erhob sich schnell, um ihrem Teil der Flut auszuweichen.
Als der heiße Kaffee seine Hose durchnässte, sprang Ralf auf, verhedderte sich mit einem Stuhlbein und fiel zur Seite auf sein Bett.
„Bin ich blöd“, brummte er.
„Blöd würde ich jetzt nicht gerade sagen. Direkt trifft es eher“, hörte er die Stimme seiner Göttin unter sich. Unter sich?
Ralf riss die Augen auf. Er und Makoto lagen mit den Oberkörpern auf dem Bett. Und Makoto lag unter ihm!
„Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, dass du so schnell zur Sache kommst“, sagte sie und lächelte süß.
Ralf wurde heiß und kalt zugleich. Und ihr Lächeln war nicht gerade dazu angetan, die Situation zu verbessern.
„We-welche Sache?“, stammelte er.
Ihre Hand legte sich auf seinen Nacken und strich durch sein Haupthaar. „Zu spät für Fragen“, sagte sie leise.

„Makoto, du hast Besuch!“, erklang Freyas Stimme von der Tür zu ihrem Zimmer. „Deine Mutter ist da.“
Die Göttin wurde sofort wieder zum Mann. Ralf sah mit Entsetzen, was passiert wäre, wenn Freya nicht dazwischen gekommen wäre – wenn auch nur verbal.
„Kannst du bitte von mir runter gehen?“, fragte Makoto höflich.
„Was? Eh? Oh, natürlich.“ Ralf erhob sich, enttäuscht, erleichtert und mit dem Gefühl, etwas Wichtiges zu übersehen.
„Tu-tut mir leid, Makoto. Dummer Unfall. Nur ein dummer Unfall.“
Makoto sah seinen Gläubigen an. „Ja, schade drum.“
„Wie meinst du das jetzt?“, stammelte Ralf.
„Zieh dir bitte was Gutes an, mein Gläubiger. Feste Schuhe, ein ordentliches Hemd und am Besten eine neue Hose. Wenn ich meinen Gläubigen vorstelle, soll er einen guten Eindruck machen.“
Ralf hatte das Gefühl, jemand würde ihm mit einem Vorschlaghammer auf den Hinterkopf schlagen. Und der Hammer trug die Aufschrift: Seine Mutter ist da, Trottel!

Makoto sah an sich herab. „Danke, Freya. Sag ihr bitte, sie soll im Fernsehzimmer warten. Ich ziehe mir nur schnell was anderes an.“
„Was ist denn mit deinen alten Sachen? Die sahen doch gut aus. Haben… Haben sie etwa gelitten?“
Ralf wurde puterrot. Was Freya damit sagen wollte, stand so deutlich im Raum, als hätte jemand eine Schautafel aufgebaut.
„Er will einen guten Eindruck machen, Freya“, blaffte er. „Ist das so schwer zu verstehen?“
Die Tür ging mit einem Ruck auf – bemerkenswert, denn Ralf selbst hatte sie abgeschlossen.
Freya stürmte herein. Auf ihrer Stirn pochte eine Zornesader.
Sie sah den männlichen Gott neben Ralf stehen und das eingedrückte Laken auf dem Bett. Aus dem Zorn wurde abgrundtiefe Verzweiflung.
„Ihr beide habt doch nicht… Ich meine, er ist gerade ein Mann!“
Makoto lachte leise. „Natürlich nicht, Freya.“ Er schenkte ihr ein wunderschönes Lächeln und ging in sein Zimmer. „Dafür habe ich natürlich in meine weibliche Form gewechselt.“
Freyas Blick wurde wieder wütend. Sie starrte Ralf mit einer Intensität an, dass der dankbar war, dass in diesem Zimmer keine Wasserleitungen verliefen.
„Aaaaaah. Was sind das für Flecken auf deiner Hose?“ Die Gesegnete wurde rot.
„Kaffee. Ich will nicht wissen, was du gerade gedacht hast!“, erwiderte Ralf wütend.
Freyas Blick ging zum Tisch, von wo immer noch Kaffee aus der Lache zu Boden tropfte.
„Ach, deswegen ziehst du dich um.“
Wieder wurde sie wütend. „Und warum muss sich Makoto auch umziehen?“
Ralf schluckte hart. Eigentlich hatte die schöne Eisländerin keinerlei Recht, dies zu fragen. Aber die merkwürdige Beziehung, welche sie drei unterhielten, führte dazu, dass sie sehr wohl eine Antwort verdiente. Eine Antwort, die Ralf aber nicht geben wollte.
„Freya, hilfst du mir, die richtigen Sachen auszusuchen?“, erklang Makotos Stimme vom anderen Zimmer.
Sofort schaltete Freyas Gesicht von irre sauer auf wirklich süß um. „Natürlich, Makoto.“
Der Gott hielt die Verbindungstür für sie und warf Ralf einen kurzen Blick zu, bevor er sie verschloss. „Beeil dich, bitte.“
Ralf schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Irgendwie war das nicht sein Tag. Überhaupt nicht sein Tag.
**
„Das ist die Lage, Professor. Sie müssen dieses Experiment stoppen.“ Doktor Myers hatte sich in Rage geredet, während er das misslungene Experiment von letzter Woche angeprangert hatte, doch die erhoffte Wirkung auf den Preisträger der vier Stämme blieb aus.
Professor Vaillard betrachtete nachdenklich die Unterlagen. Er sah überhaupt nicht so aus, wie man sich einen Physikprofessor im Allgemeinen vorstellte. Seine Statur entsprach eher dem eines Preisboxers und sein kantiges Gesicht verlieh ihm eine gewisse, spröde Schönheit. Die listig funkelnden braunen Augen taten ihr Übriges, um sein wahres Alter von beinahe sechzig Jahren zu verheimlichen.
„Nun, mon ami. Wie ich sehe, hat Frau Prokovniewa bereits die Anlage überprüfen lassen. Durch die Überbelastung sind keine relevanten Schäden entstanden.
Natürlich war es richtig, das Experiment in diesem Stadium zu stoppen, Doktor. Sie haben weise und vorausschauend gehandelt. Aber ich habe dennoch kein Argument gehört, dass gegen eine Wiederaufnahme des Experiments spricht, n´est pas?“
Hinter der Stirn des Doktors arbeitete es. „Nun, Herr Professor, vielleicht stimmt Sie aber das hier um.“ Myers zog eine Zeitung aus seiner Tasche und breitete sie vor dem Professor aus.
Der Ältere runzelte die Stirn. „Eine Invasion der Unteren Ebene durch die Götter? Das soll mich überzeugen?“
Norton Myers warf einen Blick auf die Zeitung und erkannte, dass er das Cyanid erwischt hatte, die populärste Studentenzeitschrift auf dem Campus.
„Oh, vergriffen. Die Cyanid habe ich wegen der Rätsel gekauft.“
Der Professor schmunzelte. „Soso. Wegen der Rätsel.“
Diesmal legte Myers die richtige Zeitung vor. Es war der Klingburger Bote.
Gleich auf Seite eins wurde von großen Zerstörungen in eine Kapelle des Wasserclans berichtet. Es hieß, ein Gesegneter hätte die Kontrolle über seine Gabe verloren.
„Hm. Das überzeugt mich nicht wirklich.“
„Sehen Sie sich das Protokoll des Versuchs an, Herr Professor. Die Uhrzeit, an der die Maschine die unnatürlich hohe Energiezufuhr verzeichnete und die Uhrzeit in der Zeitung, in der der Amoklauf wahrscheinlich begann.“
Vaillard runzelte die Stirn. „Selbst ein Laie würde verwundert sein, wenn ein Experiment zum Aufspüren von Götterauren zusammen fällt mit einem Gesegneten, der in eine Art Raserei verfällt.“
Norton spürte, wie er Oberwasser bekam. „Ja, verblüffend, nicht? Man könnte auf den Gedanken kommen, die Maschine hätte die Aura des Gesegneten regelrecht überladen.“
„In der Tat.“ Nachdenklich lehnte sich der Professor zurück. „Aber das ergibt keinen Sinn. Die Maschine erzeugt ein der Aura artverwandtes, eher allgemein strukturiertes Feld. Es sollte bei der Energiezunahme eher erweitert werden, aber keine Überladung verursachen.
Meine Sorge ist die Allgemeinheit des Feldes. Um diesen Effekt zu verursachen, müssen das generierte Feld und die Aura des Gesegneten nahezu in Gleichklang sein.
Und die Forschung auf diesem Gebiet ist noch zu neu, um die Frequenzen gezielt aufeinander abzustimmen. Hat Frau Prokovniewa hier also einen Glückstreffer gelandet? Oder ist es doch ernster?“
Norton dachte daran, wie er Arnim Kleyn gefunden hatte, in einem Kreis heißer Erde.
„Was, wenn es auch andere Gesegnete erwischt hat?“
„Unmöglich. Denn dann müsste ich davon ausgehen, dass das generierte Feld Ziel gerichtet war. Und daraus resultiert, dass diese Maschine einen Angriff versucht hat.
Wir wissen beide, dass unsere junge Freundin vieles ist, aber bestimmt keine Göttermörderin.“
„Dann muss ich annehmen, dass ein unbekannter Faktor im Spiel ist.“ Norton Myers sah dem Professor direkt in die Augen.
„Und dieser Faktor wäre, Herr Doktor?“
„Das unbekannte Spektrum der Aura. Die Maschine muss irgendwie mit der Magie in Resonanz getreten ist.“
„Erstens umfasst Magie ein zu weites Spektrum, um auch nur als Theorie herhalten zu können, zu unerforscht ist dieser Bereich unserer Umwelt“, dozierte der Professor mit erhobenem Zeigefinger, „und zweitens ist und bleibt es ein unglücklicher Zufall. Außer, Sie präsentieren mir einen weiteren Fall eines Amok gelaufenen Gesegneten. Können Sie das?“
Natürlich konnte er das, aber es würde seinen eigenen Plänen zuwider laufen. „Nein, natürlich nicht. Aber ich werde in dieser Richtung Ermittlungen anstellen.“
„Gut. Ich werde das Experiment auf Ihre Empfehlung für eine weitere Woche stoppen. Bringen Sie mir bis dahin einen Beweis für Ihren Magieverdacht. Und bedenken Sie, Ihre Idee ist sehr unwahrscheinlich. Außer, in die Maschine wäre etwas Magisches integriert. Alles andere wäre ein noch größerer Zufall, Doktor Myers.“
Der große Mann erstarrte. Ahnte der Professor etwas? Wusste er etwas?
„Natürlich. Und danke. Ich werde hart daran arbeiten.“
„Dann ist es gut.“ Vaillard deutete auf die Studentenzeitung. „Kann ich mir die ausleihen? Ich will den Artikel über die Invasion gerne lesen.“
„Selbstverständlich, Herr Professor. Aber ich habe sie selbst… Ich meine, ich bin mit dem Rätsel noch nicht durch.“
„Natürlich“, erwiderte der Professor mit einem Lächeln.
Myers nickte und verließ das Büro.

Vor der Tür erwartete ihn bereits die Dozentin Frau Prokovniewa. Anstatt mit ihm zu reden gab sie ihm eine kräftige Ohrfeige.
Danach sah sie ihn betreten an. „Sie haben es erreicht, nehme ich an. Mein Experiment wurde abgesagt.“
Norton rieb sich die schmerzende Wange. „Nein, nur aufgeschoben.“
„Sie verdammtes Arschloch. Und ich habe Sie auch noch als Beobachter dazu gebeten. Ich habe Ihnen vertraut.“
Der Doktor zog die Zeitung hervor und zeigte ihr den Artikel über den Gesegneten. „Vielleicht ist es ganz gut, dass Sie mir vertraut haben. Und vielleicht sollten Sie es auch weiterhin tun.“
Die schwarzhaarige Frau schlug mit dem linken Handrücken auf die Zeitung. „Das beweist doch gar nichts. Ein Zufall, bestenfalls. Ich modifiziere die Frequenz der Maschine, und alles ist im Lot.“
„Und vielleicht passt die Arbeitsfrequenz dann zu einem anderen Gesegneten, der dann ebenfalls Amok läuft?“, erkundigte sich Myers sarkastisch. „Guten Tag, Frau Prokovniewa.“
Damit ließ er sie stehen.
Im Treppenhaus blieb er kurz stehen und bewegte seinen Kiefer ein paar Mal zur Probe. „Verdammt, die kann einem Pferd mit der bloßen Hand die Hufeisen aufschlagen.“

2.
Makoto und Ralf betraten das Fernsehzimmer zusammen. Freya strahlte mit glühenden Wangen und unterhielt sich angeregt mit einer sehr großen Frau in einem dunkelblauen Hosenanzug mit gepflegtem schwarzem Haar, das ihr locker auf die Schulter fiel. Daneben standen, sittsam den Blick zu Boden gerichtet, die drei Nihon-Geschäftsleute, welche Makoto bereits mit dem Studienplatz ausgeholfen hatten.
Makoto verbeugte sich steif in der Hüfte. Mit ausdruckslosem Gesicht sagte er: „Herr Honda, Herr Tsuki, Herr Akatsuki. Ich danke Ihnen, dass Sie meine Mutter sicher zu mir geleitet haben.
Mutter, es freut mich, dich zu sehen.“
Ralf war sich bewusst, dass er gerade ein nicht sehr intelligentes Gesicht machte. Aber er konnte es nicht verhindern. Die Präsenz der Frau war bedrückend intensiv. Um nicht zu sagen, fröhlich. So fröhlich, dass er nur mit Mühe verhindern konnte, wie ein Idiot zu grinsen.
„Aber aber, Makoto-chan“, sagte sie und eilte auf Ralfs Gott zu. Sie schloss ihn in die Arme und herzte ihn ausgiebig. „Ist das denn die richtige Art, deine Mutter zu begrüßen?“
War dies wirklich Makotos richtige Mutter? Wenn ja, musste sie eine Göttin sein. Ralf schluckte hart.
„M-mom, nicht so fest“, beschwerte sich Makoto und versuchte, aus dem Griff zu entkommen.
„Och, nun hab dich doch nicht so, Makoto-chan. Ich habe dich zwei Wochen nicht gesehen. So lange waren wir noch nie auseinander. Was kann ich dafür, dass ich eine Mutter bin?“
Makotos Blick ging gehetzt hin und her. Eine Ablenkung musste her. Und das schnell. „Mom, das hier ist…“
Sofort ließ sie ihren Sohn los und drückte stattdessen Ralf an sich. „Dein Gläubiger Ralf, nicht wahr? Oh, es freut mich, dich kennen zu lernen.“
„Mutter!“, protestierte Makoto laut. „Was, wenn wir nicht alleine sind?“
Ralf wagte es nicht zu atmen, noch dagegen zu protestieren, ans Herz der Göttin gedrückt zu werden.
Der Blick von Makotos Mutter wurde ernst. „Makoto-chan, sei unbesorgt. Außer den Herren Honda, Tsuki und Akatsuki befinden sich nur noch du, dein Gläubiger, diese hübsche Wassergesegnete und ich in diesem Haus. Unterschätzt du deine alte Dame etwa?“
„Und die Herren sind natürlich eingeweiht“, fügte Makoto hinzu und verneigte sich noch einmal höflich vor den drei Nihon – vor allem auch, damit seine Mutter ihn nicht wieder in Beschlag nehmen konnte.
„Aber setzen wir uns doch!“, rief die Göttin fröhlich. „Und, nennt mich Theresa. Ich stelle es mir schrecklich vor, so ein schwülstiges Wortgebilde wie Mutter von Makoto als Anrede benutzen zu müssen.“
Anstatt Ralf los zu lassen, zog Theresa den Gläubigen einfach mit. Und zwang ihn, direkt neben ihr Platz zu nehmen.

Freya schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „Der Kaffee! Ganz vergessen. Er sollte jetzt durch sein. Kann ich Ihnen noch etwas bringen, Meisterin Theresa?“
Die Göttin lächelte freundlich. „Nein, der Kaffee reicht. Und nenn mich bitte Theresa. Ich bin nicht als Göttin hier. Nur als Mutter.“
Sie sah zu den drei Nihon, die noch immer im Raum standen und versuchten, nicht aufzufallen. „Setzen Sie sich, meine Herren Gläubigen.“
Nur zögerlich nahmen sie Platz. Es war nicht gerade alltäglich, von der eigenen Göttin zum Kaffee eingeladen zu werden.
Ihr Kind zog Theresa auf die andere Seite. Damit blieb noch ein Sitzplatz offen. Ralf glaubte beinahe, dort den Namen Freya pulsieren zu sehen. Direkt neben Makoto. Irgendwie machte ihm das zu schaffen.
Theresa schlug die Beine übereinander und lehnte sich nach hinten. „So, und jetzt sei bitte nicht so förmlich, Makoto-chan. Du darfst auch ruhig wechseln, wenn du möchtest. Die Herren wissen Bescheid.“
„Dann ist ja gut.“
Ralfs Gott wurde zur Göttin. Und die Göttin war im Moment eine dünnhäutige Heulsuse. Mit Tränen in den Augen umarmte sie ihre Mutter. „Mom, es tut so gut, dich zu sehen.“
Theresa strich ihrer Tochter über den Kopf. „Makoto-chan, es waren doch nicht einmal zwei Wochen. Bist du der Unteren Ebene schon müde?“
Ralf versteifte sich bei diesen Worten. Er richtete sich auf und bemühte sich, nicht verzweifelt auszusehen.
Theresa bemerkte dies und tätschelte dem Gläubigen das Knie. „Keine Bange, es bedarf schon mehr als ein paar Tränen, um mich zu erweichen.
Gut, dass dein Vater nicht mitgekommen ist. Er wäre bei der ersten Träne schon drauf und dran gewesen, dir den Aufstieg wieder zu erlauben.“
„Nein, Mutter, ich habe die Untere Ebene noch nicht satt. Sie ist groß und vielfältig und ich erlebe viel Spannendes und lerne jeden Tag etwas Neues.“
Makoto warf Ralf ein Lächeln zu.
In diesem Moment empfand es Ralf als Glück, dass Theresa zwischen ihnen saß. Unwillkürlich rieb er sich den Nacken.

Freya kam mit dem Kaffee zurück. Eine große Kanne, für jeden eine Tasse, und Zucker und Milch.
Theresa gebot ihr, Platz zu nehmen, schenkte sich selbst ein, und danach jedem anderen im Raum. Mit traumwandlerischer Sicherheit wusste sie genau, wie die anderen ihren Kaffee gerne mochten.
Danach lehnte sie sich zurück, nahm einen Schluck und schloss genießerisch die Augen. „Hm, das mag ich an der Unteren Ebene. Schmecken ist so eine wundervolle Erfahrung. Und dies ist ein exzellenter Kaffee. Den hast doch sicher du besorgt, oder, Freya?“
Die junge Frau sah verlegen zu Boden. „Eine Spezialmischung. Für eine echte hohe Göttin ist das natürlich nicht annähernd gut genug, aber…“
„Ach, was redest du. Der Kaffee ist hervorragend. Dein Geschmackssinn ist sehr gut, Freya.“
Verlegen sah sie zu Boden. „Danke, Theresa.“

„Nur damit ich das auf die Reihe kriege“, begann Ralf. „Du bist also auch eine waschechte Göttin, Theresa?“
Die Frau nickte mit einem strahlenden Lächeln.
„Dann warst du es, die Makoto nach hier unten verbannt hat.“
Wieder nickte sie und wieder strahlte sie dabei. „Ja, ich dachte mir, Makoto würde diese Erfahrung gut tun. Und wie ich und mein Gatte festgestellt haben, hat sie auch schon eine Menge gelernt. Nicht zuletzt dank dir.“ Theresa sah zu Freya. „Und dir, Gesegnete.“
Freya sah verlegen auf ihre Hände. „Ach, das bisschen…“
„Einiges verstehe ich noch immer nicht“, setzte Ralf erneut an. „Zum Beispiel frage ich mich, ob Du auch dein Geschlecht wechseln kannst wie Makoto. Und dann interessiert mich natürlich…“
„Ja, ich könnte mein Geschlecht wechseln, sicherlich“, begann die Göttin. „Ich habe die volle Gewalt über meine Projektion auf die Untere Ebene. Aber warum sollte ich das? Ich habe mich schon vor einer ewigen Zeit dazu entschieden, eine Frau zu sein, so wie sich mein Gatte entschlossen hat, ein Mann zu sein. Auch Makoto wird sich irgendwann entscheiden müssen, wenn die Zeit gekommen ist.“
„Aha.“ Ralf runzelte die Stirn. „Dann habe ich aber noch eine Frage. Ich weiß, dass Ihr auf der Oberen Ebene andere Namen habt als hier auf der Unteren Ebene. Das ist so, weil Ihr Götter anders kommuniziert als wir Menschen. Aber ich bin mir sicher, dass Theresa nicht der Name ist, den du auf der Unteren Ebene normalerweise trägst.“
Die Göttin lächelte verschmitzt. „Da hast du Recht. Den Namen Theresa benutze ich, wenn ich, sagen wir, inkognito herabsteige. Mein richtiger Name auf der Unteren Ebene ist…“
„Mutter!“ Makoto hatte wieder die Männerform angenommen. „Das tut nun wirklich nichts zur Sache.“ Der Gott sah Ralf an. „Außerdem hat mir doch ein gewisser Gläubiger versprochen, nicht zu versuchen, die Namen meiner Eltern herauszufinden.“
Ralf sah verlegen zu Boden. „Ach ja, stimmt. Tut mir leid, Makoto.“

Theresa setzte ihre Kaffeetasse ab. „Na gut, dann eben nicht. Makoto-chan, ich habe dir was mitgebracht.“
Herr Tsuki erhob sich, verneigte sich tief vor Makoto und überreichte ihm einen Umschlag.
„Eine kleine zusätzliche Starthilfe für dich, Makoto“, sagte die Göttin.
Der Gott öffnete den Umschlag. Ein Studentenausweis fiel ihm entgegen. Er war auf die weibliche Makoto ausgestellt. Dazu kamen Unterlagen, die unter anderem die Verwandtschaft zwischen dem weiblichen und dem männlichen Makoto fälschten. Außerdem enthielt er noch eine Tarnadresse für den weiblichen Gott.
„Herr Tsuki war so nett, all das zu arrangieren. Sollte es wirklich zum schlimmsten Fall kommen, Makoto, wird er vorgeben, dass deine weibliche Erscheinung bei ihm als Auszubildende angestellt ist.
Aber ich erwarte von dir, dass dieser Fall nie eintreten wird und du dich auf die Universität konzentrierst. Und denke ja nicht, du kriegst mehr Geld, als du durch den Verkauf des Ravir bekommen hast.“
„Das Foto sieht mir aber gar nicht ähnlich“, beschwerte sich Makoto.
Ralf riss ihm den Ausweis aus der Hand. „Zeig mal her.“ Er betrachtete das Bild. „Hm, weiß nicht, was du hast. Sieht doch gut aus.“
„Red du nur“, beschwerte sich Makoto und angelte nach dem Ausweis.
Ralf zog ihn weg. „Hey, ich bin noch nicht fertig.“
Makoto beugte sich über seine Mutter und verpasste ihr aus Versehen einen Hieb mit dem Ellenbogen. „Ist mir doch egal. Das ist mein Ausweis.“
„Benimm dich nicht so kindisch, mein Gott“, erwiderte Ralf und hielt die eine Seite fest, während Makoto die andere ergriffen hatte.
Der Gott zog kräftig, was zur Folge hatte, dass nun Ralfs Schulter gegen Theresa stieß.
Das ließ sich der Gläubige nicht gefallen, er zog den Ausweis wieder zu sich herüber.
Als Theresa erneut getroffen wurde, knurrte die Göttin.
Sofort hielten Ralf und Makoto inne und sahen die Göttin an.
Sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf gesenkt. „Wenn ihr spielen wollt, dann macht das nicht auf mir.“ Die Göttin riss die Augen auf und rief: „Verstanden, ihr zwei?“
Ralf ließ den Ausweis los und setzte sich anständig auf das Sofa. Makoto folgte seinem Beispiel und nahm manierlich Platz.
„So, nachdem das geklärt ist“, sagte sie, noch immer mit einem wütenden Unterton in der Stimme, „hätte ich nichts gegen einen kleinen Spaziergang. Einmal zur Universität und zurück.“
Sie sah die drei jungen Leute an und lächelte wieder. „Kommt Ihr?“
„Irgendwie kommt mir dieser schnelle Stimmungsumschwung bekannt vor, nicht, Makoto?“, kommentierte Ralf grinsend und stieß seinen Gott beim Aufstehen an der Schulter an.
„Was soll das denn heißen?“, beschwerte sich der Gott.
**
Als das Fernsehzimmer verlassen war, trat Shawn Ironheart aus einer dunklen Nische hervor. Sein Gesicht war wie meistens ausdruckslos. Aber seine Gedanken überschlugen sich. Es war schlicht und einfach unmöglich, dass die Göttin ihn nicht bemerkt hatte.
Was also plante sie?

3.
Irgendwie kam sich Ralf neben der Göttin fast wie ein Kind vor. Freya schien es ähnlich zu gehen. Sie sagte schon seit einiger Zeit kein Wort mehr.
Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie eine Gesegnete einer Wassergöttin war. Und Theresa war eine Erdgöttin.
Erdgöttin. Mutter von Makoto. Der Gott war nach eigener Aussage über dreihundert Jahre alt. Ralf schätzte das Alter von Theresa vorsichtig auf tausend. Vielleicht mehr. Rein äußerlich schien sie nicht älter als Ende dreißig zu sein.
Ralf verspürte große Lust, sich aus Frustration die Haare zu raufen. Ein alter Chin-Fluch lautete: Mögest du in interessanten Zeiten leben. Es schien ganz so, als wären für ihn sehr interessante Zeiten angebrochen.

Vor der Tür entließ Theresa die drei Nihon-Geschäftsleute. „Das wäre dann alles, meine Herren. Ich bedanke mich. Ich werde nachher noch einmal zu Ihnen in das Hauptgebäude stoßen, um die weitere Strategie abzusprechen.“
Die drei Herren verneigten sich vor der Göttin und gingen zu drei von vier wartenden Limousinen, die vor der alten Villa auf der Straße standen. Kurz darauf fuhren sie los.
Theresa lächelte die jungen Leute an. „So, jetzt sind wir unter uns. Wollen wir dann?“
Ralf nickte und wollte sich in Bewegung setzen. Er erstarrte mitten in der Bewegung. Vor ihm im Aufgang zum Haus stand ein groß gewachsener Mann.
„THERESA!“ Der Mann im Aufgang sah die Göttin angriffslustig an.
„Thomas. Wie nett.“ Die Göttin funkelte den Mann belustigt an. Einen Augenblick später fuhr eine Säule aus Erde an der Stelle aus dem Boden, wo kurz zuvor der Mann gestanden hatte.
Der war gesprungen, aufs Gras ausgewichen und hatte aus seiner Jacke einen Stab gezogen, den er auf Mannslänge auszog.
Währenddessen wich er einer weiteren Lanze aus Erde aus und ging zum direkten Angriff über.
Theresa lächelte zynisch und formte aus dem Stein der Wegplatten einen eigenen Stab, mit dem sie den Hieb ihres Gegners parierte.
Makoto betrachtete die Szenerie mit Unverständnis. „Was ist denn jetzt los?“
Freya hatte die Augen entsetzt aufgerissen. „Sollen… sollen wir ihr nicht helfen?“
Ralf sah dem Kampf mit wachsender Verzweifelung zu. Konnte das sein?
Die beiden Kontrahenten tauschten einen derben Schlag aus und sprangen voneinander zurück. Der Mann namens Thomas grinste frech. „Scheint so, als hättest du nichts verlernt, Erdgöttin.“
„Und du hast sogar noch was dazu gelernt, Mensch“, erwiderte die Göttin mit einem spöttischen Grinsen.
„Die beiden kennen sich?“, stellte Makoto überrascht fest.
Wieder griffen sich die Göttin und der Mann an, tauschten ein paar wilde Hiebe aus und trennten sich wieder.
In Ralf wuchs die Verzweifelung zu ohnmächtiger Wut heran.
Als die Göttin und Thomas erneut aufeinander zuschnellten, sprintete Ralf los.
Von einem Augenblick zum anderen schien die Szene zu versteinern.
Makoto pfiff anerkennend, als er sah, dass Ralf sowohl den Metallstab von Thomas abgefangen hatte, als auch die Steinlanze der Göttin blockierte.
Ralf sah den Mann wütend an. „Das reicht jetzt!“
„Ich habe nicht angefangen, Ralf“, beschwerte sich Thomas.
„Doch, hast du, Vater!“, blaffte der junge Mann.
„Nein, habe ich nicht. Sie war es. Sie schon wieder. Steigt einfach auf die Untere Ebene herab. Was willst du diesmal von mir, Göttin?“
Theresa runzelte die Stirn. „Thomas ist dein Vater?“
„Er ist dein Vater?“, raunte Makoto.
„Ja, verdammt. Das ist mein alter Herr.“
„Oh“, machte die Göttin.
„Oh.“ Makoto lächelte verlegen.
„Oh“, kam es von Freya. „OH!“
„Können wir vielleicht auf dieser Basis noch mal anfangen?“, blaffte Ralf seinen Vater und die Göttin an.
Thomas Schneider brummte böse, nickte dann aber und zog seinen Stab zurück. Er steckte ihn wieder zusammen und verstaute ihn in der Innentasche seiner Jacke. Griffbereit, wie Ralf ärgerlich feststellte.
Theresa zuckte die Achseln. „Wenn du mich darum bittest, Ralf.“
Der Steinstab in ihrer Hand schien flüssig zu werden. Die Pfütze kroch über den Boden und verband sich wieder mit den Steinplatten.
„So viel habe ich schon kapiert. Diesmal willst du nichts von mir, sondern von meinem Sohn. Und weiß der Feuerclan, wozu du die anderen beiden brauchst!“
„Pah. Du überschätzt dich mal wieder selbst maßlos, Thomas. Wie immer.“
„Wie immer“, äffte dieser die Worte der Göttin in einem näselnden Tonfall nach.
Die beiden tauschten einige mörderische Blicke aus.
„Das reicht jetzt!“, rief Ralf. „Ich dachte immer, du wärst erwachsen, Vater.“
Theresa nickte belustigt, Thomas sah betroffen zu Boden.
„Und ich dachte immer, eine Göttin deiner Reife und Erfahrung wäre auch weise.“
Was Theresa erschrak und Thomas für einen stichelnden Blick reichte.

Ralf sah seinen Vater an. „Wir wollten gerade ein wenig spazieren gehen. Vielleicht kommst du mit. Und dann könnt ihr zwei uns ja einiges erklären.“
„Ich soll mit dieser aufgeblasenen, arroganten…“
„Ich soll mit diesem widerlichen, von sich selbst überzeugten…“
„Wir sollten sie knebeln“, stellte Makoto belustigt fest und legte seinem Gläubigen die Hand auf die Schulter. „Knebeln und fesseln, bis sie sich wieder abgeregt haben.“
Thomas Schneider schluckte hart. „Na gut, ich springe mal über meinen Schatten. Aber ich gehe bestimmt nicht hinter dieser… dieser…“
„Soll ich dir vielleicht mit einem Schimpfnamen aushelfen, Thomas? Über die Jahre habe ich ja ein paar hundert von dir gelernt“, neckte die Göttin.
„Sehr witzig“, erwiderte Ralfs Vater. „Mein Sohn, willst du mir nicht auch was erklären?“
Der nickte. „Darf ich vorstellen? Freya Helensdottir, eine meiner Mitbewohnerinnen.
Und Makoto Yama. Mein Gott.“
Thomas riss die Augen auf. Er starrte erst Makoto, dann Theresa an. „Na, da bin ich aber auf die lange Version der Geschichte gespannt.“
**
Eine halbe Stunde später zog ein sehr merkwürdiges Gespann durch die Straßen Klingburgs. Theresa und Thomas gingen direkt nebeneinander, eifrig darauf bedacht, dass der andere auch ja nicht nur einen halben Schritt Vorsprung hatte. Dabei warfen sie sich zornige Blicke zu, die einen unvorsichtigen Menschen, wäre er dazwischen geraten, sicherlich zu Asche zerstäubt hätten.
Dahinter gingen Ralf, Makoto und Freya, einen respektvollen Sicherheitsabstand einhaltend.
„Damit ich euch richtig verstehe“, begann Ralf, „Ihr beide seid alte Freunde.“
„Freunde, ha!“, blaffte Thomas. „Schmarotzeropfer trifft es eher!“
„Schmarotzeropfer? Na danke. Dich werde ich noch mal mit meinem Odem heilen!“
„Ich hätte deinen Odem nicht gebraucht, wenn ich nicht wegen dir verletzt worden wäre“, konterte Thomas.
Ralf runzelte die Stirn. Das kam ihm irgendwie bekannt vor.
„Ihr seid also nicht als Gläubiger und Göttin verbunden?“, hakte Ralf nach.
„Nein, Thomas hat keinen Gott. Wir haben nur Seite an Seite gekämpft. Warum ich das getan habe, ist mir immer noch ein Rätsel.“
„Du hast mich gebraucht, wenn ich dich daran erinnern darf“, erwiderte der.
„Bitte nicht. Ich will in meiner einzigen Nacht auf der Unteren Ebene keine Albträume haben.“
Die beiden knurrten sich wie bissige Hunde an.

„Und wofür habt Ihr gekämpft?“, fragte Makoto.
„Nichts Besonderes. Nur für den Erhalt der Menschheit“, wiegelte Theresa ab.
„War mir klar, dass du das so siehst, du arrogante, niederträchtige…“
„Halt. Ab hier keine Schimpfwörter mehr“, bestimmte Makoto energisch.
Thomas knurrte wütend, fügte sich aber. „Scheint so, als wäre dir wenigstens einmal was gut gelungen, Theresa-Schatz.“
„Dir hätte ich auch nicht gerade zugetraut, dass du dieser Welt mal etwas Gutes tust“, konterte sie und deutete auf Ralf.
„Lasst uns bitte aus eurem kleinlichen Streit raus, ja?“, beschwerte sich Makoto.
„Kleinlich? Das ist schon ein ziemlich großer Streit.“
„Allerdings, du… Mensch.“
„Keine Schimpfwörter“, wiederholte Makoto.
„Mensch ist kein Schimpfwort, mein Sohn.“
„Beleidigende Betonung zählt auch, Mutter.“
Ralf schüttelte verständnislos den Kopf. Diese beiden waren wie Feuer und Wasser.
„Übrigens, Ralf“, meinte Makoto, „das war vorhin eine ziemlich gute Aktion. Zwei Kampfstäbe im Flug aufzufangen ist keine leichte Aufgabe. Das wäre es nicht einmal, wenn nicht einer der beiden eine Göttin wäre.“
„Ach das“, brummte Ralf und winkte ab. „Ich habe doch gesagt, ich bin schnell.“

„Es ist schon etwas mehr als das“, sagte Thomas. „Du bist also Ralfs Gott, Makoto. Für einen Erdgott hast du aber eine etwas merkwürdige Aura.“
„Du kannst meine Aura sehen?“, rief Makoto verblüfft.
„Man lernt so einiges in seinem Leben, wenn man ständig mit euch zu tun hat“, erwiderte Thomas. „Also, warum ist deine Aura so untypisch?“
Makoto kratzte sich nachdenklich an der Stirn. Dann wechselte er in den Frauenkörper. „Liegt es vielleicht daran?“
Thomas starrte die Göttin an. „Beim Feuer, ich habe ja schon öfter gesehen, wie ein Gott das Geschlecht gewechselt hat. Aber bei dir ist es anders. Du hast dich noch nicht fest gelegt, richtig?“
Makoto nickte.

Thomas blieb stehen. Er legte seinem Sohn die Rechte auf die Schulter. „Komm mal kurz mit, Junge.“
Theresa nahm ihre Tochter bei der Hand. „Gehen wir noch ein paar Schritte.“
Zurück blieb Freya, die über den abrupten Wechsel des Geschehens mehr als erstaunt war.
„Nanu?“, fragte sie verwundert, als sie alleine da stand.

Thomas Schneider nahm seinen Sohn ins Gebet. „Reden wir beide mal Klartext, mein Junge. Du weißt, dass ich keinen Gott habe. Das hat seinen Grund. In unserer Familie muss es immer jemanden geben, der keine Aura trägt. Ich dachte eigentlich immer, du würdest der Nächste sein.
Also, was verbindet dich mit Makoto?“
Ralf dachte einen Moment nach. „Freundschaft.“
Thomas sah den beiden Göttinnen hinterher. „Freundschaft? Oder dieser an ein Verbrechen grenzende knackige Hintern?“
„VATER!“, rief Ralf entrüstet.
„Tu nicht so, als hättest du noch nie daran gedacht“, konterte der amüsiert.
Ralf wurde rot. „Nicht nur gedacht.“
Thomas lächelte jovial. „Okay, du hast nun einen Gott. Und nicht einmal einen schlechten, finde ich. Damit kann ich leben. Aber ich gebe dir einen sehr guten Rat. Sorge dafür, dass sich Makoto für den Männerkörper entscheidet.“
„Wieso? Hat das einen bestimmten Grund?“
Thomas klopfte seinem Sohn kräftig – sehr kräftig auf die Schulter. „Ja, dann läufst du nämlich nicht mehr mit diesem Dackelblick durch die Gegend.“
„VATER!“
„Nix Vater. Du bist verliebt, das sehe ich doch. Tu dir selbst einen Gefallen, und lass es nicht zu weit gehen. Das kann dich mehr als deinen Odem kosten. Ein Gott und ein Mensch passen einfach nicht zusammen. Als Gläubige und Gott bilden sie wirklich tolle Teams. Aber als Liebespaar… Es gibt dabei immer zwei Verlierer.“
„Liebespaar? Jetzt geht die Phantasie mit dir durch.“
„Ja, klar“, brummte Thomas und grinste seinen Sohn schief an.

„Also, sag es mir, Makoto-chan. Wie weit seid ihr beide schon gegangen?“
„Was meinst du, Mutter?“
„Was meinst du, Mutter, was meinst du, Mutter. Es ist doch offensichtlich, was ich meine.
Habt ihr beiden schon mehr gehabt als eure professionelle Beziehung als Gott und Gläubiger? Komm, das muss dir nicht peinlich sein. Ich kenne diese Situation genau. Und in dem Fall ist es auch egal, ob du hier in deiner männlichen oder deiner weiblichen Form vor mir stehst, Makoto-chan.“
Die jüngere Göttin sah zu ihrer Mutter hoch. „Na ja, wir haben schon zusammen gebadet, uns ein paar Mal geküsst. Alles ganz harmlos.“
„Und todlangweilig“, stellte Theresa enttäuscht fest. „Von meinem Kind hätte ich mehr erwartet. Hast du dich wenigstens schon entschieden, den Frauenkörper anzunehmen?“
Makoto schielte bei ihren Worten unbewusst zur Seite.
Theresa nickte verstehend. „Ach. Freya. Hm, das ist ein Argument.“
Makoto wurde rot und hob abwehrend die Hände. „Nicht das, was du denkst…“
„So? Ist das wahr?“ Theresa legte ihrer Tochter eine Hand auf den Kopf. „Ich will dir einen guten Rat geben. Egal, was du in Zukunft tun wirst, ob du unabsichtlich Herzen brichst oder nicht, du bist nur ein einziger Gott, Makoto. Und eines Tages musst du dich entscheiden, was du sein willst, Mann oder Frau. Einen von beiden wirst du enttäuschen. Vielleicht sogar beide. Hast du das bedacht?“
„Ich… Ich… Ich mag sie beide, Mutter.“
Die Göttin sah ihrer Tochter in die Augen. „Nein, das stimmt nicht ganz, Makoto. Ich sehe es an deinen Augen.“

Sie legte einen Arm um Makotos Schulter und ging mit ihr zu Freya zurück. Ralf und Thomas kamen von der anderen Seite.
Wieder tauschten die Göttin und Thomas wütende Blicke aus.
„So ist das also“, brummte Thomas.
„Weckt Erinnerungen, was?“, erwiderte Theresa.
Ralfs Vater trat bis dicht vor die Göttin. Er beugte sich vor, bis die Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt waren. „Goldene Erinnerungen, Theresa. Damals warst du noch erträglich.“
„Ich habe mich nicht geändert, Thomas.“
„Ach, jetzt bin ich wieder Schuld.“
„Schuld hin, Schuld her, warum gehen wir nicht weiter?“, meldete sich Freya zu Wort. Sie lächelte verlegen.
„Bevor Ihr beide euch noch gegenseitig auffresst“, kommentierte Ralf leise. „Und das meine ich wörtlich.“
„Was auch immer.“ Thomas Schneider wandte sich abrupt ab, legte einen Arm um Makoto und zog sie mit sich. Dabei lächelte er so freundlich und warm, dass sich Ralf unwillkürlich fragte, ob dies wirklich sein Vater war. „Erzähl doch mal, Makoto, wie habt Ihr euch getroffen…“

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4.
Ian O´Brian hing in sechs Meter Höhe am Generator. Nur zwei Seile sicherten ihn dagegen, mit dem harten Betonboden der Halle nähere Bekanntschaft zu machen. Der junge Eirelander pfiff vergnügt vor sich hin. Die Arbeit ging gut voran.
Und seit das Projekt auf Eis gelegt war, störte ihn hier auch niemand mehr. Nun musste er seine Arbeit wenigstens nicht mehr heimlich verrichten.
Für den Fall, dass er doch einem anderen Menschen begegnete, hatte er eine vorzügliche Ausrede parat. Während Frau Prokovniewa eine Simulation nach der anderen im Hauptrechner laufen ließ, um zu beweisen, dass die Aufladung der Aura eines Gesegneten reiner Zufall gewesen war, hing Ian hier und prüfte einige Leiter auf Überlastungserscheinungen. Tatsächlich hatte er schon etliche Kabel entfernt, die bei der Überbelastung durchgeschmort waren. Nichts wichtiges, nur kleinere Leitungen zu Hilfssystemen. Aber wenn er sie nicht austauschte, würde dies den Arbeitsablauf empfindlich stören. Vielleicht unmöglich machen.
Innerlich leistete er Doktor Myers Abbitte. Der Tipp mit der Überlastung war gar nicht so verkehrt gewesen. Klar, die Hauptleitungen hatten standgehalten, wie er erwartet hatte.
Aber der Fehler hatte wie immer im Detail gesteckt.
Ian hangelte sich einen halben Meter höher und hakte sich neu ein. Er öffnete eine Wartungsluke, drückte einen – glücklicherweise intakten – Kabelbaum zur Seite und öffnete eine weitere Klappe mit der Warnschraffur für Hochspannung.
Dahinter saß das Kabel mit der Stromversorgung für den Hauptprojektor. Quasi die Aorta des Systems. Am Kabel aber klebte eine komplexe Apparatur, bestehend aus einem Laptop und seiner eigenen Entwicklung. Einem Frequenzumwandler.
Die Erkenntnis, dass eine Modifikation des Arbeitsstrom fast genauso effektiv war wie eine direkte Manipulation des eigentlichen Feldes hatte ihm seine Arbeit immens erleichtert.
Und das kleine Artefakt, welches auf dem Laptop pulsierte, tat ein Übriges.
Übermütig verballhornte der junge Mann ein altes Kindermärchen: „Heute bastele ich, Morgen programmiere ich, und Übermorgen töte ich einen Gott…“
**
An einem Stand in der Nähe des Campus kauften sie sich Eis und Getränke. Thomas bezahlte. Sogar für Theresa, der es nicht einmal etwas auszumachen schien, eingeladen zu werden.
„Das ist also die Uni, auf die Ihr geht“, murmelte Theresa. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie hier die Klingburg stand. Wirklich imposanter Bau, gut geschützt, rundherum ein tiefer Wassergraben, auf dessen Grund man spitze Pfähle gesteckt hatte.“
„Nun fang doch nicht wieder mit diesen alten Geschichten an, Theresa“, brummte Thomas. „Eine normale Frau würde nicht jedem Menschen ihr wahres Alter dermaßen auf die Nase binden.“
Theresa öffnete den Mund, wollte etwas sagen. Dann überdachte sie die Situation. „Jetzt wäre ich doch glatt auf dich reingefallen, Thomas. Nein, in diese Falle trete ich nicht.“
Ralf schüttelte nur fassungslos den Kopf. Mussten sich die beiden denn immer noch streiten?
„Wie ist sie zerstört worden?“, meldete sich Freya zu Wort.
„Was?“ „Na, wie ist sie zerstört worden? Es gibt die Burg nicht mehr. Also hat sie doch jemand vernichtet.“
Thomas begann glucksend zu lachen. Theresa fiel ein.
„Sagen wir es mal so. Sie wurde wieder verwendet. Irgendwann kamen die Menschen auf die Idee, dass ihnen eine große Trutzburg nicht wirklich viel nützte und begannen, aus den Steinen ihre Häuser, das alte Rathaus und dergleichen zu bauen. Nicht die dümmste Idee, finde ich.“
„Vielleicht nicht“, bestätigte Freya. „Aber nachdenklich macht das schon. Das man eine so wehrhafte Festung aufgegeben hat… Es scheint zu der Zeit nicht viele Kriege in Mittreich gegeben zu haben.“
Theresa und Thomas warfen sich einen viel sagenden Blick zu.
„Okay, das reicht mir jetzt!“, rief Makoto. Sie stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vor den beiden auf. „Immer diese Anspielungen, dieses Drumherum. Ich will jetzt wissen, was euch beide verbindet. Und warum Ihr euch anscheinend so gerne den Kopf einschlagen wollt.“
„Makoto. Ich bin nicht sicher, ob du…“
„Sofort, Mutter.“
Thomas nickte. „Setzen wir uns.“

Auf einer Bank streckte sich der große Mann aus. Ralf, der direkt neben ihm saß, tat es ihm gleich. Sie waren gleich groß.
„Wenn du nicht damit anfängst, Theresa, dann werde ich es übernehmen.“
„Nur zu, nur zu.“
Thomas sah die drei jungen Leute an. „Was wisst Ihr über die vier Clans der Götter? Und was wisst Ihr über ihre Feinde?“
„Einiges“, begann Ralf leise. „Aber anscheinend nicht genug. Und die Feinde der Götter sind die Dämonen, wenn ich das richtig verstanden habe.“
Freya nickte bestätigend.
„Falsch.“ Thomas genoss sichtlich die Überraschung in den drei jungen Gesichtern.
„Zuallererst müsst Ihr eines wirklich und wahrhaftig verstehen. Götter sind wie Menschen, nur unendlich viel mächtiger. Unter den Göttern gibt es edle Heroen ebenso wie hinterlistige Intriganten. Leichtgläubige Idioten ebenso Kriegsverliebte Langweiler.
Die Liste ist so endlos wie es Götter gibt.“
„Sieh mich nicht dabei an“, beschwerte sich Theresa.
„Der Punkt der Geschichte ist, Ihr macht den Fehler, die Clans von Feuer, Wasser, Erde und Luft als geschlossene Gesellschaft anzusehen. Ihr wisst, dass Kriege zwischen den Clans üblich sind. Und das sich diese Kriege sowohl auf der Oberen als auch der Unteren Ebene ereignen können.
Das war schon immer so und wird wohl immer so bleiben.
Was Ihr aber nicht wisst ist, dass durch alle vier Clans mehrere feine Gespinste von Kontakten gehen, heimlichen Bündnissen, Versprechungen, Lehnseide und dergleichen.
Was bedeutet, dass sich die Clans auch in sich selbst bekämpfen.
Ich gebe zu, Trema hat den Erdclan gut im Griff, aber auch hier gibt es schon seit Jahrtausenden eine Gruppe von Erdclangöttern, die an ihrem Sturz arbeiten.“
„Mehrere“, bestätigte Theresa.
„Es finden also auch innerhalb der Clans Kämpfe statt, offene und verborgene. Und manche Partei hat dabei gute Kontakte zu Gleichgesinnten in anderen Clans.
Was auch für uns Menschen bedeutet, dass deren Gesegnete und Gläubige gegen Menschen stehen müssen, die eigentlich Gläubige des gleichen Clans sind.“
Theresa nickte bedächtig und deutete damit an, dass sie die Erzählung übernehmen würde.
„Viele dieser Gruppen sind sehr mächtig. In manchen Clans sogar mächtiger als der eigentliche Clansherr. Natürlich sind die Interessen aller Gruppen sehr verschieden. Und je mehr Mitglieder eine Gruppe hat, desto verschwommener werden diese Ziele.
Manchmal reduziert sich der Zusammenhalt einer solchen Verschwörung nur auf ein einziges Ziel.“
„Und einige von diesen Gruppen haben Ziele, die Menschheit betreffend“, fügte Thomas hinzu, deutete aber an, dass Theresa weiter reden sollte.
„Manche dieser Gruppen wollen die Untere Ebene unterwerfen, sie direkt erobern. Nicht durch das Gott und Gläubiger-Prinzip, sondern direkt herrschen.
Andere wollen sich den Nachschub an Odem durch strikte Kontrolle der Ressourcen sichern, sprich, ein totalitäres Menschenregime einsetzen, deren Ziel es ist, die Götter mit möglichst viel und reinem Odem zu versorgen.
Und dann gibt es Gruppen, welche die Menschheit auslöschen oder zumindest in ihrer Zahl einschränken wollen.“

Bei den letzten Worten rutschte Ralf von der Bank. Er landete hart auf dem Boden. „Habe ich das richtig verstanden?“, rief er, als er sich den schmerzenden Hintern rieb. „Sie wollen die Menschheit ausrotten? Aber wieso?“
In Thomas´ Augen flackerte ein stummes Licht. Theresa sah zu ihm herüber und bewegte unmerklich die Lider. Ein kaum zu sehendes Nicken antwortete ihr.
„Weil wir da sind“, sagte Thomas leise. „Ich sagte doch, Götter sind wie Menschen. Wir Menschen haben auch versucht, von Europa aus Nordamerika zu erobern, einfach weil es da ist. Dabei trieben wir die Ureinwohner bis in den Mittleren Westen zurück. Dort, wo sich heutzutage die Native Nation befindet. Menschen machen so etwas eben von Zeit zu Zeit. Und die Götter sind nicht besser.“
„Jedenfalls“, nahm Theresa den Faden wieder auf, „gibt es Götter wie mich, die vom Clan den Auftrag erhalten, solche Gruppen aufzuhalten.
Dies tue ich. Seit dreitausend Jahren.“
„Wir tun es“, fügte Thomas an. „Obwohl ich noch nicht so lange im Geschäft bin wie Theresa, zugegeben. Im letzten Jahrzehnt haben wir mehr als hundert Mal Seite an Seite gegen auf die Erde herab gestiegene Götter und deren menschliche Handlanger gekämpft.
Ihre Pläne vereitelt. Sie getötet, wenn es nicht anders ging.“
„Davon habe ich noch nie etwas gehört“, brummte Ralf leise.
Thomas nahm seinen Stab aus der Tasche und spannte ihn auf und wieder ab. Auf und ab. „Kein Wunder. Wir arbeiten im Verborgenen. Wenn die Menschen wüssten, was manche Götter mit ihnen vorhaben, könnte eine Panik ausbrechen.“
„Oder noch schlimmer, sie könnten ihren Glauben aufgeben, den Odem einstellen. Dann hätten diese Gruppen erst Recht einen Grund, gegen die Menschen vorzugehen“, sagte Theresa leise. „Also machen wir unsere Arbeit lautlos, schnell und präzise.“
Thomas grinste schief. „Lautlos? Wenn ich an die Sache von letztem Sommer denke, da hast du eine Menge Lärm gemacht.“
„Ach, die kleine Lagerhalle.“
„Klein ist gut.“ Thomas lachte leise.

„Bevor Ihr in euren Erinnerungen schwelgt, hätte ich noch eine Frage“, sagte Makoto bestimmt.
„Nur zu“, ermutigte Thomas die junge Frau.
„Ich kann verstehen, dass man Götter ausschickt, um andere Götter aufzuhalten. Oder sogar zu töten. Was ich aber nicht verstehe ist, wie du da hinein passt. Deine Schnelligkeit in allen Ehren, Thomas, aber du bist kein Gott.“
Belustigt funkelte er die Göttin an. „Das hast du gut erkannt, Makoto.“
Auch Theresa schmunzelte. „Thomas ist… kein normaler Mensch. Was er bei unserem kleinen Kampf gezeigt hat, war nicht annähernd das, was er wirklich leisten kann. Für einen Menschen ist er…“
„Ist er was?“, hakte Thomas nach.
„Ach, nichts“, wiegelte die Göttin ab.
„Raus mit der Sprache, Theresa“, stichelte Ralfs Vater amüsiert.
„Für einen Menschen bist du schon etwas sehr besonderes.“
Thomas wurde blass. Mürrisch sah er weg. „Ich wusste es. Du schmierst mir wieder Honig um den Bart, weil du mich für irgendetwas brauchst. Würde mich überhaupt nicht wundern, wenn Naiel irgendwo hinter einem Baum lauert, um mich freundlich zu begrüßen und wieder in eines dieser irrsinnigen Unternehmen zu zerren.“
Theresa schmunzelte. „Du kannst unbesorgt sein, Thomas Schneider. Wir sind vollkommen unter uns. Alles was ich wollte war mein Kind besuchen. Und sicherzustellen, dass es für Makoto sicher in Klingburg ist.“
„So ein Zufall“, brummte Thomas, sah aber immer noch weg. „Aus dem gleichen Grund wollte ich meinen Ältesten besuchen.“
Er strich Ralf durch die Haare. „Nicht, Kleiner?“
„Hm“, brummte der. „Ich kann ja vieles verstehen. Klar, es ist schon sehr unglaubwürdig, dass mein Alter Herr gegen Götter antreten musste. Und ich kann verstehen, dass ausgerechnet du es sein musstest und kein anderer Mensch. Meinetwegen auch ein weiterer Gott, der ebenso in dieser Sache drin steckt. Sofern dieser Naiel ein Gott ist.
Aber eines kapiere ich nicht.“
„Was denn, mein Sohn?“
Ralf sah zwischen den beiden hin und her. Er stutzte.
Makoto kam ihm zu Hilfe. „Was Ralf und ich wissen wollen ist: Warum hasst Ihr euch?“
„Ja, wenn Ihr Seite an Seite kämpft und so…“
„Jetzt wo Ihr das sagt“, nahm Freya den Faden auf, „finde ich das auch merkwürdig.“
„Das hat… seine Gründe“, sagte Theresa leise.
Sie warf einen kurzen Blick zu Thomas herüber. Der aber starrte blicklos auf die Universität.
„Vielleicht erzähle ich es euch irgendwann einmal.“
„Das lässt du schön bleiben. Die Sache bleibt unter uns“, beschwerte sich Thomas und warf ihr einen wütenden Blick zu.
Da war sie wieder, diese Spannung zwischen den beiden. Sie warfen sich finstere, geradezu böse Blicke zu.
Makoto seufzte resignierend.

Zehn Minuten später machten sie sich auf den Rückweg. Thomas ging mit seinem Sohn auf einer Höhe und ließ Theresa unverständlicherweise mit den anderen beiden Frauen den Vortritt.
Die beiden Männer redeten leise miteinander.
„Irgendwie bin ich froh“, sagte Thomas leise. „Du hast dein ganzes Leben hart trainiert, um das zu erreichen, was ich von dir verlangt habe. Du musstest viel dafür aufgeben, weil mein Ehrgeiz dich angespornt und deine Freizeit beschnitten hat.
Das du es nun nicht bist, erleichtert mich.“
„Was bin ich nicht?“
Thomas lachte leise. „Du bist es nicht, der aus unserer Familie Götter jagen geht. Es ist besser so. Du warst in deinem Herzen niemals bereit dazu, meine Nachfolge anzutreten. Außerdem macht Carines Ausbildung sehr gute Fortschritte. Sie wird es vielleicht einmal werden. Ich würde ungern für einen anderen Teil der Familie abtreten.“
Ralf legte den Kopf schräg. „Du meinst, einer aus unserer Familie war schon immer Teil einer Einsatzgruppe, die Götter getötet hat?“
Thomas schwieg einen Moment, sah dann aber seinen Sohn an und grinste breit. „So in etwa, Ralf.“
„Das erklärt einiges. Wenn nicht vieles. Warum ich Freunde vernachlässigen musste, warum ich so viel trainieren musste, warum ich meine Fähigkeiten verstecken sollte. Warum ich nie ein richtiges Leben hatte.“
Thomas senkte schuldbewusst den Kopf. „Ja, ich weiß. Und es tut mir leid, Ralf. Aber verstehe, es ist nicht nur so, dass ein Mensch gebraucht wird, der meine Arbeit tut. Jemand der Götter aufhält und die Menschen beschützt.
Es ist auch so, dass unser Reichtum daher kommt.“
„Ach, um Geld geht es also auch. Sind wir eine Familie von Killersöldnern?“ Ralfs Stimme klang barsch. Weitaus barscher als er beabsichtigt hatte.
„Du redest Unsinn. Dieses Geld ermöglicht uns ein sorgenfreies Leben, das ist richtig. Viel fließt in unsere Verwandtschaft, und es ist immer noch mehr als genügend über.
Aber dieses Geld hat noch einen weiteren, tieferen Zweck.
Es hilft uns, unsere Leben auf der Unteren Ebene zu schützen, damit unsere Familie ihrer Aufgabe nachkommen kann.“
Wieder lachte Thomas, diesmal allerdings unbeschwert. „Aber was rede ich eigentlich. Das betrifft dich nicht mehr. Du hast dir einen Gott gewählt. Und damit kommst du für meine Aufgabe nicht mehr in Frage.“
Ralfs Vater klopfte ihm auf die Schulter. „Also, studiere schön, genieße das Jahr mit deinem Gott und hol aus dem Leben heraus, was dir Spaß macht.
Und vergiss nicht: Lass die Finger von deiner Göttin. Sich in sie zu verlieben bedeutet nichts als Schmerz.“
„Das klingt so, als hättest du darin praktische Erfahrungen“, spöttelte Ralf, um den peinlichen Moment zu überbrücken.
Thomas sah seinem Sohn in die Augen, und der junge Mann erkannte, dass er einen Volltreffer gelandet hatte.
„Ich muss dann gehen“, sagte Thomas, statt zu antworten. „Ein Geschäftsessen in der Innenstadt. Ich bin ohnehin schon überfällig.“
„Vater. Ich wollte dich nicht…“
Thomas Schneider lächelte seinen Sohn an. „Keine Bange, das hast du nicht. Du hast mir zwar eine alte Wunde bis zum Arsch wieder aufgerissen, aber ich habe wirklich ein Geschäftsessen. Beim ganzen spielen mit Theresa bin ich nur drüber weg gekommen.
Hey, Theresa, Makoto, Freya. Ich muss los.“
Thomas sah seinen Sohn an. „Ich komme die Tage noch mal vorbei, wenn der Drachen von Erdgöttin nicht mehr da ist, ja? Und hier, das ist für dich.“
Der große Mann drückte seinem Sohn einen Gegenstand in die Hand. Ralf sah herab und erkannte eine schlichte Silberkette, an dem das Symbol des Erdclans hing.
„Mutters Kette? Aber ich… Vater?“
Suchend sah sich der junge Gläubige um, aber Thomas Schneider war von einem Moment zum anderen verschwunden.

Theresa lächelte sanft. „Ich sagte doch, was er vorhin gezeigt hat, war nur ein Bruchteil seiner Fähigkeiten. Gehen wir zurück. Ich muss nämlich auch bald los.“
Die Frauen nickten begeistert. Zurück blieb Ralf, der einige Zeit lang irritiert auf die Kette in seiner Hand starrte. Schließlich, als hätte er nie etwas anderes getan, legte er sie um und versteckte sie unter seinem Pullover.
„Wartet auf mich!“

5.
Ian lächelte zufrieden. Es war ein sardonisches Lächeln, von Boshaftigkeit und Hass in seine Züge getrieben.
Rings um ihn begannen die Generatoren anzulaufen. Die Energieversorgung des Göttersuchers stand. Auf einem Sonntag war die Gefahr sehr gering, dass sich jemand auf dem Campus befand, der sich gut genug mit diesem Experiment auskannte, um zu erkennen, was er hier tat.
Im Einklang mit sich selbst und der bald götterfreien Welt tippte Ian O´Brien auf einem Laptop herum, dem Gegenstück zu dem portablen Computer, der an der Hauptleitung des Suchers angeschlossen war. Er rief eine Unterdatei auf. Ein Bild entstand und zeigte die weibliche Makoto. Neben dem Bild standen Frequenzen, auf die der Eirelander nun den Laptop eichte. „Fangen wir mit einem jungen Gott an. Er wird nicht so viel Widerstand leisten können.“
Die große Maschine in der Halle begann nun ebenfalls anzulaufen. Die Computer der Überwachung sprangen alle in den grünen Bereich. OK-Signale erreichten den Hauptterminal, der das Experiment als bereit bezeichnete.
Alles, was Ian nun noch zu tun hatte, war die Anlage mit einem einzigen Knopfdruck zu aktivieren.

„Danke, Doktor Myers. Durch Ihren Hinweis bin ich erst auf den richtigen Gedanken gekommen. Wenn die Maschine auf eine bestimmte Aura geeicht ist, muss man zwar jeden Gott einzeln töten, aber es fällt auch nicht gleich so auf.“
„Gerne geschehen“, erklang es hinter ihm.
Ian wirbelte herum. In der Tür stand Norton Andrew Myers. Er sah den Eirelander über den Rand seiner Brille hinweg an. In der Rechten hielt er eine halbautomatische Pistole.
„Ich habe Torches geladen, Herr O´Brien. Also machen Sie keine Dummheiten, ja?“
„Sie wissen ja gar nicht, was Sie da tun. Diese Maschine ist das erste Machtinstrument, das wir gegen die Götter in Händen halten. Wir müssen wissen, ob es funktioniert. Und wir müssen sie dafür bereit machen, um jeden Gott töten zu können, der auf die Untere Ebene herabsteigt. Das sind wir unserer Art schuldig.“
Norton Myers schüttelte den Kopf. „Sprich nur für dich selbst. Ich für meinen Teil sehe keinen Sinn darin, Götter zu töten. Und jetzt tritt vom Computer zurück.“
Ians Augen zuckten kurz von Myers zum Aktivierungsknopf. Dieser Augenblick reichte Myers, um abzudrücken. Er erwischte die vorzuckende Rechte des Studenten, die von der Torchmunition voll getroffen wurde. Das Projektil setzte die Hand augenblicklich in Brand.
Vor Wut und Schmerz aufheulend zuckte er zurück.
„Und jetzt raus aus der Computerecke.“
Norton winkte mit der Waffe in die Richtung, in die Ian gehen sollte.
Der junge Mann starrte ihn mit Tränen in den Augen an, während sich die Flammen seinen Arm hoch fraßen. „Das ist Verrat! Verrat an unserer Rasse! Wie kannst du so etwas tun?“
Norton spannte den Abzug seiner Waffe. „Ich zähle bis drei. Eins… zwei…“
Ian heulte auf. Die Flammen griffen spontan auf seinen ganzen Körper über und setzten ihn in Brand.

Von einer Sekunde zur anderen wurden die Flammen wie von einem scharfen Windhauch fortgetrieben. Zurück blieb ein dunkler Schatten. Der Schatten wuchs und verwandelte sich in einen drei Meter großen Riesen mit gewaltigen Pranken und einem riesigen Stirnhorn.
Die Flammen verbrannten hinter ihm und stieben dann als Ascheregen auseinander.
Der Riese sah auf Myers herab. „Ich bin Ibran. Ich will Rache an den Göttern, und die lasse ich mir von dir nicht nehmen. Du Mensch!“ Es klang wie ein Fluch, eine Verwünschung. Vermutlich war es das auch.
Ansatzlos lief Ibran auf Myers zu, der seine Waffe abfeuerte. Drei Torches trafen den Riesen in der Brust, doch der schien es nicht einmal zu merken. Er erreichte Myers und traf ihn hart mit der rechten Pranke.
Der Doktor wurde mehrere Meter weit durch die Luft geschleudert, überschlug sich mehrfach und kam auf der Seite zu liegen.
„Es ist zu unsicher, dich am Leben zu lassen“, brummte der Riese. Er ging ein paar Schritte, wurde schneller, begann zu rennen. Als er sprang wurde klar, was er plante. Er wollte den Doktor bei der Landung mit seinen riesigen Füßen zerquetschen.

„Luftklingen!“, gellte der Ruf einer dunklen Stimme durch die Halle. Ein ungeheurer Druck erfüllte die Luft. Wunden öffneten sich auf Oberkörper und Arm des Riesen, als würden scharfe Messer hinein schneiden. Durch den Luftdruck wurde er beiseite gedrückt und flog gegen eine Wand, in der er einen imposanten Abdruck hinterließ.
Shawn Ironheart erschien direkt neben Norton Myers und sah den Riesen mit einem für ihn sehr untypischen, spöttischen Grinsen an. „Ich wusste, du würdest mal Eindruck auf diese Universität machen, Ian. Aber das ist lächerlich.“
„Du Narr! Weißt du überhaupt, mit wem du hier redest?“, blaffte der Riese.
Shawn zuckte mit den Schultern. „Mit einem Dämonen.“
Er beugte sich vor. „Können Sie aufstehen, Doktor Myers? Oder soll ich Sie tragen?“
Myers ruckte herum, seine Hand umklammerte Shawns linken Oberarm. „Die Maschine! Er darf sie nicht… aktivieren. Er will… Makoto töten!“
Wütend brüllte der Riese auf und ließ seine Faust auf die beiden Menschen niederfahren.
Aber Shawn war bereits woanders. Er schwebte in fünf Meter Höhe in der Halle. Auf seinen Armen ruhte der Doktor. „Du bist langsam, Dämon“, bemerkte er leise.
„Wie…?“ Doktor Myers sah ungläubig zu Boden.
Shawns Miene wurde wieder ausdruckslos, während er langsam zu Boden glitt. „Ich bin ein Gesegneter, Doktor Myers. Ich handele im Namen meines Gottes Naiel.“
„Das wird dir auch nichts nützen!“, blaffte der Dämon. Um seine Hand begann eine Aura zu glühen. Als er seine Pranke erneut schwang, bildete die Aura fünf tiefrote Klingen, die von seiner Hand ausgehend durch die Luft rasten. Ihr Ziel war der langsam zu Boden gleitende Shawn.
Ein mitleidiges Lächeln huschte kurz über die meist starren Züge des American Native.

„Flammenschwert!“, rief eine andere Stimme. Kurz bevor die roten Klingen Shawn und den Doktor erreichen konnten, hatte sich eine Schneide aus lodernden Flammen davor gestellt und alle fünf Klingen geblockt.
Am Griff des Schwertes stemmte sich Arnim Kleyn gegen die dämonische Macht.
„Du kommst spät, Gesegneter“, kommentierte Shawn tonlos.
Arnim sah mit einem schrägen Grinsen kurz zurück. „Entschuldige, Naiel-Gesegneter. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich erkannt habe, dass mich Ausyl gesegnet hat. Und ich bin mir über meine Fähigkeiten noch nicht ganz im Klaren. Du hast mir zuviel in zu kurzer Zeit erzählt.
Aber zur Sache. Dieser Bastard will Makoto töten?“
Shawn nickte. „Lass ihn nicht an die Computer. Es muss nur ein einziger Knopf gedrückt werden, um den Göttersucher arbeiten zu lassen und Makotos Aura zu überladen. Das wird sie töten.“
Arnims Mundwinkel zuckten. „Also ist sie eine Göttin. Ich gebe zu, ich habe es vermutet, als sie beim Training in der Kendo-Halle so brilliert hat. Diese Leistung ist weit über dem Standard selbst eines begabten Anfängers. Bring Doktor Myers nach draußen. Schnell. Ich spiele so lange mit dem Dämonen hier.“
„Ja. Bis gleich.“ Shawn Ironheart schien unsichtbar zu werden und verschwand.
Arnim bemerkte es. Ob er so etwas auch konnte?
Er nahm die Klinge herunter und sprang schnell zur Seite. Die Dämonenwaffe, die nun wie verlängerte Fingernägel aussah, raste geradeaus weiter und riss fünf Striemen in die hinter ihm liegende Blechwand.
Arnim schlug einen Haken und griff an. Als er den Dämon passierte, hinterließ sein Flammenschwert einen tiefen Schnitt auf dem Rücken der Bestie.
Der Dämon heulte auf, schlug um sich, erwischte ihn an der Schulter, stark genug dass Arnim meinte, sie müsse brechen. Er wurde gegen die nächste Wand geschleudert, drehte sich so, dass er mit den Füßen zuerst aufkam und nutzte die Gelegenheit, um sich kraftvoll abzustoßen. Er landete außerhalb der Reichweite des Dämons und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass er anscheinend nicht ernsthaft verletzt worden war. Konnte dies die Gabe der Gesegneten sein? Er erschauerte bei dem Gedanken. Welche Macht war ihm verliehen worden? Wo begannen die Grenzen? Und warum er? Die ganze Zeit hatte Arnim an seinem Gott gezweifelt. Und nun kam heraus, was dieser ihm geschenkt hatte.
Eine Macht, die ihm so unglaublich erschien. So mächtig. Und vor allem so neu. Viel zu neu, um sie bereits vollständig zu nutzen. Er war nicht wie Shawn, der sich als Gesegneter eines Luftgottes zu erkennen gegeben hatte und nach seinen eigenen Worten diese Fähigkeiten seit zwanzig Jahren trainierte.
Diese Erkenntnis machte er, als die Faust des Dämonen auf ihn herab sauste, aber seine Beine sich nicht bewegen wollten. Arnim riss die Klinge zum Block hoch, machte sich aber innerlich auf den schwersten Schlag bereit, den er jemals erhalten hatte. Er wusste nicht warum, aber es wäre ihm einen große Erleichterung gewesen, wenn Ralf nun hier gewesen wäre.

Der Schlag donnerte herab und zerschlug den Betonboden zu Geröll.
Arnim aber hing gerade am Arm von Shawn, der ihn binnen eines Gedanken kraftvoll gepackt und aus der Reichweite des Dämonen geschafft hatte.
„Danke“, hauchte der Kendo-Sportler, als Shawn ihn absetzte. „Ich dachte schon, er hat mich.“
„Das dachte ich auch“, erwiderte Shawn lapidar.
Arnim schluckte den Tadel kommentarlos runter. „Myers ist in Sicherheit?“
Shawn nickte. „Bringen wir das hier Zu Ende.“
Der Native richtete sich auf. Dank seiner beachtlichen Größe war das ein Schauspiel für sich. Von einem Moment zum anderen umgab ihn eine lodernde, gelbe Aura.
„Was tust du?“, rief Arnim, als ein Wind durch die Halle wehte und alles mitriss, was nicht fest verankert war. Die Gegenstände und Papiere begannen den Windgesegneten immer schneller zu umkreisen.
„Ich sammle meinen Odem. Tu du das auch. Wir greifen an.“
„Aber wie?“
Shawn sah herüber, während der Dämon heran schnellte. „Du weißt es.“
Arnim sprang davon, ebenso wie Shawn. Und plötzlich wusste er es wirklich.
Er konzentrierte sich, und eine rote Aura umschloss ihn. Nun begannen die Gegenstände auch um ihn herum zu rotieren.
„Du entlässt die Aura auf mein Zeichen!“, rief Shawn.
Arnim nickte und wich dem Angriff des Dämons aus. „Aber er ist schnell!“
Der Kendoka spürte, wie die Aura ihren Höhepunkt erreichte. „Wir werden ihn verfehlen!“
„Ihr Narren!“, lachte der Dämon und rannte zu den Computern. „Ich habe doch schon, was ich brauche!“
„Auf den Resonator!“, blaffte der Windgeweihte. „Jetzt!“
Arnim begriff. Ohne den Resonator würde dem Dämon auch das Knöpfchendrücken nichts nützen. Der erkannte die Gefahr ebenfalls, schnellte sich herum, brüllte etwas in einer unbekannten Sprache, die Arnims Nackenhaare aufrichtete und stellte sich schützend vor die Maschine.

Arnim hatte seine Aura bereits entlassen, ebenso Shawn Ironheart. Die Kraft zweier Gesegneter traf nun den Dämon.
Aber es war unglaublich, er hielt stand!
„MEHR!“, rief Shawn und stemmte sich in den Strahl reinen Odem, der von seinem Körper auf den Dämon zufloss.
Auch Arnim stemmte sich hinein.
Der Dämon brüllte wie ein verwundetes Tier.
Aber erst, als auf seiner Brust die Einschläge von acht weiteren Torches aufblühten und ihn weiter schwächten, zeigte der Angriff Erfolg.
Kleine Stückchen lösten sich aus seinem Körper. Erst nur wenige, dann wurden es immer mehr, bis er in einem Gestöber aus Asche regelrecht verweht wurde.
Arnim sank zu Boden. Shawn sackte auf die Knie und atmete schwer.

„Hey, Shawn“, rief Arnim mit kratziger Stimme.
„Was?“ „Das machen wir jetzt aber nicht jeden Tag, ja?“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des American Native. „Versprochen.“
„Ach, noch was. Gute Taktik. Du wusstest, dass der Dämon die Maschine mit seinem eigenen Leben schützen würde, richtig? Du wolltest sie gar nicht vernichten, richtig?“
Shawns Miene wurde wieder ausdruckslos. „Das Ding war teuer.“
Leises Klatschen unterbrach sie. In der Tür stand Norton Andrew Myers, noch immer sichtlich geschwächt, aber mit einem begeisterten Feuer in den Augen. Er hielt in der Rechten seine halbautomatische Pistole, deren Lauf rot glühte, nachdem in kurzer Zeit zwölf Torch-Kugeln abgeschossen worden waren. Eine beeindruckende Waffe, wo doch jede andere Pistole für Torches nach nur sechs Schuss rot geglüht und zu weiteren Schüssen für einige Zeit nicht fähig gewesen wäre.
Aber nur ein echter Experte hätte nach einer eingehenden Untersuchung den Unterschied zu einer normalen Torch-Pistole erkannt. Vielleicht.
„Bravo. Das war eine sehr gute Leistung. Ihr würdet eure Götter damit sehr stolz machen.“
„Und das von einem Atheisten“, brummte Arnim und schloss die Augen. Irgendwie war er müde.
Norton Myers lächelte dünn. „Kommt, ich gebe einen aus. Es ist erwiesen, dass Gesegnete, die sich derart verausgaben, einen Riesenhunger entwickeln.“
Mühsam schlich der Doktor zu der Konsole und fuhr die Maschine und die Generatoren runter. Den Laptop zerstörte er mit einem einzigen Fausthieb.
Shawn kam schwankend auf die Beine, schlich zu Arnim herüber und half ihm hoch. „Für deinen ersten Einsatz als Gesegneter war das nicht schlecht.“
„Gerade, weil ich erst seit einer Stunde weiß, dass ich gesegnet bin“, kommentierte der Kendoka.
Shawn nickte. „Gerade, weil du es erst seit einer Stunde weißt. Es tut mir leid, aber ich wusste, dass ich und Doktor Myers Ian nicht alleine würden besiegen können. Wir brauchten dich, Ausylgesegneter.“
Arnim ließ die Hand des Native fahren, als er sicher stand. Er dachte über die Worte nach und schüttelte schließlich den Kopf. Er begann zu strahlen. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Für mich ist ein Traum wahr geworden.
Mein Gott hat mir die Möglichkeit gegeben, meinen Wert zu beweisen und den Namen meiner Familie wieder herzustellen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin eben ein total verkorkster Traditionalist. Für mich bedeutet das Ansehen meines Gottes noch etwas.“
„Das ist keine fremde Einstellung für mich“, erwiderte Shawn und legte eine Hand auf die Schulter seines Gegenübers.

„Wenn die Herren mit ihrem männlichen Siegesritual dann fertig sind“, kommentierte der Doktor spöttisch, „lade ich sie auf eine Pizza ein.“
„Was? Wollen wir nicht vorher aufräumen?“ Arnim deutete auf den tiefen Abdruck in der Betonwand und die neuen Lüftungsschlitze auf der anderen Seite im Blech.
Myers schüttelte den Kopf. „Nein, ich regele das schon. Außerdem, kannst du mauern oder schweißen? Nein? Das dachte ich mir.“
„Sie gehen ja sehr unvoreingenommen mit uns um, nachdem Sie zwei Gesegnete in voller Fahrt erlebt haben“, kommentierte Shawn Ironheart leise.
„Hey, Ihr habt mir das Leben gerettet, einen Gott gerettet – übrigens danke für diese Erkenntnis – und einen Dämonen vernichtet. Zumindest seinen Leib. Hoffen wir, dass sein Fluidum auch zerstört wurde.“
Arnim zog eine Augenbraue hoch. „Der kann wiederkommen?“
Myers nickte. „Allerdings nicht so schnell.“
Unsicher atmete der Feuergesegnete aus. Na toll.

Shawn legte dem anderen eine Hand auf die Schulter. „Es gibt vieles, was du lernen musst, jetzt, wo der Segen deines Gottes auf dir lastet. Ich werde dir einiges erklären können.“
„Lastet?“, wiederholte Arnim.
„Lastet“, bestätigte Shawn.
„Lastet“, meinte auch der Doktor nickend. „Ich habe die Leben von dreihundert Gesegneten in neun verschiedenen Zeitepochen studiert. Glaub mir, lastet ist richtig.“
„Na, Ihr macht mir ja Mut“, brummte Arnim. „Bleibt nur noch eine Frage.“
Shawn sah den Feuergesegneten auffordernd an.
„Ich will gar nicht wissen, woher Doktor Myers wusste dass wir beide gesegnet sind oder sogar bereit waren, ihm zu helfen. Aber mich interessiert doch eines: Woher wussten Sie von dem Dämon, Doc?“
Der schwarzhaarige Mann lächelte kalt. „Als ich erkannt habe, dass diese Maschine Götter töten kann, habe ich eins und eins zusammen gezählt. Übrigens ist es noch nicht vorbei, meine Herren. Nicht, solange es den Göttersucher gibt.“
Arnim reagierte mit Entsetzen, Shawn Ironheart nickte nur mit unbewegtem Gesicht. Sie verließen die Halle. Norton Myers löschte als Letzter das Licht.
**
Makoto versteifte sich.
Ralf hob sofort den Kopf. „Was ist?“
Die Göttin lauschte für einen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf. „Für einen Moment dachte ich, dieses reißen fängt wieder an. Aber es ist nichts.“
„Hm“, brummte Ralf. „Wir haben diese Sache lange vernachlässigt. Es wird Zeit für uns, herauszufinden, was genau passiert ist. Und dann verhindern wir es ein für allemal.“
Makoto wechselte in die männliche Form. „Das werden wir, mein Gläubiger. Das werden wir.“
**
Auf dem höchsten Dach der Stadt, einem vierzigstöckigen Hotel standen fünf Menschen und sahen nach Süden. Es waren drei Männer und zwei Frauen.
Einer der Männer, ein grobschlächtiger, breitschultriger Hüne wandte den Blick ab und grinste die anderen an. „Es ist soweit.“
Ein nur wenig kleinerer, dunkelhaariger Mann mit ernstem Gesicht nickte dazu. „Sie sind bereit.“
Eine der Frauen, eine zierliche, kleine Person, lächelte sanft. „Es sind schwierige Zeiten. Wir müssen also schwierige Lösungen suchen.“
„Das macht es um keinen Deut leichter oder besser“, kommentierte der dritte Mann, ein vertrocknet wirkender, drahtiger kleiner Bursche. „Und es ist eine schlechte Entschuldigung.“
„Das ist es“, sagte die zweite Frau, eine große Person mit schwarzem, wallendem Haar. „Aber um ihrer Zukunft willen, sie haben keine andere Wahl.“
Die fünf sahen sich kurz an, dann nickten sie. Einen Augenblick später sprangen sie in fünf verschiedene Richtungen davon und schienen sich aufzulösen.
Danach war das Dach verlassen.
**
Als Frau Prokovniewa am Montagmorgen ihre Halle betrat – als erste wohlgemerkt, war sie mehr als verwundert. Einer ihrer Studenten hatte sich abgemeldet, aus der Uni ausgeschrieben und das Land Hals über Kopf verlassen. Und das ohne ein einziges Wort des Abschiedes.
Noch mehr verwunderte sie aber die Nachricht der Polizei, dass es Tausende Ian O´Briens auf Eireland gab. Nur keinen, der aus der kleinen Stadt kam, die ihr Ian als Heimatort angegeben hatte. Und am merkwürdigsten fand sie, dass ihr dieses Dokument übergeben worden war, obwohl sie nicht danach gefragt hatte.
Nun, es war müßig, darüber nachzudenken. Wenn die letzten Testberichte heute positiv ausfielen, dann war es nur noch ein kleiner Schritt, bis sie die Experimente wieder aufnehmen durfte. So wichtig war der Eirelander für das Projekt nun nicht gewesen, dass sie ihn nicht ersetzen konnte. Geschweige denn den Test abschließen.

Noch war sie alleine in der Halle. In der Hand hielt sie eine Tasse Kaffee, während sie verschiedene Protokolle der Inspektionen durch sah.
Dadurch konnte sie nicht sehen, wie sich hinter ihr, wie von einem imaginären Wind bewegt, ein kleines Häufchen Asche sammelte. Diese Asche wuchs und erreichte schnell Kniehöhe. Danach strebte sie in die Höhe und bildete die Silhouette eines Menschen aus. Die Aschegestalt schwebte langsam auf die Dozentin zu.
„Frau Prokovniewa, sind Sie schon da?“, erklang die Stimme von Doktor Myers von der Tür her.
Die Aschesilhouette zerstiebte wieder und verteilte sich in Windeseile im ehemaligen Hangar.
Die junge Frau seufzte viel sagend. „Bringen Sie wieder schlechte Nachrichten, Doktor?“
Myers lächelte, als er den Raum betrat. Hinter ihm kamen die ersten Helfer und Studenten nach. „Nicht wirklich“, sagte er. „Nicht wirklich.“

Epilog:
In dieser Nacht träumte Makoto nicht von dem dunklen Raum und der wesenlosen Stimme. Makoto hatte sich auch nicht in zwei Geschlechter aufgeteilt.
Er wandelte in seiner männlichen Form durch eine Lichterfüllte Sphäre, die ihm bekannt vorkam. Sehr bekannt.
„Ein Korridor“, erkannte Makoto.
Vor ihm im Korridor erschienen Personen. Sie lachten und scherzten miteinander, während sie hindurch schwebten. Ein Korridor, das wusste Makoto, war ein Verbindungsweg zwischen den Ebenen. Er ermöglichte den Wechsel von der Unteren auf die Mittlere oder die Obere Ebene. Oder umgekehrt.
Auch Makoto hatte einen benutzt, um auf die Erde herab zu steigen.
Die Personen, Menschen, wohlgemerkt, kamen näher, so nahe, dass Makoto ihre Gesichter erkennen konnte. Er kannte sie. Er kannte sie alle.
Sie schwebten an ihm vorbei, auf die andere Seite des Korridors, ans andere Ende.
Makoto wollte ihnen folgen, aber er bewegte sich nicht von der Stelle.
Einer der Menschen aber war Ralf.
„Nein“, hauchte Makoto. „Verlass mich nicht, mein Gläubiger.“
Dann versank der Traum in Dunkelheit.

__________________
Ace Kaiser,
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Mein Gott, meine Göttin

Chapter fünf

Prolog:
Wenn man die Geschichte unserer Welt betrachtet dann kommt man zwangsläufig zu einer Erkenntnis. Wir sind von den Göttern mindestens ebenso abhängig geworden, wie sie es von unserem Odem sind.
Auch wenn wir es nicht immer und jederzeit wahrnehmen, so zeigt sich doch ihr Wirken in vielen Kleinigkeiten des Alltages. Sei es dass der Nachbar über Nacht von seiner schweren Krankheit geheilt wird. Sei es, dass ein Erdbeben nur geringe Verwüstungen angerichtet hat.
Sei es ein starker Wind, der Heuschrecken davon abhält, über die Ernte eines armen Farmers herzufallen.
Der Preis, den die Menschen hierfür zahlen, ist hoch. Aber nicht zu hoch.
Der Odem, welche die Menschen in Gebet für ihren Gott spenden, erscheint da nur als kleine Draufgabe, wenn man sich bewusst macht, dass viele Menschen die schwere Bürde tragen, den Segen und damit den Willen ihres Gottes zu besitzen.
Oder man denke nur an viele Kriege, die im Namen der Götter geführt wurden.
Oder man denke daran, dass Menschen und Götter einmal bereits Seite an Seite gestanden haben sollen. Gegen einen gemeinsamen Feind.
Aber kann es einen gemeinsamen Feind gegeben haben, wenn nicht die Rasse, deren Namen wir vergessen haben und die wir mangels eines besseren Wortes Dämonen nennen?

1.
Norton Andrew Myers fuhr beim Betrachten des Göttersuchers ein kalter Schauder über den Rücken. Es hatte tatsächlich eine polizeiliche Untersuchung gegeben, nachdem die Kampfspuren entdeckt worden waren. Das hatte drei weitere Tage gebracht, in der die Halle gesperrt gewesen war.
Man hatte Unmengen von Odemspuren entdeckt. Und die unverkennbaren Zeichen von dämonischer Aktivität. Was HELIOS auf den Plan gerufen hat, eine Spezialabteilung der Polizei, welche mögliche kriminelle Aktivitäten von Göttern untersuchte. Das sie auch für die eigentlich nicht mögliche Sichtung von Dämonenspuren verantwortlich waren, war eine neue Information für Norton.
Es waren fünf Leute, drei Frauen, zwei Männer. Sie trugen schwarze Kleidung in unterschiedlichen Schnitten. Einheitlich war eigentlich nur die Farbe und die Tatsache, dass sie schwarze Sonnenbrillen trugen.
Sie hatten keinerlei Gerät dabei.
Dennoch untersuchten sie die Halle aufmerksam und gründlich.
Neben ihm stieß Prokovniewa einen tiefen Seufzer aus. „Wie lange wollen die denn noch hier rumstrolchen? Die sollen die Halle wieder freigeben, damit ich mein Experiment fortsetzen kann. Ich bin sowieso schon zehn Tage hinter dem Zeitplan. Mein Geldgeber wird mich hängen lassen, wenn das so weitergeht.“
Norton Myers zog eine Augenbraue hoch und schob die Brille die Nase zurück. „Sie haben einen Geldgeber außerhalb der Universität?“
Natalia Prokovniewa sah den Doktor einen Moment wütend an. „Eigentlich sollte ich überhaupt nicht mit Ihnen reden, bei dem ganzen Ärger, den Sie mir bereitet haben, Norton.
Aber ja, ich habe einen zivilen Geldgeber für das Experiment.“
„Jetzt sagen Sie aber nicht, es ist die Armee“, erwiderte Norton verblüfft.
„Natürlich nicht. Egal, was Sie denken, ich hatte nie vor, hier eine Waffe zu bauen. Es ist eine Nihon-Firma. Sie hat eine ziemlich verrückte Idee über die Verwendung des Resonators. Sie will mit Hilfe der Maschine feststellen, wann und wo ein Gott herab steigt. Und welche Produkte er kauft, um anschließend damit zu werben. Nach dem Motto, Carlys vom Feuerclan raucht nur Alige, weil Alige so locker luftig schmeckt.“
„Das klingt so bescheuert, das könnte sogar die Wahrheit sein“, murmelte Norton leise.
„Haben Sie was gesagt?“
„Nein, nein. Und seien Sie nicht mehr böse auf mich, Natalia. Ich will helfen, nicht Ihnen Steine in den Weg legen.“ Um ehrlich zu sein, hatte er eher vor, ihr komplette Berge auf den Weg zu schütten.

In diesem Moment rief eine der schwarz gekleideten Frauen und versammelte ihre Kameraden vor dem Generator.
„Was haben Sie gesehen, Inspektor?“, rief die zweite Frau, die so schnell lief, wie es ihr Rock erlaubte.
Die erste Frau betätigte einen versteckten Knopf an ihrer Sonnenbrille. Ein roter Punkt flackerte kurz auf dem schwarzen Glas auf und erlosch wieder. „Ich habe die Odemspuren verglichen. Es besteht kein Zweifel. Ein Gesegneter des Feuerclans hat hier gekämpft. Und hier an dieser Stelle hat er etwas vernichtet.“
Die zweite Frau, die sich schlicht mit Kommissar vorgestellt hatte, grinste schief. Sie deutete auf die fünf notdürftig geflickten Risse in der Blechwand. „Ich habe so eine Ahnung, was er bekämpft hat.“
Der größte der Männer seufzte schwer. Er zog eine Pistole und lud sie durch. „Einen Dämonen.“
„Richtig. Schwärmt aus und sucht nach Spuren. Flecken im Beton, Asche, staub getrübte Luft, Ihr kennt das ja.“
Nun zogen auch die anderen HELIOS-Polizisten ihre Waffen.
Schlichte Straten&Kamura P6 Handfeuerwaffen, für den Einsatz mit Torches nachgerüstet und verstärkt.
Torches, so nannte man eine der wenigen Waffen, die Menschen gegen Götter einsetzen konnten. Oder Dämonen. Es handelte sich um Patronen aus legiertem Silber, die mit einem Treibsatz und einem Projektilkopf aus Silber bestückt waren. Die eigentliche Ladung der Waffe aber waren raffinierte Odemspuren.
Je nachdem von welchem Clan der Odem eingesetzt worden war, entwickelten die Projektile neben dem unlegierten und damit schnell verformenden Silberkopf ihre Eigenschaften.
So wurde eine Torch, die mit Odemspuren des Feuerclans gefüllt war zu einem ultraheißen Feuerball. Windodem entwickelte ein unglaublich dichtes Pressluftfeld, welches wie ein Vorschlaghammer heran raste. Erdodem wirkte wie ein tausendmal stärkeres Projektil und Wasserodem ließ aus dem getroffenen Objekt das Wasser verdampfen.
Da Odemspuren selten waren, wurden Torches nur wenig eingesetzt. Vor allem im Krieg oder von Spezialeinheiten wie HELIOS.
Eine einzelne mit Torches geladene Waffe war wahrscheinlich ebenso sinnvoll wie ein Streichholz in einem Schneesturm. Aber fünf konnten einen Dämon in Bedrängnis bringen und sogar besiegen.
Kurz dachte Norton an die eigene Waffe, die er in einem Schulterholster auf der linken Körperseite unter der Jacke trug. Sie war den P6 recht ähnlich, aber jeder der sich einigermaßen mit Waffen auskannte, würde die Unterschiede schnell feststellen. Was eine Menge unangenehmer Fragen bedeuten würde. Innerlich verfluchte Norton seine Vorsichtsmaßnahme, für den Fall des Falles die Waffe mitgenommen zu haben. Wenn die HELIOS-Polizisten sie entdeckten… Die Folgen wollte er sich nicht ausmalen.
„Asche!“, rief einer der Männer, ein ernster kleine Blondschopf mit einem Gesicht, dessen Züge so hart eingegraben waren, dass man sie als Amboss für einen Vorschlaghammer hätte gebrauchen können.
Zwei der Polizisten gingen näher heran, mit gehobenen Waffen, während die anderen beiden sicherten.
Als nichts passierte, ließen sie die Pistolen sinken.
„Okay, nehmt eine Probe. Und durchsucht noch mal genau die Halle. Ich will nicht, dass etwas übersehen wird. Danach versiegelt sie.“

Bei diesen Worten schien Natalia Prokovniewa explodieren zu wollen. „Was soll das? Ihre Kollegen waren doch schon hier und haben alles untersucht! Was glauben Sie, finden Sie hier, was die nicht entdecken konnten? Ich kann mir keine Verzögerungen mehr leisten!“
Die Kommissarin trat zu den beiden wartenden Dozenten.
„Was wir hier finden wollen? Spuren von dämonischer Aktivität.“
„Was, bitte? Sie meinen…“ Irritiert sah Prokovniewa die Polizistin an. „Hören Sie, okay, ich habe in Geschichte auch aufgepasst und kenne die Legenden vom Krieg der Götter. Aber ich denke, die Dämonen wurden ausgelöscht.“
Die Kommissarin warf einen schiefen Blick zum tiefen Abdruck in der Betonmauer. „Dann haben die Götter aber schlechte Arbeit geleistet.“
Die junge Frau schluckte hart. „Sie meinen…“
„Es spricht alles für die Aktivität eines Dämons.“
„Wie können Sie da so sicher sein? Ich meine, wie oft kommt es schon vor, dass ein Dämon auf der Unteren Ebene sein Unwesen treibt?“
Einige der anderen Polizisten hatten die Worte Natalias gehört und begannen leise zu lachen.
Die Kommissarin grinste breit. „Also, vier bis fünf Fälle dieser Art haben wir im Jahr. Allerdings wird der Dämon in den seltensten Fällen getötet.“
Natalia riss die Augen auf. „Getötet?“
„Es spricht einiges dafür. Es sieht ganz so aus, als hätte sich ein Dämon für Ihr Maschinchen interessiert. Und ein Feuergesegneter hat ihn in einem Kampf getötet. Das ist aber noch nicht alles. Wir haben Spuren von Torches gefunden. Torches sind eine Spezialmunition, die speziell für den Kampf gegen Gesegnete, Götter und Dämonen entwickelt wurden. Es bedarf bestimmter Waffen, um sie abzufeuern.
Und wir fanden Hinweise auf einen zweiten Gesegneten. Gelber Odem, das lässt auf einen Gesegneten des Windclans schließen.“
„Und das bedeutet?“, fragte die Dozentin.
„Das bedeutet“, begann Norton Myers leise, „dass der Gesegnete mindestens einen Menschen und einen anderen Gesegneten als Hilfe hatte.“
„Gut kombiniert, Doktor“, brummte die Kommissarin. „Oder sprechen Sie hier aus eigener Erfahrung?“
„Wenn Sie damit andeuten wollen, dass ich vielleicht die Torches gefeuert habe… Nun, ich habe für den fraglichen Abend kein Alibi.“
Die Kommissarin winkte ab. „Gemach, Gemach. Wenn Sie der Schütze wären, hätte ich Sie lediglich gefragt, ob Sie in Notwehr gehandelt haben. Dämonen haben nämlich auch Rechte. Und vielleicht hätte ich Ihre Waffe konfisziert. Sie glauben ja nicht, auf was für abenteuerliche Ideen Menschen kommen, um etwas zusammenzuschustern, womit sie Torches abfeuern können. Es gibt genügend kranke Geister, die sich von der Kraft dieser Munition berauschen lassen.“

„Dämonen haben auch Rechte?“, argwöhnte die Dozentin.
„Natürlich, natürlich. Solange sie sich benehmen, lassen wir sie in Ruhe. Wussten Sie das nicht? Götter dürfen schließlich auch nach belieben herab steigen.“
„Das kann man ja wohl nicht vergleichen“, brauste Natalia auf.
Die Kommissarin lächelte schief. „Hey, auf diesem Planeten werden gerade in diesem Moment neun Kriege und zwanzig kleinere Konflikte geführt. Und über die Hälfte von ihnen, Verzeihung, finden statt, weil sich ein paar Götter mal wieder nicht grün sind.
Dagegen sind Dämonen regelrecht harmlos. Betrachten Sie sie einfach als bissige Hunde, die Sie in Ruhe lassen, solange Sie ihnen nicht auf den Schwanz treten.“
„Es sind Dämonen. Dämonen! Ich weiß nicht genau, wo Sie zur Schule gegangen sind, aber bei uns in Rus lernt man, dass sie abgrundtief böse sind!“ Natalia Prokovniewa hatte sich in Rage geredet.
Die Kommissarin winkte ab. „Gefährlich, sicherlich. Böse, hm, das ist Ansichtssache. Ich habe bereits einige Dämonen kennen gelernt, die hier auf der Unteren Ebene im selbst gewählten Exil leben. Sie sind auch nicht viel schlimmer als manche Götter und Gesegnete, die ich sonst so kenne.“
„Sie kennen Dämonen und Götter? Götter?“, zweifelte die junge Dozentin.
Die HELIOS-Spezialistin lächelte entwaffnend. „Na, Sie kennen doch auch einen Dämon persönlich.“
Verwirrt tauschte die Frau einen Blick mit Norton Myers aus. Der erwiderte ihren Blick nicht weniger verwirrt.
Die Kommissarin genoss diese Überraschung sichtlich. Sie winkte einen ihrer Leute heran, einen schlacksigen Rotschopf, der schlampige schwarze Trainingskleidung trug.
Der Mann nickte schon von weitem und zog ein Notizblock hervor. Anscheinend betrieb man dieses Spiel bei HELIOS öfters, und die Mitglieder hatten einen diebischen Spaß daran entwickelt.

„Ian O´Brien, gebürtiger Eirelander, Austauschstudent mit Einjahresaufenthaltsgenehmigung für Mittland. Fachgebiete Physik, Kunst und Moderne Literatur. Mitarbeiter im Projekt UBI ES, einem Experiment unter der Leitung von Dozentin Natalia Prokovniewa mit dem Ziel, Götter anhand ihrer Auren zu orten.
Verschwindet spurlos letzten Sonntag. Investigationen in seinem Zimmer in einer Wohngemeinschaft bestärken den Verdacht, dass er ein Dämon war.
Letzte Erkenntnisse fügen hinzu, dass er in dieser Halle von mehreren Menschen, darunter zwei Gesegnete vom Feuer- und Windclan, zerstört wurde. Tendenzen zu einer Körperrestauration sind bisher nicht zu erkennen.
Motive sind bisher nicht bekannt. Die Tat wird vorläufig als Notwehr eingestuft, es wird aber empfohlen, dass weitere Ermittlungen durchgeführt werden.“
„Moment, Moment, Moment, das ist zu viel auf einmal. O´Brien war ein Dämon? Ein richtiger Dämon?“
„Ja“, sagte der rothaarige Polizist schlicht. „Übrigens ein ziemlicher Schmierenkomödiant. Hat einen Eirelander glatt nach dem Klischee gegeben. Rothaarig, sommersprossig, mit eigener Kleeblattsammlung und einer Reihe typisch folklorischer Musik-CDs. Aber auf die richtige Spur gebracht haben uns dann die diversen Menschenhäute.“
„Menschenhäute?“ Natalia brach in den Knien ein, wurde aber von Norton rechtzeitig aufgefangen.
„Nicht dass, was Sie denken, Natalia“, sagte der Doktor hastig. „Es ist nur so, dass ein Dämon mehrere Gestalten annehmen kann. Wenn er dies tut, dann sprengt er ab und an Spuren seiner Haut ab.“
„Richtig“, erwiderte der Rotschopf grinsend. „Wir haben über zwanzig dieser Fragmente gefunden. Wenn Sie mich fragen, hat Ian O´Brien seinen Menschenkörper nicht sehr gemocht und ist des Öfteren in etwas… Bequemeres geschlüpft.“
„Eine Dämonengestalt, wie wir sie uns vorstellen“, ergänzte Norton Myers leise. „Also groß, im Idealfall schuppig und mit einem oder mehreren Hörnern bewehrt. Je klischeehafter, desto besser.“

Natalia stellte sich langsam wieder auf die eigenen Beine und schüttelte die helfenden Hände Nortons ab. Sie sah zweifelnd von einem Polizisten zum anderen. „Okay, okay, gehen wir davon aus, dass Ian wirklich ein Dämon war. Was wollte er dann hier?“
„Möglicherweise das da.“ Die Kommissarin deutete mit dem Daumen hinter sich, auf den Resonator.
Der andere Polizist fügte hinzu: „Es kann sein, dass sich der Dämon einen Vorteil davon versprach, dass diese Maschine funktioniert. Ich glaube aber nicht, dass es ihm darum ging, zu wissen, wo sich Götter auf der Unteren Ebene aufhalten.“
Natalia Prokovniewa sackte wieder weg. Norton fing sie erneut auf und scherzte: „Wenn ich Sie noch einmal auffange, müssen Sie mich heiraten, Natalia.“
Doch die Dozentin reagierte nicht darauf. Sie ließ sich auf einen Drehstuhl setzen und massierte ihre Schläfen.
„Können Sie herausfinden, was der Dämon hier gewollt hat?“
„Nein. Wir können lediglich Vermutungen anstellen und weitere Untersuchungen vornehmen.“
„Gut. Einverstanden. Setzen Sie Ihre Untersuchungen fort. Ich stoppe sämtliche Arbeiten für weitere drei Tage. Aber liefern Sie mir etwas dafür. Irgendetwas plausibles, was meine Geldgeber besänftigt.“
„Oh, machen Sie sich darum keine Gedanken“, erwiderte die Kommissarin süffisant. „Keine Firma auf der ganzen Erde würde gegen den Beschluss einer HELIOS-Einheit verstoßen.
Immerhin geht es hier um Götterbelange.“

Erstaunt sah Natalia auf. Waren diese Polizisten wirklich derart mächtig?
Sie erinnerte sich an die Waffen. Daran, dass sie ohne Gerätschaften den Kampf rekonstruiert hatten, wenn man mal von den klischeehaften Sonnenbrillen absah. Warum gab es solche Menschen?
Norton half ihr auf und führte sie aus der Halle. „Wir haben hier erstmal nichts verloren. Warten Sie die drei Tage ab, Natalia, und machen Sie dann weiter. HELIOS-Polizisten verstehen ihr Geschäft. Sie werden nichts am Resonator verändern. Das brauchen sie auch gar nicht.“
Vor der Halle hielt sie an. Norton Myers stoppte ebenfalls und ließ die Dozentin los.
„Was geht hier vor? Warum interessiert sich ein Dämon für mein kleines Projekt? Warum gibt es Dämonen überhaupt noch? Warum haben die Götter sie nicht alle ausgerottet? Und wieso passiert das jetzt, wo ich einen Gott entdeckt habe?“
„Einen Gott?“, argwöhnte Norton.
„Ja, einen Gott, an dem ich meine Theorie beweisen werde. Wenn die Testläufe abgeschlossen sind, werde ich ihn unter Beobachtung halten und seine Position mit den Ergebnissen des Götterresonators vergleichen und somit untermauern. Eine narrensichere Idee. Nur ist mir ein Dämon dazwischen gekommen.“
Norton runzelte die Stirn. „Sie haben also einen herabgestiegenen Gott entdeckt. Oder glauben es zumindest. Ist es ein Geheimnis oder sagen Sie mir, wen Sie in Verdacht haben?“
„In Verdacht haben? Die Hinweise sind schon sehr konkret“, murrte die Dozentin. Plötzlich wirkte sie mutlos. „Ach, das ganze Projekt geht doch sowieso den Bach runter. Mein Geldgeber wird sich zurückziehen und ich stehe mit leeren Händen da.
Wenn Sie es wissen wollen, mein Gott ist neulich erst in die gleiche WG gezogen, in der auch Mr. O´Brien gewohnt hat, bevor er sich als Dämon heraus gestellt hat. Er hat den Gott für mich observiert. Aber nicht viel herausgefunden. Anscheinend hasst er aber Sport, vor allem Kendo.“
Für einen Moment war Norton verblüfft. Verblüfft darüber, wie nahe die Physikerin dem eigentlichen Gott Makoto gekommen war. Und verblüfft darüber, wie naiv sie doch war, ausgerechnet Makotos Gläubigen für den Gott zu halten.
„Hat Ihr Gott einen Namen?“, fragte er stattdessen.
Natalia warf ihm einen schiefen Blick zu. „Ja.“
Sie ging nicht näher ins Detail und wandte sich ab.
Zurück blieb ein amüsierter Norton Andrew Myers, der sich bemühte, ein breites Grinsen zu unterdrücken, für den Fall, dass sich die Dozentin Frau Prokovniewa noch einmal umdrehte.

2.
Ralfs Ärger hatte sich binnen weniger Tage verdoppelt. Seit dem Besuch von Theresa besaß Makoto auch für seine weibliche Form einen Ausweis und eine Studienberechtigung.
Und seither war das Studium der reinste Stress. Ralf versuchte, mit dem Gott mitzuhalten, aber der hatte sich ein Pensum für zwei aufgelegt und schien es auch noch ausgiebig zu genießen.
Nebenbei war ihm Freya auch nicht gerade eine Hilfe, den Gott zu bändigen. Im Gegenteil, mit geradezu naivem Spaß half sie Makoto dabei, Kleidung und Geschlecht unauffällig zu wechseln.
Nun, nicht dass der Gott ihn ausschloss. Nein, auch Freya tat ihr möglichstes, um Ralf einzubeziehen. Aber niemand konnte mit allen Aktivitäten Makotos mithalten, vor allem nicht, wenn man eigene Vorlesungen hatte.
Dennoch. Richtig konzentrieren konnte sich Ralf nicht.
Immerhin war Makoto ein Gott. Oder eine Göttin. Je nachdem, was der Gott gerade anstellte.
Kaum konnte Ralf glauben, dass Makoto erst wenige Wochen auf der Unteren Ebene war.
Es zeigte sich nur in Kleinigkeiten, wie wenn man ihm erst erklären musste, dass der kleine Holzpieker dazu da war, die Pommes zu essen, indem man sie aufspießte und nicht löffelte.

Lustlos stocherte Ralf in eben solchen Pommes herum. Die Mensa war gut gefüllt, dennoch hatte sich der junge Student einen Tisch für sich gesichert. Warum sich aber niemand zu ihm setzte, war Ralf mittlerweile ein Rätsel. So viel Platz gab es nun auch nicht mehr in der Mensa. Immerhin ging es stark auf Mittag zu.
Als doch endlich jemand sein Tablett auf dem Tisch abstellte, sah Ralf nicht einmal auf.
„Frau Prokovniewa“, murmelte er zur Begrüßung.
Natalia Prokovniewa setzte sich und lächelte den Studenten an. „Gut geraten.“
„Nicht geraten. Ich habe Ihren Rock gesehen“, brummte er und ertränkte eine Fritte im Tomatenketchup. „So kurz wie Sie tragen nur wenige Frauen ihren Rock. Und von diesen Frauen setzen sich die wenigsten an meinen Tisch.“
„Gut kombiniert, junger Mann“, sagte sie leise und begann zu essen.
„Ich habe von dem Ärger gehört“, begann sie die Konversation zwischen zwei Bissen Gemüse. „Es muss ein merkwürdiges Gefühl sein herauszufinden, dass man mit einem echten Dämon unter einem Dach gelebt hat.“
Ralf lächelte matt. Darum machte er sich wenige Sorgen. Gerade oder vor allem nicht, weil Makoto und Freya ebenfalls zur Wohngemeinschaft gehörten.
Zu dritt hatten sie sogar einem Gott die Stirn geboten.
„Das scheint dich nicht zu erschrecken, junger Mann“, stellte sie fest und nahm einen Schluck von ihrem Getränk.
„Sollte es das? Das schrecklichste war die Hausdurchsuchung von diesen Schwarzkitteln. Außerdem hätten sie das Zimmer nicht komplett ausräumen müssen.“
Ralf dachte einen Augenblick darüber nach. Wie die Polizei mit einem Großaufgebot das Haus gründlich durchsucht, Ians Zimmer ausgeräumt und anschließend versiegelt hatte.
An diese Typen, die ausgesehen hatten, als wären sie einem schlechten Actionfilm entsprungen. Ganz in schwarz gekleidet mit schwarzen Sonnenbrillen.
Als gäbe es ein schlechtes Image, welches sie unbedingt pflegen mussten.
„Du nimmst das sehr gefasst auf. Kennst du nicht die alten Geschichten? Hast du keine Angst vor Dämonen?“
Ralf lachte humorlos auf. „Nicht wirklich.“
„So ist das“, murmelte die Dozentin. In ihren Augen erschien ein merkwürdiger Glanz.

Sicherlich wäre die Unterhaltung noch weiter so dahin geplätschert und endlich in Belangloses abgedriftet, wenn Ralf nicht herausgefunden hätte, warum dieser Tisch regelrecht gemieden wurde.
Von zwei Nachbartischen erhoben sich zugleich fünf junge Männer. Ralf kannte alle oberflächlich. Eine sehr merkwürdige Koalition hatte sich da zusammen gefunden. Zwei von ihnen gehörten zu Arnim Kleyns persönlichem Kader, der dem großen Sportler folgte wie ein Rattenschwanz. Drei waren Teil der Makoto ist eine begehrenswerte Göttin-Koalition unter William Cogsworth.
Eines hatten sie alle gemein: Sie sahen Ralf an. Und das nicht gerade mit freundlichen Blicken.
„Komisch“, brummte er leise. „Ich dachte, ich hätte mit Arnim und Will einen Waffenstillstand.“
Die fünf kamen heran und stellten sich hinter Ralf auf. „Du!“, rief einer.
Ralf ignorierte ihn und entschloss sich, endlich eine Pommes in den Mund zu stecken.
„Hey, du! Wir reden mit dir!“
Als Ralf auch darauf nicht reagierte, griff der Sprecher nach seiner Schulter.
Prokovniewa sah interessiert auf. „Was wird das denn, wenn es fertig ist, meine Herren?“
Der Sprecher, in Arnims Gefolge nur ein kleiner Stichwortgeber für die Witze des Bosses, über die alle dann lachen mussten, grinste schief. „Wir haben einen Termin mit Schneider. Wir wollen nur sicher gehen, dass er ihn auch einhält.“
Ralf erhob sich ruckartig. Dabei schüttelte er die Hand von seiner Schulter. „Gehen wir.“
Erstaunt sahen die fünf ihm nach, wie er ohne zu zögern zum Hinterhof der Mensa raus ging. „Hältst du das für eine kluge Idee?“, rief Natalia ihm nach.
Der Sprecher der Schlägergruppe grinste breit. „Er ist alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen. Gehen wir.“
Natalia Prokovniewa schüttelte nur den Kopf. Ralf war ein Gott. Die fünf würden nicht annähernd reichen, um es mit ihm aufzunehmen.

„Du schon wieder!“, blaffte Makoto und stützte sich schwer auf dem Tisch neben der Dozentin ab. Ihre Augen funkelten böse. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst Ralf in Ruhe lassen?“
„Du bist eine ganz schöne Nervensäge, weißt du das, Kleines?“, konterte sie amüsiert.
Makoto setzte sich neben die Frau. „Und du bist ganz schön anhänglich, Oma. Was willst du überhaupt von ihm? Du bist gar nicht sein Typ.“
Natalia lächelte und strich sich durch ihr langes, schwarzes Haar. „Bist du dir da so sicher?“
„Ja!“, erwiderte Makoto im Brustton der Überzeugung. „Er steht nämlich auf mich und niemanden sonst.“
Die Dozentin schürzte die Lippen. „Hm, es sieht so aus, als würdest du ihn ganz schön zappeln lassen. Mich würde es nicht wundern, wenn…“
„Wenn was?“
Statt zu antworten lächelte Natalia ihr niedlichstes Lächeln. „Ihr beide seid doch nicht verheiratet, oder?“
Makoto wurde rot.
„Verlobt?“
Die Göttin schüttelte den Kopf.
„Aber Ihr habt doch schon… Zusammen… Du weißt schon.“
Erschrocken sah Makoto die ältere Frau an. „Ist das notwendig?“
„Dann“, stellte Natalia fest, „seid Ihr nur Freunde. Du hast also hoffentlich nichts dagegen, wenn ich Ralf mit einem weiteren Typ Frau bekannt mache. Dem erfahrenen, älteren Typ.“
„Interessant. Und ich dachte, Sie interessieren sich nur für mich“, bemerkte Norton Myers, der lautlos an den Tisch getreten war. „Aber anscheinend haben Sie ein Faible für jüngere Männer.“
Die Dozentin erschrak für einen Moment, fing sich aber schnell wieder. „Das könnte daran liegen, dass mich ältere Männer grundsätzlich ins Messer laufen lassen. Kommt Ihnen da was bekannt vor?“
Myers nickte schwer. „Nun, so muss es tatsächlich auf Sie wirken, Natalia. Das tut mir leid. Aber gleich in die Arme eines jüngeren Mann zu flüchten ist doch eine etwas untypische Reaktion.“
„Es geht hier nicht um Reaktion. Es geht um Ralf“, stellte sie fest.
„Und Ralf gehört mir“, mischte sich Makoto wieder ein.
Beide Frauen warfen sich bissige Blicke zu.
Myers unterdrückte ein Lachen.

In diesem Moment kam Ralf wieder in die Mensa zurück. Er hatte die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben. Seine Unterlippe war aufgeplatzt und ein stattlicher blauer Fleck zierte den linken Wangenknochen unterhalb des Auges. Aber ansonsten schien er unversehrt zu sein.
Makoto sprang auf und schloss Ralf demonstrativ in die Arme. „Was ist denn mit dir passiert… Schatz?“
Amüsiert sah Ralf seine Göttin an. „Habe ich was nicht mitgekriegt?“
„Ich habe zuerst gefragt. Wer hat dich denn so zugerichtet?“
„Und warum kommen die fünf jungen Männer nicht wieder rein, mit denen du auf den Hinterhof gegangen bist?“, setzte die Dozentin hinzu.
Ralf grinste schief. „Sie genießen die Mittagssonne.“
„Du hast dich geprügelt?“ Makoto sah Ralf in die Augen. „Aber warum?“
Der junge Student schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig.“
„Doch, das ist es. Es geht hier um dich. Als deine Freundin muss ich so etwas wissen.“
Ralf nahm eine Hand aus der Tasche und strich sich über die blutende Lippe. „Hast du mal ein Taschentuch?“
„Fünf gegen einen“, hauchte Natalia Prokovniewa, „und er hat nur ein paar Schrammen abbekommen.“ Triumphierend sah sie zu Myers herüber. „Was habe ich gesagt?“
„Nun, in dem jungen Mann scheint mehr zu stecken, als man auf den ersten Blick erkennen kann. Aber man sollte es nicht überinterpretieren“, stellte der Doktor amüsiert fest.
„Autsch!“, entfuhr es Ralf.
Makoto warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Sei ein Mann. Ich bin ja gleich fertig.“
Als sie die Unterlippe gereinigt hatte, hauchte sie einen Kuss auf die Wunde. „Damit es schneller heilt.“
„Ein niedliches Paar, finden Sie nicht?“, kommentierte Norton leise.
„Was wollen Sie mir damit sagen, Doktor?“, fragte die Dozentin mit einem leichten Lächeln.
„Vielleicht sollten Sie es doch noch mal mit einem älteren Mann probieren, bevor Sie sich hoffnungslos in was Jüngeres verlieben.“
„Verlieben ist vielleicht etwas übertrieben“, erwiderte Natalia. Sie musterte Ralf mit einem langen Blick. „Obwohl…“
„Denk nicht mal im Traum dran, Oma“, zischte Makoto und hielt Ralf demonstrativ fest im Arm.

Für einen Moment, nur für einen winzigen Moment, sah Ralf auf die Göttin herab. In seinen Augen lag ein kurzes Funkeln, ein Moment der Klarheit. Und irgendwie schien es, als würde er wachsen, noch größer werden. Als hätte er lange Zeit gebeugt verbracht und würde sich endlich wieder aufrichten.
Norton Myers sah diese Veränderung. Unmerklich nickte er.
„Ach, Natalia, weswegen ich hier bin: Professor Vaillard hat seine Kontakte spielen lassen. Ihr Sponsor hat ein Übriges getan. Morgen beendet HELIOS die Untersuchung. Ihre Maschine wird wieder freigegeben. Sie können praktisch dann sofort mit Ihrem Versuch beginnen.“
„Was? Das ist ja…!“ Sie sprang auf, fiel dem Doktor um den Hals. Als sie merkte, was sie da tat, gab sie Myers wieder frei. „Entschuldigung.“
„Wofür? Ich habe mich nicht beschwert“, kommentierte er grinsend.
Aber sie schien ihm schon nicht mehr zu zuhören. Mit leuchtenden Augen verließ sie die Mensa. „Jaqueline und Hagmann Bescheid geben… Renard informieren. Dazu noch Ibashi und Laya.“
An der Pforte zur Mensa verharrte sie, als wäre ihr etwas Wichtiges eingefallen. Sie sah zurück und suchte Ralf. „Morgen also“, murmelte sie.
**
Auf dem kleinen Hof der Mensa sahen derweil fünf junge Männer in den blauen Mittagshimmel. Sie waren alle unverletzt, aber reichlich bleich.
„Als sich dieser Typ nach den ersten Treffern so verdammt schnell bewegt hat“, stöhnte der Sprecher und versuchte seine zitternden Hände in den Griff zu kriegen, „dachte ich, das war es für uns.“
Ein anderer meinte: „Da lernt man erst die kleinen Dinge im Leben richtig zu schätzen. Ist der Himmel nicht schön?“
Die anderen vier seufzten hingebungsvoll…

3.
Die Spezialeinheit der Polizei traf sich Stunden später zum Brainstorming in einem kleinen Lokal in der Innenstadt. Neun Polizisten in Zivil trafen sich hier.
Die Anführerin, die Kommissarin mit dem schwarzen Rock, führte das Wort.
„Was also habt Ihr für mich?“
Der Schlaksige in den schwarzen Trainingsklamotten zückte seinen Notizblock.
„Wir observieren das Gebäude. Und die Zielpersonen. Dabei haben wir festgestellt, dass sowohl Gebäude als auch Zielpersonen bereits observiert wurden. Wir haben bisher nicht zugegriffen, konnten aber eine Verbindung zu einer Nihon-Firma erstellen.
Sollen wir zugreifen?“
„Welche Nihon-Firma?“, fragte die Anführerin stattdessen.
„Akai.“
„Die existiert nur in den Büchern. Findet heraus, wer hinter Akai steckt. Und haltet Leute bereit, um die Beobachter hochzunehmen. Aber bleibt unbemerkt. Noch lassen wir die Dinge laufen. Mehr Informationen?“
Die junge Frau aus der Halle meldete sich. Sie schob ihre schwarze Sonnenbrille den Kopf hoch und zückte einen elektronischen Notizblock. „Drei Firmen haben sich für den Abbau der Odemspuren beworben. Mündler, Wolf&Straten sowie Akai.“
„Schon wieder Akai. Die ersten beiden Firmen stellen Munition für Torches her. Kein Wunder, dass sie hinter den Schattenstrukturen des Odems her sind, der während der beiden Kämpfe auf dem Unigelände entstanden sind. Aber Akai… Unterbindet, dass sie ihre Hand auf die Spuren legen können.“
Die junge Frau nickte. „Verstanden. Ich lasse eine entsprechende Anweisung an den Dekan durchsickern.“
„Weiter.“
„Wir haben Spuren von Götteraktivität gefunden. Es scheint zu einer Konferenz gekommen zu sein. Vier Götter und zwei Dämonen scheinen in der Lobby des Hotels DREI EBENEN mehrere Stunden gesprochen zu haben. Inhalt der Gespräche und Identität der Teilnehmer sind nicht bekannt. Nur die Zahl konnte verifiziert werden.“
„Dämonen und Götter konferieren?“ Die Anführerin lachte leise. „Hier ist was Großes im Gange. Größer als der Ärger, den wir sonst so haben. Fordert zwei weitere HELIOS-Einheiten an. Dazu an konventioneller Polizei, was Klingburg entbehren kann.“
Die anderen Mitglieder der Einheit atmeten erschrocken aus. „Erwarten Sie einen Krieg?“
„Wenn ich ehrlich sein soll, ich weiß nicht, was ich erwarte. Ich weiß nur, dass es mir nicht gefallen wird. Ausführung.“
Die anderen acht Teilnehmer verließen das Lokal.

„Hast Du noch einen Wunsch, Marianne?“, fragte Georgio, der leise an den Tisch heran getreten war. Die Anführerin der HELIOS-Einheit lächelte. „Ja. Einen Cappucchino bitte noch, Georgio.“
„Kommt sofort.“
„Georgio?“, hielt sie den Kellner zurück.
„Ja?“
„Sag mir, bereust du es manchmal? Ich meine, hier her gekommen zu sein?“
Der Südländer lächelte schief. „Nein. Ich bin hier glücklich. Es ist das Schönste für mich, den jungen Menschen dabei zuzusehen, wie sie hart daran arbeiten, das Beste für unsere Zukunft zu erschaffen. Es ist mehr, als wir jemals getan haben, nicht?“
Die Anführerin senkte den Blick. „Es war nötig. Es ist immer noch nötig.“
„Ich weiß“, antwortete Georgio. „Aber es gibt andere als mich, die es heute tun können.“
Der Kellner wandte sich ab. „Ich mache dir meinen allerbesten Cappucchino. Und danach kriegst du einen spritzigen Rotwein aus meiner Heimat. Der wird dir ein Lächeln entlocken.“
Die Frau sah Georgio hinterher. „Ich beneide dich.“
**
Als Ralf die Gemeinschaftsunterkunft betrat, war er rechtschaffend müde. Der Tag war angefüllt gewesen mit Vorlesungen, die Lippe schmerzte noch immer, und zu allem Überfluss hatte ihm auch noch Cogsworth aufgelauert und versucht ihn zu bestechen, um mehr über Makoto zu erfahren. Kurz und gut: Er war abgespannt.
Und dann war seine Göttin auch noch ohne ihn nach Hause gegangen. Natürlich mit Freya, die einfach eine Vorlesung hatte sausen lassen. Na, als derart exzellente Studentin konnte die Eisländerin es sich auch leisten. Er hingegen musste um jeden einzelnen Schein bitter kämpfen.

Als Katy ihm die Tür öffnete, wunderte sich der Gläubige noch, warum sich seine Nackenhaare aufrichteten. Als die Information von seinen Ohren das Gehirn erreichte, es würde moderne Musik im ehemaligen Esszimmer gespielt werden, wusste er auch, warum.
Eine Party.
„Na, da kommt ja unser Rumtreiber“, empfing ihn Katy, griff in Ralfs Nacken, zog ihn in den Flur und nestelte bereits an seiner Jacke, bevor der arme Junge überhaupt verstand, was geschah. Resolut zog die Frau aus Terre de France ihm die Jacke aus, bevor Ralf es überhaupt bemerkte. Anschließend wurde er von ihr in Richtung der Musik bugsiert.
Ein letzter Schubs, und er stand im Fernsehzimmer. Für einen Moment schien es ihm, als verstumme die Musik und als würden ihm alle Anwesenden ihre volle Aufmerksamkeit zukommen lassen. Aufmerksamkeit. Er hasste Aufmerksamkeit.
Nein, das war falsch. Ihm war antrainiert worden, nicht zuviel Aufmerksamkeit zu erregen. Dennoch. Dieses Gefühl war für ihn die Hölle.

Kurz übersah Ralf die Situation, als die Musik für seinen Verstand wieder einzusetzen schien.
Der große Raum war gut besucht. Es waren über vierzig Personen anwesend. Unter ihnen natürlich nahezu alle Mitbewohner der WG, einschließlich Jean, Katys kleinen Bruder und Shawn Ironheart. Natürlich waren auch Freya und sein Gott anwesend.
Katy klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter. „Genug gelernt, junger Mann. Mach mal ne Pause und feiere eine Party.“
Wieder schob sie ihn vor sich her, bis sie zusammen einen extra aufgestellten Tisch erreichten.
Katy langte nach einem Bier, öffnete es und drückte es Ralf in die Hand. „Trinken“, befahl sie.
Unter ihren zwingenden Augen Gnade zu erwarten war bei weitem zuviel verlangt. Also ergab sich Ralf seufzend in sein Schicksal und nahm einen kräftigen Schluck. Danach sah er sich um. Ah, Freya stand nicht neben Makoto. Beide waren von einem Pulk des jeweils anderen Geschlechts umgeben. Gerade wollte Ralf zu seinem Gott gehen, als Katy wieder zugriff und ihn in einen anderen Teil des Raumes zog. „Nh-nh. Den siehst du jeden Tag. Unterhalte dich doch auch mal mit Frauen.“
Wieder hatte er ihrer resoluten Art nichts entgegen zu setzen und landete schließlich in der bequemen Couchecke.
Katy beugte sich vor und lächelte ihn an. Dass dabei ihr tiefer Ausschnitt in Ralfs Blickfeld geriet, bemerkte sie nicht. Oder es war ihr egal. Oder es war ihr sogar willkommen. „Du bleibst jetzt erst mal hier, Ralf Schneider. Wenn du immer einem Mann hinterher hechelst, denken die Mädchen womöglich noch, sie hätten überhaupt keine Chance bei dir.“
Ralf wurde rot. Einerseits, weil der Ausschnitt der jungen Frau wirklich wenig verbarg, andererseits weil sie in einem gewissen Sinne Recht hatte. Es musste wirklich reichlich dämlich aussehen, wenn er ständig mit dem männlichen Makoto gesehen wurde.
„Ich habe ne Freundin“, beschwerte er sich.
„Die ich noch nicht einmal gesehen habe. Was ist sie? Eine Instantfrau, die du dir herbeizauberst, wenn du ein hübsches Mädchen neben dir brauchst?“, scherzte sie.
Ralf riss die Augen auf.
„Das ist doch nichts Richtiges. Sieh dich doch mal um. Hier laufen so viele hübsche Mädchen rum. Ich verlange ja nicht, dass du dich gleich verliebst. Aber sei wenigstens ein guter Gastgeber und sprich mit ihnen.“ Katy gab ihm einen langen Schmatzer auf die Stirn. „Guter Junge.“
„Wartewartewarte!“, begehrte Ralf auf. „Was ist das hier überhaupt?“
„Was, das? Ach, das hier. Unsere WG veranstaltet jeden Monat einmal ein Kommilitonentreffen. Das habe ich vielleicht vergessen zu erwähnen. War ja auch ne Menge los mit dem Wasserrohrbruch, eurem Einzug und so. Jedenfalls sind unsere Partys legendär. Und wehe, du vermasselst uns unseren guten Ruf. Sonst gibt es keine Küsschen, sondern Hiebe“, drohte sie ihm mit einem breiten Grinsen.
„Küsschen sind mir lieber“, brummte Ralf und verkroch sich hinter seinem Bier, als Katy ihm für diese Worte zuzwinkerte.

„Ich überlege“, erklang neben Ralf eine bekannte Stimme, „bei euch einzuziehen.“
Der Gläubige von Makoto sah nach links. „Arnim? Wie lange sitzt du schon hier?“
Der Angesprochene lächelte amüsiert. „Länger als du auf jeden Fall. Du solltest mehr trinken, wenn du mit so einem Tunnelblick durch die Gegend läufst. Werde mal locker. Das hier ist eine Party.“
„Du willst bei uns einziehen?“, hakte Ralf nach und nahm trotzig einen Schluck aus seinem Bier. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Mädchentraube um Makoto kollektiv zu lachen begann. Der Gott grinste schief und sah zu Boden. Als er wieder aufsah und lächelte, schien durch die Frauengruppe ein kollektiver Seufzer zu gehen.
Bei Freya sah es ähnlich aus. Sie sagte etwas, legte kokett eine Hand auf die Brust, und die Männerschar rund um sie brach in kollektives Gelächter aus. Zudem stand Anselm Stein bei ihr.
„Ihr habt doch jetzt ein Zimmer frei, richtig?“, setzte Arnim Kleyn den Gedankengang fort. „Ich meine, das Zimmer gehörte mal einem Dämon. Ian kam mir eigentlich schon immer merkwürdig vor, aber das er ein Dämon war, das ist mal eine wirkliche Überraschung.“
„Überraschungen habe ich jeden Tag“, wiegelte Ralf ab. „Das Zimmer kann es doch nicht sein, Arnim. Warum also willst du einziehen?“
Der Kendo-Sportler grinste zu Ralf herüber und zündete sich eine Zigarette an. Ohne Feuerzeug.
Mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination beobachtete Ralf, wie die Flamme direkt an der Spitze des Tabakröllchens entstand und wieder verlosch, als die Glut aufglomm. „Weil ich vielleicht nützlich sein könnte. Scheint so als wäre was von dem Kampf gegen Ausyl bei mir hängen geblieben.“
„Du…“ Ralf starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. „Du bist ein Gesegneter des Feuerclans geworden?“
„Nicht irgend ein Gesegneter. Ausyls Gesegneter.“
Erschrocken versuchte Ralf fortzurücken, rammte aber die Lehne der Sitzecke.
„Gemach, gemach“, wehrte Arnim ab und hob die Arme. „Ich komme ja selbst nicht mit klar. Für mich ist die Situation noch um einiges verwirrender als für dich. Immerhin habe ich hier dieses verdammte Feuer im Körper, und nicht du.“
Ralf zwang sich zur Ruhe. „Da hast du Recht. Du bist jetzt also ein Gesegneter. Und deswegen willst du in unsere WG?“
„Das passt doch“, erwiderte Arnim amüsiert. „Dann haben wir hier einen Gesegneten des Feuers, einen des Wassers, einen Gott der Erde – Makoto scheint dich nicht gerade zum Gesegneten gemacht zu haben – und einen Gesegneten des Windes. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Konstellation noch mal wichtig wird.“
„Gesegneter des Windes?“ Ralfs Kopf ruckte herum, in die entfernteste Ecke des kleinen Saals, wo der Riese Klaus Fischer hinter einem kleinen Tisch stand und die Musik auflegte.
„Du siehst in die falsche Richtung, Ralf Schneider“, sagte Shawn Ironheart leise. Er war lautlos und unbemerkt neben das Sofa getreten.
„Du?“, rief Ralf überrascht. Er fügte hinzu: „Dann bin ich aber enttäuscht.“
„Enttäuscht? Wieso?“, fragte Arnim.
„Weil, das war doch viel zu offensichtlich. Sein heimliches Getue. Sein dämliches ich sehe alles.
Dir steht ja Auserwählter geradezu auf die Stirn tätowiert, Shawn.“
Der American Native verlor für einen Moment die stoische Ruhe. „Man kann es halt nicht jedem Recht machen. Das ist nun mal mein Stil. Akzeptiere es oder lass es.“
„Schon gut, schon gut“, erwiderte Ralf grinsend. „Mach nicht gleich so einen Wind um die Sache.“
„Und fang gar nicht erst an, Wind-Witze zu reißen, Ralf. Ich kenne sie schon alle.“ Der kurze Moment ohne Maske war vorbei. Von einem Moment zum anderen sah Shawn wieder ausdruckslos geradeaus. „Ich habe nichts gegen Makoto. Im Gegenteil. Er hat nichts falsch gemacht. Und sie auch nicht.“
Ralf riss entsetzt die Augen auf. „Shawn!“ Nicht nur, dass der Native wusste, dass Makoto das Geschlecht wechseln konnte. Er posaunte es auch noch frei heraus, dass Arnim es hören konnte.
„Lass mal, Ralf, ich bin auch schon drauf gekommen. Du hast deinen privaten Gott. Oder Göttin. Was Shawn meint ist, Makoto kann nichts dafür, dass er attackiert wurde. Man sollte ihm ein normales Leben ermöglichen. Ich mag Makoto. Außerdem will ich ihn in seiner weiblichen Form für die Kendo-Mannschaft haben. Wenn ich also etwas auf ihn – oder sie – aufpassen kann, hat das was von Eigennutz.“
„Und ich entstamme einer Kultur, in der im Umgang mit anderen Kulturen nicht immer Gerechtigkeit federführend war“, sagte Shawn leise. „Manchmal gegen uns, manchmal durch uns. Ich denke, ich tue das Richtige, wenn ich dir und Makoto helfe.“
„Vor mir aus.“ Ralf trank seine Flasche aus. „Macht doch, was Ihr wollt. Mich kann heute nichts mehr erschüttern.“

Katy tauchte vor den drei auf, drückte Ralf eine neue Flasche Bier in die Hand und zog ihn auf die Beine. Irrte sich Ralf oder war ihr Ausschnitt etwas weiter als vorhin?
„Lass uns tanzen, Klaus legt gleich die richtigen Scheiben auf. Und Ihr beide, Mr. Standbild und Mr. Hart wie Mittland-Eiche, mischt euch mal unters Volk. Wenn Ihr Trauerklöße weiter hier zusammengluckt, verderbt Ihr noch die ganze Party.“
Ohne Widerstand zu leisten ließ sich Ralf mitziehen. Seufzend ergab er sich in sein Schicksal. Andererseits, es gab Schlimmeres, viel Schlimmeres, als mit der hübschen Studentin zu tanzen.
Klaus spielte wie auf Kommando ein populäres Partylied. Kurz darauf war der halbe Fernsehraum zum Tanzsaal umfunktioniert.
Während er mit Katy tanzte, schielte Ralf zu Makoto herüber. Der Gott musste ebenfalls tanzen. Und er schien sich köstlich zu amüsieren. Tanzen war ihm fremd, aber was ihm fehlte, machte er mit Gefühl für Rhythmus und seiner Beweglichkeit wett.
„Ich kann mich auch amüsieren“, brummte Ralf trotzig.
„Schön, das zu hören“, erwiderte Katy leise und drückte Ralf ein Glas mit schottischem Schnaps in die Hand.
„Damit kann ich aber nicht tanzen“, kommentierte Ralf amüsiert mit einem Blick auf beide belegten Hände.
„Dann wirst Du wohl beides trinken müssen.“ Die junge Frau hielt ihm ihr eigenes Schnapsglas entgegen, stieß mit ihm an und stürzte den Drink.
Ralf tat es ihr nach, hatte aber sofort wieder etwas im Glas. „Willst du mich betrunken machen?“, fragte der junge Gläubige.
Sie zwinkerte ihm zu. „Vor allem mich.“ Sie trank ihren zweiten Schnaps, und Ralf tat es ihr nach. „Wer weiß, vielleicht ist was drin für dich, mon Grand.“
Für einen Moment spürte Ralf sein Gesicht heiß werden. Dann spürte er Hitze im Nacken. Ohne hinzusehen wusste er, dass Makoto ihm gerade einen bösen Blick zugeworfen hatte.
„Na, das kann ja was werden“, brummte Ralf und wollte den dritten Drink stürzen, als ihm eine Hand den Schnaps abnahm.
„Darf ich?“, fragte Makoto und trank das kleine Glas aus. Er grinste die beiden an. „Gleiches Recht für alle.“
Für einen Moment dachte Ralf an Makotos erste Erfahrung mit Alkohol. „Äh…“ Da war der Gott aber schon wieder in der Traube seiner Bewunderinnen verschwunden.
Katy lächelte und schenkte Ralf nach. „Einen schuldest du mir noch.“
Ralf zuckte mit den Schultern und ergab sich in sein Schicksal. „Prost, Katy.“
**
Als Ralf spät in der Nacht – oder vielmehr am frühen Morgen – endlich in sein Zimmer kam, spürte er nicht mehr viel von der Erschöpfung vom Abend. Er war geladen, geradezu aufgeputscht. Und ein Gedanke bohrte, nagte und riss in ihm. Was machte Makoto wohl gerade? Der Gott war schon vor über einer Stunde von der Party verschwunden. Wäre Freya nicht noch da gewesen… Nein, Ralf mochte darüber gar nicht erst nachdenken.
Wütend warf er die Tür ins Schloss und begann, sein Hemd auszuziehen.
Die Verbindungstür zu Makotos Zimmer ging auf, helles Licht fiel in den finsteren Raum.
Seine Göttin musterte ihn stumm.
Ralf brummte: „Du hier und nicht bei deinem Fanclub?“
„Du hier“, konterte Makoto, „und nicht in den Armen von Katy?“
Für einen Moment war Ralf geschockt. Die Spitze hatte getroffen. Aber seine nicht weniger, das sah er an Makotos Augen.
Kurz wallte ein Schuldgefühl in ihm auf, aber er unterdrückte es. Ihm war viel zu sehr bewusst, dass er und sein Gott vom professionellen Verhältnis abrückten, welches er sich eigentlich wünschte. Und er erkannte auch, dass sie geradezu im Laufschritt alle anderen Grenzen niedertrampelten, die sie zu zweit aufgestellt hatten.
„Sie wollte nur die Party in Schwung bringen“, verteidigte Ralf die Frau aus Terre de France.
„Ja, klar. Und dafür knutscht sie dich ab“, erwiderte Makoto. Nicht gehässig. Es war ein trauriger Unterton.
Ralf wurde rot. „Ich will nichts von ihr!“
„Ach, das sah vorhin aber ganz anders aus“, stellte die Göttin fest.
In aller Ruhe zog Ralf sein Hemd ganz aus. „Sie ist eine Freundin. Eine gute Freundin. So was wie Freya für dich.“
Die Göttin sah zu Boden. „Bring sie nicht auch noch ein, ja?“
„Was habe ich denn gesagt?“, brummte Ralf und zog auch noch die Hose aus. Er ging zu seinem Bett, schlug es auf und sah seine Göttin an. „Also, entweder diskutieren wir um drei Uhr Morgens über unser Verhältnis als Gott und Gläubiger, oder wir verschieben es auf Morgen.“
„Was, wenn ich heute drüber diskutieren will?“, fragte Makoto leise.
Ralf grinste seine Göttin an. „Dann wirst du wohl zu mir ins Bett steigen müssen. Ich gehe jedenfalls schlafen.“
Makoto sah wieder zu Boden. Sie sagte nichts, legte aber eine Hand an die Wand hinter ihr. Ihre Augen, ihre eigentlich immer sehr hübschen Augen, funkelten in einem dämonischen Licht.
Mit einem merkwürdigen Knistern breitete sich das Holz von Ralfs Zimmertür aus und verband sich mit dem Gestein der Wand und versiegelte den Raum. Auch aus Makotos Raum war dieses Knistern zu hören. Kein Zweifel, die Göttin verformte gerade tote Materie.
„Ralf?“, fragte sie leise.
„Ja, meine Göttin?“
„Was bedeutet Katy dir?“
Der Gläubige antwortete: „Nicht annähernd so viel wie du.“
„Das sagst du jetzt“, murmelte sie enttäuscht.
Für einen Moment vergaß Ralf alles. Dass er müde war. Das er Makoto den Harem übel nahm. Das es eigentlich tausend wichtigere Dinge auf dieser Welt gab. Das sein Vater ihn ermahnt hatte.
„Was redest du da?“, blaffte er und ergriff seine Göttin an den Schultern. „Wie kannst du auch nur glauben, eine andere Frau könnte mir wichtiger sein als du?“
Ralf senkte den Blick. „Vor ein paar Tagen habe ich dich gebeten, mir dabei zu helfen, dass ich mich nicht in dich verliebe. Ich kämpfe immer noch dagegen an. Dennoch bist du der wichtigste Mensch in meinem Leben.“
Makoto sah hoch, direkt in seine Augen. Ihre eigenen schimmerten feucht. „Ralf“, hauchte sie.
Der Raum schien sich zu drehen. Schneller, immer schneller, mit ihm und Makoto als Mittelpunkt. Langsam, unendlich langsam senkte Ralf den Kopf. Ebenso langsam streckte sich Makoto.
Als sich ihre Lippen berührten, war es, als würde ein Stromschlag entstehen, der beide gleichermaßen elektrisierte.
Doch dieser Moment der Ruhe währte nicht lange. Von einem Augenblick zum anderen wurde aus dem sanften Kuss eine Abfolge vieler hektischer Küsse.
Makoto drängte sich an ihn, und bevor er sich versah, stürzte er hinterrücks auf sein Bett. Makoto kam auf ihm zu liegen.
Egal. Alles andere war egal.

Ralf schloss die Arme um seine Göttin, zog sie höher und küsste sie.
Makoto erwiderte den Kuss. Ihr Gesicht war stark gerötet. Sie nestelte an ihrem Shirt.
„Warte“, hauchte Ralf zwischen zwei Küssen. „Was, wenn Freya rein kommt?“
Seine Göttin lächelte. „Ich habe die Türen mit der Wand verschmolzen.“
„Warte“, sagte Ralf lauter. „Was ist mit der Verhütung?“
Makoto öffnete Ralfs Nachttisch und zog ein Päckchen Kondome hervor.
„WARTE!“, blaffte Ralf, als Makoto an ihrer Unterwäsche nestelte.
„Ja, mein Gläubiger?“
Ralf küsste seine Göttin. „Lass mich das machen.“

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4.
Natalia Prokovniewa war eine besondere Frau. Sie sah gut aus und tat einiges dazu, damit das auch so blieb.
Schon früh in ihrem Leben hatte sie erkannt, dass ihr Aussehen ihr Vorteile einbrachte. Als sie ihr Talent erkannt und ihr Studium mit Bravour abgeschlossen hatte, hatte es eine Zeit gegeben, in der sie sich völlig auf ihr Können verlassen hatte.
Bis sie erkannt hatte, dass ihr auch hier ihr Aussehen sehr hilfreich sein konnte. Ihr Wissen, gepaart mit ihren Fähigkeiten waren gute Partner für den stilvollen Einsatz ihrer weiblichen Reize gewesen.
Es war ja nicht gerade so, als würden ihre langen Beine und ihr hübsches Gesicht ihr jegliche Arbeit abnehmen. Aber es erleichterte ihr, die Aufmerksamkeit zu erhalten, die sie brauchte, um ihre Arbeiten genehmigt und finanziert zu bekommen.
Bisher hatte diese Kombination noch immer geholfen.
Nur nicht bei Professor Vaillard.
Nicht, dass sie ernsthaft daran gedacht hätte, den alten Physiker zu betören. Aber es beunruhigte sie doch, dass ein Mann ihr nicht hinterher sah.
Der Professor konzentrierte sich völlig auf Natalias Fähigkeiten. Er war nicht einmal das, was man als väterlichen Freund bezeichnete. Er war ein vollkommen objektiver Vorgesetzter. Gewiss, er unterstützte sie gut, die Frau aus Rus konnte sich nicht beklagen.
Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, seine Nüchternheit färbte auf die Menschen in seiner Umgebung ab.
Und wenn sie Doktor Myers so ansah, mit dem langen, schwarzen Zopf, mit den männlich herben, attraktiven Zügen, dem gut trainierten Körper und diesem tiefsinnigen Lächeln, dass dem Mann aus Übersee regelmäßig tonnenweise Liebesbriefe seiner Studentinnen einbrachte, dann sah sie die gleiche Nüchternheit wie beim Professor bei diesem Mann, wenn er sich mit ihr beschäftigte.
Und sie bedauerte es. Irgendwie.
Gut, sie neckten einander. Aber das reichte Natalia nicht wirklich. Okay, sie hatte ihn geohrfeigt. Doch war das wirklich ein Ersatz für körperliche Nähe?
Und wichtiger, war es vielleicht auch diese Ohrfeige, die Norton so kühl und professionell ihr gegenüber gemacht hatte?

Wütend schüttelte Natalia Prokovniewa den Kopf. Was dachte sie denn da? Was kümmerte sie es, ob es Männer gab, die ihr nicht hinterher pfiffen und ob dieser Coast State Citizen dazu gehörte?
„Habe ich etwas im Gesicht?“, fragte Norton leise und beugte sich zu der Dozentin herüber.
„Was?“, fragte Natalia irritiert.
„Sie sehen mich so intensiv an, Natalia.“
Die Frau aus Rus spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Nein, da ist nichts.“
Wieder wurde sie rot, als sie daran dachte, dass er diese Aussage auch völlig falsch interpretieren konnte. „Hören Sie, Doktor Myers, ich…“
„Nanu? Ich dachte, wir wären bereits dabei, uns mit Vornamen anzusprechen, Natalia. Soll ich es lassen?“, fragte er.
„Nein, nein, nein. Ist schon in Ordnung, Doktor My… Norton.“
Warum machte sie dieser kleine Wortwechsel so zufrieden? Warum bedeuteten ihr diese Worte überhaupt etwas? Und warum lächelte sie so dämlich? Begann sie etwa, sich in diesen Mann zu verlieben?
`Ruhig, Natalia´, dachte sie. `Das ist Myers. Der gleiche Kerl, der dein Experiment abgebrochen hat. Der den Stopp erzwungen hat. Der dir dauernd Steine in den Weg gelegt hat.´
Natalia sah auf. Vor ihr begrüßte Professor Vaillard gerade Direktor Honda von Akai Industries, dem Hauptsponsor ihres Projektes.
`Aber er begleitet dich. Bis in die Halle. Zu deiner Maschine. Zu deiner Vorführung. Irgendwie ist es, als würde er dich beschützen wollen…´
Wieder fühlte sie die Röte heiß in ihr Gesicht steigen.

„Frau Prokovniewa“, sagte der Professor leise.
Sie nickte und trat an die beiden Männer heran. Sie verbeugte sich tief auf Nihon-Art vor dem Geschäftsmann. „Herzlich willkommen, Herr Honda. Ich bin Natalia Prokovniewa, die Leiterin des Projektes UBI ES. Ich freue mich sehr, dass Sie zu dieser Testvorführung gekommen sind.“
Der Nihon-Geschäftsmann erwiderte die Verbeugung. „Hajimemashite, Prokovniewa-san. Ich bin sehr gespannt, wie Sie die Gelder unserer Firma angelegt haben. Sie haben doch sicher nichts dagegen, dass ich Sicherheitskräfte der Firma mitgebracht habe. Immerhin hatten Sie es neulich mit einem Dämonen zu tun.“
Kurz huschte Natalias Blick zu den düsteren Nihon, die in schwarzen Anzügen über die Halle verteilt waren. „Aber nein, Herr Honda. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Weitsicht.“
Wieder verbeugte sie sich.
Dann deutete sie auf Doktor Myers.
„Das ist Norton Andrew Myers. Er lehrt an der Universität. Er ist Beobachter beim Projekt UBI ES.“
„Doktor Myers“, korrigierte der Geschäftsmann sie nachdrücklich. Ärgerlich biss sich Natalia auf die Zunge. Die Unterschlagung von Nortons Titel nahm Honda offensichtlich übel.
„Ich bin informiert. Ich denke, Doktor Myers, Sie werden heute keinen Grund haben, das Experiment abzubrechen.“
Norton Myers verließ seinen Platz nicht. Er neigte leicht den Kopf in Richtung des Geschäftsmanns. „Ich hoffe, dass das nicht der Fall sein wird.“
„Wir werden sehen“, erwiderte der Nihon-Geschäftsmann.

„Wenn Sie mir bitte folgen wollen, meine Herren“, sagte Natalia und deutete mit der rechten Hand zum hufeisenförmigen Steuerpult. Auch dort standen Schwarzgekleidete. Sie sahen den Studenten und Technikern, die dort arbeiteten, auf die Finger. „Wir können sofort beginnen.“
„Iie“, sagte Honda. „Bitte, erläutern Sie mir zuerst den Aufbau der Anlage und die von Ihnen verwendeten Hightech-Komponenten. Vor allem interessiert mich, ob die Resonanzschwingung Odemspuren benötigt und wenn ja in welcher Form.“
Einen Moment war Natalia überrascht. Dann aber nickte sie. Der Mann war ihr Hauptsponsor. Ohne die Gelder von Akai Industries würde das Projekt eingestellt werden.
„Natürlich, Herr Honda. Bitte, fangen wir bei den Stromerzeugern an.“

Norton Myers folgte der kleinen Gruppe mit einigen Schritten Abstand. Er hörte Natalias Erläuterungen nur mit einem Ohr zu. Er kannte den Systemaufbau, vielleicht besser als die Dozentin selbst.
Mit unbewegter Miene warf er kurze Blicke durch die Halle, in Richtung der vielen Wächter, die Honda mitgebracht hatte. Sein Gesicht versteinerte.
**
Als Ralf an diesem Morgen aufwachte, fühlte er sich gleichermaßen erleichtert wie bedrückt.
Er hatte einen leichten Kater wegen dem Alkohol, den er getrunken hatte. Aber er hieß die Kopfschmerzen willkommen. Sie milderten die anderen Schmerzen, die sich in seinen Geist drängten.
Himmel, er hatte es getan! Sie beide hatten es getan!
Sie hatten Sex…
Guten Sex, nein, eigentlich sehr guten Sex. Zugegeben. Und er hatte das Gefühl gehabt, dass es schon lange überfällig gewesen war. Mindestens zwei Wochen überfällig.
Seine Göttin hatte sich auch nicht gerade beschwert.
Dennoch. Es würde sein Verhältnis zu seinem Gott noch schwieriger machen.
Ralf seufzte tief und schwang die Beine aus dem Bett.
Apropos. Wo war Makoto?
Hatte er vielleicht alles nur geträumt? Nein, da war der Kratzer auf seiner Brust, dem seine Göttin ihn versehentlich zugefügt hatte, als sie beide…
Ralf grinste schief.
Wann hatte sie sein Bett verlassen? Und was noch wichtiger war, wie sah ihr Verhältnis jetzt aus? Immerhin war sie eine Göttin und er war nur ein einfacher Sterblicher. Ihr Gläubiger, ja. Aber konnte, durfte da noch mehr sein?
Sein Vater hatte Ralf ermahnt, sich nicht in seinen Gott zu verlieben. Tja, das war wohl gründlich schief gelaufen.
Wenn er ehrlich war, dann hatte er sich im ersten Moment verliebt, seit er Makotos weibliche Form gesehen hatte.

„Guten Morgen, mein Gläubiger“, erklang es von der Verbindungstür. Makoto stand da und musterte Ralf mit einem amüsierten Blick. Der männliche Makoto, wohlgemerkt.
„Guten Morgen, mein Gott“, erwiderte Ralf und sah weg.
„Na, na. Was ist denn mit dir los? Ist es dir plötzlich peinlich?“ Makoto wechselte in die weibliche Form. „Ich gebe zu, mir ist es etwas peinlich. Ich meine, ich habe mich noch immer nicht entschieden, ob ich Mann oder Frau sein will. Und jetzt wo ich Sex auf die Art einer Frau kennen gelernt habe, bin ich noch unschlüssiger.
Ich würde gerne auch die andere Seite kennen lernen, mein Gläubiger.“
Ralf zuckte zusammen. „Ver-vergiss das gleich wieder“, blaffte er mit hochrotem Kopf.
Die Göttin runzelte die Stirn. „Hm?“ Dann begann sie zu lachen. „Ach, du. Doch nicht mit dir.“
Das wiederum gefiel Ralf auch nicht. „Wieso nicht?“
Makoto gluckste hinter vorgehaltener Hand. „Kannst du dich mal entscheiden, mein Gläubiger? Ich habe nicht vor, als Mann mit dir zu schlafen. Aber finde mal raus, ob das Thema dir peinlich ist oder nicht.“
Ralf verdrehte die Augen. „Nein, ich dachte nur, jetzt, wo wir beide miteinander geschlafen haben, dass…“
Makoto setzte sich zu Ralf auf das Bett und ergriff seine Hände.
„Diese Hände. So warm. So stark. Ich habe es sehr gemocht, sie zu spüren, mein Gläubiger.“
Sie nahm seine Hände und legte sie auf ihren Busen. „Ralf, ich…“
Der junge Gläubige beugte sich vor und küsste seine Göttin sanft auf den Mund. „Ich weiß. Du brauchst nichts mehr zu sagen. Wir beide haben es getan, weil wir es wollten. Aber da ist noch mehr. Das ist nur deine weibliche Form. Deine männliche Form hat eigene Bedürfnisse, ich verstehe das. Solltest du dich dafür entscheiden, fortan als Frau zu leben, würde ich mich sehr freuen, dein Partner zu sein, so lange du das wünscht. Oder so lange wie ich lebe.
Solltest du ein Mann werden wollen, dann…“
Ralf sah zu Boden. „Dann werde ich dir beizeiten eine Antwort geben. Ich kenne sie selbst noch nicht, was dann zwischen uns sein wird.“
Ralf sah wieder auf. „Kann ich meine Hände wieder haben?“
Makoto wurde rot.
Ralf schmunzelte, als sie seine Hände frei gab. Wieder fluteten Erinnerungen an die letzte Nacht durch seinen Geist. Gute Erinnerungen. Voller Anstrengung, Leidenschaft. Von Teamarbeit. Teamarbeit, der Gedanke entlockte ihm beinahe ein manisches Lachen.
Sex mit Makoto war mit nichts zu vergleichen, was er bisher kennen gelernt hatte.
So viel war das nicht, zugegeben. Aber wenn Makoto eine zehn verdient hatte, dann waren seine bisherigen Erlebnisse bestenfalls zweier.

Makoto erhob sich und legte eine Hand auf die Wand. Die Türen verloren ihre Verbindung mit dem Stein wieder. Sie wechselte in die Männerform und sah Ralf an.
„Ich weiß nicht, womit ich dich verdiene, mein Gläubiger. Aber ich bin dankbar.“
Makoto öffnete die Tür. „Wollen wir frühstücken? Wir sind auch dran mit abwaschen.“
Ralf sah an sich herab. „Geh schon mal vor. Ich glaube, die Damen im Haus hätten was dagegen, wenn ich nackt runterkomme.“
Makoto lachte glucksend. „Entschuldigung. Das habe ich vergessen.“

Als Ralf die kleine Küche betrat, sah er einen sehr eifrigen Markus Holt einen Laptop malträtieren. Apropos, Markus war gar nicht auf der Party gewesen. Was hatte ihn aufgehalten?
Klaus und Anselm standen am Herd und brieten Eier. Jean schwatzte ausgelassen mit Makoto. Freya und Katy flüsterten leise miteinander.
Und zu Ralfs größter Überraschung saß sogar Arnim am Tisch und umklammerte eine Tasse Kaffee, als wäre sie sein Rettungsanker ins Leben.
Vielleicht stimmte das sogar. Ralf dachte an seine Kopfschmerzen.
Er setzte sich. „Kriege ich auch einen Kaffee?“
Freya sah auf, als sie ihn hörte. Sie trat an seinen Platz heran und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
„Hey!“, beschwerte sich Ralf. „Wofür war die?“
„Es trifft schon keinen Falschen“, sagte die Frau von Eisland trocken.
Katy kam ebenfalls heran und gab ihm eine Ohrfeige auf die andere Seite.
„Jetzt langt es aber! Womit habe ich die verdient?“, rief Ralf aufgebracht. Am Frühstück hatte er kein Interesse mehr.
Katy zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber wenn Freya dir eine runterhaut, dann hast du es definitiv verdient. Und da sie immer viel zu weich zuschlägt, gehe ich ihr nur ein wenig zur Hand.“
„Was für eine pragmatische Einstellung“, brummte Ralf beleidigt.
Freya knallte ihm eine Tasse auf den Platz. Sie war mit schwarzem Kaffee gefüllt. „Nachdem das geklärt ist, Ralf“, sagte sie fest, „machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben. Oder etwas davor.“
Ralf füllte sich etwas Milch in den Kaffee und trank einen Schluck, so gut es ihm mit zwei schmerzenden Wangen gelang. „Oder etwas davor?“ Ralf prustete in seinen Kaffee. Dabei spritzte einiges aus der Tasse und erwischte Arnim und Jean.
Erschrocken sah Ralf Freya an. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Sie wusste es!
Katy beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die von ihr persönlich lädierte Wange.
„Und wofür war das?“, fragte Ralf.
„Das weißt du doch ganz genau, du Frauenheld. Ein Wunder, dass Makoto bei dem Krach, den du gemacht hast, schlafen konnte.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Schade, dass du uns deine Flamme nicht vorstellst. Und schade, dass du eine hast.“
Sie seufzte tief. „Sehr schade.“
Katy legte den Kopf schräg und sah zu Arnim Kleyn herüber. „Ach, Arnim, übt der Kendo-Club heute wieder?“
Ralf saß da wie ein begossener Pudel. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Und wenn er ehrlich war, dann waren Makoto und er stellenweise doch… Etwas laut geworden.“
Sein Gott hatte die Augen weit aufgerissen. „Habe ich gar nicht bemerkt“, murmelte er und wurde rot.
Freya knallte auch ihm eine Tasse Kaffee auf den Platz. „Du hast ja einen sehr tiefen Schlaf“, fauchte sie ihn an.

Shawn Ironheart lachte leise.
Die Anwesenden wandten sich zu ihm um. „Kannst du mal mit dem schleichen aufhören, Shawn?“, beschwerte sich Katy. „Du schwebst hier rein wie auf Wolken und meldest dich plötzlich zu Wort. Wenn ich mal einen Herzinfarkt kriege, bist du Schuld. Vorher hänge ich dir ein Glöckchen um den Hals.“
Shawn grinste breit. Was für ihn in etwa so untypisch war wie für Freya, keine gute Laune zu haben. „Das würde auch nichts nützen, Katy“, bemerkte er amüsiert.
„Freya, vielleicht solltest du deinen… Neuanfang auch auf Makoto ausdehnen. So ein Ärger am Frühstückstisch gibt Magengeschwüren Vorschub.“
Freya senkte den Kopf.
Schließlich nickte sie. „Okay. Du hast Recht.“
Sie beugte sich vor Makoto. „Nur weil du einen so tiefen Schlaf hast…“, log sie ohne rot zu werden, „sollte ich nicht auf dich böse sein.“
Makoto nickte. „Wenn du meinst…“
Freya lächelte. „Gut. Das ist entschieden.“
Sie griff Makoto in den Nacken und küsste ihn. Als der Gott erschrocken etwas sagen wollte, nutzte sie die Gelegenheit für einen Zungenkuss.
Ralf klappte die Kinnlade herab. „Unglaublich.“
Freya beendete den Kuss und sah kurz zu Ralf herüber. „Ab jetzt.“
Makoto verdrehte die Augen. Dann atmete er scharf aus. „Das war… wirklich nicht schlecht.“
Freya fuhr wieder zu ihm herum. „Nicht schlecht?“
Abwehrend hob der Gott die Hände. „Schlecht ausgedrückt, Freya. Schlecht ausgedrückt. Der Kuss kam unerwartet. Aber du kriegst zehn Punkte von mir.“
„Als wenn es um Punkte gehen würde“, brummte sie leise, schien aber doch recht zufrieden, ihre kleine Rache an Ralf gehabt zu haben.
Jean beobachtete die Szene mit weit aufstehendem Mund. Seine Schwester legte ihm eine Hand unters Kinn und klappte es hoch.
Der junge Mann räusperte sich vernehmlich. „Ich mag das Punktesystem“, stellte er leise fest.

„Redet nicht soviel“, brummte Klaus und schaufelte Ralf, Shawn und Makoto Spiegeleier auf die Teller. „Esst lieber mehr.“
„Danke“, sagte Shawn. „Du bist wie eine Mutter zu uns.“
Die Anwesenden sahen sich alle einen Moment an.
Dann brach Klaus in schallendes Gelächter aus, in das nach und nach alle einfielen.
Der Tag schien gerettet.

5.
Eine halbe Stunde später waren sie auf dem Weg zur nächsten Bushaltestelle, von der die Linien zur Uni fuhren. Sie, das waren Ralf, Makoto, Freya, Shawn und Arnim, der sich einfach angeschlossen hatte. Seit sie das Haus verlassen hatten, schwiegen sie sich an. Nicht gerade eine angenehme Atmosphäre, fand der Gläubige.
„Meine Wange tut immer noch weh“, beschwerte sich Ralf leise.
„Sei ein Mann und jammere nicht so viel“, erwiderte Freya. „Außerdem hast du es verdient, du alter Lustmolch.“
„Lustmolch? Bitte?“ Ralf warf der Eisländerin einen wütenden Blick zu.
„Lustmolch“, bestätigte die Gesegnete.
„Lustmolch“, wiederholte Makoto. „Was ist das? Ich habe noch nie von solch einem Tier gehört.“
„Lustmolch ist eine Umschreibung für einen Menschen“, half Shawn leise aus. „Für einen Menschen mit… ah, einer besonderen Vorliebe.“
„Was für eine Vorliebe?“, hakte Makoto nach.
Ralf winkte ab, als Shawn ins Detail gehen wollte. „Schon gut, schon gut. Ich denke es reicht, wenn wir feststellen, dass ich nicht in diese Kategorie falle.“
Er warf Freya noch einen bösen Blick zu. „Egal, was sie sagt.“
Arnim lachte leise. „Das hätte ich früher wissen sollen, dass es mit euch so lustig ist. Dann hätte ich schon mal früher bei euch übernachtet.“
„Apropos übernachtet. Wo hast du eigentlich geschlafen?“ Der Gläubige war sichtlich froh, das Thema wechseln zu können. „Und vor allem warum?“
„Das warum ist einfach beantwortet“, sagte Arnim leise. „Zuviel getrunken, zu weiter Heimweg. Wo: Bei Anselm im Zimmer. Als sein Kapitän hat er sich verpflichtet gefühlt, mich aufzunehmen. Aber mal was anderes, Ralf Schneider.“
Arnim trat neben den jungen Mann und nahm ihn in den Schwitzkasten. „Was weißt du über eine Gruppe junger Männer, die hinter der Mensa beinahe von einem einzigen Mann verprügelt worden wären, he?“
„Was denn, was denn“, sagte Ralf, „es ist doch nichts passiert, oder? Nur ich habe was abbekommen.“
Arnim rieb mit seiner Faust auf Ralfs Schädeldecke herum. „Ja, ja. Würde mich nicht wundern, wenn du das in Kauf genommen hast. Absichtlich schlagen lassen, du bist mir schon einer.“
„Hey“, beschwerte sich der Drangsalierte. „Du bringst meine Frisur durcheinander.“
Grinsend ließ Arnim den anderen wieder los. „Irgendwann, Ralf Schneider, da kriege ich dich. Dann gibt es keine Ausflüchte mehr. Und du zeigst mir endlich, was du wirklich drauf hast.“
Ralf steckte die Hände in die Taschen und kickte nach einem Stein. „Vergiss es, Sportlertyp. Da kannst du mir noch so viele von deinen Lakaien auf den Hals hetzen.“
„Argh…“
„Ja, ja, sieh es ein, ich durchschaue dich total, Herr Arnim Kleyn.“
„Ralf…“
„Misch dich da nicht ein, Freya, das ist nur eine unserer üblichen Frotzeleien. Mittlerweile mag ich den Kerl sogar irgendwie“, brummte Ralf und trat erneut nach dem Kiesel.

Das Geräusch einer Person, die zu Boden fiel, ließ ihn aufsehen. Er wirbelte herum. Freya war umgefallen. Arnim sackte gerade auf die Knie. Er war kreidebleich. „Nicht… schon… wieder“, würgte er hervor.
Shawn hielt sich auf den Beinen, aber er hatte beide Hände an die Schläfen gelegt, als hätte er starke Kopfschmerzen.
Auf dem Rasen neben ihrem Gehweg platzte ein Rasensprenger. Wasser ergoss sich in einer kleinen Fontäne auf den Rasen.
Um Arnim begann die Luft zu flimmern, und Ralf bezweifelte nicht einen Moment lang, dass dies geschah, weil sie sich erhitzte.
Eine starke Bö trieb ihm die Hitze ins Gesicht. Darauf folgte eine zweite, stärkere Bö. Und noch eine.
Ralf begriff. Er wandte sich zu seinem Gott um. „MAKOTO!“
Den jungen Gott umgab erneut dieser silberne Schein. Wieder schien es, als würde ein Teil von ihm unsichtbar werden.

In diesem Moment überlegte Ralf nicht lange. Er umklammerte seinen Gott und versuchte die Prozedur, die Makoto schon einmal beschützt hatte.
Er gab ihm soviel Odem, wie er für den Gott produzieren und fokussieren konnte.
„Bleib bei mir, Makoto, bleib bei mir“, stammelte er verzweifelt, als sein Gott leichter und leichter wurde.
Er sah Makoto direkt in die Augen. Dort standen Angst und Verzweifelung.
„Konzentrier dich, Makoto!“, blaffte der Gläubige. „Ich bin bei dir! Du wirst es schaffen!“
Hinter ihm begann Arnim leise zu wimmern. Shawn sackte in den Knien ein. Freya stöhnte in ihrer Ohnmacht gequält. Ralf fasste seinen Gott noch fester. Er konnte ihnen nicht helfen. Makoto war wichtiger. Wichtiger als diese drei. Wichtiger als Ralf selber.
„RALF!“, rief der Gott. Die Gestalt schien von der silbernen Aura geradezu durchdrungen zu werden. Doch die Angst wich einem Lächeln. Der Gott legte eine Hand auf das Gesicht des Menschen. „Danke, mein Gläubiger. Danke für alles.“
Der Gott wurde noch durchscheinender und verschwand. Das silberne Leuchten erlosch, und es war Ralf, als fiele er aus großer Höhe zur Erde.

Er landete hart, und ebenso hart fiel etwas auf ihn. Ralf blinzelte und erkannte seine Göttin, die auf ihm lag. Er hatte es geschafft. Nein, sie hatten es geschafft! Erleichtert umarmte er seine Göttin. „Makoto. Bitte jag mir nie wieder solche Angst ein. Bitte. Ich brauche dich doch.“
Die Göttin sah ihn aus einem Schleier aus Tränen an. „Ralf“, hauchte sie mit halb erstickter Stimme, „er ist weg…“
„Was?“
„Der männliche Makoto! Er ist fort! Dieses Leuchten hat ihn mitgerissen! Ich spüre es noch immer. Dieses Gefühl, als würde ich in Fetzen gerissen werden.“
Sie schluchzte, und Ralf fiel nichts Besseres ein, als sie noch fester in den Arm zu nehmen.
„Ich bin keine Göttin mehr“, hauchte sie zwischen den Tränen. „Ohne ihn bin ich bestenfalls noch eine Gesegnete.“
„Aber du bist doch hier! Du kannst doch nicht an zwei Orten zugleich sein!“, rief Ralf verzweifelt. „Du kannst dich doch nicht aufteilen!“
„Doch, das geht, Ralf Schneider“, kommentierte Shawn, der langsam wieder auf die Beine kam. „Das Fluidum, aus dem Götter sind, kann dazu gezwungen werden, sich aufzuteilen. Es ist eine sehr schmerzhafte Prozedur. Das ist, was hier passiert ist. Etwas hat unsere Fähigkeiten angeregt, die unsere Götter uns verliehen haben. Und als wir die Kontrolle über die Kräfte verloren haben, da hat es den männlichen Makoto mit gerissen.“
„Ich… Ich spüre ihn noch“, hauchte die Göttin leise. „Er ist immer noch in meinem Kopf. Wir sind nicht getrennt.“ Ihre Augen suchten Ralfs Blick. „Er hat große Schmerzen! Sie töten ihn!“
„Wer?“ Ralf fuhr hoch, riss seine Göttin auf die Beine. „Wer tötet ihn?“
Die Göttin senkte den Blick. „Dämonen. Er sieht Dämonen…“
Shawn wechselte einen schnellen Blick mit Arnim.
„Was willst du jetzt tun, Ralf Schneider?“
„Makotos männliche Hälfte retten natürlich!“, schnauzte Ralf. „Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“
„Nicht so theatralisch, bitte“, kommentierte Freya, die mit brummendem Schädel langsam wieder auf die Beine kam. „Außerdem ist das mein Text.“
Sie sah in die Runde. „Wir sollten uns beeilen.“
„Wir?“, fragte Ralf überrascht.
„Na, willst du es alleine mit Feinden aufnehmen, ohne zu wissen, wie viele es sind, Ralf?“, kommentierte Arnim amüsiert. Zu seinen Füßen hatte der Gehsteig zu schmelzen begonnen.
„Ich denke, wir können hilfreich sein“, sagte Shawn. „Immerhin ist Makoto auch… unser Freund.“
„Was ist mit dir?“, fragte Ralf seine Göttin.
„Er… Er ist ein Teil von mir. Ich kann ihn doch nicht sterben lassen!“
Ralf nickte fest. „Gut. Hast du eine Idee, wo er sein könnte?“
Unsicher nickte die Göttin. Dafür, dass sie gerade Defacto halbiert worden war, hielt sie sich aber überraschend gut. Es schien, dass die Erfahrung neulich im Park sie bereits mental auf dieses eigentlich unglaubliche Geschehen vorbereitet hatte. „Ich… spüre ihn in dieser Richtung.“ Sie deutete zur Universität herüber.
Arnim wechselte einen schnellen Blick mit Shawn.
Der nickte. „Dann wissen wir, wo der Gott ist, Ralf. Beeilen wir uns!“
Ralf sah die anderen drei an. Er nickte. „Makoto. Forme aus der Erde unter dem Rasen eine Plattform und halte sie stabil. Shawn, wie stark ist dein Wind? Arnim, kannst du mit deinem Feuerodem was für unsere Geschwindigkeit tun? Und Freya, wie wäre es mit etwas Wasserdampf als Tarnung?“
Statt einer Antwort stieg das Wasser aus der geborstenen Leitung auf und bildete einen leichten Nebel über ihren Köpfen.
Arnim schüttelte den Kopf. „Auf die Idee muss man erst mal kommen. Er will mit uns hinfliegen. Na, das kann ja was werden.“ Arnim grinste den Windgesegneten an. „Halte du uns oben. Ich sehe mal zu, ob meine Feueraura zum Außenborder taugt.“
Makoto hatte derweil die Hände auf den Rasen gelegt. Eine Plattform bewegte sich langsam auf einer Art Stiel in die Höhe.
„Nur die Kraft einer Gesegneten, eh?“, meinte Freya. „Einer ziemlich mächtigen Gesegneten, finde ich.“

Sie erklommen die Plattform und die Eisländerin hüllte alles in einem dichten Nebel ein.
Shawn hockte sich nieder, schloss die Augen und kurz darauf riss ein starker Aufwind das provisorische Fluggerät in die Höhe. Als sie über den Häusern schwebten, ging Arnim an den Rand, der entgegen gesetzt von der Universität lag. Er gab einen Feuerstoß von sich, der die Plattform nach vorne warf. Beinahe wäre Ralf gefallen.
„Das ist wohl etwas auffällig. Nebel hin, Nebel her“, kommentierte Arnim und verlegte sich darauf, die Luft unter und hinter der Plattform aufzuheizen, bis sie nach vorne gedrückt wurden.
Ralf ergriff Makotos Hand. Sie konzentrierte sich darauf, dass die Plattform aus Erde und Rasen nicht zerbrach.
„Wir kommen, mein Gott“, murmelte Ralf. Mit einer tödlichen Sicherheit wusste er, dass er für Makoto alles riskierte. Sogar sein Leben.
**
Der Testlauf verlief erfolgreich. Natalia konnte ihr Glück kaum fassen. Endlich lief mal etwas, wie sie es sich wünschte.
Sie sah zu Norton Myers herüber. Dessen Augen waren zu kleinen Schlitzen geworden.
Sie schüttelte den Kopf. Woran er immer auch dachte, es konnte nicht mit dem Experiment zusammen hängen.
„Nun langsam herunter fahren. Ich will nicht bis zur Überladung vom letzten Mal kommen. Noch nicht“, sagte sie zum Techniker hinter dem Hauptsteuerpult.
„Doch, das will sie.“ Herr Honda war mit zweien seiner Wächter hinzu getreten. „Überladen Sie ihn, wie das letzte Mal, Frau Prokovniewa. Aber diesmal wird nicht abgeschaltet.“
Ein warnender Blick Hondas traf Myers.
Der erwiderte ihn, sah dann aber zu Boden. „Natalia. Kommen Sie her zu mir.“

Natalia ignorierte die drängende Stimme des Doktors. „Herr Honda. Wir sind uns zwar sehr sicher, dass wir den Götterspürer gegen die erhöhte Belastung abgesichert haben, aber es ist sinnvoller sich dieser Belastungsgrenze erneut nur mit großer Vorsicht zu nähern. Wir wollen ja nicht, dass uns die Anlage um die Ohren fliegt.“
Honda ignorierte sie. Er trat an den Techniker heran. „Mehr Energie.“
„Das ist immer noch mein Projekt!“, rief Natalia erbost. „Abschalten, sofort abschalten.“
Einer der Wächter trat vor und zog eine Pistole. „Erschießen?“, fragte er kalt.
„Nein, wir brauchen sie noch. Aber wenn sie weiter rumzetert, schieß sie ins Bein.“ Honda sah eine Sekunde zu ihr herüber. Abgrundtiefe Grausamkeit lag in seinen Augen.
Natalia sah auf die Pistole, auf diesen Mann.
Es war wie eine Erleichterung, als sie die feste, warme Hand auf ihrer Schulter spürte.
„Natalia. Kommen Sie.“
Norton zog sie, misstrauisch von den beiden Wachen beäugt, fort von der Steueranlage.

„Warum führen Sie nicht mehr Energie hinzu?“, fuhr Honda plötzlich den Techniker an.
„Sie haben hier keine Befehlsgewalt“, sagte der junge Mann und schluckte hart. Todesangst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Honda griff den Mann am Kragen seiner Kombination und warf ihn mitsamt dem Stuhl, auf dem er saß, hinter sich. Erst die Hallenwand stoppte den Mann. Bewusstlos blieb er liegen.
„Ibran. Du bekommst noch eine Chance. Zeige dich.“
„Was ist mit Herrn Honda nur passiert?“, fragte Natalia verwirrt.
„Was wird schon sein? Er ist ein Dämon.“ Vaillard war leise zu den beiden getreten. „Dieses Projekt scheint größer zu sein als Sie ahnen, Natalia.“
„Ein Dämon… Dann tötet die Maschine also doch Götter.“ In den Augen der Frau lag Entsetzen.
Vor dem Pult ging plötzlich ein leichter Wind. Schwarze Asche regnete von der Decke, wurde von einem Wirbel erfasst und formte eine menschliche Silhouette. Einen Augenblick später erschien ein durchscheinender Menschenkörper. „Herr, ich bin noch sehr geschwächt. Aber ich werde tun was ich kann“, sagte der Dämon, der sich als der Mensch Ian O´Brian getarnt hatte.
Honda nickte. „Gib mir Anweisungen.“

Der Generator näherte sich erneut der Überladung, ging darüber hinaus. Ein silbernes Energiefeld bildete sich über dem Göttersucher. Darin erschien die Silhouette eines Mannes.
Die Silhouette warf den Kopf in den Nacken, als würde sie schreien.
Dann hing ein Mensch im Feld. Und der Mensch schrie wirklich vor Schmerzen. Kleine Blitze rasten über seinen Leib.
„Makoto“, erkannte Norton erschrocken. „Sie haben Makoto erwischt!“
Honda rieb sich amüsiert über sein Kinn. „Da haben wir tatsächlich einen Gott gefangen.“
Sein Gesicht verzerrte sich vor Hass. „Und nun töten wir ihn!“
„Ja, Herr“, kommentierte Ibran und gab die Anweisungen, welche aus dem Feld eine Todesfalle machen würden.
Nortons rechte Hand näherte sich der Innentasche seines Jacketts.
Doch Professor Vaillard hielt ihn auf. „Nein, Norton. Nicht jetzt. Nicht Sie.“
Erstaunt sah der Doktor den Älteren an.
„Haben Sie Vertrauen, Norton. Vertrauen in die Jugend.“
Norton Myers ließ die Rechte vorsichtig wieder sinken.
Unter seiner linken Hand begann Natalia Prokovniewa zu zittern. Sie half Dämonen dabei, einen Gott zu töten!

Epilog:
Der Raum war dunkel. Ein Scheinwerferspot entriss einen jungen Mann aus der Schwärze. Hin und wieder blinkte der Spot auf eine andere Stelle, die jedoch leer blieb.
Eine Stimme aus der Finsternis, körperlos, sprach zu ihnen. „Was hast du gelernt, mein Gott?“
Der junge Mann wurde im Licht des Spots gebadet. „Ich habe gelernt“, begann er leise, „dass ich sterben werde…“

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Mein Gott, meine Göttin
Sechster Chapter

Prolog:
Protokoll einer Schulklasse, Weiterführende Schule, 8. Klasse, Götterkunde
Siebzehn Schüler zwischen zwölf und dreizehn Jahre, Neun Mädchen, acht Jungen.

Lehrer Mertens: Also wissen wir, dass Götter auf unserer Ebene nicht nur Rechte haben, sondern auch Pflichten. Wir…
Schüler Schmidt: Herr Mertens, warum haben Götter denn auch Pflichten auf der Erde? Ich meine, immerhin sind sie Götter.
Lehrer Mertens: Nun, das liegt in der Natur der Sache. Man kann ja nicht nur Rechte für sich beanspruchen. Man muss auch bereit sein, etwas dafür zu geben.
Schüler Schmidt: Ja, aber Götter? Ich meine, Götter sind doch so mächtig. Sie haben uns doch alle vor den Dämonen gerettet und so. Wer will ihnen denn etwas verbieten?
Lehrer Mertens: Das sind gute Fragen. Schlagt mal alle das Lehrbuch zu. Und nun seht euch die Rückseite an. Ja, genau, die Schautafel mit der Aufteilung der Welt in Götterregionen.
Wisst Ihr, Götter sind wirklich sehr, sehr mächtig. Und viele von ihnen, nun, sind nicht besonders angenehme Zeitgenossen, denen man besser aus dem Weg gehen sollte.
Aber die Aufteilung der Welt in diese Bereiche ist ein Ergebnis eines Kompromisses, den unsere Vorfahren vor fast dreitausend Jahren ausgehandelt haben. Dies war der Beginn unserer Zeitrechnung.
Schülerin Süleyman: Die Götter sind einen Kompromiss eingegangen?
Lehrer Mertens: Ja, sie sind einen Kompromiss eingegangen. Wisst Ihr, ein einzelner Gott mag, wenn er auf die Untere Ebene herab steigt, sehr mächtig sein. Aber er ist auf uns Menschen angewiesen. Zugegeben, wir sind es auch auf die Götter. Und das ist die Basis unseres Kompromisses.
Schüler Schmidt: Die Götter sind von uns abhängig?
Schüler Carlsson: Dummkopf. Natürlich. Sie erhalten doch von uns Odem und so. Also sind sie von uns abhängig.
Lehrer Mertens: Vereinfacht kann man das wirklich so sagen. Wir liefern den Göttern Odem. Und im Ausgleich beschützen sie uns Menschen.
Als vor zweitausendneunhundertdreiundachtzig Jahren der Vertrag von Hethit ausgehandelt wurde, haben Menschen und Götter es so festgelegt.
Deshalb gibt es die Kirchen und Gebetshäuser überall auf dieser Welt. Deshalb gibt es Gesegnete, die im Namen ihrer Götter Gutes oder Schlechtes tun. Deshalb gehört Afrika zum Erdclan und Südamerika zum Feuerclan.
Schüler Schmidt: So einfach ist das? Und was, wenn ein Gott herabsteigt und sich nicht an seine Pflichten hält? Ein Gott ist doch sehr mächtig. Welcher Mensch kann ihn schon aufhalten?
Lehrer Mertens: Auch das wurde im Vertrag von Hethit geregelt. Ein Gott, der herab steigt, unterliegt den Gesetzen wie ein ganz normaler Mensch. Natürlich gibt es Sonderregeln für Götter, denn viele tun schlimme Dinge aus Unachtsamkeit.
Und sie sind in der Lage, diese Dinge wieder gut zu machen, zum Beispiel Verletzungen zu heilen. Aber die Menschen haben das Recht, solch einen Gott zu verhaften.
Schülerin Süleyman: Was aber, wenn der Gott sich nicht verhaften lassen will?
Lehrer Mertens: Nun, fast alle Götter sind auf Odem angewiesen. Sein Clan wird ihn zur Ordnung rufen, gegebenenfalls bestrafen.
Es ist auch schon vorgekommen, dass man die Strafe uns Menschen überlassen hat.
Bei einem Mord beispielsweise sind ein paar hundert Jahre Haft nicht ungewöhnlich. In Südamerika soll ein Gott sogar hingerichtet worden sein, was ich aber für übertrieben halte.
Schüler Schmidt: Man kann einen Gott töten? Menschen können einen Gott töten?
Lehrer Mertens: Ja, aber das ist eine Sache, die nicht passieren sollte.
So, das war das Pausenzeichen. Lest bis zur nächsten Stunde das Kapitel 7: Die Kirche haftet für ihren Gott – Interaktionen zwischen der Oberen und Unteren Ebene.

1.
In der Halle mit dem gigantischen Resonator war eine eigentümliche Stille eingekehrt, nur unterbrochen von den Schreien eines Menschen, dem Schmerzen zugefügt wurden.
Natalia Prokovniewa hatte versucht eine Maschine zu erfinden, mit der man Götter aufspüren konnte.
Entstanden war etwas, was der Dämon Ibran hatte haben wollen. Ein Gerät, welches Götter fand… Zu sich holte… Und tötete.
Genau dies hatte Direktor Honda nun vor. Unter den Anweisungen des nur noch als Schemen existierenden Dämonen Ibran justierte der Nihon-Geschäftsmann den Göttersucher neu.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Gott im silbernen Energiefeld schrie sich die Kehle wund.

Bei diesem Geräusch zuckte einer der Nihon-Wächter in den schwarzen Anzügen und den schwarzen Sonnenbrillen zusammen. Sein Kollege neben ihm zischte: „Reiß dich zusammen, Yoshi. Wir haben es ja gleich geschafft!“
Der Angesprochene schien sich in Richtung des Älteren verbeugen zu wollen, besann sich aber und nahm wieder die starre Position ein.
„Sempai“, sprach er den Kameraden mit der in der Nihon-Sprache vorgeschriebenen Höflichkeitsformel an, „ist das wirklich ein Gott da oben?“
„Ja, das ist ein Gott, verdammt. Diese Maschine ist ein Götterresonator, und damit kann man einen Gott töten. Hättest du bei der Besprechung besser aufgepasst, dann bräuchtest du jetzt nicht dumm zu fragen.“
„Das ist es nicht. Ich habe ja aufgepasst. Aber es kam mir so unglaublich vor, ich habe es abgetan. Einen Gott will unser Chef töten. Was für eine absurde Idee. Bis jetzt.“
Der Ältere, Shiro mit Namen, nickte leicht. „Und dann sind wir selbst Zeuge davon, wie ein Gott getötet wird. Es ist schwer zu glauben. Und noch schwerer zu verstehen.“
„Sempai, ich mache mir Sorgen“, platzte es aus dem Jüngeren heraus. Leise zwar, aber dennoch dringlich.
„Du brauchst dir um nichts Sorgen zu machen, Yoshi, um überhaupt nichts. Herr Honda bezahlt uns für das, was wir hier tun, sehr gut. Jedenfalls genug, um zu ignorieren, was hier passiert.
Wir selbst legen nicht eine Hand an den Gott. Und uns sollte es auch egal sein, was mit dem Gott passiert. Es gibt genügend von ihnen.“
„Ja, aber ein Gott. Ein Gott! Werden die anderen Götter nicht sauer, wenn wir einen von ihnen töten? Ich meine jetzt nicht speziell auf den Direktor. Ich meine alle hier im Raum. Auch diese verrückten Wissenschaftler da hinten, die das Ding gebaut haben. Oder die Techniker und Hilfskräfte hier. Was, wenn wir alle getötet werden, egal ob wir unschuldig sind oder nicht?“
„Nun reg dich wieder ab. Siehst du denn nicht den Dämon beim Direktor? Er hat hier einen sehr mächtigen Verbündeten.“
„Auch das noch, Sempai. Ein Dämon. Damit sind wir doch erst Recht am Arsch. Wenn die Götter uns nicht erwischen, dann sind es die Dämonen. Falls wir hier jemals lebend raus kommen.“
„Wenn du Recht hast, Yoshi, und hier alles drunter und drüber geht“, begann Shiro etwas lauter als bisher zu sprechen, „dann sieh zu, dass du auf der Siegerseite bist, bevor es zu Ende geht.“
„Ja, Sempai.“
Ergeben senkte Yoshi den Kopf, während die Stromgeneratoren erneut auf Volllast liefen und das silberne Energiefeld mit ihrer Leistung beschickten.
Irgendwie kam er sich vor wie in einem schlechten Film. Er hatte das dumme Gefühl, als würde wie in eben diesem schlechten Film in letzter Sekunde jemand kommen und den Helden retten.
Als irgendetwas Schweres auf das Dach der Halle krachte, zog der Mann aus Nihon seufzend seine Pistole aus dem Schulterholster unter dem Jackett.
Auch die anderen Wachen hatten den Krach gehört und zogen ihre Waffen. Die Techniker nahmen das zum Anlass, sicherheitshalber in Deckung und raus aus der Schusslinie zu gehen.

Plötzlich bildete sich ein Riss im Dach, und ein Teil der Konstruktion stürzte in die Tiefe. Wasserdampf, Erde und fünf Körper folgten.
Einer der Körper, der einem breitschultrigen, hoch gewachsenen Mann gehörte, schien langsamer zu fallen als die anderen. Er griff nach zweien der anderen Körper und schwebte mit ihnen zu Boden.
Im Wust aus Stahl, Wellblech und Erde landete eine Gestalt auf dem Hallenboden und schnellte sich sofort in die Höhe, um die fünfte und letzte Person aufzufangen. Einen Schritt abseits des Malheurs kam sie wieder auf.
„Danke, Makoto, du kannst mich wieder runter lassen“, knurrte Ralf und rutschte von den Armen seiner Göttin. „Was war eigentlich los? Wir waren fast da, und dann ist unsere Erdscholle zusammen gebrochen.“
„Und wir sind durch das Dach gekracht“, kommentierte Shawn leise, während er Arnim und Freya absetzte.
„Nett von dir, das noch zu erwähnen“, fauchte Freya und sah sich um.
„Ich weiß auch nicht. Plötzlich war es, als würde… ein Teil von mir abreißen, weg brechen. Es war schrecklich.“ Makoto schüttelte mehrmals den Kopf, um wieder klar zu werden.
„Äh, Leute, das ist aber im Moment unser kleinstes Problem“, sagte Arnim leise. „Wir kriegen Besuch.“
Gut zehn der Wachen des Nihon-Geschäftsmanns kamen mit gezückten Waffen zu ihnen gestürzt.
„Da oben ist Makoto!“, rief Freya und deutete in die Höhe. „Zumindest die männliche Variante.“
„Bei Trema!“, rief die Göttin, als die männliche Version einen markerschütternden Schrei ausstieß. Das silberne Feld erlosch, und der Körper fiel in die Tiefe.
Kopfüber segelte Makoto über sieben Meter hinab, bevor Ralf Anlauf nahm, auf die Maschine sprang, sich dort abstieß und den Gott vier Meter vor dem Boden auffing. Sanft landete der Gläubige mit seiner Last auf dem Boden.

„Warum hat es nicht funktioniert?“, blaffte Direktor Honda. „Warum ist der Gott nicht tot? Warum hat er sich nicht aufgelöst?“
Ralf starrte den Nihon-Geschäftsmann wütend an. Der war also für all das hier verantwortlich? Er spannte seine Muskeln an.
Ein heiseres Lachen erklang. Es kam vom männlichen Makoto. Er befreite sich aus Ralfs Griff und suchte unsicher festen Stand. Die Wachen, die mittlerweile einen lockeren Kreis um die Gruppe bildeten, ignorierte er. Makoto sah seine Hände an, als sehe er sie zum ersten Mal. „Es hat geklappt, Herr Honda“, sagte er mit einer Stimme, die alt und belegt klang. „Sie haben Ihren Gott getötet. Sie haben… Sie haben mich getötet. Ich… Ich bin kein Gott mehr. Ich bin…“ Makoto sackte in den Knien ein. Ralf griff zu und verhinderte, dass er stürzte.
„Ich… Ich bin nur noch ein Mensch.“ Ein rauer Wutschrei drang aus seiner Kehle, Tränen strömten aus seinen Augen, als er das Unmögliche sah. Es endete in einem kläglichen Wimmern.
Die weibliche Form des Gottes streckte die Hand aus, wollte ihre männliche Hälfte – also sich selbst – berühren, Trost spenden. Sie erstarrte mitten in der Luft, als befürchte sie, sich zu verbrennen.
„Na toll. Wir kommen zu spät zur Rettung, sind eingekreist und die verdammte Maschine funktioniert auch noch. Wenigstens ist noch was von Makoto übrig“, fasste Arnim zusammen. Er sah schnell in die Runde. „Elf um uns herum, mit gezogenen Pistolen. Armstrad Null Vau Vier, Torchfähig. Dazu weitere zwanzig an den Ausgängen und beim Steuerpult. Wird hart, hier heraus zu kommen.“

Ein eisiges Gelächter antwortete ihnen. Der Nihon-Geschäftsmann trat hinter dem U-förmigen Arbeitspult hervor und fixierte die sechs Personen kalt. „Das ist ein unerwartetes Ergebnis. Daran werden wir noch arbeiten müssen. Wir wollen Götter töten, keine Menschen produzieren. Was das rauskommen angeht, junger Mann, hier verlässt niemand gegen meinen Willen die Halle.“
Der Geschäftsmann rieb sich das Kinn. „Hm. Aber es ist ein Anfang. Ibran.“
Neben Honda erschien ein durch scheinender Schemen. „Herr?“
„Ibran. Es ist eine unerwartete Entwicklung, aber wir werden darauf aufbauen. Was brauchst du für deine Experimente?“
Der Schatten schien sich umzuwenden. Zwei stechende Augen schienen zu entstehen und den männlichen Makoto zu fixieren. „Ein Studium des degenerierten Gottes ist sicher eine gute Idee, Herr.“
„Was? Ihr wollt Makoto? Nur über meine Leiche!“, blaffte Freya.
„Das ließe sich sicherlich arrangieren, Freya“, kommentierte der Schatten amüsiert.
„Wir kommen doch nicht den ganzen Weg hier her, nur um ohne ihn zu verschwinden. Sag doch auch mal was, Ralf“, drängte Arnim.
Ralf legte die Hand auf die Schulter seines Gottes. „Ich habe es dir geschworen. Ich stehe zu dir.“
Makoto – der männliche Makoto – wischte die Hand von seiner Schulter. „Ich bin aber kein Gott mehr.“ Er beugte sich vor, warf einen Seitenblick zu seiner leichenblassen, weiblichen Hälfte und flüsterte Ralf ins Ohr: „Außerdem hast du immer noch einen Teil von mir. Egal, was mit mir passiert. Die weibliche Hälfte von mir bleibt dir erhalten. Vielleicht kann ich einen Handel mit Honda machen. Mich im Austausch für euch.“
Makoto wandte sich abrupt um. Ein entschuldigender Blick traf Freya.
„Wie wäre es mit einem Geschäft, Honda-san?“, fragte er mit kratzender Stimme. „Wie wäre es, wenn ich freiwillig mitkomme? Und Sie vergessen dafür, dass diese fünf jemals hier waren“
Honda dachte einen Augenblick darüber nach. „Abgemacht. Freier Abzug für deine Freunde, Gott.“
Freya zuckte zusammen wie unter einem Schlag. Arnim ballte wütend die Fäuste. Und Shawns Miene versteinerte.
Wankend ging Makoto einen Schritt. „Wir haben einen…“
Weiter kam er nicht. Ralf ergriff den Freund und Gott an der Schulter, riss ihn herum und drückte ihn fest an sich. „Nein, Makoto. Ich habe dir versprochen, dass ich zu dir stehen werde, egal was passiert. Ob du nun Mann oder Frau bist, das spielt für mich keine Rolle. Zumindest nicht immer. Ich liebe dich, mein Gott, na ja, nicht immer und nicht so, du verstehst. Aber du bist jetzt ein Teil meines Lebens, und wenn ich es verhindern kann, dann wirst du nicht aus diesem Leben heraus gerissen. Das verspreche ich dir.“
Der männliche Makoto sah auf und erkannte Trotz in Ralfs Augen. Trotz, Wut, und den unbeugsamen Willen, seinen Worten Taten folgen zu lassen.

Als der Schuss aufbellte, registrierte der Gott ihn erst, als aus Ralfs Schulter Blut austrat.
Er wirbelte herum und sah Honda mit einer Pistole in der Hand. „Das nächste Mal ziele ich zwischen die Augen. Komm endlich, Gott.“
Die weibliche Makoto stürzte neben Ralf zu Boden. „Halte durch! Ich gebe dir Odem!“

Der männliche Gott besah sich die Szene. Er tauschte einen langen Blick mit der weiblichen Hälfte aus. Dann warf er einen schnellen Blick in die Halle.
Er sah zu Freya herüber, die unmerklich nickte. Shawn Ironhearts Aura war beinahe schon sichtbar und Arnim Kleyn entkrampfte seine geballten Fäuste mit Gewalt.
„Mako-chan“, sagte der Gott zu seiner weiblichen Hälfte, „Erdwall!“
Die Göttin legte die Hände auf den Hallenboden und nutzte ihre Götterkraft, um aus der mitgebrachten Erde einen Wall aufzubauen. Die Wachen waren von diesem Vorgang so geschockt, dass die ersten Schüsse erst fielen, als die Erde bereits alle fünf abgeschirmt hatte.
Nur der Direktor hatte schnell genug reagiert. Aber direkt vor ihm hatte die Göttin als Erstes den Wall errichtet.
Nun schlugen Torches auf der ganzen Breite der Erdmauer ein.

„Wir haben nur wenige Sekunden, deswegen hört her“, sagte Makoto konzentriert. „Freya, du musst wieder Nebel machen. Shawn, Arnim, Ihr werdet im Schutz des Nebels angreifen. Befreit so viele Unschuldige wie möglich und versucht sie aus der Halle raus zu bringen. Danach holt Freya raus. Ich bleibe hier bei Mako-chan und helfe ihr, Ralf zu retten. Sobald sie ihn mit Odem versorgt hat, wird sie euch helfen.“
Eine Torch durchschlug die provisorische Wand und krachte in die gegenüberliegende Seite hinein. „Es wird Zeit.“
Freya nickte und konzentrierte sich auf ihre Gabe als Gesegnete, die Kontrolle über Wasser.
In Arnims Händen erschien ein rotes Schwert, erschaffen aus seiner roten Aura.
Wieder schlug eine Torch durch und verfehlte Shawn nur knapp.
„Fang an“, sagte der American Native gepresst.
Freya nickte und erschuf aus der mitgebrachten Feuchtigkeit, die sie bereits auf dem Hinweg verborgen hatte, erneut eine Nebelwand.
Als von der anderen Seite erstaunte Rufe erklangen und das Feuer eingestellt wurde, sprangen Arnim und Shawn über die Erdmauer hinweg.
Freya sackte zu Boden und japste atemlos. „Das ist Schwerstarbeit.“
„Soll ich dich stützen?“, fragte Makoto besorgt.
„Nein, geht schon. Kümmere dich um die anderen beiden.“
„Mako-kun“, kam es von der Göttin.
Alarmiert wirbelte der Gott herum. Und sah in Ralf Augen, die vor Wut brodelten.
Der Blutstrom aus seiner Schulterwunde versiegte und Makoto glaubte beinahe dabei zusehen zu können, wie die Wunde immer kleiner wurde. Sogar die Blutverkrustete Schmarre auf seiner Lippe, die er bei der Beinaheschlägerei hinter der Kantine davon getragen hatte, war so gut wie verschwunden.
Ralf kam unsicher auf die Beine. Er atmete tief durch. „Jetzt bin ich aber sauer!“
Hinter der Wand klangen wieder Schüsse auf. Schreie, in denen Entsetzen und Zorn klangen, wiesen in die Richtungen, in denen Shawn und Arnim wüteten.
„Phantastisch“, bemerkte Freya begeistert. „Makoto, dein Odem hat ihn vollkommen wieder hergestellt.“
Die Göttin starrte die Wassergesegnete aus weit aufgerissenen Augen an. „Ich habe ihm keinen Odem gegeben…“

Mit jedem weiteren Schritt gewann Ralf sein Gleichgewicht mehr zurück. Er stapfte auf die Wand zu, die Makoto errichtet hatte. „Mach sie auf, Makoto“, sagte er leise. Aber der Zorn in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Dich hat gerade eine verdammte Kugel getroffen!“, brüllte die Göttin. „Wäre es eine Torch gewesen, würden wir jetzt deine Reste aufsammeln. Und du willst wer weiß warum da raus!“
Ralf wandte sich um. Er sah zu den anderen zurück, die unter seinem eisigen Blick zurück wichen. „Dann eben nicht.“
Ralf sprang aus dem Stand und überbrückte die gut drei Meter hohe Mauer aus Erde.
Der männliche Gott starrte dem Gläubigen verwundert hinterher. „Wen haben wir uns da nur ausgesucht…“ Er wollte hinterher eilen, knickte aber in den Knien ein.
Freya war sofort bei ihm und legte beide Hände auf seine Schultern. „Vorsicht, Makoto. Du wurdest gerade sehr schwer verletzt. Übertreib es nicht.“
„Ich weiß selbst, dass ich noch nicht kämpfen kann“, erwiderte er wütend. Wütend über seine Hilflosigkeit. „Ihr beide geht.“
Der Gott sah die Wassergesegnete und seine weibliche Version an. „Ich koordiniere euch.“
Die zwei Frauen tauschten einen kurzen Blick, dann nickten sie bestätigend.
Die Göttin legte ihre Hand auf den Boden. Aus dem Beton wuchs ein Stab in die Höhe, bis er gut zwei Meter hoch und sechs Zentimeter dick war. „Mamas Lieblingstrick“, kommentierte sie. „Mit Stahleinlage.“
Um Freyas Arme sammelte sich der Wasserdampf und kondensierte. Für einen Moment sah es so aus, als umspüle Wasser ihre Arme. Sie nickte entschlossen.
„Gut“, kommentierte der Gott. „Ich höre Schritte von hinten links. Dort sind drei Techniker und eine Wache. Mako-chan, ich will, dass du den Wächter besiegst und die Techniker raus bringst. Erschaffe dafür einen eigenen Ausgang in der Wand.
Arnim und Shawn kämpfen gerade am Ausgang mit sieben oder acht Wächtern. Ralf ist auf dem Weg zum Steuerpult. Er wird Frau Prokovniewa und den anderen helfen wollen – oder sich mit Honda anlegen. Freya, geh ihm zur Hand. Ich versuche, Shawn oder Arnim dazu zu bringen, ihm zu helfen.“
„Wäre es nicht besser, Ralf hier raus zu schaffen? Zur Not gegen seinen Willen?“
Makoto grinste die Eisländerin müde an. „Traust du dir das zu?“
Freya senkte den Kopf. Noch vor einer Stunde wäre ihre Antwort ja gewesen.
„Also dann los, Ihr zwei.“
Freya und die Göttin sprangen zu beiden Seiten davon. Der Erdwall fiel in sich zusammen und die Geräusche der kleinen Schlacht drangen ungedämpft an die Ohren des männlichen Makotos.
Er schloss die Augen. In seiner Vorstellung entstand ein Abbild der Halle mit einer ungefähren Position der Anwesenden.
Plötzlich trat er einen Schritt vor und entging so einer Torch, die ansonsten direkt in seinen Kopf gerauscht wäre.
„Tschuldigung“, klang die Stimme der Göttin auf. „Habe nicht aufgepasst, Mako-kun.“
Ein dumpfer Schmerzenslaut bewies, dass sie das Versäumte nachgeholt hatte.
Makoto grinste schief. Und übernahm das Kommando, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

Natalia Prokovniewa schalt sich nun schon zum achten oder neunten Mal in Gedanken eine Idiotin, seit der Resonator den Gott Makoto geradezu ausgebrannt hatte.
Nebenbei schmerzte sie auch noch die Tatsache, dass sie mit ihrem Verdacht vollkommen daneben gelegen hatte. Ihre Vermutung war gewesen, dass der junge Schneider in Wirklichkeit ein herab gestiegener Gott war.
Dabei war es die ganze Zeit Makoto gewesen, der niedliche, ruhige und stets gut gelaunte junge Mann aus Nihon. Und das Mädchen, welches Ralf so vehement verteidigt hatte.
Wenn man erst mal wusste, dass Makoto ein Gott war, bekam das alles einen tieferen Sinn – vor allem die Tatsache, dass er sein Geschlecht wechseln konnte.
Ein bisschen irritierte sie noch die Tatsache, dass die männliche und die weibliche Version nun anscheinend eigenständige Personen waren. Dank ihres Resonators, wie sie vermutete.
Na Klasse. Und nun steckte sie mitten bei der Generalprobe in einer dicken Nebelsuppe an der Wand der Montagehalle, duckte sich so tief es ging, während die Geräusche von Schüssen, Schmerzensschreie, hastiger Kommandos und dem zornigen Gebrüll von Herrn Direktor Honda die Umgebung füllten.
„Unten bleiben“, befahl Doktor Myers leise und drückte den Kopf der Frau aus Rus wieder an seine Brust. Professor Vaillard lehnte auf ihrem Rücken und flüsterte leise mit dem Doktor.
Bei jedem anderen hätte Natalia vermutet, dass er es genoss, sich so eng an sie drücken zu dürfen, selbst in dieser Situation. Aber nicht beim Professor. Ihm glaubte sie es sofort, dass er sie lediglich mit seinem Körper schützen wollte. Deshalb jagte es ihr jedes Mal einen Riesenschrecken ein, wenn wieder ein Ruck durch den Körper des Professors ging.
Oder durch Norton. Norton, der sie an sich drückte. Der seinen Kopf auf ihren gelegt hatte, um sie besser beschützen zu können. Oder um besser mit dem Professor flüstern zu können.
Trotz der Lebensgefahr, in der sie alle schwebten, in der sie drei waren und die siebzehn Techniker und Helfer in der Halle, fühlte Natalia eine gewisse, tiefe Euphorie, die sie berauschte, begeisterte. Sie hatte so etwas bereits gefühlt, aber nie in dieser Intensität. Wieder versuchte sie den Kopf zu heben, und wieder drückte Norton Myers sie sanft, aber mit Nachdruck wieder nach unten.

Aus den Augenwinkeln sah sie eine bewaffnete Gestalt auf sie zu kommen. Das musste einer der Nihon-Wächter sein, die Honda mitgebracht hatte. Er hob die Hand mit der Waffe, zielte…
Und sah ungläubig, wie die Hand mit der Pistole von einem Schwall Wasser umgeben wurde. Als das Wasser zu Eis verhärtete, schrie er auf.
Aus dem Dunst schälte sich die junge Eisländerin Freya Helensdottir. Von ihrer linken Hand ging ein Schwall Wasser aus, der sich auf halber Strecke in Eis verwandelte und die Waffenhand der Wache umschloss. „Na, wer wird denn gleich? Auf Unschuldige schießen, das haben wir gerne.“
Sie wandte sich nach hinten, während sie den Eispanzer um die Hand wieder löste – aber nicht um die Waffe, die den tauben Fingern des Nihon-Mannes entglitt und auf dem Boden zersprang, als wäre sie aus Glas. „Ich bin da, Ralf, Arnim. Ihr könnt loslegen.“
Etwas hinter ihr klang lauter Lärm auf. Sie seufzte. „Männer. Müssen immer übertreiben.“
Freya beugte sich vor. „Kommen Sie, Frau Prokovniewa, Professor Vaillard. Doktor Myers. Ich bringe Sie jetzt hier heraus.“

Wieder hob Natalia den Kopf, und diesmal ließ Norton es zu. Sie sah erleichtert zu Freya hoch und erkannte, dass die junge Frau eine Gesegnete war. Eine Gesegnete mit einer Macht, die Natalia tief erschütterte.
Andererseits trug der Schemen, der sich der Eisländerin von hinten näherte und sie zu umschließen drohte, einiges zu der Erschütterung bei.
Das war doch Ibran, der Dämon, der so vehement an der Vernichtung eines Gottes gearbeitet hatte. Was wollte er? Die Gesegnete verschließen, umschlingen?
Bevor Natalia eine Warnung ausstoßen konnte, machte der Schemen einen Satz nach vorne!
Und erstarrte, als direkt vor ihm drei hauchdünne Klingen in der Luft zitterten.
Freya verzog missbilligend den Mund. „Den hätte ich auch alleine geschafft, Shawn“, beschwerte sie sich.
Der Native American schmunzelte. „Daran zweifle ich nicht. Aber ich habe etwas gegen Typen, die sich einer Dame von hinten nähern, um sie zu verschlingen und ihre Lebensenergie zu absorbieren.“
„Dame?“, erklang Arnims amüsierte Stimme irgendwo aus dem Nebel. „Meinst du damit etwa Freya?“
„Dir helfe ich gleich“, rief die Eisländerin drohend über ihre Schulter.
Als sie sich wieder den drei Menschen zuwandte, lächelte sie freundlich. „Wollen wir dann? Shawn deckt unseren Rückzug.“
„Wartet. Was ist mit den anderen hier in der Halle? Es sind doch noch…“
„Bis auf neun Nihon-Wächter und Honda sind entweder alle besiegt oder aus der Halle evakuiert“, beruhigte Shawn die Dozentin. „Sie haben wir uns bis zuletzt aufgespart.“
„Langer Rede kurzer Sinn“, rief Norton Myers gedämpft, „auf und raus hier.“ Er riss Natalia mit hoch, half auch dem Professor auf die alten Beine und zog sie beide hinter sich her, durch den dicken Nebel zum Ausgang.

Shawn sah ihnen nur für eine Sekunde nach. Diese Zeit reichte aber dem Dämon, um sich zu befreien. Mit einem Satz verschwand er in der Nebelwand.
„Löse den Nebel auf, Freya, sofort!“, hörten sie den männlichen Makoto rufen.
Freya reagierte augenblicklich. Bei der routinierten Stimme gab es kein Zögern für sie.
Der Nebel verflüchtigte sich, als wäre er nur ein düsterer Traum gewesen.
Und man sah wieder die anderen.
Makoto – der zum Menschen degradierte Mann – hockte auf den Resten der Erdscholle, mit der sie zu dieser Halle aufgebrochen waren.
Arnim tauschte ein paar Tritte und Hiebe mit einem Nihon-Wächter aus, der ihm anscheinend ernsthaft Paroli bieten konnte.
Shawn flitzte durch die Halle, um den Dämonen wieder zu finden. Das tat er mit einer Geschwindigkeit, für die selbst sein Gesegnetenstatus nur eine unzureichende Erklärung war.
Makoto – die Göttin – stand in der hinteren Ecke und hielt einen Wachmann am ausgestreckten linken Arm, während sie mit dem Stab in ihrer Rechten einen anderen zu Boden drückte.
Und Ralf… Vor Ralf lagen vier bewusstlose Wachen. Bei zweien standen die Körperteile derart extrem ab, dass man annehmen musste, sie waren gebrochen worden.
Diese Erkenntnis schockierte die Eisländerin. Auch wenn sie seit Jahren zur Gesegneten ausgebildet worden war, auch wenn sie auf Kampfsituationen ebenso vorbereitet worden war wie auf die Organisation Großangelegter Rettungseinsätze, brutale Gewalt zu sehen war für sie immer noch schrecklich.
Das Schlimme hierbei aber war, sie konnte Ralf verstehen. Sie versuchte nachzuempfinden, wie sehr der Treffer in der Schulter geschmerzt haben mochte – oder die Möglichkeit, Makoto nie wieder zu sehen. Aber sie vermochte es nicht.
„Ist es vorbei?“, rief die Göttin aus dem hinteren Bereich der Halle, verpasste dem am Boden liegenden Wächter einen Stoß mit dem Stab, der ihn betäubte, ließ den anderen herunter und schleifte ihn am Kragen hinter sich her, während sie zum U-förmigen Steuerpult der Anlage kam.
Ralf starrte währenddessen wütend zu Boden. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, und sein Körper war in Richtung des Nihon-Geschäftsmanns ausgerichtet. Die Schulterwunde war mittlerweile vollkommen verheilt. Aber Freya machte sich ernsthafte Sorgen um den jungen Studenten, als Spannungsblitze über seine Schultern und seinen Kopf rasten. Da war jemand wirklich sauer.
„Willst du den behalten?“, fragte Arnim in Makotos Richtung, während er einen direkten Treffer bei seinem Gegner landete.
Die Göttin sah den Kendo-Sportler erstaunt an, sah dann zu dem Wachmann herab, den sie hinter sich her schliff und lächelte verlegen. „Tschuldigung. Natürlich nicht. Ich war nur in Gedanken.“ Sie sah in die Runde, ließ die Jacke des Wächters los und atmete befreit auf. „Damit haben wir es wohl geschafft.“
„Haben wir nicht“, erwiderte Ralf und sah auf, dem Nihon-Geschäftsmann direkt in die Augen. „Noch lange nicht.“
Freya fiel in diesem Moment eine alte Phrase ein. Wenn Blicke töten könnten, dann wären von Herrn Honda in diesem Moment nur noch die Schuhe übrig geblieben.
Der Mann aus Nihon schien das sehr genau zu wissen, denn er zückte erneut seine Pistole und befahl seine letzten beiden Wächter zum Angriff.
Ralf grinste wölfisch. Eine entsetzliche Grimasse, fand die Eisländerin.
Er unterlief den Angriff der Wächter, versetzte jedem von ihnen einen direkten Treffer in die Magengrube und fand auch noch Zeit, mit dem Kopf einem Schuss auszuweichen, den Honda auf ihn abgab. Ralf ließ von seinen beiden Gegnern ab und ging auf den Mann aus Nihon zu.
Der feuerte erneut, doch Ralf wich wieder aus.
Noch ein Schuss, und es war reine Verschwendung.
„Halt still, verdammt!“, blaffte Honda ängstlich, wütend, irritiert.
Ralf tat ihm den Gefallen.
Honda reagierte ohne nach zu denken und feuerte erneut.

Doch Ralf stand nicht mehr da, wohin der Nihon-jin gezielt hatte. Der junge Schneider tauchte direkt vor Honda auf, riss einen Arm hoch und hielt die Waffe seines Gegners in der Hand.
Es krachte laut, und der Lauf zerbrach in kleine Bruchstücke.
Ralf grinste seinen Gegenüber an. „Jetzt ist es vorbei.“
„Du wirst doch nicht…“, kam es von der Göttin, „Ralf, du…“
„Er ist Schuld“, rief Ralf mit mühsam unterdrückter Wut in der Stimme. „Er hat dafür gesorgt, dass du auseinander gerissen wurdest, Makoto. Er hat dafür gesorgt, dass ein Teil von dir nun nur noch ein Mensch ist, Makoto! Er wollte dich töten!“
Ein irres Gleißen trat in die Augen des jungen Mannes, als er den rechten Arm nach hinten nahm. „Dafür wird er nun bezahlen!“
Ralf schlug zu, der Mann aus Nihon schrie entsetzt auf.
Der Gott hob nicht einmal die Arme zur Abwehr, als er genau zwischen den Geschäftsmann und seinen Gläubigen trat. Er vertraute Ralf vollkommen, und wurde dafür belohnt, als dieser seinen Angriff sofort einstellte.
„Nein, Ralf“, stellte der männliche Makoto entschlossen fest. „Nein. Töte ihn nicht.“
„Er hat es verdient. Verdammt, er hat es verdient!“, blaffte Ralf wütend.
„Ja, das hat er. Er hat nicht nur versucht, mich zu töten, er hat auch seinen Glauben und den gesamten Erdclan verraten. Er sieht in Geld eine Machtquelle und benutzt sie nach seinem eigenen Gutdünken. Sein Plan, einen Gott zu töten, ist darüber hinaus blanker Wahnsinn, weil er zwangsläufig einen Krieg auslösen würde, einen Krieg, den weder Menschen noch Götter gewinnen könnten. Es wäre für alle eine Erleichterung, wenn er sterben würde.“
Makoto trat vor, griff seinem Gläubigen in den Nacken und drückte Ralfs Kopf auf seine Schulter. „Aber er wird nicht durch dich sterben. Und er wird nicht heute sterben. Er ist es nicht wert, durch deine Hand zu sterben, mein Gläubiger. Das wäre eine viel zu große Ehre für ihn.“
„Makoto“, flüsterte Ralf und brach in Tränen aus. „Ich war bereit dazu.“
„Ich weiß, mein Gläubiger. Aber du hast heute schon genug getan. Du hast mein Leben gerettet. Du hast meinen Verstand gerettet. Um den Rest kümmere ich mich.“
Makoto wirbelte herum und platzierte einen Tritt auf dem Bauch des Geschäftsmanns.
Der Stoß war so hart, dass er von den Beinen gehoben und gegen die Wand geworfen wurde. Dort sackte er in sich zusammen und blieb benommen liegen.

Makoto betrachtete den Mann einige Zeit. Dann schüttelte er den Kopf. „In einem Punkt irrst du, Ralf. Es ist doch noch nicht vorbei.“
Der Gott sah zu Shawn herüber, der noch immer auf der Suche nach Ibran war. „Wir müssen erst diesen Dämonen finden.“
Makoto nickte seiner weiblichen Hälfte und Freya zu, die sofort los liefen, um den Native American zu unterstützen.
„Und was mache ich?“, fragte Arnim.
„Deine Fähigkeiten als Gesegneter sind noch zu ungeübt“, sagte Makoto leise. „Übernimm dich nicht und haushalte mit deinen Kräften. Vielleicht werden wir sie noch bitter brauchen.“
Als hätte er mit diesen Worten ein Signal gegeben, begannen die Generatoren wieder zu laufen. Ihr Arbeitsgeräusch steigerte sich schnell zu einem Crescendo und ließ das Schlimmste befürchten.
„Er ist im Resonator!“, blaffte Shawn und sprang auf die gigantische Maschine.
Er prallte gegen eine unsichtbare Wand und wurde reflektiert, stark genug, um einige Meter weit zu fliegen.
Arnim sprang hinzu und fing den American Native auf.
Shawn befreite sich hastig und lief wieder zur gigantischen Göttersuchermaschine, als die Luft zu flimmern begann und erahnen ließ, wo die Wand verlief, gegen die der Native gesprungen war.
Die Göttin versuchte das Feld mit einer Hand zu durchdringen, zog sie aber sofort wieder mit einem Schmerzensschrei zurück. „Autsch. Geladen“, kommentierte sie und hielt sich die geschundene Rechte.
„Der Computer, Arnim“, befahl der Gott.
Der Feuergesegnete reagierte sofort. Er ließ das Flammenschwert wieder entstehen und sprang in Richtung des Steuerpults. Dort ließ er die Klinge nieder gehen und halbierte den Steuercomputer.
„Die Generatoren laufen immer noch“, stellte Makoto trocken fest. „Ibran muß einen zweiten, einen dritten Plan gehabt haben.“
„Und ich wette, Plan drei wird uns nicht gefallen“, erwiderte Ralf trocken.
Der Resonator begann zu flackern und wurde teilweise durchsichtig. Zugleich dehnte sich die Schutzsphäre aus. Inmitten des Resonators konnte man deutlich Ibran in seiner Schattengestalt erkennen. Und vor ihm schwebte ein Laptop, mit dem er zweifellos die Generatoren und den Resonator steuerte. An dem portablen Computer glomm ein helles Juwel.
„Bei Trema“, hauchte die Göttin, „das ist Inissars Auge. Wie kommt ein Dämon an ein magisches Artefakt des Feuerclans?“
Shawn nahm erneut Anlauf, versuchte die Mauer zu durchbrechen, wurde aber wieder davon geschleudert. Diesmal drehte er sich im Sturz und landete sicher auf den Beinen. „Keine Chance“, keuchte er. „Ich schlage vor, wir nehmen so viele Wächter mit wie möglich und verschwinden hier.“
„Das ist eine gute Idee“, sagte Makoto. „Rückzug!“
Die anderen drei wollten den Gedanken in die Tat umsetzen. Doch Freya bemerkte die Veränderung als Erste. „Meine Aura. Ich habe sie doch gar nicht…“
Auch die Auren der anderen Gesegneten und der Göttin begannen nun aufzuleuchten und mit jedem Moment heller zu werden.
„Nicht schon wieder“, keuchte Arnim und brach in den Knien ein. Er begann eine so große Hitze zu entwickeln, dass die Betonfarbe auf dem Boden abblätterte.
Der Dämon lachte bei diesem Anblick. „So hatte ich mir das nicht vorgestellt, zugegeben. Aber es ist immer noch besser, als besiegt zu werden. Sterbt, Gesegnete!“
Makoto sah seine weibliche Hälfte ebenfalls zu Boden sinken. Er warf Ralf einen Blick zu. „Du spürst nichts?“
„Nein, ich bin kein Gesegneter und kein Gott. Und du?“
„Ich wurde zum Menschen reduziert. Nutzen wir unsere Chance und schaffen wir die anderen heraus, Ralf.“
Eine Druckwelle fegte durch die Halle, gefolgt von Wellen, die durch den Boden schlugen, als wäre es Wasser, in das ein Stein gefallen war. Zugleich wurde es immer heißer und im Hintergrund der Halle gab die Toilette spektakulär mit einer Explosion ihren Geist auf.
„Leichter gesagt als getan“, stellte Ralf fest und sah sich um. „Die Generatoren zu vernichten dürfte auch zu spät kommen.“
„Gut erkannt, Ralf“, ließ sich der Dämon genüsslich vernehmen. „Die Auren werden die vier Gesegneten zerreißen. Der frei gesetzte Odem wird diese Halle und die umstehenden Gebäude einebnen. Ihr beide könnt auch nicht entkommen.“
Ralf knurrte böse. „Damit kommst du nicht durch!“ Er wollte los laufen, aber etwas hielt ihn an der Hose fest.
Ralf sah hinab und erkannte einen der beiden Nihon-Wächter, die bis zuletzt Widerstand geleistet hatten. „Warte, Ralf-san“, ächzte der Mann mühsam. „Versuch es hiermit.“
Einen Moment zögerte der Klingburger, dann nahm er das Angebot des Nihon-Wächters an und nahm dessen Torch-Pistole entgegen.

Sofort feuerte er eine Serie aus drei Schüssen auf den Dämon. Der Rückschlag riss ihm beide Hände hoch.
Die erste Torch riss den Schirm auf, die zweite drang durch und traf den Schemen, die dritte blieb aber schon wieder in der sich erneut aufbauenden unsichtbaren Wand hängen.
Ibran fluchte zornig. „Das nützt dir auch nichts mehr, Gläubiger. Mein Tod hier ist sowieso geplant.“
„Mist. Noch eine Torch drin. So klappt das nicht.“
Makoto starrte seinen Gläubigen an. „Torches sind mit Odemspuren angereicherte Projektile, richtig?“
„Nett, dass du kurz vor unserem Tod noch etwas lernen willst. Ja, sind sie.“
„Gut. Freya, Arnim, Mako-chan, Shawn! Seht zu Ralf herüber!”
Die erste, die Kraft dafür aufbrachte, war die Göttin. Ihre Augen fixierten den Gläubigen, und ihre mittlerweile stark angewachsene Aura strömte teilweise auf Ralf zu.
Freya und Shawn blickten gleichzeitig herüber, mit einem ähnlichen Effekt. Nur Arnim schrie vor Schmerz und Angst.
„Arnim! Verdammt, dämlicher Sportler!“, blaffte Ralf wütend, der nicht genau verstand, was Makoto vorhatte, aber wusste, dass es ohne den Feuergesegneten scheitern musste.
„Ruhig, Ralf. Konzentriere dich auf die letzte Torch. Und suche dir ein gutes Ziel.“
„Zu spät. In ein paar Sekunden waren wir alle einmal“, höhnte der Dämon.

Dann geschah alles wie auf einen Schlag. Arnim schaffte es doch, Ralf zu fixieren, seine mittlerweile stark vergrößerte Aura schlug regelrecht nach ihm und verbrannte die Haut auf dessen Händen.
Die Haare des jungen Studenten wurden wie von einem starken Wind nach oben getrieben, Blitze aus verschiedenen Farben huschten über seinen Körper, tanzten über seine Arme und auch über die Waffe.
Ralf feuerte die letzte Torch.
Danach wurde alles gleißend hell.


2.
Der Raum war hell erleuchtet. Das Tageslicht drang durch große Fenster herein und beschien den weitläufigen Parkettfußboden. Die Wände waren weiß getüncht und schmucklos. Draußen auf der Straße fuhr eine Kutsche über das Pflaster.
Ralf legte den Kopf in den Nacken und sah hoch. Vor ihm stand sein Vater. Sein großer, mächtiger Vater.
Thomas lächelte zu dem kleinen Mann herab. „Da du heute sechs geworden bist, mein großer Junge, wollen wir etwas Neues probieren. Gib mir deine Hand.“
Gehorsam streckte der Junge die Rechte aus. Thomas ergriff sie und zeigte dem Jungen ein kleines Messer. „Es wird nicht sofort wehtun. Erst nach einiger Zeit, weil die Klinge sehr scharf ist. Aber ich mache nur einen kleinen Schnitt. Hast du verstanden, Ralf?“
Der kleine Junge nickte tapfer.
Seltsam, der Schnitt tat wirklich nicht weh. Nicht einmal, als Blut aus dem Finger austrat, spürte er Schmerzen.
„Und jetzt konzentriere dich auf die Wunde. Sag ihr, sie soll wieder zuwachsen.“ Aufmunternd nickte Thomas seinem Sohn zu.
Ralf versuchte es und fixierte den kleinen, blutenden Schnitt.
Fasziniert beobachtete er, wie ein Blutstropfen um den Finger herum lief und zu Boden tropfte. Aber die Wunde wuchs nicht wieder zu.
Lautlos trat eine große Frau mit langem, schwarzem Haar zu ihnen. Sie trug ein bodenlanges, dunkles Kleid. „Er ist noch nicht soweit, Thomas“, sagte sie.
„Vielleicht hat er es auch nicht“, erwiderte Ralfs Vater nachdenklich.
Ralf wusste nicht, was dieses es war, aber irgendwie schien dieses es wichtig zu sein. Er wollte seinen Vater nicht enttäuschen und konzentrierte sich noch mehr. Aber anstatt zuzuwachsen begann der Schnitt nun doch zu schmerzen. Ralf ignorierte es, so gut es ging, aber ihm standen bald Tränen in den Augen.
Die Frau hockte sich vor ihn und sah ihm freundlich in die Augen. „Du bist noch nicht soweit, kleiner Mann.“ Sie nahm seine rechte Hand und wischte sie mit ihrem Taschentuch sauber. Danach hauchte sie kurz darauf, und die Wunde begann sich zu schließen. Sie hörte auf zu bluten.
Ralf beäugte die Hand misstrauisch und stellte fest: „Das war ich aber nicht. Vater, habe ich es nicht? Ist das schlimm?“
„Er ist ein aufgeweckter Junge“, sagte die Frau und erhob sich wieder. „Egal, ob er es hat oder nicht, du kannst stolz auf ihn sein.“
Thomas legte eine Hand auf Ralfs Kopf und brachte sie unter lautem Protest seines Sohnes nachhaltig durcheinander. „Das bin ich.“

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Als Ralf Schneider erwachte, da war es warm. Er lag weich und fühlte sich behaglich. Langsam öffnete der Gläubige die Augen. Über ihm war die Decke seines Zimmers. Nicht das von Zuhause. Er lag in seinem Bett in der Wohngemeinschaft.
Langsam drehte Ralf den Kopf. Neben ihm lag die Göttin Makoto und schlief. Allerdings lag sie auf der Decke und trug normale Bekleidung. Ihr Schlaf war unruhig. „Ralf“, hauchte sie und wälzte sich. „Ralf, stirb nicht…“
Der Gläubige zog einen Arm unter der Decke hervor und streichelte sanft das Gesicht seiner Göttin. Sie beruhigte sich sofort wieder und rollte sich neben ihm zusammen.
„Süß, nicht wahr?“, kommentierte der männliche Gott leise.
Ralf sah zum Tisch herüber. Dort saß Makoto und musterte die beiden.
„Sie hat hier gesessen, seit wir dich ins Bett verfrachtet haben, Ralf. Sie ist über vierzig Stunden wach geblieben. Als sie dann zum sechsten Mal vom Stuhl gefallen ist, habe ich sie neben dich gelegt. Wenn ich versucht habe, sie woanders schlafen zu legen, ist sie immer wieder aufgewacht und wieder hier her gekommen.“
Ralf schluckte hart. Seine Kehle war rau und trocken. „Wie lange habe ich genau geschlafen?“
Makoto dachte kurz nach. „Fünfzig Stunden ohne Unterbrechung. Du willst jetzt sicher als Erstes auf Toilette, oder?“
„Gute Idee“, kommentierte der junge Schneider und versuchte, unter der Bettdecke hervor zu kommen, ohne die Göttin in ihrem Schlaf zu stören.

Ralf erhob sich, kletterte über seine Göttin hinweg und verharrte direkt über ihr. Ihre Wangen hatten sich gerötet, aber sie lächelte selig.
„Sie sieht so friedlich aus“, kommentierte Makoto leise. „Man kann kaum glauben, dass dies meine Kampfgestalt ist, was?“ Der Gott legte eine Rechte an seine Schläfe und knurrte, als hätte er Kopfschmerzen. „Entschuldige, Ralf, ich habe die Trennung noch nicht verdaut. Ich habe selbst einen ganzen Tag geschlafen, nachdem es vorbei war.
Hier, zieh das an.“
Ralf kletterte aus dem Bett und nahm die Sportshorts entgegen, die sein Gott ihm reichte. Er bemerkte erst jetzt, dass er bis auf seine Unterhose nackt war.
„Wir wollen die Damen ja nicht unnötig aufregen, was?“, kommentierte Makoto amüsiert.
Ralf nickte, während er die Shorts überzog. Danach zog er das Shirt an, welches sein Gott ihm reichte.
Gemeinsam verließen sie das Zimmer. Ralf sah noch einmal zurück, betrachtete die schlafende Göttin. Sie sah so unglaublich süß aus. Selbst als sie gedankenverloren diesen Nihon-Wächter hinter sich her geschleift hatte, den sie beim Kampf in der Halle besiegt hatte, war sie irgendwie süß gewesen.

Er riss sich los, folgte seinem Gott auf den Gang und verschwand in der Toilette. Durch die Tür unterhielt er sich mit seinem Gott. „Erzähl mir, was passiert ist.“
Ein dumpfer Laut erklang, als sich Makoto gegen die Flurwand lehnte. „Nachdem du die Torch abgeschossen hast, wurde der Laptop zerstört und das magische Artefakt wurde Ibran aus der Hand gerissen. Der Dämon selbst wurde von der Wucht der Odemexplosion zerrissen. Selbst wenn er das überlebt hat, wird er Jahre benötigen, um überhaupt seinen Schatten zu sammeln.
Du bist noch während du abgedrückt hast, zusammen gebrochen. Aber ich nehme an, die Explosion hast du noch gesehen?“
„Ja. Was war das eigentlich?“
„Hm. Das ist schwer zu erklären. Als wir gekämpft haben, da hatte ich plötzlich eine Idee, eine tiefere Eingebung. Es begann, als ich erkannte, dass die Macht meiner weiblichen Hälfte auf die einer Gesegneten reduziert worden war.
Damit hatten wir, wenn du es so willst, einen Gesegneten jedes Clans in der Halle.
Es gibt eine Legende unter den Göttern. Eine alte Legende, die gewiss Jahrtausende alt ist. Nach dieser Legende wurde die letzte Schlacht gegen die Dämonen von vier Göttern geführt. Und einem Menschen.“
„Was?“ Ralf stockte erschrocken und hätte beinahe die Toilette verfehlt. „Vielleicht sollte ich mich doch besser setzen…“
„Was meinst du, Ralf?“
„Schon gut. Erzähl weiter. Ein Mensch und vier Götter, ja?“
„Nun, die Götter stammten aus allen vier Clans. Es waren die damaligen Herren ihrer Clans. Callio vom Feuer, Desvegan vom Wasser, Tarima von der Erde und Siaog von der Luft. Der Mensch, der mit ihnen kämpfte, war der stärkste Mensch, der damals auf der Erde lebte. Er war ein Gesegneter jedes einzelnen Clans. Klingt sehr unglaubwürdig, was?
Jedenfalls, dieser Mensch war für die vier Götter eine Art Mittelpunkt. Ein Fokus, in dem all ihre Kraft gebündelt wurde. Und mit dieser gebündelten Kraft, vom Menschen konzentriert und eingesetzt, haben die Götter die Dämonen letztendlich besiegt und ihre Überlebenden auf die Mittlere Ebene verbannt.“
„Ich verstehe nicht ganz, was das mit mir zu tun hat. Glaubst du etwa, ich wäre auch ein Fokus?“
„Mittlerweile denke ich da ernsthaft dran. Aber damals waren meine Gedanken eigentlich auf die Torch ausgerichtet. Torch-Patronen sind mit Odemspuren angereichert, also Materie, die von Odem getroffen und verändert wurde.
Ich dachte mir, dass diese Odemspuren vielleicht richtigen Odem binden konnten.
Wenn du so willst, ich habe geraten. Die Waffe hat wirklich den Odem aller vier Gesegneten aufgenommen und als geballten Schuss abgegeben.
Inwieweit du dabei eine Rolle gespielt hast, weiß ich nicht. Aber du könntest ein Fokus sein. Ich werde das im Auge behalten, Ralf.“
Der Gläubige schüttelte den Kopf, während er spülte. Am Waschbecken schaufelte er sich mehrere Hände Wasser ins Gesicht. „Weiter. Ich habe also eine Torch abgeschossen, die gebündelten Odem aller vier Gesegneten enthielt. Das hat den Laptop vernichtet, das Artefakt fortgeschleudert und Ibran fertig gemacht. Danach bin ich ohnmächtig geworden.“
„Ah, ja. Es passierte einige Zeit nichts. Doktor Myers kam nach zehn oder elf Minuten wieder herein. Er hat uns einen nach dem anderen aus der Halle geholt, bevor sie kamen.“
„Sie?“ Ralf stutzte. „Wer ist sie?“
„Sie, das ist diese Spezialeinheit der Polizei, die schon mal auf dem Campus unterwegs waren. Diese HELIOS-Truppe. Man könnte meinen, sie hätten sich wirklich Zeit gelassen. Aber wenn man bedenkt, dass es von meiner Abspaltung von meiner weiblichen Hälfte bis zu deinem Schuss nicht einmal fünfzehn Minuten vergangen waren, relativiert sich das wieder.“
„Hm“, brummte Ralf in ein weiches Handtuch. „Weiter.“
„Nun, Norton – wir sollen ihn ab jetzt duzen, hat er gesagt – hat uns vorher aus der Halle geschafft. Uns und zwei der Nihon-Wächter. Unter ihnen auch den, der dir die Waffe mit der Torch gegeben hat. Das Ding ist dir übrigens in der Hand explodiert. Eigentlich hast du dabei drei Finger der rechten Hand verloren, aber die Wunden haben sich fast sofort geschlossen und die Finger sind in den letzten beiden Tagen nachgewachsen.“
Verwundert betrachtete Ralf seine Finger. Mit ihnen schien alles in Ordnung zu sein. Gerade mit denen der rechten Hand.
„Das war übrigens das Gleiche wie mit deiner Schulter. Direktor Honda hat dich mit einer Kugel verletzt, aber die Wunde ist zugewachsen, ohne dass dir einer der Gesegneten Odem gegeben hat. Falls du dich daran erinnerst.“
Unwillkürlich tastete Ralf nach der Schulter. Richtig. Er hatte ihr befohlen zu heilen. Wie er es gelernt hatte, damals als…
Ralf sackte in die Knie und presste sich beide Hände gegen die Schläfen. Er stöhnte unterdrückt auf. „Geh weg. Geh weg, Geh weg. Ich will nicht. Ich darf nicht. Ich will nicht. Geh weg“, murmelte er wie ein Mantra vor sich hin, bis die Kopfschmerzen nach ließen.
„Geht es dir gut, Ralf?“
„Fürchterliche Kopfschmerzen, Makoto. Fürchterliche Kopfschmerzen.“ Ralf öffnete die Tür und wankte auf den Flur. Aber mit jedem Schritt ging es ihm besser.
„Jedenfalls“, setzte der Gott seinen Gedanken fort, „haben die HELIOS-Polizisten die ganze Halle auseinander genommen, Teile der Generatoren abgebaut und mitgenommen und die Reste der Computer requiriert. Auch die des Laptops aus der Maschine.
Sie haben auch die Nihon-Leute verhaftet.
Norton hat uns übrigens gedeckt und nichts über uns erzählt.
Die HELIOS-Leute ahnen was, da bin ich mir sicher. Aber auch die Assistenten und Techniker haben nichts verraten, obwohl sie alle verhört wurden. Zumindest soweit ich weiß.“

Ralf nickte knapp. „Und was ist mit dir? Mit dir und Mako-chan, meine ich?“
Der Gott sah betreten zu Boden. „Mutter hat sich angekündigt. Sie hat Honda aus dem Erdclan ausgeschlossen und dabei alles erfahren. Weit mehr als HELIOS, fürchte ich.
Sie weiß, dass ich aufgespaltet wurde. Vielleicht hat sie eine Idee, wie wir es wieder rückgängig machen können. So als Mensch nütze ich ja nicht viel.“
Ralf klopfte seinem Gott auf die Schulter. „Die Maschine hat dir vielleicht deine Göttlichkeit weg gebrannt. Aber sie hat dir nicht deinen messerscharfen Verstand genommen. Wenn ich mich richtig erinnere, warst du es, der uns während des Kampfes koordiniert hat. Und es war deine Idee, dass die anderen mir ihren Odem geben sollten.
Du warst unser Gehirn, wenn du so willst. Das kann dir niemand nehmen. Und das bist du auch, ohne ein Gott zu sein.“
Makoto legte nun ebenfalls eine Hand auf Ralfs Schulter. „Danke, mein Freund.“

„Oh, du bist wach, Ralf“, erklang es fröhlich von unten. Jean kam die Treppe herauf gerannt. „Das ist gut. Ihr habt ja einen ganz schönen Radau gemacht, drüben beim Resonator. Wir mussten alle gemeinsam auf Markus einreden, damit er euch Gesegnete und unseren aufgeteilten Gott in seinen berüchtigten Artikeln außen vor ließ.“
Ralf starrte den Jungen aus Terre de France erstaunt an.
„Ach“, meinte Jean und machte eine wegwerfende Handbewegung, „ich finde es ganz gut, dass Ihr die Wahrheit nun nicht mehr zu verheimlichen versucht. War zwar ganz lustig euch dabei zuzusehen. Aber es macht doch mehr Spaß, einige Dinge ansprechen zu können.“
„Du hast es gewusst?“, fragte Ralf erstaunt.
Wieder machte Jean eine wegwerfende Handbewegung. „Hey, wenn hier zwei Gesegnete einziehen und dann noch ein Gott dazu kommt, das fällt doch auf.“
„Nun tu nicht so überlegen“, kommentierte Makoto grinsend. „Markus hat die anderen aufgeklärt, als wir vom Kampf zurückkamen. Ich weiß nicht woher er die Wahrheit weiß. Aber Jean hat bis dahin sicher nichts geahnt.“
Jean wurde rot. „Habe ich doch. Ich habe nur nichts gesagt.“
Seine große Schwester Katy stand plötzlich neben ihm und gab ihm eine deftige Kopfnuss. „Nun pack mal dein Ego wieder ein. Ich habe auch nichts geahnt und gebe es offen zu!“, rief sie böse.
Jean rieb sich den schmerzenden Schädel. „Autsch. Musst du gleich so brutal sein?“
„Hör zu, kleiner Bruder. Du hast vielleicht einen Intelligenzquotienten von hundertdreißig, aber deswegen muß man dir manche Sachen trotzdem einprügeln.“
„Isjaschongut“, erwiderte Jean kleinlaut. „Ich helfe dann mal bei den Vorbereitungen. Ist ja nicht so, dass jeden Tag eine Göttin vorbei kommt.“ Er zwinkerte den anderen zu.
„Auch das weißt du nur, weil Markus es uns verraten hat!“, rief Katy böse.
Entsetzt, und um weiteren harschen Bestrafungen auszuweichen, raste Jean die Treppe hinab. „Bin weg!“

Ralf starrte dem Jungen hinterher und kicherte leise. „Da haben wir uns solche Mühe gegeben, und dann verrät Markus einfach alles. Ist das fies.“
Katy lächelte dünn. „Mit zwei Makotos wärt Ihr auf jeden Fall irgendwann in Erklärungsnotstand geraten, Ralf.“
„Zugegeben“, kommentierte der Gott.
Katy kniff dem Gläubigen prüfend in die Seite. „Hast abgenommen. Stehst aber schon wieder ganz gut auf den Beinen, Ralf. Arnim, Freya und Shawn haben die letzten beiden Tage damit zugebracht zu futtern wie die Mähdrescher. Du musst auch einen gewaltigen Hunger haben, hm?“
„Jetzt wo du es sagst“, brummte Ralf leise und hörte seinen Magen knurren.
Katy lächelte wissend. „Na dann mal ab in die Küche. Du auch, Mako-kun.“
„Mako-kun?“ Ralf zog die Augenbrauen hoch.
„Na, wir können sie ja nicht beide Makoto nennen. Deswegen hat Mako-kun vorgeschlagen, dass wir uns an den Nihon orientieren. Dort hängen sie an die Namen der Männer, mit denen sie befreundet sind, ein kun an. Und bei den Frauen kommt ein chan hinter.
Ich finde, das ist eine gute Lösung.“
„Also Makoto-kun und Makoto-chan“, sinnierte Ralf leise.
„Kürz ruhig auf Mako ab. Ich hasse lange Namen“, sagte der Gott leise.
„Na, dann haben wir ja endlich etwas gefunden, was du nicht sofort magst, mein Gott.“
„Stimmt“, kommentierte Makoto und lachte.
**
Nach dem Essen flegelte sich Ralf auf die große Couch im Fernsehzimmer. Auch wenn er es nicht zugab, aber weder die zwei Tage Tiefschlaf noch der Kampf hatten ihm wirklich gut getan. Sein Appetit war gewaltig gewesen, wie Katy vorhergesagt hatte. Und darauf folgte eine Trägheit, eine Mattigkeit, die wohl nur ein Bauch vermitteln konnte, der bis knapp unter die Schmerzgrenze gefüllt war.
Ralf hatte den Fernseher angemacht und schaltete sich durch die Programme.
Er stutzte, als er in einem Programm Markus Holt erkannte. Ihren Markus Holt, den dicklichen, großen Markus Holt. Eine Reporterin interviewte ihn mit dem Campus der Staatlichen Klingburg-Universität im Hintergrund. Natürlich ging es um die Geschehnisse in der Halle, aber das interessierte Ralf nur nebenbei. Viel wichtiger erschien ihm, wie ernst und sachlich der Redakteur des Cyanid, der Studentenzeitung, war. Wie ruhig und gelassen er Fakten aufzählte, Spekulationen als solche abtat und letztendlich zu dem Fazit kam, dass alle Geschehnisse in der Halle aufgrund der Aktivität von Gesegneten zustande gekommen waren.
Woher wusste er das alles? Und was noch viel wichtiger war, warum blieb der Sensationsheischende Student bei dieser Chance seines Lebens nur so ruhig? Hätte Markus einen Artikel zu den Vorkommnissen geschrieben – und Ralf war sich nicht so sicher, dass er das nicht auch getan hatte – wäre das Geschehen nicht unter versuchtem Völkermord davon gekommen.
Ralf grinste schief. Das kam der Wahrheit bedenklich nahe.
Wenn die Tatsache an die Öffentlichkeit kam, dass der Resonator auch als Waffe gegen die Götter verwendet werden konnte – auch wenn er zur Zeit alles war, nur nicht intakt und betriebsbereit – dann würde eine Beschwerde der Gläubigengemeinde Klingburg noch das Geringste der Probleme der Universität werden.

Ein markerschütternder Schrei ließ Ralf auffahren! Makoto! Nein, Mako-chan!
Eine Tür wurde geschlagen, jemand raste die Treppe herab.
Freya stand am Absatz und fing die aufgelöste Frau auf. „Was ist denn mit dir los?“
Die Göttin sah sie verzweifelt an. „Ich habe es gewusst, ich hätte nicht einschlafen dürfen! Diese Selbstheilungskräfte von Ralf, sie mussten sich ja irgendwann rächen! Und das haben sie, er ist nicht mehr da. Er muß sich selbst aufgezehrt haben!“
„Äh, Mako-chan, ich bin hier“, meldete sich Ralf zu Wort.
Die Göttin sah ins Fernsehzimmer hinein, erkannte ihren Gläubigen und hörte auf zu schluchzen.
Ralf spannte sich an, als sich die junge Frau aus Freyas Griff befreite und mit finsterer Miene auf ihn zugestampft kam. „Idiot!“, blaffte sie und holte aus. „Weißt du, was ich mir für Sorgen gemacht habe?“
Ralf spürte, wie ihre Rechte nur einen Fingerbreit neben seinem linken Ohr ins Kissen ging. Er spürte ihre Hand in seinem Nacken. „Weißt du, wie lange ich da gesessen habe? Weißt du, wie schrecklich die Zeit für mich war, in der du nicht aufgewacht bist? Kannst du dir vorstellen, was ich durch gemacht habe, mein Gläubiger?“
Tränen flossen ihre Wangen herab, während sie Ralfs Kopf zu sich hoch zog. Sie drückte seine Stirn gegen ihre, und die Tränen flossen auf sein Gesicht herab. „Ich bin so froh. Es geht dir gut.“
Nachdem sie sich beruhigt hatte, sah sie dem jungen Mann in die Augen. „Du hättest mich natürlich wecken können, anstatt dich einfach aus dem Bett zu schleichen.“
„Du hattest den Schlaf nötig, Mako-chan“, sagte Mako-kun von der Tür her und lächelte zu ihr herüber. „Es war meine Idee, dich nicht zu wecken. Und als Ralf hörte, dass du über zwei Tage nicht geschlafen hattest, wollte er dich auch schlafen lassen. Es konnte ja auch keiner ahnen, dass du gleich beim aufwachen glaubst, Ralf hätte sich aufgelöst.“
„Verdammter rationaler Mann“, erwiderte die Göttin. „Alles erklären, erklären, erklären. Davon geht es mir auch nicht besser.“
„Zugegeben“, erwiderte Mako-kun. „Ohne dich bin ich in meinem Verhalten doch etwas, hm, Rollen fixiert. Ich merke das schon seit einiger Zeit an mir. Seit wir kein ganzes mehr bilden, muß ich so viele meiner Gedanken neu ordnen, Erkenntnisse neu erleben und die Verhältnisse zu anderen neu beurteilen.“
Die Göttin lächelte amüsiert, wenngleich ihre Wangen noch immer feucht schimmerten. „Warum sagst du nicht einfach, es ist alles noch so neu für dich? Für mich ist es doch nicht anders.“
Der Gott winkte ab. „Ein wenig logische Distanz täte dir sicher auch ganz gut, kleine Schwester. Immer diese emotionale Betrachtungsweise.“
„Hey, ich muß mich auch erst mal neu sortieren“, beschwerte sie sich. „Aber es ist gut, dass es noch ein paar Konstanten in meinem Leben gibt.“ Bei diesen Worten sah Mako-chan Ralf tief in die Augen, und der Gläubige fühlte sich zugleich demütig und erhoben.
„Wie dem auch sei“, sagte der Gott, bevor die beiden sich küssen konnten, „Mom kommt nachher vorbei. Zieh dich besser vorher um. Du kannst mein Zimmer dafür nehmen.“
„Wer hat eigentlich entschieden, dass das Zimmer jetzt dir gehört, hä?“ Die Göttin stockte in ihrem kleinen Wutausbruch. „Mom kommt?“
Mako-kun sah auf seine Armbanduhr. „In genau einer Stunde.“
Die Göttin strahlte von einem Moment zum anderen. Dann sah sie ihren Gläubigen an. Sie wechselte einen kurzen Blick mit ihrer männlichen Hälfte.
Der hob gleichgültig die Achseln und wandte sich mit einem ergebenen Lächeln ab. „Tu, was du willst, Mako-chan. Tu was du willst.“
Sie sah wieder zu Ralf herab, und ihr Lächeln wurde ein dämonisches Grinsen. „Ralf, zwei Tage im Bett haben dir nicht gerade gut getan. Was meinst du, Freya?“
Die Gesegnete trat hinzu und strich sich abschätzend über das Kinn. „Hm. Ich würde sagen, duschen, rasieren, parfümieren, einkleiden.“
Mako-chan ergriff Ralfs Linke, Freya die andere Hand.
„Auf, auf, duschen“, rief die Göttin fröhlich.
„Wartet mal, Ihr zwei“, rief Ralf, als sie ihn hinter sich her zogen. „Wartet!“
**
Theresa trat nicht ein, sie rauschte herein, wie ein Torpedo, der auf sein Ziel fixiert war. Sie gab keine Begrüßung von sich und keine Erklärung ab. Sie riss einfach beide Makotos an sich und drückte sie fest. „Mein armes Kind, was musstest du leiden. Und das nur, weil wir dir verboten haben, aufzusteigen.“
„Mutter, das ist peinlich“, rief Mako-kun ärgerlich und versuchte, sich aus dem Griff der Göttin zu befreien.
Mako-chan hatte keinerlei Einwände und das Gesicht tief im Kleid ihrer Mutter vergraben.
„Ist denn etwas dagegen zu sagen, wenn eine Mutter ihr Kind liebt? Auch wenn sich dieses Kind gerade aufgespaltet hat?“
„Ja, ja. So warst du schon immer, Theresa. Pathetisch um jeden Preis“, erklang eine spöttische Stimme neben ihr.
Die Göttin fuhr herum. In ihren Augen stand blankes Entsetzen, als sie mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Sprecher deutete. „AAAAH! Was macht der denn hier? Verfolgst du mich, Thomas?“
Der Angesprochene lächelte dünn. „Du bist nicht die einzige, die hier ein Kind hat, dass gerade einer großen Gefahr entronnen ist. Und nachdem mich Mako-kun angerufen hat, dass Ralf endlich aufgewacht ist, bin ich natürlich gleich gekommen.“
Einen Moment schwieg die Göttin. Dann warf sie ihr langes Haar mit einer femininen Geste auf den Rücken zurück. „Und weil du wusstest, dass ich kommen würde, sobald ich erfahre, was mit meinem Kind passiert ist. Geht dir diese Besessenheit für eine Erdgöttin nicht langsam selbst auf die Nerven?“
Thomas Schneider wurde rot im Gesicht. „Wer ist hier eigentlich von wem besessen, hä? Ich würde sofort glauben, dass du Makoto mit Absicht auf Ralf angesetzt hast, weil das bedeutet, mich ab und an zu sehen!“
Theresa stemmte die Hände auf ihre Hüften und lachte schrill. „Lächerlich. Einfach lächerlich. Aber so seid Ihr Menschen nun mal. Völlig von euch selbst überzeugt.“
„Jedenfalls“, erwiderte Thomas und strich seinem Sohn durch die Haare, „geht es meinem Jungen gut. Und so leid es mir tut, das zuzugeben, nicht zuletzt wegen deinem Kind.“
Theresa setzte zu einer harschen Erwiderung an, stockte aber. „Hast du gerade mein Kind gelobt?“
„Soll vorkommen“, sagte Thomas, sah aber weg.
„Ich muß gleich mal nachsehen, ob die Obere Ebene in sich zusammen gestürzt ist. Aus deinem Mund etwas Positives über die Götter zu hören könnte die Kausalität zusammenbrechen lassen“, giftete die Göttin.

„MOM!“, blaffte Mako-kun. „Es gibt jetzt Wichtigeres als deinen kleinlichen Streit mit Ralfs Vater. Einer deiner Gläubigen hat mit einem Dämon paktiert, um eine Maschine zu bauen, die Götter tötet. Und er hat dabei Inissars Auge verwendet!“
Erschrocken legte die Göttin beide Hände an die Brust.
Thomas hatte sich erhoben und starrte den jungen Gott entsetzt an. „Inissars Auge? Bist du sicher?“
„Was weiß ich?“, blaffte Mako-kun gereizt. „Meine weibliche Hälfte hat gesagt, dass es Inissars Auge war. Und ich hatte das Gefühl, sie hat Recht. Wissen kann ich es natürlich nicht. Immerhin ging dieses Artefakt dem Feuerclan lange vor meiner Geburt verloren.“
„Wurde es gefunden? Hat man Inissars Auge gefunden?“, rief Thomas aufgeregt.
„Keine Ahnung. Nachdem wir den Göttersucher zerstört hatten, hat uns Norton – ich meine Doktor Myers aus der Halle geschafft, bevor HELIOS alles abgesperrt hat.“
Thomas und Theresa wechselten einen schnellen Blick.
„HELIOS. Das war klar. Das macht die Sache etwas komplizierter“, kommentierte Thomas leise.
„Und dann auch noch ein Artefakt des Feuerclans.“ Nachdenklich rieb sich Theresa die Schläfen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn der Feuerclan davon erfährt.“
„Durchaus möglich, dass sie den Kampfwagen schicken, um das Artefakt zurück zu fordern“, brummte Thomas und erntete einen entsetzten Blick der Göttin.
„Diesen offenen Affront würde Ausyl niemals dulden!“, stellte Theresa fest.
„Kailin ist der Herr des Feuerclans. Und du weißt ganz genau, dass ihm jedes Mittel Recht ist, um seine Macht zu festigen. Ausyl mag sein Nachfolger sein, aber Ihr Götter denkt in anderen Kategorien als wir Menschen. Durchaus möglich, dass er in Ausyl eine Gefahr sieht, die es zu bekämpfen gilt. Dann wird er umso verzweifelter versuchen, das Auge an sich zu bringen.“ Nachdenklich strich sich Thomas über sein Kinn.

„Hat hier gerade jemand Ausyl erwähnt?“, fragte Arnim Kleyn vom Eingang her. Verlegen strich sich der Sportler über den Nacken. „Tschuldigung, die Tür war offen, da bin ich einfach eingetreten.“
„Und wer ist das?“, fragte Theresa leise.
„Das ist Arnim, unser neuer Mitbewohner. Er bekommt das Zimmer von Ian“, sagte Katy leise. „Ansonsten wollte ja niemand in ein Zimmer ziehen, in dem zuvor ein Dämon gewohnt hat.“
Theresa kniff die Augen zusammen und musterte den jungen Mann. „Du bist ein Feuergesegneter, nicht wahr?“
Entsetzt sah Arnim die Frau an.
Ihr Blick strich über ihre Tochter, Shawn und Freya. Danach sah sie Thomas an. Der nickte unmerklich.
„Und was ist mit Mako-chan? Auch wenn keiner damit rechnen konnte, dass sie sich plötzlich aufteilt und nun aus zwei Personen besteht, soll sie woanders einziehen?“, beschwerte sich die Göttin.
„Nein, nein“, wiegelte Katy ab. „Wir bereiten schon einen Raum für sie vor, der dann nur noch mit ihrer Gesegnetengabe modifiziert werden muß. So von wegen größer und Fenster und so. Ist alles schon abgesprochen. Wir schicken doch keine Göttin auf die Straße. Bis alles fertig ist, schläft sie bei Freya. Die beiden verstehen sich ganz gut.“
„Es wäre natürlich alles einfacher, wenn wir einen Weg finden würden, die beiden wieder zu verschmelzen. Damit sie wieder eine Person werden“, sagte Ralf leise.
„Nun, auf der Oberen Ebene wäre das möglich“, meinte Theresa nachdenklich. „Dort sind wir Götter fast nur Fluidum, und eine Rückverschmelzung sieht nicht so problematisch aus.“
„Na, auf was warten wir dann noch?“, rief Mako-chan laut. „Ab auf die Obere Ebene mit uns!“
„Das geht leider nicht“, sagte die Göttin bestimmt zu ihrer Tochter. „Mako-chan, du erinnerst dich, was dein Vater und ich dir gesagt haben, nachdem du dir einen Gläubigen erwählt hast?“
Die junge Göttin sah zu Boden. „Auf der Unteren Ebene zu bleiben würde eine wichtige Erfahrung für mich werden.“
„Richtig. Und ich denke nicht daran, diese Erfahrung zu unterbrechen. Aufgeteilt oder nicht. Vielleicht ist eure Erfahrung auf diese Weise noch viel wertvoller, meine beiden.
Außerdem würde dein Vater ein Riesentheater machen, weil ich zu nachgiebig war.“
„Ja, das leuchtet mir ein“, brummte Mako-kun.
Seine weibliche Hälfte nickte. „Ist ja auch ganz witzig hier auf der Unteren Ebene. Nicht wahr, mein Gläubiger?“

Klaus Fischer erhob sich. „So. Ende. Limit. Mehr kann ich als normaler Mensch nicht aufnehmen. Ich bin kein Gesegneter, und ich habe keine Lust, jetzt noch mehr Informationen in mein Gehirn zu prügeln. Danke, dass Ihr mich eingeweiht habt, aber das war es dann für mich. Wenn noch was Wichtiges passiert oder erzählt wird, schreibt mir eine Zusammenfassung auf. Ich lese es dann später.“ Mit diesen Worten floh der Riese aus dem Fernsehzimmer.
„Noch jemand?“, fragte Ralf leise. Er verstand es durchaus, wenn ein Mensch versuchte, all diesen Fakten und Erzählungen zu entkommen, bevor sie ihn begruben.
„Nö“, erwiderte Jean flapsig. „Ist doch gerade schön spannend.“
Katy knurrte böse, beließ es aber dabei. „Vergiss nicht, Jean, das ist alles real. Kein Theaterstück, kein dummer Roman. Das ist die Wirklichkeit.“
„Siehst du. Und wäre es nicht dumm, dieser Wirklichkeit auszuweichen?“, konterte der junge Mann aus Terre de France.
Verdutzt nickte Katy. „Zugegeben.“

„Wie dem auch sei. Die Entwicklung ist bedrohlich“, sagte Thomas Schneider leise. „Ich werde ein paar Nachforschungen auf dem Campus anstellen. Wenn die Maschine einmal gebaut werden konnte, gelingt dies auch ein zweites, ein drittes Mal. Außerdem müssen wir wissen, wohin man das Auge Inissars gebracht hat, falls man es überhaupt gefunden hat.“
„Gut. Ich unterstütze dich und setze einen meiner Gläubigen darauf an“, sagte Theresa leise.
„Dann sollten wir telefonieren gehen.“ Thomas zog ein Handy hervor und trat auf den Gang hinaus.
Theresa lächelte verlegen. „Tut mir leid, ich habe kein Handy. Darf ich euren Festanschluss benutzen?“
„Im Flur“, wies Anselm ihr den Weg.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Mako-chan leise.
„Warten, dass Markus seine Interviews beendet hat, um ihm alles noch mal erzählen zu können, damit hier auch jeder jedes kleine Geheimnis von uns weiß?“, spottete Ralf.
„Brauchst du nicht“, rief Jean fröhlich. „Ich mache ihm doch Notizen.“
Ralf schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Wieder mal typisch.
Tja, für uns ist die Sache erst einmal erledigt. Wir richten Mako-chan ein Zimmer ein, Arnim zieht zu uns, der Resonator ist auf Wochen beschädigt. Und wer weiß, ob Frau Prokovniewa ihn überhaupt wieder aufbauen wird. Zudem darf mein Gott doch erst in einem Jahr wieder aufsteigen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Ruhe zu genießen und unsere Leben weiter zu führen.“
„Und zu hoffen, dass dieser Honda nicht Teil einer großen, Konfessionsübergreifenden Verschwörung gegen die Götter war, die nun euch auf dem Kieker hat“, murmelte Anselm Stein nachdenklich. Als er die verwunderten Blicke der anderen bemerkte, hob er entschuldigend die Schultern. „Tschuldigung, ich habe wohl einen Artikel zuviel aus dem Cyanid gelesen.“
Freya starrte den Kendo-Sportler an und schüttelte dann leicht den Kopf. „Wie dem auch sei. Mako-chan, Mako-kun, die Entscheidung eurer Mutter in allen Ehren, aber schadet es euch nicht, wenn Ihr aufgespaltet bleibt? Ich meine, bringt euch das nicht irgendwann einmal um?“
Ralf warf Freya einen Blick zu, der auf der nach oben offenen Entsetzensskala ohne weiteres eine neun gebracht hätte. Er sah die beiden Hälften seines Gottes an, als erwartete er von ihnen eine Antwort auf diese traumatisierende Frage.
Mako-chan erhob sich schließlich und winkte lächelnd ab. „Aber, aber. Wenn bis jetzt noch nichts passiert ist, geht es uns auch in Zukunft gut. Götter haben sich schon öfter in zwei oder mehrere Individuen aufgespaltet, die dann über die reduzierte Macht des eigentlichen Gottes verfügten.
Okay, das geschah willentlich, und nicht gewaltsam wie bei Mako-kun und mir. Und außerdem wurde keinem dieser Götter die Aura von einer gigantischen Maschine regelrecht ausgebrannt. Aber ich denke, wenn wir jetzt noch nichts gemerkt haben, von tief greifenden Schmerzen bis hin zu sich auflösenden Körperteilen, dann sollte das jetzt auch nicht mehr passieren.“
Mako-chan biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Hoffe ich zumindest. Möchte jemand Kaffee? Ich hole welchen.“
Die Göttin verließ das Fernsehzimmer.

Arnim Kleyn stupste Mako-kun an. „Sie nimmt das ziemlich locker auf. Starke Persönlichkeit, deine weibliche Hälfte, hm?“
Der Gott hob die Augenbrauen. „Ich wette, beim ersten unerklärlichen jucken glaubt sie, sie würde sich auflösen. Bis dahin aber spielt sie die Starke.“
Wie um seine Worte zu untermalen, klirrte zerbrechendes Porzellan auf dem Flurboden und die Göttin brach in einen schrillen Entsetzensschrei aus.
Shawn und Arnim waren schnell, aber Ralf hatte schon beim Klirren reagiert und stand nun neben seinem Gott, der ebenfalls beim ersten Laut gestartet war, im Türrahmen. „Was ist passiert, Mako-chan?“
Die völlig konfuse Göttin starrte ohne zu zwinkern den Flur hinab. Ihre Hand zitterte, als sie vor sich deutete. „Das… Das… Das glaubt ihr nicht. Die… Die beiden…“
Neben der Treppe standen Theresa und Thomas. Sie hielten sich eng umschlungen und versuchten sich gerade so unauffällig wie möglich zu trennen.
Thomas´ Mund war mit Lippenstift verschmiert. Verlegen legte Ralfs Vater eine Hand in den Nacken.
„Sie… Sie haben rumgeknutscht“, stammelte Mako-chan entsetzt.
„Ist halt passiert“, rechtfertigte sich Thomas und sah zur Seite.
Unter den jungen Leuten brach Gemurmel aus. Ausgerechnet diese beiden?
„Sieh mal, Mako-chan, Thomas und ich arbeiten seit Jahrzehnten zusammen, und mit deinem Vater läuft es schon lange nicht mehr. Und wenn man sich gegenseitig das Leben anvertraut, dann…“
Entsetzt legte die Göttin beide Hände an ihr Kinn. „Willst du mir etwa sagen, das ist nicht das erste Mal?“
Ralfs Kopf ruckte hoch. Er starrte seinen Vater an, der verlegen grinste. „Halt mal, halt mal. Okay, Mom ist schon lange tot, zugegeben. Aber Ihr beide habt doch nicht… Komm, Vater, erzähl mir nicht…“
Thomas wich dem Blick seines Sohnes aus und starrte an die Decke. „Sie ist eine Göttin, mein Junge. Was denkst du eigentlich?“
„Du siehst mir nicht in die Augen, und der Lippenstift ist definitiv nicht deine Farbe“, konterte der junge Gläubige. Er legte die rechte Hand an die Stirn. „Mist, Mist, Mist.“

Nun stieß Theresa einen Schrei aus. Auch sie legte beide Hände vor ihr Gesicht und starrte Ralf an. „Thomas“, hauchte sie tief ergriffen und ging langsam auf den jungen Schneider zu. „Sieh dir doch mal seine rechte Hand an! Lass doch mal die Aura auf dich wirken!“
Die Göttin ergriff Ralfs Rechte und knetete sie kräftig durch. Freudestrahlend sah sie zu Ralfs Vater herüber. „Sieh doch nur! Mittelfinger, Zeigefinger und Daumen wurden nachgeformt!“
Thomas stürzte herbei und riss Ralfs Hand an sich. „Tatsächlich! Junge, ich glaube es ja nicht! Du hast deine Hand regeneriert! Das ist… das ist… Phantastisch.“
Der männliche Makoto bemerkte leise: „Das hat er unbewusst gemacht, während er geschlafen hat.“
„Oh“, machte Thomas und ließ Ralfs Hand los. „Oh“, sagte auch Theresa. „Aber immerhin.“
„Die Schulterwunde hat er aber bei vollem Bewusstsein geheilt“, kommentierte Arnim leise.
Makoto-kun machte noch eine Geste, der Feuergesegnete solle still sein, aber da war es schon zu spät.
Resolut zog die Göttin dem jungen Mann sein Shirt aus und inspizierte die Schultern.
Thomas beäugte die Haut misstrauisch. „Ich sehe keine Wunde. Keine Narbe. Nicht einmal eine Schramme.“
„In der Tat. Da ist nichts“, bestätigte auch die Göttin.
Thomas pfiff anerkennend. „Eine totale Regeneration. Dazu in einer Kampfsituation. Das ist beachtlich. Du hast es wohl doch.“
„Habe was?“, fragte Ralf verdutzt, Sekunden, bevor ihn wieder der starke Kopfschmerz von vorhin überfiel.
Theresa nahm sein Gesicht in ihre Hände und hauchte ihm etwas Odem in den offenen Mund. „Denk nicht drüber nach, Ralf. Mach es dir leicht. Du hast es. Das ist alles, was du jetzt schon wissen musst.“
Übergangslos wurde Ralfs Kopf wieder klar. Erstaunt sah er die Göttin an. Bis er den zornigen Blick von Mako-chan bemerkte. Eifersüchtig umklammerte sie Ralfs linken Arm. „Halt du dich an den Vater“, sagte sie böse.
„Dazu sollten wir vielleicht etwas erklären“, bot Thomas verlegen an.
„Vielleicht sollten wir auch einfach etwas Kaffee trinken, und Ihr erzählt uns alles, angefangen bei der erzwungenen Auftrennung von Makoto bis zur Explosion des Resonators“, sagte Theresa leise. „Und erzählt vor allem mehr über diesen Doktor Myers.“
„Aber nur, wenn du dir den Lippenstift abwischst, Vater“, brummte Ralf vorwurfsvoll. „Blassrosa oder schwarz würde dir definitiv besser stehen.“
Thomas gab seinem Sohn einen schmerzhaften Klaps auf den Rücken, den dieser mit einem breiten Grinsen kommentierte. „Scherzkeks“, brummte Thomas, während er den Lippenstift entfernte.

3.
HELIOS war in so ziemlich allen Punkten unabhängig. Die Spezialeinheit hatte eine eigene Logistik, eine eigene Schule, eine eigene übergeordnete Behörde. Ja, sogar eigene Trainingsgelände, Kasernen und Gesetze.
HELIOS war immerhin nicht irgendeine Einheit. HELIOS war die Einheit, die es mit Gesegneten und ihren Verbrechen zu tun bekam.
Manchmal sogar mit Dämonen und mit Göttern. Deshalb hatte die Polizeitruppe weitreichende Sondergenehmigungen und operierte europaweit, ohne Grenzen beachten zu müssen. Die Truppe operierte auch zusammen mit ausländischen Spezialeinheiten gegen Gesegnetenkriminalität, von denen nicht wenige ebenfalls autark waren und den Namen HELIOS angenommen hatten. HELIOS, in Anlehnung an die Sonne, die noch über allem stand, Dämonen, Menschen, Göttern.
Ja, die Einheit verfügte sogar über eigene Gefängnisse, die speziell darauf ausgelegt waren Gesegnete und sogar Götter zu bändigen.
Der Nihon-Industrielle Honda wusste, dass man ihn vorübergehend nach Burg Brocken bringen wollte, eines jener Gefängnisse im Harzgebirge, welches dafür konstruiert worden war, um Gesegnete aufzunehmen und sicher zu verwahren.
Ahnten die Polizisten die Wahrheit? Wussten sie, dass er ein Dämon war?
Nein, entschied der Geschäftsmann in Gedanken. Er hatte bei der Verhaftung nichts getan, was die HELIOS-Einheit darauf hingewiesen hätte.
Die Frage war, lohnte sich eine Flucht? Oder sollte er darauf hoffen, dass seine Anwälte ihn gut genug verteidigten, um einen Freispruch zu erwirken?
In Anbetracht der Tatsache, dass er aus der Glaubensgemeinschaft des Erdclans ausgeschlossen und seine Firmenrechte neu verteilt worden waren, blieb ihm in der Tat nicht mehr viel. Nur noch sein Wissen, seine Fähigkeiten und seine Kontakte.
Sein offizielles Leben als Nihon-Geschäftsmann hatte sich erledigt. Wenn er der Sache nützen wollte, musste er also frei sein.

Honda konzentrierte sich in seiner Zelle, die einen normalen Menschen wohl sicher verwahrt hätte. Nicht aber einen Dämon. Langsam streifte er die Fesseln seines menschlichen Körpers ab, wuchs, wurde kräftiger, gewaltiger. Seine Augen wurden zu einem düsteren roten Glühen, seine Finger wurden zu Krallenpranken und die anschwellenden Muskeln sprengten die nun nutzlose Kleidung ab.
Dieser ganze Vorgang hatte nur wenige Sekunden gedauert. Der vollkommen verwandelte Mann stemmte sich gegen die Wand seiner Zelle und riss sie ein. Im Regen der Trümmer und dem aufstiebenden Staub rannte er los, kam auf einen Gang, folgte ihm und brach, ohne lange zu suchen, durch die nächste Außenwand in die Nacht hinaus.
Mit wenigen Sätzen übersprang er die offene Fläche zum nahen Waldrand und verschwand mit gewaltigen Sprüngen zwischen den Bäumen. Den Menschen Honda gab es nicht mehr. Was geblieben war, das war er: Hoa. Ein Dämon mit einem Ziel. Dem Ziel, eines Tages Rache zu nehmen an den Göttern, die sein Volk so bitter gedemütigt hatten und es noch immer taten. Hoa verschmolz mit seiner Umgebung und hastete weiter durch den Wald, in der Gewissheit, dass jeder Kilometer zwischen ihm und HELIOS Sicherheit brachte.

Alles in allem war die Flucht des Dämons eher planlos und vor allem hastig umgesetzt. Hätte er etwas mehr Sorgfalt und Vorsicht walten lassen, hätte er sicher den dunklen Schatten neben einem großen Baum bemerkt, der ihm dabei zusah, wie er die Wand des Gefängnisses durchbrach und im Wald verschwand.
Der Schatten schien sich bewegen, dem Dämonen folgen zu wollen, doch dann drückte er sich fest an den Baumstamm und verschmolz mit ihm geradezu.
Ein paar Sekunden später sprangen zwei HELIOS-Polizisten vom Dach des kleinen Gefängnisses und landeten bei den Spuren, die der Dämon bei seiner Flucht hinterlassen hatte.
Einer führte ein kleines Funkgerät zum Mund, während in seiner schwarzen Sonnenbrille die Infrarotsuchoptik rhythmisch aufglomm. „Sagt Marianne Bescheid, dass Honda wie geplant geflohen ist. Wir geben ihm etwas Vorsprung und folgen dann seiner Wärmespur.“
Der Polizist wartete die Antwort ab, steckte das Gerät wieder weg und nickte dann seiner Kameradin zu. Gemeinsam sprinteten sie los und verschwanden im Wald.
Der Schatten aber trat aus der Deckung des Baumes und sah den Polizisten nach.
Er warf sein langes schwarzes, zu einem schweren Zopf gebundenes Haar nach hinten und rückte die kleine Brille zurecht. „Das wäre beinahe schief gegangen“, brummte Norton Andrew Myers leise und begann mit einem unauffälligen Rückzug. Anscheinend hatte auch die HELIOS-Einheit entdeckt, dass Honda ein Dämon war. Und sie hatten ebenso wie er darauf gewartet, dass der Dämon ausbrach. Kurz überlegte er, ob es Sinn machen würde, seinerseits den beiden Polizisten zu folgen, entschied sich aber dagegen. Es würde lediglich sein persönliches Risiko erhöhen – Tarnanzug hin oder her.
Lautlos verschmolz Myers mit der Dunkelheit im Wald und verschwand.

Epilog:
Mako-kun trat auf die Terrasse hinter dem Haus und stupste seinen Gläubigen an, der es sich unter dem klaren Sternenhimmel auf einer Liege bequem gemacht hatte.
Ralf sah auf. Makoto hielt ihm ein kaltes Bier hin.
Dankbar griff Ralf zu, öffnete den Drehverschluss und starrte nach dem ersten Schluck weiter die Sterne an.
Makoto zog sich ebenfalls eine Liege heran und flegelte sich darauf. „Ein Swimmingpool würde sich hier gut machen“, murmelte er und deutete in den Garten.
„Frag doch deine Mom. Vielleicht schenkt sie dir einen“, erwiderte Ralf geistesabwesend.
Er deutete nach oben. „Siehst du die Sterne, Makoto? Ferne Sonnen, Manche hunderttausend und mehr Lichtjahre entfernt. Ob diese Sonnen auch Planeten haben? Und gibt es auf diesen Planeten auch Intelligenzen?“
„Wieso eigentlich auch?“, erkundigte sich Makoto amüsiert. „Auf der Erde habe ich jedenfalls noch keine entdeckt.“
Ralf warf seinem Gott einen halb amüsierten und halb beleidigten Blick zu. „Scherzkeks.“
Makoto trank von seinem eigenen Bier. Er mochte herb.
„Jedenfalls, was wenn diese Planeten auch ihre eigenen Oberen und Unteren Ebenen haben? Eigene Götter und so? Kannst du dir das vorstellen? Ein Universum voller Götter?“
Makoto schauderte. „Ralf, die Obere Ebene ist unendlich groß. Stell sie dir vor wie das, was du hier siehst. Der Planet, auf dem du stehst – oder vielmehr liegst – und eine unendliche Entfernung bis zum nächsten Punkt, an dem ein weiterer Planet sein kann.
So ist auch die Obere Ebene. Auf einem sehr weiten Raum verteilt liegen die Existenzen der Götter der vier Elemente.
Aber die Ebene ist noch viel weiter und ich habe noch von keinem Gott gehört, der jemals an eine Grenze gestoßen wäre. Und Hey, wir Götter sind verdammt langlebig und einige haben es versucht.“
Wieder trank der Gott einen Schluck von seinem Bier. „Jedenfalls, dort oben am Himmel, das sind alles Sonnen, die in deiner Welt existieren. Der Unteren Ebene. Es ist durchaus möglich, dass auf meiner Ebene weitere Götterdomänen existieren – nur unendlich weit entfernt.“
„Wow“, kommentierte Ralf. „Wow. Du hast dir ja schon einige Gedanken zum Thema gemacht, was?“
„Hey“, beschwerte sich Makoto grinsend, „ich bin dreihundert Jahre alt.“
„Und ein bisschen“, brummte Ralf.
„Und ein bisschen“, bestätigte Makoto. „Du siehst, ich hatte viel Zeit zum nachdenken.“

Die beiden starrten nebeneinander in den Nachthimmel, als Makoto erneut das Wort ergriff. „Ich wollte vorhin mit Freya reden. So von wegen, nur weil du mit meiner weiblichen Hälfte ja quasi ein Paar bist, dass es nicht automatisch bedeutet, dass ich und Freya es jetzt auch sein müssen. Nicht, dass ich sie nicht mag. Aber ich bin unsicher. Mako-chan schöpft ihre Sicherheit aus deiner Nähe, das weiß ich, auch wenn wir nicht miteinander verbunden sind. Mental, meine ich. Aber ich komme über die Trennung kaum hinweg und würde gerne meinen Schädel ein paar Mal gegen die nächste Wand hämmern, um wieder Ordnung rein zu bringen.
Ich wollte Freya ja nicht abservieren. Nur etwas Distanz haben, um erst mal mit mir selbst und dann mit meinem Leben wieder klar zu kommen.“ Der Gott zuckte die Achseln.
„Das klingt nach einem Aber, Mako-kun“, brummte Ralf.
„Sie hat mich abserviert.“ „Was?“ „Sie hat mich abserviert. Gerade, als ich anfangen wollte zu sprechen, hat sie mir erklärt, dass meine Abspaltung von meiner weiblichen Form nicht zwangsläufig bedeutet, dass wir zwei nun unbedingt ein Paar werden müssen. Sie braucht als Frau ihre Freiheiten und würde erst einmal eine Freundschaft vorziehen.“
Ralf trank einen Schluck Bier und nickte seinem Gott zu. „Na siehste. Ist doch gut gelaufen. Und sie kann dir nicht böse sein, während du die Auszeit kriegst, die du haben wolltest.“
„Macht trotzdem keinen Spaß, abgeschossen zu werden. So sagt Ihr Menschen doch, richtig?“, erwiderte Makoto. Er trank sein Bier aus. „Na egal. In einem guten Jahr ist das eh alles vorbei und ich verschmelze wieder mit Mako-chan. Hoffentlich.“
„Hm“, meinte Ralf leise, „so hat jeder seine Sorgen.“
„Du auch? Erzähl, ich höre dir zu, mein Gläubiger.“
Ralf seufzte tief. „Mir spukt dieser Fokus-Quatsch, den du mir erzählt hast, im Kopf rum. Von dem Menschen, der der Kraft der vier göttlichen Clanführern als Sammelpunkt ihrer Macht gedient hat, in der letzten Schlacht gegen die Dämonen.
Du meintest, ich könnte auch einer sein. Und die abgefeuerte Torch spricht wohl dafür.
Und dazu kommt dann noch diese Selbstheilungskraft, die ich entwickelt habe. Ich weiß, es hat etwas damit zu tun, dass ich meinen Stoffwechsel beschleunigen kann, wenn ich will.
Aber die Reaktion von Vater und Theresa… Wenn das alles zusammen hängt, und wenn die beiden etwas wissen, was sie uns nicht verraten wollen, dann gehen wir unruhigen Zeiten entgegen.“
Makoto dachte nach. „Tröste dich, Ralf. Selbst wenn du ein Fokus bist, so nützt dir diese Fähigkeit nichts ohne die Odemenergie der vier Elemente.“
Amüsiert betrachtete Ralf sein geleertes Bier. „Na, ganz so unnütz nun auch wieder nicht. Wenn ich voll aufdrehe, kann ich es durchaus mit Arnim aufnehmen. Auch als Gesegneter.
Immerhin hat Vater mich trainiert, seit ich denken kann. Seit… Autsch!“
„Was ist, Ralf?“ „Schon gut. Immer, wenn ich versuche, mich an das Training in meiner Kindheit zu erinnern, dann kriege ich diese höllischen Kopfschmerzen. Dabei ist das doch wirklich nichts Besonderes gewesen. Dieser kleine Schnitt…“
Nachdenklich betrachtete Ralf seine rechte Hand. Besonders die Fingerkuppen.
Plötzlich fuhr er auf. „THERESA!“
Makoto warf ihm einen besorgten Blick zu. „Mom ist schon lange weg. Was…“
Ralf rieb sich die Schläfen. „Schon gut, mein Gott. Schon gut. Nichts passiert. Nichts, was uns jetzt nützen könnte.“ Leiser fügte er hinzu: „Noch nicht…“

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Mein Gott, meine Göttin
Siebter Chapter

Prolog:
Dämonen, oder auch Daimon, gelten heutzutage als der Inbegriff des Bösen. Als das Schlechte an sich.
Auch, oder gerade die Kirchen der vier Stämme pflegen dieses Bild. Die heroische Schlacht der Götter, als sie die Dämonen vernichteten, war der Beginn eines Bündnisses, welches den Menschen und den Göttern seither viel Gutes gebracht hat.
Doch die Dämonen wurden nicht immer so gesehen.
Lange vor der Schlacht auf der Mittleren Ebene, da galten die Dämonen als Geister, als beseelte Natur.
Ist die Natur grausam, wenn sie einen Wirbelsturm erzeugt? Wenn sie zulässt, dass eine Froschspezies eine andere verdrängt? Wenn der Mond eine Springflut erzeugt, die Kilometerweit ins Küstenland hinein dringt?
Wenn die Antwort ja lautet, dann sind Dämonen böse.
Denn für all dies, für eine vergeistigte Umgebung, standen die Dämonen Jahrtausende lang, bevor die Götter an Bedeutung gewannen.
Aber was ist mit den Wundern auf dieser Welt? Dem Regenbogen? Einer aufgehenden Blumenknospe? Dem Lachen eines spielenden Kindes?
Auch dafür müsste man die Dämonen dann verantwortlich machen. Und zählt das dann auch zum bösen?

In unserer Zeit gelten sie als Inbegriff einer dunklen Bedrohung.
Aber in der damaligen Zeit waren sie launische Geister, Schutzwesen, Elementarkräfte, gut und böse gleichermaßen. So wie es ihnen gerade gefiel.
Und so, wie sie beschrieben wurden, könnte man meinen, damals seien sie wie Götter gewesen, Elemente beherrschende, launische, schützende, mal gut, mal böse seiende Götter.
(Aus: Unbequeme Ansichten über die Götter, Doktorarbeit von Norton Andrew Myers)

1.
Klaus Fischer hatte es nicht leicht. Als wäre sein Lehramtstudium nicht schon schwierig genug, hatte sich seine beschauliche Wohngemeinschaft mit der Mischung aus hübschen Mädchen und harmlosen Langweilern in einen Hexenkessel verwandelt.
Klaus hatte nur einmal kurz geblinzelt, und als seine Augen wieder aufgegangen waren, da lebte plötzlich ein Gott mit in der Wohngemeinschaft.
Zusammen mit seinem einzigen Gläubigen, denn der Gott war noch jung, und wollte sich erst mal nicht so verzetteln. Zudem war der Gott äußerst unbeständig und konnte sich nicht so recht entscheiden, ob er nun Mann oder Frau sein wollte.
Wobei Klaus aber zugab, dass beide Varianten des Gottes ihre Vorzüge hatten.
Der hoch gewachsene, breitschultrige Student seufzte Mitleid erregend. Dafür war er definitiv nicht in diese Wohngemeinschaft eingetreten.
Was war aus der einfachen Observation eines Dämons geworden? Eine Karussellfahrt.
Nun, wer hatte auch ahnen können, dass die Dozentin, Frau Prokovniewa eine Maschine bauen würde, mit der man Götterauren orten können sollte.
Und wer hatte ahnen können, dass Ian O´Brien sich als Dämon, als bösartiger Dämon entpuppen würde, der die Maschine, den Resonator, zum Killerinstrument gegen Götter umwandeln würde?
Das sein logisches Ziel für den ersten Versuch dann der einzige Gott in seiner Reichweite sein würde, war Klaus schon klar gewesen und nicht wirklich eine Überraschung.
Eher schon, dass es O´Brien nicht gelungen war, den ganzen Gott zu töten.
Nach der ehr unsanften Behandlung durch den Resonator, verstärkt durch ein magisches Artefakt des Feuerclans, hatte sich der Gott aufgespaltet. In eine weibliche Hälfte, der immer noch Göttliches anhaftete, deren Kraft allerdings nur noch einer Gesegneten entsprach. Der mächtigsten Gesegneten, der er jemals begegnet war, ging es Klaus durch den Kopf.
Zudem um einiges mächtiger… Nein, im Umgang mit den Kräften erfahrener traf es eher.
Weit erfahrener mit den Erdkräften, als der Gott es vor der Aufspaltung war.
Und in eine männliche Hälfte, der alles Göttliche genommen worden war, die seither bestenfalls als normaler Mensch durch ging.
Das würde ein langer Bericht werden. Ein sehr langer Bericht. Und dann musste er doch noch für die Klausur lernen. Es war unfair.
Zum Glück hatte er sich genügend Notizen gemacht. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem er seinen Notizblock verloren hatte.

Klaus durchfuhr es heiß und kalt zugleich. Der Block war wichtig. Es standen Adressen und Telefonnummern da drin, die nicht unbedingt jedermann sehen durfte.
Vor allem nicht seine Mitbewohner, von denen er nicht sagen konnte, wie sie reagieren würden. Im Zweifelsfall stand zumindest das extrem günstige Zimmer auf dem Spiel, welches er in der alten Villa bewohnte.
Im Schlimmsten, nun, er hatte schon Gesegnete erlebt, die richtig sauer gewesen waren. Und er lebte hier gleich mit vier unter einem Dach.
Klaus verließ seinen Raum. Wo hatte er den Block zuletzt gehabt? Unten, im Fernsehraum, als Ralfs Vater und die Göttin zu Gast gewesen waren.
Interessante Geschichte im Nachhinein, wenn er so drüber nachdachte. Hatte ihm tiefe Einblicke gewährt, die sich gut in seinem Bericht machen würden.

Er hastete die Treppe hinab und wäre beinahe gestürzt, als er sah, was sich im Flur abspielte.
Shawn Ironheart saß im Schneidersitz und war von hell gleißendem, gelben Odem umgeben, während er mit dem Mund ein lautloses Mantra formte. Soweit so gut, er tat das aber einen knappen Meter über dem Boden. Ihm gegenüber hatte sich Arnim Kleyn zu Boden gehockt. Seine rote Feueraura war nicht annähernd so stark, aber deutlich zu sehen. Zu allem Überfluss hob sich der Mann ebenfalls leicht vom Boden ab und begann zu schweben.
„AH!“, entfuhr es Klaus. Der laute Ausruf störte die Konzentration des Feuergesegneten. Schmerzhaft schnell legte er die Strecke bis zum Kachelfußboden zurück. „Autsch!“
Shawn Ironheart war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Er öffnete ein Auge und musterte die Pädagogikstudenten. „Ist was?“
Klaus riss die Augen auf. „Ihr… Ihr schwebt!“
„Ach, das“, brummte Shawn und ließ ein schmales Lächeln über sein Gesicht huschen. „Da Ihr jetzt sowieso alle über uns Bescheid wisst, dachte ich mir, können wir auch offen üben. Arnim ist noch lange nicht in der Lage, eine ausreichend gute Kontrolle über seinen Odem auszuüben. Wir nutzen jede Gelegenheit, um seine Odemnutzung zu verbessern.“
„Das ist ja schön und gut“, rief Klaus und versuchte, mit der zitternden Linken die flatternde Rechte einzufangen, „aber warum einen Meter in der Luft? Und vor allem: Warum im Flur?“
„Ach, das“, brummte Shawn und winkte ab.
Arnim rieb sich derweil den schmerzenden Hintern. „Gegen so etwas hilft Odem wohl nicht, was?“, brummte er unzufrieden.
„Wir üben uns in Levitation, also schweben durch Gedankenkraft. Es ist eine Art Wechselwirkung zwischen der Aura eines Gesegneten und der Aura der Erde. Um es mal simpel auszudrücken.
Warum wir im Flur sitzen, nun, er bietet genügend Platz.“
„Das tut das Fernsehzimmer auch“, protestierte Klaus.
„Oh. Da sitzen aber Jean und Mako-kun.“
„Dann eben in der Küche.“ „Und Anselm beim kochen stören? Sehe ich aus wie ein Selbstmörder?“

Klaus schüttelte den Kopf und hastete weiter. Dabei fiel sein Blick in die Küche. Anselm Stein hatte einen weißen Kittel angelegt und begonnen, mit je einem Messer pro Hand einen Fisch auszunehmen. Dabei ging er vor, als wäre der Fisch ein verabscheuungswürdiger Gegner, der filetiert gehörte – in möglichst dramatischen Gesten.
Klaus wunderten eigentlich nur zwei Dinge. Dass Arnim auf diese Art anscheinend schon zwei Fische ausgenommen hatte, ohne die Kücheneinrichtung zu demolieren und dass die Gedärme und Schuppen geradezu fein säuberlich auf einem separaten Brett lagen. Und das, ohne aus der Küche ein Schlachthaus gemacht zu haben.
Arnim bewegte die Messer so schnell, dass Klaus kaum mit den Augen nachkam. Arnim schien dabei den Fisch nicht zu berühren, zumindest bewegte er sich nicht. Dennoch war er nach der Kombination an Hieben und Streifschlägen entschuppt und ausgenommen.
Arnim stieß die Messer wuchtig in das Holzbrett und verharrte in einer äußerst martialischen Pose. Wie ein verbissener Sieger nach einer verbissenen Schlacht.

Klaus schüttelte den Kopf und betrat das ehemalige Speisezimmer. Dort blieb er wie angewurzelt stehen. Auf dem großen Tisch waren fünf Schachbretter aufgestellt. Auf der einen Seite saß Jean Duvalle und beobachtete konzentriert die aufgestellten Figuren.
Auf der anderen Seite saß Mako-kun und betrachtete die Bretter unter halb geschlossenen Augenlidern. Interessiert warf Klaus einen Blick auf die Bretter. Es sah so aus, als würde Jean zweimal mit weiß und dreimal mit schwarz spielen.
Und alle drei schwarzen Partien sahen nicht sehr gut aus, während die weißen Partien noch nicht über ein Geplänkel hinaus gekommen waren.
„Was macht Ihr denn hier?“, entfuhr es dem riesigen Mann.
Jean sah auf. „Hallo, Klaus. Wir spielen etwas Schach. Ich habe extra noch drei Bretter aus der Schach-AG mitgebracht.“
„Aber…Aber… Hätte ein Brett nicht ausgereicht?“
Makoto-kun lächelte leicht, ohne die Augen zu öffnen. „Jean ist der festen Überzeugung, dass er bei fünf Partien wenigstens eine gegen mich gewinnen wird. Vor allem, wenn er sie simultan spielt. Anfangs dachte er ja noch, wenn er sich auf zwei Partien konzentriert und die anderen schleifen lässt, wäre er im Vorteil.“
Jean wurde rot. „Gar nicht wahr.“
„Aber dann hat er gemerkt, dass ich in so einem Fall natürlich auch Ressourcen frei habe. Vor allem, wenn ich mehrere Partien aufgrund seiner Nachlässigkeit gewonnen habe. Seit einiger Zeit spielt er auf allen fünf Brettern ernsthaft.“

Unauffällig sah sich Klaus im Raum um. Wo lag nur das Notizbuch? Wo nur? Wo? Dort hatte er gesessen, als Theresa eingetreten war. Und da…“
„Klaus.“
Der Angesprochene zuckte erschrocken zusammen. „Ja?“
„Ich habe dich gefragt, ob wir dir helfen können“, sagte Mako-kun leise.
Frech siegt, ging es Klaus durch den Kopf. „Ich suche mein Notizbuch. Ungefähr so groß. Schwarzer Ledereinband. Mit meinen Initialen drauf.“
„Oh. Hm. Habe ich nicht gesehen. Aber frag mal Mako-chan. Sie hat vorhin hier aufgeräumt.“
„Danke. Das ist ein guter Rat. Wo ist sie?“
Der Gott rollte mit den Augen. „Im Garten mit Ralf. Sie üben Nahkampf.“
Klaus spürte, wie er rot wurde. „Oh. Dann störe ich sie besser nicht. Aber im Garten? Ich meine, in unserem Garten?“
„Freya steht dabei und gibt den Schiedsrichter“, kommentierte Mako-kun weiter und reagierte auf einen von Jeans Zügen mit einem riskanten Läufervorstoß. „Ich denke, sie greift schon ein, bevor sich einer der beiden zu sehr verausgabt.“
Götter. Die hatten vielleicht Nerven.
„Eigentlich hatte ich ja gedacht, sie würden Kendo trainieren, aber Mako-chan hat seit einiger Zeit einen Narren an diesem Sport gefressen, Judo. Würde mich nicht wundern, wenn sie gerade dabei sind.“
Klaus wurde bleich und gleich wieder rot. Die Göttin und ihr Gläubiger trainierten wirklich Nahkampf. Richtigen Nahkampf.
„Danke, Mako-kun“, rief Klaus und hastete weiter. Seltsam. An welchem Punkt war es ihm nur plötzlich so leicht gefallen, den Gott Mako-kun zu rufen?

Er drückte sich an dem Tisch mit den fünf Brettern vorbei und öffnete die schwere Tür zum hinteren Saal. Die Bewohner nutzten ihn kaum. Das lag vielleicht daran, dass der Platz, der ihnen mit ihren Zimmern, der Küche und dem Fernsehraum zur Verfügung stand, schon viel zu groß war. Tatsächlich gab es auch hinter dem Bad noch einen etwas kleineren Salon, aus dem man vor Urzeiten einen Teil abgetrennt hatte, um ein modernes Bad einzubauen, aber der wurde nur noch als Abstellkammer genutzt. Dreißig Generationen an Studenten hatten dort ihre Spuren hinterlassen, und heutzutage betrat man den geheimnisvollen Raum am besten nur noch mit einer guten Bergsteigerausrüstung und einem guten Freund, der einen aus den Trümmern wieder ausgrub.
Zwei neugierige Augenpaare empfingen ihn, als Klaus den hinteren Saal betrat. Katy und Markus hatten sich an dem runden Tisch gesetzt, ihn mit Dutzenden alten Ausgaben des Cyanid – der unabhängigen, überparteilichen, Götterunbeeinflussten und einzig wahren Zeitung für den gebildeten Studenten – und bearbeiteten Markus´ tragbaren Computer.
Abwehrend hob Klaus die Hände. Eine Verlegenheitsgeste, die bei dem Riesen aber eher wirkte, als würden sich zwei Kontinente bewegen. „Lasst euch nicht stören, ich will nur durch.“
„Warum gehst du nicht durch den Flur?“, fragte Katy. „Hier, das wäre doch ein Hinweis. In dieser Ausgabe hast du schon was über einen Gesegneten geschrieben, der keine Kontrolle über seine Fähigkeiten mehr hat. Wenn wir uns auf diesen Text berufen…“
„Im Flur sind Arnim und Shawn. Sie… Sie schweben in der Luft.“
Markus sah von seinem Monitor hoch. „Ach. Das schon wieder? Sag ihnen, wenn du sie siehst, wir können sie brauchen, wenn die nächste Kirschenernte ansteht.
Stimmt, das wäre eine Möglichkeit. Aber wie bringen wir das rüber, ohne Ausyl direkt anzugreifen?“
„Kirschenernte, sehr witzig“, brummte Klaus und verließ das Zimmer zum Gang hin.
„Aber irgendwie müssen wir doch zu deinem Artikel mit der Invasion durch die Götter der Oberen Ebene hin leiten“, beschwerte sich die junge Frau aus Terre de France.
„Die haben Nerven“, rief Klaus hastig und riss die Tür zum Garten auf.

Etwas großes, Schweres flog direkt auf ihn zu. Instinktiv griff Klaus zu und hatte die Göttin mehr oder weniger in den Armen. Allerdings lagen ihre Beine um seinen Hals, und der Kopf schlug mehr oder weniger hart auf sein rechtes Knie auf.
Die Göttin schien den Schmerz aber gar nicht zu spüren. Und sie schien sich auch nichts dabei zu denken, wo sie gelandet war. Zornig sah sie ihren Gläubigen an und rief: „Na warte, das kriegst du wieder.“
Freya indes versuchte, sich ein lautes Lachen zu verkneifen, während Ralf in der Stellung verharrte, mit der er die Göttin ausgehebelt hatte.
„Punkt für Ralf“, sagte Freya übertrieben ernst.
Mako-chan riss die Beine nach vorne. Klaus ließ sie automatisch los, und die Göttin landete auf den Füßen. Sie klopfte dem Riesen auf den breiten Brustkorb und sagte mit einem wirklich zuckersüßen Lächeln: „Danke fürs Auffangen, mein Großer. Bist genau richtig gekommen.“
„Ach, das“, brummte Klaus und rieb sich verlegen den Nacken. „Nicht der Rede wert.“
Der Pädagogikstudent sah sich die Göttin genauer an und erstarrte. Außer einer kurzen Sporthose und einem Top trug sie praktisch nichts.
Göttin hin, Göttin her, Freundin von Ralf oder nicht, Makoto-chan war definitiv eine Augenweide für jeden Mann. Sie in den Armen gehalten zu haben- wenngleich über Kopf – und dabei auch noch ihre nackte Haut berührt zu haben, machte Klaus zu schaffen. Er räusperte sich laut und vernehmlich, um den plötzlich entstandenen fetten Kloß aus dem Hals zu kriegen.
Mako-chan, die mittlerweile wieder vor ihrem Gläubigen Aufstellung bezogen hatte, sah zu Klaus herüber und fragte mit einem treuherzigen Blick: „Ist was?“
„M-mein Notizblock“, rettete sich der Riese in sein eigentliches Anliegen. „Du hast doch das Fernsehzimmer aufgeräumt, und ich muß ihn dort verloren haben.“
„So ein kleiner? Schwarz? In Leder eingebunden?“
„Ja, genau.“
„Nicht gesehen“, sagte Mako-chan.
Klaus zuckte zusammen. Ralf machte ein wütendes Gesicht und Freya legte resignierend eine Hand an die Stirn.
„War nur Spaß“, beschwichtigte die Göttin mit einem breiten Grinsen. „Ich habe ihn auf die Treppe gelegt. Hättest du eigentlich sehen sollen, als du runter gekommen bist.“
Nicht bei der Geschwindigkeit, mit der er die Treppe genommen hatte, durchfuhr es ihn.

„Danke“, sagte er hastig und lief wieder nach innen. Diesmal nahm er nicht den Umweg und drückte sich an Shawn und Arnim vorbei, die beide schon wieder schwebten. Während Shawn aber ein lautloses Mantra murmelte, wie schon vorhin, rezitierte der Kendo-Sportler den Text eines populären Pop-Liedes.
Auf dem Treppenabsatz fand er dann endlich, was er so verzweifelt gesucht hatte: Seinen Notizblock.
Hastig nahm er den schwarzen Block an sich und hastete in sein Zimmer hoch.
Dort angekommen schloss er ab und setzte sich an seinen Tisch. Er öffnete seinen eigenen Laptop und begann zu tippen.
„HELIOS. Bericht an Gruppenchef. Agent Fischer.
Die Lage innerhalb der Gemeinschaft ist nach der Vernichtung des Zielobjektes Ian O´Brien alias Ibran weitest gehend stabil. Anzeichen einer Rematerialisierung des Dämonen oder seines Schattens konnten nicht ausgemacht werden. Agent ist bereit für neue Befehle.
Anbei ein Bericht über die Vorkommnisse der letzten Tage, den aufgespalteten Gott des Erdclans, seinen Gläubigen und den Gesegneten des Feuergott Ausyls betreffend…“
Während Klaus schrieb, schweiften seine Gedanken kurz ab. Ursprünglich eingeschleust, um für HELIOS den Dämonen Ibran zu observieren hatte er sich viel zu schnell in diese Gemeinschaft eingelebt. Klaus wusste nicht, warum Marianne ihn noch auf diesem Posten beließ, aber wenn er ehrlich war, dann war er dankbar für jeden einzelnen Tag. Er mochte die Götter. Er mochte die anderen Mitbewohner.
Wütend schlug er auf seinen Tisch. Offensichtlich hatte die professionelle Distanz für den Auftrag beschlossen, ihm den Rücken zu zukehren. Na Klasse.
Merkwürdigerweise störte es ihn aber nicht wirklich.
Hm nachher gab es also Fisch. Hoffentlich mit Reis. Darauf freute er sich schon.

2.
Theresa vom Erdclan trug einen schlichten schwarzen Hosenanzug. Er erlaubte ihr zwei Dinge. Ihre wirklich tolle Figur zu zeigen, was bei einer Dreitausendjährigen nun wirklich nicht zu erwarten war, und die Mobilität für einen möglichen Kampf zu erlangen.
Ihr gegenüber saß ein grobschlächtiger Mann in einem teuren Belitalia-Designeranzug. Der Mann mit der feuerroten Mähne mochte grob aussehen, und das manchmal auch sein, aber hinter der faltigen Stirn verbarg sich ein konzentrierter Verstand.
Das Trio komplett machte eine schmale, blonde Frau, die so zierlich wirkte, dass man Angst hatte, das schwere Goldarmband um ihr Handgelenk könnte ihr den Knochen brechen.
Dabei wirkte sie so hübsch in ihrem hellblauen Kostüm, dass der Beschützerinstinkt bei Männern automatisch Überstunden schob.
„Er kommt spät“, brummte der Mann, griff auf den Tisch vor sich und nahm das Glas mit goldenem Schnaps von den Gälischen Inseln auf.
„Naiel ist schon rüber gegangen“, sagte die blonde Frau und nickte mit einem verschmitzten Lächeln in Richtung der Hotelbar.
Theresa unterdrückte ein Schmunzeln, während sie die geringe Aktivität im Hotel beobachtete. Sie hatten sich für dieses Treffen das ROMA ausgesucht, weil keiner der Götter hier logierte. Und es war exklusiv genug, um die Zahl des zahlungskräftigen Publikums auf ein Minimum zu beschränken.
Theresa sah kurz herüber und erkannte Naiel an der Theke der Hotelbar. Der dünne, uralt wirkende Mann mit den dünnen weißen Haaren und der wie vertrocknet wirkenden Haut trank mit glänzenden Augen ein großes Bier.
„Nur die Ruhe. Thomas hat viel zu tun, aber er wird uns schon nicht vergessen.“
„Na, dein Vertrauen möchte ich haben“, sagte die blonde Frau wieder. Nachdenklich hob sie eine Hand, konzentrierte sich auf ihr Glas mit Fruchtsaft und sah fasziniert dabei zu, wie sich ein Tropfen kondensiertes Wasser davon löste und einen kleinen Ring bildete, der durch die Luft schwebte.
„Geht es noch etwas auffälliger, Sarenn?“, beschwerte sich der rothaarige Mann. „Willst du nicht besser gleich aufstehen und rufen: Hey, hier sitzen drei Götter?“
„Gute Idee, Ausyl“, erwiderte die Wassergöttin und erhob sich.
„Sehr witzig“, kommentierte der Feuergott, nahm sich eine Zigarette aus seinem Anzug und entzündete sie ohne Feuerzeug.
„Du bist auch nicht gerade diskret“, beschwere sich Sarenn leise.
„Aber, aber, Kinder, wer wird denn streiten“, beschwichtigte Theresa leise. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr die Wartezeit ja nutzen und zu Naiel in die Bar gehen.“
Ausyl grinste ihr schelmisch zu. Dabei wirkte sein grobes Gesicht auf eine herbe Art attraktiv, ja hübsch. „Da will wohl jemand mit unserem Fokus allein sein, hm?“
Theresa sah nicht einmal auf, während sie mit der Linken eine abwertende Geste machte. „Denk doch, was du willst. Ich meine ja nur, wenn das warten dich langweilt.“

„Was muß das für ein Verbrecher sein, der eine Göttin warten lässt. Ich würde ihn dafür öffentlich auspeitschen lassen“, sagte eine leise Stimme hinter der Göttin. Eine Hand hielt eine rote, langstielige Rose direkt vor ihr Gesicht.
Theresa sah die Rose an, danach den Besitzer der Hand. Thomas zwinkerte ihr zu.
„Danke“, sagte die Göttin und nahm die Rose an.
Thomas Schneider nahm die andere Hand hinter dem Rücken hervor und brachte eine weitere Rose zum Vorschein. Auch sie war langstielig, aber weiß.
Er reichte sie Sarenn. „Auch für dich eine Rose, wenngleich sie mit deiner Schönheit nicht mithalten kann.“
Die Wassergesegnete nahm die Rose entgegen und schlug die Augen nieder. „Aber Thomas“, hauchte sie.
„Nun bilde dir nicht soviel darauf ein“, beschwerte sich die Erdgöttin. „Ist ja nur eine weiße Rose.“
Sarenn sah zu Theresa herüber und begann zu lachen. „Ausyl, du schuldest mir ein Abendessen.“
„Mist“, brummte der Feuergott. „Wie ich dich kenne, müssen wir dazu wieder nach Hafenburg, weil es unbedingt ein supertolles Fischrestaurant sein muß.“
„Hafenburg hat nun mal die besten Fischrestaurants“, rechtfertigte sich die Wassergöttin.
Thomas grinste schief und setzte sich direkt neben Theresa auf die Sitzecke. „Wenn Ihr mit necken fertig seid…“
„Das habe ich gerne“, sagte Ausyl grinsend. „Selber necken und noch zu spät kommen. Und dann stellt er auch noch Ansprüche.“
„Hey, ich bin nur ein normaler Mensch, kein Gott.“
„Ja, klar. Normal.“ Sarenn schien sich köstlich über diesen Gedanken zu amüsieren, während sie mit dem Stiel ihrer Rose spielte.
„Jawohl, normal“, sagte Thomas leise und berührte wie zufällig mit seiner Hand Theresas rechtes Knie. „Wo ist Naiel?“
Ausyl deutete zur Hotelbar. „Beim fünften Bier.“
Thomas drehte sich nicht einmal um. „Fünf Bier. Das bedeutet, er ist vor zehn Minuten rüber gegangen. Hat ihm eigentlich schon mal jemand erklärt, dass ein Mensch, der in der Stunde zwanzig Bier trinken kann, mehr als auffällig ist?“
„Einmal ganz davon abgesehen dass er mit seinem Gesicht, das nach dreihundert Jahren Wüstensand aussieht, auch schon auffällt wie ein Mann im Taucheranzug am Nudistenstrand“, fügte die Wassergöttin hinzu.
„Du hast es versucht. Vor zwanzig, vor fünfzig und auch schon vor hundert Jahren“, brummte der Feuergott. „Du siehst aber, es bringt überhaupt nichts. Für einen Windgott ist unser Freund ein ziemlicher Dickschädel.“
„Wer ist ein Dickschädel?“ Naiel kam zur Sitzgruppe, in der Hand einen große Krug Bier, den er bereits zur Hälfte geleert hatte.
Ausyl nippte an seinem Schnaps und warf dem Windgott einen amüsierten Blick zu. „Du natürlich.“
„Na“, rief Naiel und setzte sich zwischen die Wassergöttin und den Feuergott, „das sagt der richtige. Darf ich dich dran erinnern, was du mit der Staatlichen Klingburg-Universität gemacht hast?“
Der Gedanke erheiterte den Feuergott. „Nun, meine Kirche hat einige großzügige Spenden an die Universität getätigt.“
„Wo wir gerade bei dem Thema sind“, knurrte Theresa wütend. „Musstest du mein Kind so durch die Mangel drehen?“
Entschuldigend hob Ausyl die Arme. „Ich konnte ja nicht damit rechnen, dass Sarenns Gesegnete sich einmischt. Oder dein Kleiner, Thomas. Da konnte ich ja schlecht zurück stecken. Immerhin war ihre Zusammenarbeit etwas, was wir ohnehin erreichen wollten, oder?
Und die Gelegenheit war günstig.“
„Außerdem haben wir so mal gesehen, was Makoto und Freya so drauf haben“, sagte Thomas leise. „Trotzdem bist du hart mit ihnen umgesprungen.“
Ausyl leerte sein Glas. „Zugegeben. Aber Arnim hat den Odem besser katalysiert als ich gedacht habe. Er war zwar mein Auserwählter, aber ich wollte auch seine Grenzen testen.“
„Die übrigens beeindruckend weit zu sein scheinen“, fügte Naiel hinzu. „Ich war schon drauf und dran, Shawn eingreifen zu lassen.“
„War er in der Nähe?“, fragte Sarenn nachdenklich. „Ich habe seine Aura gar nicht gespürt.“
„Nein, er war nicht in der Nähe. Aber er hat die Auren der beiden Gesegneten überwacht.“
Thomas pfiff anerkennend. „Kein Wunder, dass er dein Favorit ist, Naiel. Selbst ein begabter Gesegneter erreicht dies nur durch jahrzehntelanges Training. Und dann ist es auch nur einer von tausend, der überhaupt das Talent dafür mitbringt.“
„Ich bin auch recht stolz auf ihn. Er ist eine wahre Bereicherung.“
„Wenigstens ein Gesegneter, der auch nur den Hauch einer Ahnung davon hat, was wir von ihm erwarten“, sagte Sarenn nachdenklich. „Oder was ihm bevorsteht.“
Thomas sah zu Boden. „Kommen wir zum Thema. Hat jemand Inissars Auge gefunden oder einen Hinweis auf seinen Verbleib bekommen?“
„Ich konnte verhindern, dass der Feuerclan davon erfährt, dass das Auge wieder aufgetaucht ist“, berichtete Ausyl leise. „Als der Odem expandierte und die halbe Halle einriss, bin ich gerade noch rechtzeitig eingetroffen, um die Aura zu verändern. Trotzdem, eine Odemexplosion dieses Ausmaßes bleibt nicht lange unbeachtet. Wenn Kailin ein wenig nachdenkt, oder auch einfach nur an einem weiteren magischen Feuerartefakt interessiert ist, können die Dinge zu schnell eskalieren.“
Die anderen nickten schwer. „Das ist nicht in unserem Sinne“, stellte Thomas fest.
„Aber wir sollten Vorbereitungen treffen. Ich meine, es war nicht geplant, dass Makoto sich aufspaltet. Es wäre beinahe der Todesstoß für unsere Planung gewesen“, bemerkte Sarenn leise und trank einen Schluck Fruchtsaft.
„Aber es wurde ein Glücksfall“, erwiderte Theresa. „So sehr es mir in den Fingern juckt, mein Kind auf die Obere Ebene zu schaffen und sein Fluidum wieder zusammen zu fügen. Die Konstellation scheint nicht die schlechteste zu sein. Anstatt Ralf als Gesegneten und Makoto als Fokus haben wir nun Ralf in der Mitte und Mako-kun in einer Rolle, die wir nie vorgesehen haben.“
„Das hat uns vielleicht immer gefehlt“, sagte Naiel leise. „Jemand am Rande unseres Kreises, der die Lage überschaut und Befehle gibt.“
„Ach“, meinte Ausyl und grinste schief. „Ich dachte, deine Nörgeleien wären diese Befehle gewesen.“
„Sehr komisch, Feuerkopf“, kommentierte der Luftgott.
„Kann das Artefakt vielleicht zerstört worden sein?“, brachte Thomas das Thema wieder auf Kurs.
„Nein, definitiv nicht. Du weißt selbst, dass die Potentialfelder in sich sehr stabil sind, sobald sie erschaffen wurden. Wenn sie wirklich zerstört werden, setzen sie ein Vielfaches an Odem frei als den, der bei der Vernichtung des Göttersuchers entstand. Wir müssen davon ausgehen, dass das Artefakt meines Clans noch existiert. Allein schon, weil es viel zu mächtig ist, um seine Existenz zu ignorieren.“
„Was eine andere Frage aufwirft“, murmelte Sarenn leise. „Wie kommt ein Dämon in den Besitz des Auges?“
„Ja, wieso hat dein Clan nicht besser drauf aufgepasst, Feuerkopf?“, neckte Naiel.
Ausyl ging nicht darauf ein. Er sah betreten in sein Glas. Wütend drückte er die Zigarette im nächsten Aschenbecher aus. „Weil ich drauf aufpassen sollte. Inissars Auge wurde mir quasi aus den Händen gestohlen. Das ist jetzt zweitausend Jahre her, und seither warte ich darauf, wieder eine Spur des Auges zu finden und mich vor Kailin zu rehabilitieren.
Ohne Zweifel wollte jemand im Clan den Erben des Feuers in Misskredit bringen. Hat ja auch wunderbar geklappt.“
„Noch ein Grund mehr, dieses magische Objekt zu finden“, sagte der Luftgott ernst. „Aber wer kann es haben? Ich meine, es wird doch weder spontan teleportiert sein, noch wurde es während der Explosion davon geschleudert, oder?“
„Nein, definitiv nicht. Jemand muß es an sich genommen haben.“ Thomas rieb sich nachdenklich die Nasenwurzel. „HELIOS. Sie hatten die besten Chancen dafür.“
„HELIOS?“ Sarenn erschauerte bei dem Namen. „Na, danke.“
Thomas sah in die Runde. „Wir werden nach sehen müssen.“
„Du willst dich ernsthaft mit HELIOS anlegen?“ Sarenn machte eine ziemlich eindeutige Geste, den Geisteszustand des Menschen betreffend.
„Ich rede hier nicht davon, einen Krieg auszulösen“, beschwichtigte Thomas.
„Darauf wird es aber hinaus laufen, wenn wir einfach mal… nachsehen.“ Sarenn war von der Idee schwerlich zu begeistern.
„Vielleicht kann ich dabei helfen“, erklang eine uralte Stimme neben der Sitzecke.
Thomas sah auf und musterte den alten Mann. „Javala. Wir sind für jeden Vorschlag dankbar, Dämonenkönig.“
Der Mann setzte sich neben den Feuergott und sah die vier Götter und den Menschen der Reihe nach an. „Das ist meine Idee…“
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28.07.2004 22:18 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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Atemlos hetzte die einsame Gestalt durch die engen Gassen der Altstadt von Klingburg. Wie hatte es soweit kommen können? Wie hatte all das passieren können? Was war aus dem ruhigen Job bei Akai geworden? Was, wenn nicht ein Leben voller Schrecken, welches versprach, sehr, sehr kurz zu werden?
Neben und hinter der einsam rennenden Gestalt schlugen Gegenstände ein, angeschliffene, gut ausbalancierte sternförmige Metallscheiben, Shuriken genannt.
Der junge Mann hörte das leise Plicken, als die Scheiben auf den Asphalt der Straße trafen und warf sich zur Seite. Damit wich er glücklicherweise einer weiteren Salve aus.
Sie treiben mich, ging es ihm durch den Kopf. Sie wissen es und sie treiben mich zu einem Ort, der ihnen genehm ist!
Wie um diesen Gedanken zu bestätigen, zischten erneut Shuriken heran, als er auf eine Abzweigung trat und sich nach Rechts wenden wollte.
Dies aber war seine letzte Chance zu entkommen. Er drückte das Stoffbündel enger an seine Brust und spurtete dennoch nach Rechts. Zwei weitere Shuriken verfehlten ihn, ein dritter traf. Er spürte nur den Aufprall, nicht den Schnitt, den die Waffe hinterließ, denn dafür war sie zu scharf. Weitere Shuriken prallten hinter und neben ihm auf den Boden und die nahen Wände auf und er begann, Haken zu schlagen, um nicht erneut getroffen zu werden.
Waren die Klingen der Wurfsterne vergiftet? Hatte er noch Zeit, um zu tun, was er tun musste? Gab es überhaupt ein Morgen für ihn oder gab es nur noch das Bündel und diese Nacht für ihn?
Er wusste, wenn er sich seinem unsichtbaren Feind ergab, dann war sein Ende besiegelt. Dann war das Schicksal des Bündels besiegelt. Und dann hätte er einen Teil der Geschichte geschrieben. Allerdings auf eine Art, die seine Vorfahren in den Gräbern rotieren lassen würde. Als Versager.
Dies war der letzte Gedanke, als er gegen ein hartes Hindernis stieß.
Er verstärkte den Griff um das Bündel und spürte, wie er zurück geworfen wurde.
Die Zeit dehnte sich. Langsam, unendlich langsam fiel er nach hinten, Kopf voran auf den Boden zu. Das wird wehtun, ging es ihm durch den Kopf.
Doch dann war da ein Ruck, und er verharrte eine Handbreit über dem Asphalt.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie verkrampft er das Bündel gehalten hatte. Die Finger schmerzten bei der Anstrengung, aber er ließ nicht los. Nicht zu diesem Preis!

„Alles klar mit dir?“, fragte eine angenehme, bekannte Stimme über ihn. Das harte Hindernis entpuppte sich als groß gewachsener, breitschultriger Mann von vielleicht zweiundzwanzig.
Er lockerte den Griff um den Kragen des Liegenden und ließ ihn freundlich lächelnd hinab. „Ich kenne dich. Du warst mit uns in der Halle.“
„Nokutsuna Yoshi desu. Verzeihung. Ich bin Yoshi Nokutsuna. Ich war dein Feind.“
Aus den Augenwinkeln erkannte er eine Bewegung, drückte das Bündel hoch und rief: „Nimm und lauf!“
Er entriss sich dem Griff und wollte los rennen – nur um festzustellen, dass der Andere mit der zweiten Hand zugegriffen hatte und ihn fest hielt. Mit einem harten Ruck, der ein Auto aus einem Graben befördert hätte, wurde Yoshi tiefer in den Gang gerissen. Auf seinem Schoß landete das Bündel.
„Denkst du, ich bin blind?“, sagte der Große freundlich. „Natürlich habe ich die Angreifer schon gesehen.“
„Nein!“, rief Yoshi voller Inbrunst. „Nimm das Artefakt und lauf! Mein Leben endet hier, aber du musst deine Aufgabe annehmen! Lauf doch, rette dich!“
Der Große wandte seinen Oberkörper um und warf ein paar Shuriken zu Boden. „Warte einen Augenblick und halte den Kopf unten.“

Die nächsten Momente vergingen wie im Rausch für Yoshi. Jahrelang hatte er die Attentäter des Konzerns gefürchtet und verehrt, die absolute Elite im lautlosen Töten, die Meister des spurenlosen Auftretens. Und sein Respekt war noch gewachsen, als sie ihn gejagt hatten, einen ausgebildeten Bushi, und er kaum eine Chance gehabt hatte.
Nun erlebt er fünf der Attentäter im Kampf mit dem Mann, den er hatte kontakten wollen.
Zwei von ihnen sprangen herab und zogen ihre Schwerter. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ihre Shuriken verbraucht waren. Drei andere huschten weiter über die Dächer, zwei in den Rücken seiner Kontaktperson, eine auf ihn zu.
Die Schwertkrieger griffen an, der Große wich dem ersten aus und fing die Klinge des zweiten mit zusammengelegten Händen auf.
Bevor es sich der Attentäter versah, brach der Große die Klinge einfach vom Griff ab und warf sie fort – nach hinten, in die linke Mauer, genau eine Handbreit vor das Gesicht des fünften Attentäters, der Yoshi hatte töten wollen.
Der Mann keuchte erschrocken auf. Dies war der erste Laut, den Yoshi jemals von einem Attentäter im Einsatz gehört hatte. Und es lag alles in ihm. Angst, Respekt und Freude. Freude auf einen guten Kampf.
„Hier spielt die Musik“, rief der Meisterkämpfer, fing mit der Linken zwei Shuriken auf und parierte das Schwert des zweiten Kämpfers mit einer Armbewegung, die gegen die Klinge, nicht aber die Schneide schlug.
Der Attentäter, der auf Yoshi angesetzt gewesen war, zögerte einen Moment, dann zog er seine eigene Klinge und lief auf seinen zweiten Gegner zu.
„VORSICHT!“, rief Yoshi in höchster Not.
Sein nächster Eindruck war Blut. Blut, das einen guten Meter hoch spritzte. Und ein Blick voller Überraschung und Angst, den er nie wieder würde vergessen können.
Der fünfte Angreifer griff sich an den linken Arm und versuchte die sieben geworfenen Shuriken wieder zu entfernen, aber sie steckten zu tief im Knochen. Blut rann über den Arm und tränkte den Boden.
Entsetzt wichen die anderen Attentäter zurück. Einen Moment später flohen sie.

Der Große sah ihnen nach. Dann ließ er vierzehn weitere Shuriken fallen, die er während des kurzen Kampfes gefangen hatte und kam zu Yoshi zurück.
„Sei nicht unachtsam. Die Assasinen sind Meister der Überraschung. Sie greifen dich an, wenn du es am wenigsten erwartest.“
Der Große lächelte schief. Und bot Yoshi eine Hand zum Aufstehen an. „Keine Angst, es ist vorbei. Ich kenne dich wirklich aus der Halle, richtig? Du bist der, der mir die Pistole mit den Torches gegeben hat.“
Yoshi nickte. „Hai, Ralf-san.“ Der Mann aus Nihon lächelte unsicher und suchte die Umgebung nach Anzeichen von Assasinen ab. Dass er keine fand, beruhigte ihn nicht besonders. Denn Assasinen ließen keine Anzeichen ihrer Existenz zu.
Ralf bemerkte den Blick und wirkte amüsiert.
„Keine Angst, Yoshi-kun. Die Gefahr ist vorbei.“ Er wandte den Kopf nach hinten und rief: „Nicht wahr, Mako-chan?“
Tiefer in der Gasse fielen zwei schwarz getarnte Gestalten zu Boden. Zwischen ihnen landete eine wunderschöne junge Frau in einem fröhlichen Sommerkleid – welches viel Bewegungsfreiheit garantierte – und goldblondem Haar.
Sie wirkte überrascht. „Du hast gemerkt, dass ich dir gefolgt bin, mein Gläubiger?“
„Aber es waren fünf“, sagte Yoshi. Es war leise und beiläufig, denn vor ihm stand eine Göttin. Na ja, nicht eine ganze Göttin. Aber die Göttin, die übrig geblieben war, als sie von ihrer männlichen Hälfte abgespalten worden war. Ein Vorgang, an dem er nicht gerade unbeteiligt gewesen war. Das änderte nichts an der Tatsache, dass es noch drei weitere Assasinen gab.
Ralf grinste breit. „Nein, habe ich nicht. Aber nach dem Anruf von Yoshi war ich mir sicher, dass du mir folgen würdest. Übrigens ebenso sicher wie ich wusste, dass Freya dir folgen würde, um auf dich aufzupassen!“
Die letzten Worte hatte Ralf gerufen, und als Antwort sprang die Eisländerin vom Dach, über die Schulter eine dritte schwarz maskierte Gestalt drapiert. „Ist ja gut, ist ja gut. Wir haben uns eben Sorgen um dich gemacht, Ralf. Ist das vielleicht schlimm? Außerdem weiß Mako-chan nicht, dass ich ihr folgen wollte.“
Ralf grinste breit. „Ich weiß, was du sagen willst, Yoshi. Da waren es noch zwei. Aber ich denke, die waren kein großes Problem, oder Mako-kun?“
Hinter der Göttin landete eine weitere Gestalt in der Gasse. Daneben fielen zwei weitere schwarz gekleidete Gestalten zu Boden. Der blonde Mann sah Ralf erstaunt an. „Du hast gewusst, dass ich Freya folge?“
„Gewusst nicht, aber gehofft“, erwiderte Ralf grinsend. Er sah sich suchend um. „Shawn und Arnim sind nicht zufällig auch hier in der Nähe?“
Die vier sahen sich an und begannen zu lachen.
„Das wäre zuviel des Guten gewesen“, bekannte Freya atemlos.
„Aber… Aber… Aber… Das waren Elitesoldaten! Assasinen! Wie konntet Ihr…?“, stammelte Yoshi.
„Deine Assasinen sind über ihre eigene Arroganz gestolpert“, erklärte Ralf leise. „Sie haben weder mit Gesegneten, noch mit Göttern gerechnet. Das war der Grund für ihre Niederlage.“
„So ka“, murmelte Yoshi leise. Mühsam erhob er sich. „Ralf-san, dies möchte ich dir nun offiziell übergeben. Verwahre es gut und verfahre damit, wie es dir richtig erscheint. Du hast mich und alle anderen in der Halle gerettet. Ich denke, damit sind wir quitt.“
Yoshi drückte Ralf das Bündel in die Hand und machte sich auf, im Dunkel der Gassen zu verschwinden.
Was nun? Ab in den nächsten Flieger? Zurück nach Nihon? Oder in Europa untertauchen? Der Konzern würde ihn bestimmt suchen lassen. Bemaß sein Leben eigentlich Jahre, oder Wochen? Vielleicht nur Tage, wenn der Konzern ihn fand. Ein trauriges Leben. Aber er würde jeden Moment davon in vollen Zügen genießen. Denn er borgte diese Zeit. Seit dem Moment, wo Ralf-san ihn und alle anderen gerettet hatte. Langsam wandte er sich um und ging.

„Nun mach mal halblang, ja?“, klang Ralfs Stimme auf. „Bevor du auf Nimmerwiedersehen verschwindest, wie wäre es mit etwas zu essen und einem Gespräch über das hier?“
Ralf hielt das Bündel in der Hand und winkte damit in Yoshis Richtung, „Wir werden wohl zu einem Belitalia gehen.
Yoshi leckte sich über die Lippen. Das war eine Verzögerung, die sein Leben kosten konnte, durchaus wert. Pizza…
**
„Warte mal einen Augenblick“, murmelte Ralf dem Nihon-Mann zu und drehte ihn um. „Du hast da einen Shuriken im Rücken. Freya.“
Ralf zog die Klinge mit einem schnellen, fast schmerzlosen Ruck heraus, der Yoshi nur leicht zusammenzucken ließ. Die eisländische Gesegnete nickte und hauchte auf die Wunde, die sofort aufhörte zu bluten. Wenn man genau hinsah, meinte man sogar sehen zu können, wie sich die Wunde langsam, aber sicher schloss.
„Mako-chan“, sagte Ralf und die Göttin nickte. Sie legte eine Hand auf die Wunde, und das Loch in der Kleidung verschwand. Das Blut schuppte regelrecht aus und die Göttin streifte es mit einer nebensächlichen Handbewegung aus der Jacke Yoshis. Sie lächelte den Nihon freundlich an und kniff dabei die Augen zusammen. Ein wirklich niedlicher Anblick. „So, alles erledigt, Yoshi-kun. Selbst wenn der Shuriken vergiftet war, Freyas Odem wird das heilen.“
Tatsächlich verspürte der ehemalige Mitarbeiter von Akai keinerlei Schmerzen mehr. Er verbeugte sich tief in der Hüfte vor den beiden Frauen. „Arigato, Freya-sama, arigato, Makoto-sama.“
Ralf klopfte ihm kräftig auf den Rücken, stark genug, dass Yoshi befürchtete, die Wunde würde erneut aufgehen – oder noch schlimmer, Ralf würde eine neue brechen.
„Na, na, na. Nicht so förmlich, Yoshi. Du bist hier unter Freunden. Also lass das verbeugen, vor allem, wenn wir in die belebteren Regionen kommen, okay?“
Yoshi wollte sich erneut verbeugen, besan sich dann jedoch und nickte nur bejahend. „Hai, Ralf-sa… Ralf.“
Der groß gewachsene junge Mann lächelte bestätigend. „Gut so.“

Schweigend setzten sie ihren Weg fort, in geschäftigere Bereiche der Altstadt. Es dauerte nicht lange, und sie kamen zum Belitalia-Restaurant. Genauer gesagt, ihrem Belitalia-Restaurant.
„Hunger, Hunger, Hunger“, lamentierte Mako-chan und trat mit fiebrigem Blick ein.
„Du hast doch gerade erst ein Viertelkilo Reis mit Fisch verputzt“, tadelte Mako-kun grinsend. „Wenn du so weiter futterst, müssen wir dich bald rollen.“
„Das hat doch nur für den hohlen Zahn gereicht“, beschwerte sich Mako-chan. „Außerdem ist es normal, wenn Gesegnete nachdem Einsatz ihrer Kräfte hungrig sind. Nicht, Freya?“
Die Eisländerin warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Hungrig ja, gierig nein.“
„Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“, beschwerte sich die Göttin und erntete gut gemeintes Gelächter.
Georgio kam um den Tresen herum und lachte laut. „Guten Abend, meine Freunde. Ein Tisch für fünf? Und das übliche, Mako-chan? Freya, wieder die Pazifik-Pizza? Ralf, du stöberst ja lieber in der Karte, nicht? Aber du, Mako-kun, du willst doch bestimmt die Makkaroni mit Käse überbacken essen.
Oh, der junge Mann ist neu. Guten Abend. Nihon?“
Yoshi verbeugte sich leicht. „Hai. Nihon-jin desu. Ich…“
„Er ist ein Freund aus unserer Heimat“, half ihm der Gott aus der Patsche. Wir haben ihn zufällig getroffen und spontan entschlossen, dass wir unser Wiedersehen feiern sollten.“
„Na dann hole ich doch gleich mal eine Runde mit dem Likör, den du so magst, Makoto.“
Die Göttin verdrehte heimlich die Augen. Sie, das heißt die weibliche Hälfte der Göttin, hatte das Zeug in nicht so guter Erinnerung.
Georgio führte sie alle an einen großen Tisch. Yoshi stand etwas unschlüssig herum, wurde dann aber von Mako-chan am Arm gepackt und unmissverständlich an ihre Seite dirigiert.
„Du sitzt neben mir, Yoshi. Der beste Mann, der beste Platz.“
„Komisch“, kommentierte Freya, „der beste Platz wäre doch neben mir…“
„Oh“, brummte Ralf, der rechts von Mako-chan und links von Freya saß, „dann sollte ich mich ja geehrt fühlen.“
Freya sah zu dem männlichen Gott herüber, der rechts von ihr Platz genommen hatte. „Durchaus, Ralf. Durchaus.“
Der Gott räusperte sich lautstark. Er wurde aus dieser Frau einfach nicht schlau. Wie hatte er das nur gemacht, als er noch mit seiner weiblichen Seite verbunden gewesen war?
Nun erschienen ihm Frauen im Allgemeinen und insbesondere Freya wie ein Buch mit sieben Siegeln.
„So, hier kommt der Likör“, erlöste Georgio sie. Für sich hatte er ebenfalls ein Glas mitgebracht. „Na dann, chin-chin.“
Die sechs prosteten einander zu und tranken.
Georgio lächelte. „Was wollt Ihr trinken? Ralf das Übliche? Mako-chan?“
Plötzlich ruckte der Kpf von Georgio zurück zu Ralf. Er fixierte eine Stelle auf der Tischplatte. „Du…“
Alarmiert sah Ralf hoch. Denn genau an der Stelle lag das Stoffbündel, welches der Nihon-jin ihm übergeben hatte. „Ja?“
Georgio sah hoch, Ralf in die Augen. Dann schüttelte er wie benommen den Kopf. „Schon gut, schon gut. Ich habe da ein neues Bier, Eireland-Import. Interesse?“
„Gerne doch“, erwiderte der mit einem Lächeln. Innerlich aber war er angespannt wie ein Bogen.
Georgio nickte freundlich und wandte sich ab, um die Bestellungen der anderen aufzunehmen, aber Ralf sah, wie der freundliche Kellner ein paar verstohlene Blicke in seine Richtung warf.

Als der Mann aus Afrika die Bestellungen erledigen ging, sah Ralf zu Yoshi herüber. „Hey, Yoshi-kun. Ich glaube, es wird Zeit, dass du uns das eine oder andere erklärst.“ Ralf griff unter den Tisch und zog das Bündel hervor. „Vor allem, was das hier ist.“
Entsetzt machte der Nihon mit den Händen eine beschwichtigende Geste. „Nicht zeigen, Ralf-san. Dieser Kellner ahnt bereits etwas. Wenn er das Bündel sieht…“
Ralf gehorchte und legte sich das Stoffbündel auf den Schoß, sodass es unter dem Tisch verschwand. „Also, wir sind ganz Ohr.“
Yoshi atmete sichtbar tief durch. Dann nickte er. „So ka. Um es zu erklären, muß ich etwas weiter ausholen. Ralf, erinnerst du dich, als der Resonator von diesem Feld umgeben war? Als plötzlich dieser Laptop auftauchte? Mit dem Juwel daran?“
„INI…“, rief Mako-chan, schlug sich aber sofort beide Hände vor den Mund. Sehr viel leiser sagte sie: „Inissars Auge.“
„Hai. Inissars Auge. Du, Ralf, hast mit meiner Pistole eine Torch darauf abgefeuert. Dazu haben vier Gesegnete ihren Odem in der Torch vereinigt. Mit dir als Fokus. So sah es für mich zumindest aus, obwohl ich am Boden nicht die beste Sicht hatte.“
Ralf horchte auf. Schon wieder dieses Wort: Fokus. Irgendwie ahnte er, dass es für ihn sehr an Bedeutung gewinnen würde. Und das sehr schnell.
„Inissars Auge ist ein magischer Gegenstand. Oder wenn ich die Wissenschaftler von Akai richtig verstanden habe, ein Potentialfeld.
Entschuldigt bitte, wenn ich etwas weit aushole, aber das muß sein, nicht nur damit Ihr versteht, was Ralf in Händen hält. Sondern auch, welche Bedrohung es ausmacht.“
Die anderen nickten. Und rückten sehr interessiert näher.
„Ein magisches Objekt wie das Relikt des Feuerclans, also ein Potentialfeld wird von Göttern oder Dämonen erschaffen. Kleinere Potentialfelder erschaffen die Gesegneten jeden Tag und jede Minute. Der Odem, der ihnen von ihrem Gott zufließt, ist ein sehr kleines, aber nichtsdestotrotz effektives Potentialfeld. Es ist einfach herzustellen und noch einfacher zu erhalten. Eigentlich hält es, einmal erschaffen, ein ganzes Leben lang.“
Die Gesegnete nickte bestätigend. So hatte sie es gelernt. Solange sie lebte, war sie mit Sarenn, ihrer Göttin, verbunden.
„Andere Potentialfelder haben wir eben gesehen. Als Freya-sama mir die Wunde verschloss und als Makoto-sama meine Kleidung reparierte.“
„Hör doch mal mit diesem Sama-Kram auf, ja? Wenn du unbedingt ein Kürzel hinter dem Namen brauchst, dann sag Chan.“, bat Mako-chan.
Der Nihon erstarrte für einen Moment, dann lächelte er. „Domo arigato, Makoto-chan.“
Mako-chan lächelte. „Gut so. Und jetzt erzähl weiter.“
Yoshi nickte. „Nun, ich weiß, ich hole erneut weit aus, aber ich will nun auf besondere Potentialfelder eingehen. Neben diesen Potentialfeldern gibt es auch noch in sich stabile Felder. Oder auch sich selbst erhaltende Felder.
Auf unserer Ebene bezeichnen wir sie als magische Gegenstände, weil sie Dinge tun können, die über das hinausgehen, was wir mit unseren Sinnen erfassen können.
Im Prinzip sind es aber eigentlich nur Speicherzellen, die ein Gott oder mehrere Götter kreiert und mit einer beliebigen Dosis Odem gefüttert haben.
Nun, meistens aber kommt noch hinzu, dass dem Potentialfeld ein Auftrag mitgegeben wird, sprich ein fester Verwendungszweck.
Es gibt eine Reliquie des Wasserclans, das man den Stein von Caledon nennt. Ein Kopfgroßes Potentialfeld, welches von einer Wassergöttin erschaffen und auf die Untere Ebene gebracht wurde, um nur einen Zweck zu erfüllen: Wasser und seine wichtigsten Bestandteile von Dreck und anderem Unrat zu trennen. Er liegt in einer Quelle in den Caledon Highlands und ist die Entnahmequelle für die bedeutenste Schnapsbrennerei des Landes. Die Qualität dieses Hartgebrannten ist wegen dem exzellenten Wasser sehr hoch. Darüber hinaus sagt man dem Schnaps heilende Wirkung nach – wenn man sie nicht durch übermäßigen Konsum wieder aufhebt.“
„Aha, interessant. Und was hat das mit unserem Relikt zu tun? Reinigt es Odem, oder was?“
Yoshi leckte sich nervös über die Lippen. „Als ich noch bei Akai war, haben die Wissenschaftler speziell über die Großen vier magischen Potentialfelder gesprochen. Während des Krieges gegen die Dämonen wurden Dutzende dieser Felder erschaffen, die den Göttern den Sieg bringen sollten. Etliche wurden vernichtet, nicht wenige sind verschollen. Und einige wenige existieren noch in ihren Clans.“
„Hm. Du willst also sagen, dass Inissars Auge eines dieser Artefakte ist?“, fragte Ralf leise.
„Nein. Ich rede hier von den Großen vier Potentialfeldern. Vier Potentialfelder, bei deren Erschaffung und Programmierung fast alle Götter eines Clans beteiligt waren. Sie waren Speicher von Odem in einem Maße, welches wir uns nicht vorstellen können.
Und sie waren auf Krieg programmiert. Auf Kraftverstärkung, auf Energiestöße, auf Vernichtung.“
Ralf wurde es heiß und kalt. Er glaubte, Inissars Auge würde auf seinem Schoß pulsieren und heißer werden. „Und… Du meinst, Inissars Auge ist das Artefakt des Feuerclans von diesen vier?“
Yoshi schüttelte den Kopf. „Nein.“
Der Gläubige atmete erleichtert auf.
„Es ist ein Bruchstück Inissars, des ultimativen Potentialfeld des Feuerclans.“ Yoshi sah Ralf direkt in die Augen. „Genauer gesagt, Inissar zerbrach im Kampf gegen die Dämonen, die Potentialfelder erwiesen sich nicht als die ultimative Waffe gegen die Dämonen. Etliche Bruchstücke wurden vernichtet, nur eine Handvoll blieben im Clan oder wurden über alle drei Ebenen verstreut. So ist es mit allen vier Großen Potentialfeldern passiert.
Das, was ich dir gegeben habe, Ralf, ist ein Teil des auf Kraftverstärkung programmierten Fragments von Inissar.“
Georgio kam zurück und brachte die Getränke. Er vermied es, zu Ralf herüber zu sehen, aber der meinte dennoch, die Blicke des Kellners zu spüren. In Gedanken sah er herüber. Garantiert.
„Wollt Ihr bestellen?“
„Ja, danke.“ Nacheinander gaben sie ihre Essenswünsche auf. Die anderen konnten gerade noch verhindern, dass Yoshi sich mit einer Verbeugung bis zur Tischplatte bedankte.

„Als wir in der Halle waren“, nahm der Nihon den Gedanken wieder auf, „wusste ich noch gar nichts von alledem. Da war nur der abstrakte, weil für mich unmögliche Befehl, wir würden ausrücken, um einen Gott zu töten. Gomenasai, Mako-kun, Mako-chan.“
Die beiden Hälften des Gottes nahmen die Entschuldigung mit einem Nicken an.
„In der Halle hast du uns alle gerettet, Ralf-san. Du hast das Auge getroffen, und das Potentialfeld gezwungen, die Unterstützung des Resonators aufzugeben. Stattdessen wurde eine Schockwelle reines Odem gewaltsam entlassen. Es hat euch alle von den Beinen gerissen. Nur ich sah, was danach geschah. Das Artefakt, das Potentialfeld schrumpfte und wurde davon geschleudert. Doktor Myers hat mich und meinen Sempai ebenso aus der Halle gerettet wie euch, bevor die Polizisten von HELIOS kamen.
Darum wurde ich nicht verhaftet und konnte in meinen Konzern mit meinem Sempai zurückkehren.
Dort aber habe ich festgestellt, dass sie das Artefakt bereits an sich gebracht hatten.
Und da ich neugierig war, hörte ich ihnen zu.
Spätestens, als ich erfuhr, dass ein trainierter Gesegneter mit diesem Artefakt Klingburg an einem Abend vernichten konnte, war mir klar, was ich tun musste. Ich raubte das Potentialfeld, kontaktierte Ralf-san und war seitdem auf der Flucht.“
Wieder verbeugte sich der Nihon-jin. „Gomenasai. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dich mit so einer gefährlichen Sache belastet habe, Ralf-san. Aber mir fiel kein besserer Weg ein. Es einfach dem Feuerclan zu übergeben erschien mir zu gefährlich. Es einem anderen Clan zu übergeben ebenso. Ich wusste doch niemand anderen. Und nachdem ich erfahren habe, wie mächtig Inissars Auge ist, konnte ich auch keinem mehr vertrauen. Nur noch dir, Ralf-san.“
„Ähemm“, räusperte sich Mako-chan lautstark.
„Und deinen Freunden“, fügte Yoshi hastig hinzu.
Ralf legte eine Hand auf das Bündel. Diesmal spürte er wirklich, wie das Artefakt pulsierte. „Ich soll also auf das Ding hier aufpassen, hm?“
„Onegai, ich weiß niemanden, der besser für diese Aufgabe geeignet ist“, sagte Yoshi und verbeugte sich erneut.
Ralf zuckte mit den Schultern. „Okay.“
„Honto?“, rief der Nihon-jin. „Wirklich? Du nimmst eine große Last von mir, Ralf-san.“
„Ja, ja, ja, schon gut. Hör auf, mich dauernd Ralf-san zu nennen. Ralf reicht.“ Der Gläubige musterte den ehemaligen Leibwächter. „Und? Was hast du ab jetzt so vor?“
Yoshi sah betreten zu Boden. „Mein Sempai… deckte meine Flucht mit dem Artefakt. Ich weiß nicht, warum er das getan hat und ob er noch lebt. Aber ich kann nicht mehr nach Akai zurück. Dieses Kapitel meines Lebens ist definitiv vorbei. Ihr müsst wissen, in einen Konzern einzutreten ist für einen Nihon-jin wie eine Lebensentscheidung zu treffen. Man hält seinem Konzern die Treue, ein Leben lang. Wechsel sind selten und äußerst schwierig. Für einen Flüchtigen beinahe unmöglich. Und auch wenn Akai nur ein Tarnunternehmen für einen anderen Großkonzern war, gelten für ihn die gleichen Regeln wie für alle.
Ich weiß noch nicht, was ich ab hier tun werde. Vielleicht zurück nach Nihon. Vielleicht versuche ich auch, mich einem anderen Konzern anzuschließen.“
„Ein anderer Konzern?“, hörten sie Georgio rufen, als er den ersten Schwung Essen brachte. „Wie ich gehört habe, sucht eine renommierte Klingburger Firma Leute für ihr Sicherheitspersonal, vorzugsweise mit internationaler Erfahrung. Wäre vielleicht was für dich, Yoshi-kun.“ Georgio stellte einen Teller mit extra großer Pizza vor dem Nihon-jin ab. „Ich gebe dir nachher mal die Adresse. Der Sicherheitschef ist ein Gast von uns, der hier regelmäßig isst.“
Wieder verbeugte sich der Nihon-jin, und Freya konnte gerade noch die heiße Pizza wegziehen, bevor er kopfüber darin landete.
„Arigato gozaimas, Georgio-san.“
„Nachdem das geklärt ist, Guten Appetit“, rief der Kellner und deutete auf das Essen.
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„Ein verdammt merkwürdiger Zufall“, brummte Ralf und spritzte sich Wasser aus dem Waschbecken auf der Herrentoilette ins Gesicht. „Kaum taucht Yoshi auf, hat Georgio schon einen neuen Job für ihn.“
Der Klingburger grinste schief. Aber an Zufällen war er mittlerweile ja gewöhnt. Wen er es genau nahm, bestand sein Leben nur noch aus einer Aneinanderreihung von kleinen Unmöglichkeiten und Zufällen jeglicher Art.
Ralf stockte, während er sich die Hände an Papiertüchern abtrocknete. Was, wenn es kein Zufall gewesen war? Was, wenn all das, was passiert war, Teil eines großen Plans gewesen war? Nun, vielleicht nicht genau so, wie es passiert war, mit Dutzenden Möglichkeiten für ihn und seinen Gott, zu sterben. Aber das Große und Ganze. Was, wenn er nur die Spielfigur auf einem Brett war, dass er nicht sehen konnte? Wenn er sich an Theresas euphorische Stimme erinnerte, als sie seine Selbstheilung bemerkt hatte, erschien ihm das wahrscheinlich.
Und das Makoto ihn zum Gläubigen auserwählt hatte, erschien ihm im Nachhinein auch noch merkwürdig. Vor allem, da Theresa und Thomas zusammen in einem Team waren, dass angeblich Götter tötete…
Ralf stützte sich auf dem Waschbecken auf und atmete tief durch. Er würde mit seinem Gott reden müssen. Mit Mako-chan oder Mako-kun? Oder mit beiden?
Egal, es wurde Zeit, dass die Spielfiguren sich etwas lösten und wenigstens einmal einen Schritt taten, der von den Spielern nicht bestimmt wurde.

Ralf wollte gerade die Waschräume verlassen, als Makoto hereinkam. Der Gott drückte ihn gegen die nächste Wand und sah ihm ernst in die Augen. „Ralf, wir müssen reden. Jetzt und hier.“
„Ist gut, das hatte ich sowieso vor. Du brauchst mich nicht gegen die Wand zu drücken“, erwiderte der Gläubige amüsiert.
Für einen Moment betrachtete Mako-kun seinen Arm, der quer über Ralfs Brust lag. Dann wurde er rot und nahm ihn weg. „Tschuldigung. Ich dachte nur, du würdest vielleicht gehen, falls dir der Gedanke unangenehm ist.“
„Schon klar. Nicht jeder sieht der Wahrheit gerne ins Gesicht. Willst du, oder soll ich?“
Makoto blinzelte. „Ich beginne. Ralf, du bist nicht normal.“
Der Gläubige sah seinen Gott konsterniert an. „Was, bitte?“
Abwehrend hob Makoto die Arme. „Nein, nein, nein, tut mir leid, so meinte ich das nicht. Ich wollte nur sagen, dass du weit mehr bist, als du sein dürftest. Ich meine, diese Selbstheilungskraft, die von Mutter so frenetisch bejubelt wurde, und auf die Thomas gewartet zu haben schien… Dann deine sportlichen Fähigkeiten. Ich meine, dein Bauch ist hart wie Stahl, aber ich sehe dich kaum trainieren oder laufen.
Und deine anderen Fähigkeiten. Ich meine, wenn du ein Gesegneter wärst, wäre dieser Geschwindigkeitsvorteil zu erklären. Diese Kraft. Diese Reflexe.
Ich meine, ich bin zum Menschen degeneriert, aber jedem anderen dennoch weit überlegen. Aber du, Ralf, bist besser als ich, vielleicht sogar besser als unsere Gesegneten. Deswegen meinte ich, dass du nicht normal bist.
Wenn wir mal davon absehen, dass du wahrscheinlich unser Fokus bist und sich einem geradezu der Verdacht aufdrängt, dass du, ich, Freya, Shawn und Arnim – Mako-chan nicht vergessen, obwohl sie beim Grundgedanken sicher keine Rolle gespielt hat – gezielt zusammen gebracht wurden.
Vor allem, wenn man bedenkt, dass Thomas und Mutter in einem Team sind, dass Jagd auf Götter macht und sie angeblich tötet.“
„Es war ein Befehl“, sagte Ralf leise.
„Was, bitte?“
„Ein Befehl meines Vaters. Seit ich denken kann, hat er mir gesagt, ich soll nicht zeigen, dass ich schneller und stärker als die anderen bin. Ich erinnere mich noch, ich war fünf, und ein Spielzeug, ein Ball war unter die Familienkutsche gerollt. Ich kroch zwischen die Beine der Pferde, und der Hengst stieg in Panik hoch. Die Vorderhufe trafen mich an Kopf und Schultern, aber ich habe keine Narben davon getragen. Ich hätte damals von Rechts wegen sterben müssen. Aber ich tat es nicht. Stattdessen schnappte ich mir den Ball und spielte weiter. Ich meine, bevor der Hengst wieder auf den Hufen landete, warf ich schon wieder meinen Ball.
Vater hat mir verboten, diese Kraft zu zeigen. Er hat mir lang und breit erklärt, dass ich auch mal verlieren muß.
Seitdem bemühe ich mich, normal zu wirken, kein Fähigkeiten über das Maß hinaus. Vater sagte, das wäre wichtig für das Familiengeschäft.“
„Interessant. Und Arnim hat dich mal erwischt, wie du deine volle Kraft eingesetzt hast?“
Ralf schmunzelte. „Arnim ist ein Idiot. Er hat so eine merkwürdige Marotte. Er testet jeden, der die Sportkurse belegt, auf seine Fähigkeiten. Kaum war ich angekommen, attackierte er mich laut brüllend mit seinem komischen Bambusschwert.“
„Es heißt Shinai, Ralf.“
„Was auch immer. Jedenfalls weichen alle anderen aus. Nur ich habe den Schlag mit dem Unterarm abgeblockt. Seit dem Tag hing er an mir wie eine Klette und machte mir das Leben schwer. Er provozierte mich wo er konnte, damit ich meine wahren Fähigkeiten zeigte.
Tja, da war ich wohl selber Schuld daran.“
Makoto nickte schwer. „Verstehe. Deswegen diese Szene, als wir einkaufen waren. Aber sag mal, eines wundert mich. Ich weiß, deine Familie soll Geld haben. Aber ist eine Pferdekutsche nicht etwas sehr extravagant?“
Ralf sah seinen Gott erstaunt an. „Aber das war doch vollkommen normal, als ich klein war. Ich meine… Argh.“
Ralf sackte in den Knien ein und hielt sich den Kopf. „Theresa“, hauchte er.
Makoto legte seine Hände um ihn. „Ruhig, Ralf. Ich bin ja da. Denk nicht mehr daran. Komm zurück, hörst du? Komm zurück.“
Langsam entspannte sich der Gläubige und erhob sich wieder. „Danke, Makoto.“
„Da nicht für“, erwiderte der Gott und lächelte beinahe so süß wie seine weibliche Seite.
Gott und Gläubiger sahen sich einen Moment lang in die Augen. Dann brach Ralf hastig den Blickkontakt. „Es scheint, als hättest du Recht, Mako-kun. Es sieht ganz so aus, als würden wir einem Plan folgen, den wir nicht kennen.
Was uns zu dir bringt. Wie hast du mich gefunden? Ich meine, wenn es ein Plan war, dann, zum Henker, muß dich jemand geradezu mit der Nase auf mich gestoßen haben, als du einen Gläubigen gesucht hast.“
Makoto wurde rot. „Uh. Äh, Ralf, ich… Das Thema ist mir…“
„Nun rück schon raus damit, ja? Mein Geheimnis, dein Geheimnis. Der Gott ist dran“, sagte Ralf fest und zwang den Gott, ihn anzusehen.
„Äh, tja, wie soll ich das erklären? Wie du weißt, können Götter in gewissem Rahmen die Untere Ebene beobachten. Wir sehen die Welt natürlich etwas anders von da oben. Ich meine, wir haben zwei Sichten. Einmal die Odemsicht, in der jeder Mensch wie ein Leuchtfeuer an Odem erstrahlt, natürlich in den Farben seines Clans und Gottes, und die Sicht, wie Ihr Menschen sie habt.
Als Mom mir gesagt hat, dass es Zeit für meinen ersten Gläubigen wurde, hat sie mir den Tipp gegeben, in Klingburg zu suchen, weil diese Stadt sehr tolerant ist und viele Religionen nebeneinander existieren. Also habe ich mir das Leben angesehen und viele Dinge gelernt. So als Vorbereitung auf meine Zeit da unten. Wie du weißt, hat es nicht immer gereicht.“
„Ja, das waren die lustigen Aspekte“, erwiderte Ralf grinsend.
„Wie de auch sei, ich habe die Welt natürlich auch in Odemsicht erkundet, und dabei bin ich auf dich gestoßen. Du warst nur eines von unzähligen Leuchtfeuern, aber dein Odemausstoß war besonders groß. Nichts gewaltiges, aber groß genug, um aufzufallen. Und er war von einer großen Reinheit. Außerdem wies nichts darauf hin, dass du an einen Gott glaubst.“
„Na, das klingt doch ganz gut.“
Makoto sah verlegen zur Seite. „Ich bin mit der Geschichte noch nicht ganz fertig. Mein Geheimnis, dein Geheimnis, ja? Ich habe dich danach ab und zu in der richtigen Sicht beobachtet. Und ich habe dich dann letztendlich ausgewählt, weil…“
„Weil?“ „Weil… Weil du einem Spielzeug ähnlich gesehen hast, dass ich auf der Oberen Ebene besessen habe, als ich noch klein war. Ein Odemschatten, der einem Menschen nachempfunden war, mit dem ich viel gespielt und herumgetollt bin.“
„Ein Spielzeug?“, argwöhnte Ralf.
Makoto nickte. „Sauer?“
Ralf winkte ab. „Nein. Aber wenn ich dem Spielzeug ähnlich sah, verdammt, dann klingt das so, als hätte man dir ins Unterbewusstsein eingepflanzt, ausgerechnet mich auszusuchen. Aber das klappt doch irgendwie nicht. Ich meine, du bist dreihundert Jahre alt.“
„Und ein bisschen.“
„Und ein bisschen. Ich hingegen bin nur ein normaler Mensch. Theresa kann doch vor dreihundert Jahren nicht gewusst haben, dass Thomas einen Sohn haben würde, der genauso aussieht wie der Odemschatten, mit dem du gespielt hast…“
„Abgesehen davon, du bist wirklich nicht böse?“, fragte der Gott und sah mit traurigen Augen zu seinem Gläubigen auf.
Ralf lachte und legte beide Hände um Makotos Schultern. „Warum sollte ich? Es ist doch nur Gutes daraus entstanden. Na ja, fast. Ich meine, auch wenn du aufgespaltet wurdest, mein Gott, und auch wenn ich fast gestorben wäre, die Zeit mit dir ist definitiv die beste Zeit meines Lebens.“
Ralf schmunzelte und zwinkerte seinem Gott zu. „Ich habe dir versprochen, zu dir zu stehen. Ich bin dein Gläubiger, heute, Morgen, solange ich lebe.“
„Ralf…“, hauchte der Gott ergriffen.
Sie sahen sich in die Augen, und bevor sie sich versahen, trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss.
Erschrocken riss Ralf die Augen los und nahm die Are von Makotos Schultern. „Ent… Entschuldige, Mako-kun. Das wollte ich nicht. Ich meine, du sahst gerade so süß aus, dass… Ich meine… Tut mir leid, kommt nicht wieder vor.“
Der Gott sah verlegen zu Boden. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Mir ging es genauso.“ Er sah hoch. „In diesem Moment vermisse ich meine weibliche Seite mehr als jemals zuvor.“
„S-sieh mich nicht so an, Makoto“, sagte Ralf und drückte sich an der Wand zur Tür. „Es… Es wäre nicht richtig so.“
„Ihr Menschen…“, murmelte der Gott. „Ich weiß doch selbst nicht, was gerade passiert ist. Es verwirrt mich.“
Ralf gab seinen Fluchtversuch auf. Er merkte, dass er sich wieder im Griff hatte und legte eine Hand auf Makotos Schulter. „Noch ein Geheimnis, dass wir aufdecken müssen. Komm, wir gehen zurück zu den anderen.“

Als sie hinaus traten, kam gerade Freya aus dem Waschraum für Frauen. Sie sah auf Ralfs Hose und sagte: „Hey, sag mal, ist das Inissars Auge in deiner Hose, oder freust du dich nur, mich zu sehen?“
„Der ist uralt, Freya“, sagte Ralf und bemerkte eine Unsicherheit in seiner Stimme. Unbewusst strich er über das Artefakt, dass er tatsächlich in der Tasche bei sich trug.
Die Wassergesegnete sah kurz zu ihm zurück und streckte ihm neckisch die Zunge heraus.
„Frauen“, brummte Ralf. „Würden wir sie nicht zum Erhalt der Menschheit brauchen…“
„Sie sind es wert“, kommentierte Mako-kun leise. „Sie sind es wirklich wert, dass man es versucht, Ralf. Genauso wie manche Götter.“
Ralf schmunzelte. „Wenn du es so siehst.“

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21.08.2004 11:26 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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4.
„Wieso lass ich mich immer rum kriegen?“, stöhnte Thomas Schneider, und versuchte, unauffällig auszusehen. Auf einer belebten, abendlichen Straße im Vergnügungsviertel von Klingburg, gekleidet in einem weiten schwarzen Mantel und gerüstet mit einer nachtschwarzen Sonnenbrille ein Ding der Unmöglichkeit.
Alleine seine stattliche Erscheinung zog die Blicke auf sich und nur seine Gefährlichkeit verhinderte, dass er angesprochen wurde.
„Warum bin ich es überhaupt immer, der die dämlichen Aufgaben übernehmen muß?“
„Ruhig, Thomas“, wisperte es aus den knopfkleinen Empfänger hinter seinem linken Ohr. „Ich bin im Geiste bei dir und leide mit dir.“
„Du hast gut reden, Theresa. Du hockst irgendwo auf einem Dach und siehst dir an, was mit mir passieren wird. Lachst dich dabei krank, und freust dich schon darauf, meine Überreste wieder zusammen zu flicken.“
„Ha, ha. Davon träumst du doch nur“, konterte die Göttin.
„Könnt Ihr mal mit dem turteln aufhören?“, beschwerte sich Sarenn ärgerlich. „Es gibt auch Leute, die hier arbeiten müssen.“
„Typisch“, setzte Thomas hinzu, „ich spiele den Köder, und du beschwerst dich auch noch.“
Thomas klopfte auf seine Manteltasche und zog einen länglichen Gegenstand heraus. „Wo der Dämonenkönig das wohl aufgetrieben hat…“
„Steck es wieder weg, Thomas“, erklang Naiels Stimme. „Du brauchst noch nicht derart aufzufallen. Wenn HELIOS ausrückt, ist es immer noch früh genug. Und hör auf, Javala Dämonenkönig zu nennen. Er mag das nicht.“
„Na und? Jeder Dämon, der älter als dreitausend Jahre ist, hat diesen Ehrentitel verdient. Und Javala ist selbst unter denen schon ein Alter. Das war so, das bleibt so und wird auch immer so bleiben“, brummte Thomas.
„Genau deswegen ja. Es erinnert ihn an sein Alter. Vorhin hat er mir erzählt, er wird die nächsten tausend Jahre nur noch seinen dreitausendeinhundertsten Geburtstag feiern…“
„Männer“, bemerkte Sarenn amüsiert. „Ihr seid wirklich eine eitle Bande. Obwohl es wirklich eine Leistung ist, dreitausend Jahre als Dämon zu überleben, sich nicht selbst zu verzehren oder in das Stadium als… Moment Mal, es tut sich was! HELIOS rückt aus den requirierten Räumen aus. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?“
„Alle bereit machen“, brummte Thomas und zog den Gegenstand erneut aus der Tasche. Er wickelte ihn aus und besah sich das prachtvoll funkelnde Oval. Es war wirklich ein guter Plan vom Dämonenkönig. Wenn HELIOS das Auge Inissars hatte, dann würden sie nicht auf die Finte hereinfallen, die Thomas hier bereitete. Da sie es aber taten, konnte dies nur bedeuten, dass das Potentialfeld erneut verschollen war. Eine ärgerliche Situation.
Aber sie mussten Gewissheit haben. Das Artefakt in seinen Händen war ein nicht annähernd so mächtiges Potentialfeld des Wasserclans. Jorgons Stimme war aber das, was man ein Odem-Leuchtfeuer nannte. Seine Aura strahlte weit über die Grenzen der eigentlichen Kraft der im Feld verankerten Odem-Energie. Das ideale Artefakt, um Inissars Auge vorzutäuschen, eines der mächtigsten magischen Potentialfelder, das alle drei Ebenen je gesehen hatten.
Prüfend wog Thomas es in der Hand. Der Legende nach war dieses magische Objekt während der Kämpfe gegen die Dämonen auf der Mittleren Ebene verschollen. Erneut fragte sich der Mensch, ob Javala nicht noch viel älter war und bei diesen Kämpfen selbst teilgenommen hatte. Wenn, dann hatte sich der alte Dämon mittlerweile den Ehrennamen Dämonenkaiser verdient.
„Sie kommen. Vier Teams. Eines frontal. Eines umgeht dich. Zwei über die Dächer. Sie vorsichtig. Wir ziehen uns zurück, damit sie uns nicht entdecken.“
„Gut, Sarenn. Haltet die Ohren steif.“ Thomas straffte sich.

„Da ist es!“, rief ein Rotschopf in einem schwarzen Jogginganzug. Auf seiner schwarzen Sonnenbrille pulsierte ein roter Punkt. „Bei Trema und Heress, das Ding sprengt die Bandbreite meiner Skala.“ Sofort zog der Mann eine Pistole. Unverkennbar hochgerüstet für Torches. „Stehen bleiben!“ Neben ihm kamen vier weitere Polizisten der Spezialeinheit heran und zückten ebenfalls ihre Waffen.
Thomas lächelte amüsiert seine Sonnebrille ab. „Aber ich stehe doch, Herr Kommissar.“
Der Rotschopf keuchte erschrocken auf. „Das ist… Das ist der Unsterbliche.“
Getuschel klang zwischen den Polizisten auf. „Er hat das Artefakt, und unsere Befehle sind eindeutig.“ „Ja, aber er trägt den Namen Unsterblicher nicht, weil er so lange lebt. Er ist nicht zu verwunden. Egal ob Gott oder Dämon, dieser Mann ist nicht zu schlagen.“
„Gegen Marianne wird die Mittlere Ebene aber wie Waikiki wirken, wenn wir das Auge nicht mitbringen.“ „Wenn wir zugleich angreifen…“
Der Rotschopf verteilte ein paar Kopfnüsse. „Klappe halten und Linie aufnehmen.“
Die Getroffenen führten die Befehle betreten aus.
„Also, Herr Thomas Schneider, Sie haben da etwas in Ihrer Hand, was Teil eines dämonischen Verbrechens sein könnte. Sind Sie so nett und überlassen Sie es uns?“ Zu seinem Team gewandt, meinte er: „Das aber auch keiner von euch daran gedacht hat, dass wir einfach auch fragen können.“

Von hinten kam der Trupp heran, der Thomas den Weg abschneiden sollte. Spätestens jetzt ergriffen die Passanten die Flucht.
„Von was für einem Objekt sprechen wir hier, Herr Kommissar?“
„Ich bin Oberinspektor“, blaffte der Rotschopf. „Oberinspektor! Und was wir suchen, ist Inissars Auge!“
Ein Gefühl von Triumph schoss durch Thomas. Endlich. Die Bestätigung. Das bedeutete zwar mehr Arbeit für sie, um das verdammte Auge aufzutreiben. Aber es von HELIOS zu erobern wäre so schwierig geworden, dass jede andere Herausforderung auf jeden Fall leichter sein würde.
„Nein“, sagte Thomas schlicht.
„Was? Sie wollen nicht mit der Polizei der Republik Mittland zusammenarbeiten? Sie, ein angesehener Geschäftsmann…“
Thomas warf einen schnellen Blick auf die Häuser links und rechts von ihm. Die anderen beiden Trupps Spezialpolizei ging in Stellung.
„Nein, das ist nicht Inissars Auge. Es handelt sich hierbei um Jorgons Stimme, ein Artefakt des Wasserclans. Wenn Sie mit Ihren tollen Hightech-Brillen mal eine Spektralanalyse vornehmen, werden Sie sehen, dass die Aura weiß ist. Nicht rot, wie bei einem Artefakt des Feuerclans.“
„Und wenn schon. Ich bitte Sie noch einmal, uns das Artefakt für eine eingehende Prüfung zur Verfügung zu stellen.“
Thomas setzte die Sonnenbrille ab und warf sie hinter sich aufs Pflaster. „Hm? Sie wollen das Artefakt haben, obwohl es nicht das in ein Verbrechen verwickelte Auge ist? Wissen Sie, wie man das nennt? Behördenwillkür und Schweren Raub.“
„Ich muß darauf bestehen, dass…“
Thomas grinste wölfisch und zog den Mantel aus. Noch während sein linker Arm aus dem Ärmel glitt, zog er seinen Kampfstab hervor und ließ ihn auffahren.
„Vorsicht, Herr Kommissar, ich bin nicht in der Stimmung, um mit mir machen zu lassen, was Sie wollen.“
Nervös leckte sich der Rotschopf über die Lippen. „Sie stören eine behördliche Ermittlung, Herr Schneider.“
„Blödsinn. Ihr wollt nur wieder ein magisches Artefakt einsacken!“ Wütend stieß Thomas den Stab auf den Boden und durchbrach dabei einen Pflasterstein.
„Sieht der Idiot eigentlich nicht, dass gerade fast dreißig Pistolen auf ihn zielen?“
„Halt die Klappe Andreas. Ich habe schon mal gesagt, er hat den Beinamen der Unsterbliche. Den hat er nicht für lau, verdammt.
Okay, Herr Schneider. Ich komme jetzt auf Sie zu und nehme Ihnen das Artefakt ab. Leisten Sie keinen Widerstand.“

Langsam, die Waffe sichernd vor sich gehalten, schob sich der HELIOS-Polizist näher.
Thomas grinste breit, zog mit den Lippen eine Zigarette aus seiner Brusttasche und sagte wie beiläufig: „Wie wäre es mal mit etwas Feuer, Ausyl?“
Vor dem Menschen entstand eine Feuersäule, die bis über die Dachgiebel hinaus schoss.
Thomas senkte leicht den Kopf, um die Spitze der Zigarette in die Säule zu halten. „Danke.“
Das Feuer erlosch, und der einzige Zivilist, der noch hier war, erhob sich von einer Bank hinter Thomas. Er legte seinen schmutzigen Hut ab und entledigte sich des löchrigen Mantels. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass die Löcher hinein gebrannt worden waren. „Gerne geschehen, Thomas.“
Der Feuergott trat neben den Menschen. Übergangslos schienen sich seine roten Haare in Flammen zu verwandeln. Flammen, die in einem starken Wind umher getrieben wurden und beständig wuchsen. Schließlich waren die Enden seines Flammenhaares so lang, dass die Enden über die Dachrinnen der umliegenden Häuser peitschten.
„Scheiße, verdammte, ein Gott.“
„Laber nicht, mit Göttern wischen wir jeden Tag den Boden auf.“ „Aber das ist nicht irgend ein Gott. Das ist Ausyl, der Berserker!“
„Und er ist auf Schneiders Seite. Das endet böse.“
Wütend wollte der Oberinspektor seine Kameraden anfahren. Stattdessen legte er eine Hand an das linke Ohr. „Was? Ja. Ja. Gut.“ Er sah in die Runde. „Das Artefakt ist nicht Inissars Auge. Wir ziehen uns zurück. Entschuldigen Sie die Störung, Herr Schneider, und einen schönen Abend noch.“

Zuerst verschwanden die HELIOS-Polizisten hinter Thomas und dem Gott. Danach die vor ihnen. Anschließend zogen sich die auf den Dächern zurück.
Als er sicher war, dass alle fort waren, brach Thomas in schallendes Gelächter aus, in das Ausyl einfiel. Die beiden krümmten sich vor Lachen und stützten sich dabei gegenseitig.
„Das sollten wir öfter machen“, japste Ausyl atemlos. „Hatten die einen Schiss vor uns. So viel Spaß hatte ich nicht mehr, seit…“
„Seit wir den Allmächtigen Jondri zurück auf die Obere Ebene gejagt haben“, lachte Thomas.
Die Flammenhaare verschwanden und machten wieder dem normalen brandroten Haarschopf des Gottes Platz. „Darauf müssen wir einen trinken gehen. Komm, Thomas, ich kenne eine gute Kneipe in der Nähe.“
Grinsend hob der Mensch die Sonnenbrille und den Mantel auf, verstaute Stab und Artefakt und sah auf die Dachfirste. „Kommt Ihr mit?“
Direkt vor Thomas schien Theresa zu entstehen. „Meinst du, wir lassen euch den ganzen Spaß alleine haben?“
Sarenn sprang vom Dach herab. „Wehe, Ihr schaut mir unter den Rock, Ihr“, drohte sie grimmig.
Direkt unter ihr stand aber bereits der Luftgott mit der vertrockneten Haut. „Nehmt sie ernst. Ihr würdet euch zu Tode langweilen“, kommentierte er und entkam dem Drehkick der gerade gelandeten Göttin nur knapp.
„Blau“, sagte Thomas ernst.
„Nein, türkis“, erwiderte Ausyl. „Übrigens, toller Tritt, Sarenn.“
Die Wassergöttin wurde rot. Sie warf verzweifelt die Arme hoch und rief: „Was solls, bin ja selber schuld.“ Sie ging an der Dreiergruppe vorbei, mit Naiel im Schlepp, der aber einen Sicherheitsabstand hielt. „Die erste Runde geht jedenfalls auf mich.“
Thomas lachte wieder, umfasste die Schultern von Ausyl und Theresa und folgte der Wassergöttin. „Mit euch wird das Leben nie langweilig, wisst Ihr das?“
Theresa warf ihm einen schelmischen Blick zu. „Oh, es wird sicher noch besser. Viel besser.“
**
In einem vornehmen Terre de France-Restaurant stellte derweil Natalia Prokovniewa fest, dass der leichte Rotwein sehr viel schwerer gewesen war, als sie gehofft hatte. Sie war nun genau in dem Stadium, dass sie bei sich vorbesoffen nannte. Eigentlich genau der Zeitpunkt, rechtzeitig das Weite zu suchen, wenn sie nicht in einem fremden Bett aufwachen wollte.
Sie sah auf und unterdrückte einen Schluckauf.
Norton Myers lächelte zu ihr herüber. „Trinken Sie ein Glas Wasser, Natalia.“
„Oder essen Sie einen Löffel Zucker“, fügte Professor Vaillard hinzu. „Hilft bei mir immer.“
„Danke, aber es ist schon gut. Es ist nur dieser Rotwein… Ich… Darf ich mir vielleicht lieber ein Bier bestellen?“
Norton nickte lächelnd. „Ich denke nicht, dass uns der Kellner deswegen an die Kehle gehen wird. Immerhin sind wir bereits beim Dessert. Was sagen Sie dazu, Herr Professor?“
„Was? Oh, in meiner Heimat ist es kein Verbrechen, zu einem guten Mahl Bier zu trinken“, sagte der alte Mann lächelnd. „Außer, es ist Fisch. Dann gibt es nichts anderes als Weißwein, oder Sie landen auf dem Restauranteigenen Pranger.“
„Das ist ein Scherz, oder?“, fragte Natalia nach.
„Aber natürlich“, erwiderte der Professor und machte ein ernstes Gesicht dabei, welches das Gegenteil vermuten ließ.
Natalia lachte amüsiert, aber auch etwas unsicher.
Norton lachte ebenfalls und wesentlich überzeugter, dass der alte Mann aus Terre de France scherzte.
„Auf jeden Fall“, sagte der Doktor und erhob sich mit einem Glas in der Hand, „will ich die Gelegenheit nutzen, und mit Ihnen beiden zu unser drei zweitem Geburtstag zu gratulieren. Wir haben etwas überlebt, was nur wenigen Menschen überhaupt je zu sehen vergönnt war. Und Überleben war dabei stets nur eine Option.“
Der Professor und die Dozentin hoben ebenfalls ihre Gläser.
„Auf unseren Geburtstag“, sagte Doktor Myers.
„Auf unseren Geburtstag“, erwiderten die anderen beiden.
Sie tranken in kleinen Schlucken, der Professor aber leerte sein Glas auf einen Hieb.

„So, das reicht für einen alten Mann. Ich werde dann mal gehen. Meine Matratze ruft mich, ich kann es hören. Nein, nein, setzen Sie sich, Norton. Bleiben Sie doch noch etwas mit Frau Prokovniewa. Ihr seid jung und Ihr vertragt mehr.“ Er nahm die Rechte von Natalia und hauchte einen Kuss darauf. „Wie versprochen, ich sorge dafür, dass wir anhand der aufgezeichneten Daten eine Grundlagenforschung etablieren, die Ihr Resonator aufgezeichnet hat. Mit etwas Glück entsteht eine neue Wissenschaft, die einmal Ihren Namen tragen wird, liebste Natalia.“
Die Frau aus Rus wurde rot. „Wenn, dann nur dank Ihnen, Herr Professor.“
„Schmälern Sie Ihre Leistung mal nicht, Natalia“, beschwerte sich der alte Mann.
Er beugte sich zu Norton herüber und flüsterte: „So, die Bahn ist frei. Eine bessere Gelegenheit bekommen Sie nie wieder, Norton.“
Der Mann aus Amerika versuchte mit Mühe, ein neutrales Gesicht zu bewahren. „Ich habe kein Interesse an Natalia, Herr Professor.“
„Das ist aber schade. Sie hat nämlich Interesse an Ihnen, Norton.“
Erstaunt sah der Doktor auf. Und erkannte, dass er dem Älteren in die Falle getappt war.
Der alte Mann grinste und schenkte beiden noch einen Blick. „Also, habt viel Spaß, Ihr beide, ja?“

Verlegen sah Norton zu Boden. Natalia spielte nicht minder verlegen und unruhig mit dem Stiel ihres Weinglases. „Danke“, sagte sie nach endlosen Minuten des Schweigens.
„Was?“ „Danke, Norton. Danke, dass Sie mich vor meiner Dummheit gerettet haben. Danke, dass Sie mich mit Ihrem Leben beschützt haben. Danke, dass Sie immer für mich da waren. Obwohl ich Sie so hart geohrfeigt habe. Es tut mir leid. Wie kann ich das jemals wieder gut machen?“
Norton sah die Dozentin erstaunt an. So einsichtig, nett, ja liebenswert erlebte er die Frau aus Rus selten. Pah, eigentlich das erste Mal.
„Sie könnten damit beginnen und Ihren Leuten einschärfen, dass sie Makotos Geheimnis nicht verraten.“
Verletzt sah sie ihn an. „Aber das ist doch selbstverständlich. Ich meine, ich bin schuld daran, dass dieser Gott aufgespaltet wurde. Ich habe das einem Gott angetan. Ich stehe so tief in seiner Schuld, das ist das Mindeste, was ich machen kann.“
„So habe ich das nicht gemeint, Natalia. Es ist nur so, dass… Ihre Worte haben mich verunsichert. Ich… Alles, was ich vorhatte, war Sie zu beschützen. Diese Worte aus Ihrem Mund zu hören ist wie eine Belohnung für meine Mühen. Nicht, dass ich irgendeinen Lohn haben wollte.“
Die schwarzhaarige Frau lächelte. „Norton, Sie sind ein erstaunlicher Mann. Manchmal scheint es mir, als seien Sie der große Bruder von unserem Herrn Schneider. Nur frecher, gewitzter.“ Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Weinglas und sah ihn dabei über den Rand des Glases an. „Erfahrener.“
Norton hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, seinen Krawattenknoten zu lüften. Er bekam auf einmal sehr schwer Luft.
Natalia beugte sich vor. Der Ausschnitt ihres Kleides geriet dabei in den Blick des Doktors.
Warum habe ich nicht Medizin studiert?, ging ihm ein wirklich dummer Gedanke durch den Kopf.
„Sie sind etwas besonderes, Norton“, hauchte sie.
Norton Andrew Myers beugte sich wie unter Zwang ebenfalls vor. „Das Kompliment kann ich zurückgeben“, hauchte er.
Ein lautes Piepen aus dem Jackett des Doktors forderte seine Aufmerksamkeit ein. Er sah zur Seite, und Natalia seufzte viel sagend.
Norton holte seinen Pager aus der Tasche und warf einen schnellen Blick darauf. „Entschuldigung, ich bin in einer Minute zurück. Wichtiger Anruf“, rief er, griff nach seinem Jackett und eilte an ihr vorbei zum Hinterhof hinaus.
Natalia stützte das Gesicht in die Hände und seufzte erneut. „Na toll. Na toll. Männer.“

Norton indes trat auf den Innenhof und zog seine Pistole. Er sprang über eine Mauer, durchquerte einen weiteren Innenhof und entsicherte die Waffe. Er machte sich klar, dass auf der anderen Seite dieser Mauer der Dämon Hoa stand, gerade bereit, mit zwei Leibwächtern in eine gepanzerte Limousine zu steigen.
„Eine Torch pro Leibwächter“, zischte Norton gepresst, „zwei direkt in den Kopf für Hoa.“
Wenn es denn reichte, um den Dämon zu töten. Niemand hatte ahnen können, dass der ehemalige Direktor von Akai Mittland eine weit reichende Schattengesellschaft aufgebaut hatte, die er nun nutzte, wo er seinen offiziellen Posten verloren hatte. Im Gegensatz zu HELIOS, welche den Dämon weiterhin lediglich observierten, sah Norton in dem Mann eine riesige Gefahr. Und dies war seine letzte Möglichkeit, um ihn sicher aufzuspüren und zu erledigen. Was er tun würde. Um jeden Preis. Sogar um den Preis seiner Menschlichkeit.
Gerade wollte Norton auch über diese Mauer springen, als auf der anderen Seite unverkennbar die Schüsse von Torches erklangen. Kurz darauf wurde ein Mensch über die Mauer geschleudert. Er flog bis zum nächsten Hindernis im Weg, einer Hausmauer, und prallte daran ab. Bewusstlos blieb er liegen. Eine zweite Gestalt flog durch das Fenster einer anderen Fassade.
Der Doktor zögerte nicht länger und sprang, den Finger am Abzug, über die Mauer hinweg.
Was er sah, ließ ihm aber das Blut in den Adern gefrieren. Vor ihn standen zwei Dämonen. Genauer gesagt, ein Dämon stand. Und der andere hing. Hing im wahrsten Sinne des Wortes im Griff des anderen Dämonen und schwebte einen Meter über dem Boden.
„Javala“, hauchte Hoa, „Gnade…“
Der Größere der Dämonen, ein wirklich riesiges Exemplar mit einem furchtbaren Kiefer und drei mächtigen Hörnern, brummte nur tief und grollend. Von einem Moment zum anderen sah er Norton Myers direkt an. „Verschwinde, Kind“, sagte er leise, aber es schien Norton, als würde ihn jedes Wort, jede Silbe, jeder Buchstabe mit der Kraft eines Hammers treffen.
„Sofort!“
Norton sprang automatisch und landete auf dem Sims der Mauer.
„Gut“, sagte der riesige Dämon und sah wieder sein Opfer an. Ja, Opfer. Das war das richtige Wort. „Du warst aufdringlich, Hoa. Du wirst zu mächtig. Und du bist schädlich für die Menschen.“
„Ich… will mich bessern, Herr“, stammelte der Dämon in Todesangst.
„Dafür ist es leider zu spät“, sagte der größere Dämon. Seine Augen glühten auf, und mit einem unwirklichen Schrei, der immer leiser wurde, zerstieb der kleinere Dämon, Hoa, zu Staub. Javala, der größere Dämon lächelte kalt und schüttelte die rechte Hand aus. Weiterer Staub rieselte zu Boden. Er warf einen letzten Blick zu Norton herüber, dann drehte er sich um und sprang davon. Der Satz trug ihn über mindestens drei Häuser.
Norton zögerte nicht länger. Die Pistole verschwand wieder in seinem Jackett. Er sprang herab und beeilte sich, in das Restaurant zurück zu kommen.

Dort angekommen zog er schnell das Jackett wieder aus und kam zurück an den Tisch, den er sich mit Natalia teilte. „Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat, Natalia.“
„Ach, es war ja nur eine Minute, Norton.“ Sie lächelte ihn an. „Wenngleich mir die Zeit sehr viel länger vorkam.“
Der Doktor riss die Augen auf. Machten sie etwa da weiter, wo sie vorhin aufgehört hatten?
„Und noch etwas, Norton. Wir sollten endlich mal beim du bleiben.“ Sie nahm einen Schluck Bier und deutete auf das für Norton mit bestellte Glas.
Der Doktor bedankte sich und nahm ebenfalls einen Schluck Bier. „Gut, Natalia. Ich wusste vorhin nur einfach nicht, ob es Ihnen gegenüber… Ob es dir gegenüber Professor Vaillard nicht peinlich wäre, gedutzt zu werden.“
„Nichts, was du tust, Norton, würde mir jemals peinlich werden. Du hast verdammt viel Kredit bei mir.“ Sie lächelte ihn an, und der Doktor spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde. Hörte sie endlich auf ihn? Das war wunderbar. Nein, es war mehr, weit mehr. Und weitaus schlimmer.
„Hör mal, ich weiß wo das endet. Und du bist angetrunken und ich will dich nicht…“
Sie rückte zu ihm herüber und legte ihm einen Zeigefinger auf den Mund. „Halt. Nicht weiterreden. Ich bin alt genug um zu wissen, was ich tue. Und wenn ich nicht wollte, wäre ich vorhin gegangen, als der Professor uns verließ.“
Sie lächelte ihn erneut an. Unruhig fingerte Norton an seinem Krawattenknoten und lockerte ihn um drei Nummern. „Herr Ober. Ich bezahle zwei Bier.“

Epilog:
„Nach einem langen Tag gibt es nichts besseres, als ein heißes Bad, um sich zu entspannen“, seufzte Ralf und ließ sich noch etwas ins Wasser sinken.
„Hai. Dem kann ich vorbehaltlos zustimmen“, murmelte Yoshi und griff nach seinem Glas Bier, das auf dem Beckenrand stand.
Misstrauisch öffnete Ralf ein Auge und besah die anderen beiden Gäste in der großen gemauerten Wanne. „Wenn Shawn oder Arnim noch kommen, wird es wohl etwas eng werden, nicht, Mako-kun?“
Der Gott grinste schief und stellte sein eigenes Glas Bier ab. „Dann wird es wirklich etwas eng. Aber das Bad haben wir uns redlich verdient. Und mich stört es eigentlich nicht, dass wir zusammen hier sitzen müssen, damit es schneller geht.“
„Also, ich bin das von Zuhause gewöhnt“, bemerkte Yoshi leise. „Ist also kein Problem für mich. Und dass wir zwei Stunden warten mussten, bis die Damen fertig waren… Das schreit nach Rache, wakarimasuka?“ Er zwinkerte den beiden zu.
Ralf grinste schief. „Lassen wir warmes Wasser nachlaufen. Ob du jetzt oder in einer Stunde auf deine Couch kommst, Yoshi-kun, ist jetzt auch egal.“
Makoto seufzte tief. „Das denke ich auch. Hm. Das ist ein Leben. Und Ihr Nihon-jin habt wirklich Kultur, das muß ich sagen.“
„Es müsste nur mal einer die Getränke nachfüllen“, murmelte Ralf und trank sein Glas leer.
„Was sehe ich denn hier? Es steigt ne Party und ich bin nicht eingeladen?“, erklang es vom Eingang. Arnim trat ein, in beiden Händen ein Sixpack Bier.
„Vorher waschen!“, rief Ralf aufgebracht. „Oder glaubst du, wir wollen in deiner Dreckbrühe baden?“
„Bleib ruhig“, erwiderte der Feuergesegnete und warf jedem ein Bier zu. „Ich kenne das schon.“ Arnim zog sich aus und kippte ausgiebig kaltes Wasser über seinen Körper. „Reicht das, oder soll ich mich noch einseifen? Das ist zwar kein typisches Nihon-Onsen, aber…“
„Reicht“, bestimmten die drei.
Arnim stieg zu ihnen in die Wanne.
„Mehr dürfen jetzt aber wirklich nicht mehr kommen“, stellte Ralf fest und öffnete sein neues Bier.
„Wisst Ihr, was ich gedacht habe?“, fragte Makoto plötzlich. „Warum stellen wir so ein Ding nicht im Garten auf? Arnim ist doch ein natürlicher Heizapparat. Er kann das Wasser immer wieder für uns erhitzen, dann entstehen keine Kosten.“
„Ja, klar. Und mit dir Prachtkerl als Badegast haben wir die halbe weibliche Uni als Zaungäste.“
„Wir könnten den Pool groß genug machen, damit zehn oder mehr Leute rein passen. Denk doch mal nach. Zusammen mit den Frauen baden…“
Ralf erhob sich. „Ich hole den Mörtel.“
Er ließ sich wieder ins Wasser sinken und lachte mit den anderen.

„Übrigens, Ralf-kun, ich habe da etwas für dich“, sagte Yoshi und fasste unter sein Wäschebündel. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er seine Pistole in der Hand. „Hier. Für dich, Ralf-san. Damit hast du unsere Leben gerettet. Ab jetzt soll sie dir gehören.“
Ralf nahm die Waffe entgegen. „Das ist… Danke, Yoshi-kun. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Bin ich diese Waffe überhaupt wert?“
„Die richtige Frage ist: Brauchst du die Waffe überhaupt?“, kommentierte der Gott und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Es versprach eine lange Nacht zu werden. Und Makoto war sich sicher, nicht mehr zum träumen zu kommen…

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Mein Gott, meine Göttin
Chapter acht

Prolog:
Marianne pflegte gerade ihre Smith&Wesson A4 Torchthrower, während sie den Bericht eines ihrer Teamleiter las. Dazu nahm sie die Waffe auseinander, säuberte und ölte die verschiedenen Komponenten und sortierte die sechs Kugeln vor, die sie anschließend in die Kammern stecken würde. Zwei Kugeln Erdclanodem. Eine Kugel Feuerclan. Eine Kugel Wasserclan. Und zwei Kugeln Luftclan. Ihre bevorzugte Mischung.

Vorläufiger Bericht über den Vorfall, Inissars Auge betreffend, las sie.
Die Observation des Dämonen Hoa, nachdem dieser aus dem Gewahrsam HELIOS ausgebrochen war, wurde von zwei Teams gewährleistet, die ihn lückenlos überwachten.
Ein Kontakt Hoas zur kriminell aktiven Gruppe Götterdämmerung wurde definitiv nachgewiesen. Weitere Ermittlungen in dieser Richtung ergaben, dass diese kriminelle Vereinigung über Jahre hinweg von Hoa mit aufgebaut worden war. Eine Zerschlagung dieser Gruppe wird durch die Kontakte zu Dämonen dringend empfohlen.
Die Observierung endete letzte Nacht um zweiundzwanzig Uhr achtunddreißig, als Hoa, begleitet von zwei Bodyguards von einem anderen Dämonen angegriffen wurde. Dieser Dämon konnte nicht identifiziert werden, wir vermuten aber, dass es sich um Javala handelt.
Javala (wahrscheinlich) entledigte sich der beiden Bewacher, die mit Brüchen und Inneren Blutungen in das nahe Annastift eingeliefert wurden. Danach tötete Javala Hoa. Eine Rekonstruktion durch Hoas Regenerationskräfte scheint möglich, ist aber auf Jahre hinaus unwahrscheinlich.
Unsere sofort eingreifenden Überwachungsbeamten konnten Javala nicht stellen.
Zu diesem Zeitpunkt traf ein unbekannter männlicher Kaukasier von etwa eins neunzig Größe mit rückenlangem, schwarzen Haar ein, der augenscheinlich eine torchfähige, illegale Pistole bei sich trug. Er wurde Zeuge der Exekution von Hoa und verließ den Ort des Geschehens, bevor eine sichere Identifizierung möglich war oder sogar eine Verfolgung eingeleitet werden konnte. Aufnahmen existieren vom Tod Hoas nicht, da der Dämon Javala seine Macht benutzte, um sämtliche Aufnahmegeräte im Umkreis von zwanzig Metern zu vernichten. Bei dieser Gelegenheit beantrage ich hiermit neun neue Spezialbrillen für den Dienstgebrauch.
Aufgrund der torchfähigen Waffe, die illegal im Besitz des Unbekannten ist, empfehle ich eine Fahndung.
Die Ermittlungen ergaben bis zu diesem Punkt, dass Hoa wahrscheinlich nicht im Besitz von Inissars Auge war. Das volle Potential dieses Artefaktes des Feuerclans scheint ihm und der Gruppe Götterdämmerung ebenso nicht bekannt zu sein.
Der Aufenthalt des als Inissars Auge bekannten Artefaktes ist weiterhin unbekannt.

Anmerkung: Inissars Auge ist ein magisches Potentialfeld, welches von Clan des Feuers während des Großen Krieges gegen die Dämonen auf der Mittleren Ebene eingesetzt wurde.
Das Auge selbst ist nur ein Fragment des eigentlichen Artefaktes, welches als Inissars Stab bekannt war.
Siebzig Götter des Feuers konzentrierten unter der Leitung des Kriegsherrn Inissar sieben Tage lang den Odem von siebentausend Gläubigen, um das Potentialfeld zu erschaffen. Es heißt, während dieses Gebetsmarathons seien hunderte Gläubige vor Erschöpfung zusammen gebrochen und viele seien auch gestorben. Seitdem haftet dem Feuerclan, wie bekannt, der Ruf der Rücksichtslosigkeit an.
Inissar setzte seinen Stab während der letzten Schlachten ein, bevor die Dämonen endgültig besiegt wurden. Der Kriegsherr selbst starb in diesen Schlachten, sein Stab wurde zerschlagen. Inissars Griff und Schaft lösten sich auf und expandierten als ungebändigte Wellen an reiner Odemenergie.
Inissars Auge wurde von überlebenden Kämpfern des Feuerclans geborgen und in den Clan verbracht, wo es Jahrhunderte später gestohlen wurde. Seither gilt das Auge als verschollen.
Das Auge ist die ehemalige Spitze des Stabes und hat Aussehen und Form eines großen Juwels.
Dieses Fragment des eigentlichen Artefaktes ist überaus mächtig. Es ist eine Art Verstärker für Odemkräfte. In der Hand eines geübten Gesegneten oder Gottes kann es dessen Odemkontrolle verdreifachen oder sogar vervierfachen.
Der Dämon Ibran benutzte das Artefakt dazu, die Leistung des Resonators extrem zu steigern, kam dem wahren Potential von Inissars Auge aber nicht auf die Spur.
Auch hier empfehle ich dringend, Inissars Auge zu finden und zu konfiszieren. Eine Rückgabe an den Clan des Feuers empfehle ich nicht.
Bericht Ende.

„Also läuft da draußen jemand mit einem der mächtigsten magischen Potentialfelder der Weltgeschichte herum“, murmelte sie leise und setzte die Waffe wieder zusammen.
Potentialfelder waren gefährlich. Einige waren nichts weiter als Schmuckstücke, andere Waffen, die ihrem Erschafferclan gemäß Erde, Luft, Wasser und Feuer manipulierten.
Aber manche, wirklich mächtige Artefakte konnten sogar das fragile System beeinflussen, das die Menschen in Ermangelung eines anderen Namens Realität nannten.
HELIOS hatte seit seiner Gründung hunderte dieser magischen Artefakte aufgespürt, konfisziert und damit aus dem ewigen Streit zwischen Dämonen und Menschen gezogen.
Aber sie ahnte, dass alle Erfolge egalisiert wurden, wenn es nicht gelang, dieses eine Artefakt in sichere Hände zu geben.
Man stelle sich nur vor, ein Gott, berauscht vom Gefühl der Allmacht, mit einer ihm ausgelieferten Menschheit.
Marianne neigte normalerweise nicht dazu, Phrasen zu dreschen. Aber sie machte sich ernsthafte Sorgen darum, dass der Besitz von Inissars Auge eventuell über das Schicksal der Welt entscheiden könnte.

1.
Nachdenklich saß Ralf Schneider auf den Steinen der Terrasse hinter dem Haus und starrte auf den Rasen hinaus. Jeder einzelne Grashalm stand für einen Gedanken, mit dem er sich beschäftigte. Besser gesagt, der ihn terrorisierte. Sein Leben war in den wenigen Wochen, die er Makoto nun kannte vollkommen aus den Fugen geraten. Alles hatte sich verändert. Sogar sein Gott hatte sich verändert.
„Einen Real für deine Gedanken“, erklang Mako-chans Stimme hinter ihm.
Ralf sah hoch. „Oh, du.“
Die Göttin setzte sich neben ihn und stieß ihren Ellenbogen in seine Seite. „Das klingt ja nicht gerade begeistert. Liebst du mich nicht mehr?“
Ralf wurde rot und hustete. „Red keinen Unsinn. Natürlich liebe ich dich noch.“
Nun war es an der Göttin, rot zu werden. Ihre kleine Neckerei hatte ein Geständnis hervorgebracht, dass in seiner Schlichtheit sehr bewegend war. So einfach und salopp dahin gesprochen offenbarte es Ralfs tiefste Gefühle.
„Es ist nur so, dass…“ Der Gläubige kramte in seiner Hosentasche und zog das große Juwel hervor. „Es ist nur so, dass mir dieses Teil schlaflose Nächte bereitet. Ich meine, diese durch geknallten Nihon-Killer in den schwarzen Klamotten wollten Yoshi dafür töten. Und jetzt habe ich es am Hals.“
Shawn hatte eine Schnur drum gewunden, sodass Ralf das Artefakt, wenn er es wollte, um den Hals tragen konnte. Insoweit hatte der Gläubige schon Recht.
„Inissars Auge ist am sichersten Platz der Welt“, sagte Mako-chan im Brustton der Überzeugung. „Es ist bei dir.“
„Danke. Es freut mich, dass du es so siehst. Dennoch, manchmal wünsche ich mir…“
Erschrocken sah die Göttin ihn an. „Dieses manchmal wünsche ich mir gefällt mir irgendwie nicht.“
Ralf zog fragend die Augenbrauen hoch, dann verstand er. „Ach so, du… Ich… Nein, um der Götter willen, Mako-chan. Es gab nicht eine Sekunde in meinem Leben seit wir uns getroffen haben, in dem ich mir gewünscht habe, dass ich dich nicht getroffen hätte. Oder Mako-kun. Ich meine, tja, den Originalgott. Du verstehst schon. Nein, ich bin dankbar, tief dankbar für jeden Augenblick.“
Mako-chan sah ihren Gläubigen mit feucht schimmernden Augen an. Dann lehnte sie den Kopf auf seine Schulter. „Schmeichler.“
Ralf schmunzelte. Einfacher hätte sie ihre Zuneigung nicht ausdrücken können. Und auch nicht eindrucksvoller.
„Manchmal wünsche ich mir…“, begann Mako-chan und sah Ralf auffordernd an.
„Was? Ach so, ja. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte das hier nicht gekriegt. Das Artefakt. Ich wünsche mir, ich wäre weiterhin ein ganz normaler Typ. Ich meine, sieh mich doch mal an. Was bin ich jetzt? Eine Art Supergesegneter mit Fähigkeiten, hinter denen sich wahrscheinlich sogar Vater verstecken kann.“
Mako-chan knuffte ihm schmerzhaft in die Seite. „Das warst du aber auch vorher schon, oder?“
„Ja, zugegeben. Ich habe einiges von meiner Schnelligkeit und Kraft versteckt. Aber ich hatte weder diese Selbstheilungskräfte, noch musste ich mich Dämonen stellen.
Meine einzige Sorge war, wie ich den Tag überstehe, ohne in irgendeine Peinlichkeit zu stolpern. Nun sind es keine Fettnäpfchen mehr, sondern eine Verschwörung, die Götter töten will, ein Dämon, der mir nach dem Leben trachtet oder ein Dutzend Killer aus Nihon, das genau dasselbe vorhat.
Was hätten wir für ein einfaches und leichtes Leben gehabt, wenn wir nur als Studenten an der Staatlichen Klingburg sein könnten. Aber nein, Frau Prokovniewa musste ja diesen Auraverstärker bauen. Und dann musste mein Vater vorbei schauen.“
Mako-chan seufzte tief. „Und meine Mutter.“
„Und überhaupt, mussten sich die beiden vor unseren Augen abknutschen? Ich meine, erst denkt man, sie würden sich am liebsten gegenseitig töten. Und dann gehen sie in den Nahkampf.“ Ralf schüttelte den Kopf. „Manchmal komme ich mir vor wie in einem schlechten Roman.“
„Wenn schon, dann in einem guten Roman. Es wird zwar viel von dir verlangt, aber du bist bisher jeder Aufgabe gewachsen gewesen.“ Die Göttin hob den Kopf von seiner Schulter und sah ihn an. „Bist du nicht stolz auf dich?“
„Ein einfaches Leben als einfacher Student hatte seine Vorzüge“, wich Ralf aus.
„Hm“, machte die Göttin. Sie bewegte ihren Kopf schnell vorwärts und berührte Ralfs Lippen mit den ihren. Dabei hauchte sie etwas Odem in seinen Mund. „Vielleicht solltest du deine Kraft besser verstehen lernen, um mit ihr leben zu können, Ralf.“
„Was hast du mit mir gemacht, Mako-chan? War das Odem? Was soll er bewirken?“
Die Göttin erhob sich. „Es war nicht viel. Er wurde nur von mir Ziel gerichtet. Er wird dich an die Quelle deiner Kraft führen, wenn du die Augen schließt.“
„Du nimmst mich hoch, Mako-chan.“
Die junge Frau lächelte und gab Ralf einen richtigen Kuss. „Du vergisst, ich bin eine Göttin. Okay, eine Leistungsreduzierte Göttin. Mann, das klingt komisch. Aber hey, ich habe mehr Erfahrung mit Odem umzugehen als die meisten Gesegneten auf der Unteren Ebene.
Also schließ die Augen und vertrau mir.“
„Ich vertraue dir doch immer“, sagte Ralf und schloss mit einem Lächeln die Augen. „Nichts passiert.“
Von einem Moment zum anderen schien er in einer Achterbahn zu sitzen, die gerade von ihrem höchsten Punkt in die Tiefe raste – und das durch ein Meer aus Farben. Er schoss geradezu durch diese Welt und zielte genau auf einen dunklen Punkt. Der Punkt wurde groß, größer und nahm bald seine ganze Sicht ein.
Plötzlich war da nur noch der Punkt, nur noch Dunkelheit. Und Ralf hatte das Gefühl, gegen eine massive Mauer zu laufen. Danach war… Nichts.

2.
„Was bin ich?“, fragte sich Ralf, während er durch den finsteren, schier endlosen Gang schritt. „Ein Mensch? Kann ich ein Mensch sein? Darf ich ein Mensch sein?“ Er betrachtete im Zwielicht seine rechte Hand. Hier hatte ihm die Torch-Explosion damals in der Halle drei Finger abgerissen. Sein Wille aber hatte sie nachwachsen lassen.
Er erinnerte sich auch noch gut daran, wie ihn eine Kugel, keine Torch, eine normale, handelsübliche Kugel in der Schulter getroffen hatte. Der Schmerz hatte heiß und wild in ihm gebrannt und etwas geweckt, was er schon einmal verspürt hatte, vor unendlich langer Zeit. Eigentlich hatte er geglaubt, es verloren zu haben. Er hatte sich geirrt.
Es war noch da. Und disqualifizierte ihn das nicht vom Menschsein? Gesegnete konnten ihre Wunden und die anderer heilen. Götter auch. Aber er war keines von beiden. Er war nur der Gläubige eines Nachwuchsgottes. Und dennoch hatte er drei Finger seiner Hand regeneriert.
Ralf dachte an die Waffe, glaubte zu sehen, wie die Torch abgefeuert wurde und gleichzeitig der Schlitten aus der Halterung brach, den heißen Odem über ihn ergoss. Fühlte auch diesen Schmerz, aber fern, unendlich fern.
„Ich muß Yoshi mal fragen, ob er für die Pistole Ersatzteile auftreiben kann“, brummte Ralf nachdenklich. „Abzug, Griff und Schlitten sind noch in Ordnung, aber der Rest ist verzogen.“
„Was machst du denn da?“, erklang neben ihm eine vertraute Stimme. „Da schickt deine Göttin dich in die tiefsten Tiefen deiner Seele, und du denkst über eine Waffe nach.“
Ralf wandte den Kopf zur Seite und erkannte Markus Holt. „Nanu? Was machst du denn hier?“
Der dickliche Mann grinste leicht. „Ich könnte jetzt sagen, dass ich mal wirklich interessantes Material für das Cyanid sammle oder das mehr in mir steckt, als man auf den ersten Blick sieht. Aber ich lasse es. Die Wahrheit ist schlicht und einfach: Ich bin nicht ich. Was du hier siehst ist nur das, was du zu Markus erklärt hast. Wissen, Erlebtes und Vermutungen. Anders ausgedrückt: Ich verhalte mich genau so, wie du dies von Markus erwartest.“
„Aha. Und was machst du hier?“
„Nun, es sieht so aus, als wäre ich dein Führer“, brummte der Freizeitjournalist und setzte sich in Bewegung.
„Mein Führer? Wozu brauche ich einen Führer? Und wohin gehen wir überhaupt?“, fragte Ralf.
„Na, wohin wohl? Wir gehen in dein Ich. Wir ergründen deine Seele. Und wir treten vor das dritte Portal.“
„Ergründen meine Seele? Drittes Portal? Also, ich denke eigentlich nicht, dass mein Bild von Markus so schlecht ist. Er spricht nicht in Rätseln“, beschwerte sich Ralf.
„Okay, okay, ich bin nicht zu hundert Prozent dein Bild von ihm“, gestand sein Führer ein. „Ich weiß auch einiges über diesen Ort. Immerhin war es dein Unterbewusstsein, welches ihn geschaffen hat.“ Markus versenkte die Hände in seinen Hosentaschen. „Junge, Junge, du bist ganz schön anstrengend, hat dir das schon mal jemand gesagt?“
„Und ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass er mir jemals dämlich gekommen wäre.“
Markus antwortete nicht und setzte seinen Weg fort, ohne sich zu vergewissern, dass Ralf ihm folgte.
„Okay, das kenne ich wieder von ihm“, brummte Ralf und ging hinterher.

Der Gang endete. Er mündete in einer weiten Halle. Sie war so weit, dass Ralf die Wände nur erahnen konnte. Die Decke war auch recht hoch, aber die riesigen, tief herab hängenden Kronleuchter nahmen doch etwas von der Weite des Saals.
Ihnen gegenüber befand sich ein riesiges Tor, dessen Flügel Dutzende Meter lang schienen und die vom Bond bis zur Decke reichten. Die Türflügel waren weit geöffnet.
„Wo sind wir hier?“, fragte Ralf ergriffen und starrte auf unzählige Lichtblitze, die zwischen den Leuchtern hin- und herhuschten.
„Dies ist deine Erinnerung, Ralf. Genauer gesagt ein stilisiertes Abbild jenes Teils deines Gehirns, in dem du deine Erinnerungen speicherst.“ Markus hob dozierend den Zeigefinger. „Stilisiert bedeutet, die Wirklichkeit wurde durch Symbole ersetzt oder massiv vereinfacht dargestellt, damit es für dich leichter zu verstehen ist.“
Ralf grinste. „Jetzt wirkst du wie Makoto.“
Markus starrte auf seinen erhobenen Zeigefinger und klappte ihn weg. „Nur weil du nie gesehen hast, dass ich diese Geste mache, heißt noch lange nicht, dass ich es nicht tue.“
„Phhh“, machte Ralf und legte die Hände hinter dem Kopf. „Was ist das für ein Tor in der Ferne? Ist das das dritte Tor, von dem du gesprochen hast?“
Markus nickte in Richtung des Portals. „Das da? Nein. Das ist das Portal der Kraft. Das erste Portal. Du hast es neulich durchbrochen, erinnerst du dich? Okay, du hast nicht gerade bildlich hier gestanden und es aufgebrochen. Aber als du in der Halle mit dem Resonator gekämpft hast…“ Vor den Augen der beiden entstand aus dem Nichts die Halle. Sie selbst nahmen die Position von Beobachtern im Abseits ein. Ein sehr wütender Ralf Schneider ging gerade auf Direktor Honda zu. Seine Aura war mehr als deutlich zu sehen.
Das Bild wechselte und zeigte nun einen Ralf, der von den Auren der drei Gesegneten und der Göttin durchdrungen wurde, um diese geballt in einer Torch auf den Resonator abzufeuern.
„…bist du durch das Tor gebrochen. Normalerweise hätte es sich wieder schließen müssen, aber die Wächterin wollte das nicht. Sie meinte wohl, die Zeit wäre nun bereit.“
„Wächterin? Zeit?“, fragte Ralf verständnislos.
„Später, Ralf, später.“

Markus schritt wieder aus und Ralf folgte ihm. Rund um ihn entstanden Bilder, Erinnerungen aus seinem Leben. Wie er sein erstes Rad bekam. Wie er dafür, dass er seine Schwester Carine im Wäscheschrank eingesperrt hatte, eine Extrastunde Hausaufgaben machen musste.
Wie er seiner kleinen Schwester die ersten Griffe und Würfe zeigte, was von der damals Sechsjährigen mit einem Heulkrampf beantwortet wurde.
Verschiedene Szenen seines Lebens, in denen Thomas ihn ermahnte, nicht seine Fähigkeiten zu offenbaren. Beim Sport, bei Prügeleien, im Alltag. Wie er sich auf Wunsch seines Vaters als unsportlich und linkisch hinstellte, bis ihm dieses Verhalten passte wie eine zweite Haut.
„Na, immer noch nicht genug in die Vergangenheit gesehen?“, fragte Markus, ergriff Ralf am Arm und zog ihn mit sich. „Wir wollten zum dritten Tor, schon vergessen?“
„Aber das ist interessant“, beschwerte sich der Klingburger. „Ich meine, jetzt weiß ich wieder, wo ich die dreißig Real versteckt habe, die mir Tante Tessa zu meinem fünften Geburtstag geschenkt hat. Und ich weiß auch wieder…“
Ralf verstummte und blieb stehen. Markus zog an seinem Arm, aber der Gläubige reagierte nicht. Also sah der dickliche Mann zurück. Er seufzte viel sagend. „War ja klar.“
Eine hübsche, hellblonde Frau in einem bodenlangen Kleid war darauf zu sehen, wie sie zwei Kindern auf die Stirn küsste. Das eine Kind, der Junge, war Ralf. Das andere Kind hätte Carine sein müssen, aber das Mädchen dort war es nicht. Dieses Mädchen war genau so alt wie der Junge. „So, und jetzt spielt schön“, sagte die Frau und lächelte den beiden davon laufenden Kindern hinterher.
„Mutter“, hauchte Ralf ergriffen. Ja, sie war es. Er hatte beinahe schon vergessen, wie sie ausgesehen hatte. Die Onkel und Tanten sagten ihm zwar immer, Carine wäre wie ihr Zwilling, aber Ralf erkannte viele Unterschiede. Diese Frau war sanft, lieb und immer freundlich. Und nicht so ein selbst überzeugter, garstiger Besen wie seine Schwester.
Ralf seufzte tief. Und ging weiter.
„Was denn, was denn? Keine Tiefschürfenden Erkenntnisse? Keine Tränen? Kein Zusammenbruch? Und nicht das Verlangen, getragen von Pein und Schmerz, die Szene ihrer Beerdigung mit zu erleben?“, fragte Markus erstaunt.
„Sie ist tot, Markus. Das habe ich schon lange akzeptiert. Und noch etwas habe ich endlich sehr gut verstanden. Solange ich mich noch an sie erinnere, ist sie bei mir. Mehr brauche ich nicht.“
Markus stemmte die Hände in die Hüften und sah seinem Kommilitonen nach. „Beeindruckend. Wirklich beeindruckend.“

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Szenen aus der Vergangenheit, nah und fern, entstanden rund um die beiden. Manchmal blieb Ralf interessiert stehen, manchmal ignorierte er das Geschehen. Als eine Erinnerung die Nacht mit Mako-chan zeigte, blieb wiederum Markus stehen. Er verdrehte den Kopf und brummte: „Wie macht man das? Braucht man dafür ein Spezialtraining?“
Ralf wurde rot und zog seinen geistigen Führer weiter. „Ich denke, wir sollten langsam mal zum Tor kommen, oder?“
„Hey, jetzt wird das aber erst richtig interessant“, beschwerte sich Markus.
Ralf drehte sich zu dem Studenten um und warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
„Schon gut, schon gut. Ich bin zwar nur ein Gedanke von dir, aber ich will dich deswegen nicht in Rage erleben. Sag mal, seit wann neigst du dazu, ein Choleriker zu sein?“
Neben ihnen entstand eine neue Szene und zeigte Ralf und Makoto im Park. Die Göttin hockte auf einem Brückengeländer, Ralf sah zu ihr hoch. Unendlich langsam kamen sich ihre Lippen näher.
„Schon gut, schon gut“, brummte Markus. „Du brauchst nicht mehr zu antworten.“
Grinsend und pfeifend ging der Freizeitjournalist weiter.
Ralf schluckte seinen Ärger herunter und riss sich vom Anblick Mako-chans los.
Er eilte Markus hinterher. „Du wolltest mir etwas über das Dritte Portal erzählen. Und über die Wächterin.“
„Nun“, antwortete das Abbild seines Kommilitonen, „ich werde wohl nicht so oft zu Wort kommen, wie ich gerne wollte.“
„Sprich nicht schon wieder in Rätseln“, beschwerte sich der Gläubige.

Unerwartet blieb Markus stehen. Ralf stoppte ebenfalls. Und sah nach oben. „Wow!“, entfuhr es ihm. „Wow!“
„Ja, es ist beeindruckend. Hat ein wenig was von espanialischem Stil, findest du nicht?“
„Wie hoch ist das Tor?“, fragte Ralf.
„So hoch, wie du willst. Vergiss nicht, dies hier ist dein Kopf. Es sind deine Erinnerungen und es ist dein Bild, das du dir gerade selbst projizierst. Solange du dein Unterbewusstsein als Teil von dir akzeptierst.“
„Laber nicht. Erklär es mir lieber“, brummte der Gläubige.
Sie traten durch das Portal.
„Das ist also das Portal der Kraft“, brummte Ralf. „Ich warte immer noch auf eine Erklärung, Markus.“
„Vielleicht sollte ich dir diese Erklärung geben“, sagte eine andere, bekannte Stimme vor Ralf. Aus dem Nichts in der in Nebelschwaden gehüllten Halle hinter dem Ersten Portal entstand Thomas Schneider und nickte seinem Sohn zu.
„Vater. Was machst du denn hier?“
„Ich bin nicht wirklich hier. Ich bin nur eine Projektion deines Unterbewusstseins.“
„Wieso? Einen geistigen Führer habe ich doch schon“, brummte Ralf und deutete auf seinen Kommilitonen.
„Nun“, antwortete Thomas gedehnt, zog seinen Kampfstab aus der Tasche und begann entnervende Spiel, ihn auszufahren und wieder zusammenzulegen, „ich bin gewissermaßen eine Bündelung all dessen was du über mich weißt. Ich meine, ich bin alle Erfahrungen, Erinnerungen und Spekulationen, die du je über mich gedacht, gesehen oder gehört hast.
Und hier steht die Summe deiner Erfahrungen, um dir Rede und Antwort zu stehen. Ich kann dem echten Thomas nicht in den Kopf sehen. Aber ich kann präzise ausformulieren, was immer du wissen willst.“
„Und warum tust du das? Warum bewirkt Makotos Odem das?“
Thomas Schneider lächelte. „Weil du mehr über dich selbst erfahren willst. Du bist gerade durch das Portal der Kraft geschritten. Hindurch gelugt hast du schon immer. Einen Fuß in die Tür gestellt. Einen Hauch deiner wahren Kraft erahnt. Aber neulich bist du hindurch gebrochen und hast dein volles Potential entfaltet. Dein volles Potential, welches hinter diesem Portal und vor dem Zweiten Portal steckt, dem Portal der Macht.“
Thomas machte eine Pause. „Hast du eine Frage an mich, Ralf?“
Der Student sah zu Boden. „Ja, Va… Ja, Thomas. Ich habe sogar mehrere Fragen. Wenn du die Summe all dessen bist, was mich mit Vater verbindet, dann kennst du die Antworten auf eine Menge Fragen, die ich für mich bereits beantwortet habe, es mir aber nie eingestand.“
„Insoweit ist das schon ganz richtig. Dein Unterbewusstsein lässt längst nicht alle Informationen in dein Wachbewusstsein vordringen. Alleine, um dich zu schützen.“
„Gut“, brummte der Student. „Dann ist hier meine erste Frage. Was bin ich? Ein Mensch? Ein Dämon? Ein Gott? Ein Götterabkömmling? Komm schon, antworte.“
„Wie kommst du darauf, etwas anderes zu sein als ein Mensch?“, fragte Markus erstaunt.
„Hallo? Hast du die Erinnerung an den Kampf in der Halle nicht gesehen? Oder das da?“ Ralf deutete auf eine neue Erinnerung, die aus dem Nebel entstand. Ein Ralf Schneider war darauf zu sehen, auf den in Zeitlupe die Shuriken der Nihon-Killer zuflogen. Seine Bewegungen aber erfolgten in Normalzeit, während er die Waffen aus der Luft pflückte und nebenbei in den Fingern sortierte. „Ist das vielleicht normal für einen Menschen?“
„Für einen Menschen, der das Erste Portal durchstoßen hat, ja“, sagte Thomas leise.
Ralf blickte die Interpretation seines Vaters sprachlos an. „Du meinst… Alle Menschen tragen dieses Portal in sich?“
„Die meisten“, brummte Markus. Er warf Thomas einen Blick zu. „Tschuldigung, wollte dir nicht deinen Auftritt stehlen.“
„Schon gut. Ja, Ralf, die meisten Menschen tragen dieses symbolhafte Portal in sich. Aber nur wenige durchschreiten es, ohne die Gesegneten eines Gottes zu sein.“
Ralfs Augen blitzten auf. „Gesegnete?“
„Ist das nicht offensichtlich? Denkst du wirklich, der Odem eines Gottes alleine reicht aus, um so einen Vorteil an Kraft und Geschwindigkeit hervor zu rufen? Ein Mensch wird dann ein Gesegneter, wenn sein Gott ihn an dieses Tor heranführt und es gemeinsam mit ihm durchbricht. Natürlich spielt der Umgang mit Odem auch eine wichtige Rolle.“
„Zugegeben“, mischte sich Markus erneut ein und erntete dafür einen bösen Blick von Ralf Vater.
„Damit wäre diese Frage geklärt. Du beherrschst die Kraft, die dir mit der Öffnung des Ersten Portals zur Verfügung steht natürlich weit besser als ein normaler Mensch oder irgendein Gesegneter. Das liegt einfach in der Familie. Aber du bist definitiv ein Mensch.“
Erleichtert sackte Ralf auf die Knie. „Kein Gott? Kein Dämon? Nichts Ungewöhnliches?“
„Zumindest nicht genetisch bedingt.“
„Was soll dass denn wieder heißen, Thomas?“, blaffte Ralf.
„Du bist schon etwas besonderes“, erwiderte das Abbild seines Vaters. „Primus Interparis, um mal Lingua Roma zu benutzen. Bester unter Gleichen.“
„Wie nett“, erwiderte Ralf und erhob sich wieder. „Nächste Frage: Wie alt bist du, Thomas?“
Das Abbild kniff die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen. „Wie darf ich diese Frage verstehen?“
„Schlicht und direkt. Wie alt ist mein Vater?“
Thomas wich seinem Blick aus, während er antwortete. „So um die zwölf bis dreizehn Jahrhunderte, soweit ich weiß.“
„Du bist nicht überrascht?“, rief Markus erstaunt, als Ralf überhaupt nicht reagierte.
„Nein, eigentlich nicht. Ich habe mir so etwas schon gedacht. Du musst das Portal der Kraft schon damals durchstoßen haben, Thomas. Und wie ich warst du etwas Besonderes. Zusammen mit deiner Freundschaft zu einer Göttin, na Freundschaft, muß es der Beginn einer ewiglich langen Aufgabe gewesen sein. Dieser Mensch, der als Fokus gegen die Dämonen gekämpft hat, bist du aber nicht, oder?“
Thomas dachte lange nach. „Keine Ahnung. Das weiß ich nun wirklich nicht. Es kann sein. Es kann genauso gut sein, dass ich nur ein Nachfahre dieses Mannes bin. Wenn es denn ein Mann war.“
Enttäuscht ließ Ralf die Schultern hängen. „Schade. Darauf hätte ich schon gerne eine Antwort gehabt.“
„Tja, tut mir leid. Ich bin eben nicht dein Vater. Hast du noch mehr Fragen, bevor der Nächste kommt?“
„Wie, der Nächste?“, fragte Ralf erstaunt.
„Beeil dich, wenn du noch was wissen willst“, drängte Thomas.
„Na gut. Wie alt bin ich?“
Das Abbild seines Vaters musterte ihn eindringlich.
Markus grinste breit und sagte: „Ich weiß es, ich weiß es.“
„Du bist zweiundzwanzig Jahre alt, Ralf.“
Mit diesen Worten verschwand das Abbild seines Vaters.
„Dummkopf. Du hättest deine Frage anders stellen müssen“, murmelte Markus.
„Was, bitte?“
„Ach, nicht, nichts, nichts. Da kommt auch schon der Nächste.“

Vor ihnen gingen die Nebel in Flammen auf. Es dauerte nicht lange und sie waren von Flammen umgeben. Ausyl entstand aus dem Nebel, nur dass seine Haare wie Flammen gleich Meterhoch in die Luft loderten.
„Gehen wir ihm etwas entgegen. Er wird uns Fragen zum Zweiten Portal, dem Portal der Macht beantworten“, sagte Markus und schritt voran.
Die beiden traten zu dem Gott. Der hatte die Arme in einer unmöglichen Position erhoben und verharrte so.
„Du bist also Ausyl“, stellte Ralf fest.
„Sei still“, fuhr der Feuergott ihn an. Er zog die Arme nach unten und hielt plötzlich einen Golfschläger aus Flammen in der Hand. Er traf einen Ball – natürlich ebenfalls aus Feuerplasma – und drosch die Kugel durch den brennenden Nebel auf einen nahen Hügel, der aus den Flammen ragte.
„Hole in One“, erklang eine Stimme von dort.
Ausyl reckte siegreich die Arme nach oben und grinste Ralf dann an. „Tschuldigung, aber ich wollte das achtzehnte Loch noch beenden. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so schnell sein würdest.“ Der Feuergott stützte sich auf seinem Schläger ab. „Also, was willst du wissen, kleiner Schneider?“
„Warum bist du eigentlich so freundlich?“, argwöhnte Ralf. „Ich habe dich nur als randalierenden Berserker in Erinnerung.
Ausyl grinste schief. „Nun. Du vielleicht. Aber dein Unterbewusstsein erinnert sich noch ganz gut daran, wie ich mit meinen Flammen den Sauerstoff damals aus dem Kellerraum heraus gebrannt habe. Wie du zu Boden fielst und fast gestorben wärst.
Wie ich dir Odem gab, damit du überleben konntest.“
„Das… Das ist doch gelogen!“, blaffte Ralf.
Ausyl grinste ihn wölfisch an. „Das könntest du sagen, wenn ich der echte Ausyl wäre. Aber Hey, ich bin deine Gedanken und Erfahrungen, die du mit Ausyl hattest. Außerdem, Mann, hast du doch eines schon seit langer Zeit vermutet. Nämlich, seit Arnim als mein Gesegneter in deine WG eingezogen ist. Ich und dein Vater sind sehr alte Freunde. Ich habe keinen Grund, dir RICHTIG wehzutun, Kleiner.“
„Äh. Ja. Das ist jetzt beruhigend. Ich nehme an, Ihr Götter wolltet mit mir und Freya und Shawn und Arnim so etwas erschaffen wie mit Vater, richtig? Nur dass Makoto in die Mitte sollte, und nicht ich.“
„Auch das ist richtig.“ Der Feuergott tätschelte die Wange des jungen Mannes. „Bist ja ein richtig schlauer Bengel geworden.“
Der Gott legte einen Arm um Ralf und drehte ihn in Richtung des Tors der Macht. „Ist es nicht ein schöner Anblick? Das Portal der Macht? Ja, ja. Nur einer von tausend Menschen ist in der Lage, dieses Tor zu sehen. Und von denen kann nur jeder hundertste hindurch gehen, wenn er es überhaupt wagt.“
„Was ist dieses Portal?“, fragte Ralf.
„Nun, es ist so. Du bist durch das Portal der Kraft gegangen. Das Ergebnis waren deine Selbstheilungskräfte, deine Schnelligkeit und deine Kraft. Du hast es mal die Fähigkeit eines Supergesegneten genannt.
Ist so nicht ganz richtig. Der Gott, der dich segnet, weckt die Kraft. Aber sie steckt in dir.“
Ausyl knuffte ihm hart in die Seite. „In dir, kapiert?“
„Ja, ja.“
„Sag nicht ja, ja. Das heißt nämlich, leck mich am Arsch“, beschwerte sich der Feuergott.
„Ja, ja, ja?“, bot Ralf grinsend an.
„Schon besser“, brummte Ausyl und trat durch den Nebel bis vor das Portal.
„Nur wenige Menschen können überhaupt hier durch treten. Und keiner von ihnen ist ein Gesegneter. Du hast die Chance, hier hindurch zu treten. Und du hast auch die Chance, den Verlockungen des Tores zu widerstehen, um das ultimative Ziel zu erreichen. Das Dritte Portal. Das Portal des… Tja, wie nennt man es am besten?“
„Stamina“, half Markus aus.
„Stamina. Dämlicher Name. Ralf. Hinter dem dritten Portal erwartet dich der Ursprung aller Kraft. Es ist eine Energie, die nur schwer in Worte gefasst werden kann. Aber wenn du sie erreichst, wird sie dich auslöschen. Und neu erschaffen. Dir wird alles möglich sein. Und nichts. Aber das schaffst du nur, wenn du bei deiner zweiten Aufgabe nicht versagst.“
„Du sprichst schon in Rätseln wie dieser Abklatsch von Markus“, beschwerte Ralf sich.
„Wer ist hier ein Abklatsch, hä?“, beschwerte sich der Freizeit-Journalist. „Ich bin eine vollständige Kopie von all dem, was du über… Hey, lasst mich nicht einfach stehen!“

Ausyl trat direkt an das Portal heran. „Dies ist eines von dem, was dein Vater, ich und die anderen Götter erreichen wollten. Das du durch dieses Portal trittst, die Gefahr bewältigst, die dahinter liegt und vor das Stamina-Portal trittst.“
Eine wunderschöne, zerbrechlich wirkende blonde Frau entstand vor ihnen. Sie war zwei Köpfe kleiner als Ralf und er wusste automatisch, dass dies ebenfalls die Kopie einer Göttin sein musste.
„Er ist noch nicht soweit. Er wird der Verlockung erliegen, und alles, was wir versucht haben aufzubauen, ist dahin. Ausyl, es geht um das Schicksal der gesamten Menschheit.“
„Das aus dem Mund einer Göttin zu hören ist ein merkwürdiger Gedanke“, kommentierte ein wie vertrocknet wirkender kleiner Mann neben ihr. „Auch wenn man sich selbst diesem Ziel verschrieben hat.“
„Ihr seid unhöflich“, erklang hinter Ralf eine weitere, vertraute Stimme. „Stellt euch wenigstens vor.“ Theresa ging an ihm vorbei und stellte sich hinter die beiden Götter. Sie legte jedem einen Arm auf die Schulter und lächelte Ralf an. „Dies sind die Götter der anderen beiden Gesegneten aus deiner Gruppe. Diese junge Frau hier heißt Sarenn, sie ist eine Wassergöttin. Übrigens eine der ältesten und Mächtigsten, die je existiert haben. Lass dich also nicht von ihrem Äußeren täuschen.“
Die Wassergöttin nickte leicht. Dann ruckte ihr Kopf hoch. „Hey, Moment mal, seit wann ist dreitausendvierhundert alt?“
Theresa ignorierte den Ausbruch Sarenns und nickte in Richtung des anderen Gottes. „Das ist Naiel. Der Gott des Windes. Ein junger, ungestümer Gott von gerade mal zweitausend Jahren. Aber er ist sehr mächtig und liebt seine Gesegneten über alles. Das prädestinierte ihn geradezu für unsere Gruppe.“
Die verrunzelte Gestalt verschwand, der Gott wuchs, bis er ebenso groß war wie Ausyl. Seine Haut straffte sich und die Runzeln und Falten verschwanden wie fort gewischt. „Musst du mir immer meine Jugend vorhalten, Theresa?“
„Zusammen mit deinem Vater“, setzte die Erdgöttin ihren Monolog fort, „jagen wir Götter, Dämonen und Menschen, die versuchen, die Ebenen in einen neuen Krieg zu stürzen – oder jene, die zu dämlich sind um zu begreifen, dass ihre eigennützigen Aktionen solch einen Krieg auslösen könnte. Dabei bilden wir, wie du mittlerweile weißt, einen Kreis um deinen Vater, der seit über tausend Jahren Fokus unseres Odems ist.“
„Ja, das ist mir alles schon klar. Und es ist der Odem, der ihn hat so lange leben lassen“, erwiderte Ralf.
„Nein. Das Portal des Stamina hat ihn so lange leben lassen. Er hat die ursprüngliche Kraft geweckt. Er hat ultimative Macht erfahren. Und er hat sie besiegt.“
Ralf schauderte. „Wenn… Wenn ich also vor das Portal des Stamina trete und es öffne, muß… Muss ich dann auch so lange leben?“
Theresa lachte. „Wieso findest du es nicht selbst heraus?“
„Er ist noch nicht soweit, Theresa“, beschwerte sich Sarenn wieder.
„Aber es wird eine hilfreiche Lektion für ihn sein“, befand Naiel. Ausyl nickte bestätigend. „Ich denke auch, dass er noch lange nicht soweit ist. Die Wächterin aber wird entscheiden und Maßnahmen ergreifen. Fügt euch dem.“
Naiel nickte und glitt unter Theresas Arm hervor. Er trat zur Seite und deutete auf das Portal der Macht. „Dein Schicksal erwartet dich, junger Schneider.“
„Ich bin immer noch nicht davon überzeugt“, beschwerte sich Sarenn wütend. „Aber was soll ich machen? Ich bin ja keine Projektion mit eigenem Willen. Ich bin ja nur eine Summe von Gedanken.“
Ralf legte den Kopf schräg und warf die Stirn in Falten. „Bin ich eigentlich schizophren, wenn ich aus meinen Gedanken so etwas wie euch erschaffe?“
Sarenn hob abwehrend die Arme. „Nein, nein, das bist du nicht. Wie man dir schon erklärt hat, sind wir Abbilder der Summe deiner Erfahrungen und Vermutungen über die Götter, die du vor dir siehst. Mein Bild kennst du, weil ich dich besucht habe, als du noch ein Kind warst.
Daher kennst du auch Ausyl und Naiel. Naiel deshalb in beiden Formen, weil du vor seinem Faltengesicht immer Angst hattest.
Dein Unterbewusstsein hat uns erschaffen und dirigiert uns. Du hast keinen Einfluss auf uns mit deinem Wachbewusstsein.“
Die Göttin verzog die Lippen zu einem Schmollmund. „Deshalb kannst du lange versuchen, mir gedanklich den Befehl zu geben, nackt zu sein. Du hast da keinen Einfluss drauf.“
Markus warf dem Freund einen Blick zu. „Du hast versucht, eine Göttin auszuziehen?“
Ralf wurde rot. „Ich wollte ja nur mal probieren, ob ich in meinem Kopf noch das sagen habe. Anscheinend nicht.“
Markus warf der Göttin einen schiefen Blick zu. „Verstehen kann ich dich ja.
Also, das Portal der Macht erwartet dich. Tritt hindurch.“
Ralf legte eine Hand auf das riesige Portal. Von einem Moment zum anderen verflüchtigten sich die brennenden Nebel. Stattdessen entstand ein riesiger Golfplatz, der im Schein einer warmen Mittagssonne lag. Tausende Menschen tummelten sich hier. Ralf kannte jeden einzelnen. Sie alle waren Abbilder seiner Erinnerungen an sie. Aber das interessierte ihn im Moment nicht. Er fühlte nur das kalte Metall unter seiner Hand.
Er sah zu Markus zurück. „Was ist das für eine Aufgabe? Was erwartet mich? Komm schon, Markus, wir sind doch Freunde.“
„Was dich erwartet? Der absolute Horror erwartet dich. Viele tausend Menschen sind hier schon durch gegangen. Nur einige wenige haben es bis zum Stamina-Portal geschafft. Viele sind einfach hinter dem Portal der Macht stehen geblieben und wurden besiegt. Manche wollten nicht weiter. Andere traten zurück, durch das Portal der Macht und auch durch das Portal der Kraft. Ich weiß nicht, ob auch nur einer von ihnen einen weiteren Versuch hatte, hier erneut stehen zu dürfen.“
„Oh. Hast du einen Rat für mich?“
„Ich habe einen für dich, junger Schneider“, rief Ausyl und klopfte Ralf hart auf den Rücken. „Wenn du dort hindurch gehst, dann erinnere dich daran, wer du bist und warum du hindurch trittst.“
„Ja, warum trete ich eigentlich hindurch? Ich habe doch fast alle Antworten erhalten, die ich haben wollte. Und was noch fehlt werde ich schon aus Theresa und Vater rausquetschen. Ich habe keinen Grund mehr, hier durch zu gehen. Warum soll ich also?“
Markus grinste schief. „Weil es da ist.“
Ralf warf dem Abbild seines Freundes einen belustigten Blick zu. „Gut erkannt, Herr Holt.“
Er fixierte wieder das Portal. Dann legte er beide Hände auf das eiskalte Metall.
Und auf einen Befehl seiner Gedanken öffnete es sich.
Licht schoss aus dem sich stetig verbreiternden Spalt hervor und badete alles in einem hellen Schein. Die Flügel schwangen auf und Ralf trat ein. Nur Theresa folgte ihm.

„Das ist…“, brachte Ralf mühsam hervor, „wunderbar. Dieses Gefühl… Diese Energie… Ich bin unverwundbar. Ich bin stark, nein, der Stärkste! Niemand kann… Niemand kann mich je besiegen, ich meine, ich bin jetzt… ich bin die ultimative Waffe! Ich bin ein Gott, nein, ich bin mehr als ein Gott! Ich bin…“
Ralf sah an sich herab. Seine Bekleidung veränderte sich. Anstatt seiner Freizeitkleidung trug er nun eine goldene Rüstung. An der Seite hing ein Schwert in einer Juwelenverzierten Scheide. Er zog es hervor. Ein heller Lichtschein ging von der Spitze aus und schuf einen meterweiten Lichtkegel rund um Ralf.
„Ich bin mehr als ein Gott! Ich bin… Rede…“
Theresa berührte ihn am Arm. Ralf sah zur Seite, doch dort war die Göttin nicht. Dann sah er herab. Die Göttin hatte nur noch die Größe eines Kleinkindes. Nein, er war gewachsen! Riesenhaft gewachsen! Er war nun doppelt so groß wie zuvor, erfüllt mit seiner grenzenlosen Macht. Erfüllt von Energie. Sein Körper barst fast vor Kraft. Er konnte es nun mit jedem aufnehmen! Selbst mit allen vier Stämmen der Götter zugleich!
„Du bist noch nicht soweit, Ralf. Komm, wir gehen zurück, solange du noch die Gelegenheit hast, ein anderes mal wiederzukehren.“
Was redete die Göttin da? War sie noch bei Trost? In diesem Moment war Ralf mehr, als er jemals zuvor gewesen war. Er war am Gipfel all dessen, was er je für möglich gehalten hatte.
Nein… Da war noch etwas. Etwas sehr wichtiges. Das Stamina-Portal!
Ralf sah auf, blickte durch die alles durchdringende Helligkeit und entdeckte das Tor vor sich in der Ferne. „Das Stamina-Portal. Wenn ich dort hindurch trete… Wenn ich es passiere, erlange ich pure Kraft. Niemand wird mir mehr gewachsen sein. Niemand. Ich…“
Kurz huschten Erinnerungsbilder durch die Lichthelle Halle. Er sah Mako-kun, Mako-chan und die anderen. Er wusste, diese Gesichter, die vertrauten Gestalten sollten etwas in ihm bewirken. Aber das taten sie nicht. Die Macht, die er verspürte, berauschte ihn. Das erkannte er klar und deutlich. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Aber er konnte nichts dagegen tun. Er wollte mehr Macht, viel mehr Macht. Einfach um der Kraft selbst willen. Das war falsch. Aber süß. So unendlich süß.

Ralf schritt aus. Auf das Portal zu. Theresa begleitete ihn.
„Du kannst mich nicht hindern“, brummte Ralf und tat einen weiteren Schritt, der die Ere erbeben ließ. Er wuchs noch immer. Und die Göttin wurde klein, kleiner, winzig. Ein unbedachter Tritt von ihm und… Aber was dachte er da? Auch wenn sie nur die Summe seiner Gedanken war, wie konnte er so etwas denken?
„Dreh um“, sagte die Göttin. „Dreh um, solange du es noch kannst.“
Ralf heulte auf. Und verharrte im Schritt. Er wandte sich um und sah zurück. Dort erkannte er die anderen Götter. „Zurück…“, murmelte er. Er sah zur Göttin herab. „Aber Markus hat gesagt, dass ich dann nie wieder die Chance haben werde, durch das Stamina-Portal zu treten. Ich muß es jetzt und hier! Ich will wissen, was dahinter ist!“
Ralf ging wieder auf das Portal zu. Dieser Allmachtsrausch, gepaart mit seiner Neugierde wurde übermächtig. Schon spürte er das kalte Metall des Tores unter seinen Händen. Egal, was hiernach passieren würde, er würde damit fertig werden. Auf die eine oder andere Art. Er war nun mehr als ein Mensch. Mehr als ein Gott.
„Du kannst nicht weiter“, sagte Theresa und stellte sich zwischen ihn und das Portal.
„Es liegt nicht in deiner Macht, das zu entscheiden“, sagte Ralf und stemmte sich in das Tor.
„Doch.“ Die Göttin sah hoch und wuchs. Sie schoss geradezu empor, bis sie so groß wie Ralf war. „Denn ich bin mehr als die Summe deiner Erinnerungen an Theresa. Ich BIN Theresa! Ich bin deine Wächterin!“
Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn. „Es ist dir nicht bestimmt, durch dieses Tor zu gehen.“
Ein Blitz, heller als alles, was Ralf jemals gesehen hatte, entstand. Zwischen
ihm und der Göttin entstand ein Flimmern wie aus heißer Luft. Das Flimmern wurde größer. Druckwellen gingen davon aus und trieben durch die Halle.
„Du kannst nicht vorbei. Es tut mir leid“, sagte die Göttin und senkte den Blick.
Wieder entstand ein Lichtblitz, und Ralf spürte, wie er davon gewirbelt wurde wie trockenes Laub. Er verließ die Lichterfüllte Halle, sah, wie er durch das Tor der Macht trieb. Sah, wie es vor ihm zu schlug.
Er schoss über den Golfplatz dahin, sah die Götter, wie sie ihm hinterher blickten. Und wie er durch as Tor der Kraft schoss, wie es ebenfalls zu schlug.
Über ihm blitzte und knisterte es, als besonders viele Lichtimpulse zwischen den Kronleuchtern hin und herwechselten.
Dann wurde er hart gestoppt.
„Junge, Junge“, sagte Markus Holt. Er hatte Ralf gefangen und versuchte nun, ihn wieder auf die Beine zu stellen. „Das hast du aber gründlich vermasselt. Dabei warst du so nahe dran.“
Ralf sah mit einem Schaudern zurück. „Ich weiß nicht. Dieses Gefühl der Macht, es… Ich habe Angst davor. Ich spüre… Ich weiß, dass es nicht gut für mich ist. Es ist… Falsch.“
Ralf wandte sich ab, suchte den Gang, aus dem er gekommen war. „Ich bin jedenfalls froh, wenn es das jetzt gewesen ist, Markus. Ich habe meine Antworten und sogar noch etwas mehr. Pass für mich auf diesen Platz auf, ja?“
Ralf betrat den Gang und verpasste somit, dass Theresa neben Markus trat.
„Er hatte keine andere Wahl, richtig?“, fragte Markus leise.
„Nein, die hatte er nicht. Und die wird er auch nicht haben. Wie falsch kann es sein, das Richtige zu tun? Warum fühlt es sich nur so falsch an?“
„Tröste dich, Göttin“, sagte Markus. „Du spielst nicht mit ihm und er liegt dir am Herzen. Das macht es nicht besser. Aber es ist dennoch richtig.“
Die Göttin schmunzelte. „Und das aus dem Mund von jemanden deiner Art.“
Markus grinste schief. „Mir liegt er auch am Herzen.“
Die beiden tauschten einen kurzen Blick aus, dann verschwanden sie. Nach ihnen verschwand die Halle und alles versank in Schwärze, die von abertausenden Lichtimpulsen, Glühwürmchen gleich erleuchtet wurde.

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3.
Ralf öffnete wieder die Augen. Es war bereits Nacht. Er saß noch immer auf der Terrasse hinter dem Haus. Eine mitleidige Seele hatte ihm aber eine Decke über die Schultern gelegt.
„Na, ausgeträumt?“, meldete sich Shawn zu Wort.
„Wie lange war ich weg?“, fragte Ralf und streckte seine steifen Glieder.
„Fünf Stunden.“ Shawn reichte dem Freund ein kaltes Bier. „Zimmertemperatur.“
Dankbar nahm Ralf die Flasche entgegen. „Du glaubst nicht, auf was für einen Trip ich war, Shawn.“
„Lass mich raten. Du warst in einem großen Wald, und plötzlich stehst du vor einem riesigen Baum, in dem sich eine Spalte auftut. Und dann…“
„Äh, fast. Bei mir war es ein riesiger Saal und ein riesiges Portal. Eigentlich waren es sogar drei Portale.“
Der Native American zuckte zusammen. „Drei?“
„Ja. Drei. Du scheinst darüber ja einiges zu wissen, hm? Dann kannst du mir gleich mal erklären, warum ich aus dem zweiten Tor wieder rausgeschmissen wurde, als ich das dritte öffnen wollte.“
Shawn straffte sich. „Du hast das zweite Portal durchschritten und wurdest wieder rausgeworfen?“ Shawn lachte unsicher. „Wie ist das denn passiert?“
„Weiß nicht. Theresa war plötzlich da. Sie hat mir gesagt, das sei mir verboten, und dann schmiss sie mich raus.“ Er sah zu Shawn hoch. „Und jetzt sitze ich hier…“
Der Großgewachsene Amerikaner klopfte Ralf auf die Schulter. „Mann, wenn ich du wäre, dann würde ich dieser Erdgöttin mal ein paar unbequeme Fragen stellen. Das wird echt höchste Zeit.“
„Werde ich machen.“
„Und jetzt komm rein, Abendessen ist fertig.“ Shawn half Ralf auf die Beine. „Mako-chan hat gekocht.“
Die beiden betraten den Hausflur. „Mako-chan kocht? Hey, wie wäre es, wenn wir bei Georgio eine Pizza essen?“
„Das habe ich gehört, Ralf!“, rief die Göttin aus der Küche.
Ralf grinste Shawn an. Diese Spitze hatte er sich einfach nicht verkneifen können. Nach dieser merkwürdigen Reise, die ihm die Göttin beschert hatte, durfte er das einfach.
„Und ich mache extra Pasta für dich“, beschwerte sich Mako-chan.
Ralfs Augen leuchteten auf. „Ich komme.“
**
Als Thomas Schneider das Gebäude betrat, wichen die beiden HELIOS-Agenten, die den Eingang bewachten, unwillkürlich einen Schritt zurück.
Thomas nahm seine schwarze Sonnenbrille ab und grinste. „Ich komme in Frieden. Bringt mich zu eurem Anführer.“
Die beiden Polizisten tauschten einen unsicheren Blick aus. Im Moment waren zweiunddreißig von achtundvierzig Agenten im Gebäude, die sich in Klingburg eingefunden hatten. Konnten sie also das Risiko eingehen, ausgerechnet diesen Mann einzulassen? Generell gab es keine Vorschrift, die es erlaubte, Schneider den Zugang ohne zwingenden Grund zu verbieten.
Einer der Polizisten sah auf Schneiders Hände – und erstarrte. „Tragen Sie Waffen bei sich, Herr Schneider?“
Thomas hob die Hand mit dem Blumenstrauß und lupfte mit der anderen seinen Mantel.
Auf den Sonnebrillen der beiden Agenten erschienen rote Punkte. „Ihr Kampfstab, Herr Schneider. Bitte geben Sie ihn ab.“
„Aber, aber“, brummte Thomas. „Die hochgerüsteten HELIOS-Agenten, ausgerüstet mit Torchfähigen Schusswaffen fürchten sich vor einem Prügel?“
Der Agent auf der rechten Seite legte die Rechte auf den Lauf seiner Straten&Kamura-Torchpistole. „Bitte.“
Thomas überlegte einen Moment, dann nahm er den eingefalteten Stab hervor und warf ihn dem Polizisten links zu. „Pass gut drauf auf, ja? Ich bin nicht lange weg. Vorausgesetzt, ich darf meinen Weg fortsetzen.“
„Ja, das dürfen Sie. Wen wollen Sie besuchen?“, fragte der HELIOS-Agent und nahm die Hand wieder vom Knauf der Waffe, während sein Kollege fasziniert den Kampfstab entfaltete und wieder zusammenfuhr.
„Sagte ich das nicht schon? Ich will zu Marianne. Hat sie sich wieder im Westflügel einquartiert?“, fragte Thomas und ging an den beiden Agenten vorbei.
„Äh, ja, hat sie. Ich melde Sie an, Herr Schneider.“
Der Mann verschwand im Gang und kurz darauf im Treppenhaus. Er schien sich gut genug im derzeitigen Hauptquartier von HELIOS Mittland auszukennen.
„Junge, Junge. Der Unsterbliche. Ich hätte nie gedacht, ihn mal von so nahe zu sehen“, kommentierte der Agent mit dem Kampfstab.
„Und du solltest es dir auch nicht wieder wünschen“, erwiderte der andere. „Dieser Mann ist gefährlich. Und unberechenbar.“

Als Thomas das schmucklose Büro betrat, empfing ihn die Anführerin des HELIOS-Kontingent denkbar frostig. „Was willst du, Thomas?“
Für einen Moment huschte ein Schatten über sein Gesicht. Dann aber zog er den in Papier eingewickelten Blumenstrauß hinter seinem Rücken hervor. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem dreihundertsten Geburtstag, Marianne“, sagte er.
Die Kommissarin sah Schneider erstaunt an. Sie erhob sich, kam um den Schreibtisch herum und nahm die Blumen entgegen. Sanft gab sie dem Mann einen Kuss auf die Wange. „Das du daran gedacht hast, Thomas…“
Der Ältere grinste freundlich. „Hey, deinen Geburtstag werde ich nie vergessen. Vor allem nicht so einen wichtigen wie eine Doppelnull.“
„Charmeur“, erwiderte Marianne und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch.
Sie wickelte die Blumen aus und stöhnte ergriffen. „Tulpen. Meine Lieblingsblumen. Thomas, du bist mir einer. Ich freue mich. Ich freue mich wirklich.“
„Dann habe ich ja mal was richtig gemacht. Darf ich mich setzen?“
Marianne nickte. „Ja, nimm Platz. Blumen, du denkst an meinen Geburtstag… Was willst du, Thomas?“
Entschuldigend hob Thomas die Arme. „Dir zum Geburtstag gratulieren. Ist das ein Verbrechen?“
Marianne verzog das Gesicht zu einem Schmollmund. „Das nicht. Aber eine polizeiliche Untersuchung behindern, und das mit deinem alten Saufkumpel Ausyl, DAS ist ein Verbrechen.“
Thomas beugte sich vor. „Warum legst du mir dann keine Handschellen an, Schatz?“
Die Kommissarin beugte sich ebenfalls vor. „Erstens würden dich Handschellen keine zwei Sekunden halten. Zweitens habe ich nicht genügend Leute, um dich zu bändigen. Und drittens will ich dich gar nicht einsperren. Es war zwar gemein von dir, vorzutäuschen, Inissars Auge bei dir zu tragen. Aber das ist an sich kein Verbrechen. Nur frage ich mich, warum hast du das getan?“
Thomas lehnte sich wieder zurück. „Ich… Wir mussten dringend wissen, ob Ihr das Auge habt. Das war die schnellst Methode, um es heraus zu finden.“
„Bei der Oberen Ebene, Thomas, warum bist du nicht einfach her gekommen und hast gefragt?“, klagte Marianne.
„Hättest du mir denn eine ehrliche Antwort gegeben? Du weißt doch genau, dass nicht nur Ausyl und ich da drin stecken. Naiel, Sarenn und Theresa sind ebenfalls dabei…“
„Theresa. Natürlich. Verdammt, Thomas, wie kannst du an mir zweifeln? Wir mögen verschiedene Methoden haben, aber unser Ziel ist immer noch dasselbe. Okay, zugegeben, ich sehe ein, Ihr Männer braucht es einfach mal ab und zu, euch zu produzieren.“
Thomas dachte an die Szene mit Ausyl, wie sie von vier Trupps Agenten umgeben waren. Und der Feuergott eine wirklich gute Show geliefert hatte. Er grinste breit. „Ja, das war eine gute Aktion.“
„Und Theresa hat sicher irgendwo auf der Lauer gelegen und sich schlapp gelacht“, klagte Marianne leise.
Thomas´ Miene verdüsterte sich. „Wir haben das nicht für Theresa getan, wenn du das meinst.“
„Nicht? Das wundert mich. Tust du sonst nicht immer alles für diese Erdgöttin?“, erwiderte sie mit beißendem Sarkasmus in der Stimme.
In seinen Augen stand plötzlich Betroffenheit. „Marianne, ich…“
„Nein, nein, nein, spar es dir, Thomas Schneider. Keine Erklärungsversuche. Ich habe mich schon vor sehr langer Zeit damit abgefunden, dass du diese Erdclanschlampe liebst.“
„Ich habe dich nie im Stich gelassen“, verteidigte er sich. „Ich war immer für dich da.“
„Aber für sie wärst du gestorben. Thomas. Verstehst du nicht, wie eine Frau sich fühlt, wenn sie so etwas sieht?“
„Ich habe dich geliebt, Marianne. Und ich liebe dich immer noch“, hauchte Thomas.
„Ja, ich weiß. Ich weiß doch, Thomas. Aber du liebst sie einfach mehr als mich. Sehr viel mehr. Sie stand immer zwischen uns. Und sie wird immer zwischen uns stehen.“
Thomas faltete die Hände zusammen und legte sie vor seine Stirn. „Alles was ich wollte warst du, Marianne.“
„Nein, das ist falsch. Ich war Platz zwei auf deiner Wunschliste, Thomas“, erwiderte sie. In ihren Augen standen Tränen.

Schweigen folgte. Sie sahen sich lange Zeit in die Augen. Irgendwann stand Marianne auf, ging an einen der Schränke im Raum und kam mit einer Flasche Schnaps aus Caledonia und zwei Gläsern wieder. Sie schenkte großzügig ein und stellte ein Glas zu Thomas herüber.
„Auf die, die wir lieben.“
„Auf die, die wir lieben“, erwiderte Thomas und trank zusammen mit Marianne einen kräftigen Schluck.
„Apropos“, brummte er plötzlich und zog ein schwarzes Etui aus der Tasche, welches er auf den Schreibtisch warf. „Sie sind beide gewachsen seit damals.“
„Sie?“, fragte Marianne. Sie griff nach der kleinen Mappe und verharrte mitten in der Bewegung. „Sie….“
Thomas lächelte sanft. „Nimm ruhig. Es explodiert nicht, wenn du es berührst.“
Marianne fasste sich ein Herz und zog es zu sich heran. Sie öffnete das Etui und sah zwei Farbbilder. Auf der nächsten Seite folgten noch mal zwei, und so weiter, vierzig Seiten lang. Marianne betrachtete die Bilder, lachte mal, schluchzte hier und da oder hielt sich eine Hand vor den Mund. „Sie sind so groß geworden.“
Thomas grinste schief. „Das ist noch nicht alles. Ralf hat jetzt eine Freundin. Und Carine hat gerade ihren fünften verschlissen.“
„Fünf Freunde? Und du willst ein Vater sein?“, beschwerte sich Marianne laut.
„Was soll ich machen? Sie ist alt genug um zu wissen, was oder wer gut für sie ist. Zumindest hoffe ich das.“
Marianne warf ihm einen bösen Blick zu, der mit Feuerodem versehen, nicht mehr als ein Häuflein Asche von Schneider übrig gelassen hätte. „Wenigstens ist sie in der Lage, mit jedem Mann fertig zu werden.“
„Allerdings“, erwiderte Thomas und trank erneut aus seinem Glas.
Als sie das letzte Bild gesehen hatte, klappte sie die kleine Mappe wieder zu und schob sie zurück zu ihm. „Danke.“
„Oh, behalte die Bilder ruhig. Ich habe mir Abzüge gemacht. Das heißt, nur wenn du sie haben willst“, sagte Thomas und angelte nach der Mappe.
Aber die HELIOS-Agentin war schneller und hielt sie bereits wieder in Händen. Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Danke, Thomas. Danke.“

Der Geschäftsmann zwinkerte ihr zu. „Und was machen wir jetzt? Gehen wir essen, der alten Zeiten wegen?“
„Oh, ich kenne da dieses tolle Restaurant. Georgio ist da Teilhaber. Er…“ Marianne hielt inne und drückte eine Hand gegen ihr rechtes Ohr. Mit immer ernster werdender Miene verfolgte sie die Stimme in ihrem Kommunikationsset.
Thomas, der sehr wohl hörte, was gesagt wurde, versteifte sich.
„Hast du es mit gekriegt?“, fragte Marianne. Thomas nickte. „Ja, aber sag es noch mal. Es klingt zu unglaublich.“
Betreten sah die Frau auf die Platte ihres Schreibtisches. „Agenten melden, dass überall in Kirchen und Kapellen des Feuerclans Gebetsmarathons abgehalten werden. Alle Kirchen haben dazu aufgerufen, Odem zu spenden.
Die halbe Welt ist in Alarmbereitschaft. Der Rest bereitet sich auf einen Krieg vor.
Die reguläre Polizei fahndet bereits nach allen bekannten Gesegneten des Feuerclans in Klingburg und Umgebung. Da ist was wirklich Großes im Busch.“
Thomas fuhr auf. „Inissars Auge. Es hat mit Inissars Auge zu tun!“
„Das denke ich auch“, sagte Marianne. „Hoffen wir, dass es in den richtigen Händen ist, bevor es gefunden wird, von mir oder von dir.“

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4.
In der Universität herrschte eine merkwürdige Spannung, fand Ralf. Die Mensa war überbelegt, aber die Studenten aller Semester saßen nur stumm beieinander und konsumierten ihre Mahlzeiten. Kaum einer sprach ein Wort. „Habe ich was verpasst? Steht uns eine Superprüfungswoche bevor, und ich habe es nicht mitgekriegt?“, murmelte er leise.
Mako-kun sah ernst zu ihm herüber, bevor er entschied, dass dieses lappige Etwas doch ein Brötchen und wert gegessen zu werden war. „Hast du es nicht mitgekriegt? Es steht ein Krieg bevor. Halb Südamerika spendet Odem für den Feuerclan. Außerdem machen die Armeen aller neun Staaten mobil. Dazu kommt eine Generalmobilmachung in den Nihon-Provinzen, die dem Feuerclan angehören.
Und das Schlimmste ist, Espana scheint sich etwas zu sehr auf seine gemeinsame Wurzeln mit Südamerika zu besinnen und mobilisiert ebenfalls.“
„Südamerika ist weit weg“, brummte Ralf leise.
„Ein Krieg ist ja wohl schrecklich genug, oder? Egal, ob er achttausend Kilometer entfernt statt findet oder acht Kilometer“, tadelte Makoto seinen Gläubigen.
„Das ja. Aber die Achttausend Kilometer-Variante ist mir dennoch lieber“, erwiderte Ralf grinsend.
„Die Entwicklung ist bedrohlich“, meldete sich Arnim zu Wort, der die ganze Zeit stumm neben ihnen gesessen hatte. „Auch im Haupttempel des Feuerclans hier in Klingburg beten die Gläubigen, was das Zeug hält. Nur in Ausyls Kapelle betet niemand.“
Ralf verstand den Gesegneten nur zu gut. Durch Ausyls Protektion war er ebenfalls Mitglied dieses Clans, einmal ganz davon abgesehen, dass seine Familie den Feuerstamm seit Jahrhunderten verehrte und sogar die Kapelle für Ausyl errichten ließ. Wenn wirklich ein Krieg ausbrach, standen Arnims Chancen nicht schlecht, von seinem Gott in diesen Krieg geworfen zu werden. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, wenn die hitzköpfigen Südamerikaner versucht hätten, es mit der ganzen Welt aufzunehmen.
„Ist doch ein gutes Zeichen, wenn Ausyl nicht beten lässt, oder?“, kommentierte Ralf leise. „Das bedeutet wohl, er hält sich da raus.“
Makoto schüttelte den Kopf. „Nein, das bedeutet, er ist ein Idiot. Tschuldigung, Arnim. Ich meine, der gesamte Feuerclan macht mobil. Und er nutzt nicht die Chance, seine Vorräte an Odem ebenfalls aufzufüllen? Dies wird er aber dringend brauchen, wenn er neutral bleiben will oder sich gegen den Clan stellt.“
„Das denke ich auch“, brummte Arnim und erhob sich. „Ich halte das alles nicht mehr aus. Ich gehe beten.“

Ralf und sein Gott sahen dem Feuergesegneten nach, bis er aus der Mensa verschwunden war.
„Vielleicht hat Ausyl auch nur einfach ein Aß im Ärmel“, murmelte der Gott. „Immerhin sind er und die anderen drei Götter zusammen mit deinem Vater ein Kreis um einen Fokus. Das ist doch bestimmt was wert.“
„Und wir sollten auch so etwas werden“, brummte Ralf leise. „Vielleicht wird dies die erste Bewährungsprobe für uns, Mako-kun.“
Der reduzierte Gott grinste schwach. „Wie du schon sagtest, Ralf: Südamerika ist weit weg.“
„Weit genug, um die halbe Universität verrückt zu machen“, erwiderte Ralf und erhob sich. „So. Ich habe Geschichte. Wir sehen uns nachher. Ich bringe Mako-chan mit, und wir gehen zusammen nach Hause.“
„Sag mal, wer ist hier eigentlich der Gott, wenn du mir Befehle gibst?“, scherzte Makoto.
Ralf zwinkerte ihm zu. „Wer weiß?“

Als sein Gläubiger gegangen war, setzte sich Natalia Prokovniewa zu dem Gott an den Tisch. Sie sah ihn verzweifelt an.
„Frau Dozentin“, sagte Makoto freundlich. „Was kann ich für Sie tun?“
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn wieder, öffnete ihn erneut und sah betreten auf die Tischplatte. „Es tut mir leid“, presste sie hervor. „Es tut mir wirklich leid.“
Makoto, der gerade von seinem Brötchen hatte abbeißen wollen, sah erstaunt auf. „Häh?“
„Es tut mir leid, Makoto. Der Resonator tut mir leid. Das du aufgespaltet wurdest, tut mir leid. Das du zum Mensche reduziert wurdest, tut mir leid. Das du solche Schmerzen hattest tut mir leid. Das ich dir und deinem Gläubigen soviel Kummer bereitet habe, tut mir leid.“
Sie sah wieder auf, dem Gott direkt in die Augen. „Ich will es wieder gut machen. Es war falsch von mir und ich will dir und Mako-chan dafür etwas wieder geben.“
Makoto zwinkerte überrascht. Er ergriff die Hände der Dozentin und hielt sie fest in seinen. „Nein, Frau Prokovniewa. Nein. Es ist nicht Ihre Schuld. Okay, Sie haben erst den Götterresonator gebaut, die Grundlagen für die Aurenerkennung geschaffen und auf eine verrückte Möglichkeit auch noch einen Weg gefunden, mich wegen meiner Aura anzuziehen.“
Die Dozentin sackte bei jedem Wort des Gottes ein wenig mehr zusammen, bis es nur noch Makotos fester Griff um ihre Hände war, der sie auf der Bank hielt.
„Aber es ist eindeutig Ibrans Schuld. Er hat die Programme geschrieben, die den Resonator gesteuert haben. Er hat den Laptop und das Artefakt angebracht, welches überhaupt erst diese Verwendung zugelassen hat. Er hat genügend Hass aufgebracht, um zu versuchen, mich zu töten. Wenn Sie einen Fehler gemacht haben, dann nur den, dass Sie genial sind, Frau Prokovniewa.“
Sie sah dem Gott in die klaren blauen Augen und schwieg verblüfft. „Natalia“, sagte sie leise. „Bitte nenn mich doch Natalia.“
Makoto lächelte und drückte ihre Hände ein wenig. „Also gut, Natalia. Aber das bedeutet natürlich jetzt nicht, dass ich Sie von aller Schuld freigesprochen habe. Vielleicht brauche ich eines Tages mal Ihre Hilfe, wer weiß?“ Er zwinkerte der Dozentin zu.
„Jederzeit“, antwortete sie. „Ich helfe dir in jeder Form.“
„In jeder Form? Na, na, na“, klang die Stimme von Norton Andrew Myers neben den beiden auf. „Vielleicht solltest du in dem Punkt etwas präziser sein, Natalia.“
Der Gott und die Dozentin wurden rot. Makoto hüstelte verlegen. „Außer dem, natürlich.“
Die Frau lachte unsicher. „Ja, außer dem natürlich.“
Norton lächelte schief. „Ich glaube, ich kriege hier gerade einen ernsthaften Konkurrenten, was?“
Makoto ließ die Hände der Frau fahren und kämpfte eine geschlagene Minute mit einem Hustenanfall. „Nicht wirklich, Norton. Nicht wirklich. So, ich muß los.“ Der Gott sprang auf und verließ die Mensa.

Norton setzte sich auf Makotos Platz und sah die Dozentin lange Zeit an. „Du bist wunderschön.“
„Nanu?“, fragte sie leise. „Eifersüchtig und Komplimente? Was ist los mit dir, Norton?“
Unsicher nestelte der Doktor an seiner dünnen Brille, nahm sie ab und begann sie zu putzen. „Es ist so, Natalia, ich… Ich weiß nicht, wie ich in dein Leben passe. Wie ich zu dir passe. Wir haben… Nun, wir haben miteinander geschlafen.“
Natalia lächelte träumerisch bei der Erinnerung an diese Nacht, diesen Morgen, diesen Nachmittag. „Ja. Eine ziemlich runde Sache.“
„Und jetzt frage ich mich… Nun, wie soll es mit uns weiter gehen? Kann es mit uns weiter gehen?“
Erstaunt sah die Dozentin den Mann aus den Coast States an. „Willst du das denn nicht? Norton, hast du eine andere?“
„Nein. Nein, nein, nein. Mein Herz wäre absolut frei, wenn es dich nicht gäbe“, gestand er, und erntete dafür einen dahin schmelzenden Blick der Dozentin.
Er setzte die Brille wieder auf und sah sie ernt an. „Deshalb habe ich hier eine Entscheidung zu treffen. Und du musst ebenfalls eine Entscheidung treffen. Ich muß dir nun einiges sagen. Versprichst du mir, über meine Worte nachzudenken? Nicht aufzuschreien, durch den Saal zu rennen und hysterisch zu werden?“
„Du machst mich neugierig“, gestand die Dozentin. „Okay, ich verspreche es. Leg los.“
Norton atmete tief durch. „Nicht hier. Komm mit in mein Büro.“

Den ganzen Weg bis in sein Büro hatte Norton geschwiegen. Seine erste Amtshandlung in dem unordentlichen, mit aufgeschlagenen Büchern und wild verteilten Notizen bedeckten Raum war dann auch, eine Flasche Klingburger Doppelkorn zu öffnen und der Dozentin ein Wasserglas bis zum Rand zu füllen.
„Was ist los? Ich trinke nicht so früh am Tag, auch wenn ich aus Rus bin“, bemerkte sie amüsiert.
Norton lächelte wissend. „Nur für den Notfall.“
Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch, griff in seine Jacke und zog seine Torchpistole hervor. Er nahm sie am Lauf und reichte sie Natalia. „Hier. Sie ist entsichert und mit acht Torches vom Feuerstamm geladen. Du musst damit nur in meine Richtung zielen und abdrücken.“
Natalia nahm die Waffe automatisch in die Hand, schüttelte aber den Kopf. „Ich mache mir langsam Sorgen um dich, Norton.“
Der Doktor atmete tief durch. „Du wirst es gleich verstehen, Natalia. Ich muß dir da einiges gestehen. Ich… Fangen wir beim einfachsten an. Ich bin genau eintausendsiebenhundertelf Jahre alt.“
Die Dozentin starrte ihn an und grinste schief. „Hey, dafür hast du dich aber gut gehalten. Wie soll das möglich sein? Willst du mir erzählen, du bist in Wirklichkeit ein herabgestiegener Gott, oder was?“
„Denk mal nach, Natalia. Erinnere dich daran, als wir in der Halle waren, als Freya den Nebel gemacht hatte. Als ich mich schützend über dich gebeugt hatte. Hast du die Rucke nicht gespürt? Das geschah jedes Mal, wenn mich eine verirrte Kugel oder Torch traf. Und nein, ich bin kein herab gestiegener Gott.“
Erschrocken sah sie den Doktor an. „Du bist…“
„Ja, Natalia. Ich gehöre dem anderen Verein an. Ich bin ein… Dämon.“
Hastig griff die Dozentin nach dem Glas auf dem Tisch und trank es in einem Zug leer. „Du hattest Recht, ich brauchte es wirklich noch. Was jetzt, Herr Doktor? Du bist also ein Dämon. Was passiert jetzt?“
„Was soll passieren? Du hast hier die Trümpfe auf der Hand, nicht ich.“

„Ich will es sehen“, bestimmte sie leise.
„Was sehen?“, fragte Norton arglos. „Ich will deine Dämonengestalt sehen.“
Norton seufzte tief und erhob sich. Er schloss die Augen, konzentrierte sich und… wurde etwas größer, seine Muskeln wurden fester, kompakter. Seine Kleidung verschwand und machte einer Art roter Tunica Platz. Der Zopf ging auf und sein langes schwarzes Haar umwehte ihn wie bei leichtem Wind. Ihn umgab von einem Moment zum anderen eine Aura der Stärke, der Macht.
„Wow!“, kommentierte die Frau aus Rus. „Beeindruckend, aber ich hatte eigentlich was mit Hörnern erwartet.“
„Hörner stehen mir einfach nicht“, scherzte der Doktor leise, innerlich zitternd, wie die nächsten Minuten ausgehen würden.
„Und?“, fragte die Frau aus Rus und schenkte sich kräftig nach. „Was tust du hier in Klingburg? Ich meine, du bist nicht hier, um Götter zu töten. Das habe ich alleine raus gefunden. Es scheint, mein Wissen über euch Dämonen ist etwas klischeehaft.“
Norton schrumpfte wieder und kehrte zu seiner alten Gestalt zurück. Er raffte sein Haar und begann den Zopf zu flechten, für den er an der Uni bekannt war.
„Das ist es wohl. Klar, es gibt Dämonen wie Hoa, die rücksichtslos ihre Ziele durchsetzen, die sagen, der Zweck heiligt die Mittel. Oder wie Ibran, der einen manipuliert, bis man ihm gibt, was er haben will. Aber das…
Es würde zu weit führen, dir alles zu erklären. Aber du musst mir glauben, es gibt auch Dämonen, die nur eines wollen – die ihnen anvertrauten Menschen zu beschützen. Ich gehöre einer Geheimloge an, die genau dieses Ziel hat. Natalia, ich bin nicht böse, kein Menschenverschlingender Moloch. Und ich hege auch keinen Groll auf die Götter. Ich habe einfach enorme Kraft und ich nutze sie für das Gute.
Ich sage dir das, weil ich dich liebe… Und ich will, dass du genau weißt, worauf du dich einlässt, wenn du es wagen solltest, mich zu lieben.“
„Ich…“, begann die Dozentin und leerte auch das zweite Glas, „…habe genug gesehen, um dir glauben zu können. Aber bitte versteh, ich bin konservativ im göttlichen Glauben erzogen worden. Ich… Du bist ein Dämon. Das muß ich erst einmal verdauen. Ich meine, du hast mich gerettet, du hast mich beschützt. So viele Male, so oft, ohne Rücksicht auf dein eigenes Leben. Bis eben hätte ich auf die Frage, ob ich dich liebe, ohne zu zögern mit ja geantwortet. Aber ich schäme mich, das zuzugeben, ich kann nicht über meinen Schatten springen. Noch nicht. Ich muß darüber nachdenken. Versteh das bitte.“
Norton nickte schwer. „Das lief besser als ich gedacht habe.“
Natalia lachte nervös. „Ja, das lief doch ziemlich gut. Habe ich Bedenkzeit?“
„Soviel wie du willst, Natalia.“
„Danke.“ Sie ergriff die Pistole am Lauf und reichte sie Norton zurück.
Der hob abwehrend die Arme. „Nein. Ich werde einige Zeit nicht um dich sein, damit du dich in Ruhe entscheiden kannst. Bis dahin soll diese Waffe dein Schutz sein.“
„Ich… danke dir.“ Natalia erhob sich, sah zu Norton herüber. Sie beugte sich vor und legte ihre Hände auf seine. „Danke. Danke für alles.“
Als sie ging und die Tür ins Schloss fiel, war es Norton, als würde weit mehr damit verschlossen werden. Er rang mit diesem persönlichen Dämonen in seinem Verstand, aber er verlor. Wieder einmal. „Ich hasse dieses Leben“, brummte er enttäuscht. Aber wenigstens verstand er jetzt, warum die Älteren in der Organisation ihn nach Klingburg geschickt hatten. Hier geschah Großes. Er hofft nur, dem gewachsen zu sein. Den Taten und Natalias Antwort.

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5.
Was stand als nächstes auf seinem Plan? Theresa aufsuchen und die Antworten, nach denen er verlangte, notfalls mit Gewalt aus ihr rausprügeln? Ob Mako-chan und Mako-kun das aber so gut aufgenommen hätten?
Ralf grinste zynisch, als ihm der Gedanke durch den Kopf ging, dass Mako-kun ihm dabei vielleicht sogar zur Hand gegangen wäre.
Er wischte diesen Gedanken beiseite. Theresa war eine Göttin. Er war nur ein Mensch.
Okay, ein Mensch mit einer Kraft und Geschwindigkeit, die selbst einen trainierten Gesegneten blass hätte aussehen lassen. Aber eben nur ein Mensch.
Diese drei Portale in seinem Geist interessierten Ralf sehr. Er glaubte immer noch das Echo der unglaublichen Macht zu verspüren, die ihn berührt hatte, als er durch das Zweite Portal geschritten war. Warum hatte er diese Macht nicht behalten dürfen? Sie stand ihm zu, das wusste er. Und warum hatte Theresa – Ralf tippte ja auf programmierten Odem, den die Göttin gezielt für diesen Fall erschaffen und in ihn implantiert hatte – ihm das Dritte Portal, das Stamina-Portal verwehrt? Wieso war er noch nicht bereit? Wer war sie, das Recht zu haben, das zu entscheiden? Die drei Portale waren Menschenangelegenheiten. Ein Gott hatte weder die Erfahrung noch das Recht, in diesen Dingen zu bestimmen. Gerade Theresa nicht.
Wütend schüttelte Ralf den Kopf. Es brachte nichts sich aufzuregen. Wenn er Theresa treffen und von ihr Antworten erhalten wollte, dann gelang ihm das nicht auf die hitzköpfige Tour. Vielmehr brauchte er einen Teil seines Gottes – oder besser alle beide – auf seiner Seite, als Komplizen. Ralf war sich sicher, dass Makoto ebenso an Antworten interessiert war wie er selbst. Gemeinsam konnten sie Theresa ins Kreuzverhör nehmen und endlich mehr herauskriegen. Antworten auf alle Fragen, das war sein Ziel…

Ralf stolperte, fing sich instinktiv ab und sah auf. Na toll, gedankenverloren wie er war hatte es ihn hinter die Halle mit dem Resonator verschlagen. Toll. Und das zehn Minuten oder weniger, bevor er Mako-chan abholen sollte.
Wieso war er zum Resonator gegangen? Unbewusst strich er sich über die kleine Beule unter seinem Hemd, die von Inissars Auge verursacht wurde. Hatten sich Artefakt und Göttersucher gegenseitig angezogen? Oder war er rein zufällig in allerbester Trotteligkeit hier in diesen Hinterhof spaziert?
Ralf vermutete letzteres. Ihm gingen so viele Gedanken durch den Kopf, dass er froh sein konnte, jetzt nicht bereits vor dem Hauptquartier von HELIOS oder dem Akai-Konzern zu stehen.
Warum hatten sie den Resonator eigentlich noch nicht abgebaut? Auch ohne das Auge sollte das Ding in der Lage sein, eine Menge Ärger zu verursachen. Und sei es nur, dass es wirklich Götter anhand ihrer Auren aufspürte. Ralf schüttelte den Kopf. Das Prinzip war genial, unbestritten. Aber die Götter würden die Existenz des Gerätes niemals lange hinnehmen. Wahrscheinlich würden sie irgendwann Klage auf Privatsphäre einreichen und mit der Macht ihrer Kirchen durchboxen, woraufhin der Resonator abgebaut und seine Pläne unter Verschluss gehalten werden würden.
Ein Gedanke ging Ralf durch den Kopf. Was, wenn der Resonator wirklich als Waffe zu gebrauchen war? Als Waffe gegen die Götter selbst? Konnte das sinnvoll sein? War es nicht sogar nötig, nachdem der Feuerclan sichtlich mobil gemacht hatte? Ein Krieg gegen die Götter, er schauderte.

Die Faust, die auf ihn zuflog, entlockte Ralf nur ein müdes Lächeln. Okay, er war ziemlich tief in Gedanken versunken, aber nicht blind. Die drei Gestalten, die ihn nun schon seit einiger Zeit stümperhaft verfolgten, hatte er bereits als Kumpel von William Cogsworth erkannt. Es war lange Zeit ruhig um den verliebten Trottel gewesen. Meldete er sich mit dieser Aktion zurück?
Dann war die Faust da und Ralf bemerkte zwei Dinge: Es tat weh, sie gegen den linken Wangenknochen zu bekommen und er konnte ihr nicht ausweichen.
Unmöglich, ging es ihm durch den Kopf, als der Schlag ihn taumeln ließ. Nur ein Gesegneter oder Gott konnte genügend Geschwindigkeit aufbringen um ihn zu treffen.
War sein Gegenüber ein Gesegneter? Von der Seite trat der zweite aus dem Trio heran, trat zu. Ralf blockte mustergültig, spürte aber den Schmerz, der damit verbunden war, in den Händen, Verdammt, was war nur los? Er hatte den Tritt beinahe zu spät erkannt. Als ihn wieder ein Schlag traf, diesmal auf dem rechten Ohr, der seinen Schädel ordentlich zum klingen brachte, erkannte Ralf endlich die Wahrheit: Sein Geschwindigkeitsvorteil war weg. Und seine Kraft wahrscheinlich auch.
Er taumelte, stürzte zu Boden. Der Asphalt kam rasend schnell näher, er hatte nicht einmal Zeit, die Arme hochzureißen. Erneut schlug er hart auf. Etwas Warmes floss über seine Stirn. Blut. Ralf konzentrierte sich auf die Wunde, aber sie schloss sich nicht wieder.
Verdammt. Verdammt. Verdammt.
Zwei Beine traten in sein Blickfeld. Sein Gegenüber ging in die Hocke und sah ihn mitleidig an. „Armer, armer Ralf Schneider. Hat er sich überraschen lassen?“ Zu seinen Anhängern gewandt sagte er: „Was habe ich euch gesagt? Lasst ihn ruhig schnell sein. Aber wenn man ihn überrascht und hart trifft, dann küsst er auch den Boden.“
Die anderen, mittlerweile auf fünf angewachsen, raunten erstaunt.
„Was… willst du, Will?“, fragte Ralf und versuchte sich aufzurichten.
„Was ich will? Du weißt was ich will. Makoto. Aber es sieht nicht so aus, als könntest du mir sie geben, oder?“ Cogsworth griff an Ralf Kragen und zog ihn hoch. „Ich wollte es eigentlich auf die nette Art machen. Eine ehrliche Chance bekommen. Aber dein Einfluss auf Makoto ist einfach zu stark. Solange du dich dauernd an ihrer Seite herum treibst, haben wir keine Chance, sie von unseren Vorzügen zu überzeugen. Also tritt mal kürzer und dackel weiter diesem blonden Bengel hinterher, kapiert?“
Ralf verzog sein schmerzendes Gesicht zu einer Grimasse aus Pein und Grinsen. „Was, wenn ich mich weigere?“
Wütend stieß William den anderen zu Boden. „Ach, die Prügel war nur ein Vorgeschmack. Das kannst du jetzt jeden Tag haben, Ralfie. Ich meine, wir… Was ist das denn? Du trägst Schmuck? Okay, eitel darf man ruhig sein, aber das hier? Protziges Teil. Steht dir überhaupt nicht.“
Mit Entsetzen sah Ralf, wie der Mann von den Gälischen Inseln Inissars Auge über seinen Kopf zog und in den Händen wog. Er betrachtete das magische Potentialfeld einige Zeit. Dann glitt ein Grinsen über seine Miene. „Erbstück, was?“
Innerlich atmete Ralf auf, während er versuchte, auf die Beine zu kommen. Der Trottel hatte das Artefakt nicht als eines der mächtigsten Potentialfelder der Oberen Ebene erkannt.
„Ich glaube, ich habe eine Idee. Ich behalte das Ding hier für eine Weile. Bis ich und die Jungs hier ihre Chance hatten, bei Makoto zu landen. Was hältst du davon, Ralfie?“
„Du bist ein Idiot, das halte ich davon“, brummte Ralf.
Das Lächeln verschwand. Wütend starrte Willian auf ihn herab. Er wandte sich abrupt um und warf dabei das Artefakt hoch und fing es wieder auf. „So machen wir es. Ich behalte das Ding hier einige Zeit und du gehst Makoto nicht so auf die Nerven. Wenn ich denke, dass es gut ist, dann kriegst du es wieder. Vielleicht. Und damit du auch nicht vergisst, was wir hier besprochen haben… Jungs, das Gleiche noch mal.“
William Cogsworth lachte und verschwand hinter der Halle.

„Das ist es also“, murmelte Ralf leise, während er einen Fuß spürte, der ihn in den Bauch traf. Der Schmerz war erträglich, seine Bauchmuskeln eisenhart, das federte einiges ab. „Ich bin nur noch ein verdammter Mensch und kann mich nicht einmal selbst verteidigen, geschweige denn Inissars Auge…“ Wieder traf ihn ein Tritt.
Stimmte das? War er wirklich nichts wert ohne diese ganzen Superfähigkeiten? Ralf zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er jetzt in dieser Lage steckte, weil Theresa ihn auch aus dem Ersten Tor, dem der Kraft rausgeworfen hatte.
Er spürte, wie ihm jemand in die Haare griff und schmerzvoll nach oben zog.
War das alles, was ihm geblieben war? Taugte er als Gläubiger überhaupt noch?
Ralf erinnerte sich an die Lektionen, die sein Vater ihm sein Leben lang in waffenlosem Kampfsport gegeben hatte. War das alles unnütz?
Eine Faust flog auf ihn zu, zielte auf seine Nase.
Als die Faust in Ralfs rechter Hand hing und sein Besitzer vergeblich versuchte, sie wieder zu befreien, grinste der Gläubige böse. „Ich bin vielleicht nicht mehr ganz so schnell wie neulich, aber deswegen solltet Ihr mich nicht unterschätzen!“
Bevor sein Gegner es sich versah, hatte Ralf an der Faust gezogen, den Oberkörper zu sich her gezerrt und ihm einen schmerzhaften Schlag ins Gesicht verpasst.
Er spürte, wie sein anderer Gegner überrascht die Haare fahren ließ.
Ralf nutzte die Gelegenheit sofort für einen Drehkick, der zwar nur in dessen Seite landete, nichtsdestotrotz aber Schmerzen versprach. Himmel, hätte er sich ein paar Sekunden früher besonnnen, hätte er nicht mit diesen Kopfschmerzen leben müssen. Geschweige denn Inissars Auge verloren.
INISSARS AUGE! Ralf wirbelte herum, sah zu der Stelle, an der William verschwunden war. Und erkannte seinen Fehler, als ihn ein Schwinger in den Magen traf. Unaufmerksamkeit konnte tödlich sein. Oder zumindest schmerzhaft wie in diesem Fall.
Ralf wehrte sich verbissen, erkannte aber, als sein linkes Auge von einem Treffer zuzuschwellen begann, dass er sich mit einem gegen fünf kräftig übernommen hatte.
Für einen Moment hielt er es für möglich, hier und jetzt zu sterben.

Ein Entsetzensschrei, gefolgt von einem dumpfen Aufprall ließ ihn wieder aufsehen. Ein zweiter Schrei, diesmal geprägt von Entsetzen folgte. Kurz darauf erklang ein weiterer Schmerzenslaut, der in ein jämmerliches Wimmern überging. Ralf blinzelte mit seinem halbwegs geöffneten Auge und erkannte die restlichen drei aus Williams Schlägertruppe, wie sie von Furien gehetzt den Kampfort verließen.
Er sah zur Seite und erkannte ein paar hübscher Beine in einem kurzen Rock. „Freya?“, fragte er vorsichtig.
Ein harter Klaps traf ihn am Hinterkopf. „Was ist los mit dir? Warum hast du dich so fertig machen lassen? Ich meine, Hey, mit solchen Typen fütterst du doch sonst die Goldfische, wenn du mit ihnen fertig bist.“
Ralf sah auf und erstarrte. Mit einem Gefühl des Entsetzens ließ er sich zu Boden sinken. „Das hat mir gerade noch gefehlt“, brummte er und pflegte für einen Moment seine Kopfschmerzen. „Nicht du auch noch.“
„Hey, sei mal etwas dankbarer. Ich habe gerade deinen Arsch gerettet, ja?“
Ralf schloss sein verbliebenes Auge wieder. „Das wäre es beinahe wert gewesen.“
Ein böses Knurren antwortete ihm.

Mako-chan und Arnim, der es noch nicht zum Gebet geschafft hatte, waren in eine Grundsatzdiskussion über Phonetik bei Sprachen, die nur noch als Schrift existierten, verwickelt. Makoto spitzte die Ohren, sah sich um wie ein gehetztes Wild und stürmte plötzlich in Richtung der Resonatorhalle. Arnim zögerte nicht lange und folgte ihr.
Hinter der Halle angekommen liefen ihnen drei entsetzte und reichlich lädierte Kommilitonen entgegen, die sie kaum beachteten. Erstaunlich, denn sie gehörten zu Koalition um Cogsworth, die nur zu gerne der weiblichen Göttin nachstahlen. Arnim hatte seine Jungs, soweit er darauf Einfluss hatte, schon lange die Leviten gelesen und sie aus dieser merkwürdigen Koalition herausbefohlen. Aus gutem Grund, wie er erkannte.
Die beiden kamen um eine Ecke und sahen noch wie ein dunkelblondes Mädchen mit einem sehr derben Fluch einem der zwei übrig gebliebenen Mitglied des Zirkels um Cogsworth einen saftigen Tritt in den Hintern gab. Daneben lag ein reichlich lädierter Ralf Schneider und fluchte leise.
Makoto hielt nun nichts mehr. „RALF!“ Sie stürmte auf die beiden zu, ging zu Boden und zögerte im letzten Moment, das lädierte Gesicht ihres Gläubigen zu berühren. „Bei Trema und Heress, was ist denn nur mit dir passiert? Und warum hast du dich nicht selbst geheilt?“
„Das solltest du mal deine Mutter fragen“, antwortete Ralf leise. „Sie hat mich von meinen Fähigkeiten ausgesperrt.“
„Fähigkeiten?“, raunte das dunkelblonde Mädchen. Sie zog ordentlich ihren Rock stramm über die Oberschenkel und ging neben den beiden in die Hocke. „Du hast deine Selbstheilungsfähigkeit entdeckt? Respekt, hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Makoto warf der Frau einen bösen Blick zu. „Hör mal, danke, dass du ihm geholfen hast und so. Aber ich würde jetzt doch gerne mal was über dich wissen. Wer bist du?“
Abwehrend hob die dunkelblonde junge Frau ihre Arme. „Hey, Hey, Friede, Göttin. Du musst Makoto sein. Ich habe schon einiges von dir und deinem abgespaltenen männlichen Pendant gehört. Und du, stattlicher Riese, bist entweder Klaus Fischer oder dieser Kendoka Arnim Kleyn. Nun tut nicht so überrascht. Klar, dass ich was über euch weiß. Ich gehöre immerhin zur Familie.“
Makoto sah sie misstrauisch an. Irgendwie gefiel ihr nicht, was sie hörte.
Das Mädchen lächelte und bot ihre ausgestreckte Hand dar. „Ich bin Carine. Hallo. Freut mich.“
Makoto wechselte einen schnellen Blick mit Arnim, der konzentriert nachzudenken begann. „Carine, Carine, da war doch was…“
Enttäuscht sah Carine die beiden an. „Was? Ihr habt noch nichts von mir gehört? Ich meine, hat Ralf denn nichts von mir erzählt?“
Diese Wortwahl gefiel Makoto noch weniger. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte war, dass plötzlich eine Verlobte von Ralf auftauchte, oder sonst irgend etwas tief aus der Klischeebox.
Wütend starrte die dunkelblonde Frau auf Ralf herab. „Du bist mir ja ein Ekel. Hast nichts von mir erzählt. Na warte. Das gibt Ärger, Herr Schneider.“
Immer noch wütend sah sie die Göttin an. „Ich bin Ralfs kleine Schwester. Aber bald werde ich wohl ein Einzelkind sein, wenn ich mit ihm fertig bin!“
Arnim schlug sich mit der ausgestreckten Rechten gegen die Stirn. „Natürlich. Carine Schneider. Erst Gestern hat Ralf dich erwähnt. Nicht, Mako-chan?“
Die sah Arnim mit plötzlichem Erkennen an und nickte heftig.
Carine verzog ihr Gesicht zu einem Lächeln. „Nett, dass Ihr für ihn lügt. Das kann nur bedeuten, dass er mit euch gute Freunde hat. Sorry, Makoto, und ne tolle Freundin.“
Unschlüssig sahen sich die drei an.
„Wenn du mich heilen würdest, Mako-chan, und wir zu einem Ende kommen könnten, wir haben ein Riesenproblem“, klang Ralfs Stimme auf. „Cogsworth hat Inissars Auge mitgenommen.“
„Er hat das Auge?“, rief Arnim aufgebracht. „Kann es noch schlimmer kommen?“

Als hätte der Feuergesegnete damit ein Stichwort gegeben, bildeten sich dunkle Wolken am Himmel, die sich schnell ausdehnten. Blitze zuckten zwischen ihnen umher und einige schlugen in den Erdboden ein. Übergangslos heulten in Hörweite alle Sirenen.
Die Wolken wuchsen, nahmen gigantische Dimensionen an. Wie eine gewaltige Walze zogen sie über Klingburg hinweg und versenkten die ganze Stadt in Schatten.
Immer noch zuckten Blitze zu Boden. Arnim riss plötzlich seine Arme hoch und wehrte so mit seiner Aura einen Blitz ab, der ihn direkt getroffen hätte. Er wechselte einen unsicheren Blick mit den anderen drei.
Dann geschah es. Die Wolkendecke schien aufzubrechen und etwas großes, gewaltiges, kletterte daraus herab. Es war ein längliches Oval, ausgestattet mut unzähligen Türmchen und Erkern. Eine gewaltige rote Aura umgab das Gebilde.
„Bei Ausyls Feuer“, hauchte Arnim angsterfüllt, „das ist der Kampfwagen des Feuerclans…“
„Aha. Wenigstens wissen wir nun, wofür der Feuerclan all den Odem gebraucht hat“, stellte Ralf trocken fest.

Epilog: Die sieben Gestalten befanden sich in unterschiedlichen Stadien der Erschöpfung. Einige hatten Verletzungen, die nur sehr langsam heilten.
Einer von ihnen, beinahe unverletzt aber unendlich erschöpft, stand Ausyl Rede und Antwort. „Sie kamen plötzlich, viel zu plötzlich. Camena hat uns noch gewarnt, aber es hat gerade gereicht, um deine mächtigsten Verbündeten zu sammeln, Ausyl.“
Der Erbe des Feuerclans übersah den traurigen Haufen. „Seid Ihr die einzigen, die es geschafft haben, Oren?“
Der Gott des Feuers überlegte einen Moment und nickte dann. „Soweit ich weiß, ja, Herr. Die Angriffe kamen zu plötzlich, zu gut platziert. Kailin selbst hat sie angeordnet und geplant. Das erste Angriffsziel war dein Hort, Ausyl. Nur weil du heimlich auf der Unteren Ebene warst und die Angriffstruppen verwirrt waren, bekamen wir überhaupt die Chance, herab zu steigen.“
Ausyl legte eine Hand auf die Schulter des Gottes. „Was ist mit Nande und Uafin?“
„Was mit Nande ist wissen wir nicht. Aber wir hoffen, Kailin wird seine eigene Tochter nicht getötet haben. Uafin aber…Er hat unseren Rückzug gedeckt. Wir wissen nicht, ob er tot ist. Auf jeden Fall hat er uns die Zeit erkauft, um zu entkommen.“
Der Feuergott zitterte bei diesen Worten und er spürte, wie seine Hand sich um Orens Schulter schloss. Dann aber ließ er los. „Es beginnt also. Ruht euch aus und heilt euch, so gut es geht. Ich nehme an, eure Kapellen werden gerade zerstört, um eure Gläubigen daran zu hindern, euch Odem zu spenden. Also haushaltet mit euren Kräften. Wir werden sie brauchen.“
Ausyl sah aus dem Fenster des Hotelzimmers. Über ihnen schwebte der Kampfwagen. „Viel zu bald schon…“

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Mein Gott, meine Göttin
Chapter neun

Prolog:
„…Live auf Mittland TD II, zeigen wir alle Bilder der Ankunft des Schlachtwagens des Feuerclans über unserer Hauptstadt Klingburg…“
„…dies der Anfang eines Krieges? Der Kampfwagen, ein unglaubliches Gefährt von fast zwei Kilometern Länge und einer Breite von fast einem Kilometer wurde laut den Legenden über den Feuerclan noch nie in einem Konflikt eingesetzt. Wenn er nun auf die Untere Ebene verbracht wurde, kann niemand sagen, was passieren wird. Bleiben Sie auf Terre de France Television, wir sind für Sie direkt am Geschehen…“
„…Feuerclan, der wildeste, direkteste und auch emotionalste Clan, unberechenbar wie sein Totem hat seine mächtigste Waffe ausgemottet, die er schon seit dem Großen Krieg gegen die Dämonen nicht mehr eingesetzt hat. Was ist passiert? Droht uns ein erneuter Krieg gegen die Dämonen? Ist der Vertrag von Hethit in Gefahr? Johann Spencer live für Klingburg Lokal I für Sie direkt vor Ort…“
„…stehe ich hier inmitten der atheistischen Bewegung Klingburgs, die göttliche Existenz als Irrglauben und Massenhysterie angesehen haben und die nun heftig gegen die Anwesenheit des Kampfwagens demonstrieren. Laut ihrem Sprecher ist der Kampfwagen eine Finte der großen Kirchen, um bereits säkularisierte Menschen erneut zu bekehren. Ferner werfen sie der Regierung vor, dass…“
„…und ich gucke hoch, und da bricht dieses Riesenteil aus den Wolken. Wow, denke ich. Wow. Wo kommt das denn her? Und wo zum Henker hat der Feuerclan es überhaupt geparkt? Ich meine, verdammte Scheiße, ich bin ein Gläubiger des Wasserclans, aber ich habe sofort gewusst, dass das Riesenteil da Kailins Kampfwagen ist.“
„…strömen erschrockene Menschen in die Kirchen ihrer Götter, um dort zu beten und Schutz zu suchen. Die Polizei tut derweil ihr Möglichstes, um die kleine Gemeinde des Feuers vor Übergriffen hysterischer Menschen oder schlicht gewaltbereiter Personen zu bewahren. Die Lage ist keineswegs ernst oder unüberschaubar. Aber der Feuerclan hat seinen Gläubigen mit dieser Aktion keinen guten Dienst erwiesen. Wurden sie bisher schon misstrauisch beäugt, erreicht dieses Gefühl nun schwindelnde Höhen…“
„..beteuert der Vorsteher der Kirche des Stammes des Feuers erneut auf einer Pressekonferenz, dass es sich nicht um einen kriegerischen, sondern um einen religiösen Akt handelt: Dennoch bleiben Fragen offen. Sind die Rechte der Götter auch durch den Vertrag von Hethit geregelt, auf die Erde herab zu steigen, wann und wo sie wollen, sind nun die Juristen gefragt, ob diese Grundregel auch auf den Kampfwagen zu beziehen ist. Vielleicht sind heute nicht die Politiker und die Militärs gefragt, wohl aber die religiösen Führer und die Juristen. Klingburg steht eine unruhige Nacht bevor…“

(Auszug aus den Pressestimmen aus Funk und Fernsehen, nach dem Abstieg des Kampfwagen Kailins auf die Untere Ebene.)

1.
Markus Holt beschattete seine Augen mit der Rechten, als er zum Himmel empor sah. „Komisch, ich dachte immer der Wagen wäre gewaltiger. Imposanter. Und nicht so ein verschnörkeltes Etwas mit Anhängseln. Besteht der Wagen vielleicht aus Odem und kann je nach Odemspende wachsen oder schrumpfen?“
Professor Vaillard trat neben seinen Studenten ans Fenster und reihte sich ein in die ehrfürchtig staunende Gruppe junger Menschen. „Nein, soweit wir den Überlieferungen vertrauen können, werden die Kampfwagen lediglich mit Odem betrieben. Ebenso die Waffen. Aber der Wagen dort oben dürfte der gleiche sein, mit dem der Feuerclan gegen die Dämonen ins Feld gezogen sind.“
Ehrfürchtiges Raunen ging durch die Gruppe, als erneut Blitze vom Kampfwagen in den Himmel und zur Erde schossen und faszinierende Muster bildeten.
„Statik“, kommentierte Vaillard belustigt. „Viel Volt, wenig Ampère. Nicht viel harmloser als ein Elmsfeuer.
„Nicht viel?“, hakte Markus nach.
„Nun, es stehen einem die Haare zu Berge.“
Die Studenten lachten leise.
„Herr Holt, bitte stellen Sie doch das in den Himmel gucken für einen Moment ein und kommen Sie mit mir. Die anderen dürfen meinetwegen den Rest der Vorlesung in den Himmel sehen und den Kampfwagen inspizieren.“
Markus warf einen letzten Blick in die Höhe. „Ich komme, Herr Professor.“

Auf dem Gang vor dem Hörsaal fragte Markus: „Wie schlimm ist es? Wissen wir schon etwas über Kailins Absichten?“
Vaillard lachte. „Ungestüme Jugend. Nein, bevor der Herr des Feuers nicht selbst herab steigt oder einen Vertreter schickt, wissen wir nicht, was wir von dem ganzen zu halten haben. Vielleicht aber hängt es mit Inissars Auge zusammen. Vielleicht auch mit dem Auraresonator unserer sehr verehrten Frau Prokovniewa. Vielleicht geht es auch um etwas völlig anderes.“
„Wenn das Wörtchen wenn nicht wär´, wär´ das Leben halb so schwer“, kommentierte Markus leise.
„Beachtlich, Herr Holt. Sie haben ja immer noch Humor, trotz der angespannten Lage“, bemerkte der Professor amüsiert.
Markus grinste schief. „Nun, mein Humor ist weit größer als Sie denken. Ich glaube nämlich, dass Theresa mich enttarnt hat.“
„Sie weiß, dass wir einen Agenten neben ihr Kind platziert haben?“
„Sie weiß, dass wir Interesse an dem Sohn von Thomas Schneider haben. Vielleicht zählt sie aber auch zwei und zwei zusammen und versteht, warum plötzlich zwei Zimmer in unserer WG frei waren, nachdem Makoto sich Ralf zum Gläubigen ausgesucht hat. Einmal ganz davon abgesehen, dass das mit den limitierten Zimmern ein besserer Witz ist“, erwiderte Markus.
„Wenn Sie enttarnt wurden, Herr Holt, und noch am Leben sind, dann entweder weil die Göttin keine Gefahr in Ihnen sieht, oder weil sie weiß, dass Sie keine Gefahr sind. Theresa hat Jahrtausendelange Erfahrungen mit unsereins.“
„Sie ist eine bemerkenswerte Göttin“, sagte Markus im Brustton der Überzeugung.
„Ja, das ist sie wohl. Und unsere größte Hoffnung.“
**
Es gab nur wenige Dinge, die Arnim Kleyn wirklich hasste. Eigentlich war er ein sehr umgänglicher Mensch, wenn er seinem Drang, ein Anführer zu sein ausreichend nachgeben konnte und sein Mindestmaß an Kommunikation befriedigt wurde. Aber spontan beschloss er, das neueste Ereignis in seinem Leben in seine Hass-Liste aufzunehmen. Es war eben nicht jedermanns Sache, in einer Nebenstraße plötzlich eine vier Meter hohe Wand aus Flammen entstehen zu sehen. Und das, wenn man selbst gerade Mal einen Meter von ihr entfernt war.
Arnim lächelte gering schätzend und griff mit seiner Macht des Gesegneten nach den Flammen. Wie er erwartet hatte, waren sie nur schwer zu manipulieren. Ein anderer Gesegneter hatte die Wand erschaffen.
Langsam drehte sich Arnim Kleyn um. Vor ihm, am Eingang der Straße, stand eine junge Frau und lächelte entschuldigend herüber. „Du bist Ausyls neuester Gesegneter, richtig? Ich bin Bisals Gesegnete.“
Arnim brauchte nicht lange in seiner Erinnerung zu kramen. Bisal war Kailins Waffenmeisterin und unbedingt loyal zu Clan und Anführer.
„Wie nett“, kommentierte Arnim. „Was kann ich für dich tun?“
„Nun, du könntest sterben. Ist nichts Persönliches.“
Von einem Moment zum anderen entstand eine lange Lanze aus feurigem Plasma und schoss direkt auf Arnim zu. Dieser ließ in seiner Hand das Feuerschwert entstehen und spaltete den Feuerstoß damit.
„Beachtlich. Wie lange trägst du Ausyls Segen? Eine Woche? Zwei? Jemand muß dich trainiert haben“, bemerkte die Bisal-Gesegnete. „Gut trainiert haben. Aber nicht gut genug für mich!“
Die Feuerwand hinter Arnim brach über ihn zusammen, hüllte ihn ein. Dabei zog sie sich immer enger zusammen.
Die Feuergesegnete betrachtete das Schauspiel einige Zeit, und wandte sich dann ab. „Es war wirklich nichts persönliches, Ausyl-Gesegneter.“
In diesem Moment explodierte die Feuerwand und zerstieb in der Luft. Arnim lächelte kalt herüber. „Du hast Recht. Ich wurde gut trainiert. Und mein Trainer sagte mir, ich müsse noch hart arbeiten, um mein Limit zu erreichen. Scheint so, als hätte ich dank dir wieder etwas gelernt.“
Arnim senkte den Blick, drückte die Klinge seines Flammenschwertes zu Boden, wo der Asphalt sofort Blasen schlug. „Nun, wenn mich einer töten will, dann nehme ich das leider persönlich, Bisal-Gesegnete.“
Der junge Kendosportler sah auf und fixierte die Gesegnete mit einem mörderischen Blick, der eigentlich alleine schon hätte ausreichen sollen, um halb Klingburg in eine Flammenhölle zu verwandeln. Wütend schrie er auf und sprang in die Luft. Die Feuerklinge riss er hoch über den Kopf, bereit zum Schlag.
Die junge Frau erschuf fünf Flammenspeere, die sie nach Arnim schleuderte, vier gingen vorbei, der fünfte traf ihn am rechten Arm, richtete aber keinen Schaden an.
Arnim grinste dämonisch. Und schlug zu. Eine riesige Welle Hocherhitzter Luft ging von den beiden Gesegneten aus, schmolz den Straßenbelag und riss Laub von den Bäumen. In den Fenstern klirrten die Scheiben.

Enttäuscht sah Arnim auf seine Klinge. „Das ist nicht fair, Ausyl! Warum mischst du dich ein? Warum rettest du sie überhaupt? Immerhin wurde ich nur angegriffen, weil ich dein Gesegneter bin!“
Der Feuergott hatte die Klinge des Kendokas mit zwei Fingern gestoppt und sich schützend vor der jungen Frau aufgebaut. „Du bist mein Gesegneter, Arnim Kleyn. Sie ist kein Gegner für dich. Vor allem nicht nach der Ausbildung, die du bereits genossen hast. Diese hier“, er deutete zu der zu Boden gesunkenen und am ganzen Leib zitternden Frau, „führt nur Befehle aus. Aber ich habe kein Bedarf, Bisal ein oder zwei oder alle Gesegneten zu nehmen, die er in Klingburg hat.“ Er wandte sich der jungen Gesegnten zu. „Du. Steh auf. Sag Bisal, dass ich sie sprechen will. Ort und Zeit übermittle ich noch.“
Die Feuergesegnete kam mühsam auf die Beine. In ihren Augen stand immer noch Angst und Entsetzen. Sie verbeugte sich hastig vor dem Feuergott. „Ja, Herr. Und danke, dass Ihr mein Leben verschont, Herr.“ Dann wandte sie sich um und lief davon.“
Arnim zog die Klinge zurück, ließ sie wieder verschwinden. „Du willst dich mit der Waffenmeisterin treffen, mein Gott?“, fragte er leise.
Ausyl winkte ab. „Nur eine Finte, um Kailin zu beschäftigen. Aber wenn Bisal doch zu einem Gespräch bereit ist…
Arnim Kleyn, hat dir Shawn Ironheart bereits gezeigt, wie man seine Aura löscht?“
„Ja, mein Gott.“
„Und warum wanderst du durch Klingburg und strahlst auf der Odemebene wie ein Weihnachtsbaum? Hast du denn noch nichts von den Kämpfen innerhalb des Clans…“
Ausyl lachte plötzlich. „Ja, natürlich. Du hast noch nichts davon gehört. Begleite mich ein Stück. Springen kannst du schon? Gut. Ich bin sicher, du hast viele Fragen an mich. Ich will sie beantworten. Folge mir.“
Der Gott wurde unsichtbar und verschwand schließlich ganz. Arnim sah sich um. „Hey, Ausyl! Shawn hat mir zwar gezeigt, wie man springt, aber er hat mir nicht gezeigt, wie man jemandem folgt, der springt.“
Vor dem Gesegneten entstand Ausyls Arm aus der Stelle, an der der Gott verschwunden war. Die Hand krallte sich in Arnims Jacke. „Sag das doch gleich.“
Der Arm riss den Kendoka mit sich. Beide verschwanden.

Als die Welt für Arnim wieder Bestand bekam, standen er und sein Gott auf dem Flachdach eines Hochhauses. Der Gott stand am Rand, einen Fuß auf die Begrenzungsmauer gestützt und sah in die Tiefe, während über ihnen bedrohlich der Kampfwagen in der Luft hing.
„Du musst eines verstehen, bevor du deine Fragen stellst, junger Arnim Kleyn“, sagte Ausyl, ohne seinen Gesegneten anzusehen, „ich bin ein Gott. Und uns Göttern fällt es sehr oft schwer, auf die Gedanken und Bedürfnisse der kurzlebigen Menschen einzugehen. Bitte bedenke das.“
„Gut. Ich wurde gerade von einer anderen Gesegneten des Feuerclans angegriffen, die mich töten wollte, mein eigener Gott verhindert, dass ich es ihr mit gleicher Münze heimzahle. Und er offenbart mir irgendetwas von einem Konflikt innerhalb des Feuerclans, nur um mich anschließend an den Ort von Klingburg zu führen, an dem wir dem Kampfwagen näher sind als an jedem anderen Punkt in der Stadt. Und plötzlich will mein Gott, dass ich ihm Fragen stelle. Nun gut. Ist ja nichts dabei, oder?“
Ausyl wandte sich halb um und lächelte schmal. „Ich bin sicher, die anderen Gesegneten unter deinen Freunden wären dankbar für solch eine Gelegenheit, ihrem Gott Fragen stellen zu können. Übrigens, der Umgang mit Freya Helensdottir scheint dir ein wenig von ihrem Sarkasmus beschert zu haben, Arnim Kleyn.“
„Du brauchst gar nicht darauf zu warten, dass ich mich wundere, dass du diesen Namen kennst, Feuergott“, brauste Arnim auf. „Wir sechs haben schon von selbst herausgefunden, dass du, Thomas und die anderen drei Götter uns mehr oder weniger zusammen gebracht habt.“
„Respekt, Respekt.“
„War ja nicht schwer zu erkennen…
Aber ich habe da tatsächlich eine Frage. Eigentlich zwei: Warum ich und warum jetzt?“
Ausyl sah wieder über den Rand der Mauer hinweg. Seine Pose wirkte dabei sehr martialisch. „Rauchst du?“, fragte der Gott unvermittelt. „Meine sind alle.“
Arnim kratzte sich verlegen am Kopf, zog seine Packung hervor, nahm sich eine Zigarette und warf den Rest seinem Gott zu. Ohne ein Feuerzeug zu benutzen, entzündete er die Spitze.
Ausyl nahm sich ebenfalls eine Zigarette und entfachte sie auf die gleiche Weise wie sein Gesegneter. Das übrige Päckchen warf er wieder zurück.
„Daran ist Thomas Schuld. Unser Fokus. Er hat mich zu diesem verdammten Rauchen verleitet. Das war vor tausend Jahren. Wäre ich kein Gott, dann wäre ich keine hundert Jahre alt geworden. Und du solltest dir diesen Quatsch auch schnell wieder abgewöhnen. Rauchen ist nicht cool. Es ist…“
„Nur eine Droge, ja das weiß ich. Der eine trinkt, der andere betet, der nächste spielt, einer hat Sex zum Hobby, dann gibt es welche, die wollen die Welt erobern und ich rauche. Ich weiß selbst, dass es nicht gut für mich ist. Sorge dich weniger um meine Gesundheit und beantworte mir lieber meine Fragen.“
Der Gott stieß nachdenklich den Rauch seiner Zigarette aus und beobachtete, wie der Rauch den Kampfwagen nachbildete. „Nun gut. Warum du? Das ist einfach erklärt. Das Auge Inissars war früher einmal in meiner Obhut. Vor tausend Jahren wurde es mir gestohlen. Seitdem ist es verschollen. Nun, beinahe verschollen. Es befindet sich irgendwo hier in Klingburg, zum greifen nahe für mich.
Jedenfalls fiel ich damals bei Kailin in Ungnade, und diese Ungnade bekamen auch meine Gläubigen zu spüren. Deine Familie, eine der Bedeutendsten, musste sogar Amazona verlassen. Doch sie gab niemals auf und errichtete mir zu Ehren sogar in der Fremde eine Kapelle. Ich habe ihr diesen tiefen Glauben bisher nie richtig vergolten. Ich hatte das ernsthaft vor. Und nun tue ich deiner Familie noch weit Schlimmeres an und segne den einzigen Sohn…“
„Hey, mein Gott“, warf Arnim ein, „ich habe mich nicht beschwert.“
„Noch nicht“, erwiderte Ausyl und warf dem jungen Gesegneten einen Blick zu, der diesen schaudern ließ.
„Zur zweiten Frage. Ich beobachte dich schon lange. Du solltest von vorne herein, seit ich deinen Odem das erste Mal bekam, mein Gesegneter werden. Aber der Zeitpunkt, wann dies sein sollte, war vorherbestimmt.“
Arnim zog an seiner Zigarette und blies gedankenverloren den Rauch aus. „Schon klar. Die Sache mit Makoto, Freya und Ralf in der Uni.“
„Richtig. Es war für mich die beste Gelegenheit, zwei Dinge zu testen. Das erste war zu sehen, wie gut du den von mir aufbereiteten Odem verarbeitest, und Hey, du hast gesehen, was wir auf dem Campus angerichtet haben.
Das zweite war zu sehen, was Theresas Kind bereits für Fähigkeiten hat. Das Ralf und Freya Makoto helfen würden und dabei Talente zeigen die ich, die wir alle nicht erwartet haben, kannst du dabei als Bonus verstehen.“
Ausyl sah wieder herüber. „Noch etwas in diesem Zusammenhang. Als ich dich übernommen habe, mit meinem Fluidum deinen Körper beherrschte, war dies beinahe so wie meinen Segen zu empfangen. Nur, normalerweise gehen Gesegneter und Gott zusammen an eine Art Barriere der Stärke innerhalb des Unterbewusstseins eines Gesegneten und reißen sie gemeinsam nieder, um ihren Bund zu beschließen. Wir aber sind regelrecht durchgeprescht und haben sie quasi zu Kleinholz verarbeitet. Das gelang vor allem nur wegen dir. Deine Fähigkeiten sind bereits jetzt bemerkenswert. Und du wirst mit jedem Tag noch stärker. Das macht mich stolz.“

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Ace Kaiser,
Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

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