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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
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OT: Anime Evolution: Erweitert Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Anime Evolution: Erweitert
Episode eins

Prolog: Acht Monate später:

Der Anelph und die Menschenfrau arbeiteten nun schon seit über einem halben Jahr zusammen. Janeg Dorr war die führende Koryphäe der Prospektorenzunft, und seine Fähigkeiten lagen weit über dem Schnitt, den die relativ kleine Anelph-Population vermuten ließ.
Jara Watts hingegen war ein aufstrebender Stern, ein Komet unter den Geologen der Erde.
Mit der Eroberung des Weltalls hatte sie Schritt gehalten. Und nun war sie die erste, einzige und beste Expertin für Exo-Geologie. Nebenbei hatte sie auch ein abgeschlossenes Studium der Statik, was ihr bei ihrer jetzigen Arbeit sehr zu Hilfe kam.

Die beiden Wissenschaftler befanden sich im so genannten Planetoidengürtel, einem Ring aus kosmischen Trümmern, die sich zwischen Mars und Jupiter befanden und entweder die Überreste eines kollabierten Planeten waren, oder nie die Chance bekommen hatten, ein eigener Planet zu werden.
Der Anelph und die Menschenfrau wurden nun schon seit einem Monat von der MOSKWA, einer umgetauften Fregatte der NOVEMBER-Klasse, durch das gefährliche Trümmergebiet geflogen, immer auf der Suche nach einem bestimmten Gesteinsbrocken. Nach einem idealen Gesteinsbrocken für das verrückteste Vorhaben, welches Menschen, Kronosier und Anelph vielleicht jemals geplant hatten.
Die beiden äußerlich so ähnlichen Wesen hatten X-RAY betreten, den dreiundzwanzigsten kosmischen Trümmerbrocken auf ihrer Liste. Und seit über drei Stunden zwängten sie sich nun durch ein Höhlenlabyrinth tiefer in den acht Kilometer durchmessenden, länglichen Felsen hinein.

Schließlich erreichten die beiden eine Kaverne. Janeg Dorr sah Doktor Watts an. Die junge Frau nickte.
Also griff sich der Anelph an den Gürtel und zog eine Signalpistole hervor.
Sorgfältig lud er die klobige Waffe mit einem sich selbst mit Sauerstoff versorgenden Magnesiumgeschoss und zielte in die tiefste Schwärze hinein, bevor er schoss.
Danach drückte er den Feuerknopf.
Ein Teil der Kaverne wurde nun in helles, gleißendes Licht getaucht, aber es war bei weitem noch nicht genug, um alles der Finsternis zu entreißen.
„Das… Das ist…“, stammelte Jara aufgeregt.
Der Anelph nickte. „Ja. Ich glaube, wir haben unser Ziel gefunden.“
Dorr lud eine weitere Patrone und schoss sie in eine andere Richtung ab. Danach eine weitere, und jeder Schuss entriss ein weiteres Wunderwerk der Dunkelheit.
Spontan umarmte Jara den Anelph. Nach einer wie endlos wirkenden Suche, nach zweiundzwanzig erfolglosen Versuchen sah es nun wirklich so aus, als hätten sie ihr Ziel gefunden.
Einen weitgehend hohlen, aber in sich stabilen Planetoiden.
Jaras Wangen glühten vor Aufregung, als sie die MOSKWA kontaktierte. „Kapitän, schicken Sie die Teams rein. Wir haben unser trojanisches Pferd gefunden.“
Janeg Dorr lächelte die Menschenfrau zufrieden an. „Damit endet meine Arbeit. Und Ihre beginnt.“
Jara lehnte sich gegen den nackten Fels. „Ja“, hauchte sie. „Das größte Abenteuer der Menschheit erwartet uns…“

Dreizehn Monate später:
„Megumi-chan, aufstehen!“, rief Akari.
Müde öffnete die junge Mecha-Pilotin ein Auge und blinzelte in die Welt wie ein neugeborenes Kaninchen. „Warum bist du denn schon auf?“, murmelte sie leise. „Heute ist doch Sonntag.“
Akari nickte. „Ist schon klar, O-nee-chan. Aber du wolltest doch geweckt werden, weil nachher die neuen Hekatoncheiren offiziell in Dienst gestellt werden.“
Schlagartig war Megumi wach. „Ich komme gleich!“

Obwohl der Krieg gegen die Kronosier spätestens seit der Ankunft der Anelph beendet war, hatte dies nicht automatisch bedeutet, dass Megumi in ein normales Leben hatte zurückkehren können. Na, was war schon normal?
Jedenfalls war sie zum Colonel befördert worden und kommandierte nun das Hekatoncheiren-Regiment, eine verstärkte Mecha-Einheit, die drei Bataillone mit je vierzig Maschinen aller Klassen enthielt und auf die beiden orbitalen Plattformen ARTEMIS und OLYMP sowie der Mondbasis Aldrin verteilt war.
Die Gefahr durch das Legat und die Kronosier mochte gebannt sein.
Aber die Anelph hatten schlechte Neuigkeiten mitgebracht.
Keine fünfzig Lichtjahre von der Erde entfernt befand sich eine der Hauptwelten der Naguad, einer extrem expansionssüchtigen Rasse, welche bereits die Anelph überfallen hatte.
Der nächste Stützpunkt der Naguad war lediglich dreißig Lichtjahre entfernt, und damit rückte die Erde selbst in Bedrohung durch das Imperium der Naguad.
Megumi seufzte bei diesen Gedanken leise.
Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis war einfach gewesen. Die Menschheit nutzte die Zeit der Ruhe, um sich auf einen eventuellen Angriff der Naguad vorzubereiten.
Dies geschah im Gegensatz zu den Verteidigungsmaßnahmen gegen die Kronosier geradezu träge, war deswegen aber nicht weniger effektiv.
Die Mondbasen Colin, Aldrin und Armstrong waren ausgebaut worden, weitere fünf in Planung. Deimos, der verbliebene Mond des Mars beherbergte neben der Anelph-Werft nun eine eigene Garnison und einen provisorischen Hafen.
Auf dem Mars selbst entstand ein Orbitalliftsystem, wie es auf der Erde bereits zweimal existierte. Die Plattformen CASTOR und POLLUX waren bereits im Bau und würden vieles erleichtern, wenn sie denn endlich fertig waren. Vor allem das Leben in der grünen Zone des Mars, die sich unaufhaltsam in die roten, staubigen Ebenen fraß.

Megumi rieb sich die Augen, bis sie Sterne sah. Danach gähnte sie herzhaft und stand auf.
Mit etwas Glück würden die Naguad niemals bis zur Erde vorstoßen. Und mit etwas Pech folgten sie den Anelph und wurden wie mit der Schnur gezogen auf die Erde gestoßen.
Was für ein verdammter Mist.
Megumi ging ins Wohnzimmer. Obwohl Sonntag war, waren die anderen Mitbewohner bereits aufgestanden. Ihre Zahl hatte sich nicht wesentlich erhöht, wenn man davon absah, dass Eikichi, Akiras Vater, nun öfters eine Nacht in seinem Raum im Haus verbrachte.
Ansonsten waren es immer noch Yoshi, Makoto, Kei, Sakura-sensei, sie selbst, Akari, Doitsu und Yohko, die hier lebten.
„Morgen“, murmelte Megumi, als sie sich an den Tisch plumpsen ließ.
„Guten Morgen“, sagte Kitsune und stellte eine Schale mit Miso-Suppe vor ihr ab.
Ach ja, Kitsune-chan lebte nun auch hier.
„Sag mal, warum führst du uns eigentlich den Haushalt?“, fragte Megumi unvermittelt.
Die Fuchsdämonin blinzelte verwirrt, bevor sie antwortete. „Äh… Weil es einer tun muß und Akari zu jung dafür ist.“
„Ich bin nicht zu jung“, begehrte das Mädchen auf, welches vor dem zweiten Angriff auf dem Mars und ihrem vermeintlichen Opfertod ein vierhundert Jahre alter Dämon gewesen war.
Kitsune tätschelte ihr den Kopf. „Aber du bist so beschäftigt, Akari-chan. Du hast soviel zu lernen und so viele neue Freunde gefunden, mit denen du dich abgeben musst. Du musst ein ganzes Leben nachholen.“
„Morgen“, murmelte Makoto und trat verschlafen ein.
„Nanu? Hat Joan-chan heute nicht hier übernachtet?“, fragte Yoshi erstaunt und sah von seiner Lektüre auf.
„Nein, sie hat eine Reserve-Übung. Es geht um Schulungsmaßnahmen für Junior-Offiziere. Erfahrene Offiziere der zweiten Mars-Kampagne schulen unseren Nachwuchs. Die meisten von ihnen sind ehemalige Freiwillige von unserer Schule“, murmelte Makoto und griff gierig nach einer Tasse Kaffee. „Lebenselexier, Lebenselexier.“
Auch so eine Änderung in ihrer aller Leben. Nachdem über achthundert ihrer Mitschüler in der UEMF und während des Angriffs gedient hatten, war nichts mehr so wie es vorher war.
Einige von ihnen hatten sich nach Ende der Kampfhandlungen entschlossen, als vollwertige Soldaten in die UEMF einzutreten. Die meisten anderen folgten ihrem ursprünglichen Lebensziel, blieben aber Reservisten, die dank ihrer Erfahrung gern gesehene Gäste auf Übungen und Seminaren waren. Einige wenige versuchten nach besten Kräften, diesen Teil ihrer Vergangenheit zu ignorieren.
Der Rest war tot. Gefallen in der Schlacht.
„Morgen“, murmelte Sakura, nickte den Anwesenden zu und verschwand im Garten, ihr Handy am Ohr.
„So ist sie, seit sie sich wieder von Thomas getrennt hat“, brummte Makoto aus den Tiefen seiner Tasse. Nachdenklich griff er nach der Fernbedienung und aktivierte den Fernseher.
Als der Hintergrund von der sonoren Stimme der Sprecherin der Nachrichtensendung erfüllt wurde, brummte er zufrieden und widmete sich wieder seiner Tasse.

„…zeigen wir noch einmal die dramatischen Szenen, die nun genau eineinhalb Jahre her sind.“
Makotos Kopf ruckte hoch, ging zum Fernseher.
Yoshi ließ seine Zeitung fallen. Megumi starrte auf den Bildschirm. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie wollte Schalt aus brüllen, aber kein Wort kam über ihre Lippen.
Der Innenhof ihrer Oberstufe war zu sehen. Die Schüler und hohe Offiziere der UEMF hatten sich versammelt, um eine Gedenktafel für die siebzehn gefallenen Schüler zu enthüllen.
Megumi hielt den Atem an, als sie die Erinnerung überwältigte.
Wie sie auf diesem Platz gewesen war, wie Akira neben ihr mit den Zähnen geknirscht hatte.
Auf dem Fernseher sah sie, wie die Tafel enthüllt wurde und Akira für seine Rede an das Podest trat. Die Perspektive wechselte und zeigte die Aufnahme einer fünfzigjährigen Europäerin. Eine zufällige Aufnahme, die in dieses Dokument eingefügt worden war.
Megumi erlebte nun das damalige Geschehen in ihrer Erinnerung mit und vor sich auf dem Bildschirm.
Wie sie diese Frau bemerkt hatte, die sich langsam mit einem Kaffee in der Hand durch die Reihen schob und dabei lächelte.
Wie Akira sich neben ihr in stummer Verzweiflung vor den Eltern und Angehörigen der Toten verneigte, sich auf die Lippen biss, um die Tränen meiden zu können.
Und dann das begreifen bei ihr, was nun passieren würde.
Wie sich das Gesicht der Frau verzerrte, sie plötzlich gelaufen kam. Sicherheitskräfte schossen vor, wollten sie aufhalten. Aber da hatte sie den Becher schon geworfen.
„Mörder!“, gellte es auf dem Fernseher und in Megumis Erinnerung.
Sie sah sich selbst herum wirbeln, auf den Becher zu, der sich drehte und seine Flüssigkeit in der Luft entließ.
Was war ihr damals durch den Kopf gegangen? Wollte sie Akira fort stoßen? Oder sich dazwischen werfen?
Ein Teil der Flüssigkeit berührte ihr Haar, welches daraufhin zu schmoren begann.
Aber der größte Teil traf den vollkommen stoischen Akira.
Megumi zuckte zusammen, als sein Schmerzensschrei im Fernseher und in ihrer Erinnerung erklang. Sie sah wieder, wie er beide Hände auf seine rechte Gesichtshälfte legte und schrie.
Einfach nur schrie.
Sie sah sich selbst daneben stehen. Verzweifelt. Hilflos.
Bis Yoshi kam, in der Hand einen Eimer mit Wischwasser.
„Hände weg!“, blaffte er Akira an und goss das laugenhaltige Wasser über das Gesicht.
„Halte deine Hände drunter“, befahl er.
Säure. Es war ein Säureangriff gewesen. Und Yoshi hatte richtig reagiert.
Jemand hatte ihre kokelnden Haare gelöscht, aber Megumi hatte es kaum mitgekriegt.
Sie sah sich nur da stehen und auf Akira starren, der vor Schmerz auf die Knie gesackt war.
Und sie sah in sein weißes rechtes Auge.
Manchmal sah sie dieses Auge in ihren Träumen, wie es sie anstarrte, blind, vorwurfsvoll.
Sie hatte sich in die Säure werfen wollen. Den Schwall von ihm abwehren. Aber sie war nicht schnell genug gewesen.

„Mrs. Amber Barker, die damalige Attentäterin wurde heute als geheilt aus der geschlossenen psychiatrischen Anstalt New York entlassen, in die sie nach dem Attentat auf Colonel Otomo überführt worden war. Damit hat sie auch die ihr auferlegte Haftstrafe absolviert. Nach ihrer Entlassung war die Frau, deren Sohn während der zweiten Marskampagne starb, zu keinem Interview bereit. Auch jetzt, nach achtzehn Monaten wissen wir nicht mehr über die Beweggründe dieser Frau als den Verlust ihres jüngsten Sohnes.“
„Die kann man doch nicht raus lassen!“, polterte Yoshi wütend. „Die muß eingesperrt bleiben, bis ans Ende ihres Lebens! Was, wenn sie noch mal versucht, Akira anzugreifen?“
Yoshi senkte den Kopf. „Tut mir Leid, Megumi. Ich bin ein solcher Trottel. Es tut mir Leid.“
Die UEMF-Offizierin schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ist schon gut. Ich nehme es nicht schwerer als du oder die anderen. Andererseits, wenn sie ihn wirklich findet und angreift, dann wüssten wir wenigstens, wo er ist, oder?“
Megumi biss sich selbst auf die Zunge. Ihre eigenen Worte waren nicht weniger unbedacht gewählt gewesen als die von Yoshi.
Akira, dachte sie verzweifelt, Akira, wo bist du?

1.
Als ich an diesem Morgen am Waschbecken meines Appartements stand, vollführte ich meine ganz eigene Routine. Es war soviel passiert in den fast zwei Jahren, seit wir die Kronosier besiegt und die Anelph zu unseren Verbündeten gemacht hatten.
Ich klatschte mir zwei Hände Wasser ins Gesicht und starrte in den Spiegel. „Hallo, Akira“, sprach ich mein Spiegelbild an. „Siehst gut aus.“
Von den Narben, die ich erlitten hatte, weil eine verzweifelte Mutter nicht über den Verlust ihres Kindes hinweg gekommen war und mich mit Säure attackiert hatte, war kaum noch etwas zu sehen.
Aber das rechte Auge war weiß. Die Iris hatte sich entfärbt und die Hornhaut darüber hatte sich getrübt. Die Ärzte hatten lange Zeit gerätselt, warum mir die Säure nicht das Augenlid weggeätzt oder sogar den Druckkörper zum Platzen gebracht hatte. Aber sie waren zu keiner Erkenntnis gekommen. Ich konnte sogar hell und dunkel mit dem Auge unterscheiden. Aber es war eine riesige Umstellung für mich gewesen.
Nur noch ein Auge…
Das schlimme an meiner Situation war das tiefe Loch, in das ich gefallen war. Irgendwie hatte die Attacke gepasst. Ich fühlte mich ja für die vielen Toten beim Angriff auf den Mars nicht nur verantwortlich, ich war es.
Und diese Verletzung zu haben erschien mir wie ein klein wenig Zurückzahlung.
Es war abstrus, unlogisch und dumm. Aber ich konnte gut damit leben.

Ich trat einen Schritt zurück, fuhr mir mehrfach durch mein Haar. Ich hatte es schneeweiß gebleicht und etwas wachsen lassen. Wenn ich den Kopf senkte, lagen meine Augen beinahe unter einem Schatten. Ich mochte es nicht, wenn mir die Menschen auf mein fast blindes Auge starrten. Meistens trug ich zwar eine Augenklappe, aber das Ding war nicht sehr komfortabel.
Nach dem Zähneputzen zog ich mich an, eine schlichte blaue UEMF-Dienstuniform ohne Rangabzeichen.
Dann ging ich ins Wohnzimmer meines Appartements und starrte hinaus. Hinaus ins Meer der Stille, auf dessen Grund die Mondbasis Armstrong entstanden war.
Über den Kraterwänden schob sich die Sichelscheibe der Erde langsam hoch und erinnerte mich daran, wie weit ich doch von Zuhause fort war. Viel zu weit und viel zu lange.
Ich vermisste die anderen. Aber ich wusste auch, solange ich nicht mit mir selbst im reinen war, solange ich nicht langsam von dem Gedanken Abschied nahm, dass ich die Verletzung verdient hatte, konnte ich ihnen nicht unter die Augen treten.
Nicht ohne sie schwer zu belasten. Und das wollte ich nicht.
Außerdem war da noch eine andere Sache, die ich dringend erledigen musste.

Es klingelte an meiner Tür, noch während ich die letzten Knöpfe schloss. Kurz überprüfte ich den korrekten Sitz der Augenklappe, bevor ich öffnete.
„Es wird Zeit“, empfing mich Conrad, mein Fahrer.
Vater hatte ihn für mich abgestellt. Genauso wie er mir dieses Appartement besorgt hatte. Und der ganzen Welt weismachte, dass ich vielleicht irgendwo in Tibet in einem Kloster lebte, um mit mir selbst ins Reine zu kommen.
Ich war ihm dankbar dafür, dass er mich deckte.
Ich nickte Conrad zu. Bis zur Forschungsanlage waren es nur ein paar Kilometer, aber der größte Teil erfolgte über Land, und auf dem Mond bedeutete dies hundertzwanzig Grad Plus Außentemperatur. Zumindest während des über hundertvierzig Stunden langen Mondtages. In der Mondnacht sackten die Temperaturen in die Gegenrichtung, ähnlich extrem.

Wir verließen den Gebäudekomplex und erreichten den unterirdischen Hangar. Dort wartete bereits ein Floh auf uns, wie die kleinen Elektrobuggies mit isolierter Kabine hießen. Für kurze Strecken über Land waren sie mehr als geeignet. Und wir vermieden so die Rush-Hour zwischen Wohnkomplex und der Industrie-Kuppel. Denn immerhin arbeiteten über hunderttausend Menschen alleine hier in Armstrong.
Die Wohnung, die mein Vater mir zur Verfügung gestellt hat, war für die Begriffe Lunas überdimensioniert. Sie stand einen Chefingenieur oder einem General zu, nicht aber unbedingt einem kleinen Soldaten in der Testabteilung des UEMF in Armstrong.
Vielleicht einer der Gründe, warum ich noch niemanden zu mir nach Hause eingeladen hatte, ging mir in einem Anflug von Ironie durch den Kopf.
Conrad holte mich jeden Tag ab und brachte mich anschließend zurück. Er war Geheimdienstoffizier und sorgte für meine Sicherheit. Seine Arbeit bestand vor allem darin, zu verhindern dass meine Identität bekannt wurde. Offiziell war ich aus seinem Stall, also Geheimdienstoffizier. Aber meine Arbeit bestand vor allem darin, auf den weitläufigen Testanlagen als Prototyp-Pilot für die UEMF zu arbeiten.
Dabei arbeiteten wir eng mit Luna Mecha Research zusammen, einer Firma, die zu sechzig Prozent Anteilen von der UEMF gehalten wurde. Der Rest der Anteile teilte sich auf Firmen auf, die Eikichi kontrollierte.

Wir verließen durch eine Schleuse die Wohnanlage. Warnschilder informierten uns darüber, dass die künstliche Gravitation in diesem Bereich nicht aktiv war.
Wir hatten die künstlichen Schwerefelder schon nach wenigen Metern auf der aus dem Stein gefrästen Straße verlassen und übergangslos wurde mir ein wenig flau im Magen. Ein Sechstel der Erdschwere, mehr gab es nicht auf dem Mond. Und genau das war der große Vorteil hier. Der Abbau von Gesteinen wurde extrem erleichtert und viele Dinge, die nicht in Schwerelosigkeit hergestellt werden konnten, aber zu aufwändig waren, um sie aus der Erdatmosphäre herauf transportieren wurden hier hergestellt. Unter anderem die großen Antriebe für unsere Kampfschiffe.
Nebenbei nutzten Firmen wie Luna Mecha Research diesen Gravitationsvorteil für ihre eigenen Zwecke.
Man konnte sagen, der Mond war Boomland und zog jedes Jahr Zehntausende Umsiedler an.
Die Arbeit war hart, aber sie wurde extrem gut bezahlt. Und jedem Arbeiter stand ein freier Rückflug zur Erde zur Verfügung, den notfalls die UEMF übernahm. Eine Maßnahme, um eine Ghettoisierung bei Entlassungen und Firmenpleiten zu verhindern.
Zukunftsmusik in einer Industrie, die dreißig Prozent Wachstum hatte – und mit der Börse in Armstrong die zweitwichtigste Börse im Sonnensystem.

„Boomtown“, murmelte ich leise, während neben der Straße die Markierungspfähle entlang glitten und uns über weitere geschaffte hundert Meter informierten.
Dann fuhren wir in den Komplex der Forschungsstation ein, passierten die Schleuse und die Sicherheitskontrollen.
Wie immer war den Wachtposten nicht gerade wohl, als sie mich zum Retinascan baten.
Dafür musste ich die Augenklappe abnehmen, und der Anblick des weißen Auges war sicher nicht sehr angenehm für sie.
Vor uns öffnete sich der Sicherheitsbereich, Arbeitsplatz für achthundert Techniker und Ingenieure. Hier trennten sich unsere Wege. Ich ging in die Mecha-Abteilung, Conrad nahm seinen Platz im zentralen Überwachungsbüro ein.

„Morgen“, murmelte ich leise, als ich die Abteilung betrat.
„Morgen, John“, erwiderte die Abteilungsleiterin Ellen Sanders.
Ich grinste kurz. Da lief ich schon so lange Zeit hier rum. Aber ich hatte mich noch immer nicht an meinen Tarnnamen John Takei gewöhnt, unter dem ich mich als Japanoamerikaner ausgab.
„Wie laufen die Tests, Ellen?“, fragte ich beiläufig und lud mein Datapad an der Konsole auf. Sämtliche Daten der Nachtschicht wurden mir nun übertragen und ich konnte auf den neuesten Stand kommen.
„So la la“, antwortete sie leise und reichte mir einen Becher mit Kaffee.
Im Rang stand ich weit unter ihr, aber die Mittvierzigerin wusste meine Mitarbeit an den Projekten zu schätzen und behandelte mich wie einen guten Kollegen.
Obwohl man, wie sie immer betonte, eigentlich den Geheimschnüfflern nichts Gutes abgewinnen konnte.
Nachdenklich las ich die neuesten Daten auf meinem Pad. „Merkwürdig. Wir hinken zehn Prozent zurück. Sollten wir nicht mittlerweile in der Lage sein, den Booster zu testen?“
Ellen Sanders seufzte lange und schwer. „Die Teile kommen nicht. In Colin sind sie damit fertig, aber die ROOSEVELT operiert über ihrem Raumgebiet und vernichtet Meteoriten. Um Schaden von der Bevölkerung abzuwenden sind Überlandfahrten und Flüge bis auf weiteres untersagt worden. Nicht dass ein paar tausend Tonnen Trümmer runter kommen und auf die kostbare Fracht einprügeln.“
„Hm“, machte ich leise. „Dann gehe ich sie holen.“
„Dein Mecha steht bereit“, erwiderte sie mit einem dicken Grinsen.
War ich so leicht zu durchschauen? Oder wusste sie einfach nur, dass mir das Projekt mindestens so wichtig war wie ihr?
Ich winkte Ellen noch einmal zu und ging zum Hangar herüber. Ein brandneuer Hawk erwartete mich bereits. Er war nicht Blue und bestimmt nicht Primus. Aber er hatte jedes neue Spielzeug, das für Hawks existierte, als er vom Band gelaufen war. Auf ihm testete ich die Komponenten für unser Hauptprojekt, die Booster.

„Hast du die Konfiguration noch immer nicht fertig?“, hallte es mir aus dem Hangar herüber.
Jackson, eindeutig. Ich seufzte innerlich und machte mich auf das Schlimmste gefasst.
Als ich eintrat, erkannte ich die Lage sofort. Jackson hatte sich natürlich mal wieder sein Lieblingsziel ausgesucht. Und in diesem Moment setzte er ihm mit Wonne zu.
„Der ChefTech hat mir kurzfristig eine andere Aufgabe zugewiesen, ich…“, verteidigte sich das Opfer vehement.
Dies ließ der schlaksige Amerikaner aber nicht gelten. „Ich bin dein Gruppenleiter, und wenn dir jemand einen Auftrag geben will, soll er das gefälligst über mich machen, klar, Kronosierdreck?“
Die Miene der jungen Technikerin verzerrte sich vor innerem Schmerz, als der Gruppenleiter sie derart rüde beschimpfte.
„Was ist denn hier schon wieder los?“, wandte ich müde ein.
Ein wütender Blick traf mich. „Nichts, was dich was angeht, Takei.“
„Und ob mich das was angeht.“ Ich legte einen Arm um Yamagatas Schultern. Die junge Frau hatte zwar als Technikerin für die Kronosier gearbeitet, geblendet vom vielen Geld, aber sie hatte nie die Gift erhalten. Nach unserem Sieg auf dem Mars hatte sie sich eine neue Herausforderung gesucht. Zu diesem Zeitpunkt aber war sie bereits eine der besten Mecha-Techniker des gesamten Sonnensystems. Hätte sie auch nur einen einzigen Funken Autorität im Leib, hätte sie es mittlerweile selbst zum Teamchef gebracht.
Ai Yamagata starrte mich erstaunt an und wurde rot, als ich sie etwas an mich drückte. „Ai-chan ist meine Freundin. Und wenn du meiner Freundin auf die Nerven gehst, gehst du mir auf die Nerven. Hast du das jetzt endlich gefressen?“
„Blas dich hier mal nicht so auf, nur weil du Testpilot bist“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Ich blase mich noch viel mehr auf. Ich habe dir schon ein Dutzend Mal gesagt, du sollst es Ai-chan nicht nachtragen, dass sie bei den Kronosiern war. Sei lieber froh darüber, dass sie jetzt auf der richtigen Seite arbeitet. Also hör auf sie zu gängeln, sonst mache ich mit Flash mal einen Ausfallschritt und steige dir richtig auf die Zehen, klar?“
„Du würdest nicht so reden, wenn du auch bei der Mars-Mission dabei gewesen wärst. Wenn du auch einen guten Freund oder ein Familienmitglied dort oben verloren hättest“, warf Jackson mir vor.
Ich erstarrte. Für einen Moment war ich versucht, den Techniker nach Strich und Faden zu verprügeln. Aber letztendlich kaute er einfach nur daran, dass sein jüngerer Bruder auf dem Mars gefallen war.
„Otomo-san wird sich schon irgendetwas gedacht haben, als er den meisten Kronosiern Generalpardon gegeben hat. Wieso versuchst du es nicht auch mal damit?“
Die Hände meines Gegenübers krampften auf und wieder zu. „Wie ich schon sagte, du hast echt keine Ahnung.“
Langsam wandte sich der Amerikaner ab und ging.

Ich sah zu Yamagata. „Alles klar bei dir?“
„Ja, Takei-sama.“ Sie wurde rot, als sie mir zufällig in die Augen sah.
„Warum lässt du dich auch so rumschubsen? Verdammt, du bist die beste Technikerin der ganzen Anlage. Das kannst du Jackson ruhig spüren lassen.“
„Danke, Takei-sama“, erwiderte sie und begann sich unter meinem Arm hervor zu winden.
„Seit wann bist du so schüchtern?“, bemerkte ich grinsend.
Yamagata wurde rot unter ihrem Käppi und sah weg. „D-das ist es nicht. D-du hast nur gesagt, ich wäre deine Freundin und…“
„Und du befürchtest jetzt, dass es die Runde macht, was? Da mach dir mal keinen Kopf drum. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn über uns geredet wird.“
Übergangslos sah sie mich an. „Und wenn das Gerede wahr wäre?“
Nun war es an mir, überrascht zu sein.
Betreten sah ich zu Boden. „Ich habe eine Freundin, Ai-chan. Eine richtige Freundin und sie wartet auf mich.“
„So“, sagte sie leise und sah zu Boden.
„Das heißt aber nicht, dass du nicht meine Freundin bist. Nur nicht eben so eine Freundin“, versuchte ich zu erklären.
„Ja. Das ist in Ordnung.“

Schweigend standen wir ein paar Minuten beieinander. „Takei-sama, du bist nun schon anderthalb Jahre bei uns. Aber du hast deine Freundin niemals erwähnt. Und ich habe nie davon gehört, dass du sie besuchst oder von ihr Besuch bekommst.“
„Wir…“, murmelte ich nachdenklich, „haben eine besondere Beziehung. Sie weiß, dass ich am Boden liege und verzweifelt versuche, mich selbst wieder aufzurichten. Sie wartet auf mich.“
„Was macht dich so sicher, Takei-sama?“, fragte Yamgata leise.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich liebe sie. Mehr braucht es dann doch nicht.“
Ein harter Schlag traf mich an der Schulter. „Dummkopf. Meinst du, das reicht einer Frau? Selbst wenn sie dich liebt, dann darfst du sie doch nicht solange allein lassen.“
„Autsch“, murmelte ich und rieb mir die schmerzende Stelle.
„Wenigstens anrufen könntest du mal. Du bist mir ja ein schöner Freund.“
Ich griff nach ihr, nahm sie in den Schwitzkasten, nahm ihr das Käppi ab und rieb mit der Faust auf ihrem Kopf herum. „Du bist mir die Richtige. Selbst keinen Freund, aber willst mir Tipps geben.“
„Auuuu! Takei-sama, das tut weh.“
„Soll es ja auch“, erwiderte ich ernst.

„Wenn Ihr dann fertig mit spielen seid“, erklang Ellens Stimme hinter uns, „dann mach doch bitte Johns Mecha klar, Ai, ja? Er will rüber nach Aldrin und die bestellten Teile holen.“
Erstaunt hielt ich inne. Mit großen Augen sahen ich und Yamagata unsere Abteilungsleiterin an.
„Heute noch, wenn es geht“, mahnte sie kurz und blätterte durch ihr Datapad.
„Na dann mal los, Ai-chan“, sagte ich, ließ sie los und gab ihr einen Klaps auf den Rücken.
„Hey“, protestierte sie, setzte sich aber in Bewegung.
Ich lächelte. Doch als ich wieder zu Ellen herüber sah, wurde mein Blick ernst. „Neuigkeiten?“
„Conrad hat alles in die Wege geleitet. Mit etwas Glück schlucken sie den Köder“, murmelte sie leise herüber.
Ich nickte kaum merklich.
Das, was ich noch zu tun hatte, war gefährlich. Aber es war die einzige Sache der Marsmission, die ich nicht Zuende gebracht hatte.
„Danke, Ellen“, sagte ich und folgte Yamagata zu meinem Mecha.
**
Der Trip vom Meer der Stille ins Meer der Heiterkeit war schnell erledigt. Da der Mond keine eigene Atmosphäre sein Eigen nannte, gab es hier keine Reibungswiderstände und der Mecha, in dem ich saß reagierte wie im freien Raum.
In Zusammenarbeit mit der Ortungsabteilung der ROOSEVELT legte ich einen sicheren Kurs für den Anflug auf Aldrin und für den Rückflug fest, auf dem mit einiger Sicherheit keine Trümmer von den Aufräumarbeiten einschlagen würden. Dies ließ mir nur einen sehr engen Korridor von lediglich elf Kilometern Breite. Aber ich hatte eh nicht vor, mich im Notfall dran zu halten.
Die eigentliche Arbeit war dann schnell erledigt. Im Frachtbereich von Aldrin landen, den Container entgegen nehmen und wieder abfliegen. Eine Sache von Minuten.
Der Abflug dauerte wesentlich länger, weil Aldrin Tower angeblich nicht über meine Mission unterrichtet war und außerdem noch meine Route nachprüfen musste, da die ROOSEVELT gerade einen alten militärischen Satelliten einsammeln wollte und dabei die Gefahr bestand, dass er zerbrach und als Trümmerregen… Bla, bla, bla. Manchmal nahmen sich diese Aldriner viel zu wichtig.

Als ich endlich abflog hatte ich eine geschlagene halbe Stunde verloren. Dafür aber trug ich die essentiellen Baugruppenteile für einen Booster bei mir. Alles, was wir noch brauchten, um aus unseren Mechas unschlagbare Allrounder zu machen.
„Sir, ich messe aktive Ortung an“, meldete meine KI unvermittelt.
Ich stutzte. „Geht es etwas genauer, Flash? Schickt uns Aldrin einen Abschiedsgruß oder hat uns die ROOSEVELT aufs Korn genommen?“
„Weder noch, Sir. Es ist ein weit gefächerter Radarsuchraster, der soeben das dritte Mal über unsere Position gegangen ist.“
„Sind neben der ROOSEVELT weitere Flugobjekte im Mondorbit, Flash?“, fragte ich ernst und überprüfte meine Anschnallgurte.
„Ein unidentifiziertes Objekt im hohen Orbit um den Mond.“
„Gib mir ein Orterbild, Flash“, verlangte ich.
„Nicht möglich. Unsere Ortung wird gestört.“
„Scheiße“, murmelte ich leise. „Aldrin Tower, Aldrin Tower, hier LMR Flight 01. Ich werde von einem unbekannten Objekt, ich wiederhole einem unbekannten Objekt aus hohem Orbit mit Suchradar erfasst.“
„Hier Aldrin Tower. Pissen Sie sich nicht ein, LMR Flight 01. Das wird eine zivile Landefähre sein.“
„Zivile Landefähre, die genau meinen Abflugkorridor bestreicht, was? Geben Sie sofort Alarm.“
„Wurden Sie beschossen oder mit Zielradar erfasst?“, kam die lapidare Gegenfrage.
„Nein. Noch nicht“, bemerkte ich säuerlich.
„Ph. Melden Sie sich wieder, wenn Ihr unbekanntes Objekt eine dieser Aktionen ausführt. Aldrin Tower Ende.“
„Es interessiert Sie wohl nicht, dass es dann schon zu spät sein könnte, oder?“, blaffte ich, erhielt aber keine Antwort.

„Was denkst du, Flash? Was haben wir da über uns? Eine NOVEMBER? Oder nur eine FOXTROTT?“
„Sie spekulieren darauf, dass sich die Marodeure auf uns einschießen, Sir?“, stellte die KI eine Gegenfrage.
„Es passt doch, oder? Nur ein kleiner Abflugkorridor, ellenlange unnötige Verzögerungen bei der Abfertigung, dazu ein genervter störrischer Lotse im Tower. Und alles geht auch noch im Chaos unter, welches die ROOSEVELT dankenswerterweise veranstaltet. Außerdem wissen wir, dass die Marodeure in dieser Gegend gesichtet wurden.“
„Das sind gute Argumente. Ich werde einen automatischen Notruf absetzen, sobald Zielsuchradar uns erfasst.“
„Dann dürfte es zu spät sein und die Funkfrequenzen werden gestört. Geh auf Militärkanal Lima.“
„Kanal geschaltet, Sir“, meldete die KI.
„Aldrin-Garnison, Aldrin-Garnison, können Sie mich hören?“
„Hier Aldrin-Garnison. Dies ist ein militärisches Frequenzband. Ich muß Sie bitten, den Funk sofort einzustellen und für Notrufe und dergleichen auf ein ziviles Band zu wechseln.“
„Ich autorisiere hiermit die Aktivierung der Hotel-Kompanie. Codewort Lazarus, Identifikation Able, Baker, Able, Zero, Five, Cotton“, sagte ich leise und konzentriert. Selbst wenn der Mann am Funk mich abzufertigen versuchte, die Künstliche Intelligenz der Garnison würde Codewort und ID erfassen und entsprechend reagieren.
„Verstanden, Sir. Hotel-Kompanie erhält Startfreigabe. Befehle?“
Na, wenigstens auf die guten alten Hekatoncheiren konnte man sich noch verlassen.
„Wahrscheinlicher Angriff der Marodeure auf meiner Position, unterstützt womöglich durch eine NOVEMBER. Erbitte Entsatz auf meine Position, und das ASAP.“
„Entsatz auf Ihre Position und das A…“
Der Rest ging in Störgeräuschen unter. Unwillkürlich ruckte mein Kopf nach oben, wo ich die Fregatte wusste.
„Wir werden aktiv gestört, Sir. Außerdem orte ich einkommendes Zielsuchradar von neun Quellen.“
Ich grinste schief. „Neun Quellen? Gut. Ich habe schon ewig lange keinen Daishi mehr durch die Mangel gedreht.“

Ich ließ Flash tiefer gehen, bis er fast den Mondboden berührte. Dies sollte mir für einige wenige wertvolle Minuten einen Vorteil verschaffen. „Nun komm schon, Winslow. Komm und lass uns spielen“, murmelte ich leise.
Es war mein Fehler gewesen. Nun, einer von vielen meiner Fehler. Während und nach der Schlacht hatten sich mehrere kronosische Kriegsschiffe abgesetzt und waren untergetaucht. Einige von ihnen aber hatten sich sehr bald wieder gezeigt. Als Piraten und Raubritter, welche kleine Transporte und orbitale Stationen überfielen.
Die größte dieser Gruppen verfügte über einen SIERRA und hatte der UEMF bittere Rache geschworen. Mit ein wenig Glück hatte ich genau diese Leute nun vor mir.
Nicht, dass ich ihnen eine Falle gestellt hätte. Nicht mehr als sonst auch.

„Ankunft der Hotel-Kompanie von Kottos in fünf Minuten, Sir“, informierte mich Flash.
„Ist gut. Was machen unsere Ziele?“
„Kommen auf Schussdistanz in zehn… Neun… Acht…!“
Ich warf Flash herum und stieg steil auf. Die feindlichen Ziele registrierten meine Bewegung und folgten ihr. Ich grinste abfällig. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass ich meinen Fluchtkurs aufgab und sie angriff.
Aber Angriff war schon immer die beste Verteidigung.
Kurz checkte ich, ob die mechanische und magnetische Verankerung meiner Fracht auf dem Rücken des Mechas in Ordnung war, danach zog ich meine Herkules-Klinge.
Ironischerweise galt John Takei an dieser Waffe als fast so gut wie Akira Otomo, ging es mir amüsiert durch den Kopf.
„So, so. Ich nehme also nicht an, dass du uns deine Fracht freiwillig überlässt, oder?“, erklang eine süffisante Stimme in meinem Funk.
„Sieht wohl so aus. Waren das alle, oder kommen noch mehr zum spielen?“, neckte ich.
„Wer denkst du, dass du bist? Megumi Uno?“, herrschte mich eine andere Stimme an.
„Als ich heute Morgen in den Spiegel gesehen habe, war ich jedenfalls noch ein Mann“, erwiderte ich und wich den ersten Raketen aus, die auf mich abgefeuert wurden.
Wieder fixierte ich einige von ihnen, und Flash wich ihnen entweder automatisch aus oder holte sie mit dem Raketenabwehrlaser vom Mondhimmel.
„Er ist gut“, keuchte die zweite Stimme wieder auf.
Nun feuerte ich meine eigenen Raketen ab und blieb knapp hinter ihnen. Als die ersten von den mechanischen Rak-Abwehrsystemen der Daishis vernichtet wurden und explodierten, nutzte ich den Deckschatten der kleinen Eruptionen, um unter durch zu tauchen und mit dem ersten Daishi, einem Gamma, auf Tuchfühlung zu gehen.
Der Gegner sah mich kommen, reagierte aber zu spät. Der Preacher, eine großkalibrige Gewehrwaffe, die pro Schuss zwanzig Explosivgeschosse mit Schallgeschwindigkeit los jagte, war nicht in der Lage mich zu treffen.
„Halt still, verdammt!“, fluchte eine dritte Stimme.
„Wollte ich auch gerade sagen“, erwiderte ich, passierte den Gamma und trennte beide Beine vom Rumpf.
Den Steuerdüsen beraubt taumelte der Gamma einen Moment lang hilflos durch die Luft, bevor die Rückendüsen den Kurs einigermaßen stabilisiert hatten.

„Es ist also wahr. Dieser Takei tötet seine Gegner nicht“, hörte ich die erste Stimme wieder. Flash ordnete sie dem einzigen Delta in der Truppe zu. „Das ist ein Fehler, und er wird dir zum Verhängnis, Takei-san.“
„Nicht, wenn man gut genug ist, um sich diesen Luxus leisten zu können“, sagte ich ernst, warf mich herum und feuerte die Herkules-Klinge per Energieaufladung ab. Der Strahl radierte einem Alpha den Kopf mit den Sensoren und den oberen Torso ab.
„Der ist wirklich gut. Sollen wir uns nicht lieber wieder zurückziehen?“, rief Stimme zwei.
„Wir sind immer noch fünf gegen einen. Willst du dich von einem einzelnen Krieger der UEMF fertig machen lassen? Was haben wir geschworen, als wir geflohen sind? Was haben wir geschworen, hä?“, herrschte Stimme eins die anderen an.
Stille antwortete ihm, während ich mit drei Raketensalven kämpfte.
„Gut so. Und nun greift an. Wir kämpfen hier schließlich nicht gegen Akira Otomo.“
Unwillkürlich prustete ich los. Und schalt mich einen Idioten, weil es laut und deutlich über Funk zu hören gewesen war.
„Otomo, wer ist das schon?“, sagte ich hastig, um das verräterische Geräusch zu relativieren. „Ich bin wesentlich besser als er.“
„Das mag man kaum glauben“, erklang die Stimme von eins wieder. Von seinem Delta stieg ein Energiestrahl auf, der mich nur knapp verfehlte. „Ich habe ihn auf dem Mars gesehen und ich weiß, dass er der Beste ist.“
Ich passierte einen Alpha, zog meine Klinge über die Panzerung und kappte einen Teil des Cockpits zusammen mit dem rechten Arm und dem Kopf. Falls nicht gerade ein Riese in dem Mecha saß, würde ich ihn nicht erwischt haben.
Ein Entsetzensschrei des Piloten antwortete mir, als er plötzlich im Freien saß.

„Ortung! Die KOWLOON meldet eintreffende Mechas. Zehn Hawks. Sieht ganz nach der Kottos-Kompanie Hotel aus. Shawn, wir müssen hier verschwinden!“
Der Delta feuerte mir eine Salve hinterher. „Nehmt unsere Leute mit. Wir lassen niemanden zurück!“, blaffte er ernst. Sein Mecha stieg herab, noch eine Salve Raketen auf mich feuernd, und schnappte sich den Alpha, den ich gerade halbiert hatte. Danach stieg er mit voller Leistung auf.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, sie zu verfolgen, aber mit meiner kostbaren Fracht hatte ich keine Lust, mich mit einer Fregatte anzulegen.
Übergangslos endete der Störfunk und ich bekam wieder Langstreckenfunk herein.
„Hotel-Kompanie, hier Hotel-Kompanie. Überrangorder, können wir helfen?“ Ich zuckte innerlich zusammen, als ich die Stimme erkannte. Daisuke. Ich wusste, dass Sarah Jones mit einem Team Escaped auf den Mond gezogen war, um das Wissen der Kronosier weiter zu erforschen, welches sie in sich trugen. Nachdem wir den Core vernichtet hatten, waren weitere elf hinzugekommen. Zusammen mit den kleineren Computern in den verschiedenen Zentralen verfügten wir nun über mehr als fünfzig Escaped aus aller Herren Länder, die nun für die UEMF arbeiteten. Das Daisuke ihr gefolgt war, hielt ich für nur natürlich. Aber das er bei den Hekatoncheiren diente erstaunte mich.
„Luna Mecha Research Flight 01 hier. Danke für Ihre Hilfe. Sie haben die Banditen verjagt“, sagte ich leise.
Daisuke Honda stutzte. Ich konnte es spüren, ohne es zu sehen. „LMR Flight 01, ich stelle zwei Hawks ab, die Sie nach Armstrong eskortieren. Wir sollten uns über den Angriff unterhalten.“
„Copy, Daisuke. Ich fliege voraus. Geleitschutzpositionen sind: Zentral über mir und in meiner Sechs, zwei Kilometer entfernt.“
„Das ist kein klassisches Geleitschutzmuster. Das ist UEMF-Elitetraining“, stellte der Mecha-Krieger fest.
Dieser Geleitschutz brachte viele Vorteile. Der Hawk über mir erlangte eine sehr gute Weitsicht und Ortungsmöglichkeiten, exponierte sich zwar, aber war dadurch auch in der Lage, mich, das zu beschützende Objekt besser zu bewachen. Der zweite Hawk zwei Klicks hinter mir hingegen würde für Mechas im Hinterhalt sehr überraschend hinzukommen und uns als Trumpf aus der Scheiße retten. Eines der Schemen, die ich persönlich entwickelt hatte.
Ich grinste schief. Irgendwann hatte es ja passieren müssen, dass mich einer meiner Freunde erkannte. Nicht umsonst nahm Daisuke die Geleitschutzposition über mir persönlich ein.
„Wir haben viel zu reden, alter Freund“, murmelte ich leise genug, um nicht die Mikrofone zu aktivieren.
**
Ein harter Schlag traf mich, trieb mich gegen die nächste Wand.
„Verdammt, du dämliches Arschloch!“, fluchte Daisuke und starrte zu mir herüber. Seine Hände waren geballt und die Miene wutverzerrt.
Ich rieb mir das schmerzende Kinn. Hoffentlich musste ich nicht zum Zahnarzt. Der Kerl hatte einen Wumms, der durchaus mit einem Sparrow mithalten konnte.
„Hör mal, Dai-chan…“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
„Dai-chan mich nicht an, du Idiot!“ Daisuke griff mich am Kragen, zog mich zu sich heran und umarmte mich herzlich. „Du Trottel. Du erbärmlicher Trottel. Wie konntest du uns das antun?“
Unwillkürlich wurde ich mir bewusst, dass der halbe Hangar uns anstarrte.
„Äh, Dai-chan, das ist peinlich“, merkte ich an.
„Das ist einzig und alleine deine Schuld“, erwiderte Daisuke und hielt mich von sich. „Du bist ja noch ein Stück gewachsen. Und du hast Muskeln zugelegt, Ak… John.“
„Du hast dich auch nicht gerade zu deinem Nachteil entwickelt, Dai-chan“, erwiderte ich schmunzelnd und umarmte den Freund nun meinerseits.
Daisuke hob meine Haare an und sah in mein weißes Auge. „Hör mal, was ist eigentlich passiert? Warum hast du dich verkrochen? Ich meine, reicht das hier schon, um dich aus der Bahn zu werfen?“

Neben uns klirrte etwas auf. Ich sah herüber und erkannte Yamagata, die vor Schreck ihre Werkzeugtasche hatte fallen lassen.
„Ai-chan“, begrüßte ich sie. „Du kommst genau richtig. Wir müssen die Komponenten für den Booster abladen und installieren und… Habe ich was im Gesicht?“
„Takei-sama, du umarmst einen Mann“, hauchte sie mit leiser Fistelstimme und starrte aus großen Augen zu mir herüber.
„Nicht irgend einen Mann“, sagte ich schmunzelnd. „Dies hier ist mein guter Freund Daisuke Honda. Wir haben zusammen auf dem Mars gekämpft. Und mittlerweile hat er es zum Major und Kommandeur von Kottos geschafft.“
Daisuke deutete auf seine Schulter. „Lieutenant Colonel. Ich bin Colonel Unos Stellvertreter.“
„Verzeihung. Oberstleutnant. Jedenfalls haben mir Marodeure aufgelauert und Dai-chan hat mich raus gehauen.“
„Übertreib nicht so. Wir haben sie nur verscheucht, nachdem du bereits… Wie viele? Drei oder vier erledigt hattest. Mach so weiter und du knackst noch mal den Rekord von Akira Otomo.“
Für diesen diskreten Hinweis verpasste ich Daisuke einen versteckten Hieb in die Rippen.
„Oh. OH!“ Yamagata kam auf uns zu und schüttelte Daisuke die Hand. „Du bist also auch ein Freund von Takei-sama? Freut mich dich kennen zu lernen.“
„Ai-chan? Freut mich ebenso.“
Die junge Japanerin wurde rot, als Daisuke sie mit dem Vornamen ansprach.
„Ent- Entschuldige, ich wollte nicht indiskret sein.“
„Nein, ist schon in Ordnung, Honda-sama. Ich bin es nur nicht gewohnt, dass mich jemand außer Takei-sama mit meinem Vornamen anredet. Er ist mein einziger Freund…“
Daisuke hob die Augenbrauen.
„Das erkläre ich dir nachher. Jetzt wollen wir erst mal arbeiten. Komm, komm, der Booster installiert sich nicht von selbst, Ai-chan.“

Ein riesiger Exo, einem Sparrow nachempfunden, lud die Kiste ab. Er öffnete sie und entnahm mehrere chromblitzende Bauteile.
„Darf ich das überhaupt sehen?“, fragte Daisuke ernst, als er sah, wie diese Teile in einer Art Turbine integriert wurden.
„Natürlich. Deine Sicherheitsstufe ist hoch genug. Immerhin gehörst du zur Elite, den Hekatoncheiren.“
Ich deutete auf die riesige Turbinenkonstruktion. „Und außerdem hätten deine Kottos-Hekatoncheiren dieses Ding im nächsten Monat sowieso zu sehen gekriegt. Immerhin sollt Ihr die Prototypen militärisch erproben.“
„Was hat es mit den Boostern auf sich?“, fragte Daisuke.
„Das ist einfach erklärt“, erklang die Stimme der Abteilungsleiterin hinter uns. „Bisher haben wir das Potential der Mechas nicht einmal ansatzweise genutzt. Es sind hervorragende Kampfmaschinen mit überlegener Ortungstechnik, aber ihre Reichweite ist begrenzt. Dies wollen wir mit dem Booster ausgleichen. Im Booster integriert ist wie der Name schon sagt ein Antrieb, der weite Reisen in relativ kurzer Zeit ermöglicht sowie ein Schirmfeldprojektor, um den Mecha während den so genannten Sprints vor kosmischen Trümmern zu schützen.“
Daisuke pfiff anerkennend. „Ein Schirmsystem für einen Mecha? Ich dachte bisher, das wäre unmöglich.“
„Nun, es ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Leider gibt es nur eine Handvoll Piloten, die für die Booster in Frage kommen, denn für ihren Betrieb und das Schirmfeld benötigen wir die KI-Energie des Piloten. Wenn möglich eines in dieser Disziplin sehr erfahrenen Piloten. Das würde die Reichweite exponentiell erhöhen.“ Ellen kam heran und gab Daisuke die Hand. „Freut mich, Sie kennen zu lernen, Colonel. Natürlich ist das nicht das einzige Projekt and dem wir arbeiten, aber sicher eines der Wichtigsten.“
„Das sehe ich auch so. Ein Booster-System würde unsere Sparrows in die Lag versetzen, weitab von Mutterschiffen und Basen zu operieren und einen wesentlich größeren Raum abzudecken. Das ist ein immenser Vorteil.“
„So sehen wir das auch, Colonel.“ Ellen winkte ihm und mir zu, ihr zu folgen.
„Kommen Sie doch gleich mal mit, denn in der Werkstatt nebenan habe ich etwas, wozu ich gerne Ihre Meinung haben möchte.“

Wir betraten das Allerheiligste. Einen Bereich, in dem jeder Eintretende erneut einen Sicherheitscheck über sich ergehen lassen musste.
Dann standen wir in dem Gigantraum und Daisuke klappte die Kinnlade herab. „Was, bei allen Daishis dieses Universums, ist das?“
Ellen freute sich über die Reaktion des MechaKriegers. „Das ist ein Daishi Ecco, wie er erstmals vor gut zwei Jahren bei der zweiten Marskampagne in Erscheinung trat. Diesen hier haben natürlich wir gebaut. Aber er ist der einzige Mecha, der für unser Vorhaben geeignet scheint. Sein Codename ist Bruder Auge.“
Daisuke starrte auf die teilweise entfernte Panzerung und das damit freigelegte Innenleben der Maschine. „Fünf Sitze?“ Er umrundete den Mecha. „Keine Waffen, bis auf ein Lasergestütztes Raketenabwehrsystem? Die Halterungen dort sollen doch sicher für einen Booster sein, oder?“
„Gut erkannt, Colonel. Was Sie hier sehen, ist die moderne Raumkampf-Form eines mobilen Taktik-Zentrums.“ Ellen aktivierte ein Hologramm neben sich, dass Bruder Auge aus verschiedenen Blickwinkeln und bei verschiedenen Aktionen zeigte.
„Dieser Mecha ist unbewaffnet, ja. Und er hat Platz für einen Piloten und vier Radartechniker. In ihm integriert sind die neuesten und besten Ortungssysteme, über die wir verfügen. Sowohl was die Passiv-Ortung als auch die Aktiv-Ortung betrifft.
Mit diesem Mecha soll es uns möglich sein, bis zu hundertzwanzig Mechas während einer Schlacht zu koordinieren. Wir bauen bereits an elf. Acht davon gehen nach Fertigstellung in das Projekt Troja über.“
Daisuke sah zu mir herüber. In seinen Augen schimmerte Erkenntnis auf. „Das hast du also die ganze Zeit gemacht? Du hilfst, Projekt Troja vorzubereiten? Ich nehme an, der Booster gehört ebenfalls dazu, was?“
„Der Booster, Bruder Auge und noch ein Dutzend anderer Spielereien“, bestätigte ich. „Lust auf einen Kaffee?“

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2.
„Guten Morgen, Hitomi-chan“, sagte Megumi freundlich.
Die junge Frau nickte leicht. „Guten Morgen, Colonel… Ich meine Megumi-chan.
Himmel, ist es schwer, manche Gewohnheiten wieder abzulegen.“
Die Mecha-Pilotin seufzte. „Wem sagst du das?“
Beide Frauen lachten kurz, während sie ihren Weg in die Schule fortsetzten. Ein ganz normaler Tag mit einem ganz normalen Lehrplan.
Seit der Mars besiegt war, konnte Megumi endlich ihrem Lehrplan ohne Unterbrechungen nachgehen. Ihre weitere Zukunft an der neu gegründeten UEMF-Akademie hatte sie auch schon fest eingeplant.
„Ist es nicht merkwürdig?“, sinnierte Hitomi leise. „Da gehen wir zur Schule, umgeben von über achthundert Schülern, und fast jeder aus dem letzten Jahr ist ein Veteran, der in der United Earth Mecha Force gedient hat.“
„Ja, das ist schon irgendwie merkwürdig. Du siehst jemanden in Schuluniform und suchst unwillkürlich nach den Rangabzeichen. Albern, was?“, lachte Megumi.
„Albern ist vor allem das da“, meinte die Schulkameradin und deutete auf eine Gruppe Jungen aus dem ersten Jahr an der Oberstufe, die gerade Yoshi und Doitsu umringt hatten, um sie wie jeden Morgen auszuquetschen.
„Sag mir dass das nicht wahr ist. Was denken diese pubertierenden Kinder bloß? Das Krieg ein Spiel ist?“, schimpfte Megumi.
„Nein, sie denken, wenn wir für die Erde kämpfen konnten, dann können sie es erst Recht“, murmelte Hitomi leise.
„Wer hat denen eigentlich erzählt, dass Krieg Spaß machen soll?“ Megumi schüttelte ärgerlich den Kopf, als sie die Gruppe um die beiden Mecha-Piloten passierten.
„Vielleicht hätte Commander Otomo nicht erlauben dürfen, dass Spiele zur Marskampagne entwickelt werden.
Oder diese Animeserie. Die Romane. Musst du nicht dauernd Autogramme geben, obwohl du gar nicht namentlich in den Romanen erwähnt wirst?“, neckte Hitomi.
„Ich habe meinen Auftritt. Es ist eben nur ein falscher Name“, erwiderte Megumi, bevor sie merkte, dass sie ihrer Kameradin in die Falle gegangen war.
„Erwischt. Du hast sie also tatsächlich gelesen.“
„Ja, habe ich. Sind sogar richtig gut geworden. Man könnte meinen, ein Insider hat sie geschrieben.“
„Hm. Ob Akira sie geschrieben hat? Ich meine, irgendwas wird er doch gemacht haben in den letzten anderthalb Jahren.“
Megumi warf ihr einen ärgerlichen Blick zu.
„Oh, Verzeihung. Habe ich total vergessen.“ Hitomi sah zu Boden. „Wie hältst du das überhaupt aus? Ich meine, eine so lange Zeit kein Lebenszeichen von ihm, das muß dich doch in den Wahnsinn treiben. Also, wenn ich du wäre, dann… Ach, keine Ahnung.“
„Ich kriege ja Lebenszeichen von ihm“, murmelte Megumi leise. „Sein Vater sagt mir regelmäßig, dass es ihm gut geht.“
„Das ist aber nicht gerade das Wahre. Und dabei ist es auch egal, dass er Blue Lightning ist. Als Freund sollte er sich nicht so benehmen. Niemand würde dir einen Vorwurf machen, wenn du in der Zwischenzeit deine Freundschaft zu Mamoru wieder aufwärmst.“
„Hä?“, machte Megumi erstaunt. „Wieso? Ist er nicht mit Akane zusammen?“
„Akane hat sich für das Troja-Projekt anwerben lassen, diese Topgeheimsache, um die alle so einen Heidenlärm machen. Und Mamoru eben nicht. Das ist das ganze Geheimnis. Bevor Akane dann zum Mars geflogen ist, haben sich die beiden getrennt.
Hm, wundert mich, dass er sich noch nicht bei dir gemeldet hat.“
„So ist es ja nun auch nicht, dass er gleich bei mir in die Tür einfällt, nur weil Akane ihn abgelegt hat“, beschwerte sich Megumi.
„Was denn? Heißt das, du würdest dich nicht mal wenigstens mit ihm treffen? Ich meine, dein Akira-chan ist wer weiß wo. Niemand würde dir da etwas vorwerfen. Und wenn du ihn nicht willst, kriege ich ihn dann?“, fragte sie mit zuckersüßem Lächeln.
„So einfach ist das nicht, Hitomi“, murmelte die Offizierin der Mecha-Streitkräfte leise. „Als Akira verletzt wurde, da hat diese Frau ihn… Ihn einen Mörder genannt. Und ich habe gesehen, dass ihn das sehr tief getroffen hat. Er hat sich wieder und wieder die Frage gestellt, ob er wirklich nur ein Mörder ist. Oder ob töten ihm Spaß macht. Und dann so etwas ins Gesicht gesagt zu kriegen, das ist… Das ist…“
Megumi vergrub ihr Gesicht auf der Schulter der Freundin.
Hitomi umarmte sie sanft. „Schon klar, schon klar, Schatz. So sehr liebst du ihn?“
„Das ist so dumm, oder?“, hauchte Megumi leise.
„Vielleicht. Aber es ist wenigstens ehrlich. Wenn er es wirklich wert ist, dass du so lange auf ihn wartest, dann tu es. Tu es einfach.“
Megumi wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. „Danke.“
„Deswegen kannst du ihm trotzdem die Leviten lesen, wenn er plötzlich wieder vor der Tür steht“, fügte sie hinzu.
„Hm? Für den Fall hatte ich eigentlich etwas anderes geplant“, murmelte Megumi leise.
Hitomi wurde rot. „Bitte keine Details.“
Beide Mädchen lachten.

3.
„Frieden ist schon ein merkwürdiges Gefühl“, murmelte Doitsu leise, während er versuchte, dem Unterricht zu folgen. Sie waren nun im letzten Jahr. Und er hatte sich immer noch nicht entschieden, was er danach machen wollte. Auf die UEMF-Akademie gehen? Oder sich bei den Hekatoncheiren bewerben? Er war sicher, einen Veteran des Marsfeldzugs würden sie mit Kusshand nehmen.
Vielleicht hätte er einfach nur so konsequent sein sollen wie Kei, der gar nicht erst in die Schule zurückgekehrt und gleich an die Akademie gegangen war.
Aber er hatte ja auch ein Ziel vor Augen. Kei wollte ein eigenes Schiff. Und dafür tat er fast alles.
Vielleicht sollte er auch in die freie Wirtschaft gehen. Einen ruhigen Job in einem ruhigen Büro wählen und die Tage des Friedens ausnutzen, so gut es eben ging?
„Kommst du?“, fragte Yoshi.
Doitsu schreckte auf. „Was?“ Die Stunde war vorbei, er hatte es nicht einmal mitgekriegt.
Nachdenklich, sein Mittagessen in der Hand, folgte er dem Freund aufs Dach.
Kenji schloss sich wortkarg wie immer an.

„Frieden ist schon ein merkwürdiges Gefühl“, führte Doitsu seinen Gedanken fort.
Yoshi nickte. „Ja, das ist wahr. Ich meine, keine angreifenden Mechas, keine Raumschiffe, die sich gegenseitig beharken, Frieden zwischen Mars und Erde.
Die Anelph sind unsere Partner…
Eine wirklich merkwürdige Geschichte. Wenn da nicht das Imperium der Naguad wäre, würde uns eine wundervolle Zeit bevorstehen.“
„Musstest du die Naguad erwähnen?“, fragte Doitsu ärgerlich.
„Machst du dir keine Gedanken um die Naguad?“, fragte Yoshi erstaunt.
„Natürlich mache ich mir Gedanken über sie. Das macht es ja so schwer. Ich meine, ich… Was soll ich ab hier machen? Ich will mein Leben sinnvoll verbringen. Mich auf einen Angriff vorzubereiten, der vielleicht niemals kommen wird, zumindest nicht in meiner aktiven Zeit, ist nicht wirklich sinnvoll.“
„Ich verstehe, was du meinst“, murmelte Yoshi nachdenklich. „Du bist dir nicht sicher, ob du in die UEMF eintrittst oder dein Glück in der Privatwirtschaft versuchen solltest.
Warum versuchst du es nicht mit deinem Familienbetrieb?“
Doitsu spürte, wie er rot wurde. „Das ist Geschichte. Ich werde nie wieder dorthin zurückgehen. Und ich wäre dankbar, wenn du das Familiengeschäft der Atakas nicht mehr erwähnst.“
„Schon gut. Hm, was bleibt denn noch? Welche Fähigkeiten hast du? Ich meine abgesehen davon, dass du ein wirklich exzellenter Mecha-Pilot bist? Deine Schulnoten sind gut, oder? Aber gibt es irgendetwas, was dich wirklich interessiert?“
Doitsu sah zu Boden. Sicher, es gab da etwas, was ihn interessierte. Etwas, was ihn wirklich sehr interessierte.
Dennoch. War dies ein richtiger Beruf? Würde er sich auf diesem Gebiet behaupten können?
„Ich würde mich gerne als Manga-Zeichner probieren“, murmelte Doitsu leise.
Yoshi klappte die Kinnlade herab. „Als Manga-Zeichner?“
„Er ist nicht schlecht“, sagte Kenji. „Ich kenne einige seiner Arbeiten. Wenn er hart genug an sich arbeitet, könnte er Profi werden.“
„Profi?“ Yoshi legte beide Hände an seine Schläfen. „Moment, Moment, Auszeit. Das sind deine Alternativen? Entweder in die UEMF eintreten oder Mangas zeichnen? Und du hast auch schon deine ersten Fanarbeiten veröffentlicht? Himmel, warum sagt mir so was keiner?“
„Ich habe es gesagt. Ich habe dich sogar gebeten mal rein zu lesen. Aber kurz vor der Mars-Kampagne war es vielleicht eine schlechte Idee“, murmelte Doitsu leise.
„Äh“, machte Yoshi. „Hast du vielleicht eine etwas eher materielle Eigenschaft? Kannst du gut mit Computern? Bist du gut mit Zahlen? Oder liegt dir ein Schweißgerät gut in der Hand? Irgendetwas?“
„Weiß nicht. Was wirst du denn machen, Yoshi?“
„Ich? Hm. Ich gehe mit Akira.“
Doitsu und Kenji sahen den Freund erstaunt an.
„Was denn? Zwei Jahre, hat er gesagt. Diese zwei Jahre sind fast um. Also wird er auf eine neue Mission gehen. Und ich werde ihn begleiten.“
„Du scheinst dazu fest entschlossen zu sein“ kommentierte Kenji amüsiert.
„Ich habe es ihm immerhin versprochen“, sagte Yoshi leise. „Und ich pflege meine Versprechen zu halten.“
„Und das, obwohl er sich anderthalb Jahre irgendwo verkrochen hat?“

Nachdenklich legte sich Yoshi auf den Rücken. Er legte die Hände an den Hinterkopf und starrte in die Wolken. „Niemand kann das so gut verstehen wie ich. Ich meine, Hey, mein Großvater trainiert mich darauf, einmal KI-Meister zu werden.“
Übergangslos wurde seine Aura sichtbar. Kleine Überschlagsblitze zuckten über seinen Körper. „Das erfordert viel Disziplin. Aber ich sehe dieses Ziel und ich will es erreichen.
Auch Akira hat ein Ziel vor Augen. Und er arbeitet hart daran, um es zu schaffen.“
„Was macht dich so sicher?“, fragte Doitsu leise.
„Ich bin der einzige, der weiß wo er sich gerade aufhält. Reicht das als Sicherheit?“, erwiderte der Eagle-Schütze ernst.
„D-du weißt, wo er ist? Aber… Aber… Warum hast du nie etwas davon erzählt?“, rief Doitsu aufgebracht. Kenji starrte den Freund entsetzt an.
„Weil es nichts zur Sache getan hat. Akira hat mir gesagt, bevor er aufbrach, dass er Zeit braucht, um sich nicht länger als Mörder zu fühlen. Aber für den Fall, dass Megumi ihn brauchen sollte, hat er mir gesagt, wie ich ihn erreiche. Ich meine, er wollte ihr erst wieder unter die Augen treten, wenn er wieder in sich gefestigt ist. Aber er war bereit, diesen Vorsatz jederzeit zu brechen.“
„Aber warum hat er es nur dir gesagt? Warum nicht uns anderen?“, fragte Kenji.
Yoshi sah zu dem Freund herüber. „Aus genau diesem Grund. Was würdest du machen, wenn du wüsstest, wo er ist? Zumindest würdest du ihm schreiben, oder?
Und was würde dann passieren? Wenn weitere seiner Freunde davon Wind bekämen? Dann erfährt es die Presse und ade, du schöne ruhige Zeit der Selbstfindung.“
„Schöne Zeit der Selbstfindung? Du hast vielleicht Nerven, Akira bei so einem Quatsch auch noch zu helfen.“ Wütend sah Doitsu zu Boden.
Yoshi zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist das, was er tut, egoistisch. Vielleicht bin ich, wenn ich ihn darin unterstütze auch egoistisch. Aber Entschuldigung, irgendwie hat es sich richtig angefühlt.“

Sie schwiegen eine lange Zeit.
„Frieden“, begann Doitsu leise, „Ist schon ein merkwürdiges Gefühl. Vor allem, wenn er so fragil ist.“
Er erhob sich. „Na. Jedenfalls weiß ich jetzt, was ich machen will.“
„Und für was?“, fragte Yoshi.
Doitsu schob seine Brille die Nase hinauf. Dabei ging ein schimmernder Reflex über die Gläser. „Das, meine Freunde, werdet Ihr noch früh genug sehen.“

4.
Ich goss mir und Daisuke nach. Dann ging ich zum Panorama-Fenster und sah hinaus ins Meer der Stille. Daisuke gesellte sich zu mir.
„Du glaubst doch hoffentlich nicht, dass wir das Imperium der Naguad besiegen können, oder?“, begann der junge Mecha-Pilot die Konversation.
Ich nippte an meinem Kaffee. „Nein, sicherlich nicht. Aber wir können jeden Versuch der Naguad, sich dieses Sonnensystem einzuverleiben so teuer werden lassen, dass sie es sich dreimal überlegen werden, ob sie es versuchen.“
Ich sah den Freund an. „Weißt du eigentlich, was unser großer Vorteil gegenüber den Schiffen der Anelph ist? Während unsere Schiffe lediglich innerhalb des Sonnensystems agieren, verfügen die Anelph-Schiffe noch über einen Sprungantrieb. Einem Antrieb, der ein künstliches Wurmloch erzeugt, welches sie befähigt, fünf Lichtjahre binnen weniger Sekunden zu überbrücken. Aber diese Antriebe sind groß und sie brauchen viel Energie.
Dies fällt bei unseren Schiffen weg. Wir haben mehr Platz, das bedeutet mehr Komfort und vor allem mehr Energie und Waffen.“
„Dafür können sie nicht springen“, wandte Daisuke ein.
„Ja, aber das war bisher auch nicht nötig. Ich meine, wir wollten bisher nicht über die Grenzen unseres Systems hinaus. Wir haben ja das hier noch nicht einmal richtig erforscht.“ Ich sah den Freund an. „Ich denke, wir sollten aus dem vermeintlichen Nachteil unserer Schiffe einen Vorteil machen. Warum ihnen Sprungantriebe einbauen und somit die Waffen kastrieren?“
„Moment, Moment. Damit ich das richtig verstehe. Du arbeitest hier an der Entwicklung von Boostern, um die Reichweite von Mechas zu erhöhen sowie einer Art mobilem Superviser-System. Dazu kommen noch Dutzende Spezialprojekte. Und alle fließen in Projekt Troja ein.“
„Soweit ist das richtig“, bestätigte ich.
„Und was ist Projekt Troja?“
„Projekt Troja ist unser Versuch, zehntausend Anelph oder noch mehr zu retten“, eröffnete ich trocken.
„So? Da bin ich aber erleichtert. Ich dachte schon, es wäre Ziel des Projektes, die Heimatwelt der Naguad zu vernichten oder so.
Aber das klingt doch nach einem erreichbaren Ziel.“ Daisuke nahm einen Schluck Kaffee.
Ich rieb mir den Nacken. „Wie man es nimmt. Die Naguad werden nach einer solchen Aktion sicherlich erst Recht auf unsere Spur kommen.“
„Früher oder später wäre dies ohnehin geschehen, oder?“
„Später ist mir eindeutig lieber“, erwiderte ich.

„Also, wir fliegen rüber, retten zehntausend Anelph und kehren zur Erde oder vielmehr zum Mars zurück. Sehe ich das richtig? Falls wir überhaupt zehntausend Anelph finden, die bereit sind, sich umsiedeln zu lassen.“
„Das sollte nicht das Problem sein. Admiral Ryon, der militärische Anführer meinte, sie hätten über kurz oder lang ohnehin eine Art geheimen Pendelverkehr zwischen ihrer neuen Heimat und der alten veranstaltet, um weitere Anelph zu retten“, sagte ich leise. „Zehntausend Anelph sind da eher noch in einem kleinen Maßstab angesetzt.“
Erstaunt sah Daisuke mich an. „Sag mal, wie oft sollen wir denn hin und zurück fliegen?“
„Ich höre immer wir“, spottete ich.
„Natürlich wir. Oder denkst du, auf so eine gefährliche Mission lasse ich dich alleine?“ erwiderte der Freund ernst.
„Eigentlich habe ich nichts anderes erwartet“, erwiderte ich und bemühte mich stur gerade aus zu sehen, damit Daisuke nicht den feuchten Schimmer in meinen Augen bemerkte.

„Also?“, fragte er endlich.
„Also was?“
„Also, wie lange willst du noch John Takei bleiben? Ich gebe zu, es hat seine Vorteile und du kannst in Ruhe arbeiten. Aber ist es nicht langsam an der Zeit, wieder Akira Otomo zu werden?“ Bei den letzten Worten war Daisuke sehr viel leiser geworden, damit niemand außer mir ihn hören konnte.
Ich umfasste meinen Kaffeebecher weit härter als nötig. „Ich… Ich weiß nicht. Es… ist sehr bequem, das Leben aus einer vollkommen neuen Perspektive anzugehen. Es schützt vor Säureattentaten, aufdringlichen Fans, nervigen Vorgesetzten…“
„Nervigen Freunden?“
Betreten sah ich zu Boden. „Du hast ja Recht. Ich habe mich einfach zu rar gemacht. Anfangs war es leicht gewesen. Ich lag am Boden und ich redete mir ein, ich hätte jedes Quentchen Qual verdient gehabt. Nur langsam und mühselig richtete ich mich wieder auf. Dabei half die Arbeit hier sehr. Und bevor ich mich versah, war ich so sehr in diese Arbeit integriert, war ich schon so sehr John Takei, dass…“
„Schon gut. Aber eines musst du mir noch beantworten. Hast du gefunden, was du gesucht hast, Akira?“
Ich betrachtete meine Hände, ließ sie sich ballen und wieder aufgehen. „Fast, Dai-chan. Fast. Ein kleines Quentchen fehlt noch. Ich muß noch ein klein wenig länger John Takei spielen. Mir selbst beweisen, dass es nicht auf den Namen ankommt, sondern auf den Menschen. Wenn ich mit Takei vollkommen zufrieden bin, dann komme ich zurück“, sagte ich leise.
„Und wann bist du mit John Takei zufrieden?“, hakte Daisuke nach.
„Ich werde es wissen, wenn es soweit ist. Und bis dahin will ich zumindest diese Marodeure ausgeschaltet wissen“, erwiderte ich fest.

„Apropos, hast du ihnen heute eine Falle gestellt? Ich meine, abgesehen davon, dass sie nicht wissen konnten, mit wem sie sich da angelegt haben. Aber so schnell wie du meine Hotel gerufen hast und das mit einer Überrangcode geringer Priorität. War es ein Hinterhalt?“
Ich grinste schwach. „Wir haben hier ein Sicherheitsleck bei Luna Mecha Research. Wenn ich da raus gehe, dann rechne ich immer damit, dass meine Position verraten wurde. Und das ist gut so. Es ist einfacher, die Marodeure zu mir kommen zu lassen anstatt mühsam nach ihnen suchen zu müssen.“
„Sicherheitsleck, hm? Ich sollte eine Kompanie meines Kottos-Bataillons rüber nach Armstrong verlegen lassen. Nur für den Fall der Fälle. Einwände?“
„Keine Einwände. Nach dem letzten Zwischenfall ist das nur logisch. Es nicht zu tun dürfte die Marodeure warnen. Und das wollen wir doch nicht.“ Ich grinste matt.
„Eigentlich ist es pure Ironie. Nach der Mars-Kampagne habe ich allen Beteiligten eine Generalamnestie ausgesprochen, abgesehen von den Legaten und einigen, die sich offensichtlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit Zuschulden hatten kommen lassen. Soweit ich weiß fällt nicht einer der Marodeure in dieses Raster. Und dennoch leben sie lieber als Piraten, anstatt ein friedliches Leben auf der Erde oder dem Mars zu haben.“
„Dienst in der UEMF nicht zu vergessen“, fügte Daisuke an.
„Dienst in der UEMF, genau. Aber nein, sie leben lieber als Piraten, plündern Mondfrachter, lauern Versorgungsflügen zum Mars auf und verkaufen ihre Beute schwarz auf der Erde an Länder, die nicht an de Eroberung des Weltraums beteiligt sind.“ Nachdenklich sah ich den Freund an. „Kann es sein, dass ihnen das Leben als Pirat so gut gefällt?“
„Kann es sein, dass sie glauben, keine andere Wahl zu haben?“, erwiderte Daisuke.
„So kommt mir mein Leben auch manchmal vor. Hoffentlich kommen sie zur Einsicht. Bevor sie bei ihren Überfällen die ersten Menschen töten.“
Daisuke nickte bestätigend. „Falls doch, kennen wir keine Gnade.“
Er sah zu mir herüber. „Eines noch, Akira. Warum die neue Haarfarbe?“
Ich lachte leise und fuhr mir über die Schläfen. „Tarnung.“
„Tarnung? Was für eine Schnapsidee“, murmelte er.
Ich seufzte als Antwort.

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5.
„Willkommen bei unserer Tour“, empfing Admiral Richards die Gruppe. „Herrschaften, wenn sie mir bitte folgen wollen.“
Der alte Amerikaner gehörte nicht zur jungen Garde, jenen Offizieren und Admirälen, die während des Krieges mit den Kronosiern in den Admiralsstab der UEMF gestoßen waren. Er hatte während der Krise die ENTERPRISE-Gruppe kommandiert und war dadurch aufgefallen, dass er Akira Otomo vorbehaltlos unterstützt hatte.
Diese Entscheidung war zweischneidig gewesen. Einerseits hatte man ihn bei der erstbesten Gelegenheit von seiner Kommandoposition abgelöst. Andererseits war er in den Planungsstab der UEMF aufgestiegen. Für einen Wet Navy-Offizier keine schlechte Karriere, sofern man lieber raumkrank als seekrank wurde.
Dean Richards führte seine Gruppe aus der Schleusenlounge zu einem der großen Materialfahrstühle, die zwei Kilometer in die Tiefe gingen. Es waren über neunzig Personen, hauptsächlich Angehörige von Freiwilligen und Menschen und Anelph, die man mit diesem Besuch beeinflussen wollte.

Der Fahrstuhl führte zuerst durch zweihundert Meter Gestein, durchsetzt mit Waben gleich einem Bienenstock, wo immer den Konstrukteuren es sicher oder ratsam erschienen war. Danach kam der Bereich, den man im Projekt Himmel nannte. Und gab einen Blick in zwei Kilometer Tiefe frei, in der eine Lichtdurchflutete Landschaft zu erkennen war.
Vereinzelte Laute der Begeisterung erklangen.
„Was Sie hier unten sehen, ist das eigentliche Herz von Projekt Troja. Die Werften auf der Oberfläche, die seitlichen Andockschleusen, die Aufbauten und Waffenplattformen, das sind im wahrsten Sinne des Wortes nur Äußerlichkeiten. Hier aber schlägt das Herz.“
Der Admiral gab den Menschen Zeit, die Eindrücke in sich aufzunehmen, während der Lift tiefer fuhr.
„Etwas weniger als fünfundzwanzig Quadratkilometer, bedeckt mit dem künstlichen Meer Serenity, mit Ackerland und Waldbestand und einer Großstadt sowie fünf kleineren Siedlungen, komplett über das Areal verstreut.
Wir haben lange Zeit überlegt, welchen Namen wir der Großstadt geben sollen. Otomo City war im Gespräch. Aber dann konnten wir uns im Planungsstab nicht einigen, welchem Otomo wir sie eigentlich widmen – Akira oder Eikichi.“
Leises Gelächter erklang in der Gruppe.
„Welchen Namen trägt sie jetzt?“, wollte eine ältere Frau wissen, Mutter eines HAWK-Piloten.
„Nun, wir haben uns auf andere Art entschieden, jemanden zu würdigen. Diese Stadt trägt nun den Namen Fushida City, im Angedenken an die Schüler einer gewissen Oberstufenschule in Tokio und ihren mutigen Schritt“, sagte der Admiral.
Er fügte leiser hinzu: „Mutiger als sehr viele andere.“

Direkt neben dem Fahrstuhl wartete an einer Haltestelle bereits ein Wagen der Magnetschwebebahn. „Wie Sie sehen können, ist die deutsche Entwicklung der durch Magnetisches Wechselspiel angetriebene Bahn das Hauptverkehrsmittel in diesem Lebensraum. Sie ist leise, umweltfreundlich und vor allem schnell. Die Bahn verbindet auf elf Trassen alle sechs Wohnräume, die Anbaugebiete, in denen Weizen, Gerste, Reis, Kartoffeln, verschiedene Gemüsesorten sowie Obst als auch diverse biologische Finessen angebaut werden als auch den kleinen Ozean, beziehungsweise die künstliche Insel Poseidon in ihrer Mitte, die das hiesige Forschungszentrum und Hauptquartier der UEMF enthält, miteinander.
Natürlich gibt es auch Straßen, wir haben insgesamt vierzig Kilometer über Land und etwas über sechshundert Kilometer innerhalb der großen und der fünf kleinen Städte verbaut. Aber der Verkehr findet auch hier nur mit Elektrowagen statt. Sie sehen, wir versuchen von vorne herein, den Verbrauch von fossilen Brennstoffen einzuschränken. Fragen?“
„Ja, eine, Herr Admiral. Warum gibt es hier strahlenden Sonnenschein und einen blauen Himmel? Entschuldigen Sie die dumme Frage.“
„Aber, aber, es gibt keine dummen Fragen. Um ehrlich zu sein bin ich sogar dankbar, dass dies gefragt wird. Denn der Himmel ist eines der besten Projekte, eine unserer größten Leistungen.
In Wirklichkeit besteht der Himmel hier aus einer Decke aus zweihundert Meter Felsgestein, ebenso wie die Seiten. Nur der Boden ist mit durchschnittlich fünfhundert Meter erheblich dicker. Die Frage ist: Wieso sieht Felsgestein wie blauer Himmel mit Wölkchen aus?
Nun, die Wolken sind echt. Wir arbeiten hart an einer Wetterkontrolle und haben neulich so viel Luftfeuchtigkeit entstehen lassen, dass es in Fushida zwei Tage lang geregnet hat. Das war ein Spaß für die Aufbauteams.
Tatsächlich ist die Kaverne so groß, dass wir sogar eigene Wetterberichte für die Miniklimazonen Stadt, Meer und Land herausgeben. Tut mir Leid, ich schweife ab.
Jedenfalls verdanken wir diesen blauen Himmel den kronosischen Ingenieuren und Wissenschaftlern der Anelph. Dank ihrer Hilfe ist es uns gelungen, mehrere Hologrammgeneratoren zu bauen, die nicht nur einen erstklassigen blauen Taghimmel erzeugen. Nein, Sie sollten mal die Nacht hier verbringen. Tatsache ist, dass diese Hologramme einzigartig sind, denn sie emissieren Strahlung in ihrer ganzen Bandbreite. Nein, Radioaktivität nicht, denn wir gehen davon aus, dass die kosmische Strahlung leicht zunehmen wird, trotz eines zweihundert Meter dicken Schutzes und der gewaltigen Schilde des Projektes. Aber Wärme- und Lichtstrahlung im gesamten Spektrum, von ultraviolett bis Infrarot – und das zufällig genau im Spektrum, welches wir von unserer Heimatsonne Sol gewohnt sind.
Kommen Sie, lassen Sie uns einsteigen.“

Die Gäste betraten die Bahn, die kurz darauf anruckte und los fuhr.
„Falls es jemanden interessiert, wir fahren gerade mit vierhundertzehn Stundenkilometern“, bemerkte der Admiral grinsend. Erstaunte Rufe antworteten ihm.
Sie kamen am Meer vorbei. Richards hatte die Schleuse mit Bedacht gewählt, um den Menschen so viel wie irgend möglich vom Innenraum des Projekt Trojas zeigen zu können.
„Da liegen ja Leute am Strand“, staunte jemand.
„Ja, es ist herrliches Wetter heute und es wäre Verschwendung, diese Gelegenheit nicht zu nutzen“, kommentierte der Admiral. Er sah hinaus und lachte. „Ach, die sind von der Nachtschicht. Haben einen harten Dienst hinter sich. Da darf man sich auch mal vergnügen.“
Der Admiral machte sich Notizen.
„Darf ich fragen, was Sie da gerade notiert haben?“, fragte Brian Carter, der einzige zugelassene Reporter in der Gruppe.
„Was? Oh, nur eine Gedankennotiz. Wir müssen unbedingt ein Geschäft für Sportbedarf in unser Repertoire aufnehmen.“
„Sportbedarf?“
„Sportbedarf. Neue Badeanzüge, Volleybälle, Fußbälle, etwas in der Art. Sie verstehen. Die Menschen sollen hier nicht nur arbeiten, sie müssen hier eine lange Zeit leben. Und wo man lebt, soll man sich wohl fühlen.“
„Verstehe.“

Dann erreichten sie die Stadt.
Die Vorläufer waren eher klein, bestenfalls dreistöckig. Aber nach wenigen hundert Metern erhoben sich die ersten riesigen Wolkenkratzer. Einige von ihnen waren sogar fest mit der nördlichen Felswand verbunden.
„Fushida City. Willkommen in der Hauptstadt. Wir bieten hier Wohnraum für hunderttausend Menschen, wenn es hoch kommt, und Arbeit für siebzigtausend.“
Sie verließen die Bahn und wurden von weiteren Offizieren empfangen. Der Admiral ließ die Gruppen verkleinern, aufteilen und mit jeweils einem Offizier einen Rundgang durch die Stadt machen.
In der Zwischenzeit trank er einen Kaffee mit Executive Commander Otomo.
„So sieht es also aus, Ike“, brummte der alte Admiral.
„Ich würde es begrüßen, wenn Sie versuchen würden, meinen Vornamen richtig auszusprechen, Dean“, erwiderte der Commander säuerlich.
„Als wenn das im Moment relevant wäre. Was denken Sie, werden diese Menschen beeindruckt sein?“
„Ich weiß nicht. Ich war jedenfalls beeindruckt, seit ich das erste Mal in dieser Höhle stand. Ein unglaubliches Erlebnis. Schwerindustrie und Waffenanlagen, Werftplattformen und Andockschleusen rund um den Felsen auf der Außenhülle verteilt, leichte Industrie in den Wänden integriert. Der mächtige Sprungantrieb im Heck, dazu die gewaltigsten Manöverdüsen, die ich jemals gesehen habe über den gesamten Felskörper verteilt. Im Innenraum Farmland, ein Meer und eine Stadt.“
„Die fünf kleineren Orte nicht vergessen“, schmunzelte Richards.
„Ja, die fünf Ortschaften nicht vergessen. Und dann noch die vielen Appartements, die sich wie Schwalbennester auf die Innenseiten der Felswände heften und einen phantastischen Ausblick auf das Innenleben werfen… Man würde am liebsten hier einziehen wollen.“
„Es ist beinahe unglaublich, dass dieses Ding nicht nur stabil ist sondern auch noch leicht manövrieren können soll, was?“, bemerkte der Admiral.
„Das ist in der Tat unglaublich. Aber leicht zu erklären. Wir haben zusammen mit Kronosiern und Anelph zwei konträr arbeitende Antigravitationsgeneratoren entwickelt und integriert. Einer sorgt permanent dafür, dass im Innenraum eine Gravitation von einfacher Erdschwere herrscht. Zur Decke hin nimmt das etwas ab, da haben wir zehn Prozent Verlust. Aber das ist annehmbar.
Und ein anderer sorgt permanent dafür, dass Beharrungskräfte, Masseimpulse und Scherkräfte nicht auf dem Gesteinsmantel wirken können. Er fungiert als gigantischer Puffer, als Andruckabsorber und hält das ganze Ding stabil.“
„Wie viele Menschen werden hier maximal leben können?“, fragte der Admiral unvermittelt.
„Nun, die Appartements und Wohnhäuser zusammen gerechnet haben wir im absoluten Ernstfall, wenn wir die Leute eng zusammen packen müssen, Platz für vierhunderttausend Menschen oder Anelph. Das ist das Maximum. Mehr können wir ohne konstante Nahrungsversorgung von außen nicht aufnehmen.
Geplant ist aber eher eine Zahl von zweihunderttausend. Das kann die Stadt gut verkraften und die Menschen stehen sich nicht gegenseitig auf den Füßen.
Wobei ein Viertel davon auf Angehörige der Flotte entfallen wird.“
„Fünfzigtausend? Ein winziger Anteil, oder?“
Eikichi grinste schief. „Nun, viele Aufgaben, die eigentlich der Flotte vorbehalten sein sollten, werden von Zivilisten oder ehemaligen Angehörigen der Flotte wahrgenommen. Die Lagerverwaltung, die Werften, die Schleusenkontrolle, et cetera, et cetera. Alles, was wir abgeben können.
Lediglich die Waffen, die Flotte und das militärische Kommando liegen fest in der Hand der UEMF. Schließlich ist dies hier keine ausschließliche militärische Expedition. Sie findet eher unter dem Schutz der UEMF statt.“
„So kann man es auch nennen. Also brauchen wir etwa hunderttausend Zivilisten, die bereit sind, sich hier anzusiedeln. Für welchen Zeitraum? Ein Jahr? Zwei? Fünf?“
„Nun“, begann der Commander leise, „es sind zwanzig Lichtjahre bis zur Heimatwelt der Anelph. Das sind vier Sprünge. Wir werden für jeden einzelnen Sprung einen Monat brauchen. Aber wir haben keine Ahnung, was uns im Zielgebiet erwartet, geschweige denn wie vorsichtig wir sein müssen. Ob wir Umwege nehmen werden müssen. Deshalb ist die erste Expedition auf anderthalb Jahre veranschlagt. Anderthalb Jahre, in denen wir unser Militär nicht aufstocken können, unsere Vorräte nicht ergänzen werden… Es wird eine schwierige Zeit werden. Viele unserer Waffen sind munitionsabhängig. Zwar können wir mit unseren Fabriken in geringem Umfang nachproduzieren, aber das ist eine letzte Option.“
„Ike, Sie klingen so, als wollten Sie mitfliegen“, bemerkte der Admiral feixend.
„Natürlich will ich mit. Nach dem Krieg gegen die Kronosier ist dies das größte Abenteuer, welches die Menschheit je erlebt hat. Nachdem ich schon den Rest des Krieges quasi eingefroren war, würde ich wenigstens das gerne miterleben.
Aber leider habe ich meine eigenen Pflichten. Daher muß ich das hier alles meinem Sohn überlassen.“ Eikichi seufzte entsagungsvoll.
„Apropos. Seit dem Säureangriff habe ich nichts mehr von ihm gehört. Geht es ihm gut?“
„Akira? Er ist auf dem angegriffenen Auge fast blind. Aber er hat sich gefangen. Im Moment arbeitet er in einem Geheimprojekt Undercover, um die Mission hier vorzubereiten. Er wird hier her kommen, sobald es nötig wird.“
„Es ist gut zu wissen, dass der junge Fuchs bei uns sein wird. Wollen Sie ihm das Kommando geben?“, hakte Richards nach.
„Nein, Dean. Das Kommando über das gesamte Projekt bekommt meine Nichte Sakura Ino. Sie hat sich sehr bewährt und bereits zugestimmt. Akira bekommt das Kommando über die Mecha-Steitkräfte.“
„Was ist mit den Zivilisten? Unterstehen sie der Militärdoktrin?“
„Nur in militärischen Belangen. Wir planen, Bürgermeister wählen zu lassen. Diese sind dann aber nur für zivile Belange zuständig und haben keinen Einfluss auf Militär und Kurs des Projektes.“

Eikichi erhob sich. „So, ich muß zurück zur Erde. Seien Sie vorsichtig und halten Sie den Kopf gerade. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die Marodeure hier operieren oder sogar ein Feind ausgerechnet hier angreift. Aber unmöglich ist es nicht. Und solange weder die Waffen online sind noch der Begleitschutz zusammen gestellt ist, müssen Sie mit den vierzig Mechas der Wachmannschaft und den drei Fregatten der YAMATO-Klasse auskommen.“
„Das geht in Ordnung, Sir. Damit kommen wir klar. Eines noch. Wie groß wird die Flotte sein, die Projekt Troja bekommen wird? Hat man sich da schon Gedanken gemacht?“
„Nun, Dean, das hat man. Wir bekommen von den Anelph einen ZULU ZULU als Flaggschiff gestellt. Sie haben ihn umgebaut und auf den neuesten Stand gebracht. Will sagen, bessere Panzerung, kein Sprungantrieb und stärkere Waffen. Dazu werden drei BISMARCK kommen, fünf MIDWAY und zwölf YAMATO. Außerdem werden wir zwanzig FOXTROTT frei machen. Sie werden als eine Art Kanonenboot fungieren, direkte Beiboote, wenn Sie so wollen. Reicht Ihnen das?“
„Mehr werden wir wohl nicht unterhalten können“, bemerkte der Admiral amüsiert. Er erhob sich nun auch, bezahlte und folgte dem Executive Commander nach draußen.

Dort erwarteten sie bereits die Besucher. Sie schwatzten aufgeregt miteinander. Als sie Eikichi Otomo erkannten, verstummten sie aber.
„Guten Tag. Ich bin Executive Commander Eikichi Otomo. Aber das wissen Sie sicherlich längst. Was Sie aber nicht wissen ist, warum wir diese Führung mit Ihnen veranstaltet haben. Sicher, Sie konnten sehen, wie Ihre Angehörigen in der UEMF leben werden, wenn sie mit diesen Schiff aufbrechen werden. Aber es gibt noch einen anderen Grund.
Diese Stadt, diese Kaverne, sie bieten Arbeitsplätze und Lebensmöglichkeiten für zehntausende Menschen. Wir haben Schulen gebaut, Universitäten, Supermärkte, kleine Bars, Diskotheken, Fachgeschäfte, Lebensmittelläden, und, und und…
Vierhundertelf namhafte Firmen haben bisher zugesagt, kleine Betriebe zu errichten, damit ihre lizensierte Produkte auch hier erhältlich sein werden, angefangen vom Schokoriegel bis hin zum Sportwagen. Wir wollen diese Stadt hier mit Leben füllen. Und dies vornehmlich, aber nicht ausschließlich mit den Angehörigen unserer Soldaten.
Ihnen bieten wir als ersten an, sich hierher umsiedeln zu lassen, solange die Mission dauert. Betreiben Sie ein Geschäft, arbeiten Sie in einer Firma, seien Sie Hausfrau und Mutter, lernen oder lehren Sie an den Schulen. Es gibt hunderte Möglichkeiten, hier ein gutes Leben zu führen.
Fliegen Sie jetzt wieder nach Hause. Ein entsprechendes Angebot wird in den nächsten Tagen in Ihrer Post liegen. Danach haben Sie einen Monat Zeit, bevor wir dieses Angebot allen Menschen auf der Erde machen und Ihre jetzt schon reservierten Plätze ebenfalls ausgeschrieben werden. Danach haben alle Menschen lediglich einen weiteren Monat Zeit, hierher umzusiedeln. Denn einen Monat vor dem Start wollen wir die Gemeinschaft sich einpendeln sehen. Ach, bevor Sie fragen: Die Preise hier an Bord sind eingefroren, die Währung ist Yen. Eine kleine Sache, die ich mit meinem Dickschädel durchgesetzt habe.
Bitte Entschuldigen Sie mich jetzt.“

Otomo nickte den Anwesenden noch einmal zu und ließ sie dann in der Obhut des Admirals zurück. Die Menschen starrten dem Commander so lange nach wie es ging, bevor der erste zaghaft fragte: „War das wirklich Eikichi Otomo?“
Richards grinste breit. „Ja, das war Oberbefehlshaber der United Earth Mecha Force.“
„Kommt der Commander mit auf den Flug?“, wollte ein anderer wissen.
„Nein, er wird hier gebraucht, im Sonnensystem. Aber sein Sohn Akira wird diesen Flug mitmachen.“
Aufgeregtes Raunen ging durch die Menge.
„Kommen Sie, wir haben alle genug gesehen. Ich bringe Sie in Ihre Quartiere im Schleusendock, damit Sie sich vor dem Heimflug ausruhen können.“
„Warum können wir das nicht hier? Es ist doch eine schöne Stadt.“
Richards musste hart an sich halten, um nicht breit zu grinsen. „Wenn Sie drauf bestehen…“

6.
Nach einem überlangen Arbeitstag und einem langen Gespräch mit Daisuke, bevor dieser wieder in seinen HAWK geklettert und zurück geflogen war, kam ich nach Hause. Conrad war über die zweistündige Verzögerung ungehalten, zeigte es aber nicht. Ich merkte es nur daran, dass der Geheimdienstoffizier sehr viel schneller fuhr als nötig gewesen wäre.
Aber es war wichtig gewesen, da konnte ich eben nicht auf den Feierabend eines Untergebenen Rücksicht nehmen.

Als ich die Tür zu meinem Appartement öffnete, flammte nicht sofort automatisch das Licht auf, was mich sofort dazu bewog, in die Hocke zu gehen und die Arme zum Block hoch zu reißen. Die richtige Entscheidung, wie ich feststellte, als ein stahlhartes Bein auf Augenhöhe in meinen Block rauschte.
Ich drückte das Bein und den dazugehörigen Körper von mir fort und riss mit der rechten Hand meine Augenklappe ab. Sofort bekam ich eine vage Ahnung meiner Umgebung, sah einen menschlichen Schatten vor mir, der sich gerade fing und versuchte, mich erneut zu attackieren. Ich tanzte den Angriff aus, versuchte meinen Gegner im Genick zu packen und gegen die Tür zu werfen, aber mein Gegner konterte und drückte in meine Seite. Ich wurde meterweit davon geschleudert.
Hart fing ich mich auf allen Vieren auf, orientierte mich kurz und warf mich zur Seite, als mein Angreifer meine derzeitige Position attackierte.
Als der Schemen über mich hinweg huschte, sammelte ich mein KI in der rechten und versetzte dem Schemen einen derben Schlag in den Magen.
Ein erschrockener Aufschrei bewies mir, wie gut die Attacke gesessen hatte.
Der Angreifer fiel neben mir zu Boden und rang nach Atem.
Übergangslos flammte das Licht auf.
Für einen Moment war ich geblendet, aber ich gewöhnte mich schnell daran.

„Hallo, Aki-chan“, sagte Joan neben mir und hielt sich den Magen. „Autsch. Volltreffer. Kannst du das mit dem KI nicht sein lassen?“
Ich riss entsetzt die Augen auf. „Du hast gut reden! Lauerst mir hier im Dunkeln auf und verprügelst mich fast! Wie bist du überhaupt hier rein gekommen? Und überhaupt, woher weißt du, wo ich bin?“
„Genau das ist dein Problem, Akira“, erklang die Stimme von Makoto neben mir. Er hatte es sich in meinem Lieblingssessel bequem gemacht und dezimierte gerade meine Fruchtsaftvorräte. „Joan und ich haben uns zusammen getan, um dich zu suchen. Und wenn wir beide dich haben finden können…“
„Gut, gut, die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden gab es ja immer. Aber warum habt Ihr mich gesucht?“, fragte ich.
„Nun, abgesehen davon, dass wir dich vermisst haben, wollten wir dir deine Auszeit eigentlich gönnen. Deine viel zu lange und wortlose Auszeit. Keine Briefe, keine Anrufe, nichts.“
Abwehrend hob ich die Arme. „Ist ja schon gut, ist ja schon gut.“
Ich erhob mich und half anschließend Joan wieder auf die Beine. „Danke, Aki-chan.“
„Als wir aber eher zufällig tatsächlich einen Hinweis auf dich entdeckten, gingen wir dem sofort nach. Denn wenn du einmal aufgespürt werden konntest, dann sicher auch ein zweites Mal. Und dann sind es vielleicht nicht so nette Leute wie ich und Joan.“
„Verstehe“, brummte ich und ließ mich auf einem anderen Sessel nieder.
Joan Reilley rieb sich den schmerzenden Magen und setzte sich auf die Lehne von Makos Sessel.
„Und denke nur nicht, dein Problem wären die Marodeure“, setzte Makoto seinen Gedanken fort. „Die sind nur die Spitze des Eisberges. Jene, die sie mit ihrer Beute beliefern, die sind das Problem. Denkst du wirklich, die operieren autark? Nein, die haben ein halbes Dutzend Geheimdienste hinter sich und mindestens acht Länder, die im Gegenzug mit der Beute beliefert werden.
Und diese Geheimdienste, Akira, die sind unser Problem.“
„Um es mal auf den Punkt zu bringen, bevor Mako-chan wieder den Faden verliert“, merkte Joan an, „ich hätte auch ein Attentäter sein können. Deine Sicherheit basiert zu sehr darauf, dass du John Takei bist. Das sollte hiermit vorbei sein.“
„Verstehe“, brummte ich. Damit war meine Tarnung tatsächlich nicht mehr viel wert.
„Und außerdem“, sagte sie, stand auf und stellte sich vor mich, „sollte ich dir gleich mal den Hintern versohlen, mein lieber Akira. Was fällt dir ein, dich nicht zu melden? Wir haben uns alle schreckliche Sorgen um dich gemacht. Und die arme Megumi, das sie überhaupt noch zu dir hält ist ein mittelschweres Wunder. Du hast dieses prächtige Mädchen überhaupt nicht verdient, weißt du das?“
Betrübt sah ich zu Boden. „Tut mir Leid.“
„Na, immerhin“, bemerkte Mako. „Und? Was tust du ab jetzt, Akira?“
„Was wohl? Erst bringe ich meinen Auftrag hier Zu ende“, erwiderte ich ernst, „und dann fliege ich endlich nach Hause.“

„Eines interessiert mich jetzt aber doch, Leute. Wie habt Ihr mich gefunden?“, fragte ich leise.
Makoto hob die Hand. „Das war leicht. Zu leicht. Ich bin neulich auf die Akte von John Takei gestoßen. Abgesehen davon, dass ich mich an einen HAWK-Piloten dieses Namens nicht erinnern konnte, hat mich doch eine Sache stutzig gemacht. Als Kommentar über seine Fähigkeiten stand dort: Fast so gut wie Blue Lightning…“
„Oh“, machte ich.
Meine Freunde lachten. Da hatte ich mich tatsächlich selbst verraten…

Epilog:
„Die AURORA, benannt nach der griechischen Göttin der Morgenröte, ist das größte, jemals von Menschenhand erschaffene manövrierbare Objekt. Und genau wie die Göttin der Morgenräte den neuen Tag ankündigt soll die AURORA eine neue Zeit beginnen lassen. Eine Zeit der Solidarität und Stärke.
Mit Hilfe modernster Waffentechnologie wurde die Außenhülle verflüssigt, Meter für Meter. Somit wurden sämtliche potentiellen Bruchstellen verklebt. Erst anschließend begann man über die zuvor installierten Schleusen eine Atmosphäre einzufüllen.
Dies war dabei das kleinste Problem, denn Sauerstoff gilt als fünfthäufigstes Element in diesem Universum und konnte leicht aus Wasser extrahiert werden, welches von Eisbrocken aus dem Planetoidenring herbeigeschafft worden war.
Anschließend begannen Innenbaumaßnahmen, die in das Bild gipfelten, welches wir nun sehen. Binnen weniger Jahre erschuf Know How, Engagement und Experimentierfreude ein neuartiges, geschlossenes Ökosystem, dem nur noch eine Komponente fehlt – der Mensch.
Universäten, Schulen, Einkaufszentren, kleinere und größere Geschäfte, internationale Firmen, Banken und Versicherungen, alles ist hier vertreten und bereit für die große Reise.
Bereit für den großen Auftrag, so viele Anelph wie möglich aus der Hand der Naguad zu retten und damit letztendlich unsere eigene Verteidigung zu stärken.
Die Aurora, Hoffnung der Menschheit. Sendbotin einer neuen Zeit.“

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20.02.2005 13:43 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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Anime Evolution: Erweitert

Episode 2

1.
„Wie sehen Ihre Ergebnisse aus, Kommandante Winslow?“, fragte der General knapp.
Shawn Winslow, ein hoch gewachsener Mann mit rasierten Schläfen und schwarzem Stoppelschnitt, warf dem argentinischen Offizier einen ernsten Blick zu. „Wir haben neunzehn Tonnen Helium3, zweihundert Tonnen Eisenerz und eine Tonne Gold erbeutet.“
General Basicá dachte darüber einen Moment lang nach. „Gut. Wir kaufen diese Waren zum üblichen Preis. Wie aber sieht es mit den anderen Projekten aus?“
Winslow dachte nicht daran, hier und heute zurück zu stecken. Oder dies jemals zu tun. „Es gab Schwierigkeiten. Ihre Leute im Tower haben gute Arbeit geleistet, als sie den Abflug des LMR-Kuriers verzögerten. Leider stellte er sich als John Takei heraus, ein junger Mecha-Krieger, der sehr schnell von sich reden gemacht hat.“
„Sie haben ihn doch sicherlich mit Ihrer vollen Kompanie angegriffen, Kommandante Winslow?“
„Es… erschien mir nicht notwendig, mehr einzusetzen als neun meiner Daishis. Das hat sich als Fehlkalkulation erwiesen, vor allem nachdem die in Aldrin stationierten Hekatoncheiren Takei mit einer Kompanie zu Hilfe kamen. Zu dieser Zeit hatten wir aber schon vier Verluste.
Sie sehen, dieser Takei ist ein guter Pilot und trifft die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit.“
Der General erhob sich und begann um den Konferenztisch herum zu wandern.
„Kommandante. Wie Sie wissen, begibt sich mein Land in eine sehr exponierte Stellung, wenn es Sie und Ihr fünf Schiffe unterstützt. Der UEMF-Geheimdienst schnüffelt bereits im vollen Rahmen seiner Möglichkeiten in unseren Militärbasen. Natürlich finden sie nichts, aber ich würde diesen unwürdigen Zustand gerne beendet sehen.“
Der General deutete auf eine große Weltkarte. Die in die UEMF integrierten Länder waren blau markiert, die anderen grün. Winslow fiel auf, dass über vierzig Länder grün waren, vor allem ehemalige Drittweltländer. Aber auch relativ reiche Staaten wie Argentinien und Zaire waren dabei. „Sehen Sie sich das an. Sehen Sie sich das sehr genau an. Wir stehen auf einem relativ verlorenen Posten. Diese Länder, die in der United Earth Mecha Force organisiert sind, erobern gerade den Weltraum. Sie plündern die Bodenschätze des Mondes und des Mars. Und erste Erkundungsflüge sind sogar schon zu Jupiter, Saturn und Uranus unterwegs, um neue Rohstoffe, neue Energiequellen zu finden.
Wir finden, es ist nicht akzeptabel, dass wir derart ausgeschlossen werden. Es kann nicht sein, dass wir für eine eigene Eroberung des Weltalls nach der Pfeife der UEMF tanzen müssen.“

Der General setzte sich wieder. „Argentinien strebt eine eigene Rolle im Weltall an. Argentinien beansprucht die Führungsrolle in der Anti-UEMF-Koalition und kann diesen untermauern, wenn wir eigene Firmen auf dem Mond hätten. Mein Land wäre es, dass diese zurückgelassenen, benachteiligten Länder ins All hinaus führt und endlich das Monopol der UEMF bricht. Doch damit das gelingt, müssen wir in der Lage sein, uns militärisch zu widersetzen. Wir brauchen Mechas, je mehr desto besser. Wir brauchen ausgebildete Piloten. Und wir brauchen unsere eigene Raumflotte.
Kommandante Winslow, versetzen Sie uns in die Lage, die modernsten Mechas der UEMF nachzubauen und eine Streitmacht aufzustellen, welche die UEMF nicht einfach beiseite tun kann. Wenn unsere Vernichtung ihre eigene Vernichtung bedeutet, ist mein Ziel erreicht, und niemand wird Argentinien und seine Verbündeten dann noch daran hindern, ins Weltall vorzustoßen.“
Winslow enthielt sich einer Antwort und versuchte mit keinem Muskel zu zucken. Der General meinte es ernst, todernst.
„Wir unterstützen Ihre Flotte. Wir geben Ihnen einen sicheren Hafen. Wir versorgen Sie mit Vorräten und Munition. Und wir kaufen auf, was immer Sie uns bringen zu einem, wie ich finde, sehr fairen Preis. Sie erhalten die Gelegenheit zur Rache und mein Volk die Chance, an der Eroberung des Weltraums teil zu nehmen, ohne von der UEMF gegängelt zu werden.“

Der General schlug die Akte auf, die vor ihm lag. „Sie hatten vorgehabt, einen experimentellen Antrieb namens Booster zu erobern, als Sie auf Takei trafen. Dieser Booster soll Geschwindigkeit und Reichweite eines Mechas erobern. Genau das Richtige für Langstreckenmissionen. Ihn und seine Pläne zu erobern ist ein Ziel, das wir dringend erreichen müssen.“
„Das sehe ich auch so. Wenn wir die UEMF dazu zwingen können, wieder bei null anzufangen, während wir den Booster bereits in Serie produzieren, haben wir einen Riesenvorsprung vor ihnen.“
„Ich sehe, wir verstehen uns“, brummte der General.
„Da gibt es nur ein Problem. John Takei. Er ist ohne Zweifel einer der besten Mecha-Piloten der UEMF. Solange er Luna Mecha Research beschützt, hat nur ein Kommandounternehmen mit Infanterie Aussicht auf Erfolg“, gab Winslow zu bedenken.
„Hm. Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, dass dieser Takei womöglich der untergetauchte Akira Otomo ist?“, warf der General ein.
„Natürlich. Wer würde das nicht, wenn Otomo so plötzlich verschwindet wie Takei auftaucht? Einfacher kann man eins und eins nicht zusammen zählen. Vor allem, da die Erfahrung von Takei so groß ist, dass er am Mars-Feldzug teilgenommen haben muß.“
„Und? Was ist das Ergebnis der Analysen?“
„Nun, wie Sie wissen, entwickelt jeder Mecha-Pilot eine Art Verhaltensmuster. Einen Bewegungsablauf, der so individuell wie die Haarfarbe ist.
Takei und Otomo haben einen sehr ähnlichen Stil, was den Verdacht nahe liegt, dass Otomo diesen Mann direkt ausgebildet haben muß. Aber sie sind nicht identisch. Otomo schaltete seine Gegner aus, tötete sie. Er ist ein Teufel im Kampf und zeigt keine Gnade, solange ihm etwas gefährlich werden kann.
Aber Takei… Takei ist weich. Er tötet nicht. Er vernichtet einen Mecha nach dem anderen. Aber er tötet nicht. Dennoch darf man ihn nicht unterschätzen.“
„So? Ist das so?“, fragte Basicá ernst. „Nun. Dann werde ich mich um diesen Takei kümmern. Das wäre alles für heute. Die Bezahlung erfolgt wie üblich. Guten Tag, Kommandante Winslow.“
Shawn nickte, salutierte knapp und verließ das Büro im Regierungspalast von Buenos Aires wieder.

Draußen erwartete ihn Ryan, sein Zweiter Offizier. „Und? Wie ist es gelaufen?“
„Besser als erwartet, Ollie. Wir kommen bald in die Lage, uns diesen Booster zu holen. Basicá will sich um das lästige Problem mit Takei kümmern.“
„Kümmern?“ Der Offizier zog die Stirn kraus. „Du meinst, sie erschießen ihn oder so was?“
„Und wenn schon? Das kann uns doch egal sein, oder? Ein UEMF-Scheißer weniger, der uns Sorgen macht. Unser Weg ist noch lang. Wir sollten dankbar sein für jeden, der uns nicht mehr aufhalten kann.“
Ryan nickte. „Im Prinzip schon, aber… Schon gut, Skipper.“
Winslow sah zu Boden. Etwas mehr Widerspruch wäre ihm lieber gewesen. Sehr viel lieber…

2.
Das war es also, ging es mir durch den Kopf, während die Fähre ARTEMIS verließ und nun auf OLYMP zu hielt. Wir hatten erste Prototypen der Booster fertig gekriegt und begannen sie nun zu verteilen. Wir, das waren ich, Yamagata und Jackson sowie ein weiterer Techniker aus Jacksons Stab, den ich nie hatte kennen lernen wollen. Ich kannte nicht mal seinen Namen und das war mir bei dem unsympathischen Kerl auch ganz Recht.
Einen mussten wir noch bei den Hekatoncheiren auf OLYMP abliefern. Bei der Gelegenheit nahm ich mir vor, mich von der Gruppe abzusetzen und Megumi zu suchen und zu finden. Wenn ich mit ihr redete – falls sie überhaupt noch mit mir sprach – wollte ich ihr alles erklären. Oder wenigstens das Versprechen geben, dass ich fast dazu bereit war, wieder zu kommen. Zurück zu ihr. Zurück zu meinen Freunden.
Kurz dachte ich an den Abend, den ich mit Mako und Joan verbracht hatte. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Der halbe Abend hatte aus Vorwürfen bestanden, aber sie hatten nicht verheimlichen können, wie sehr sie mich mochten. Und ich hatte auch nicht gerade auf das Gegenteil hin gearbeitet.
Stattdessen hatte ich ihnen meine Seele offenbart, meine tiefe, innere Zerrissenheit offen gelegt und ihren Rat verlangt. Und nun war ich wirklich auf einem guten Weg, auf einem wirklich guten Weg. Ich war weit genug, um Megumi endlich wieder unter die Augen zu treten. Und ich freute mich darauf. Ich freute mich wirklich darauf.

„Takei-sama, kommen Sie doch bitte vorne zu uns ins Cockpit“, erklang eine Lautsprecherstimme. Ich erhob mich langsam. „Scheiß Service. Erst servieren sie nicht mal Kaffee und dann holen sie einen noch nicht mal selbst nach vorne. Ich fliege nie wieder mit einem so miesen Charterflug“, scherzte ich.
„Wenn du was wegen dem Kaffee gesagt hättest…“, bot Jackson an und hob seine Thermoskanne. Alles in allem war er kein schlechter Kerl. Ich schüttelte den Kopf. „Deinen Geschmack kenne ich. Statt Wasser hast du doch wieder Schnaps genommen, oder?“
„Nicht mehr als sonst auch, John“, erwiderte der Teamleiter grinsend.
Ich ging ein paar Schritte und wandte mich wieder um. „Ai-chan, Frederic, kann ich euch eine Zeitlang alleine lassen?“
Missmutig starrte Jackson zur ehemals im Sold der Kronosier gestandenen Technikerin herüber. „Ja, ja, ich lass sie ja in Ruhe. Nun mach dir nicht immer so viele Sorgen, Herr Strahlemann. Nicht mal Akira Otomo hat sich um die Kronosianer-Söldner solche Sorgen gemacht wie du.“
Ich nickte grinsend und setzte meinen Weg fort.

Wir benutzten ein reguläres Transportshuttle mit Platz für einen Mecha. Diese Shuttles waren raumflugtauglich und wurden für Kurierflüge und Terminwaren verwendet. In unserem Fall mit den zerlegten Booster-Prototypen.
Als ich nach vorne ins Cockpit trat, empfingen mich die besorgten Gesichter der beiden russischen Piloten.
Das war das Schöne an der UEMF. Es waren so viele Staaten mit Soldaten und Personal in ihr vertreten, dass kein Land eine Homogenität aufbauen konnte. Und wenn zwei Landsleute wirklich mal nebeneinander dienten, dann war es wirklich und wahrhaftig Zufall.
„John, wir haben ein Problem.“
„Was gibt es denn, Natasha?“, fragte ich und sah auf ihre Instrumente. Dann checkte ich die Bildschirme. „Kann es sein, dass du dich etwas verflogen hast?“
Juri Sergejowitch Andropow, ihr Co-Pilot schüttelte den Kopf. „Das waren wir nicht. Das war der Autopilot. Als wir über dem südatlantischen Rücken waren, hat Natasha den Auto angeschaltet. Wir sollten jetzt gerade die kalifornische Küste überfliegen. Eigentlich.“
„Und stattdessen überfliegen wir Kolumbien. Das ist ernst. Lässt er sich abschalten?“
„Nein, haben wir schon versucht. Wenn wir so weiter fliegen, dann trägt uns der Kurs über Chile hinaus und dann über dreitausend Kilometer endlose Wasserwüste des Südpazifiks, bevor wir die Antarktis streifen. Wir kommen dann an der australischen Westküste wieder hoch und… Na, solange der Autopilot kein Sinkmanöver initiiert, kann die UEMF uns über Australien abfangen und zum OLYMP schleppen.“
„Geht unser Funk noch?“, fragte ich ernst.
„Er hat ein paar Macken, aber wir haben eine bolivische Bodenstation in der Leitung. Die Argentinier haben sich auch schon gemeldet“, sagte Juri ernst. „Wir haben sie gebeten, unseren Notruf an die UEMF weiter zu melden.“
„Dann können wir also nur eines machen. Warten bis wir in Reichweite der UEMF kommen.
Die sollten mittlerweile gemerkt haben, dass wir nicht auf Kurs sind. Vielleicht schicken sie ein paar Hawks“, murmelte ich nachdenklich.

„Argentina Space Control, Argentina Space Control. LMR Flight Zero-One-Zero, Sie erhalten Überflugerlaubnis auf Ihrem bisherigen Kurs. Wir wissen, dass Sie nicht selbst manövrieren können. Wollen Sie Ihren Kurs weiter verfolgen oder sollen wir ein Shuttle hoch schicken um Sie einzusammeln?“
Ich drängte mich nach vorne. „Argentina Space Control, hier Luna Mecha Research Zero-One-Zero. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis und die angebotene Hilfe, aber unser Kurs bringt uns mittelfristig in Reichweite des OLYMP. Wir kommen klar.“
„Verstanden, LMR Zero-One-Zero. Argentina Space Control Ende und aus.“
„Für Argentinier waren die aber reichlich umgänglich. Ich dachte schon, die wollen uns mit Raketen drohen“, murmelte ich leise. „Ich gehe wieder nach hinten. Wenn was ist, ruft mich, ja?“
„Ist gut, John. Das Gröbste haben wir ja nun überstanden und… Moment, was ist das denn? John, sieh mal auf die Ortungsanzeige.“
„Was? Das ist ein Daishi Bravo. Siebzehn Kilometer hinter uns, schnell näher kommend! Natasha, raus aus dem Pilotensitz!“
„Moment mal, John, du bist Mecha-Pilot. Ein Shuttle zu fliegen ist etwas vollkommen anderes!“
„Willst du mit mir diskutieren?“
„Nein“, gestand die Pilotin und erhob sich. „Juri, Natasha, Ihr reißt mir den Autopiloten aus der Konsole raus. Egal wie, aber es muß schnell gehen. Danach geht Ihr nach hinten. Die sollen sich alle anschnallen. Und Ihr auch. Und falls Ihr Druckanzüge habt, zieht die an, klar?“
Neben mir stoben elektrische Funken, als Juri mit Brachialgewalt auf die vorstehende Konsole des Autopiloten trat. Beim dritten Tritt brach sie ab. Danach griffen er und Natasha zu und rissen, bis auch das letzte Kabel zersprang.
Übergangslos fühlte ich das Shuttle in meinem Griff trudeln, bevor ich die Mühle abfing. „Vierzehn Kilometer. Ich glaube nicht, dass der Daishi zufällig auf einem Verfolgerkurs ist. Sobald er zu feuern beginnt, gehe ich runter. Und Ihr seht zu, dass Ihr euch endlich anschnallt!“
Die beiden Russen nickten und verschwanden im Frachtraum.

„Mayday, Mayday, Luna Mecha Research Flight Zero-One-Zero bittet um Unterstützung. Wir werden von einem nicht markierten Daishi Beta verfolgt, der kein Transpondersignal ausstrahlt. Ich deklariere ihn als feindlich, ich wiederhole, als feindlich.“
„Hier Argentina Space Control, bestätigen Sie angreifenden Daishi Beta.“
„Definitiv bestätigt.“ Ich warf einen schnellen Blick auf die Anzeigen. Neun Kilometer. Bei acht konnte er das Feuer mit den Raketen eröffnen. Und dieses Shuttle ließ sich in etwa so gut steuern wie ein mit Luft gefüllter Ballon unter Wasser.
„Hören Sie, LMR Zero-One-Zero, drehen Sie auf eins acht null bei und sinken sie auf zwei null Klicks ab. Wir schicken Ihnen eine Staffel Mirage der Bundesluftstreitkräfte zur Unterstützung. Rendezvous ist der Rio de la Plata, zweitausend Klicks Stromaufwärts. Sie erreichen diesen Punkt in neun Minuten!“
„Verstanden, Argentina Space Control. Und danke für eure Hilfe.“
„Das hättet Ihr schon viel früher haben können. Viel Glück jetzt.“
„Danke. LMR Zero-One-Zero Ende und aus.“

Acht Kilometer. Die Warnanlage begann aufzuheulen und informierte mich über anfliegende Raketen. Ich drückte das Shuttle nach unten. „Ob angeschnallt oder nicht, ich muß jetzt anfangen“, hauchte ich.
Der Kollisionsalarm ging nun ebenfalls los und informierte mich darüber, dass die vorderste Rakete nur noch zwei Klicks entfernt war. Das Shuttle löste die Gegenmaßnahmen automatisch aus, während es durch die Mesosphäre gen Erdoberfläche fiel.
Unter mir erstreckte sich nun der Amazonas, während die dichter werdende Atmosphäre das Bild auf zwei Monitoren in Flammenglut verschwinden ließ.
„Verdammt!“, fluchte ich. Sekunden später explodierte die erste Rakete im Triebwerk.

3.
„Sie haben was?“, brüllte Eikichi Otomo und sah den argentinischen Luftwaffenoffizier auf seinem Monitor entsetzt an. „Wir haben sie leider verloren. Der angreifende Daishi hat genügend Raketen abgefeuert, um das Shuttle dreimal aus dem Orbit zu putzen, aber es wurde nur beschädigt, nicht vernichtet. Vierhundert Kilometer vor dem Rendezvouspunkt mit einer Staffel Atmosphäregebundener Jäger stürzte das Shuttle schließlich ab. Wir vermuten es auf argentinischen Boden, irgendwo in den Uferstreifen des Rio de la Plata.
Der angreifende Daishi Beta hat sich jedenfalls zurückgezogen und nicht nachgesucht. Hören Sie, Commander Otomo, ich habe die Staffel bereits angewiesen, nach dem Shuttle Ausschau zu halten. Außerdem habe ich Patrouillenboote in der Region informiert sowie sämtliche zivile Einrichtungen, die über ein Funkgerät verfügen. Wir tun unser Bestes, um Ihre Leute zu finden.“
Eikichi starrte den Monitor an. Für einen Moment war er versucht, sich schwer auf dem Schreibtisch abzustützen, dem Mann tief in die Augen zu sehen und ihm mit eiskalter Stimme zu sagen: „Mein Sohn war an Bord. Wehe Ihnen, wenn er verletzt wurde!“
Stattdessen nickte er nur. „Wir danken für Ihre Bemühungen. Können wir uns mit eigenen Kräften an der Suche beteiligen?“
„Nun, solange diese Kräfte nicht militärisch sind, soll ich Ihnen vom Verteidigungsministerium ausrichten, dürfen Sie jederzeit eigene Leute in die Region entsenden.“
„Danke. Ich melde mich dazu, Major Fernandez.“
„Gern geschehen. Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie, Commander Otomo.“
„Nun, das Shuttle wurde nicht zerstört. Das sind wohl die besten Nachrichten, die ich heute erwarten kann“, räumte Eikichi ein. Dann schaltete er ab.

Wütend brütete Eikichi Otomo über seinen Gedanken, bevor er den Videokanal erneut aktivierte. „Karl, Megumi trainiert doch in deinem Hangar, oder? Schick sie bitte sofort rauf zu mir. Und mach eine Mission fertig, die für eine Dschungeloperation geeignet ist. Ach, und frag die Franzosen, ob sie uns einen Zug Fremdenlegion für eine zweite Operation, die parallel laufen soll ausleihen.“
Der weißhaarige Techniker sah seinen Vorgesetzten über die Videoverbindung erstaunt an. „Alles klar bei dir, Eikichi?“
„Akira wurde über Argentinien mit einem Shuttle abgeschossen“, gestand Commander Otomo leise.
Karl erstarrte. Dann wandte er sich nach hinten und brüllte: „MEGUMI!“
**
„Ich sterbe!“, japste Yamagata und betrachtete ihre blutverschmierten Hände, während ich langsam den Metalldorn aus ihrem Körper zog. „Takei-sama, ich sterbe. Bitte sag meiner Mutter, dass… Bitte sag ihr, dass…“
Ihre blutigen Hände legten sich auf meine. In ihren Augen stand pure Panik.
„Keine Angst. Du stirbst nicht, Ai-chan“, antwortete ich und strich ihr mit der Linken über die schweißverklebten Stirnhaare.
Misstrauisch sah sie mich an. „Nicht? Aber der Dorn! Er hat mich einmal durchbohrt und…“
„Ach der“, meinte ich und winkte ab. „Halb so wild. Hat eine Niere getroffen und deine Wirbelsäule touchiert. Außerdem wurden dein Dünndarm und der Dickdarm glatt perforiert. Ist ne ganz schöne Sauerei.“
„Also sterbe ich doch“, beharrte sie ängstlich.
„Nein, du stirbst nicht, Ai-chan. Aber wenn du möchtest, leihe ich dir gerne eine Pistole, falls du auf Nummer sicher gehen willst.“
„Takei-sama, ich bin alt genug für die Wahrheit. Lüg mich bitte nicht an!“, rief sie und fuhr hoch.
„Na, da ist ja schon wieder einer gut bei Kräften“, kommentierte Juri, während er seine ohnmächtige Kameradin aus dem Wrack des Shuttles hervor zog.
„Der Blutverlust macht mir Sorgen. Ansonsten habe ich aber alles im Griff“, antwortete ich leise.
„Das ist gut. Dann kannst du gleich mit Natasha weiter machen. Ihr linker Unterschenkel. Offener Bruch.“
Ich nickte dem Piloten zu. „Leg sie dort hin. Was machen Frederic und sein Techniker?“
„Der Techniker ist tot. Genickbruch. Da kannst sogar du nichts mehr machen. Aber Jackson hat sich lediglich den Kopf angestoßen. Ziemlich hart, doch nicht hart genug.“
„Gut“, kommentierte ich und widmete mich dem offenen Bruch. Meine Hände verschwanden im weißen Glanz meines KIs. Damit berührte ich die Wunde.
Natasha erwachte bei der Berührung und schrie auf. Juri tat sein Bestes, um sie fest zu halten, aber die Schmerzen waren enorm und verliehen der Russin Riesenkräfte.
„Halt still, verdammt. Das ist schwierig!“, blaffte ich.
„KI? Ist das KI?“, rief Yamagata aufgeregt. Sie betrachtete ihren Bauch. In ihrem Overall klaffte ein breites Loch, aber ihr Bauch schien unversehrt zu sein.
„Ach so ist das. Du hast mich mit deinem KI geheilt. Deswegen warst du dir so sicher, dass ich nicht sterbe, Takei-sama.“
„Nicht aufstehen“, ermahnte ich die Technikerin. „Ich kann deine Wunden heilen, aber nicht den Blutverlust ausgleichen.“
Neben mir begann Natasha leise zu wimmern. „Ist ja gut, Tasha. Hast es ja gleich geschafft“, sagte ich sanft zu ihr.

Jackson kam raus und starrte in die Runde. Er musterte Yamagata, wollte etwas sagen, aber dann schluckte er den Ärger herunter. „Ich sehe nach, was an Notfallausrüstung an Bord ist“, sagte er lauter als nötig und ging wieder ins Shuttle.
„Geht es wieder?“, fragte ich Natasha. Die Russin nickte. „Die Schmerzen sind fast weg.“
„Das ist gut. Juri, bei dir alles in Ordnung?“
„Ich bin unverletzt. Abgesehen von meinem Stolz als Pilot“, erwiderte er leise. „Das ein Grünschnabel wie du mich von meinem Sitz vertreibt und das Shuttle auch noch fast in einem Stück herunter bringt…“
„Ich sage doch immer, ich bin besser als Akira Otomo“, scherzte ich.
„Akira Otomo ist Mecha-Pilot. Ich bezweifle, dass er Ahnung von Aerodynamik und der komplexen Steuerung eines Shuttles hat. Ein Punkt für dich, John.“ Er grinste mich an.
„Danke.“

Jackson kam wieder und warf zwei Erste Hilfe-Kästen auf den Boden. Danach folgten zwei lange Messer, eine Pistole, zwei Schachteln Munition, eine Signalpistole mit drei Reserveschüssen sowie acht Pakete mit Notrationen.
Kurz ging mein Blick über die nahe Umgebung. Unsere sehr heiße und waghalsige Landung hatte eine kleine Schneise in den Urwald gebrannt. Sie war elf Meter breit und dreihundert lang. Es war unwahrscheinlich, dass sie aus der Luft übersehen werden konnte.
Aber es war eine Menge Glück und meine Meisterschaft im beherrschen des KI gewesen, die uns trotz allem sicher herunter gebracht hatte.
„Wo sind wir hier überhaupt?“, fragte Jackson übergangslos. „Ich meine, abgesehen davon, dass wir in Südamerika sind?“
„Als ich die Anzeigen das letzte Mal eingesehen habe, waren wir über Brasilien. Kann aber auch schon Argentinien sein“, murmelte ich leise. „Irgendwo in der Nähe des Rio de la Plata.“

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„Was ist überhaupt passiert?“, wollte Frederic wissen. „Die beiden haben uns irgendetwas von einem angreifenden Daishi erzählt. Mucken die Kronosier etwa wieder?“
„Nein, nicht die Kronosier. Der Daishi kann von wer weiß wo her gekommen sein. Die UEMF hat vorletztes Jahr über fünfhundert von ihnen weltweit zu Dumpingpreisen verkauft, um Platz für unsere eigenen Modelle zu schaffen. Scheint so, als wären sie nicht besonders sorgfältig in der Auswahl der Kunden gewesen.“
„Soll das etwa heißen, Chuck ist gestorben, und wir wissen nicht einmal, wer ihn auf dem Gewissen hat?“, blaffte der Techniker wütend.
„Ich neige nicht dazu, vorschnell zu urteilen. Aber es deutet doch einiges auf die Marodeure hin“, murmelte ich leise. „Obwohl diese Vorgehensweise überhaupt nicht zu ihnen passt. Sie hätten versucht, unsere Fracht zu klauen. Das bedeutet, sie wären schon längst hier…“ Übergangslos erhob ich mich und schnappte mir beide Messer. Danach ging ich in den Frachtraum.
Ich weitete mein KI aus und ließ die Klingen davon erfassen, bevor ich mit den Klingen das Innenleben unseres Prototyps ausweidete.
„John, was machst du da?“, wollte Jackson entrüstet wissen. „Die Arbeit, die Arbeit von Monaten…“
„Es ist doch nur ein Prototyp. Wir haben noch mehr davon. Aber dieser hier wird niemandem mehr etwas nützen.“ Ich sah den Techniker an. „Er darf nicht in die falschen Hände fallen, Frederic.“
Einen Moment zögerte der Amerikaner, dann nickte er endlich. „Wenn du das Zeug nach draußen schaffen kannst, ich kann aus dem Antrieb ein paar leicht brennbare Chemikalien abzapfen. Damit können wir die Elektronik rösten.“
„Und nebenbei eine Rauchwolke machen, die noch in hundert Meilen zu sehen ist. Sehr gut“, lobte ich und begann damit, die Einzelteile zu verkleinern.

Draußen schichtete ich die Einzelteile aufeinander. Kurz darauf kam der Techniker mit einer Schale zurück. Viermal ging er diesen Weg, bis seiner Meinung nach genügend auf die Einzelteile vergossen worden war.
„Zurücktreten“, wies ich die anderen an. Dann griff ich in meine Oberarmtasche und zog ein Zippo-Feuerzeug hervor. Ich entzündete es, ging auf Abstand und warf es auf den Haufen.
„Wow!“, rief ich, als die Stichflamme beinahe meine Augenbrauen ansengten. „Was ist das denn für ein Teufelszeug?“
„Raketentreibstoff von den Abwehrmaßnahmen“, informierte Fred mich grinsend. „Ist schön heiß, oder?“
„Ja, verdammt heiß. Warnst du mich bitte nächstes Mal vor?“
„Wie das denn? Meinst du, ich hatte eine Ahnung, wie groß das Feuer sein würde?“
„Da es deine Idee war – ja“, konterte ich.
„Wenn Ihr mit eurem Zerstörungswerk fertig seid“, rief Natasha, „dann könnten wir doch mal alle zusammen kommen und darüber nachdenken, was nun zu tun ist.“

Wir gingen ein paar Schritte Abseits. Der Qualm des Feuers schmeckte furchtbar, aber eine tiefdunkle Rauchwolke stieg gen Himmel. Auf Meilen zu sehen.
„Also, laut meinem Chronometer haben wir hier vier Uhr Nachmittags. Es ist Spätherbst, also haben wir noch etwa zwei bis drei Stunden Sonnenlicht. Irgendwelche Ideen?“, fragte Natasha.
„Wir wissen nicht, wo wir sind und wir haben keine Möglichkeiten, den Dschungel sicher zu durchqueren. Das Beste wäre hier zu bleiben und auf Rettungsmannschaften zu warten“, sagte ich leise. „Sollte allerdings der Daishi noch mal zurückkommen oder ein paar seiner Freunde, dann müssen wir hier ganz schnell die Biege machen.“
„Du denkst, wir werden erneut angegriffen, John?“, fragte Juri ernst.
„Ich halte es für möglich, dass man uns den Rest geben will. Welchen Zweck macht es sonst, uns abzuschießen?“, erwiderte ich ernst.
„Ja, aber… Warum? Okay, wir haben einen Prototyp an Bord gehabt. Doch was bringt es für einen Sinn, diesen Prototyp zu vernichten? Und erzähl mir nicht, dass unser Absturz das Ergebnis eines missglückten Enterversuchs ist.“
„Nun, anscheinend waren sie gar nicht hinter dem Prototyp her. Tut mir Leid, wenn ich jetzt etwas arrogant klinge, aber vielleicht wollten sie mich.“
Erstaunte Blicke trafen mich. „Dich? John, in aller Freundschaft, aber…“
„Nein, nein, nein, John hat Recht. Denkt doch mal nach. Wer ist der beste Pilot in der Firma? John Takei. Wer fliegt die meisten unserer Versuche und testet sie auf Herz und Nieren? John Takei. Wer hat neulich erst einen Überfall der Marodeure vereitelt? John Takei.“
„Hör auf, Tasha, hör auf. Ich werde ja noch rot“, scherzte ich.
„Ist mal wieder typisch. Du stehst mal wieder im Rampenlicht. Aber musstest du uns mit auf die Bühne zerren? Mit einer Statistenrolle wäre ich auch zufrieden gewesen“, scherzte Frederic. „Zumindest Chuck wäre es gewesen.“
Ich nickte bedrückt.

„Ist es dann noch klug, hier zu bleiben? Ich meine, wollen wir wirklich fünfzig - fünfzig darauf wetten, wer uns finden wird?“ Yamagata sah mich an. „Sollten wir uns dann nicht besser ein Versteck in der Nähe aussuchen und sehen, wer als erster ankommt? Retter oder Feinde?“
Langsam hob ich beide Arme und zeigte die leeren Innenflächen. „Ich glaube, Ai-chan, das hat sich gerade erledigt.“
Auch die anderen erhoben sich, folgten meinem Beispiel.
Kurz darauf brachen unrasierte Männer aus dem umliegenden Gebüsch, in den Händen einen wilden Mix aus modernen Heckler&Koch-Sturmgewehren, alten AK47 und der guten alten M16.
Sie waren zu zwölft und bevor ich mich versah, hatten sie uns umzingelt. Unwillkürlich spannte ich mich an. Wenn sie unseren beiden Frauen was tun würden, dann…
„Der Anführer! Wer ist der Anführer?“, blaffte einer von ihnen. Er hielt eine moderne Heckler-Waffe auf uns gerichtet.
„Hier. Ich bin der Anführer“, sagte ich laut und ernst.
Der Mann trat an mich heran. „Hier ist es nicht sicher. Kommen Sie, kommen Sie. Zwei Hubschrauber mit Fallschirmspringern sind hierher unterwegs. Sie haben Befehl, Sie und Ihre Leute zu töten. Kommen Sie. Wir verbinden Ihre Augen und bringen Sie in unser Versteck!“
Ich sah ihm in die Augen. Zweifellos spielte dieser Mann sein eigenes Spiel. Aber hier zu verschwinden passte zu meinen eigenen Plänen. Ich nickte.
„Gut. Dann bildet eine Reihe. Wir verbinden jetzt eure Augen. Jedem wird ein Mann zugeteilt, auf dessen Schulter Ihr eine Hand legte. Folgt den Anweisungen dieses Mannes.“
Wieder nickte ich. Dann sorgte ich dafür, dass ich ans Ende der Kolonne kam.
„Sei unbesorgt, Ai-chan. Uns passiert nichts.“
„Was mit mir passiert ist mir egal. Aber du, Takei-sama…“, flüsterte sie und sah mich aus großen Augen an.
Ich tätschelte ihren Kopf. „Sei unbesorgt. Ich bin besser als Blue Lightning, schon vergessen?“
„Irgendwann“, prophezeite Fred wütend, „irgendwann kriegt Otomo mit, was du hier dauernd für einen Mist erzählst. Und dann kommt er und tritt dich kräftig in den Arsch, weißt du das, John?“
„Sicher“, erwiderte ich grinsend. „Irgendwann.“
„Los jetzt, los. Wir müssen hier weg.“
„Wartet. Was ist mit Chuck?“, rief Natasha.
„Tot. Der Mann ist tot. Wir können ihn nicht mitnehmen. Los jetzt. Es ist höchste Zeit.“

Wir gingen los, nachdem meine Augen verbunden waren. Kurz darauf liefen wir für mindestens einen Kilometer. Als hinter mir das charakteristische Zischen einer vollen Raketensalve erklang, sah ich automatisch zurück. Durch die Binde sah ich nichts, aber in meinem Kopf setzte sich ein gutes Bild zusammen. Die beiden Hubschrauber waren angekommen und hatten begonnen, auf den Absturzort zu feuern. Wären wir geblieben… Der Gedanke ließ mich erschauern.
„Takei-sama?“, fragte Yamagata ängstlich.
„Es ist alles in Ordnung, Ai-chan. Ich bin hier.“
Ich bekam einen freundlichen Hieb in die Seite, ausgeführt mit einer flachen Hand. „Gute Stamina. Kann laufen und reden. Guter Soldat.“
Ich grinste schief. „Der Beste.“
**
„Akira. Oh mein Gott, Akira!“, flüsterte Megumi, als sie sich die vollkommen verbrannte Lichtung näher ansah. Grimmige Fallschirmjäger der Argentinier sicherten das verkohlte Wrack, während Mediziner des argentinischen Heeres einen toten Körper aus dem Shuttle holten. Megumi wandte sich an und legte die Arme eng um ihre Dienstuniform. Es war nicht Akira, das stand bereits fest. Aber wo war er dann? Wo war er dann?
„Ich habe mit den Argentiniern geredet“, sagte Mamoru Hatake leise, als er zu Megumi zurückkehrte. „Sie sagen, der Daishi, der das Shuttle abgeschossen hat, wäre später wieder hier her gekommen, und hätte alles mit seinen Raketen verwüstet. In der Tat sieht das hier nach weitflächigem Raketenbeschuss aus. Soweit so gut.“
Die junge Frau wandte sich dem Freund zu. „Aber?“
Mamoru grinste breit. „Du kennst mich ziemlich gut. Aber wenn man sich die Bodenfurchen ansieht und die Muster der Verbrennungen, dann sieht es beinahe so aus, als hätte der Daishi für den Raketenbeschuss zweimal die Position gewechselt…“
„Oder es waren zwei Daishis, die gefeuert haben.“ Megumi sah zu den argentinischen Hubschraubern herüber. „Oder was auch immer.“
„Jedenfalls“, begann Mamoru wieder, „sagen die Offiziere, dass sie hier in der Region mit Guerilla zu kämpfen haben. Milizen von Indianerstämmen aus der Region, die von Brasilien aus eingewandert sind und nun Land fordern. Sie halten es für möglich, dass diese Milizen unsere Leute entführt haben, um Druck auf die Regierung auszuüben.“
Megumis Herz begann schneller zu schlagen. „Du meinst, sie sind jetzt Geiseln?“
„Die Möglichkeit ist nicht auszuschließen. Und wenn das der Fall ist, haben wir ein Problem. Das Ufergebiet des Rio de la Plata ist sehr weiträumig und in dieser Region unübersichtlich. Ich meine, der Urwald des Amazonas ist gleich um die Ecke. Tausend Meilen im Süden sähe die Sache anders aus. Riesige, ebene Pampa-Grasflächen, Montag schon sehen können, wer Sonntag zu Besuch kommt… Aber das hier…“
„Wir können sie also nur unter großen Mühen selbst finden“, zog Megumi ihr Resumée. „Ansonsten müssen wir uns auf die Argentinier verlassen. Oder darauf warten, dass Forderungen gestellt werden. Was für ein Scheiß!“

„Colonel Uno?“, fragte einer der Offiziere. „Die Dämmerung setzt ein. Wenn Sie Ihren Mann noch fortschaffen wollen, sollten Sie es bald tun. In einer Viertelstunde sieht man hier die Hand vor Augen nicht.“
„Danke, Captain. Wenn Sie nichts dagegen haben, kommen wir mit nach Buenos Aires und setzen unsere Suche Morgen früh fort.“
Der Mann zuckte mit den Achseln. „Tun Sie sich keinen Zwang an. Die Bundesregierung hat ihre volle Kooperation zugesichert. Ich bin sicher, wir finden in einer lauschigen Kaserne einen Platz für Ihr Team.“
„Ich danke Ihnen, Captain. Major Hatake, Aufbruch. Wir fliegen mit unserem Shuttle nach Buenos Aires.“
„Ma´am“, sagte Mamoru und salutierte zackig. Danach wandte er sich um und klatschte in die Hände. „Ihr habt den Colonel gehört. Zusammen räumen und das Shuttle boarden.“

Megumi sah sich noch einmal um, während die Leiche des UEMF-Mannes an Bord geschafft wurde. Wenn sie Akira war, wohin wäre sie gegangen? Hätte sie sich freiwillig vom Absturzort entfernt? Nun, das hing von den Umständen ab. Aber auf jeden Fall hätte sie eine geheime Nachricht hinterlassen, wo sie zu finden war. Das Akira das nicht getan hatte, konnte nur bedeuten, dass er es selbst nicht wusste.
„Akira“, hauchte sie leise. „Wie kannst du mir das antun? Erst tauchst du wieder in meinem Leben auf, und dann verschwindest du? Bitte, sei gesund. Sei gesund.“
**
„Admiral auf der Brücke!“ Die anwesenden Offiziere und Mannschaften erhoben sich. „Weitermachen“, befahl Sakura Ino und rauschte wie ein abgeschossener Torpedo in die Hauptzentral der AURORA. „Bericht.“
„Ma´am. Die Versiegelungsarbeiten sind abgeschlossen. Die Arbeit an den Manöverdüsen ist beendet. Die Werften können jederzeit ihre Arbeit aufnehmen. Wir warten eigentlich nur noch auf die Schiffe der Begleitflotte und die ersten Freiwilligen.“
Sakura setzte sich auf den für sie vorgesehenen Platz. Sie würde das Oberkommando über die gesamte Operation erhalten. Das eigentliche Kommando über die AURORA würde ein Kapitän führen. Der Beste, den die Menschheit derzeit hatte. Sein Platz war weiter vorne, bei der Taktik-Abteilung.
„Kapitän auf der Brücke!“ Sakura erhob sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem spöttischen Grinsen erwartete sie den neuen Kapitän der AURORA. „Verlaufen?“
Der übergewichtige Mann legte eine Hand in den Nacken und lachte verlegen. „Verzeihung, Sakura-chan. Aber in diesem riesigen Mistding kann man sich echt verlaufen.“
Sakura lächelte still. Seit der Zweiten Marskampagne, wo der ehemalige Tokioter Motorradrocker die LOS ANGELES geführt hatte, vertraute sie ihm. Dieses Vertrauen hatte sogar darin gegipfelt, dass sie Tetsu Genda sogar für das Kommando der AURORA vorgeschlagen hatte. Sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass damit das Ende der Talente dieses ungewöhnlichen Mannes noch nicht erreicht waren.
Es war nicht gerade so, als wäre Tetsu ein Genie. Aber er war ein harter Arbeiter, und wenn er ein Ziel sah, das er erreichen konnte, schuftete er sich regelrecht tot.
„Nehmen Sie Ihren Posten ein, Kapitän. Wir werden in den nächsten acht Wochen Übungen fahren, bis die Mannschaft der AURORA und die Crews der Begleitmannschaften unsere Namen verfluchen.“
Tetsu grinste abfällig. „Na und? Irgendwann werden sie erkennen, dass es genau diese Extraanstrengung war, die sie in die Lage versetzt hat, ihre eigenen Leben zu retten.“
Der schwerfällig wirkende Mann nahm seinen Platz ein. Und sprach beinahe jeden Anwesenden in der Zentrale mit Namen und Rang an, egal ob er das Namensschild erkennen konnte oder nicht. Ja, er hatte in der Tat verborgene Talente.

„Nachrichten aus Argentinien, Ma´am“, sagte ihr Adjutant ernst. „Es scheint so, als hätte man Ihren Cousin immer noch nicht gefunden.“
„Nun, Akira ist zäh. Solange sie ihn nicht in einem schwarzen Sack ausfliegen, habe ich keine Angst um ihn.“ Sie sah ihren Adjutanten an. „Philip, wann treffen die ersten Siedler ein?“
„Genau nach Plan. In zwei Tagen werden die ersten Generalvertreter namhafter Firmen die Produktionsstätten ihrer Konzerne an Bord in Betrieb nehmen und mit dem Vertrieb beginnen.
Die ersten Zivilisten treffen in der Woche darauf ein. Es wird Sie freuen zu hören, dass die Plätze an Bord bereits jetzt doppelt überzeichnet sind.“
„Na, dann sollten wir Aktien rausgeben und keine Arbeitsplätze mit Wohnungen anbieten“, schmunzelte Sakura.
Sie wandte sich wieder um und ließ ihren Blick durch die Zentrale schweifen. Dieser Platz, dieser Ort würde für mindestens ein Jahr ihr neues Zuhause werden.
„Noch etwas, Ma´am. Wir haben eine Anfrage auf bevorzugte Behandlung entgegen genommen. Eine Gruppe Menschen hat sich auf Sie berufen und hat verlangt, geschlossen aufgenommen zu werden.“
Sakura nahm die dargebotene Akte entgegen und blätterte sie schnell durch. Ihr Grinsen wurde dabei immer breiter. Als sie das Dokument wieder zuklappte und zurück gab, sagte sie: „Na, dann richten Sie doch mal Miss Joan Reilley aus, dass ich für die Frau, die mit meinem kleinen Bruder zusammen ist, keine Extrawurst brate.“
Der Mann salutierte. „Jawohl, Ma´am.“
„Philip, nicht so hastig. Aber für den Popstar Joan Reilley und ihre Band schon.“
Der Mann lächelte erleichtert. „Gute Entscheidung. Ich bin großer Joan Reilley-Fan.“
„Ich auch“, erwiderte die Admirälin. „Ich auch.“

4.
Als die Augenbinden wieder abgenommen wurden, befanden sie sich auf trockenem Grund. Ich musste nicht an mir herab sehen um zu wissen, dass sich der Schlamm meterdick auf meinen Schuhen abgelegt hatte. Meine Uniform selbst starrte vor Schmutz und Schlamm. Außerdem störte die vorwitzige kleine Vogelspinne, die mir nun schon seit einer halben Stunde auf der Schulter hockte. Einer der Männer hatte es witzig gefunden, sie mir aufzusetzen.
Vorsichtig griff ich zwischen Vorderkörper und Hinterleib zu und brachte die Riesenspinne zum nächsten Dickicht.
„Takei-sama, du bist aber mutig. Ich hätte ja nur geschrieen, was die Lungen hergeben“, staunte Yamagata.
Ich versteckte meine zitternden Hände hinter meinem Rücken und lächelte sie an. „Nun, das arme Tier kann ja nichts dafür, dass es für einen derben Scherz her halten musste.“

Der Anführer der Gruppe trat an mich heran. „Dies ist unser Camp. Tief im Dschungel, gut abgeschirmt gegen Entdeckungen von oben. Hier seid Ihr sicher. Ihr könnt eure Leute rufen, aber heute nicht mehr. Kommt, kommt, wir bringen euch unter.“
„Danke“, sagte ich leise.
„Schon gut. Wir machen es ja nicht umsonst. Ihr habt die Raketen gehört. Ihr wisst jetzt, wie die Argentinier sind. Außerdem könnt Ihr uns sicher Medikamente und Ausrüstung überlassen.“
„Solange es Nichtmilitärische Ausrüstung ist, sicher“, sagte ich ernst, während ich dem Offizier folgte. Unter den Bäumen standen nur wenige Hütten. Und kaum Licht war zu sehen. Wir selbst fanden unseren Weg nur, weil der Offizier mit zweien seiner Leute den Boden ableuchtete.

Und dann… Standen wir plötzlich in einer riesigen Halle.
„Ja, da soll mich doch…“, rief Yuri, als er durch die sich mehrfach überlappenden schwarzen Folienbahnen trat.
Ich pfiff anerkennend. Was wir zu sehen bekamen, war wirklich nicht von schlechten Eltern.
„Diese Halle“, fragte ich unseren Führer. „Ein alter Tempel?“
Der Mann grinste mich an. „Ihr Amerikaner. Warum muß bei euch jeder Gigantbau im Dschungel automatisch ein alter Tempel sein? Nein, das ist ein Überbleibsel aus dem Krieg mit den Kronosiern. Für den Fall eines Angriffs sollten hier Mechas stationiert werden. Aber die UEMF hat nie welche geschickt.“
„Argentinien wurde auch nie angegriffen“, wandte ich ein.
„Das hat das Militär noch schlechter verdaut“, erwiderte der Offizier. „Jedenfalls, wir verwenden die Hallen nun. Im Hintergrund sind Waschgelegenheiten und Schlafplätze. Es reicht für alle. Und warmes Essen gibt es auch. Sie dürfen sich bedienen, heißt das.“
Ich blieb kurz stehen und musterte den Mann. „Warum sind Sie so nett zu uns?“
Der Mann lachte mich an. „Wir sind Toba. Das macht uns beide zu Verbündeten.“
„Wir sind Toba?“
„Nein. Ich und meine Leute, wir sind Toba. Das heißt, unsere Vorfahren waren es. Bis die Argentinier sie beinahe ausgerottet haben. Und nun versuchen sie es wieder. Deshalb sind wir Verbündete.“
„Die UEMF mischt sich aber nicht in interne Angelegenheiten ein“, warf ich ein. „Ich kann Ihnen nichts versprechen.“
„Wir planen keinen Angriffskrieg. Wir wollen nur hier, wo wir leben, in Ruhe gelassen werden. Dazu brauchen wir keine Waffen. Nur ein wenig Ignoranz der Argentinier. Kommen Sie, Kommen Sie, ich zeige Ihnen mehr.“

Ich wollte dem Mann gerade folgen, als mein Blick nach Rechts driftete, als würde ein Magnet Eisenspäne anziehen. Langsam ging ich in diese Richtung, erkannte eine riesige schwarze Plane, die gut acht Meter in die Höhe ragte.
Ich hob die Plane an, kletterte unter sie und pfiff erneut. „Düster wie in einem Bärenarsch.“
Der Offizier lachte und gab einen spanisch klingenden Befehl. Kurz darauf summte ein Elektromotor, und die Plane wurde eingeholt.
„Ich ahnte es. Ein Daishi Beta“, stellte ich fachmännisch fest.
„Du bist Pilot? Wie Akira Otomo?“, fragte mich ein anderer Mann. „Den haben wir gefunden. Sauber gemacht. Die Elektronik repariert. Aber keiner kann ihn steuern.“
„Ich bin Pilot. Der Allerbeste“, sagte ich leise. „Darf ich?“
Ohne eine Antwort abzuwarten kletterte ich ins offene Cockpit. Unwillkürlich assoziierte ich meine Umgebung mit Primus. Auch er war ein Daishi Beta gewesen.
Der Computer mit der KI erwachte zum Leben. „Synchronisation?“
Ich nickte. „Warum nicht. Ich bin John Takei, Testpilot. Gleiche meine Hirnwellenmuster ab. Ich bin ab sofort dein primärer Benutzer.“
„Ich bestätige. Synchronisation erfolgt. Benutzer John Takei ist hundert Prozent tauglich. Ich erwarte Ihre Befehle.“
„Geh wieder schlafen. Vielleicht gebe ich dir Morgen einen Namen“, schmunzelte ich.
„Was haben Sie gemacht? Von uns hat noch keiner mit der Künstlichen Intelligenz gesprochen!“, rief der Offizier aufgeregt.
„Wie ist eigentlich Ihr Name?“, fragte ich geradeheraus.
„José. Nennen Sie mich José. Mehr zu wissen kann schlecht für uns werden.“
„Nun, mein Freund, wie ich erwähnte, bin ich Mecha-Pilot. Ich habe mit Daishis eine hohe Kapabilität. Wahrscheinlich die Höchste, die jemals gemessen wurde. Der Daishi hat das sofort erkannt.“
„Können… Können Sie meine Leute auf ihm ausbilden?“, fragte der Offizier vorsichtig.
„Vielleicht“, sagte ich. Immerhin wollte ich den Mann nicht vergrätzen.
José musterte mich nachdenklich. „Morgen. Kommen Sie, kommen Sie jetzt. Waschen Sie sich, essen Sie etwas. Und schlafen Sie.“
Ich lachte leise. „In der Reihenfolge?“
„In der Reihenfolge.“
**
Als die Granate explodierte, war ich sofort hellwach. Automatisch begann ich zu sprinten und bevor ich mich versah, hatte ich den Daishi Beta erreicht. Was war los? Was passierte? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich beim ersten Waffenlärm reagiert hatte.
Yamagata grinste mich aus dem Cockpit an. „Moment noch, Takei-sama. Die Waffensynchronisation hat gelitten. Und du willst doch gerade aus schießen, oder?“
Fred kam von hinten und wischte sich die öligen Finger ab. „Ich habe gerade die Ausstoßöffnungen der Triebwerke durchgesehen. Junge, an dem Ding war aber ein halbes Leben keiner mehr.“ Als er meinen erstaunten Blick bemerkte sagte er: „Wir konnten nicht schlafen. Da haben wir in Allerherrgottsfrühe eben ein wenig am Daishi rum gefummelt.“
„Ach so.“

José kam in die Halle gelaufen. „Übel. Sehr übel“, sagte er. „Wir wurden entdeckt. Wir werden angegriffen. Wir evakuieren die Siedlung. Es gab schon die ersten Verletzten. Wir müssen weg sein, bevor sie die Hubschrauber rufen.“
„Wir können den Daishi mit nehmen“, verkündete Yamagata fröhlich.
Dem Halbindianer fielen bei diesen Worten fast die Augen raus. „Was?“
„Ja“, fiel nun auch Jackson ein, „wir haben ihn soweit wieder hergerichtet. Das Meiste haben Ihre Leute schon geleistet, Respekt dafür. Aber hier und da musste doch ein Fachmann ran.“
Yamagata sprang aus dem Cockpit hervor. „So, Takei-sama. Es gehört ganz und gar dir.“
Ich wechselte einen schnellen Blick mit José. „Wie weit sind sie noch entfernt?“
„In zehn Minuten sind sie mit Jeeps in der Siedlung. Ihre Mörser erreichen uns schon.“
Wie zur Bestätigung hörten wir wieder Explosionen.
Ich schwang mich ins Cockpit und schnallte mich an. Für einen kleinen Kampf in Erdnähe würde ich wohl kaum einen Druckanzug brauchen. Allerdings würde mir der fehlende Helm und die damit fehlende Synchronisationsverbesserung zu schaffen machen.
„Guten Morgen. Bist du bereit?“
„Sie haben mir einen Namen versprochen, John Takei“, sagte die Künstliche Intelligenz.
Kurz dachte ich nach. „Nennen wir dich Blue, bis mir was Besseres einfällt.“

Vor uns öffnete sich das Hangartor. Ich setzte Blue in Bewegung und schritt langsam hinaus. Neben mir bemerkte ich meine beiden russischen Kollegen, die erst entsetzt herauf sahen, dann aber beide Daumen hoben. Ihr Grinsen als fies zu bezeichnen wäre eine Untertreibung gewesen.
Als wir den Hangar verlassen hatten, fragte ich: „Wie sieht es aus, Blue? Irgendwelche Feindaktivitäten?“
„Aktive Mörser einen Kilometer voraus. Große Lichtung. Hinter uns bewegen sich Menschen zu Fuß und mit Jeeps in den Wald. Rund um uns gegen in Erdlöchern Soldaten in Stellung.“
„Soldaten in Erdlöchern als freundlich deklarieren. Zivilisten und Jeeps hinter uns neutral.“
„Ja, Sir.“
„Es sollen Jeeps auf die Siedlung zu kommen. Versuche sie zu erfassen und gib Meldung, sobald es dir gelungen ist. Hat dieser Mecha Waffen?“
„Nur die Raketen. Sechzig Schuss. Eine externe Waffe wurde in der näheren Umgebung nicht gefunden.“
„Mist.“ Ich hatte ja nicht gerade eine Artemis-Lanze erwartet, aber irgend etwas scharfes, spitzes, gefährliches wäre mir schon Recht gewesen.
„Da kommen die Jeeps, Sir!“, meldete Blue.
Ich suchte kurz und fand sie. Fünf Stück, die mit feuernden MG-Aufbauten in die Siedlung fuhren.
Ich setzte Blue in Bewegung und versenkte seinen linken Fuß kraftvoll in der Erde vor dem ersten Jeep.
Die Besatzung sah erst ungläubig auf den riesigen Metallfuß, dann auf das dazugehörige Bein. Als sie entdeckten, was noch dazu gehörte, sprangen die Soldaten ab und hetzten in den Wald zurück. Die hinteren beiden Jeeps wendeten und fuhren zurück. Die anderen beiden wurden ebenfalls aufgegeben.
„José“, rief ich über Außenlautsprecher, „noch Bedarf an drei kaum gebrauchten Allradfahrzeugen?“
„Aber immer doch!“, antwortete der Mann lachend.

Neben mir explodierte eine Mörsergranate. „Ach ja, die sind ja auch noch da.“ Ich ließ Blue steigen. Anschließend nahmen wir Kurs auf die Mörserstellungen. Als ich knapp davor landete, war die Erschütterung so groß, dass bei den Mörsern kein Mann mehr auf den Beinen stand. „Geht!“, rief ich den Soldaten zu. Die meisten hatten nichts eiligeres, als meinem Befehl nach zu kommen. Genüsslich zertrat ich die Mörser.
„Es macht wirklich Spaß, der größte Junge auf dem Schulhof zu sein“, lachte ich.
„Kampfhubschrauber“, warnte Blue. Ich checkte die Anzeigen und erhob mich in die Luft. „Na wartet, ich und Blue können auch fliegen. Wie viele?“
„Drei Zweisitzer. Wahrscheinlich amerikanische Apache.“
„Keine Bedrohung für den besten Piloten der Welt“, murmelte ich.
**
„Ma´am, ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass unsere Scouts in der Nacht das Versteck der Entführer aufgespürt haben.“
Megumis Herz schien wieder rasen zu wollen. „Die Geiseln! Geht es ihnen gut?“
„Wir konnten das Camp leider nicht erobern. Die Guerillas verfügen über einen aktiven Daishi Beta. Er hat unseren Angriff im Alleingang zurück geschlagen.“
Megumis Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ein Daishi? Damit habe ich während des Krieges meinen Hangar tapeziert. Genehmigen Sie mir die Einfuhr von Lady Death und in einem halben Tag gehört das Camp Ihnen.“
„Das wurde bereits diskutiert, Colonel Uno. Aber die Bundesregierung verbittet sich die Einmischung in unsere internen Angelegenheiten. Sie wird kein UEMF-Material auf unserem Staatsgebiet dulden.“
Megumi ließ den Kopf hängen. Akira war in Gefahr, und sie sollte nichts tun können?
„Allerdings, Colonel“, begann der Offizier wieder, „wenn Sie mit einem Daishi Gamma zurecht kommen würden…“

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5.
Ich fühlte mich gut, wirklich gut. Im Moment hielt ich den Apache an der Schnauze fest, während ich mit der freien Mecha-Hand den Schwanz abbrach. Damit schlug ich den Hauptrotor ab und setzte das Wrack neben mir zu Boden. Pilot und Waffenoffizier verließen den zerstörten Helikopter so schnell sie ihre Beine tragen konnten.
„Yiihaaaaa! Das hast du gut gemacht!“, erklang Josés Stimme über Funk. „Jetzt trauen sich die Argentinier gar nicht mehr hierher und wir können in Ruhe verschwinden!“
„Ich wäre mir da nicht so sicher“, brummte ich, als Blue Zielerfassungslaser anzeigte. Kurz darauf meldete er den Abschuss von Sidewinder-Raketen. Ein Kampfjet hatte aus einer Distanz von über vier Kilometer auf mich geschossen.
Ich lächelte verächtlich. Gemächlich ging ich in die Hocke, riss dem zerstörten Apache beide Kufen ab. Ja, die Dinger waren brauchbar.
Alles was ich nun noch tun musste war warten. Und auf meine Reflexe vertrauen.

Die Raketen, die wir für die Mechas verwendeten, hatten nur begrenzte Steuerfähigkeiten und waren relativ klein. Deshalb reichten sie nur für geringe Entfernungen in einer Atmosphäre.
Ihr Hauptziel war es, als Schwarm zu treffen und als Schwarm Schaden zu verursachen.
Die Dinger, die da gerade auf mich zukamen aber wurden über Kilometer ins Ziel gesteuert. Jede einzelne wog hundert Kilo und war über zwei Meter lang. Hier sollte eine Rakete genügen, um ein feindliches Flugzeug abzuschießen. Entsprechend gering war die Anzahl der Raketen, die ein modernes Jagdflugzeug aufnehmen konnte.
„Jetzt!“, ging es mir durch den Kopf. Beinahe automatisch riss ich die Arme auseinander, die Kufen in den Händen. Ich erwischte die als Paar abgefeuerten Sidewinder voll. Einer wurde gegen den getarnten Hangar geschleudert, wo er explodierte. Der andere taumelte, stürzte in den Dschungel und ging dort hoch.
„Wie weit seid Ihr mit der Evakuierung?“, fragte ich.
„Noch drei Minuten, und wir sind alle unterwegs. Dann musst du noch zehn Minuten unseren Rückzug decken, El Magnifico.“
„Du kriegst deine dreizehn Minuten, José“, versprach ich ernst. El Magnifico. Das klang gut. Ich nahm mir vor, ihn beizeiten zu fragen, was es bedeutete.
**
„Entschuldigen Sie, Colonel, aber dieser ältere Druckanzug ist das Einzige, was wir Ihnen anbieten können. Wir sind nicht darauf ausgelegt, im Verbund mit Mechas zu arbeiten.“
„Schon in Ordnung, Captain. Wurde der Daishi Gamma durchgecheckt?“
Der Luftwaffenoffizier nickte. „Sie können sofort starten. Wir haben eine Karte eingespeist, die Sie direkt ans Ziel bringen wird. Bitte vergessen Sie nicht, Sie müssen lediglich den Daishi Beta beschäftigen. Meine Fallschirmjäger befreien die Geiseln.“
„Vielleicht wäre es einfacher, wenn wir auf die Forderungen der Guerillas warten“, merkte Mamoru Hatake leise an.
Der Luftwaffenoffizier fuhr herum. „Nun, Major Hatake, ich denke auch, das wäre eine gute Idee. Aber Colonel Uno besteht ja auf diesem Einsatz.“
„Lassen Sie mich mit ihr alleine. Vielleicht kann ich sie überreden.“ Mamoru sah dem Mann in die Augen. „Bitte.“
„Schon verstanden. Sie haben fünf Minuten, um den Start zu verhindern. Viel Glück. Diese Frau hat einen starken Willen.“

„Was hast du für mich?“, fragte Megumi leise.
„Die Franzosen schicken uns dreißig Mann mit Dschungelkampferfahrung. Sie werden gerade von Hubschraubern in Position gebracht. Genau hier, du kannst sie jederzeit abrufen. Sie hören auf dein Kommando.
Und der OLYMP hat eine Fregatte über Argentinien geparkt. An Bord ist Doitsu mit vier SPARROWS, sechs HAWKS und zwei EAGLES. Sie können binnen einer halben Stunde überall sein, wo du sie brauchst. Du siehst, du bist nicht alleine.“
„Danke, Mamo-chan“, sagte sie und setzte den Helm auf.
„Moment, warte mal.“ Mamoru beugte sich vor und half die Helmanschlüsse mit dem Mecha zu verbinden. „So geht das. Jedenfalls, auch wenn es nicht so aussieht, wir haben hier mitten in ein Wespennest gestochen. Ich habe noch keine Beweise, aber ich bin sicher, die Argentinier sind am Absturz des Shuttles nicht ganz unschuldig. Ich glaube, sie haben da jemanden auf dem Kieker, einen gewissen John Takei, Amerikanojapaner. Testpilot für Mechas bei Luna Mecha Research. Soll angeblich einer der Besten sein. War aber, soweit ich das erkennen konnte, nicht mit auf dem Mars.“ Mamoru zuckte mit den Achseln. „Könnte glatt Akira in Tarnidentität sein.“
Megumi warf ihm einen zweideutigen Blick zu.
Mamoru begann zu prusten. „Ach komm, das ist doch nicht dein Ernst. Wie viele Klischees will er denn noch bedienen?“
„Das ist mir egal. Solange er heute Abend noch lebt. Dann kann ich ihm wenigstens ohne Gewissensbisse den Hosenboden stramm ziehen“, brummte sie ärgerlich. „Okay, warum wollen die Argentinier John Takei töten?“
Mamoru dachte kurz nach. „Ich habe mit Daisuke gesprochen. Er sitzt ja mit seinem Bataillon, den Kottos, in Aldrin auf dem Mond. Er meinte, vor ein paar Tagen hätten die Marodeure versucht, einen LMR-Piloten um seine Fracht zu erleichtern, einen experimentellen Booster. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, glaube ich nicht, dass Daisuke nicht herausgefunden hat, wer John Takei ist. Und dann hat der Kerl die Frechheit und lügt mir noch ins Gesicht. Unglaublich.“
„Mamo-chan“, ermahnte Megumi den Freund schmunzelnd.
„Jedenfalls hat John Takei vier von neun angreifenden Daishis ausgeschaltet, bevor Daisukes Hotel-Kompanie eintraf und die Angreifer verscheuchte.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Marodeure keinen weiteren Angriff wagen, solange LMR über einen derart vorzüglichen Piloten verfügt.“
Mamoru kratzte sich am Haaransatz. „Ich habe Daisuke natürlich gesagt, dass die Marodeure vielleicht wissen, dass Takei nicht auf dem Mond ist und nun in Armstrong angreifen könnten.
Er hat eine komplette Kompanie HAWKS nach Armstrong verlegt. Unter größter Geheimhaltung, natürlich. Falls die Marodeure kommen, werden sie sich wünschen, John Takei würde sie empfangen.“
„Gute Arbeit wie immer, Mamo-chan. Ach, du hast übrigens noch drei Tage Zeit, bis du deine Bewerbung für die AURORA abgeben musst. Du kommst doch mit, oder?“
Der Infanterist und Geheimdienstoffizier sah betreten zu Boden. „Ich… ich weiß nicht.“
„Ach komm, ohne dich wird das doch kein Spaß. Und Akira wird auch mitfliegen. Falls ich heute etwas von ihm übrig lasse.“
Megumi zwinkerte dem Freund zu und schloss die Luke des Daishi Gamma.
Hastig lief Mamoru zur Seite, um dem startenden Mecha nicht im Weg zu sein. Der Luftwaffenoffizier empfing ihn grinsend. „Hat wohl nicht geklappt, Herr Major?“
„Nein, hat nicht geklappt. Sie ist eine ungewöhnliche Frau mit einem sehr starken Willen. Sie war nicht umsonst drei Jahre lang der Champion der Erdverteidigung.“
„Diese Formulierung hat mich immer gewundert. Wieso war? Wurde Colonel Uno schlechter?“
Mamoru grinste schief. „Nein, es kam jemand, der besser war als sie. Viel besser.“
**
Megumi ließ den Gamma in zweitausend Meter Höhe gen Süden rasen. Die Instrumente waren etwas anders angeordnet als in ihrer Lady Death, doch generell bereitete es ihr kein Problem, sich zurecht zu finden. Nicht einmal die Synchronisation hatte Probleme bereitet.
„Okay, ich habe einen Namen für dich“, informierte sie die Künstliche Intelligenz des Daishi. „Du heißt Chibi.“
„Chibi. Ist das japanisch?“, fragte die KI.
„Ja. Das ist ein Kosewort. Es bedeutet niedlich oder klein auf eine süße Art. Wir setzen es gerne vor die Namen von Kleinkindern.“
„Ich muß Sie darüber informieren, Colonel, dass ich ein Daishi Gamma bin, und kein Kleinkind“, protestierte die KI.
„Aber süß bist du doch, oder?“, erwiderte Megumi nonchalant und beendete damit die Diskussion. „Wann erreichen wir unser Ziel?“
„Sieben Minuten, Ma´am.“
„Gut. Gibt es Nachrichten vom Daishi Beta?“
„Er hat soeben zwei Apache Kampfhubschrauber vernichtet. Und im Moment versucht er, einen Mirage-Kampfjet abzufangen.“
„Was sagt die Infanterie vor Ort, kommen sie bis ins Lager durch?“
„Negativ, Colonel. Das Lager wurde geräumt, die Insassen verlegen durch den Dschungel. Sie würden die Guerilla ja verfolgen. Aber sie haben dem Daishi Beta nichts entgegen zu setzen. Wir können nur darüber spekulieren, wie es den UEMF-Angehörigen geht.“
„Wehe, du lässt dich töten, Akira“, blaffte Megumi zornig. „Dann erwecke ich dich wieder zum Leben und töte dich selbst noch mal!“
**
Ich stieg mit meinen Mecha auf anderthalb Kilometer Höhe. Die Jet blieb außerhalb meiner Reichweite, feuerte aber ein zweites Paar Raketen auf mich ab. Auch die erwiesen sich als nutzlos. Seelenruhig hielt ich meine Position. Und hoffte dabei, dass der Kampfpilot die Nerven verlor und mich direkt angriff.
Als Blue die Annäherung der Jet meldete, huschte ein Grinsen über mein Gesicht. Ich hatte ihn entnervt. Der Mann griff an.
Wieder feuerte er Raketen, und als er nahe genug war, auch die Bordwaffen. Auf diesen Moment hatte ich gewartet. Ich tauchte unter der Spur der Leuchtspurgeschosse hinweg, kam sofort wieder hoch und war nun hinter dem Jet, einer französischen Mirage. Sofort öffnete ich die Raketenwerfer und feuerte eine volle Salve aus zehn Raketen auf meinen Gegner.
Acht erfassten das Ziel, von denen fielen aber drei auf Gegenmaßnahmen herein. Die anderen trafen und verteilten die Wucht ihrer Explosionen auf die linke Tragfläche und das Heck.
Nun war ich mit Blue selbst heran. Die Raketen hatten ihn nur ablenken sollen, damit ich die eigentliche Waffe anbringen konnte – mich.
Ich ließ Blue die Tragfläche umklammern, dann sauste die andere Hand des Mechas herab und traf die Panzerung. Mit zwei schnellen Hieben hatte ich den Flügel durchschlagen. Die gleiche Prozedur verfolgte ich etwas höher. Wieder schlug ich ein Loch hinein.
Nun schien der Pilot zu ahnen, was ich vor hatte und versuchte meinen Daishi mit einem gewagten Manöver abzuschütteln. Zu diesem Zeitpunkt aber war die Struktur des Flügels bereits zu beschädigt. Das Gewaltmanöver kostete seinen Preis, der Flügel riss ab. Ich ließ ihn los und sah fasziniert dabei zu, wie er gen Boden segelte.

Vor mir begann die Jet zu taumeln und stürzte ab. Ich eilte hinterher, umklammerte den Kampfjet und stabilisierte seinen Kurs.
Pilot und Waffenoffizier nutzten die unverhoffte Gelegenheit, um sauber auszusteigen. Kurz darauf ließ ich die Jet in den Dschungel stürzen.
Ich war zufrieden mit mir, sehr zufrieden.
„Annäherungsalarm“, meldete Blue. „Ein Daishi Gamma nähert sich schnell von Süden.“
Unwillkürlich sah ich auf. „Wie weit entfernt?“
„Fünf Kilometer. Kommt schnell näher.“
„Sehr gut. Mir begann schon langweilig zu werden.“
**
Megumi kam schnell in Reichweite der gegnerischen Einheit. Sie eröffnete den Angriff bereits aus Maximaldistanz für die Raketen, denn sie wollte hier so schnell es ging fertig werden, damit die Suche nach Akira endlich voran gehen konnte.
Von der Zehnersalve erfassten sieben den Daishi. Fünf wischte der Beta mit seinem Raketenabwehrsystem aus der Luft und lediglich zwei trafen.
„Das dauert wohl doch länger“, brummte Megumi unwillig und brachte das A5 Sniper in Schussposition. Wenn die Kronosier eines gut gemacht hatten, dann diese Mecha-Waffe. Gut ausbalanciert, sehr treffsicher. Es war keine Artemis-Lanze, aber dennoch durchschlagkräftig.
„Na dann zeig mir mal dein hässliches Gesicht.“ Beinahe stimmte es sie fröhlich, dass der Kampf noch ein wenig andauerte. Es war schon viel zu lange her, dass sie den Adrenalinschub einer echten Schlacht erlebt hatte.
Sie visierte den gegnerischen Mecha-Piloten an und feuerte eine Serie von fünf Schuss in schneller Folge ab. Der erste war dazu ausersehen gewesen, ihn zu treffen. Die anderen vier sollten ihn erwischen, wenn er auswich – falls er dafür überhaupt ein Talent hatte.
Tatsächlich wich der Beta nach Rechts aus und damit mitten hinein in den nächsten Schuss. Das kam eben davon, wenn man Amateure die Arbeit von Profis machen ließ.
Megumi lächelte kalt… Und spürte ihre Gesichtszüge erstarren, als der Beta dem Schuss entging. „Er ist gut“, hauchte sie und drückte ihren Gamma tiefer, Richtung Erdboden, um aus der Deckung des Waldes einen neuen Versuch zu wagen.
**
„Ach, bitte. Soll das etwa alles gewesen sein?“, murmelte ich fast ein wenig beleidigt. Raketenbeschuss auf Maximaldistanz. Wo war da die Herausforderung? Die beiden Raketen, die auf mich und Blue zuhielten, wischte ich mit den kräftigen Händen des Daishi beiseite. Sie explodierten links und rechts von mir, ohne Schäden anzurichten.
„Zoom mir den Gegner mal ran“, hauchte ich leise.
Blue tat wie geheißen und ich besah mir den Gamma genauer. Und bekam noch mit, wie die Waffe in seinen Händen, ein kronosischer Sniper, wohlgemerkt, einmal kurz anruckte. Meine Reflexe übernahmen sofort und ließen Blue nach Links driften, noch während ich drei weitere Rucke dieser Art erkannte. Dieser Mistkerl schoss eine Serie! Egal in welche Richtung ich mich wenden würde, eine Kugel würde meinen Mecha treffen… Wenn ich ein normaler Mecha-Pilot gewesen wäre. So aber riss ich den Beta aus der Schussbahn des heran rasenden Projektils. „Interessant. Scheint so, als hätte der da richtiges Scharfschützentraining absolviert. José, wie weit seid Ihr?“
„Wir sind weg. Du kannst auch verschwinden, El Magnifico.“
„Ich bin hier leider noch ein wenig beschäftigt. Sei so gut und bring meine Leute für mich in Sicherheit, ja? Ich werde später nachkommen.“
„Sei vorsichtig. Je länger du brauchst, desto mehr Verstärkung können die Argentinier heran bringen“, ermahnte mich der Indianer.
„Das hast du gut erkannt, José“, erwiderte ich und sah dabei zu, wie der Gamma sich fallen ließ, dem Erdboden entgegen. Anscheinend wollte er sich einen guten Platz für seinen Sniper suchen.
„Oh nein, nicht mit mir, Schätzchen!“, blaffte ich und feuerte eine volle Raketensalve ab.
Den Deckschatten des Angriffs nutzte ich für eine Attacke.
**
Megumi sah die ankommenden Raketen schon lange bevor Chibi sie warnte. Ihre Augen erfassten die Spitzen der Kondensstreifen beinahe sofort. Der Computer richtete das Raketenabwehrsystem daran aus und begann zu feuern.
Drei Raketen entkamen dem Beschuss. Verdammt, das kronosische System war reichlich schwerfällig. Sie gab Schub auf die Manöverdüsen und glitt zwischen den letzten drei Raketen durch, die harmlos unter ihr im Wald explodierten.
Ihren Fehler erkannte sie erst, als sie instinktiv einen Arm hoch riss, um den Schlag mit der Hubschrauberkufe abzuwehren. „Was zum…?“
Der Beta war heran gekommen, hatte die Explosionen der eigenen Raketen als Tarnschirm genutzt. Und nun wollte er in den Clinch mit ihr.
Megumi setzte die Mündung ihrer Waffe auf dem gegnerischen Cockit auf. „Habe ich dich, du unvorsichtiger…“
Weiter kam sie nicht, denn der Beta ergriff den Lauf ihrer Waffe, riss diese mit sich und schleuderte sie mitsamt des Gamma über sich hinweg.
Megumi war überrascht. Sie hätte nicht zögern dürfen. Wenn sie einen zweiten Versuch bekam, schwor sie sich, würde sie zuerst feuern. Und dann würde sie ihn auffordern, sich zu ergeben.
**
Für einen winzigen Moment war ich überrascht. Ich hatte mich dem Gamma blitzschnell genähert, ihn attackiert. Und sofort danach hatte sich der gegnerische Pilot gefangen und setzte mir die Mündung seines Snipers auf die Cockpitpanzerung. Hatte der Kerl Eis in den Adern?
Wieder übernahm meine lange Erfahrung – ich ergriff die Waffe mit beiden Händen und schleuderte den Daishi über mich hinweg.
Ein schwieriges, aber sicher kein unmögliches Manöver
Dennoch ging fast sofort danach ein Ruck durch den Mecha. Blue markierte mir einen glatten Durchschuss in der linken Beindüse.
Ich warf mich herum, aber da war mein Gegner schon wieder heran, legte auf meinen Sensorkopf an und drückte ab.
Doch das hatte ich voraus gesehen. Ich ließ Blue sacken, hielt aber direkt auf den Gamma zu. Dann stieg ich auf, kreuzte beide Arme vor der Brust und als ich den Gamma passierte, zog ich sie auseinander. Das Snipergewehr wurde getroffen und fiel langsam in den Dschungel hinab.
„Tja, wären das hier Herkules-Schwerter und keine Hubschrauberkufen gewesen, wärst du jetzt tot“, bemerkte ich grinsend. Ich warf meine Maschine herum, erwartete einen Konterangriff. Aber der kam nicht. Der Gamma verharrte reglos in der Luft.
Ich fintierte, ließ Blue wieder fallen und wollte von halbrechts zustoßen. Aber auch das löste keine Reaktion aus.
„Was ist los? Keine Lust mehr?“, rief ich über Lautsprecher.
**
Megumi fühlte sich, als würde sie unter eiskaltes Wasser gedrückt werden. Dieser Angriff, diese Pose… Sie kannte sie genau! Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie der HAWK Blue Lightning einen Angriff auf einen Pulk Daishi Alpha flog, dabei die Herkules-Klingen gekreuzt hielt - und dann drastisch auseinander riss, mit dem Ergebnis, dass zwei Wracks mehr im Weltall herum taumelten.
Konnte das wahr sein? Ihre Augen suchten den Daishi, der sie umtanzte und gegen sie fintierte. Hatten diese verdammten Argentinier sie dazu gebracht, gegen den Mann zu kämpfen, den sie eigentlich hatte retten wollen?
„Was ist los? Keine Lust mehr?“, hörte sie über Außenlautsprecher.
Ihr Herz machte einen Sprung, drohte ihr fast in der Brust zu platzen.
„AKIRA!“ Sie warf ihren Mecha herum, trieb ihn auf den Beta nieder und umklammerte die Maschine mit ihrem Gamma.
„Megumi?“, kam die ungläubige Antwort. „MEGUMI?“
„Akira“, schluchzte sie. „Ich habe dich so vermisst.“
„Können wir das erörtern, sobald wir nicht mehr mit acht Metern pro Sekunde in die Tiefe stürzen?“, fragte er.
**
Als der Daishi Gamma auf der Lichtung vor mir landete, gingen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Was war ich doch für ein Idiot. Ich hätte ihren unverwechselbaren Kampfstil erkennen sollen. Ihre Eloquenz, ihr Geschick, dass dem Mecha – egal welchem Modell – die Eleganz eines lebenden Menschen verlieh. Und was hatte ich stattdessen gemacht? Okay, ich hatte ihr Leben nicht direkt gefährdet. Aber wenn ich angegriffen hätte, während sie bewegungslos verharrt hatte – nicht auszudenken, was dann gewesen wäre.
Ihr Cockpit ging auf und sie kletterte hervor.
Für einen Moment kämpfte ich den übermächtigen Impuls nieder, mein eigenes Cockpit zu schließen und abzuhauen, weil ich mich immer noch nicht dazu bereit fühlte, ihr unter die Augen zu treten. Aber das war eine schlechte Idee. Sie hatte einen Gamma – und keine Skrupel, auf mich zu schießen.
Langsam schnallte ich mich ab und kletterte ebenfalls hervor.

Megumi nahm ihren Helm ab, warf ihn achtlos beiseite. Dann lag sie mir auch schon in den Armen. „Akira!“
Ich drückte sie an mich, genoss ihren Geruch, ihre Wärme, den zarten Klang ihrer Stimme.
Warum hatte ich Idiot nur so lange darauf verzichtet? Warum hatte ich sie nur so mies behandelt? War ein fast blindes Auge wirklich eine Rechtfertigung dafür? „Megumi“, hauchte ich. „Megumi, ich habe dich so vermisst.“
Sie sah mich an, in mein gesundes und mein weißes Auge. Ich dachte für einen Moment, sie würde etwas sagen wollen. Aber dann verschloss sie meinen Mund lediglich mit einem langen Kuss.
Ich glaubte überzuquellen vor Glück und Zufriedenheit. Und ich wollte mich nie wieder von diesem Flecken fort bewegen. Geschweige denn jemals wieder meine Arme öffnen.
Wie lange wir dort so standen konnte ich nicht sagen. Aber mein Grinsen musste wirklich peinlich ausgesehen haben, wenn sogar meine Megumi bei diesem Anblick lachen musste.
Sie legte den Kopf auf meine Brust und begann übergangslos zu weinen. Auch bei mir begannen die Tränen zu fließen. Mir wurde nur zu schwer bewusst, was ich uns beiden angetan hatte.
„Wenn ich diesen Luftwaffenoffizier in die Finger kriege“, murmelte sie leise und drückte sich noch ein wenig enger an mich. „Bringt mich dazu, auf meinen eigenen Freund zu schießen.“
Ich sah sie verblüfft an. „Du glaubst doch nicht etwa, dass die wussten, dass John Takei den Daishi Beta steuert?“
„Wovon träumst du eigentlich Nachts?“, warf sie mir vor. „Genau das glaube ich. Denk doch mal nach. Wenn Mamoru richtig recherchiert hat, haben die Argentinier das Wrack des Shuttles mit Raketen beschossen, oder?“
Ich nickte. „Das ist richtig.“
„Gut. Also waren sie nicht hinter der Fracht her. Das Wertvollste an Bord aber war John Takei, der Top-Pilot der LMR. Stunden später haben die Guerilla plötzlich einen Daishi Beta, der außerdem von einem erfahrenen Piloten gesteuert wird. Eins und eins macht… Na?“
„Der Versuch, einen Top-Piloten durch einen anderen Top-Piloten ausschalten zu lassen. In dem Gamma hättest du mir theoretisch überlegen sein sollen“, murmelte ich leise.
„Was mir gerade einfällt. Hast du das Ding wirklich ohne Helm und Druckanzug geflogen?“, fragte sie und sah mich aus großen Augen an.
Verdammt, wie hatte sie eigentlich noch hübscher werden können?
„Ich liebe dich“, hauchte ich und gab ihr einen langen Kuss.
„Lenk nicht vom Thema ab“, warf sie mir lächelnd vor, machte aber keine Anstalten, den Kuss zu unterbrechen.
Ich seufzte schwer. „Es war halt kein Helm verfügbar.“
Megumi sah mich an, dann schüttelte sie den Kopf. „Das gibt es doch gar nicht. Da mache ich mir anderthalb Jahre lang Sorgen um diesen Mann und hoffe, dass er etwas Sinnvolles tut.
Und was macht er? Er macht John Takei zum besten Piloten der gesamten Erde. Besser als ich in einem Daishi Gamma mit Helm, besser als der legendäre Blue Lightning.“

In mir zerbrach etwas. Es war mir, als würde eine Glasphiole in tausend Scherben zerspringen. Es war kein Schmerz, nein, eher so als würde etwas passieren, was schon lange überfällig gewesen war. Besser als Blue Lightning. Ich hatte John so weit gekriegt, dass er einen besseren Ruf hatte als meine eigentliche Identität.
Ein Wohlgefühl ging mir durch Mark und Bein. Zusammen mit dem Gefühl, mein Mädchen im Arm zu halten wurde ich von meinen Emotionen beinahe weg geschwemmt.
Ich spürte, nun war ich wieder bereit, um in mein Leben zurück zukehren.

„Also, was machen wir jetzt?“, fragte Megumi geradeheraus. „Ich nehme an, das mit der Guerilla, die dich und die anderen gefangen genommen hat, war übertrieben?“
Ich nickte. „Wir sind Gäste. Oder glaubst du, die hätten mich sonst in ihren einzigen Mecha gelassen?“
„Verstehe. Also haben argentinische Hubschrauber euch beschossen. Und argentinische Truppen haben euer Lager angegriffen. Und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn es ein Argentinier gewesen war, der den Daishi gesteuert hat, der euch vom Himmel geholt hat. Ich glaube, ich stehe auf der falschen Seite“, fasste sie zusammen.
Sie löste sich von mir und sammelte ihren Helm wieder auf. „Oberste Priorität hat nun sicherlich die Rettung der Kollegen von John Takei, oder? Anschließend sollten wir deine Gastgeber noch eine Zeitlang beschützen, bis sie untertauchen können. Und dann geht es ab nach Hause.“
Ich schüttelte den Kopf, trat neben sie und legte ihre eine Hand auf die Schulter. „Nein, Megumi. Ich werde vorher noch einmal zum Mond zurückkehren. Viele wichtige Projekte für Projekt Troja stehen kurz vor dem Abschluss, und ich will es aus erster Hand sehen.“
Megumi ließ den Kopf hängen. „Ich hatte mich aber schon drauf gefreut, dass du nach Hause kommst.“
Ich schmunzelte. „Es hat niemand gesagt, dass du mich nicht begleiten darfst, Megumi. Immerhin haben es jetzt nicht nur die Marodeure auf mich abgesehen. Da kann ich jede Hilfe brauchen, die ich kriegen kann.“
Sie sah mich wieder an und strahlte. „Na, das gefällt mir doch gleich viel besser. Also, steigen wir wieder in unsere Mechas und…“

Übergangslos sprintete ich los, passierte Megumi, ergriff dabei ihre linke Hand und zog sie mit mir. So schnell ich konnte, mit der jungen Frau im Schlepp, lief ich in den nahen Wald hinein. Hinter uns erklangen Explosionen, zwei, vier, acht, zwölf. Dann erklang der typische Überschallknall von zwei Kampfjets, die das Gelände überflogen. Eine Hitzewelle brandete über uns hinweg und ich konnte riechen, wie mein Haar zu schmoren begann.
Aber ich stoppte nicht, lief weiter, immer weiter.
„Napalm?“, rief Megumi entsetzt, sah aber nicht zurück sondern konzentrierte sich voll auf ihren Weg. Ich schlug einen Haken und rannte nun im rechten Winkel zu unserem bisherigen Kurs. Wir waren noch keine hundert Meter weit gekommen, als hinter uns wieder eine Serie Explosionen erklangen und wieder Hitze über uns hinweg brandete. Diesmal war ein Irrtum ausgeschlossen. Meine Haare verschmorten in der Hitze.
Plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen und stürzte in die Tiefe. Ich fiel vier, fünf Meter, bevor eine Schräge aus Erde mich langsam abbremste, während es noch einmal zehn Meter bergab ging. Megumi stürzte auf mich und atemlos blieben wir eine Zeitlang liegen.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich sie.
Die Elite-Pilotin nickte und nahm ihren Helm ab. Ich ergriff das Ding und warf es weit fort.
„Zieh dich aus!“, rief ich und begann mich aus meiner Uniformjacke zu schälen.
„Was, bitte? Willst du etwa hier…“
„Sie haben uns über deinen Helm wahrscheinlich belauscht. Und ich könnte es ihnen nicht einmal verdenken, wenn sie einen Peilsender im Anzug eingebaut haben.“
Mehr Worte bedurften es nicht. Megumi öffnete die Verschlüsse ihres Anzugs und legte ihn ab. Auch ihn warf ich weit von mir weg.
Dann reichte ich ihr meine Jacke. „Tut mir Leid, mehr kann ich dir nicht anbieten.“
Mein Blick ging über ihren Körper. Sie trug nur noch Unterwäsche. Und die stand ihr wirklich gut. Kurz dachte ich daran, dass es das Risiko wert wäre.
„Idiot“, ermahnte ich mich selbst.
Megumi wurde rot, während sie meine Jacke anzog und schloss. „I-ich habe nur ganz kurz dran gedacht. Seit wann kannst du Gedanken lesen?“
Entsetzt sah ich sie an. „Du auch?“
Wir wechselten einen schnellen Blick, voller Verheißung und voller Versprechungen.

Ich erhob mich und stellte mich mit dem Rücken zu Megumi. „Hüpf auf. Ich habe leider keine Schuhe für dich und die Stiefel des Druckanzugs sollten wir besser nicht benutzen. Ich will nicht, dass du hier in irgendetwas Gefährliches trittst, und wir müssen hier so schnell wie möglich weg.“
„Aber sind wir nicht schneller, wenn ich auch laufe?“, fragte Megumi während sie mir auf den Rücken kletterte.
Ich ließ meine Haare von meinem KI aufleuchten. Meine Beine fühlten sich plötzlich ganz leicht an und das Gewicht meiner Freundin war nicht viel mehr als das einer Feder. „Vertrau mir, Schatz“, hauchte ich ihr zu und lief los.

6.
„Major Hatake, es tut mir Leid, aber ich überbringe schlechte Nachrichten. Colonel Uno wurde im Kampf gegen den Beta besiegt. Sie ist abgestürzt, wir konnten bisher noch nicht zu ihr vordringen. Ihr Gegner wurde während des Kampfes aber schwer angeschlagen. Eine wartende Staffel Jagdbomber hat ihn dann sofort unter Feuer genommen.“
„So, so, Captain“, murmelte Mamoru und stellte sich so, damit der Argentinier nicht sehen konnte, wie er heimlich die Sicherung seiner Dienstwaffe ausschaltete.
„Kommen Sie, kommen Sie, der General will Sie sehen und die weiteren Dinge besprechen. Kommen Sie, Major Hatake.“
„Bin schon dabei!“, rief Mamoru, riss seine Waffe hervor und schoss aus allernächster Nähe auf den verdutzten Offizier.
Dies war das Zeichen für die sechs Infanteristen, die um die nächste Ecke auf den UEMF-Offizier gelauert hatten, um anzugreifen.
Mamoru erschoss zwei von ihnen und verletzte einen dritten schwer. Dann ergriff er die Flucht durch den großen Hangar, aus dem Megumi gestartet war. Er entledigte sich seiner Jacke und seiner Dienstmütze, warf beides in eine Ecke und nahm danach die Außenmauer der Kaserne in Angriff. Er überwand sie, sprang vier Meter in die Tiefe und kam gut auf. Sehr schön. Einen verletzten Knöchel hätte er sich in seiner Situation auch kaum leisten können.
Er lief weiter, auf die Innenstadt zu. Mit der Linken öffnete er die Krawatte und warf sie fort, die Rechte öffnete das Hemd. Nun hatte er nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem strengen Offizier der UEMF, der mit Colonel Uno hier angekommen war.
Mamoru nahm eine Seitengasse, dann noch eine, bevor er sich in Allerseelenruhe an den Straßentisch eines Cafés setzte und einen Espresso bestellte.
Aus der linken Brusttasche zog er seine Sonnenbrille hervor, setzte sie auf und lehnte sich zurück. Zwei vorüber schlendernden Frauen zwinkerte er zu und erntete dafür ein leises Kichern.

Als der Espresso kam, zog Mamoru sein Handy hervor, wählte eine geheime Nummer und sagte nur ein einziges Wort: „Wespennest.“
Danach deaktivierte er es wieder und schaltete es ganz aus. Er würde es still und heimlich in irgendeinem Abfallbehälter entsorgen, damit es ihm nicht gefährlich werden konnte.
Mit dem Codewort, an eine Geheimdienstzelle hier in Buenos Aires gerichtet, hatte er nicht nur das Scheitern der ganzen Mission erklärt, er hatte auch mitgeteilt, dass die offiziellen Stellen der Argentinier durchwegs als feindlich anzusehen waren.
Sein nächster Schritt musste nun sein, das Land zu verlassen. Oder an einem sicheren Ort unterzutauchen. Sein Training als Geheimdienstoffizier übernahm nun das Kommando.
Konnte er sich einer Zelle des UEMF-Geheimdienstes anschließen? Die Kontaktmöglichkeiten hatte er ja. Oder doch lieber fliehen? In seinem Portemonnaie steckte genügend Barvermögen, um notfalls bis nach Japan zu kommen.
Aber das war nicht seine Mission. Er hatte auf Megumi aufpassen sollen, während sie den wichtigsten Mecha-Piloten nach Akira hatte retten sollen. War diese Mission nun gescheitert?
„Megumi“, hauchte er und trank einen Schluck von seinem Getränk, „wehe du lebst wirklich nicht mehr. Akira würde mir die Hölle heiß machen.“
Er trank aus, legte einen großzügigen Betrag auf den Tisch und stand auf. Während er dahin schlenderte, warf er heimlich sein Handy in einen Mülleimer.

7.
„Ich muß los!“, rief Kitsune und kämpfte verbissen gegen die Kraft von Yoshi und Yohko an.
„Warte, warte, warte! Warum willst du unbedingt nach Argentinien?“, wollte Yoshi wissen. Er hatte seine Kraft schon mit seinem KI verstärkt, aber dieser Dämon brachte ihn tatsächlich an seine Grenzen.
„Megumi ist in Gefahr, ich spüre es genau!“
Diese Information erschrak Yoshi und seine Freundin derart, dass sie beide los ließen. „Ist das sicher?“, rief Yoshi bestürzt.
In diesem Moment klingelten sein und Yohkos Handy. Beide nahmen an, hörten konzentriert zu und nickten dann. Sie sahen sich an, nickten wieder und ergriffen jeder eine Hand der Fuchsdämonin, um sie hinter sich her zu ziehen.
„Einsatzbefehl. Wir müssen nach Südamerika. Megumi ist verschwunden.“
„Nicht nur das“, merkte Yohko an. „Unser Rumtreiber ist auch wieder aufgetaucht. Und steckt natürlich wieder mal in den dicksten Schwierigkeiten.“
„Ich bin wieder da!“, rief Akari fröhlich. Und registrierte verwundert, wie die drei an ihr vorbei hasteten.
„Schuhe brauchst du gar nicht erst ausziehen. Du kommst auch mit“, sagte Yoshi ernst.
Akari legte ihre Schultasche ab und folgte den dreien nach draußen. Dort fuhr gerade eine Limousine der UEMF vor. „Ja, aber… Aber… Wohin?“
„Wir holen Megumi-chan und Akira-chan nach Hause“, verkündete Kitsune fröhlich.
„Warum sagt Ihr das denn nicht gleich?“, rief Akari aufgeregt.
**
„Es ist nicht deine Schuld“, hauchte Mable Shawn ins Ohr. „Es ist absolut nicht deine Schuld.“
Der Anführer der Marodeure besah sich die Bilder, welche ihnen aufbereitet von einem Hubschrauber der Luftwaffe übermittelt wurden. Verbrannter Urwald, zwei Daishis, die vollkommen verkohlt und von großer Hitze deformiert wie Mahnmale in den Himmel ragten. Und Dutzende Soldaten der Fallschirmjäger, die das Areal sicherten und in kleinen Gruppen in den Wald eindrangen.
„Das sage ich mir auch immer. Aber so was habe ich nicht gewollt.“ Seine Faust sauste nieder und landete schwer auf der Konsole vor sich. „Verdammt. Wir wollen doch nur so leben, wie wir es gerne wünschen. Ohne die UEMF und ihre Bevormundung. Ohne den einen Herrn gegen den nächsten einzutauschen.“
„Du vergisst unsere Rache an der UEMF“, warf Clark Ryan ein.
„Rache?“, erwiderte Winslow. „Mit fünf Schiffen? Wenn du Selbstmordgelüste hast und auf jede Plattform ein Schiff abstürzen lässt vielleicht. Aber Rache…“
Shawn legte seinen Kopf auf beide Hände. „Nachdenken, los, nachdenken. Diese Situation ist unvorteilhaft, aber nutzbar. Das derzeitige Top-As der UEMF, Megumi Uno wird im Wald vermisst, angeblich getötet von einem Rebellen in einem Daishi Beta. Das aber wird John Takei gewesen sein. Mit ein wenig Glück haben sie die Angriffe mit dem Napalm nicht überlebt. Arh, was denke ich denn da? Mit Glück müssen sie gerade überlebt haben!“
Shawn sah wieder auf. „Unser Plan war zu hochtrabend. Mit Hilfe der Staaten, die nicht zur UEMF gehören einen eigenen Block zu formen, der zu eigenen Regeln das Weltall erobert, das war eine gute Idee, bis wir den Fehler machten, Politik zu betreiben. Bis die Argentinier sich diese Idee zu Eigen machten. Bis sie versuchten, daraus eine Vormachtstellung für ihr Land zu erarbeiten. Was sind wir denn jetzt noch? Bestenfalls Handlanger für sie! Und dafür opfern wir gute Leute und gefährden die Leben anderer guter Leute.“
„Es ist ja nicht gerade so, als gäbe es noch ein Zurück für uns“, warf Ryan ein,
Shawn Winslow nickte schwer. „Nein, das gibt es nicht. Also, zwei Top-Piloten sind gerade dabei durch den Dschungel zu kriechen. Die Argentinier sind am spielen mit ihnen und LMR in Armstrong ist relativ ungeschützt. Holen wir uns den Booster und die Baupläne. Und dann sollten wir uns mal ernsthaft mit China unterhalten!“
**
Eikichi Otomo musterte den Ausdruck in seiner Hand. Er beschrieb recht genau die Lage in der neuesten Krisenregion. Er wusste, ein falscher Schritt, eine Blöße oder auch nur der Ansatz einer Gelegenheit, und irgendjemand würde ihm in den Nacken springen.
Argentinien, ein hoch industrialisiertes Land, wagte nun also den Aufstand. Da es auf der Südhalbkugel lag, war es von den Angriffen der Kronosier weitestgehend geschützt gewesen. Es war deshalb niemals besonders stark in die UEMF integriert worden. Im Nachhinein war dies ein Fehler.
Laut dem Dossier in seiner Hand dienten zur Zeit lediglich vierhundertsiebzig Soldaten mit argentinischem Pass in der UEMF. Zu wenig, um in diesem Land eine tiefere Bindung mit der Verteidigungsfront aufzubauen.
Und selbst die geriet ins Wanken. Solange er seine Hand darauf hatte, wie die Güter von Mars und Mond in der Welt verkauft wurden, konnte er sie einigermaßen gerecht verteilen. Aber falls eines der Länder gierig wurde, die USA zum Beispiel, die bereits heute ein Viertel des Helium3 vom Mond für die Energiegewinnung verbrauchten, dann blieben ihm womöglich nur wenige Tage, bis die Koalition zerbrach.
Und mittelfristig würde dies dazu führen, dass sie wieder angreifbar wurden. Angreifbar für die Naguad.
„Abschaffen. Man sollte alle Staaten der Erde abschaffen“, knurrte Eikichi wütend.
Wespennest. Mamoru Hatake, der Sohn eines sehr guten Freundes von ihm, hatte Megumi-chan begleitet und in der Untersuchung unterstützt. Wenn der Sohn von Tate sagte, dass Argentinien als feindlich zu betrachten war, zweifelte er keine Sekunde daran, dass Mamoru Recht hatte.
Und zu allem Überfluss waren nun auch noch Megumi und Akira im Urwald verschwunden.
Eikichi nahm sein Telefon zu Hand. „Otomo hier. Besprechung in meinem Büro für den gesamten Stab in fünf Minuten. Die Direktoren sollen sich schon mal Gedanken wegen Argentinien machen. Üben wir zuviel Druck aus, müssen wir militärisch intervenieren. Üben wir zuwenig Druck aus, tanzen uns diese Tangofuzzies auf der Nase herum. Ach, und geben Sie Captain Ataka Bescheid. Er kann nach eigenem Ermessen mit seiner gemischten Kompanie eingreifen.“
Eikichi schaltete das Telefon wieder ab. Zuwenig Druck würden die Argentinier auf keinen Fall erhalten. Nicht mit einem besorgten Doitsu Ataka im Orbit, der nur zu bereit war, jederzeit einzugreifen, um seine Freunde zu beschützen.
„Hoffentlich war das nicht schon zuviel Druck“, murmelte Eikichi Otomo.
**
„Takei-sama“, hauchte Yamagata und sah nach Süden, wo dichte Rauchschwaden über dem Dschungel lagen.
„Dem geht es gut“, sagte Jackson, ergriff ihre Hände und zog sie mit. „Akira ist ein zäher Bursche. Der hat schon viel schlimmere Sachen überlebt.“
„Ja, aber hat er das überlebt?“, fragte die Japanerin mit Tränen in den Augen. „Akira?“
Fred Jackson brach in lautes Gelächter aus, als er die weit aufgerissenen Augen der jungen Technikerin sah. „Sag mal, bist du blind oder tust du nur so? Du bist doch nicht auf die gefärbten Haare und die Augenklappe herein gefallen? Etwa doch?“
„Weiter, weiter, zum reden ist später noch Zeit“, drängte José sie voran.
„Du bist wirklich drauf reingefallen?“, hakte Fred nach.
„Äh“, machte sie und wurde rot. „Akira?“
„Akira Otomo. Der beste Mecha-Pilot, den die Menschheit hat. Übrigens auch der erste Mecha-Pilot. Hat euch Kronosiern von Anfang an ganz schön was eingeschenkt“, kommentierte Fred grinsend. „Und glaub mir, wenn er nicht aus so einer Situation wieder rauskommt, wer dann?“
„Was ist denn los? Warum kommt Ihr nicht nach?“, fragte Juri und trat zu den beiden heran. Kurz entschlossen half er Jackson beim ziehen der Technikerin.
„Ach, sie hat nur gerade herausgefunden, dass John Takei nur eine Tarnidentität war.“
Juri grinste breit. „Hat sie also tatsächlich Colonel Otomo erkannt?“
„Was? Du weißt es auch?“, klagte die Technikerin erschrocken.
Juri zuckte die Achseln. „Gleiche Größe, Wunde am rechten Auge, wo er bei diesem Attentat verletzt wurde, exzellenter Mecha-Pilot. Mädchen, ich wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn er nicht Akira Otomo gewesen wäre. Aber halt die Klappe deswegen. Wir haben eine Regel mein LMR. Wer es herausfindet, der gibt es nicht weiter. Akira hat uns alle beschützt. Nun sind wir an der Reihe.“
„AAAH!“, rief Yamagata aufgeregt.
Die beiden Männer sahen sie erschrocken an. „Was hast du denn, Ai-chan?“, fragte Juri, unwillkürlich in Akiras Ansprache für die junge Frau fallend.
„Seine Freundin! Dann ist seine Freundin ja niemand anderes als Megumi Uno!“
„Das stimmt“, brummte Juri amüsiert. „Dieser verdammte Glückspilz.“
„So habe ich das nicht gemeint“, beschwerte sich Yamagata.
„Gut so. Sonst hätten wir uns noch Sorgen um dich machen müssen“, erwiderte Jackson zwinkernd. Er wechselte einen schnellen Blick mit Juri und wieder begannen beide zu ziehen.
„Otomo-sama“, hauchte Yamagata und starrte auf die Rauchwolken.

Epilog:
Es war stockdunkle Nacht. Ich wusste nicht, wie weit wir gelaufen waren, aber es mussten ein paar Kilometer gewesen sein, denn ich roch die Brände und das Napalm nicht mehr. Megumi und ich wagten es nicht, ein Feuer anzumachen, wir konnten zu schnell die falsche Fraktion anlocken. Außerdem wimmelte es rund um uns von kleinen Raubinsekten, Schlangen, Giftspinnen und bissigen Säugern. Alles in allem eine sehr ungemütliche Ecke, gerade für eine Rast.
Aber dennoch konnte ich mir keinen besseren Platz auf der Welt vorstellen. Nicht solange Megumi bei mir war.
Wir lagen auf der weichen Erde; meine KI-Energie hielt die meisten Schmarotzer auf Abstand. Nur die Mosquitos hatten mit meiner schwach glimmenden Aura kein Problem.
„Akira?“, fragte sie leise. Ich ließ meinen Blick über ihren Körper gleiten, der fast im Schatten verborgen war, obwohl sie direkt neben mir lag. Sie war tatsächlich noch ein kleines Stück gewachsen, ging es mir durch den Kopf.
„Akira?“, fragte sie wieder.
„Ja, Schatz?“
„Bist du jetzt drüber hinweg?“
„Du meinst über den Gedanken, ob ich ein Mörder bin? Nein. Das werde ich wohl nie schaffen“, murmelte ich leise. „Denn egal ob Soldat oder nicht. Jeder den ich töte bleibt ein Toter.“
„Oh“, machte Megumi leise und enttäuscht.
„Aber ich habe dafür ein neues Verständnis entwickelt, dass ich als John Takei kultiviert habe. Ich verstehe nun besser, was ich tue. Warum ich es tue. Ich meine, okay, manchmal war ich in der Vergangenheit gezwungen zu töten. Aber ich habe mich damit arrangiert. Ab und zu muß es einfach sein.
Dennoch habe ich, gerade ich, die herausragende Fähigkeit nicht töten zu müssen. Also gebe ich mein Bestes, jetzt und in Zukunft. Ich muß nicht in jedem Kampf töten.“
Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter. „Dann ist es ja gut. Dann kommst du also wirklich bald wieder nach Hause.“

„Akira?“, fragte sie nach einiger Zeit wieder.
„Ja, Schatz?“
„Dein Auge. Warum hast du Dai-Kuzo-sama oder Kitsune-chan nicht darum gebeten, es zu heilen?“
„Oh. Das haben sie und auch Okame-kun schon von sich aus angeboten“, murmelte ich leise. „Aber ich habe es abgelehnt.“
„Hä? Warum das denn?“, fragte sie erstaunt.
„Erstens, weil es mich daran erinnert, dass ausgerechnet ich nicht unverwundbar bin. Ein Mann der seine Arroganz nicht im Griff hat, ist so gut wie tot.
Und zweitens… Dai-Kuzo-sama hat mir auf dem Mars bereits das Leben geschenkt. Es… Es ist einfach vermessen, immer und immer wieder von ihr zu verlangen, für mich da zu sein. Vielleicht später einmal.“
„Oh.“

Megumis Magen begann zu knurren. Ich lachte dazu leise und fragte: „Soll ich uns nicht doch eine herrlich saftige Schlange fangen, die wir dann essen können, Megumi?“
Ihre Hände krallten sich in meinen Hemdkragen. „Untersteh dich, mich hier auch nur eine Sekunde alleine zu lassen.“
Ich gab ihr einen Kuss. „Natürlich nicht.“
„Das Thema gefällt mir“, hauchte sie und küsste mich ebenfalls…

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Anime Evolution: Erweitert

Episode 3

1.
Unter großem Presserummel trafen die ersten Bürger und Siedler auf der AURORA ein.
Die Reporter stürzten sich auf die Gruppen, bestehend aus zweitausend Menschen und nahmen sie ordentlich in die Mangel.
„Sind Sie sich dessen bewusst, dass die AURORA zerstört werden kann?“
„Wissen Sie, dass Sie mitten in einen Krieg geraten könnten?“
„Werden Sie kämpfen, wenn es sein muß?“
Alle Fragen waren darauf abgezielt, den Neuankömmlingen bewusst zu machen, worauf sie sich eingelassen hatten. Sofern ihnen das nicht von vorne herein klar gewesen war.
Die Antworten waren dann meistens eine Mischung aus Patriotismus, Nonchalanche oder Patzigkeit, je nach Temperament.

Unter dem Dauerfeuer der Blitzlichter nahmen die Siedler, allesamt bevorzugte Menschen, da sie Angehörige in der Einsatzgruppe hatten, ihre neuen Wohnungen und Arbeitsplätze in Besitz. Eine berühmte Softdrinkfirma nahm ihre Cola-Produktion in Betrieb.
Eine Sushi-Kette öffnete ihre erste Filiale.
Und die erste Karaoke-Bar öffnete ihre Pforten, gleich neben dem ersten Irish Pub.

Zweitausend war noch nicht wirklich viel. In einer Stadt, die auf das hundertfache ausgelegt war, eine verschwindend kleine Zahl. Aber es war ein Anfang. Ein Anfang, der viel versprach.
**
Als Akane Hazegawa ihre beiden Koffer in ihrem neuen Appartement abstellte, wischte sie sich kurz den Schweiß von der Stirn. Sie hatte sich für das Dachgeschoss eines dreistöckigen Wohnhauses nahe der Bahnlinie zum Meer entschieden. In so einem Gebäude gab es natürlich keinen Fahrstuhl, was dazu geführt hatte, dass sie ihr Gepäck die Treppe hatte hoch schleifen müssen. Dennoch war sie sehr zufrieden, endlich hier zu sein.
Ihr hervorragender Abschluss im letzten Jahr hatte ihr eine Menge Türen geöffnet. Sie hatte sich für die Universität entschieden. Für die Universität, die an Bord der AURORA ihre Pforten öffnen würde.
Niemals hatte sie sich vorgestellt, dass die Aufnahmeprüfung so schwer sein würde. Sogar schwerer als auf die als kompliziert geltende Tokio-Universität.
Aber sie hatte es geschafft.
Müde ließ sie sich in den nächsten Sessel sinken. Während den Prüfungen war sie versucht gewesen, ihren Status als Slayer und Veteranin des Zweiten Marsfeldzuges auszunutzen und eine bevorzugte Behandlung zu verlangen. Was ihr auch zustand.
Aber sie hatte sich lieber selbst durchgebissen. Sie wollte in dieser Gemeinschaft nützlich sein und nicht lediglich auf ihren Status als Slayer reduziert werden.
Sie wollte sich hier etwas aufbauen.

Nach einiger Zeit begann sie sich umzusehen. Das Appartement war voll möbliert und bestand aus sechs Räumen, darunter Küche und ein Bad im japanischen Stil. Es waren moderne Elektrogeräte in allen Räumen vorhanden und der Fernseher war groß genug, daß ein HAWK auf ihm hätte notlanden können.
Danach begann sie ihr Gepäck auszupacken und nahm ihr neues Domizil, einhundertzwölf Quadratmeter Dachwohnung, in Besitz.
Sie räumte ihre Wäsche in die Schränke im Schlafzimmer, stellte ein paar Bücher in die bereit stehenden Regale im Wohnzimmer und baute auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer einige Fotos auf.
Eines zeigte sie zusammen mit den anderen fünf Slayern nach dem Sieg auf dem Mars. Sie selbst grinste von einem Ohr zum anderen, tätschelte mit einer Hand den Kopf der zum Menschen gewordenen Akari und zeigte mit der anderen das Sieges-V.
Auf einem anderen Foto war sie mit Joan Reilley zu sehen, aufgenommen während eines Konzerts. Akane hatte nicht so recht daran geglaubt, dass sich der erfolgreiche Star überhaupt an sie erinnern würde, obwohl sie zusammen auf dem Mars gewesen war. Aber Joan hatte sie aus einer Menge von zehntausend Leuten regelrecht heraus gepickt, ihr einen Backstage-Ausweis verpasst und mit ihr und einigen anderen Freunden anschließend die Nacht zum Tag gemacht. Akane fühlte sich sehr wohl, wenn sie daran dachte. Joan hatte eine Seite an ihr zum klingen gebracht, wie es vor ihr nur Akira geschafft hatte, damals beim Karaoke.
Und da war es auch schon, das Bild mit allen. Den Slayern, Joan, Akiras Familie und die Freunde von der Schule. Es war eine Massenaufnahme mit über vierzig Leuten. Sie hatten sie auf dem Mars aufgenommen, Tage nachdem die Anelph mit der Besiedlung der Region begonnen hatten.
Auch das war eine glückliche Zeit gewesen und Akane hatte nie so richtig glauben können, dass sie jemals hätte vorbei gehen können. Doch nun war sie es – vorbei. Und nichts würde sie zurück bringen.

Gemächlich stellte sie das letzte Bild auf. Es zeigte sie und Mamoru. Wie sie zwei aneinander geraten waren, konnte Akane selbst nach zwei Jahren Abstand nicht mehr sagen. Anfangs war es sicher nur Frust gewesen. Mamoru hatte erkennen müssen, dass Megumi Akira viel zu sehr liebte, um ihm auch nur den Hauch einer Chance einzuräumen. Und sie selbst hatte schmerzlich erkennen müssen, dass sie in einem direkten Wettstreit zwischen der besten Mecha-Pilotin und der berühmten Pop-Sängerin bestenfalls die Bandenwerbung war.
Diese Tage waren sowohl für sie als auch Mamoru Hatake sehr frustrierend gewesen.
Dementsprechend endeten alle ihre Begegnungen entweder in Gebrüll oder in frustrierendem Anschweigen. Nicht, dass sie sich damals schon gedatet hätten.
Aber während alle ihr Bestes gaben, um den OLYMP am laufen zu halten und Überstunden nach Überstunden schoben, hatte niemand ein besonders strapazierfähiges Nervenkostüm.
Und in den ersten Wochen gab es leider nur diese kleine Notmannschaft, die mit ach und krach wenigstens die wichtigsten Funktionen am Leben erhielt.
Dabei liefen sie einander zwangsläufig über den Weg.
Sie hatte Mamoru beinahe sofort gehasst. Ein dünnes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Diesen arroganten, selbstgefälligen, von sich so eingenommenen Mamoru. Den Geheimdienstoffizier, der es blutjung bis zum Captain geschafft hatte und auf all die nachträglich beförderten Offiziere und Mannschaften so tief herab sah wie es nur ging.
Ja, er war definitiv ein Arschloch gewesen. Ein Arschloch, das sicherlich beste Arbeit leistete. Aber auch eines, das an den Nerven aller fraß, die mit ihm zusammen arbeiten mussten.
Akane selbst war es gewohnt, Autorität auszuüben. Sie war seit der Ersten Klasse immer Klassensprecherin gewesen, und später auf Mittel- und Oberstufe Stellvertretende Schulsprecherin. Dementsprechend hatte sie ein Problem damit, von Mamoru Befehle entgegen zu nehmen.
Er gehörte nicht zu ihren direkten Vorgesetzten, war nicht bei den Slayern integriert. Und er hatte so gut wie keine Ahnung, was sie in ihrem Arbeitsgebiet leisten musste. Und trotzdem wollte er ihr erzählen, was sie zu tun hatte.
Ja, sie hatte ihn gehasst. Und sie hatte die Herausforderung angenommen und sich mit ihm jedes Mal auseinander gesetzt. Bevor sie freiwillig zurück steckte, hatte sie den Konflikt gewählt und Mamoru jedes Mal heftig zugesetzt.
Doch bevor sie sich versehen hatte, da hatten diese kleinen Kämpfe ihr Spaß gemacht. Die Schimpfnamen, mit denen sie zwei sich bedacht hatten, waren schnell in Koseform ausgesprochen worden. Von dort war es nur ein kleiner Schritt dazu gewesen, dass sie die Treffen herbei sehnte. Sie erwartete.

Als Mamoru dann eine seiner Gängeltouren ausgelassen hatte, da hatte sie ihn gesucht. Und in der dunkelsten Stimmung seines Lebens vorgefunden. Anstatt sich mit ihm zu triezen, hatte sie sich zu ihm gesetzt und ihm stundenlang zugehört. Dann hatte sie gesprochen, viel erzählt, ihr Herz ausgeschüttet. Dies war der erste Schritt gewesen, um Freunde zu werden.
Und je öfter sie sich sahen, je mehr sie miteinander sprachen, desto enger wurde dieses Band. Bis sie endlich merkte, dass Hass nicht ohne Liebe existierte, denn das Gegenteil von Liebe war Gleichgültigkeit.

Akane nahm das Bild von Mamoru an sich und drückte es auf ihre Brust. „Du Idiot. Du verdammter Idiot. Warum bist du nicht mit mir gegangen?“
Leise begann sie zu weinen.
**
Der Morgen kam sehr plötzlich über uns. Das Zwielicht machte der vollen Lichtfülle sehr schnell Platz und von einem Moment zum anderen konnten wir wieder unseren Weg sehen.
Ich weckte die Freundin und erhob mich. Megumi, mit den trainierten Reflexen eines langjährigen Soldaten ausgestattet, wachte sofort auf, erfasste die Umgebung und nickte.
Langsam, etwas schlaftrunken kam sie auf die Beine. „Weiter?“, fragte sie.
„Weiter“, erwiderte ich.
„Moment“, murmelte sie und machte sich auf den Weg zum nächsten Baum.
Ich stieß eine Verwünschung hervor, rannte an ihr vorbei und kontrollierte die Umgebung oberflächlich. „Auch wenn die Natur ruft, lass mich wenigstens vorher kontrollieren, ob hier irgendetwas lauert.“
Ich legte beide Hände auf den Boden und aktivierte mein KI. Die letzen Monate hatte ich sehr erfolgreich damit gearbeitet, eine gewisse Meisterschaft erreicht. Ich war nicht so gut wie Yoshi, zugegeben, und noch lange nicht so gut, wie Futabe-sensei. Aber es reichte, um die Falltürspinne in ihrem Versteck nahe des Baumes zu entdecken.
„Nur eine Spinne. Da, unter dem Stein. Wenn du da weg bleibst, sollte nichts passieren.“
„Ich habe keine Angst vor Spinnen“, tadelte sie mich.
Sie warf mir einen schrägen Blick zu. „Willst du zusehen?“
Ich spürte wie das Blut in meine Wangen schoss. „Ich… Besser wäre es vielleicht. Ich meine, ich…“ Wütend warf ich die Arme in die Luft und ging wieder auf die andere Seite.
„Akira“, sagte sie leise. „Heute werde ich aber selbst gehen. Du kannst mich nicht ewig tragen. Und dein KI reicht nicht grenzenlos.“
„Kommt überhaupt nicht in Frage, Megumi“, erwiderte ich ernst. „Ich lasse nicht zu, dass dir irgendetwas passiert. Du hast keine Schuhe, und dies ist keine freundliche Umgebung. Hier kann viel zu viel passieren.“
„Dennoch. Wir wissen nicht, wo wir sind. Wir haben keine Vorräte. Und wir wissen nicht, wann wir wieder auf Zivilisation treffen werden. Du musst deine Kräfte schonen, Akira.“
Sie kam wieder hinter dem Baum hervor. „Als erstes sollten wir uns trinkbares Wasser besorgen.“
Ich nickte. „Trinkwasser, Nahrung. Vielleicht eine Waffe.“

Ich bot ihr meinen Rücken an und sie stieg auf. Ihre warme Wange legte sich auf meine. „Du verstehst es wirklich, ein Mädchen auf Händen zu tragen.“
„Nun, nicht gerade auf Händen“, erwiderte ich lächelnd.
Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung und folgte dem Trampelpfad, dem wir Gestern über eine Stunde entlang gelaufen waren.
Unsere Position zu bestimmen war schwierig, aber wir waren den Abend meistens mit der Sonne links von uns unterwegs gewesen. Die grobe Richtung mochte Norden gewesen sein. Unsere Toba-Freunde hatten sich vom Camp aus gesehen nach Westen zurück gezogen. Wenn ich meinen Kampf mit Megumi richtig im Hinterkopf hatte und die Position des alten Hangars, dann waren wir etwa drei Kilometer südwestlich zu Boden gegangen und von dort in den Wald geflohen. Dann hatten wir eine unbekannte Strecke zurückgelegt. Hauptsächlich in nördlicher Richtung, aber ich wollte es nicht beschreien. In einem Dschungel verlor man schnell die Übersicht. Die Sonne ging rechts von uns auf, aber das bedeutete nur, dass wir gerade in diesem Moment unterwegs nach Norden waren. Mit etwas Glück hielten wir auf den Rio de la Plata zu, der auch in dieser Region war. Wenn wir seinem Lauf folgten, egal ob stromauf oder stromab, würden wir vielleicht auf Toba-Siedlungen stoßen, andere Indianer oder ein Zeichen von Zivilisation.

„Woran denkst du?“, fragte Megumi leise.
„Ich denke daran, wo wir eine Hose und ein Paar Wanderschuhe für dich her kriegen.“
Sie äugte an mir herab. „Deine Dienstschuhe sind auch nicht gerade sehr gut geeignet für diese Umgebung. Die dürften mittlerweile durchgeweicht sein. Wir sollten die Schuhe und deine Füße so schnell wie möglich trocknen, bevor du dich wund läufst.“
Ich wollte widersprechen und auf meine Meisterschaft in der Kontrolle des KI hinweisen. Aber es würde mich Kraft kosten. Wieder einmal. „Gute Idee“, sagte ich also.
Dann folgten wir dem Pfad weiter.

Plötzlich hob Megumi den Kopf an, sah nach hinten. Sie hatte schon immer ein besseres Gehör gehabt als ich.
„Hubschrauber. Einer. Etwa fünf Kilometer entfernt. Fliegt Zickzack. Sucht nach uns“, sagte sie ernst.
„Kommt er in unsere Richtung?“
„Kann ich nicht sagen. Wir sollten in jedem Fall machen, dass wir hier weg kommen.“
„Verstanden“, sagte ich, fasste ihre Beine fester und begann zu laufen.

2.
„Herr General, dies ist das Ergebnis der Funkanalyse. Dieser John Takei hat tatsächlich den Daishi Beta gesteuert, der unseren Truppen so übel mitgespielt hat.“
Basicá schmunzelte. „Das sind doch gute Nachrichten. Wir können es gegen die UEMF verwenden, wenn der Mann, den wir retten wollten, sich mit Rebellen verbündet. Das bringt uns einen enormen Vorteil.“
„Das… Das ist noch nicht alles, Herr General. Wir haben die Gesprächsfetzen, die über den Helm von Colonel Uno kamen, erneut analysiert. Dabei kam heraus das dieser John Takei in Wirklichkeit Akira Otomo ist.“
Basicá erstarrte. „Der Akira Otomo? Das ändert alles.“
Der General dachte einen Moment lang nach. „Wenn er aussagt, kann das nur schlecht für uns sein. Wir müssen ihn erwischen, bevor er seine Leute kontaktieren kann. Beordern Sie weitere Kampfhubschrauber in die Region. Sie sollen bei Sichtkontakt ohne Anruf schießen. Eine Leiche oder zwei kann man verschwinden lassen. Und man kann es sehr leicht den Rebellen in die Schuhe schieben. Ausführen.“
„Ja, Herr General.“
„Ist noch etwas?“
„Es geht um den Offizier, der Colonel Uno begleitet hat. Major Hatake. Es ist uns nach der misslungenen Festnahme noch nicht gelungen, ihn ausfindig zu machen. Er hat sich seiner Uniform entledigt und sein Handy entsorgt. Er geht mit ungewöhnlichem Geschick vor und hat noch nicht einmal mit seinen Kreditkarten bezahlt. Wir haben eine Fahndung nach ihm raus gegeben und eine Belohnung ausgesetzt, aber bisher ohne Erfolg.“
„Und was soll ich da machen?“
„Nun, der Mann hat zweifellos ein Spezialtraining erhalten. Ich möchte Sie bitten, den Fall dem Geheimdienst zu übertragen.“
„Meinen Segen haben Sie“, brummte der General. „Finden Sie ihn. Töten Sie ihn.“
„Jawohl, Herr General.“
**
Argentinien war in den letzten Jahrzehnten ein beliebtes Einwandererland für Asiaten gewesen. Gerade Japaner waren ihren Firmen gefolgt und hatten sich in der Hauptstadt angesiedelt. Ein hellhäutiger und Hochgewachsener Mann wie Mamoru Hatake fiel in der Stadt also kaum auf. Vor allem nicht, nachdem er sich neu eingekleidet hatte. Die verräterischen UEMF-Stadardschuhe waren ebenso ausgetauscht worden wie Hemd und Hose, die noch darauf hindeuteten, welchen Zweck sie einmal gedient hatten.
Mamoru trat nun lax auf, mit einem weiten, bunten Shirt, hoch gegeltem Haar, poppigen Sportschuhen und Stoffshorts mit großen Taschen. Auf den ersten Blick mochte man ihn für sechzehn oder jünger halten.
Und in den Vierteln in denen die Asiaten siedelten, sollte man ihn nicht so ohne weiteres von anderen Jugendlichen unterscheiden. Dachte er.
Einen Fehler musste er gemacht haben. Als er nach einem üppigen Mittagessen aus der Sushibar kam, fielen ihm zwei schnell fahrende Autos auf. Sein Instinkt schlug Alarm und er zögerte nicht, Fersengeld zu geben. Was hatte ihn verraten? Er ging nicht mehr wie ein Militär, shakerte mit den hübschen Mädchen und hatte mehr ein Auge für Automotoren als für Waffen. Und nun wurde er verfolgt.
Mist, es waren nur noch wenige Meter bis zu einem toten Briefkasten gewesen, einen fixen Treffpunkt, an dem er eine Nachricht für die hiesige UEMF-Zelle hätte hinterlassen können. Dieser und zwei weitere Orte waren ihm für einen Notfall wie diesen genannt worden.

Mamoru bog in eine Seitenstraße ein, lief sie hinab und wandte sich nach links. Nun machte es sich bezahlt, dass er sich nicht für das Outfit als Schlipstragender Geschäftsmann entschieden hatte. Die Sportschuhe und die leichte Kleidung waren ideal zum davonrennen.
Er hörte den ersten Wagen mit quietschenden Reifen in die Seitenstraße einbiegen, gerade als er selbst die Ecke erreichte und eine größere Straße hinab lief.
Sie durften ihn nicht kriegen! Moment mal, warum eigentlich nicht? Immerhin hatte er seinen Job erledigt und die UEMF gewarnt. Akira und Megumi sollten nun eine echte Chance haben und…
Eine Kugel, die neben ihm über den Fußgängerweg schrappte, beschleunigte seine Schritte erneut und gab ihm die Antwort. Ach ja, weil sie ihn töten wollten. Schon wieder, wie im Hangar. Wenn er doch wenigstens eine Waffe gehabt hätte. Aber die verräterische Dienstpistole hatte er ja auch entsorgt. Na, mit fünf Schuss hätte er aber auch nicht viel gerissen.
Gab es noch einen Grund, warum er überleben sollte? Sein Leben lag ja mehr oder weniger in Trümmern. Seine Liebe zog es vor, ohne ihn ins Ungewisse zu fliegen, seine wenigen Freundschaften hatte er nicht gerade gepflegt in letzter Zeit und er drohte, genau wie sein Vater ein Workaholic zu werden, dem der Beruf über alles ging.
Okay, er war einer der talentiertesten jungen Offiziere in der UEMF, was er oft genug bewiesen hatte. Aber die Affäre mit Akane hatte ihm nur zu schmerzlich bewiesen, dass es mehr gab, als eine unerwiderte Liebe zu Megumi oder ein ausfüllender Beruf.
Für einen Moment blieb er stehen. Was war eigentlich so schwierig daran, sich einfach fallen zu lassen?
Als ihm eine Kugel durch das gegelte Haar fuhr, rannte er weiter. Ach ja, richtig. Die Kugeln, der Tod und die Schmerzen, die mit einer Verletzung einhergingen. Alles Dinge, die er nicht für besonders erstrebenswert hielt. Wieder eine Seitenstraße. Mamoru lief sie hinein, bog in ein Geschäft ein, kam am Besitzer vorbei und hastete durch die Küche in den Innenhof. Dort bog er scharf nach Rechts ab, fand den Hintereingang eines Restaurants und ging bis vorne durch.
Na toll, ausgerechnet in einem Vier Sterne-Fresstempel war er gelandet. Wenn er hier nicht auffiel, wo dann?

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Die Angreifer? Unmöglich. Die konnten noch nicht da sein. Wurde er erwartet? Auch nicht möglich. Er war ohne Ziel umher gerannt.
Dieser Gedanke wurde müßig, als die Hand seine Schulter umschloss und ihn in die Küche zerrte.
Erschrocken machte sich Mamoru kampfbereit, wirbelte herum… Und erstarrte, als er in die Gesichter von fünf ziemlich wütenden Köchen und einer hübschen Bedienung starrte. Der einzigen übrigens, die sich nicht mit schweren Fleischermessern bewaffnet hatte.
„Bist du Mamoru Hatake?“, fragte die Bedienung.
„Mamoru-wer?“, log er, was die Köche dazu brachte, bedrohlich ein paar Schritte vorzutreten.
„Mamoru Hatake“, sagte sie noch mal und deutete auf einen Fernseher, der in der Küche lief.
„…ungefähr eins achtzig groß, kräftige Schultern. Schlank. Gut trainiert. Haarfarbe schwarz. Augenfarbe braun. Major Mamoru Hatake wird wegen Spionage, Landesverrat und Mord in fünf Fällen gesucht. Hinweise bitte an…“
Wieder spannte Mamoru sich an. Na toll, eine bessere Presse hatte er ja nicht kriegen können. Würde er sich den Weg hier raus frei kämpfen müssen? Und was dann? Würde der ganze Block rebellisch werden? Die Belohnung? Wer würde noch dahinter her sein?
„Ja, ich bin Mamoru Hatake“, brummte er und suchte nach einer Möglichkeit, aus der Küche zu entkommen.
Das war kurz bevor ihm ein weißer Kittel und eine weiße Hose entgegen flogen.
„Schnell, zieh die an. Und setz die Sonnenbrille ab.“
Verdutzt begann Mamoru in die weiße Hose zu schlüpfen. Einer der Köche half ihm bei der Jacke während die Bedienung sie zuknöpfte. Schnell setzte ihm jemand eine Kochmütze auf. „Schnitzel kriegst du ja wohl hoffentlich hin, oder?“, fragte einer der Köche und schob ihn in den Hintergrund der Küche, wo paniertes Fleisch wartete.
„Wartet, wartet!“, rief Mamoru, aber die junge Frau schnappte sich ein Tablett und bedeutete ihm zu schweigen.

Einer der anderen Köche warf einen ordentlichen Klacks Butter in Mamorus Pfanne und stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Verhalte dich ganz unauffällig und rede nur, wenn du angesprochen wirst.“
Das wollte dem jungen Geheimdienstoffizier nicht so recht einleuchten, aber da er nichts Besseres vorhatte, legte er zwei der panierten Schnitzel in die Pfanne und begann sie zu braten.
„Sie dürfen nicht in die Küche!“, rief die junge Frau. „Der Raum ist…“
Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und drei Männer mit Sonnenbrillen kamen herein. „Das ist meine Küche!“, rief einer der Köche und schnappte sich sein größtes Fleischermesser.
Der Anführer der Gruppe hob abwehrend beide Hände. „Entschuldigen Sie, Maître, aber wir suchen einen Terroristen, der in dieser Gegend gesehen wurde. Vielleicht haben Sie es schon in den Nachrichten gehört.“
„Was? Ach der? Hm. Ja, der kam durch meine Küche. Und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihm gleich einen Job anzubieten.“
Die anderen Köche lachten und auch die junge Frau kicherte leise dazu.
„Vielleicht ist er hier durch gelaufen?“, hakte der Anführer der Dreiergruppe nach.
„Weiß nicht. Ich sehe nur, was hier in die Küche kommt. Fragt doch mal vorne bei den Kellnern nach.“
„Gut, das machen wir. Habe ich schon erwähnt, dass es eine Belohnung gibt?“
„Nun aber raus hier“, rief der Chefkoch. „Wir haben Mittag und der Laden ist brechend voll. Ich habe hier immerhin einen guten Ruf zu verteidigen!“
Indes wendete Mamoru die Schnitzel. Sie schienen recht gut zu werden, fand er.
„Alles klar. Hier, meine Karte. Falls Sie ihn sehen, zögern Sie nicht, anzurufen.“
Die Dreiergruppe machte kehrt und verschwand wieder aus der Küche.
Die Köche und das Mädchen atmeten sichtbar auf.
Da öffnete sich noch einmal die Tür, der Mann sah erneut herein und fragte: „Habe ich schon erwähnt, dass er bewaffnet und gefährlich ist?“
„Wir können entweder kochen oder Ihre Arbeit machen!“, rief der Koch und hob drohend das große Messer.
Dies raubte dem Mann die letzte Courage und er verließ die Küche.

Mamoru keuchte erleichtert auf. Das war ganz schön knapp gewesen.
„Na, Mike“, rief der Chefkoch und schlug ihm kräftig auf die Schulter, „das sieht doch schon ganz gut aus. Wenn du mit den Schnitzeln durch bist, wasch mal den Salat.“
„Warum helfen Sie mir?“, fragte Mamoru leise und legte neue Schnitzel in die Pfanne.
„Na, du tust ja auch was dafür, oder?“, erwiderte der Mann und grinste ihn an.
**
Am späten Abend saß Mamoru mit den anderen Köchen und den Bedienungen im eigentlichen Restaurant und aß endlich selbst etwas.
„Die Pastasoße ist dir aber gut gelungen“, lobte der Chefkoch und klopfte Mamoru anerkennend auf die Schulter.
„Si“, meldete sich ein anderer, den Mamoru als Luigi kennen gelernt hatte. „Diese fruchtige Note, wirklich ganz hervorragend. Gib mir das Rezept und sie kommt mit auf die Karte.
„Wo hast du kochen gelernt?“, fragte die Bedienung freundlich.
Mamoru lachte leise und begann sich Spaghetti in einem Löffel zusammen zu rollen. „Wisst Ihr, wenn man wie ich Soldat ist, dazu noch beim Geheimdienst, dann ist man oft nicht Zuhause. Wenn man dann nicht aus der Tüte leben will, dann muß man eben selbst etwas kochen. Und seit ich nicht nur weiß was Oregano ist, sondern es auch in meiner Küche benutze…“
Der Rest des Gedanken ging im Gelächter der Köche unter.
„Warum helft Ihr mir?“, fragte Mamoru wieder. Alle Anwesenden, die Bedienungen und die Köche waren Nachfahren von eingewanderten Italienern, die eine große Bevölkerungsgruppe in Buenos Aires stellten, soviel hatte Mamoru schon herausgefunden.
„Du bist Mamoru Hatake“, sagte der Chefkoch und tat, als wäre damit alles getan. Als er merkte, dass der UEMF-Offizier nicht verstand meinte er: „Gina, komm mal her zu mir.“
Die junge Frau setzte sich gehorsam neben ihren Vater und lächelte Mamoru an.
„Diese kleine Ragazza hier hat einen Narren gefressen an der UEMF. An euren Mechas, euren Waffen und an euren Anführern. Die Romane über den Angriff auf den Mars hat sie verschlungen. Und man muß nur mal Akira sagen, da leuchten ihre Augen vor Begeisterung.“
Die anderen lachten, als Gina rot wurde.
„Und am meisten geht sie mir immer mit dieser Joan Reilley auf die Nerven. Joan hier, Joan da, das geht ganz schön aufs Gemüt. Wir spielen schon immer ihre Musik, damit der kleine Wirbelwind hier abgelenkt ist.“
Mamoru schmunzelte dazu.
„Und wenn sie Joan Reilley sagt, dann meint sie auch immer gleich Mamoru Hatake. Der tapfere Mamoru, dieses große Vorbild. Der Beschützer von Megumi Uno. Und so weiter und so fort.“
„Papa, lass das doch“, forderte Gina mit rotem Gesicht.
Der Vater lachte laut und die anderen fielen ein. „Jedenfalls, als die Fahndung nach dir ausgeschrieben wurde, da hat sie ein Riesentrara gemacht. Das könne nicht sein, Mamoru sei nicht so einer… All so was.“
Mamoru spürte, wie sich ein Schatten auf seine Stimmung senkte. „Es stimmt aber“, sagte er tonlos. „Ich habe drei Soldaten erschossen und bin von einem Kasernengelände geflohen.“
Erschrockenes Raunen ging durch den Raum.
„Mir blieb allerdings keine Wahl. Sie hatten mich ausschalten wollen, weil ich heraus gefunden habe, was sie getan haben…“
Mamoru sah auf. „Sie haben versucht, einen Mecha-Piloten aus dem Weg zu räumen, der in einem Shuttle auf argentinischem Boden abgestürzt ist. Meine Vorgesetzte, Megumi Uno, hat nach diesem Shuttle gesucht. Das letzte, was ich von ihr gehört habe war, dass sie tot sein soll. Aber das will ich nicht glauben. Denn der Mann, den sie gesucht hat, ist Akira Otomo.“
Für einen Moment verfluchte sich Mamoru, weil er so bereitwillig Informationen freigab. Aber er hatte nicht anders gekonnt. Es war aus ihm heraus gesprudelt wie ein Wasserfall.
„Ich konnte nichts weiter tun, als meinen eigenen Tod zu verhindern und habe mich abgesetzt. Das ist schon die ganze Geschichte“, schloss Mamoru und sah zu Boden.
„Was… Was hast du jetzt vor, Mamoru?“, fragte Gina leise.
„Es gibt da verschiedene Bereiche, in denen ich die hiesige UEMF kontaktieren kann. Sie kann mich außer Landes schaffen. Aber dazu muß ich hier raus.“

Stille antwortete ihm. Dann griff der Chefkoch zu und schaufelte ihm eine neue Portion Spaghetti auf den Teller und kippte viel Soße drüber. „Nun stärke dich erst mal. Du wirst es brauchen können. Danach gibt dir Antonio ein paar unauffällige Sachen. Und Gina bringt dich dann unauffällig zu einem dieser Orte.“
„Ich kann sie doch nicht in Gefahr bringen“, protestierte Mamoru.
„Nichts ist unauffälliger als ein Pärchen in der warmen Abendluft. Es verlangt ja keiner von dir, Tango zu tanzen.“
Die anderen lachten.
„Und jetzt iss erst mal auf. Du hast gut gearbeitet. Wenn alle Stricke reißen kannst du immer noch für uns kochen.“
Mamoru lächelte. „Vielleicht ist das keine so schlechte Idee…“
**
Der Lieutenant staunte nicht schlecht, als der humanoide Umriss aus über dreißig Meter Höhe in die Tiefe stürzte, die ersten Bäume erreichte und von dort von Ast zu Ast huschte.
Einen Augenblick später stand ein groß gewachsener Blondschopf vor ihm. Die Abzeichen an seinem Tarnanzug wiesen ihn als Captain aus und der Kragenspiegel informierte den Fremdenlegionär darüber, dass er Mecha-Pilot war.
Nun, für einen Blechbüchsenkutscher war das schon eine tolle Aktion gewesen.
„Lieutenant Navarre?“, fragte der Blonde.
Der Fremdenlegionär nickte.
„Doghouse“, sagte der Fremde bestimmt.
„April“, antwortete Navarre.
Dies schien den Mecha-Piloten zufrieden zu stimmen. Er streckte die Hand aus. „Captain Yoshi Futabe, United Earth Mecha Force.“
„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Sir. Habe schon eine Menge über Sie gehört“, sagte der Lieutenant.
„Ich hoffe nur gutes“, scherzte Yoshi, ergriff sein Funkgerät und sagte: „Sicher.“
Kurz darauf landete der Transporthubschrauber, der vorhin ihre Lichtung überflogen hatte, um Captain Futabe abzusetzen. Drei junge Frauen und fünf Soldaten in der gleichen Tarnuniform stiegen aus, nahmen Ausrüstung mit und ließen den Helikopter wieder starten.
„Monsieur, es geht mich ja nichts an, aber der Dschungel ist kein Platz für kleine Mädchen“, sagte Navarre leise.
„Da haben Sie Recht, es geht Sie nichts an“, erwiderte Yoshi ernst. „Ich kann Sie aber beruhigen, die kleinen Mädchen haben auf dem Mars gekämpft. Eine sogar zweimal, und wenn Sie erraten welche es ist, halte ich sie sogar zurück, wenn sie versucht, Ihnen die Kehle raus zu reißen.“
Erstaunt riss der Lieutenant die Augen auf. „Auf dem Mars? Alle drei?“
Futabe nickte ernst.
„Mann, muß es der UEMF dreckig gegangen sein.“
„Übrigens Lieutenant Navarre, ich war ebenfalls bei der Marsmission dabei“, sagte der UEMF-Captain mit warnendem Unterton in der Stimme.

„Nun fang doch nicht gleich Streit an“, ermahnte eine junge Frau mit dunkelrotem Haar den Captain. Sie lächelte den Fremdenlegionär freundlich an und reichte ihm die Hand. „Ich bin Kitsune. Habe auf dem Mars Infanteriecyborgs versprengt.“
„Kaum zu glauben bei so einem zarten Körper“, kommentierte der Offizier, bereute seine Worte aber sofort wieder, als er vor Schmerz in die Knie ging.
„Ach, habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich eine Daimon bin?“
„Härt auf rum zu spielen! Ihr alle“, blaffte das jüngste Mädchen in der Runde. „Wir sind hier um O-nii-chan und O-nee-chan zu retten, habt Ihr das schon vergessen?“
Sie zog eine Karte hervor und breitete sie aus. „Lieutenant Navarre, die Daishi-Mechas wurden in etwa hier gefunden. Und hier, drei Kilometer im Westen, befand sich die Siedlung, aus der der Beta gestartet ist. Hier und hier wurden Napalm oder andere Brandbomben eingesetzt. Wir gehen davon aus, dass Colonel Otomo und Colonel Uno nicht in den Flammen umgekommen sind. Sie werden zu Fuß geflohen sein. Lieutenant Navarre, wie weit können sie zu Fuß gekommen sein? Und welche Richtung werden sie genommen haben?“
Der Fremdenlegionär kratzte sich die Stirn. Wow, ausgerechnet die Kleinste hatte es am besten drauf. „Wenn sie sich zu Fuß abgesetzt haben, dann werden sie in Richtung Fluss unterwegs sein. Also richten sie sich in etwa nördlich. Ich nehme an, dass sie über keine Hilfsmittel verfügen, deshalb werden sie sich nach dem Sonnenstand richten. Das ist bei der Tiefe des Dschungels nicht überall möglich. Sie werden also zwangsläufig Schlangenlinien laufen und vielleicht sogar in die komplett falsche Richtung geraten.“
„Was ist Ihre optimale Schätzung, Lieutenant? Wie weit werden sie maximal gekommen sein?“
„Nun, wenn beide unverletzt sind und gut vorankommen, dann schätze ich, dass sie Gestern zwei bis drei Kilometer geschafft haben. Heute werden es maximal zehn sein. Ich vermute, dass sie in diesem Bereich sind. Das ist ein Areal mit einer Fläche von zwanzig Quadratkilometern, das in Richtung Fluss zeigt. Wir vermuten sie in dieser Region.“
„Was ist Ihre Minimalschätzung? Falls einer von ihnen verletzt ist und sie nur schleppend vorankommen?“
„Dann befinden sie sich hier, wenige hundert Meter vor der Suchfront der Argentinier. Und einen Trost haben wir bei der Geschichte.“
„Dieser Trost wäre?“, fragte die dritte junge Frau. Sie fiel alleine durch ihr weißblondes Haar und die ernsten Augen auf.
„Solange die Argentinier noch suchen, sind Ihre beiden Freunde noch in Freiheit.“
Captain Futabe rieb sich nachdenklich das Kinn. „Hören Sie, Lieutenant Navarre, wie risikofreudig seid Ihr Fremdenlegionäre eigentlich?“
„Mit Mädchen, die für uns auf dem Mars gekämpft haben, sollten wir mithalten können“, erwiderte Navarre grinsend.
„Gut“, schnurrte Futabe zufrieden. „Dann habe ich einen Plan.“

3.
Daisuke Honda lächelte gering schätzend, als die Meldung eintraf, dass die Radaranlage von Armstrong aktiv gestört wurde. Es war also soweit.
Irgendjemand in Armstrong selbst schien eins und eins addieren zu können und gab Alarm. Automatisch wurde ein Notruf zur Garnison abgesetzt, aber Daisuke bezweifelte, dass er durch kommen würde. Nun begannen auch die wichtigeren Firmen wie Luna Mecha Research, Notrufe zu senden. Grund genug für den Mecha-Piloten, in seine Maschine zu steigen. Die Techniker grüßten ihn freundlich, während sie seinen HAWK fertig machten.
Offiziell war diese Halle hier noch nicht einmal fertig gebaut, noch voller Löcher und nicht in der Lage, eine Atmosphäre zu halten. Inoffiziell aber diente sie zehn seiner Mechas sowie einem fünfzigköpfigen Technikerteam als Unterschlupf.
Unter größter Geheimhaltung waren die Leute und ihre Maschinen hier her geschafft worden. Lediglich fünf hohe Offiziere in Armstrong wussten über diesen Transfer Bescheid. Bei Luna Mecha Research wusste es mit Sicherheit niemand.
Und die Marodeure ahnten hoffentlich nicht einmal, dass hier eine Elitekompanie auf sie lauerte.

Daisuke legte seinen Druckanzug an, setzte den Helm auf. Als er in seinen Hawk stieg, half ihm ein Techniker bei den Anschlüssen.
Er nickte dem Techniker zu, kurz darauf schloss sich das Cockpit. „Kottos hergehört“, sagte Daisuke über Funk mit geringer Leistung. „Die Marodeure dürften hier bald eintreffen. Falls sie nicht vorher den Braten riechen oder gewarnt werden.
Ich weiß nicht, wie viele angreifen werden, geschweige denn welche Daishi-Typen es sein werden. Aber unsere oberste Priorität hat der Schutz von Menschenleben. Danach kommt die strukturelle Integrität jeder Kuppel, die Atmosphäre hält. An dritter Stelle steht dann LMR.
Vergesst eines nicht: Ihr seid die Hekatoncheiren, von der legendären Kottos-Kompanie. Damit tragt Ihr einen stolzen Namen und habt auf dem Mars bewiesen, das Ihr ihn verdient. Die meisten jedenfalls.“
Leises Gelächter erklang.
„Der Rest hat heute Gelegenheit zu beweisen, dass er ein vollwertiger Teil der Hekatoncheiren ist. Bereit machen zum ausschleusen.“
Bestätigungen antworteten ihm. Dann winkten die Techniker das erste Paar in die Schleuse.
Daisuke war dabei. Er grinste still. Den Marodeuren würde schon sehr bald klar werden, dass LMR nicht unbedingt gemütlicher wurde, nur weil Akira Abenteuerurlaub im südamerikanischen Dschungel machte.
„Auf geht´s.“
**
„Si, Senior Takei war in dem Mecha. Er bestand geradezu darauf. Wir verdanken ihm damit sehr viel. Nur dadurch waren wir in der Lage, ohne weitere Verluste aus der Siedlung zu kommen.“ José sah zu Boden. „Ansonsten haben wir alles verloren.“
„Materialien lassen sich ersetzen, Menschenleben nicht“, unterbrach Yoshi den Mann. „Was ich von Ihnen wissen will, José, ist, wie gut kennen Sie sich in dieser Region aus? Und sind Sie bereit, uns bei der Suche nach John Takei zu helfen?“
Der Toba sah von Yoshi zu dem fünfunddreißig Männern in Fleckentarn und den drei jungen Frauen. „Wir können nicht alle gehen. Es wäre zu auffällig.“
„Nein, Sie nehmen nur mich mit, Lieutenant Navarre, Kitsune-chan und zwei Fremdenlegionäre. Sind sechs Leute in der Lage, sich unauffällig in diesem Urwald zu bewegen?“
José grinste von einem Ohr zum anderen. „Wie es der Zufall so will, stehen uns seit Gestern sehr moderne und voll getankte Jeeps zur Verfügung. Sie haben alle Allrad, was für diese Gegend dringend nötig ist. Mit zweien von ihnen und ein paar meiner Leute sollten wir in der Lage sein, uns einigermaßen ungesehen zu bewegen.
Aber was machen Ihre anderen Leute, Kapitano?“
Yoshi grinste breit. Der Mann war nach seinem Geschmack. „Sie… machen das, worauf sie trainiert wurden.“
Er ging zur Karte und deutete auf eine schraffierte Region. „José, Sie und ich stoßen mit den Jeeps bis in dieses Gebiet vor. Wir suchen dort nach Takei und Uno. Lieutenant, Ihre Leute bilden drei Stoßtrupps, die hier, hier und hier Stellung beziehen. Sollten unsere Leute ihnen in die Arme laufen, umso besser. Aber Hauptaufgabe ist: Nicht gesehen werden, aber alles andere sehen. Falls wir ganz schnell aus diesem Gebiet wieder raus müssen, sind sie außerdem ein sicherer Anlaufpunkt für uns.
Der Rest bleibt hier und baut ein Basiscamp auf. Ein gut geschütztes Basiscamp.
Lieutenant Navarre rieb sich die Nasenwurzel. „Mit zwanzig Mann wird das schwierig zu verwirklichen sein. Ich meine, sehen Sie sich die vielen Leute an. Um die alle zu schützen, bräuchten wir eine verdammte Armee.“
Südlich ihrer Position ging ein HAWK nieder und federte in den Knien nach. Neben ihm landeten zwei EAGLES und ein SPARROW.
Der HAWK wandte sich der Gruppe an der Karte zu. „Hat da jemand nach einer Armee gerufen?“
„Gut, dass du da bist, Doitsu“, rief Yoshi zurück. „Wir werden dich brauchen. Viel zu bald.“
„Unter diesen Umständen stimme ich zu. Machen wir es so“, sagte Navarre.
„Dann lassen Sie mich die Jeeps holen.“ José grinste breit und machte sich auf den Weg.

„Entschuldigen Sie“, erklang eine dünne Stimme hinter Yoshi. Er wandte sich um und erkannte eine junge Japanerin in einem reichlich verdrecktem Tech-Overall.
„Ja?“
„Sie gehen Takei-sama, ich meine Otomo-sama retten?“
Yoshi dachte kurz nach. „Sie sind Yamagata-kun, richtig? Machen Sie sich keine Sorgen. Wir lassen Sie und die anderen drei bald evakuieren. Sie sind eher in Ihrer Wohnung auf dem Mond, als Sie Fürst Pückler-Eiscreme sagen können.“
„Muss ich weg?“, fragte sie entsetzt. „Ich meine, müssen Sie mich evakuieren? Kann ich nicht auf Takei-sama, ich meine Otomo-sama warten?“
Yoshi runzelte die Stirn. Die anderen drei Mitarbeiter von LMR hatten ähnliches gefragt. Was hatte Akira mit ihnen gemacht? Gehorsamkeitstraining? Oder war das einfach seine Art?
„Darf ich fragen, warum Sie hier auf Otomo-kun warten wollen?“, fragte er ernst.
Yamagata wurde rot. „Ich bin seine Freundin.“ Diese Worte ließen sie noch mehr erröten. „NEIN! So meinte ich das gar nicht! Ich meine, ich will sagen, dass… Ich bin eine Freundin. Er… Er ist der einzige Mensch, mit dem ich mich anfreunden konnte. Bitte, es würde mir so viel bedeuten.“
Yoshi schlug sich eine Hand vors Gesicht. „Irgendwann kriegt der Kerl von mir noch mal einen Heiligenschein. Einen zum an und ausmachen. Yamagata-kun, ich gebe Ihnen die gleiche Antwort wie Ihren drei Kollegen. Sie dürfen hier bleiben, aber auf eigene Gefahr. Ist das in Ordnung?“
Für einen Moment dachte Yoshi, die junge Frau wolle ihn um den Hals fallen. Mit Yohko in Sichtweite, die Ai Yamagata sowieso schon misstrauisch beäugte, sicher nicht die beste Idee.
Stattdessen verbeugte sie sich tief und ernst. „Vielen, vielen Dank, Futabe-sama. Vielen, vielen Dank. Das bedeutet mir so viel. Und wenn Sie mal einen guten Techniker für Ihren Eagle brauchen…“
„Sie sind Technikerin?“
„Daishi-Technikerin. Aber die HAWKS und die EAGLES habe ich mittlerweile auch ganz gut drauf.“
„Yamagata, Yamagata… Ai Yamagata?“
Die junge Frau trat erschrocken einen Schritt nach hinten.
„DIE Ai Yamagata? Die für das Troja-Projekt vorgesehen ist?“, hakte Yoshi nach.
„Für… Für das Troja-Projekt? I-ich habe mich beworben, aber…“
„Das ist merkwürdig. Wie viele Ai Yamagatas gibt es denn in Ihrer Firma? Ich bin mir sicher, Sie auf den Listen gesehen zu haben. Sie könnten sich theoretisch also wirklich um meinen EAGLE kümmern.“
„Aber ich… Aber ich… Aber ich…“, haspelte sie aufgeregt.
„Ich bin mir da sogar sehr sicher. Ich lasse mal in den Abteilungen nachforschen. Eigentlich sollte der Marschbefehl längst bei Ihnen sein. Vielleicht haben Sie ihn einfach deswegen noch nicht, weil Sie hier abgestürzt sind.“
„I-ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. I-ich meine, so im Nachhinein, als Technikerin der Kronosier... Ich meine… Ich…“ Wieder verbeugte sie sich. „Tut mir Leid, Futabe-sama.“
„Hm, eine Frage. Vertraut John Takei Ihnen?“
„Sie meine Otomo-sama? Ja, ich glaube, er vertraut mir.“
Yoshi lächelte dünn. „Dann sehe ich keinen Grund das nicht ebenfalls zu tun. Wir werden uns schon bald sehen – auf der AURORA.“

„Da wirst du aber nicht mehr rechtzeitig hinkommen, wenn du nicht bald bei den Jeeps bist“, tadelte Yohko ihren Freund.
„Was? Sind sie schon bereit? Dann muß ich wohl los. Yohko, das hier ist Ai-chan. Akiras Freundin von LMR.“
Yohko verneigte sich leicht. „Dann muß ich Ihnen danken, dass Sie auf meinen O-nii-chan aufgepasst haben.“
„Was?“ Erschrocken verneigte sich Yamagata ebenfalls. „Nein, es ist eher so, dass er auf mich aufgepasst hat.“
„Wie dem auch sei. Akira braucht immer jemanden, den er um sich haben kann. Schön, dass er sich darin nicht geändert hat.“
Yoshi schmunzelte. „Ich sehe, Ihr versteht euch. Ich fahre dann los, ja?“
„Yoshi!“, hielt Yohko ihn zurück. Sie zog ihn zu sich heran und gab ihm einen Kuss, lang und intensiv. „Bring mir meinen großen Bruder und Megumi unbeschadet wieder, bitte.“
„Was kriege ich dafür?“, fragte der Eagle-Pilot frech.
Yohko flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Yoshis Kopf ruckte hoch. Er sah sie erstaunt an. „Wirklich?“
„Wirklich. Mit den Katzenohren.“
„Äh, Futabe-sama. Sie haben Nasenbluten“, wandte Yamagata schüchtern ein.
„Das tut jetzt überhaupt nichts zur Sache. Ich muß los. Einen unvorsichtigen Freund und sein Mädchen retten!“
„Na, der ist aber plötzlich energisch“, staunte Yamagata.
„Kein Wunder“, schmunzelte Yohko. „Erstens ist Akira sein bester Freund. Und zweitens freut er sich auf seine Belohnung.“ Sie zwinkerte der jungen Technikerin zu. „Männer sind so leicht zu motivieren, was, Ai-chan?“
„Eh?“, machte sie verständnislos…

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Als die fünf Daishi Alpha und die drei Beta auf Armstrong nieder sausten, schalteten sich die automatischen Abwehranlagen der Stadt ein. Schnellfeuerkanonen richteten sich aus und gaben einen Hagel von Stahlgeschossen ab. Die Kanonen waren in autarken Kuppeln errichtet worden, vor allem aus dem Grund, damit ihre Zerstörung die eigentlichen Kuppeln nicht beschädigte.
Dementsprechend hatten die Daishis wenig Skrupel, die Abwehrstellungen aufzumischen.
Daisuke grinste, während hinter ihm der Rest der Hotel-Kompanie versammelte.
„Haben wir eine Ortung von einem Trägerschiff?“, fragte er leise.
„Sir“, meldete einer der Techniker aus der Halle, „passive Ortung ergibt eine Fregatte im tiefen Orbit. Die NOVEMBER kann maximal zwanzig Daishi unterstützen, dreißig, wenn es nur Alpha sind.“
„Gut. Geben Sie der YAMATO und der KAZE Bescheid, dass wir den Sack zu machen.“ Wieder ging ein Grinsen über Daisukes Gesicht. Aber es war ein kaltes, selbstgefälliges Grinsen. „Guardian an Kottos. Hauen wir auf die Pauke.“
Sein Hawk löste sich als erstes, kam hinter der schützenden Felsformation los und eröffnete augenblicklich das Feuer mit dem schweren Maelstrom-Partikelgewehr.
Ultrahochbeschleunigte Minipartikel, knapp Lichtschnell schlugen nun wie eine Ladung sehr effektives Schrot auf einen Beta ein, der gerade eine Waffenkuppel ausradierte.
Der Schuss war nur kurz, hatte aber zwei Effekte. Er riss einen Mecha-Arm direkt an der Schulter ab, beschädigte die innere Struktur schwer und übertrug eine Menge kinetischer Energie, die den Beta um die eigene Achse taumeln ließ.
„Willkommen zu meiner Party, meine lieben Marodeure. Wenn ich mich vorstellen darf: Lieutenant Colonel Daisuke Honda und die Hotel-Kompanie des Kottos-Bataillons. Wenn Ihr gleich aufgeben wollt, kann ich das verstehen.“
Der beschädigte Beta wandte sich in seine Richtung. „Was? Du arroganter, selbstgefälliger Kerl! Wer glaubst du, dass du bist? Akira Otomo?“
Neben und über ihm gingen die anderen Mechas der Kompanie nun in den Clinch mit den Marodeuren.
„Nicht Akira“, antwortete Daisuke, „aber ich bin nicht viel schlechter.“
„Das musst du erst mal beweisen!“, blaffte sein Gegenüber und feuerte eine Raketensalve auf ihn ab.
Daisuke wich dem einen Teil aus, vernichtete die anderen mit seinem Antiraketensystem und griff auf den Rücken. Dort hing eine Herkules-Klinge in der Spezialhalterung bereit. Sie zu ziehen, den Beta zu passieren und den Reaktor vom Cockpit zu trennen, was aus dem Beta ein Cabrio machte, war eine einzige fließende Bewegung.
Daisuke fing den Hawk auf federnden Beinen ab, während der Torso des Daishis vom Cockpit herab rutschte und langsam herab trudelte, in den Mondstaub.
„Beweis genug?“, fragte der Bataillonsführer eisig.
**
„Komm, bitte. Komm, bitte.“ Die junge Frau zog Megumi mit sich unter die Aufbauten des Bootes, während ich mich neben das Steuer stellte. Ich ging nun schon eine halbe Stunde barfuss, und es war ein Labsal für meine Füße.
Miguel lachte mich an und zog an seiner selbst gedrehten Zigarette. Er und seine Crew hatten mich und Megumi am Ufer aufgelesen, kaum dass wir den Fluss erreicht hatten. Miguel hatte keine Fragen gestellt, nicht warum Megumi halbnackt durch den Dschungel gelaufen war, nicht woher wir kamen. Er hatte nur gelacht und gefragt, ob wir mit stromaufwärts kommen wollten.
Ich hustete leicht, als ich den schweren, blauen Dunst einatmete. „Zieh endlich die Durchgeschwitzten Sachen aus“, mahnte mich der Ältere. „Die Luft ist zwar warm, aber deswegen kannst du dich doch erkälten.“
Gehorsam zog ich Hemd und Shirt aus und wechselte in das trockene Flanellhemd, welches mir Santos, der Maschinist geliehen hatte. Ich hätte auch gerne die Uniformhose gewechselt, aber so was war leider nicht an Bord.
Die LA TRINIDAT war ein relativ großes Boot, eine Art Kurierschiff, das Waren und Nahrichten den Rio hinaufbrachte. Für ihren Trip war sie jedes Mal über eine Woche unterwegs. Und kam meistens mit ein paar Säckchen seltenen Pflanzen und ein paar Unzen Goldnuggets zurück. Manchmal tauschten die Bewohner der abgelegenen Dörfer auch Diamanten und andere Edelsteine gegen die Waren ein. Es war nicht soviel, als dass es eine große Firma auf den Plan gerufen hätte, um hier mitten im Urwald Raubbau zu betreiben. Aber es reichte, um sich ab und an Ersatzteile für einen Generator zu leisten. Oder einen viel versprechenden jungen Menschen zum studieren in die Stadt zu schicken. Erstaunt erfuhr ich sogar, dass einige der Dorfbewohner aus den Flusssiedlungen sogar in die UEMF eingetreten waren. Und dabei hatte ich den Fluss und seine Bewohner in ihrer ganz eigenen Welt geglaubt.

Miguel lachte wieder und sah mich mit schalkhaftem Glitzern in den Augen an. „So weit vom Schuss sind wir nicht, Akira. Wir kriegen hier schon mit, was draußen läuft. Den Angriff auf den Mars haben wir sehr interessiert mitverfolgt. Und auch die Aktivitäten der United Earth Mecha Force bekommen wir mit. Und wir erkennen eine Uniform, wenn wir sie sehen.“
Ich nickte dazu. „Hast du uns deswegen mitgenommen, Miguel?“
„Ich habe euch mitgenommen, weil Ihr so ausgesehen habt, als würdet Ihr Hilfe brauchen. Wenn sich die Menschen in dieser Region nicht gegenseitig unterstützen, wäre dies eine gottlose Gegend. Vor allem sollte man denen zur Seite stehen, die von den Argentiniern mit raketenbestückten Hubschraubern gejagt werden.“
Erschrocken sah ich ihn an.
Wieder lachte Miguel. „Was wunderst du dich? Eine so große Militäraktion können die Argentinier nicht verheimlichen. So was spricht sich rum. Auch, dass du den Toba geholfen hast. Wir sind hier fast alle Mestizen, musst du wissen.“
Mischlinge aus weißen Einwanderern und eingeborenen Indianern, ging es mir durch den Kopf.

„Komm“, sagte die junge Frau, die Megumi weg geführt hatte. „Komm, er wird sich freuen, dich zu sehen.“ Soweit ich wusste, hieß die junge Dame Carmen und war so was wie die Kontaktpflegerin an Bord. Wenn das Schiff irgendwo anlegte, war es Carmen, die sofort mit den Frauen zu schwatzen begann, Neuigkeiten austauschte und die Bindung zur LA TRINIDAT erhöhte. Im Moment erhöhte sie aber lediglich Megumis Widerstand, die sich nur sehr unwillig aus dem Aufbau herauslocken ließ.
Als sei dann doch vor mir stand, sackte mir die Kinnlade weg. Sie trug nur ein schlichtes weißes Sommerkleid und ihre Haare waren frisch gewaschen. Zudem schien ihr der Aufzug peinlich zu sein. Außer für die Schuluniform trug sie eigentlich nie einen Rock oder ein Kleid.
Aber es stand ihr vorzüglich. In Momenten wie diesen, wenn sie mich erneut überraschte, sprachlos machte, da ahnte ich wieder, wie und warum ich mich in sie verliebt hatte.
„Wow“, murmelte ich leise.
„Gefällt es dir?“, fragte sie und sah noch immer weg.
„Es ist… Megumi, du solltest öfter ein Kleid tragen. Es steht dir wundervoll.“
Sie sah mich an und ihre Augen strahlten. „Wirklich?“
Miguel lachte erneut. „Junge Liebe. Was gibt es schöneres?“
Ich klopfte dem Kapitän auf die Schulter. „Ihr habt uns zu essen gegeben. Ihr habt uns Kleidung gegeben. Wie können wir das wieder gut machen?“
Miguel wurde ernst. „Vielleicht gibt es da wirklich etwas, was du tun kannst, Akira Otomo. Wir haben euch nicht geholfen, um eine Gegenleistung zu bekommen. Aber wenn ich eine Bitte äußern darf…“

Explosionslärm ließ uns aufschrecken und nach Süden sehen. Rauchwolken stiegen über dem Urwald auf.
„Vier Kilometer entfernt“, sagte Megumi konzentriert. „Drei Hubschrauber. Kommen näher. Ich glaube, sie jagen etwas.“
Kurz darauf kam der erste Helikopter in Sichtweite. Er zog eine weite Schleife, die Bordgeschütze hämmerten in den Dschungel hinab. Eine Stinger hob aus dem Blätterdach ab, traf den Flieger am Hauptrotor, beschädigte ihn aber nicht schwer genug. Dennoch zog sich der Hubschrauber zurück und überließ den Schauplatz seinen beiden Kollegen.
„Wen immer sie jagen, er ist gut ausgerüstet“, stellte ich fest.
Am Ufer erschienen zwei Jeeps und nutzten den Trampelpfad neben dem Flusslauf als provisorische Straße.
„Ja, da soll mich doch… Das sind Yoshi und Kitsune!“, rief ich aufgeregt.
Jeweils vier Leute saßen in einem der Jeeps. Im vorderen saßen der Freund und die Fuchsdämonin. Sie wirkten erschöpft, aber unverletzt.
Ich winkte ihnen zu, bis es mir wegen der näher kommenden Hubschrauber zu gefährlich wurde. Einer jagte den Jeeps hinterher, die wieder in den Dschungel abbogen. Der andere sauste auf den breiten Fluss hinaus und legte sich neben die LA TRINIDAT. Der Co-Pilot rief etwas auf spanisch über die Lautsprecheranlage, doch Miguel schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Fluss vor ihnen. Daraufhin rang der Offizier sichtlich mit sich, bevor der Hubschrauber wieder Höhe gewann und zurück zum Dschungel flog.
„Was wollte er?“, fragte ich.
„Na, was wollte er wohl? Euch wollte er. Aber ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass wir auf der brasilianischen Seite sind und er hier nichts zu suchen hat.“ Miguel lachte laut. „Pack die Stinger wieder ein, Santos. Wir brauchen sie noch nicht.“
Der Maschinist lugte aus dem Aufbau hervor und deaktivierte die Schulterwaffe wieder. „Gut. Diese Dinger sind teuer.“
„Nicht immer“, sagte Miguel ernst, „halten sich die Argentinier an Grenzen. Dann ist es gut, eine Rückversicherung zu haben. Vor allem jetzt, wo sie ahnen, wo ihre Beute ist…“
Ich nickte schwer.

Neben uns wurde ein Krokodil durch die Luft geschleudert, erreichte eine Höhe von beachtlichen sieben Metern und schlug hart wieder auf das Wasser auf.
„Machen eure Krokos so was öfter?“, fragte ich erstaunt.
„Es sind Alligatoren. Und nein, bisher konnten sie noch nicht fliegen.“ Miguel war nicht weniger überrascht als ich.
„Such dir ein anderes Frühstück!“, hörte ich eine bekannte Stimme fluchen. Ich trat an die Reling und lachte befreit auf. Dann langte ich ins Wasser hinab und half Kitsune dabei, an Deck zu kommen.
„Danke“, sagte sie und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
„Und ich dachte schon, ihr habt mich nicht gesehen“, rief ich erleichtert.
„Haben wir auch erst nicht. Als der zweite Hubschrauber aber dann zu euch geflogen ist, anstatt uns zu verfolgen… Ist was, guter Mann?“
Miguel starrte die Dämonin aus weit aufgerissenen Augen an und bekreuzigte sich. „Heilige Madonna, ein Naturgeist.“
„Das kannst du sehen?“, rief Megumi erstaunt.
„Sehen nicht, aber fühlen. Und ein fliegender Alligator ist auch ein guter Hinweis“, erwiderte der Kapitän. „Eure Freundin?“
„Kann man so sagen“, erwiderte ich. Kurz darauf steckte ich in einer der dicksten Umarmungen der letzten zwei Jahre. Kitsune hielt mich umklammert und schluchzte leise. „Akira, ich habe dich so vermisst. Wir alle haben dich vermisst. Vor allem Akari. Und Kei. Und Yoshi. Und der alte Brummbär von Okame auch! Wie konntest du so lange weg bleiben?“
„Aber, aber“, sagte ich und streichelte der Fuchsdämonin über die roten Haare.
„Nichts aber, aber. Wehe, du machst das noch mal mit uns. Sag doch auch mal was, Megumi.“
Die Angesprochene lächelte schief. „Von mir hat er sein Fett schon weg, Kitsune-chan.“
„So?“ Misstrauisch beäugte die Fuchsgöttin die Freundin. „Ach, du bist doch immer viel zu sanft mit ihm.“
„Du etwa nicht?“, erwiderte Megumi lächelnd.
Kitsune ließ mich los, stürzte zu Boden und stützte sich schwer auf den Händen ab. „Du hast mich ertappt! Ich bin viel zu weich gegenüber Akira!“
„Na, na. Nun sei mal nicht gleich so depressiv“, sagte ich und tätschelte ihren Kopf. „Ich beschwere mich jedenfalls nicht.“
„Das wäre ja auch noch schöner“, rief die Fuchsdämonin und bekam wieder Oberwasser. Sie fixierte den Kapitän. „Yoshi hat uns einen Treffpunkt mitgegeben. Fünf Kilometer stromauf liegt ein Anlegeplatz. Dort will er uns abholen.“
„Schlechte Idee, schlechte Idee. Dafür müssen wir wieder auf die argentinische Seite. Und die Hubschrauber belauern uns dort sicher.“
„Das“, sagte Kitsune mit einem breiten Grinsen, „lass mal Yoshis Sorge sein.“
**
„Junge, Junge, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich hätte es nicht geglaubt“, murmelte der Fremdenlegionär und beobachtete Akari, wie sie die Soldaten in Bereitschaftsstellungen scheuchte. Mechas waren keine zu sehen, aber irgendwie konnte der Lieutenant nicht dran glauben, dass das resolute Mädchen ausgerechnet die Riesengefährte vergessen hatte.
Der Jeep hielt quietschend neben der ehemaligen Oni und Yoshi sprang heraus. „Ich weiß, ihr hattet nur zwanzig Minuten Zeit. Aber hast du alles hin gekriegt?“
Akari nickte knapp. „Wir haben uns halbkreisförmig ausgebreitet. Stinger wurden ausgegeben. Hier, hier und hier habe ich die Hawks positioniert. Sobald die erste Attacke abgeschlagen ist, werden die Argentinier Jagdbomber einsetzen. Die Hawks werden die Raketen abfangen, bevor sie uns gefährlich werden können. Der Eagle deckt derweil Akiras Rückzugsweg ins Basis-Camp. Von mir aus kann es losgehen.“
„Gut zu hören, Akari-chan.“ Yoshi inspizierte die provisorischen Stellungen und grunzte zufrieden. „Damit sollten wir sowohl den Hubschraubern als auch den Bodentruppen standhalten können. Jetzt müssen wir nur noch auf Akira und Megumi warten.“
„Und die Argentinier mit dieser Aktion herlocken“, klagte Akari. „Aber da ich keine bessere Idee habe, machen wir es so.“ Sie wandte sich um und ging zu einem Unterstand, der eilig errichtet worden war und nun einem Sparrow als Deckung diente.

„Junge, Junge, das kleine Mädchen hat Sie aber ganz schön im Griff“, triezte der Fremdenlegionär.
„Würden Sie mir glauben, dass sie ein wiedergeborener Oni, ein Slayer und vierhundert Jahre alt ist?“
Entsetzt sah Navarre den Captain an. „Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“
Yoshi grinste kalt. „Doch, das ist es. Und deshalb darf sie mich im Griff haben, soviel sie will. Und wenn ich Sie wäre, würde ich mich nur sehr ungern mit ihr anlegen.“
Yoshi klopfte dem Mann auf die Schulter und ging ebenfalls zum Sparrow.
Zurück blieb ein Offizier der Fremdenlegion, der einige herzhafte Flüche in seiner kroatischen Landessprache zum Besten gab. Dann zuckte er die Achseln und folgte den Japanern. „Was wundere ich mich überhaupt? Die waren schließlich alle auf dem Mars.“
Irgendwie war Navarre neidisch auf sie.
**
„Soweit, so gut“, sagte Mamoru leise. Er saß mit Gina in einem Straßencafé und beobachtete unauffällig den toten Briefkasten, ein Buschwerk hinter einem Briefkasten. Gestern Abend hatte er mit Hilfe von Gina und ihrem atemberaubenden Sommerkleid die Botschaft dort platziert. Heute Morgen, als er kontrolliert hatte, war sie fort gewesen. Er wusste, es war vollkommen unprofessionell, nun den toten Briefkasten zu überwachen. Aber er musste Gewissheit haben, wer ihm auf die Nachricht antworten würde.
Gina akzeptierte das und schwatzte munter drauf los, ohne etwas darauf zu geben, dass Mamoru nur nickte, ab und zu zustimmend brummte und ihr überhaupt nicht zuhörte.
Doch ein Wort ließ den Offizier der UEMF aufhorchen. „AURORA?“, fragte er.
Gina lächelte verlegen. „Ja, die AURORA. Ich weiß nicht, wie gefährlich die Reise wird, aber ich würde sie gerne mit machen. Ich habe gehört, es gibt eine richtige Stadt in ihr mit Geschäften, Lokalen, Parks und Bürohäusern. Ich habe mir überlegt, ob ich dort nicht eine Filiale des Familiengeschäfts eröffnen sollte. Ich meine, mein Cousin Andrea wird als Ingenieur an Bord sein, und als Angehörige werde ich vielleicht bevorzugt.
Warst du schon in der AURORA?“
Mamoru schüttelte den Kopf. „Ich nicht. Aber ich habe die Pläne gesehen.“ Er rieb sich die Nasenwurzel. „Ich werde sie mir wohl auch nicht ansehen oder mitfliegen. Meine Ex ist an Bord.“
„Deine Ex? Und deshalb willst du nicht an Bord? Willst du das große Abenteuer mit Otomo und den anderen nicht erleben?“, fragte Gina verwundert.
„Das ist es nicht. Ich… Sie… Sie hat sich für die Universität eingeschrieben, ohne mir etwas zu sagen. Und als sie ihre Bestätigung hatte, da hat sie mir knallhart gesagt, was sie tun wird.“
„Hat sie dich nicht gefragt, ob du mitkommen willst? Das wundert mich jetzt aber.“
„Nein, sie hat mich nicht gefragt. Wahrscheinlich hat sie es stumm voraus gesetzt. Vielleicht wollte sie mich auf diese Weise auch nur loswerden. Ich weiß es nicht.“ Mamoru sah wütend zu Boden.
„Warum hast du sie nicht gefragt? Ihr Männer seid aber ein merkwürdiges Volk.“
„Sie fragen, und von ihr ins Gesicht gesagt bekommen, dass sie mich loswerden will? Nein, das ist nichts für mich.“
Gina schmunzelte ihn an. „Oder gesagt zu kriegen, dass sie dich mitnehmen will. Das wäre die andere Möglichkeit gewesen.“
„Du verstehst das nicht. Sie… Sie liebt Akira und… Ich stehe auf Megumi und unsere ganze Beziehung war nur ein Notanker und mir war klar, dass wir irgendwann wieder getrennte Wege gehen würden. Ich meine, ich hatte gehofft, dass… Aber mit ihrer Entscheidung, an die AURORA Universität zu gehen, da hat sie… Da hat sie…“
„Da hat sie nichts weiter getan als sich für die AURORA Uni zu entscheiden“, tadelte Gina. „Und du hattest nichts besseres zu tun um das als Schlussstrich unter eurer Beziehung zu verstehen? Megumi hin, Akira her, so wie deine Augen gerade schimmern muß dir die Trennung sehr schwer fallen. Oder?“
Mamoru sah auf. „Ich… Ja, ich gebe es zu. Aber das ist nur meine Sicht, und ich will ihr wirklich nicht… Ich meine…“
Gina nickte bestätigend. „Ja, so was habe ich mir schon gedacht. Ich will jetzt auch gar nicht lange breit treten, dass sich deine Exfreundin nichts sehnlicher wünscht, als das du in ihr Leben zurückkehrst. Ich will dich nur eine Sache fragen: Ist es nicht unglaublich schade, dass es so enden muß? Geht das nicht mit… Etwas Würde und Verständnis?“
„Das waren aber zwei Fragen“, beschwerte sich Mamoru und kämpfte mit dem dicken Kloß in seinem Hals. Die junge Frau hatte, wie Sniper immer so gerne sagte, den Nagel auf dem Kopf getroffen.
Gina klatschte in die Hände. „Weißt du was? Ich werde mich für AURORA bewerben und ein italienisches Restaurant aufmachen. Und du kommst auch mit an Bord und sprichst dich mit deiner Freundin aus. Und wenn alles den Bach runter geht und Ihr wirklich nicht mehr zusammen könnt, weil dein Dickschädel ausnahmsweise Recht hatte, dann stelle ich dich als Koch an. Na, wie klingt das?“
Mamoru verbarg sein Gesicht unter beiden Händen.
„Was? Ist die Idee so schlecht?“, schmollte Gina.
Da begann Mamoru leise zu lachen, wurde immer lauter. Als die ersten Tränen auf den Tisch fielen, konnte er nicht mehr an sich halten und lachte sich die Ängste und Befürchtungen der letzten Monate von der Seele.
Er lächelte Gina an, während er sich die letzten Tränen aus den Augenwinkeln wischte. „Also gut, abgemacht. Aber muß sie mich abblitzen lassen, damit du mich als Koch einstellst?“
„Natürlich nicht“, erwiderte sie. „Aber den Mitleidsbonus im Gehalt kannst du dann natürlich vergessen.“
Er schmunzelte. „Wäre ja auch zuviel verlangt, was?“
„Mamoru“, hauchte Gina.
„Ja?“
„Mamoru, da hat jemand einen roten Zettel in den Busch gehängt.“
Sofort war der Geheimdienstoffizier in ihm erwacht. „Hast du erkannt, wer?“
„Nein, da waren vorhin so viele Menschen, ich bin mir nicht sicher. Ist das ein schlimmes Zeichen?“
„Ein sehr schlimmes Zeichen. Es bedeutet, dass der tote Briefkasten geschlossen ist. Er wird überwacht oder der gegnerische Geheimdienst kontrolliert ihn. Trink aus, wir müssen hier schnell weg.“
Gina warf ihrem Eistee einen bedauernden Blick zu. „Schon fertig. Wo wollen wir hin?“
„Nicht so hastig. Falls uns jemand beobachtet, soll er keinen Verdacht schöpfen. Steh ganz natürlich auf“, sagte er leise.
Er selbst erhob sich, legte Geld auf den Tisch. „Gehen wir erst mal durch einen Park oder so. Ein verliebtes Pärchen wird dort nicht weiter auffallen und eventuelle Verfolger sollten bald das Interesse verlieren.“ Mamoru fluchte leise. „Ich hätte mir doch die Haare färben sollen.“
Gina hakte sich bei ihm ein. „Da bin ich aber dagegen. Schwarz steht dir einfach am besten.“
„Na, wenn du das sagst.“ So lange sie nur in Bezug auf die Haarfarbe Recht hatte…

4.
„Scheiße, das sieht schlecht aus! Jaques, Andreas, Rückzug!“
„Geht nicht, Shawn! Die UEMF-ler bedrängen uns zu sehr! Außerdem meldet die KOWLOON gegnerische Fregatten auf Abfangkurs!“
„Verdammt!“
Daisuke lauschte dem Funkverkehr seiner Gegner mit Interesse. „Ihr solltet besser aufgeben, Shawn, bevor noch einer drauf geht bei der Geschichte“, sagte er leise.
„Mist, die sind in unserem Funkkreis! Shawn, was machen wir? Gerade hat es Mike erwischt.“
Ein leises Lachen antwortete ihm, ein leises Lachen, das immer lauter wurde und in einem zornigen Schrei endete.
„Jetzt habt Ihr es geschafft, Ihr verdammten UEMFler! Jetzt bin ich sauer!“
Daisuke identifizierte den Mecha des Anführers als Daishi Beta, keine zwanzig Meter von ihm entfernt, eine großkalibrige Preacher-Waffe in der Hand.
„KOWLOON, auf mein Kommando beginnt ihr mit dem Bombardement von Armstrong. Was hältst du davon, UEMF-Commander? Zieh die Fregatten zurück und lass uns ziehen, dann darfst du deine schöne Stadt behalten!“
„Keine gute Idee“, erwiderte Daisuke. „Schieß lieber auf die Stadt. Das bringt uns eine bessere Propaganda und einen guten Zulauf. Nein, warte.“ Er drehte seinen Mecha in Richtung Wohnanlagen. „Orbitalbombardement ist so ungenau. Besser, ich nehme die Ziele, die uns die meisten Toten bringen, selbst unter Beschuss. Je größer der Aufschrei in der Öffentlichkeit, desto besser für unsere Pressearbeit. Unser Budget wird in die Höhe schnellen.“
„Was? Aber… Aber Ihr seid doch hier und könnt es nicht verhindern und…“
„Quatsch. Offiziell sind wir noch immer in Aldrin. Keiner weiß, dass hier eine Kompanie Hawks steht. Und es wird auch nie einer erfahren.
Hm, was nehmen wir zuerst unter Beschuss? Die Schule, würde ich sagen. Explosive Dekompression ist ein schnellerer Tod als langsames Ersticken. Das zumindest sind wir den Kindern schuldig.“
„Du…“, hauchte Winslow. „Du willst das wirklich tun?“
„Natürlich. Ich warte nur noch darauf, dass deine NOVEMBER mit dem Bombardement beginnt.“
Ein wütender Aufschrei antwortete Daisuke. Der Beta sprintete vor und warf sich gegen seinen Hawk. Daisuke spürte den harten Aufprall wurde zu Boden geschleudert. „Das kannst du doch nicht machen! Das sind Menschen! Menschen!“
„Natürlich kann ich das nicht machen“, erwiderte Daisuke trocken. „Und du kannst es auch nicht.“
Stille antwortete dem Anführer des Kottos-Bataillons.
„Also, beenden wir es jetzt und hier, bevor wirklich noch jemand zu Schaden kommt. Bitte. Ihr werdet ordentlich behandelt, das verspreche ich.“
Der Daishi Beta sackte vor seinen Augen in sich zusammen. Für einen Moment fühlte Daisuke tiefes Bedauern, dass es hatte so kommen müssen.
„Es… Es ist vorbei. Deaktiviert die Waffen und die Ortung. Die KOWLOON soll stationären Orbit halten und eine Entermannschaft an Bord lassen.
Du garantierst für unsere gute Behandlung, UEMF-Commander?“
„Mein Name ist Daisuke Honda. Und ja, ich garantiere dafür.“
„Daisuke Honda? So wie du mit der Herkules-Klinge umgehst, dachte ich, du wärst Akira Otomo.“
„Na, danke für die Blumen“, schmunzelte Daisuke.
**
Übergangslos pfiffen die Kugeln über das Gelände. Wer noch keine Deckung hatte, warf sich schnell hinter einen Erdwall oder einen Baum. Sofort schossen zwei Hawks aus ihren Verstecken, fanden aber keine Ziele. Vier Kampfhubschrauber, die von Süden angreifen wollten, bemerkten die Mechas und überlegten es sich noch einmal.
„Mist, das ist Infanterie!“, rief Yoshi, als er sich neben Navarre in den Graben warf. „Die kriegen wir mit Mechas nicht aus den Löchern, und wenn wir den ganzen Urwald umpflügen. Napalm gehört leider auch nicht zu unserer Gefechtsdoktrin.“
„Wir können warten bis es dunkel ist. Dann gehen meine Männer raus und erledigen die Argentinier einzeln.“ Um zu unterstreichen was er meinte, zog Navarre die lange Bowie-Klinge ein paar Zentimeter aus seiner Halterung.
„So viel Zeit haben wir nicht. FEUER ERWIDERN! Akira und Megumi dürften in einigen Minuten auf dem Steg landen. Wenn dann ein Scharfschütze in der Nähe ist, Gute Nacht.“
Die Fremdenlegionäre und die UEMF-Infanteristen schossen nun auf breiter Front zurück.
Hinter ihnen begann der Eagle zu feuern. Er schoss zehn Runden ab, bevor er die Arme wieder senkte.
„Was ist denn nun schon wieder los?“, blaffte Yoshi.
„Angreifende Kampfjets, Sir“, meldete der Pilot. „Mein Gunner hat ihnen klar gemacht, das sie hier nicht willkommen sind.“
„Gut, gut. Haben Sie vielleicht noch eine Patentlösung für die gegnerische Infanterie parat?“

Als der gigantische Hawk mitten zwischen den Stellungen der Fremdenlegion herunter kam, verstummten die Schusswechsel für einen Moment.
Die Cockpitluke öffnete sich und Doitsu Ataka kletterte hervor. Er war sichtlich wütend; in der Rechten hielt er sein Katana.
„Wenn hier nicht bald Ruhe herrscht“, blaffte er in Richtung der im Wald versteckten Argentinier, „dann werde ich hier noch so richtig sauer. Und glaubt mir, Ihr wollt mich nicht sauer erleben! Also, entweder verzieht Ihr euch jetzt oder Ihr ergebt euch. Wenn nicht, komme ich euch holen, Mann für Mann!“
„Was macht dieser Wahnsinnige? Warum bietet er sich als Zielscheibe an?“, rief Navarre.
„Genau das tut er. Er bietet sich als Zielscheibe an“, schmunzelte Yoshi.
„Was? Aber… Aber… Hat er Todessehnsucht? Oder soll das die Moral stärken? Ich habe da ein paar verrückte Sachen über euch Japaner gehört…“
„Nein, es geht um etwas anderes. Es geht um das Beeindrucken des Feindes. Hoffentlich schießt bald einer.“
„WAS?“, rief Navarre und wäre beinahe aufgesprungen.

„Wird es bald?“, blaffte Doitsu und zog sein Katana blank. Infanterie hob man am besten mit flächendeckendem Bombardement oder mit anderer Infanterie aus. Das wusste er nur zu gut.
Die Kugel, die auf seinen Kopf gezielt gewesen war, erreichte eine Maximalgeschwindigkeit von fast neunhundert Kilometern pro Stunde. Sie wog etwa dreißig Gramm und hatte einen Weichkern-Gefechtskopf: Abgeschossen aus weniger als hundert Metern Entfernung würde sie genügend kinetische Energie entfalten, um Doitsu den Kopf abzureißen.
Nach etwa achtzig Metern trat sie jedoch in die extrem ausgeweitete Aura des Japaners ein und löste damit einen Reflex aus. Die ohnehin schon erhobene Klinge ruckte leicht nach rechts oben. Dabei glomm die Schneide des Katanas mit KI auf, zerteilte die Kugel und ließ die beiden Überreste wie zornige Wespen in verschiedene Richtungen davon springen.
Ein ehrfurchtsvolles Raunen ging durch die Reihen der Fremdenlegionäre.

Yoshi warf Navarre ein Zwinkern zu. „Darauf habe ich gewartet“, sagte er. „Und jetzt geht es erst richtig los.“
Doitsu war nun sichtlich sauer. Er schloss seine Augen, hob die Klinge zu einem Karatake-Schlag und ließ das Katana selbst aufleuchten. Das Leuchten erfasste nun auch seine Arme, seinen Oberkörper, sein Gesicht und endlich seine Augen. Als alles unter einem gespenstischen Schein lag, lief der Hawk-Pilot aus dem Stand los.
Selbst Yoshi hatte Mühe, seine Augen mit den Bewegungen des Freundes mithalten zu lassen. Vereinzelt fielen Schüsse, aber Yoshi bezweifelte, dass sie Doitsu auch nur nahe gekommen waren.
Danach war es einige Zeitlang absolut still. Dann erklang der erste Schmerzensschrei, der sich anhörte, als wäre jemand von hinten in den Allerwertesten getreten worden.
Yoshi sprang auf. „Jetzt sind wir dran. Doitsu bringt die Stellung in Unordnung, und wir wischen auf.“
Navarre erhob sich, als Yoshi bereits auf den nahen Waldrand zulief. Er griff seine Waffe fester und sagte laut zu sich selbst: „Warum wundere ich mich eigentlich überhaupt noch?“

Fünf Minuten später war alles vorbei. Siebenundzwanzig Soldaten der Armee waren gefangen genommen worden. Der Rest war entkommen und floh durch den Wald nach Süden.
In diesem Moment legte die LA TRINIDAT am Steg an. Akira Otomo sprang herüber, half das Boot mit einem Seil zu sichern. Danach half er Megumi über die Reling, indem er sie auf die Arme nahm.
„Na endlich“, seufzte Yoshi.
**
Als ich Megumi vom Boot geholfen hatte, bedankte ich mich noch einmal bei Miguel und seinen Leuten. Um was er mich als Gegenleistung gebeten hatte, war beinahe unmöglich. Beinahe.
Mit Megumi an meiner Seite und der Fuchsdämonin in verwandelter Form auf meiner Schulter trat ich zu den anderen.
„Meine Herren“, sagte ich steif. „Wie ist die Lage?“
„Angreifende Infanterie, ein paar Hubschrauber. Dazu Kampfjets knapp außerhalb der Waffenreichweite des Eagles“, meldete Yoshi, der anscheinend das Kommando bei dieser Operation hatte.
„Gab es Probleme?“
„Ja, eines. Doitsu hat sich vorgedrängelt und mir die Schau gestohlen. Hättest ihn mal sehen sollen, wie er sich mit seinem Katana in Szene gestellt hat und dann nur mit seiner Waffe Kugeln in der Luft zerschnitten hat. Der Kerl ist ein ganz schöner Angeber geworden.“
Doitsu wurde rot. „D-das ging ja wohl nicht anders. Oder hattest du vielleicht den Hauch einer Idee, wie wir die Infanterie aus ihren Deckungen kriegen sollten?“
Spontan trat ich einen Schritt vor und umarmte die beiden. „Es ist schön, wieder Zuhause zu sein.“
Diese Eröffnung machte sie sprachlos.
Als ich sie los ließ, fragte ich: „Wo ist das Basiscamp?“
„Fünf Minuten den Fluss hoch“, sagte Doitsu.
„Gut. Dann lasst uns hier zusammen packen. Wir sind hier vielleicht fertig, aber es wartet noch eine Menge Arbeit.“
„Typisch. Wir machen uns Sorgen um dich, und du tauchst hier quietschfidel zusammen mit Megumi wieder auf und reißt die ganze Szenerie an sich. Woher hat sie überhaupt das weiße Kleid?“
„Das ist eine lange Geschichte“, seufzte ich. „Schatz, kommst du?“
Megumi hatte derweil mit Akari zu kämpfen, die ihr schluchzend um den Hals gefallen war. „Bin ja schon da. Nimmst du sie mal, Akira? Und? Habt Ihr euch Sorgen um mich gemacht?“, fragte sie die Jungs.
Doitsu und Yoshi wechselten einen langen Blick und schüttelten den Kopf. „Nee“, sagten sie im Chor.
„Akira war ja bei dir. Gibt es einen besseren Schutz?“, fügte Yoshi an.
„O-nii-chan!“, rief Akari aufgelöst und umklammerte nun mich.
„So, so“, schmunzelte Megumi.
„Dies hier ist übrigens Lieutenant Navarre von der Fremdenlegion. Er und sein Zug haben uns dabei geholfen, euch aufzuspüren“, informierte Yoshi mich.
„Freut mich Sie kennen zu lernen. Sie haben die Jeeps durch den Wald gebracht?“
Wir schüttelten einander die Hände. „Teils, teils, Sir. Wir hatten Hilfe von einem Einheimischen namens José.“
„José?“, rief ich erfreut. „Dann sind er und seine Leute gut raus gekommen?“
„Si, El Magnifico!“, rief der Indianer erfreut und winkte von den Jeeps herüber. „Kommen Sie, Kommen Sie und bringen Sie Ihre hübsche Freundin mit.“
„Abrücken, abrücken!“, rief Navarre. Wir setzten uns in Bewegung. „Das ist also der legendäre Akira Otomo? Das Kommando übernehmen kann er jedenfalls ganz gut.“
**
Als wir im Basis-Camp ankamen, erwartete Doitsu uns schon. Ein Hawk hatte gegenüber Jeeps einen Riesenvorteil.
Wir wurden mit großem Trara begrüßt. Und ehrlich gesagt, genoss ich den Trubel. Natürlich hatte ich kurz darauf Yohko am Hals. Ich wäre auch schwer gekränkt gewesen, wenn sie sich nicht Tränen überströmt an meine Brust gedrängt hätte. Immerhin war sie meine kleine Schwester und wir hatten uns anderthalb Jahre nicht gesehen.
„Schon gut, Yohko-chan“, sagte ich und streichelte ihr über den Kopf.
„O-nii-chan, dein Auge, wir…“
„Ich wollte es ja heilen“, mischte sich Kitsune ein, „aber er ist ja sooo störrisch.“
„Das hat seinen Grund, Kitsune-chan“, sagte ich und tätschelte ihren Kopf. „Dazu aber später mehr.“

„Na, Akira?“, begrüßte mich Jackson. „Schön, dass du wieder in einem Stück zu uns gekommen bist.“
„Fred?“ Erstaunt sah ich den Kollegen von LMR an. „Ach so, du hast es hier mitgekriegt. Und Juri und Tasha sicher auch und…“ Beim Schmunzeln des Technikers verlor ich schnell die Fassung. Die beiden Piloten traten ebenfalls hinzu und grinsten scheinheilig.
„Was? Ihr auch?“ Alle drei nickten. „Ach kommt, Ihr verarscht mich.“
„Wer fällt schon auf gefärbte Haare rein?“, konterte Juri.
„Jetzt sagt mir bloß noch, dass ganz LMR Bescheid weiß“, murrte ich.
„Natürlich weiß ganz LMR Bescheid. Wie hätten wir sonst verhindern können, dass dich einer verpetzt?“, erwiderte Fred ernst. Ein Schmunzeln umspielte seine Züge, als er hinzufügte: „Na ja, einer wusste es bis eben nicht. Hey, Ai-chan!“
Die zierliche Japanerin kam langsam nach vorne. „Takei-sama… Ich meine Otomo-sama, ich…“
„Akira“, erklang Megumis Stimme direkt hinter mir. „Willst du mir vielleicht irgendetwas sagen?“
„Das will ich in der Tat, Schatz. Darf ich vorstellen? Meine Freundin Megumi Uno, das Techniker-Aß Ai Yamagata, außerdem meine beste Freundin in der Firma.“
Megumi lächelte freundlich als die Japanerin sich vor ihr verneigte. „F-freut mich Sie kennen zu lernen, Colonel.“
Vollkommen unjapanisch streckte Megumi die Hand aus und schüttelte die Rechte von Yamagata. „Freut mich auch, Ai-chan. Akiras Freunde sind auch immer meine Freunde.“ Sie legte kurz den Kopf schräg. „Meistens, jedenfalls. So wie in diesem Fall.“
„Den Rest stelle ich ein andernmal vor“, drängte ich. „Wer verschafft mir eine Direktverbindung zum OLYMP?“
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„Nein! Nein, nein, nein, nein und nochmals nein! Akira, hörst du? Nein!“
Ich seufzte schwer. „Vater, ich kriege das auf die Reihe. Das verspreche ich. Am Ende werden alle zufrieden und glücklich sein. Hm, die meisten werden das.“
„Trotzdem. Du riskierst einen internationalen Zwischenfall!“
„Wie schnell können Prime und Lady Death hier sein?“
Eikichi Otomo sah mich missmutig an. „Ich habe beide los geschickt, als die Meldung kam, dass Ihr beide sicher seid. In fünf Minuten sollten sie da sein.“
„Gut. Ich werde sie brauchen, wenn ich Argentinien erobere“, schmunzelte ich.
„Tu, was du nicht lassen kannst. Aber versprich mir eines, mein Sohn.“
„Und das wäre, Vater?“
„Wehe, du singst diese Schmonzette aus dem Musical Evita.“
Ich lachte leise. „Versprochen. Ich singe sie nicht. Wie wäre es dann mit etwas aus Cats?“
„Vergehe dich bitte weder an moderner noch an klassischer Musik. OLYMP aus.“
Ich brummte enttäuscht. „Wäre doch bestimmt gut gekommen. Ich in meinem Hawk über Buenos Aires und dann ein herzhaftes: Don´t cry for me… War nur Spaß.“
**
„Es tut mir Leid, Gina. Es tut mir Leid, dass ich dich da mit rein gezogen habe“, hauchte Mamoru. Er zählte drei Agenten hinter sich, jeweils zwei an den Flanken und nun kamen auch noch zwei von vorne. Damit saßen sie definitiv in der Falle. Es gab kein Entkommen mehr, er hatte keine Waffe.
„Sag so etwas nicht, Mamoru. Es war für eine gute Sache“, hauchte die Italienerin.
„Okay, wenn sie uns erwischen, dann werde ich sagen, dass du meine Geisel bist. Du widersprichst mir nicht. Sie werden mich in irgendeinem Hinterhof erschießen, deshalb ignoriere alles, was sie sagen. Hör einfach nicht hin. So lange du nicht weißt, was sie machen, hast du eine Chance, dass sie dich laufen lassen.“
„Erschießen? Mamoru!“
„Ruhig. Du kennst mich eigentlich gar nicht. Ich habe dich aufgerissen und dann gezwungen, mit mir zu gehen.“
Der Geheimdienstoffizier fluchte leise. Er hätte sich schon von Gina trennen sollen, nachdem der tote Briefkasten entwertet worden war. Das wäre für sie allemal besser gewesen. Er hoffte inständig, dass sie die junge Frau verschonen würden.

Als sie das Paar eingekreist hatten, hob Mamoru die Arme, um zu zeigen, dass er aufgab. Sofort griffen zwei Männer zu, drehten seine Arme auf den Rücken und legten ihm Handschellen an. Ein anderer trat vor ihn und schlug ihm hart in den Bauch.
Gina keuchte erschrocken auf. „Was tun Sie da?“
„Hören Sie, lassen Sie das Mädchen gehen. Die habe ich als Tarnung aufgegabelt. Sie hat absolut keine Ahnung, dass ich ein Spion bin.“
Als Antwort traf ihn wieder eine Faust, diesmal mitten ins Gesicht.
Wieder keuchte die Italienerin erschrocken auf. „Hören Sie auf, ihn zu schlagen! Er kann sich doch nicht wehren!“, rief sie und versuchte den Schläger fest zu halten.
Zwei Agenten traten vor und hielten sie fest.
„Um dich kümmern wir uns später. Aber jetzt ist der da erst mal dran“, brummte der Schläger und malträtierte Mamorus Kiefer. Danach landete er wieder einen Treffer auf den Bauch. Sein letzter Schlag traf das linke Auge.
„Verdammt, ist der Kerl hart. Die Knochen sind wohl mit Beton ausgegossen, was? Ramirez, machen Sie weiter. Und Sie, junge Dame, haben eine Menge Ärger am Hals. Treiben sich mit einem Mörder und Spion herum! Wenn Ihre Eltern das erfahren, was werden die sagen, hä?“
Erde spritzte auf und traf den Agenten. „Was zum…?“
**
„Sie werden sagen, dass sie ein braves Mädchen mit dem Herz am rechten Fleck ist“, rief ich über Lautsprecher. Beinahe hatte ich befürchtet zu spät zu kommen, aber ein UEMF-Agent mit Funkgerät und Richtmikrofon hatte mich nicht nur eingewiesen, sondern auch das Gespräch übertragen. Wenn man diese halbe Exekution so nennen konnte.
Mamoru hob den Kopf und lächelte zu mir hoch. Sein linkes Auge begann zu zuschwellen. „Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, Akira.“
„Hey, tut mir Leid, ich hatte einen kleinen Disput mit der argentinischen Luftwaffe. Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich die Jets abgeschossen hätte? Immerhin lebst du noch, oder?“
Ich ließ Prime Lightning einen Schritt vortreten und noch mehr Erde aufwerfen. „Und ich würde gerne sicher gehen, dass das auch so bleibt. Wenn Sie also meinen Offizier freilassen würden?“ Ich hob den linken Arm mit dem Herkules-Schwert. „SOFORT!“
Ein paar Sekunden später waren die Agenten stiften gegangen.
„Ein paar Agenten kommen bald und übernehmen euch. Ich kümmere mich inzwischen darum, dass diese Scharade aufhört.“
„Akira!“, rief Mamoru. „Übertreibe es aber nicht, ja?“
Er sah zu mir hoch und runzelte die Stirn. „Andererseits… Übertreibe es mal so richtig. Die haben es nicht besser verdient.“
„Geht klar, Kumpel!“, rief ich und startete durch.
**
Als ich vor dem Regierungssitz landete, neben mir Lady Death und sechs weitere Mechas, musste selbst dem Militär das Herz in die Hose rutschen. In den letzten Stunden hatte sie mehr als einmal erlebt, was ein moderner Hawk mit einem Kampfjet machen konnte. Und gegen diese Monster sollten sie nur mit Faustwaffen antreten? Oder schwächlichen Panzern?
Es wäre ein leichtes gewesen, die ganze Bande zu zermalmen. Aber das war nicht der Plan.

Ich öffnete das Cockpit und kletterte hervor. Unverkennbar für jedermann trug ich meinen typischen blauen Druckanzug und den Helm mit den blauen Blitzen, die mich – abgesehen von Rangabzeichen und Namensschild – als Colonel Akira Blue Lightning Otomo identifizierten.
Als ich den Helm abnahm, eilte mir schon ein Offizier in weißer Ausgehuniform entgegen.
„Mein Name ist Akira Otomo“, sagte ich ernst. „Bitte bringen Sie mich zu Ihrem Präsidenten.“
„Natürlich, Colonel. Natürlich. Bitte, folgen Sie mir. Sie werden erwartet.“
„Ist es klug, da alleine rein zu gehen?“, rief Megumi über Lautsprecher.
„Sollte es nicht klug sein, kommt nach. In euren Mechas“, erwiderte ich und verursachte damit einen Blutsturz im Gesicht des Offiziers, der mich eskortierte.

Als ich Minuten später in dem abgedunkelten Raum stand, erkannte ich kaum einen Schattenumriss. Aber ich spürte die Präsenz von Männern und Frauen mit Macht.
„Was können wir für Sie tun, Colonel Otomo?“, erklang die Stimme von Juan Alvarez auf, dem derzeitigen Präsidenten. „Ich nehme an, Sie sind nicht gekommen, um uns den Krieg zu erklären, oder?“
Ich grinste schwach. „Nein, im Gegenteil. Ich bin hier, um mich zu bedanken. Die United Earth Mecha Force hat Sie darum gebeten, nach mir suchen zu dürfen. Sie haben dies genehmigt. Und was soll ich sagen, hier bin ich. Unbeschadet und zufrieden.“
„Dann sind ja alle Beteiligten zufrieden“, hörte ich den Präsidenten sagen.
„Das stimmt. Aber sie könnten glücklicher sein. Ich meine“, begann ich und fixierte die Augen des Mannes in der Dunkelheit, „ich stehe nicht hier um zu fragen, wie Ihre Beziehung zu den Marodeuren in der Vergangenheit war. Ich frage auch nicht danach, wieso ein Daishi mein Shuttle abgeschossen hat. Oder warum Jagdflieger versucht haben, mir ein Lagerfeuer aus Napalmbomben zu machen. Und ich frage auch nicht danach, warum man mir meine eigene Freundin auf den Hals gesetzt hat. Geschweige denn einen meiner Kameraden in eine Ihrer Kasernen liquidieren wollte.“
„Ist ja gut, wir haben verstanden, Colonel. Gibt es denn einen Weg, Sie… Ah, noch zufriedener zu machen?“, fragte der Präsident.
„Nun, die argentinische Staatsbürgerschaft wäre nicht schlecht. Ich meine, wenn Sie sich zu den Marodeuren bekennen und sie an die UEMF überstellen, geht das schlecht, solange sie staatenlos sind, oder? Das käme doch allen Beteiligten zugute. Argentinien hätte dann endlich seine Präsenz in der Weltverteidigung, dazu noch sehr erfahrene Offiziere und Kapitäne, die in letzter Zeit einen beträchtlichen Ruf erworben haben.“
„Das ist machbar.“
„Hören Sie sich erst mal den Rest an. Wissen Sie, als ich in diesem Shuttle saß und die Raketen anflogen, da dachte ich: Welcher Arsch lässt hier auf dich schießen? Dem würde ich zu gerne mal nachts begegnen. Oder zumindest dafür sorgen, dass er so einen Scheiß nie wieder veranstalten kann.“
„Ebenfalls machbar.“
„Aber Herr Präsident!“
„Sicherheit, entfernen Sie General Basicá, ich meine, Senior Basicá aus diesem Raum. Er steht bis auf weiteres unter Arrest.“
„Herr Präsident! Herr Präsident!“

Zufrieden sah ich dabei zu, wie ein Mann von zwei Geheimdienstmännern aus dem Raum geschleift wurde.
„Haben Sie noch etwas auf dem Herzen, Colonel?“
„In der Tat. Ich freue mich, Ihnen verkünden zu können, dass Major Hatake wegen der kleinen Hetzjagd nicht auf Wiedergutmachung besteht. Aber er erwartet natürlich, dass Sie seinen guten Ruf wiederherstellen. Ist das machbar?“
„Natürlich.“
„Und zu guter Letzt bittet die UEMF darum – ich meine jetzt, wo Argentinien mit eigenen Schiffen vertreten ist und soviel zur gemeinsamen Verteidigung beiträgt – um ein Trainingsgelände im Urwald am südlichen Ufer des Rio de la Plata. Ich meine ein Gebiet, das wir selbst verwalten. Ihre Leute können dort gerne Ackerbau betreiben, schürfen, Medizin suchen, was auch immer. Solange die UEMF das letzte Wort hat. Und als einzige Waffengewalt in der Region hat.“
„Ich bin sicher, wir finden auch in diesem Zusammenhang eine Lösung. Bitte lassen Sie uns eine Arbeitsgruppe bilden, die an dem Umfang der Trainingsregion arbeitet.“
Ich nickte. „Danke, Herr Präsident. Darf ich Ihnen noch einmal meinen persönlichen Dank für meine Rettung aussprechen? Auch die UEMF bedankt sich für die vorbildliche Hilfeleistung Argentiniens und hofft auf eine beständige und wertvolle Partnerschaft.“
„Argentinien bedankt sich für diese Chance und das Vertrauen, Colonel Otomo.“
Der Präsident erhob sich, kam auf mich zu und bot mir die Hand an.
„Ich habe gehört, Sie werden demnächst auf eine Zweijahresmission mit der AURORA gehen. Die Erde wird eine ganze Ecke ruhiger und uninteressanter werden, wenn Sie nicht da sind.“
Ich schüttelte die Hand und grinste schief. „Ab und an sind ruhige Zeiten nicht verkehrt, Herr Präsident.“

5.
„Akira? Wo bleibst du?“, rief Akari.
„Ich komme ja schon“, erwiderte ich und versuchte einen Stapel Romane und Mangas sicher zu balancieren.
„Wir haben doch Direktverbindung zur Erde und Faksimilerechte an fünfzigtausend Druckerzeugnissen“, tadelte mich Megumi, bevor sie mich küsste. „Ist soviel Lesestoff wirklich nötig?“
Ich besah mir die zwanzig Kartons, die nur mit Mangas und Romanen gefüllt waren. „Du wirst mir noch dankbar sein, dass ich meine Sammlung mitnehme.“
„Und vergisst fast dein Schwert“, lachte Doitsu und hielt mir mein Katana hin.
„Danke, Alter.“ Ich steckte die Klinge zwischen Hose und Gürtel.

„Also?“, fragte ich. „Seid Ihr alle bereit?“
„Ich nicht“, beschwerte sich Kei wütend. „Ich bin immer noch sauer, weil Ihr alle euren Spaß hattet und mich nicht mitgenommen habt.“
„Nun meckere mal nicht. Du warst immerhin im All und hast dein neues Schiff übernommen. Verdammt“, fluchte Yoshi, „keine zwanzig, aber schon Kapitän eines eigenen Schlachtkreuzers. Welchen Kahn hast du gekriegt? Die BISMARCK? Die PRINZ EUGEN?“
Kei Takahara grinste schief. „Lasst euch überraschen.“

Ich wandte mich noch einmal um. Dieses Haus. Es war so lange unser aller Zuhause gewesen. „Ich werde dieses Haus vermissen“, hauchte ich.
„Willst du es vielleicht mitnehmen?“, fragte Megumi. „Ich kann das arrangieren.“
Ich zog sie zu mir heran. „Das muß nicht sein. Ich bin überall da Zuhause wo meine Freunde auch sind.“
Kurz spürte ich einen stechenden Schmerz in der linken Schulter. Kitsune hatte mich als Fuchs angesprungen und ihre spitzen Zähne in meinem Fleisch vergraben. „Daff hätte dier fffor anderfffalff Jahffen einfallen follen“, murrte sie.
„Au, Kitsune-chan, deine Zähne sind spitz. Lass das.“
Eine Faust landete auf ihrem Kopf. Erschrocken verwandelte sie sich wieder in einen Menschen.
„Okame-kun!“, rief ich erfreut.
Kitsune ließ derweil meine Schulter wieder los. „Bäh. Akira, du schmeckst überhaupt nicht. Ah, alter Griesgram. Willst du etwa mit?“
„Natürlich. Ihr könnt ja nicht auf Akira-tono aufpassen“, brummte der alte Wolf.
Als ihn ein Dutzend böser Blicke trafen, fragte er unschuldig: „Was?“
Ich lachte leise.
„Da kommt unser Taxi.“ Langsam senkte sich ein Großraumshuttle auf unsere Position herab. Es würde unser Gepäck aufnehmen und zur AURORA schaffen – mitten hinein ins nächste Abenteuer!

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Anime Evolution: Erweitert

Episode 4

Prolog:
Die eisige Kälte in der großen Lagerhalle biss den beiden Menschen und dem Kronosier in die Wangen. Sie stapften durch die spärlich der Finsternis entrissenen Container, auf der Suche nach dem einen, bestimmten.
Als sie die Mitte der Halle erreicht hatten, ging der Kronosier einen Schritt vor und entriegelte den Container. Das riesige Objekt öffnete quietschend die Front, entblößte das Innenleben. Die beiden Menschen keuchten auf. Sie hatten diesen Anblick erwartet, dennoch nahm er ihnen den Atem.
„Das ist es also?“, fragte die Frau leise.
Der Kronosier nickte. „Das ist es.“
Sie betrachtete die acht länglichen Torpedos. „Sie zu sehen verursacht mir eine Gänsehaut.“
Der zweite Mensch, ein alter Mann, nickte. „Nicht nur Ihnen. Wir können nur hoffen, dass wir sie niemals einsetzen müssen.“
Die Frau nickte. „Diese… Dinger sind unsere Trumpfkarte. Unser allerletzter Einsatz. Wir werden sie nur benutzen, wenn wir vor der absoluten Vernichtung stehen. Trotzdem ist es kein schönes Gefühl, sie an Bord zu haben.“
Der Kronosier verschloss den Container wieder. „Sie wissen beide, dass es nicht Ihre Entscheidung war. Und auch nicht unsere. Der Executive Commander bestand darauf, dass die AURORA sie mitnimmt und wir ein Team mitschicken, das sich mit den Abschussprotokollen auskennt.
Denken Sie nicht mehr daran, was dies für Waffen sind. Denken Sie nur daran, dass diese Waffen einmal die Menschheit retten können.“
„Ja“, sagte der alte Mann. „Aber zu welchem Preis?“
„Zu keinem geringeren Preis als unserer Integrität“, hauchte die Frau.
Sie verließen die Halle wieder.

1.
Einer der Vorzüge der Poseidon-Station, dem UEMF-Hauptquartier inmitten des künstlichen Meeres Serenity war der wundervolle Ausblick, den man hier genoss. Außerdem waren es mit der Magnetschwebebahn nur fünf Minuten an jeden beliebigen Ort innerhalb des Gigantraumschiffs. Am besten genoss man den Ausblick aus der Hauptkantine, die im oberen Drittel des Turms angesiedelt war.
Doch die beiden Männer, die sich gerade mit ihren Tabletts mit den ersten Portionen des in der AURORA selbst heran gezogenen Essens an einem Tisch Platz nahmen, hatten dafür kein rechtes Auge.

„Akira hier, Akira da, ich kann es nicht mehr hören! Oooooh!“ Wütend warf Jordan Daynes, seines Zeichens Mecha-Pilot, die Arme in die Luft. Ursprünglich hatte er der U.S. Navy angehört und war einer der ersten Soldaten gewesen, die auf dem neu gebauten Mecha-Träger DEFENSE gedient hatte. Dort war er der UEMF aufgefallen und in das Auswahlverfahren für die AURORA gekommen.
Er und dreihundert weitere Piloten und Waffenspezialisten waren dazu ausgewählt worden, die Hekatoncheiren auf Divisionsstärke zu erhöhen, indem sie jedes der drei Bataillone auf Regimentsstärke bringen sollten. Mit vierhundertzwanzig Soldaten oder auch dreihundertsechzig Mechas der Typenklassen Eagle, Sparrow und Hawk sollte das möglich sein.
Dazu kamen noch die an Bord der Begleitschiffe stationierten Einheiten, was die Zahl der Mechas auf fast zweitausend trieb.
Aber sie, die Hekatoncheiren, sollten das Rückgrat und die Elite der Verteidigung bilden. Zudem waren viele der Mechas an Bord der Schiffe aufgerüstete Daishi-Typen, da es unmöglich gewesen war, sowohl die AURORA und ihre Flotte aufzurüsten und gleichzeitig die Mars- und Erdverteidigung anständig aufzubauen. Auch so bedeutete die Streitmacht, die sich nun um die AURORA versammelte, ein gewaltiger Aderlass für die Verteidigungskraft der Erde.
„Ach, komm, Jordan. Wir können nicht über Mecha-Taktiken reden wenn wir nicht auch über Akira reden“, ermahnte Goran Kurosz den jungen Mann. Goran war Veteran des zweiten Marsangriffs und hatte damals unter Lady Death gedient. Er selbst war bereits Hekatoncheire und als Ausbilder hier. Als Ausbilder von störrischen, von sich selbst eingenommenen und arroganten Jungspunden – Piloten halt. Irgendwie erinnerte ihn die Situation an seine eigene Ausbildung.
„Das ist ja das Problem“, beschwerte sich der junge Lieutenant. „Ist das wirklich möglich? Ich meine, kann ein einzelner Mann all das geleistet haben? Zu viert den Mars angreifen und so? Dann die ganzen taktischen Berichte über die ersten Mecha-Schlachten, was ist der Kerl? Ein Gott? Ich habe es satt. So satt. Es gibt doch noch mehr fähige Mecha-Piloten! Warum muss jede zweite Stunde mit Akira Otomo beginnen?“
Dean schmunzelte. Das war also sein Problem. „Weil er der Beste ist.“

Jordan warf dem Ausbilder und Freund einen bösen Blick zu. „Früher vielleicht einmal. Aber heute würde ich doch bestimmt mit ihm Schlitten fahren. Ich bin jünger, habe bessere Reflexe und bestimmt in den letzten Monaten mehr Stunden in meinem Hawk absolviert als er.“
„Jünger?“ Goran begann zu glucksen. „Jordan, Akira Otomo ist keine zwanzig Jahre alt!“
„Ach das. Nur Propaganda der UEMF. Oder glaubst du ernsthaft, er könnte dann durch die ganzen Gefechte gegangen sein? Ich meine, Hey, dann hätte er ja dreizehn oder vierzehn sein müssen, als er das erste Mal den Mars angriff. Und höchstens achtzehn beim zweiten Angriff. Das ist doch etwas unglaubwürdig.“

Goran Kurosz seufzte schwer. Die Geschichte der ersten Mechas in Menschenhand, die Abwehrschlachten von Primus und den regionalen Luftwaffen gehörten zum Lehrplan. Natürlich wirkten Akiras Leistungen auf den ersten Blick phantastisch und auf den zweiten unwirklich, aber er hatte ihn gesehen. In den Kampf begleitet. In seine Augen geschaut. „Komisch“, neckte er den Jüngeren, „über Megumi Uno beschwerst du dich nie, wenn sie wieder mal Thema einer Lehrstunde ist.“
Sein Gegenüber wurde rot und sah weg.
„Vor allem nicht, wenn es Bilder von ihr im Druckanzug zu sehen gibt“, setzte er noch einen obendrauf.
„Noch so eine Sache. Wie kann so ein Prachtmädchen nur auf so einen Typen reinfallen? Ich meine, hat sie nicht was Besseres verdient?“, blaffte Jordan.
„Du meinst was Besseres als den ersten Mecha-Pilot der Menschheit, Anführer beider Marsattacken, Bezwinger der Kronosier, Bereiter des Friedens mit den Anelph, Nummer eins in der Abschussstatistik und zukünftiger Oberbefehlshaber der Hekatoncheiren-Division?“
„Noch so eine Sache. Was wird nur für ein Heldenkult um Akira Otomo betrieben? Ich meine, er war doch nicht alleine auf dem Mars! Da waren doch noch andere dabei! Du zum Beispiel, Goran. Oder hat er das alles alleine gemacht? Die Kronosier besiegt. Den Core zerstört! Die Legaten verhaftet. Wer ist er, Superman?“
„Kannst du noch etwas lauter sein? Drüben in Fushida City haben sie dich noch nicht so richtig gehört“, ermahnte der den Freund.
„Ist doch aber wahr. Nur weil er Sohn vom Executive Commander der UEMF ist…“
Goran erhob sich und stützte sich drohend auf dem Tisch ab. „Okay, ich habe eine Menge Geduld mit dir, junger Mann, aber was zu weit geht, geht zu weit. Vergiss nicht, ich habe mit Otomo gedient, und ich halte große Stücke auf seine Fähigkeiten. Wenn du hier rumredest, er hätte seinen Rang nur durch Vitamin B erreicht, hast du ein ernsthaftes Problem mit mir, klar?“
„Reg dich ab, brauchst nicht gleich so empfindlich zu sein“, brummte Jordan leise. „Außerdem gucken sie schon von den Nachbartischen.“
„Das hat dich nicht gestört, als deine Tirade anfing“, tadelte der Ausbilder.

Eine Zeitlang schwiegen die beiden sich an.
„Was ist überhaupt dein Problem?“, fragte der Kroate den jungen Amerikaner schließlich. „Solltest du nicht lieber froh drüber sein, dass wir den erfahrensten und besten Mann als Kommandeur kriegen? Den Mann, der die meisten unserer Mechakampf-Handbücher geschrieben hat?“
„Und da haben wir es wieder“, giftete Jordan. „Natürlich hat er alle Handbücher geschrieben, unter denen sein Name steht. Ha, demnächst erzählst du mir noch, er hat auch die Mars-Romane geschrieben.“
„Nun, es muß zumindest ein Insider gewesen sein, der verdammt nahe am Geschehen war. Weit näher als ich“, murmelte Goran, der die Romane gelesen hatte und für sehr authentisch hielt.
„Darauf wollte ich nicht hinaus. Ich für meinen Teil werde den Herrn Kommandeur jedenfalls auf Herz und Nieren prüfen, bevor ich auf ihn höre“, schloss Jordan Daynes seinen wütenden Kommentar ab.
Goran begann leise zu glucksen. „Das lässt sich sicher arrangieren. Ich werde mal Lady Death fragen, ob das nicht möglich ist.“
Jordan riss die Augen auf. „Du kannst einfach so Kontakt mit ihr aufnehmen?“
„Hey, Kleiner, ich war bei Briareos. Natürlich kann ich mit ihr Kontakt aufnehmen. Außerdem werde ich eine ihrer Kompanien übernehmen“, schmunzelte er.
„Warum hast du mir nie gesagt, dass du mit Megumi Uno sprechen kannst? Können wir sie mal treffen? Kannst du das arrangieren?“, fragte der Amerikaner mit leuchtenden Augen.
„Und aus welchem Grund sollte ich Megumi-chan eine Nervensäge wie dich antun?“
„Das war jetzt gemein, Goran. Ich will mich nur mal mit ihr unterhalten. Über den Mars-Angriff und so.“ Wütend sah Jordan weg.
„Wer es glaubt.“

Er begann mit seiner Mahlzeit. Seine Befürchtungen, den Geschmack betreffend wurden augenblicklich ausgeräumt. Das Gemüse schmeckte sehr gut, und das Gyros aus den neuen, von den Anelph bereit gestellten Zuchttanks war auch lecker. Der Reis war etwas gewöhnungsbedürftig, weil er die amerikanischen Sorten nicht gewohnt war. Aber alles in allem fiel sein Urteil positiv aus.
„Ich frage sie mal“, sagte er nebenbei.
Sofort war Jordan wieder hellwach. „Wirklich?“
„Ob sie einen Trainingskampf mit Otomo arrangieren kann“, fügte er grinsend hinzu.
Der Amerikaner verzog die Miene. „Na, immerhin.“
**
Als ich erwachte war Megumi schon fort. Die letzten Tage waren wir selten weniger als ein paar Stunden am Tag nicht zusammen gewesen und die Nähe gefiel mir nach der langen Trennung sehr. Für den Flug nach AURORA hatten wir Einzelkabinen zur Verfügung bestellt bekommen, benutzten aber meistens nur meine Kabine. Der Gedanke entlockte mir ein Lächeln. Meine Unsicherheit, meine Angst und meine Selbstzweifel hatten mir sehr zu schaffen gemacht. Ein Blick in den Spiegel verdeutlichte mir, wie tief ich in diesem Dilemma gesteckt hatte. Das rechte Auge mit der weißen Iris starrte mich jedes Mal an und fasste in Worte, was ich ansonsten nur unterschwellig spürte.
Du hast überlebt, schien es zu wispern. Dir hat Dai-Kuzo mit ihrem KI das Leben gerettet, während Hunderte nicht so ein Glück hatten und sterben mussten. Du wurdest bevorzugt. Hast du diese Bevorzugung verdient?
Ich hatte in den letzten achtzehn Monaten viel über diese Frage nachgedacht, und nach den Kämpfen am Rio de la Plata wusste ich zumindest eines mit Gewissheit: Ich war ein überragender Mecha-Pilot, und diese Mission würde mich brauchen. Ich war nützlich, sehr sogar. Und das rechtfertigte sicherlich mein Überleben.
Es brachte die anderen nicht zurück, vor allem nicht die gut viertausend Menschen und Kronosier, die ich getötet hatte. Zuzüglich eines halben Dutzend Youmas.
Aber es würde vielleicht dazu führen, dass ich anderen das Leben bewahren half.
Als John Takei hatte ich mir selbst und anderen bewiesen, dass ich gut genug war, andere zu besiegen, nachhaltig zu besiegen, ohne sie zu töten.
Daran hatte ich gearbeitet, gefeilt, mein Bestes gegeben, um so gut zu werden.
Ich wusste, ich würde nicht ewig darum herum kommen, zu verletzen und zu töten.
Es war einfach unmöglich. Aber ich liebte das töten nicht.
Im Zweifelsfall würde ich töten, ja, um das Leben meiner Kameraden, meiner Untergebenen und der mir Anvertrauten zu retten. Doch niemand verlangte von mir, dass ich es gerne tat.

Langsam erhob ich mich und ging in die angrenzende Dusche. Dabei betrachtete ich das übliche Malheur. Sämtliche Socken waren verknotet, die Hosen aus dem Schrank gerissen und ebenfalls verknotet. Meine Hemden zu einem Ballen verdreht und die Schuhe versteckt.
Seufzend drückte ich die Klinke zur kleinen Nasszelle herunter und griff in Zahnpasta.
Also waren meine Freunde immer noch wütend auf mich, dass ich mich so lange nicht gemeldet hatte. Dies würde sicherlich noch ein paar Wochen so weiter gehen, und wenn ich ehrlich war, DAS hatte ich verdient.

Nach einer kurzen Dusche – ich hoffte ja wirklich, dass auf der AURORA die Duschen einen stärkeren Wasserstrahl produzieren würden – trat ich wieder in den Wohnraum und wollte damit beginnen, aufzuräumen.
„Morgen, O-nii-chan“, begrüßte mich Akari freundlich und knotete meine Socken auseinander.
„Du musst das nicht tun, Akari-chan“, sagte ich amüsiert und bemerkte dennoch dankbar die fertige und fast faltenfreie Garnitur auf dem frisch gemachten Bett.
Der ehemalige Oni seufzte. „Ich sage ihnen immer, es ist genug, Ihr habt ihn genug bestraft. Aber hören sie auf mich? Nein. Machen sie vielleicht mit Yoshi so ein Trara, weil er deine Adresse hatte und nichts gesagt hat? Oder mit Makoto, der dich auf dem Mond gefunden und auch nichts gesagt hat? Nein. Nur bei dir sind sie so gemein.“
Ich tätschelte dem Mädchen, dass ich als Schwester adoptiert hatte, den Kopf. Sie war nun biologisch im Alter von sechzehn Jahren. Ihr wahres Alter aber war vierhundert.
Sie verdankte es der Gnade der Dämonenkönigin Dai-Kuzo, dass sie als Oni gelebt hatte, aber als Mensch wiedergeboren wurde, nachdem sie ihre Existenz opferte, um ihre Freunde, die Slayer und die anderen Soldaten der Einsatztruppe zu beschützen.
Sie lächelte, als ich ihren Kopf tätschelte wie ein kleines Mädchen. In vielen Dingen war sie immer noch der Oni, den ich besiegt und aufgenommen hatte. In anderen Dingen wirkte sie wie vierzehn oder jünger.
Eikichi hatte sie ebenfalls adoptiert, und das sogar gerichtlich und mit Urkunde. Er hatte an Akari einen echten Narren gefressen, nachdem er Yohko so unverhofft zurückbekommen hatte.
Nun gab es zwei Töchter in seinem Leben. Alle drei seiner Kinder in dieses Abenteuer ziehen zu lassen musste ihm wehtun.

„Dein Busen ist in den letzten Monaten gewachsen“, stellte ich fest. Allgemein war sie fraulicher geworden. Himmel, sie war nun sechzehn und nicht länger nur noch hübsch, sondern ein echter Blickfang.
Akari errötete. „Das hat Yohko-O-nee-chan auch gesagt.“
Ich grinste bei diesem Gedanken. Seit wir vom Mars zurückgekehrt waren, hatte sich meine Schwester mehr und mehr mit dem ehemaligen Oni abgegeben, bis abzusehen war, dass sie ihre neue Rolle als große Schwester sichtlich genoss.
Damit fühlte ich mich als Akaris Beschützer irgendwie abgelöst.
Aber letztendlich war sie immer noch auf mich fixiert, wie in jenen Zeiten, als sie mir noch als besiegter Dämon gedient hatte.
Das beruhigte mich im gleichen Maße wie es mir Kopfschmerzen bereitete. Eigentlich war sie nun in DEM Alter.

„Sag mal, du gehst doch auf die Oberstufe in Fushida City, wenn wir ankommen, oder?“, fragte ich nachdenklich. Das würde junge Männer bedeuten. Junge Männer, die das attraktive Mädchen sehen würden, täglich. Und einige würden es sicher nicht beim sehen belassen wollen.
„Ja, O-nii-chan. Ich will meinen Abschluss machen und später in die Universität eintreten. Das heißt, falls ich es schaffe.“
„Hm“, brummte ich und knöpfte das Uniformhemd zu. „Da wirst du eine Menge neuer Leute kennen lernen. Die Schüler und Lehrer kommen aus nahezu allen Ländern der Erde.“
Dieser Punkt bereitete mir Kopfzerbrechen. So sehr mich eine multikulturelle Gemeinschaft freute, die in friedlicher Koexistenz agierte, so sehr plagte mich die Frage, wie stabil diese Gemeinschaft war. Vor allem in einem Gefecht.
„Worauf willst du hinaus, O-nii-chan?“, fragte sie geradeheraus und zog unter dem Bett ein Paar Schuhe hervor.
„Nun, da werden wohl auch eine Menge Jungs dabei sein, oder?“
„Ach, darum geht es“, sagte sie mit einem Schmunzeln. „Nein, Akira-chan, ich habe und hatte noch keinen Freund. Und ich habe auch nicht vor, mir auf AURORA einen zuzulegen. Wenn ich mir einen aussuche, muß er erst mal an dich rankommen.“
Ich seufzte schwer. „So genau wollte ich es gar nicht wissen. Aber musst du dir so ein Ziel stecken? Ich meine, wie definierst du mich überhaupt? Und wie soll ein Sechzehnjähriger das schaffen?“
Sie zuckte die Achseln, während sie aufstand und einen Teil der Bekleidung in den Schrank zurück räumte. „Das werde ich sehen, wenn es soweit ist. Außerdem treffe ich ja nicht nur in der Schule auf neue Gesichter. Im Slayer-Training treffe ich sicher auch noch den einen oder anderen. Und er muß ja nicht mein Alter haben, oder? Immerhin bin ich schon über vierhundert…“

Das Slayer-Training. Kombinierte Infanterie-Einheiten, in denen ein Slayer integriert war. Eine unserer Trumpfkarten, vielleicht die Trumpfkarte für das, was uns erwartete.
„Such dir bloß keinen Soldaten aus“, warnte ich sie. „Die neigen dazu zu sterben.“
Ich ließ meine Knöchel knacken. „Vor allem, wenn ich sie in die Finger kriege.“
Akari lachte laut auf, während wir nebeneinander die Kabine verließen. „O-nii-chan, wenn es passiert, passiert es halt. Dagegen kannst dann auch du nichts machen.“
Ich grinste sie an. „Nichts? Ich habe immer noch Prime Lightning. Und außerdem Eikichis Erlaubnis, ihn in genau so einem Fall einzusetzen.“
Für einen Moment sah mich Akari entsetzt an.
„War nur Spaß“, neckte ich sie und zog das rechte Augenlid herunter.
„Oooh, Akira-chan. Du kannst so gemein sein.“
Ich tätschelte wieder ihren Kopf. „Aber niemals zu dir.“
**
„Oooh, es tut so gut, dich zu sehen, Hina!“, rief Akane aufgeregt und nahm das blonde Mädchen in die Arme.
Die junge Frau wirkte für einen Moment verlegen, bevor ihr die Tränen herab liefen und sie mit halb erstickter Stimme antwortete: „Ich habe dich so vermisst, Sempai.“
„Hey, Akane, willst du sie ganz für dich behalten, oder dürfen wir auch mal?“, fragte Emi.
„Nein, ihr dürft nicht. Jetzt bin ich erst mal dran“, erwiderte sie und drückte die Anführerin der Slayer noch ein wenig fester.
„Das ist so gemein“, murrte Ami. Aber sie meinte es nicht wirklich ernst.
Hina war die Letzte. Damit waren alle Slayer bis auf Akari auf AURORA eingetroffen.
Sogar Sarah war schon da, hatte es aber noch nicht zum Empfang von Blue Slayer geschafft.
„Hm“, sagte Mamoru Hatake, als er aus dem Landedock kam, „ich wünschte mir, ich würde mal so einen Empfang kriegen.“
Emi sackte die Kinnlade herab. „Du warst mit Mamoru auf einem Flug? Und du hast uns nichts gesagt?“
„Mamo-chan“, rief Ami aufgeregt und umarmte den Freund und Kameraden vom Mars-Feldzug. „Wenn du gesagt hättest, dass du kommst, dann hätten wir Dai-chan und Sarah die Hölle heiß gemacht, damit sie rechtzeitig hier sind.“
„Sie kommen ja schon. Da hinten kommen sie angelaufen“, beruhigte sie der groß gewachsene Geheimdienstoffizier. Er runzelte die Stirn. „Hallo, Akane.“
Die beiden tauschten einen langen Blick. Die junge Frau löste sich von Hina, die sofort von Emi in Beschlag genommen wurde und trat vor den Freund. „Hallo, Mamo-chan. Hast du dich also entschieden, doch auf die AURORA zu kommen?“
„Mann, Mann, Mann“, erklang eine Stimme hinter Mamoru. Mit den herausströmenden Passagieren war auch ein junges Mädchen heraus gekommen. Sie stellte sich neben Mamoru auf und lächelte in die Runde. „Hätte ich gewusst, dass du von so vielen hübschen Mädchen abgeholt wirst, Mamo-chan, dann…“
Akane warf ihr einen bösen Blick zu. „Mamo…chan?“
„Alles in Ordnung, alles in Ordnung. Wir sind nur Freunde“, sagte die junge Frau und winkte mit der Linken ab. „Gina Casoli. Mamo-chan und ich haben uns kennen gelernt, als der Geheimdienst ihn durch halb Buenos Aires jagte.“ Sie streckte Akane die Rechte entgegen. Aber die ignorierte die Hand völlig.
„Äh“, machte sie peinlich berührt, „Jedenfalls freut es mich, dich kennen zu lernen, Kurosawa-san. So sagt Ihr Japaner doch, oder?“
Ami hatte derweil von Mamoru abgelassen und ergriff die noch immer ausgestreckte Hand. „Freut mich dich kennen zu lernen. Ami Shirai. Achte nicht auf Akane. Die muss erst mal verdauen, dass Mamo-chan nicht auf der Erde hockt und sich die Augen nach ihr ausheult.“
„Ami!“, rief Akane entrüstet.
„Stimmt doch aber. So ist es doch viel besser. Er ist an Bord, hat keine Freundin, und Ihr könnt wieder von vorne anfangen, oder?“
Akane wurde rot und sah weg.

„Wer fängt was von vorne an?“, fragte Daisuke und trat zu der Gruppe. „Willkommen auf der AURORA, Hina, Mamoru. Und du bist?“
„Gina Casoli, Mamorus Liebschaft.“
Daisuke klappte das Kinn runter. „Was?“
„Nur ein Scherz. Nur ein Scherz. Ich werde hier ein italienisches Restaurant eröffnen, das ist schon alles.“
Sarah Anderson ging an ihrem Freund vorbei und schloss seinen Kiefer wieder. „Humor hast du ja schon mal. Na dann willkommen bei uns, Gina-chan.“
„Bist du nicht Amerikanerin? Und dann nennst du mich chan?“, fragte die junge Argentinierin verwundert.
„Ach“, meinte sie, „das ist so praktisch, ich kann es mir einfach nicht wieder abgewöhnen.“
„Warte, warte, warte, Hina!“, rief Daisuke, als sich die junge Frau um seinen Hals warf.
„Ich habe dich so vermisst, Dai-chan. Ich habe euch alle so vermisst. Und ich habe die Tage gezählt, bis ich wieder mit euch zusammen bin. Sind denn schon alle da? Kenji-chan, Kei-chan, Akira-chan, Yoshi-chan, Yohko-chan und…“
„Nun hol mal Luft zwischendurch“, ermahnte Daisuke die junge Frau grinsend. „Nein, sie kommen mit dem nächsten Flug. Kenji ist zwar schon hier, aber er hat Dienst in seinem Bataillon. Du musst dich also noch ein paar Stunden gedulden, bis du alle wieder siehst.“
„Das ist in Ordnung, vollkommen in Ordnung.“ Hina Yamada ließ Daisuke los und hakte sich lächelnd bei Gina und Akane ein. Dann zog sie die beiden mit beachtlicher Kraft mit sich. „Los, wir gehen jetzt unser Gepäck holen und dann feiern wir in einem Lokal in Fushida unser Wiedersehen. Und unsere neue Freundin.“

„Eieieieieiei“, murmelte Mamoru, als er der energischen Frau und den anderen Mädchen hinterher sah, „Hina hat sich nicht ein Stück verändert.
Daisuke klopfte dem Freund auf den Rücken. „Akane übrigens auch nicht. Denk mal drüber nach, Junge.“
„E-entschuldigen Sie, Honda-sama“, erklang eine dünne Stimme hinter den beiden. Als letzter Passagier verließ ein schmächtiges Mädchen die Rampe.
Daisuke wandte sich um. „Ai-chan?“
Die junge Frau wurde rot und sah zu Boden. „I-ich habe meinen Marschbefehl zur AURORA bekommen. Aber ich bin nicht sicher, ob ich mich hier zurecht finde.“
Daisuke grinste schief. Von der überzogenen Ernsthaftigkeit, die ihn früher gequält hatte, war nicht mehr viel übrig geblieben. „Kein Problem, kein Problem. Du kommst erst mal mit uns mit. Erst holen wir dein Gepäck und dann gehst du mit uns einen trinken. Keine Widerrede. Als Akiras Freundin musst du die anderen einfach kennen lernen.“
Mamoru starrte den Mecha-Piloten überrascht an. „Akiras Freundin?“
„Ja, und eine gute noch dazu. Was hast du denn gedacht?“, fragte Daisuke überrascht.
„Oh. OH. Ai-chan, richtig? Ich bin Mamoru Hatake. Aber du kannst mich ruhig Mamoru oder Mamo-chan nennen.“
„Ist das wirklich in Ordnung?“, fragte sie schüchtern.
„Sowohl dass du ihn Mamo-chan nennen darfst als auch, dass du mitkommen sollst“, sagte Daisuke grinsend. „Wir treffen nachher übrigens Joan Reilley und ihre Band. Das willst du doch nicht verpassen, oder? Mit mir oder Mamoru darfst du nämlich Backstage gehen.“
„Dürfen wir denn Backstage?“, fragte Mamoru verwundert.
„Klar, wir reden hier immerhin über Joan-chan“, rief Daisuke enthusiastisch.
„Junge, Junge, von deinem überkontrollierten Verhalten und deiner Verschlossenheit ist aber nicht mehr viel übrig, Dai-chan“, sagte Mamoru erstaunt.
„Eine gute Sporttherapie kann da wirklich Wunder wirken“, erwiderte der Mecha-Pilot grinsend.
„Sport?“
„Sport.“
Mamoru winkte ab. „Bitte keine Details. Sehen wir lieber zu, dass wir die anderen einholen, ja?“
Daisuke grinste. „Wenigstens du hast dich nicht verändert, Mamo-chan.“

2.
Als die KOWLOON andockte, kratzte sich der Erste Offizier Oliver Ryan noch immer am Hals. „Diese verdammten UEMF-Uniformen scheuern. Wie halten die Idioten das nur aus?“, beschwerte er sich.
„Hör auf dich zu kratzen, dann verschwindet der Juckreiz auch. Meinst du mir macht es Spaß, in dieser Uniform zu stecken?“, erwiderte Shawn Winslow ernst. „Aber jammere ich vielleicht? Nein. Also sei ein Mann.“
Andockalarm erklang und verkündete, dass die Fregatte der November-Klasse festgemacht hatte.
Sie hatten einen Dockingkragen auf der Backbord-Seite zugeteilt bekommen, relativ nahe am Bug und damit sehr nahe an einem Durchgang zu Fushida-City. Shawn wusste nicht so recht, wie er das deuten sollte. Ebenso wenig wie er seine Zwangsrekrutierung zur UEMF und seines Schiffes sowie die Zuweisung zur Troja-Mission sehen sollte.
Dies war nun wirklich nicht das, was er in den letzten beiden Jahren zu erreichen versucht hatte, seit die UEMF die kronosianische Kolonie auf dem Mars erobert hatte.
Wütend ballte er bei diesem Gedanken die Fäuste. Erobert und anscheinend einer Gehirnwäsche unterzogen, denn niemand Zuhause begehrte gegen die Besetzung auf.
Okay, sie waren die Aggressoren gewesen, Handlanger einer außerirdischen Apparatur, die auf Versklavung getrimmt gewesen war, bevor Akira Otomo sie angeblich vernichtet hatte.
Aber war seinen ehemaligen Kameraden die eigene Freiheit so wenig wert, dass sie sich der UEMF so bereitwillig unterordneten?
Und dann diese Anelph, aus denen wurde Shawn noch weniger schlau. Was versprachen sie sich davon, auf dem Mars zu leben? Was versprachen sie sich davon, sich erpressbar für die UEMF zu machen?
„Okay. Ollie, Jenny, Marek. Ihr kommt mit mir. Wir melden uns beim Oberkommando. Der Rest bleibt an Bord und verhält sich ruhig. Und ich meine ruhig. Wir können froh sein, den Gefangenenlagern entgangen zu sein und ich will den Geschniegelten keinen Vorwand liefern, das noch nach zu holen. Haben wir uns verstanden?“
Dumpfes Schweigen antwortete ihm. „Gut. Dann lasst uns gehen.“

Sie verließen die Zentrale und gingen auf den Dockingport zu. Dabei passierten sie mehr als ein Besatzungsmitglied, das ihnen nicht minder wütende oder besorgte Blicke zuwarf, als Shawn selbst empfand. Er musste immer wieder daran denken, dass dies unmöglich eine Falle für ihn und die Marodeure sein konnte. Wenn sie einen Vorwand gesucht hätten, die verdammten UEMF, um ihn und seine Leute für immer einzubuchten oder standrechtlich zu erschießen, hätten sie nach dem Angriff auf Armstrong alle Befugnisse gehabt.
Etwas beunruhigte ihn in diesem Gedankenspiel jedoch, dass die vier Korvetten seiner Gruppe, die BOSTON, die NEW YORK, die SIDNEY und die BUDAPEST dem Heimatgeschwader der Erde zugeteilt worden waren, anstatt das Flaggschiff zu begleiten.
Ein flüchtiges Grinsen huschte über Shawns Gesicht. Egal was die Beweggründe der UEMF waren, so ganz trauten sie den Marodeuren nicht. In gewisser Weise empfand er das als Kompliment.

Die Schleuse glitt vor ihnen auf und unwillkürlich erwartete der Kapitän der KOWLOON, in ein Dutzend Gewehre zu blicken.
Stattdessen erwartete sie ein kleinerer, noch recht junger Mann in der offiziellen Uniform. Seine Haare waren dunkelblond und kurz geschnitten und in seinen Augen loderte eine Kraft, die man auf den ersten Blick nicht beschreiben konnte. Seine Züge wirkten auf den ersten Blick jugendlich, leicht feminin, aber diese Augen passten nicht in dieses Bild.
Die ganze Körperhaltung des Mannes sagte aus: Ich bin es gewohnt zu befehlen. Und verdammt, ich bin es auch gewohnt, dass diese dann befolgt werden.
Verärgert stellte Shawn fest, dass er stehen geblieben war. Dieser Kerl sollte nicht glauben, er hätte ihn beeindrucken können und das mit seiner bloßen Präsenz.
Also setzte sich Shawn wieder in Bewegung und stoppte erst kurz vor dem Mann, der seine Schirmmütze in der Armbeuge trug und noch immer wortlos zu ihnen herüber starrte.
Ein kurzer Blick auf die Schultern offenbarte, dass der Mann Colonel war. Wie dreckig musste es der UEMF gegangen sein, wenn sie so einen jungen Menschen in ein derart hohes Amt berufen hatten? War er womöglich an der Mars-Attacke beteiligt gewesen?

Shawn salutierte. „Sir. Lieutenant Commander Shawn Winslow. Ich melde hiermit die Fregatte der November-Klasse KOWLOON sowie hundertvierzig Mann Besatzung und zwanzig Daishi der Klassen Alpha bis Gamma zum Dienst.“
„Stehen Sie bequem, Commander“, erwiderte der junge Mann. „Mein Name ist Ino. Colonel Ino. Strategischer Koordinator der AURORA.“
Strategischer Koordinator, das bedeutete, dass dieser junge Mann im Falle eines Angriffs nicht nur sämtliche Bewegungen eigener Schiffe steuerte, sondern darüber hinaus auch noch die Mechas im Auge behielt. Eine unmögliche Aufgabe, selbst mit Computerunterstützung und einem trainierten Stab. Andererseits berief die UEMF auf diesen Posten sicher nur ihren besten Offizier.
„Makoto Ino?“, hakte Shawn nach.
Der junge Mann nickte ernst. „Makoto Ino.“ Er deutete auf seiner Brust, wo das Kampagnenband der zweiten Mars-Invasion prangte. Darüber aber spannte sich unverkennbar das Ehrenband der ersten Mars-Offensive.
Für einen Moment war der ehemalige Marodeur sprachlos. In den alten Zeiten hatte es ein Kopfgeld gegeben für den Soldaten, dem es gelang, diesen jungen Mann auszuschalten. Und nun stand Makoto vor ihm zum greifen nahe.
Langsam, nur zögerlich streckte Shawn seine Hand aus. „Es ist mir eine Ehre“, sagte er ernst.
Makoto Ino ergriff die Hand und schüttelte sie fest. „Gleichfalls. Begleiten Sie mich nach Poseidon. Dort wird Ihnen und Ihrer Crew Wohnquartier zugewiesen.“

Colonel Ino ließ sich auch noch die drei Offiziere vorstellen und setzte sich dann ohne ein weiteres Wort in Bewegung. Erst als sie in den Aufzug stiegen, der sie auf die Sohle des Innenraums von AURORA bringen sollte, sprach er weiter. „Normalerweise lassen wir jeden Menschen selbst entscheiden, wo er oder sie leben will. Aber bei den Schiffsbesatzungen haben wir uns dazu entschieden sie nahe ihres Ankerpunktes anzusiedeln. Sie können es sich aber aussuchen, ob Sie und Ihre Mannschaft lieber in einem der Appartements in der Steilwand einziehen wollen oder im Westteil von Fushida. Dank der Magnetschwebebahn, sind Sie von dort ebenso schnell bei Ihrem Schiff wie aus den Appartements da oben.“
Ino deutete nach oben und die Offiziere der KOWLOON folgten dem Blick. Was sie sahen, verschlug ihnen die Sprache. Über ihnen glänzten Dutzende, Hunderte Lichter in der Felswand. Und jedes stand für eine autarke Wohnung.
Makoto Ino lächelte.
„Die meisten dieser Wohnungen stehen den Werftarbeitern und Ingenieuren zur Verfügung. Aber viele sehen dies nur als Zweitwohnung an und haben noch einen Hauptsitz in der Stadt. Wir wollen hier keine Ghettoisierung betreiben, deshalb unterstützen wir jeden, der die Gemeinschaft zu anderen sucht. Das gleiche gilt für Sie. Egal ob Sie sich für die Appartements oder Fushida entscheiden, wir werden Sie, Ihre Offiziere und die Mannschaft weit verstreuen, damit Sie möglichst viele Kontakte zu den anderen Menschen in der Stadt haben, bevor Sie zusammen glucken können.“
Shawn senkte missmutig den Kopf. „Als wenn die etwas mit uns zu tun haben wollen.“
„Käme auf einen Versuch an, oder?“, erwiderte der Colonel ernst. „Seit wann kneifen die Marodeure?“
Der Spruch hatte tatsächlich gesessen, musste Shawn eingestehen.

Der Fahrstuhl hielt an. Bis zur Haltestation der Magnetschwebebahn waren es nur ein paar Dutzend Meter. „Kommen Sie. Ich will Ihnen Poseidon zeigen, bevor das Konzert von Joan Reilley beginnt und hier alles in Chaos zerfällt.“
„Joan Reilley?“, rief Ollie erstaunt. „Die ist hier in der AURORA? Und sie gibt ein Konzert?“
Colonel Ino wandte sich kurz um und lächelte. „Wo sollte sie anders sein denn an der Seite ihres derzeitigen Lebenspartners? Und das Konzert gibt sie aus einem wichtigen Anlass. Colonel Akira Otomo wird in etwas weniger als einer Stunde eintreffen. Der beste Mecha-Pilot der Erde…“ Ino ließ die Worte nachklingen. Es klang nicht wehmütig oder neidisch. Eher zufrieden.
„Na“, wagte Shawn einzuwenden, „er hat aber ernsthafte Konkurrenz bekommen. Auf dem Mond haben wir gegen einen Piloten gekämpft, der es drauf hatte. Und ich meine wirklich drauf.“
Sie bestiegen die nächste ankommende Bahn. Als der Colonel Platz genommen hatte, fragte er leise: „Hieß dieser Pilot zufällig John Takei und steuerte einen Hawk? Und zielte dieser Mann auf Gliedmaßen und Reaktoren anstatt auf das Cockpit?“
„Sie beschreiben ihn gerade sehr genau.“
Für einen Moment setzte der UEMF-Offizier ein Grinsen auf, das man nur als fies beschreiben konnte. „Das war Akira Otomo. Er war Undercover bei Luna Mecha Research, um ein paar neue Konzepte für Operation Troja entwickeln zu helfen. Ihr Pech, dass Sie ihm in die Quere gekommen sind.“
„Das ist nicht Ihr Ernst!“, blaffte Shawn aufgeregt. „Ich habe die Aufzeichnungen von Otomo gesehen und ich habe gegen Takei gekämpft! Die beiden, sie…“
Ja, wenn er drüber nachdachte, dann war der gravierendste Unterschied im Kampfstil der beiden der, dass Takei nicht tötete.
Ansonsten hatten beide die mehr als lästige Angewohnheit zu gewinnen.

Müde sackte Shawn in sich zusammen. Sie hatten sich tatsächlich mit Otomo angelegt. Und die Argentinier hatten versucht, Otomo zu eliminieren. Nun wunderte ihn kaum noch etwas.
„Eine Frage, Colonel, Sir“, sagte Ollie laut. „Der Lebenspartner von Joan Reilley, nun, es war lange Zeit im Gespräch und so, aber es ist doch hoffentlich nicht Akira Otomo, oder?“
Ino winkte gönnerhaft ab. „Nein, Sie können ganz beruhigt sein. Colonel Otomo pflegt eine Beziehung zu Megumi Uno. Er hat nichts mit Joan.“
„Wenigstens eine gute Nachricht heute“, sagte Ollie leise, der schon immer einen Narren an dieser Sängerin gefressen hatte.
„Sie ist nämlich mit mir zusammen“, sagte der Offizier breit grinsend und weidete sich am Entsetzen in den Augen des Ersten Offiziers der KOWLOON.
Übergangslos brach Shawn in schallendes Gelächter aus. „Na, was kann uns jetzt noch überraschen?“
Die Magnetschwebebahn hielt am Turm inmitten des künstlichen Ozeans.
Colonel Ino stand auf und sah in der Tür noch einmal zurück. Mit leiser, aber tragender Stimme sagte er: „Ab jetzt beginnen die Überraschungen erst.“
Die Offiziere der KOWLOON sahen ihm hinterher.
„Hatte noch jemand gerade diesen kalten Schauer, der einmal quer über den Rücken ging?“, fragte Marek Dobarev leise.
„Also, auf diese Überraschungen bin ich jetzt wirklich gespannt“, sagte der Kapitän der Fregatte, sprang auf und eilte Colonel Ino hinterher.
Die anderen folgten ihm.

3.
Ich konnte nicht anders, ich war beeindruckt. Bereits der Schleusenbereich hatte mir die Sprache verschlagen. Danach die Fahrt mit dem Lift, mit diesem großartigen Ausblick auf den Innenraum von AURORA. Und nun stand ich auf einer grünen Wiese am Südrand von Fushida, sah in die Wolken und bestaunte die holographisch erzeugte Sonne, die das Licht brachte. Ich spürte einen sanften Wind, der vom Meer herüber wehte, in dessen Mitte Poseidon thronte, das Hauptquartier. Es gab natürlich noch CENTRAL, die Hauptbrücke, die tief verborgen im Gesteinsmantel der AURORA das Gigantschiff lenkte.
Aber was war das alles gegen diesen Anblick? Ich sah mich genauer um, erkannte in der Ferne Weizenfelder, auf denen bereits grünes Korn wogte. Schmale Straßen, die sich farbigen Bändern gleich von Ort zu Ort zogen. Menschen, die sich zum picknicken niedergelassen hatten. Ein friedliches Bild, das begeisterte. Das zum phantasieren über die Formen der Wolken anregte, die über den Himmel trieben und ab und zu ein wenig Regen entließen.
Hinter mir wusste ich die Skyline von Fushida – und eine riesige Bühne, flankiert von meterhohen Lautsprechertürmen, auf der der erste und größte Star der AURORA in wenigen Minuten ihr Live-Konzert geben würde. Der Bereich vor der Bühne war gerappelt voll. Erste Schätzungen, die mich erreicht hatten, sprachen von weit mehr als zwanzigtausend Leuten. Das machte in etwa ein Viertel der derzeitigen Population an Bord aus.

„Akira“, hörte ich eine Stimme neben mir. Megumi trat neben mich und umschlang meinen rechten Arm. Ihre Wange legte sich auf meine Schulter. „Es geht gleich los. Wenn wir noch zu den anderen hinter die Bühne wollen, müssen wir uns beeilen. Du weißt, dass Joan es dir wirklich übel nehmen wird, wenn du nicht kommst.“
Ich streichelte ihr gedankenverloren über das Gesicht.
Sie lachte leise. „Das mag ich.“
„Ich weiß“, hauchte ich und gab ihr einen kurzen Kuss.
Dann wandte ich mich um und ging mit Megumi um die Menschenmenge herum. Kurz darauf erreichten wir den abgesperrten Bereich rund um die Bühne.
Verwundert stellte ich fest, dass ich nicht mal meinen Backstage-Ausweis zücken musste. Ich wurde anstandslos eingelassen.
Das erste, was mich in den kleinen Zelt erwartete, welches hinter der Bühne aufgebaut war, das war ein wirklich derber Hieb.
Allerdings traf er nicht meinen Magen, sondern den von Yoshi.
„Die ganze Zeit hast du gewusst, wo er ist“, tadelte Joan den Freund, während dieser sich vor Schmerz zusammen krümmte, „und du hast nie ein Wort gesagt. Was bist du doch für ein Ekel.“
„Ich freu mich auch, dich zu sehen“, erwiderte Yoshi gepresst.
Joan schaltete übergangslos auf nett. Sie half dem armen Freund, sich aufzurichten und drückte ihn dann herzlich. „Willkommen auf der AURORA“, sagte sie und drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange.
„Na, du hast dich aber schnell abgeregt“, brummte ich amüsiert, relativ sicher, dass mir eine rabiate Behandlung erspart bleiben würde, da ich die schon auf dem Mond in meinem Appartement erhalten hatte.
„Aki-chan!“, rief Joan erfreut und schloss mich in die Arme.
Bevor ich mich versah, hatte sie mir in den Nacken gegriffen und mir einen Kuss gegeben.
„Was machst du da?“, rief Megumi entsetzt.
Schuldbewusst sah Joan die Mecha-Pilotin an. „Tut mir Leid. Aber er schmeckt so gut.“
Megumi seufzte mitfühlend, aber nur für einen Moment. Sie schüttelte wirsch den Kopf und sagte: „Das ist noch lange kein Grund, hier ausfallend zu werden. Was würdest du denn machen, wenn ich Makoto küssen würde, hä?“
Ein eiskalter Blick traf Megumi. „Ich wäre dann nicht so nett zu dir wie du zu mir bist.“
Die beiden tauschten einen vernichtenden Blick aus. Für einen Augenblick schien sich die Umgebung zu verdunkeln, um hervor zu heben, wie kleine blaue Blitze von den beiden ausgingen, in der Mitte trafen und sich gegeneinander entluden.
Aber die Szene dauerte nur einen Augenblick.

Joan löste sich von mir und trat auf Megumi zu, um sie zu umarmen. „Ich habe dich vermisst, Megumi-chan. Die Tage, als du in Südamerika vermisst wurdest, waren einfach schrecklich.“
Megumi erwiderte die Umarmung. „Ja, das war eine verrückte Zeit. Aber zum Glück hatte ich ja Akira dabei.“
„Das ist manchmal von Vorteil“, bemerkte Joan amüsiert und löste sich von ihr. „Aber was rede ich lange? Deine Schwestern und die Daimon sind schon drin, Aki-chan. Ich muß zum Soundcheck, aber die anderen werden dich und Yoshi und Megumi begrüßen wollen. Soweit ich es übersehen kann, sind alle da.“
Sie zwinkerte mir zu, während sie an mir vorbei ging. „Einschließlich deiner kleinen Freundin vom Mond, Aki-chan.“
„Freundin vom Mond?“, echote Yoshi, dem es schlagartig besser zu gehen schien. „Gibt es da irgendetwas, was du mir erzählen willst, Akira?“
Ich zog beide Augenbrauen hoch. „Allzu schwer scheint Joan dich ja nicht erwischt zu haben, was?“
Der Freund winkte ab. „Ist in Ordnung, ist in Ordnung, als ich Joans Miene gesehen habe, da habe ich sofort einen KI-Schild aufgebaut. Den hat sie natürlich durchschlagen, aber es hat die meiste Kraft absorbiert.“
Mir fröstelte plötzlich bei dem Gedanken. Yoshi war der erfahrenste unter uns, was den Umgang mit KI anging. Wenn unser Kampfcyborg Joan Reilley seinen Schild durchschlagen konnte, dann waren wir anderen verloren.
Unwillkürlich erinnerte ich mich wieder an Martian City und den angreifenden Delta mit der Artemis-Lanze. Wie Joan damals die Lanze und den ganzen Mecha mit bloßen Händen gestoppt hatte.
Ein Arm legte sich um meine Schulter. Yoshi grinste mich aus nächster Nähe an. „Also, erzähl schon. Freundin vom Mond?“
Ich grinste zurück. „Ruhig, Junge. Du lernst sie noch früh genug kennen. Achte einfach auf das verschreckteste Rehlein im Zelt.“

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Wir betraten das Zelt, aus dem uns bereits einiger Lärm entgegen hallte. Unsere Freunde und die anderen VIP-Gäste schienen gute Laune zu haben.
„Akira!“, hallte mir Daisukes Stimme entgegen. „Yoshi! Megumi-chan! Ihr kommt genau richtig!“
Es folgte eine sehr turbulente Begrüßung durch die anderen Anwesenden. Alles im Detail aufzuzählen würde zu weit führen, aber ich lernte ein neues Gesicht dabei kennen. Gina schien Italienerin zu sein. Und wenn ich es richtig verstanden hatte, wollte sie Mamoru retten, weil sie auf der Erde ein Restaurant eröffnete oder so.
In der Reihe der Begrüßenden erwartete mich natürlich so mancher Tadel. Hina zum Beispiel lag mir sofort heulend um den Hals und tadelte mich geschlagene fünf Minuten, bevor mir Emi-chan brav die Hand schütteln konnte. Die kleine Blonde, die ich wegen einem gefakten Kuss-Foto von mir und Yoshi kennen gelernt hatte, wirkte auch diesmal schüchtern und zurückhaltend.
Akanes Begrüßung hingegen fiel umso stürmischer aus, was eigentlich nicht zu ihrer Persönlichkeit passte – und Mamoru passte es anscheinend auch nicht, wie ich amüsiert bemerkte.
Der letzte in der Reihe war Yamagata, ich meine Ai-chan. Schüchtern wie sie war hatte sie gewartet, bis mich und die anderen alle ausgiebig begrüßt hatten. Dann stand sie vor mir und verneigte sich. „Konnichi-wa, Akira-sama.“ Ich sah, wie sie bei der Nennung meines Vornamens rot wurde. Für sie war das eine mittlere Überwindung, in etwa gleich bedeutend mit einer Megumi, die halbnackt über einen öffentlichen Platz flitzte.
„Nicht so schüchtern, nicht so schüchtern“, rief Kitsune hinter ihr und gab dem armen Mädchen einen kräftigen Schubs, der sie mir direkt in die Arme beförderte, „begrüß ihn ruhig richtig.“
Sie fiel mir also in die Arme und selbstverständlich fing ich sie auf. Was dazu führte, dass sich die Röte in ihrem Gesicht nachhaltig vertiefte.
„Schön, dich zu sehen, Ai-chan“, sagte ich und half ihr, sich gerade hinzustellen. Ich betrachtete die E-Gitarre, die sie vor sich trug und zog eine Augenbraue hoch. „Seit wann kannst du Gitarre spielen?“
Verlegen sah sie zur Seite. „Ich kann nicht wirklich gut spielen…“
Kitsune trat direkt hinter sie, lächelte mit zusammen gekniffenen Augen und gab Ai-chan einen derben Klaps auf den Po, den diese mit einem erschrockenen Laut kommentierte.
„Nun sei mal nicht so bescheiden, Ai-chan. Konzentriere dich lieber auf die Noten, die Joan-chan dir gegeben hat. Wenn du nachher auf die Bühne gehst, dann solltest du sie nach bestem Wissen und Können spielen.“
Wieder zog ich die Augenbrauen hoch. „Du sollst zu Joan auf die Bühne, Ai-chan?“
Ami Shirai nickte aufgeregt. „Ja, sie ist wirklich gut. Ich meine, wirklich richtig gut. Erst hatte sie sich diese Gitarre nur genommen, um ein wenig drauf zu klimpern. Dann aber hat Joan sie entdeckt, was Ai-chan denken ließ, sie wäre sauer oder so. Aber nein, Joan wollte nur mehr von ihr hören.
Ai-chan, spiel doch mal was für Akira.“
Zustimmende Rufe der anderen erklangen. Wieder wurde sie rot, was mich befürchten ließ, diesmal stünde sie knapp vor einem Kreislaufkollaps. Wie konnte ein Mensch nur so dünnhäutig sein?
„I-ich weiß nicht“, stammelte sie.
„Komm schon. Spiel noch mal Never give up.“
„Oh nein“, wandte ich ein. „Doch nicht dieses unsägliche Lied, das Joan damals in unserer Aula gespielt hat?“
„Du magst es nicht, Akira-sama?“, fragte Ai ängstlich.
„Du hattest Recht, Akira. Einfach nach dem verschrecktesten Rehlein sehen“, flüsterte mir Yoshi schmunzelnd zu, „und man weiß, wer Ai-chan ist.“
„Nein, das ist es nicht, Ai-chan“, erwiderte ich und ignorierte Yoshis Eingabe. „Es erinnert mich nur zu sehr an eine Menge Ärger, durch den ich gehen musste. Und für den ich ausnahmsweise mal nichts konnte.“
„Hört, hört“, erklang es in der Menge.

Ich kannte die Stimme nicht, deshalb suchte ich den Sprecher. Ich erkannte ihn in einer braunhaarigen Frau mit graublauen Augen, die spöttisch zu mir herüber sah.
„Es ist ja eine vollkommen neue Situation, dass der perfekte Mensch Akira Otomo mal über etwas nicht die Kontrolle hat.“
Sie kam auf mich zu und musterte mich ausgiebig. Als ihr Blick über mein rechtes Auge glitt, erschauderte sie für einen kleinen Moment, sagte aber nichts.
„Ich bin kein Gott“, erwiderte ich.
„Danach klingt es aber“, erwiderte sie mit einem süffisanten Lächeln. „Wenn man so hört, was Sie alles geleistet haben sollen, Otomo-san, dann drängt sich doch dieser Gedanke geradezu auf.“
„Geleistet… haben… sollen?“, knurrte Kitsune wütend und fixierte die Frau vor mir. „Hör mal, Schwester, wer meinen Akira anmacht, der kriegt es mit mir zu tun, das ist dir hoffentlich klar. Wer bist du überhaupt?“
Die Frau verneigte sich amüsiert vor der Dämonin. „Ban Shee Ryon, Kapitän Ban Shee Ryon, um genau zu sein. Ich bin Erster Offizier der SUNDER, dem Flaggschiff der Begleitflotte. Nebenbei bin ich die ranghöchste Abgeordnete des Anelph-Kontingents, welches Sie begleiten wird. Da darf man doch mal neugierig sein, was die Verbündeten zu bieten haben.“
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu und umrundete mich einmal. „Ich hatte Sie mir größer vorgestellt, Otomo-san.“
„Die Anelph stellen uns einen ZULU ZULU für die Operation zur Verfügung?“, bemerkte ich erstaunt.
„Natürlich stellen wir einen BAKESCH-Kreuzer zur Verfügung. Sie brechen auf, um Leute unseres Volkes zu retten. Ist es da nicht selbstverständlich?“, antwortete sie. „Zumindest für Anelph. Hm, ich hätte auch gedacht, Sie seien besser informiert. Und allgemein etwas klüger.“

„Das reicht jetzt, Ban“, erklang eine harte Stimme vom Eingang.
Erschrocken fuhr die Anelph herum und nahm Haltung an. „Ich habe nur Spaß gemacht, Commodore.“
Der so Angesprochene betrat das Zelt und sah seine größere Untergebene wütend an. „Falls Sie unbedingt wissen wollen was Akira leisten kann, fragen Sie mich. Ich war dabei und habe es gesehen. Aber falls Sie ihn triezen wollen, wundern Sie sich nicht, wenn das Echo kommt. Ich werden jedenfalls nicht Ihre Hand halten, falls er etwas von Ihnen übrig lässt.“
Die Anelph wurde rot. Dies schien eine universelle Eigenschaft humanoider Spezies zu sein. „Natürlich, Sir.“
„Gut“, sagte der Commodore ernst. „Dann können wir hoffentlich in Ruhe das Konzert ansehen, oder? Äh, Akira, ist dir nicht gut?“

Übergangslos hatte ich die Kontrolle über meine Kiefermuskeln verloren. Der Commodore, der Skipper des stärksten Schiffs unserer Begleitflotte war niemand anderer als… „Kei?“
„Kei Takahara, Commodore, zu deinen Diensten, Akira“, erwiderte der Freund und zwinkerte mir zu.
„Du kommandierst den ZULU ZULU?“
„Sag BAKESCH, das ist nicht so lang“, erwiderte er und grinste. „Ich habe doch gesagt, dass ich ein neues Schiff kriege.“
Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Und die meisten waren nicht gerade freundlich und rückten den drahtigen Computerfreak, mit dem ich bis zum Mars und zurück geflogen war, nicht gerade in ein nettes Licht. Dabei wusste ich doch aus erster Hand, was Kei Takahara leisten konnte, wenn man ihm ließ. Und wenn ihn jemand für würdig befunden hatte, das kampfstärkste Schiff zu kommandieren und sogar die Anelph ihn akzeptiert hatten, wo war da mein Recht zu zweifeln?
Ich zuckte die Achseln. „Du kommandierst also die SUNDER. Sehr schön. Dann werden wir ja gleich ne ganze Ecke enger zusammen arbeiten.“
Kei sah mich irritiert an und kratzte sich an der Stirn. „Sag mal, hat dir irgendeiner Drogen gegeben, Akira? Keine Widersprüche? Kein böser Witz? Nicht mal Anspielungen? Wirst du alt? Oder einfach nur langweilig?“
Ich warf dem Freund einen amüsierten Blick zu. „Vorsicht, Kei. Übertreib es nicht.“
„Erwachsen also. Die unwahrscheinlichste Variante“, fügte er hinzu.
Ich musste schmunzeln. Wenn ich ihn so betrachtete und zwei Jahre zurück dachte, als er noch ein wilder, jähzorniger Bursche gewesen war mit einer Vorliebe für Computer und Fotografie und mir dann ansah, was nun aus ihm geworden war, fiel mir nur ein Wort ein, dass ihn einigermaßen beschreiben konnte: Zäh.

Bevor die übliche Begrüßung über Kei herein brechen konnte, legte ich einen Arm um seine Schultern und zog ihn wieder nach draußen. „Entschuldigt uns mal für nen Moment. Ai-chan, leg schon mal los, ich bin gleich wieder da.“
Vor dem Zelt schüttelte ich erst einmal den Kopf. „Sachen gibt es, die gibt es gar nicht. Du kommandierst tatsächlich eines der drei Monster, mit denen die Anelph auf der Flucht vor den Naguad hier angekommen sind. Enorm.“
Kei lächelte schief. „Der beste Mann für das beste Schiff. Gut, bei mir haben sie eine Ausnahme gemacht…“
Ich lachte leise. „Deine Witze waren auch schon mal besser.“
„Ich arbeite dran, Akira. Du solltest die SUNDER mal sehen. Wir haben sie komplett umgerüstet und dafür fast ein Jahr gebraucht. Der Sprungantrieb flog raus, weil wir fortan huckepack mit der AURORA reisen. Dafür konnten weitere Waffen, neue Schirmfeldprojektoren und stärkere Energieerzeuger eingebaut werden. Die SUNDER war nicht gerade das neueste Modell und auch nicht gerade der letzte Bau ihrer Reihe, aber mit den Umrüstarbeiten dürfte sie einen imperialen BAKESCH schaffen.“
„Beeindruckend“, murmelte ich. „Wahrscheinlich ist auch seine Mecha-Trägerfähigkeit verbessert worden.“
„Richtig geraten. Wir wurden dafür ausgerüstet, um die hochgerüsteten Epsilon zu warten und zu versorgen. Dazu kommen noch zwei, drei der Spielereien, die du auf dem Mond entwickeln geholfen hast. Mir tun unsere Gegner jetzt schon Leid.“
„Das klingt doch sehr gut. Aber was ist mit deinem Ersten Offizier los? Sie scheint mich auf dem Kieker zu haben.“
„Wundert dich das?“, fragte Kei ernst. „Sie hat doch sicher ihren Namen genannt, oder?“
„Ban Shee Ryon.“
„Sie ist Jano Avergan Ryons Tochter. An sie hat er sein Schiff übergeben, als du ihm und den anderen Schiffskapitänen weiß gemacht hast, auf sie würde ein Strafgericht warten. Du erinnerst dich? Das war eine ziemlich appetitlose Geschichte. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, den eigenen Vater in eine ungewisse Zukunft gehen zu sehen? Und nur um festzustellen, dass da jemand gedacht hat, diese Sache wäre lustig oder wichtig? Ich habe lange gebraucht, um ihren Respekt zu erringen. Aber du, Akira… Ich glaube, dich wird sie einfach nur hassen, solange du lebst.“
„Na, das sind ja Aussichten.“

Ich spitzte die Ohren, als der Gitarrenriff von Never give up erklang. Das musste Ai-chan sein. Ich schloss die Augen und lauschte ergriffen. Ja, sie war wirklich nicht schlecht. Etwas zu langsam, aber mit genügend Übung konnte sie wirklich mal was werden.
„Wollen wir nicht wieder reingehen?“, meinte Kei. „Soweit ich weiß kommt Sakura nicht mehr. Und Mako geht direkt zur Bühne, weil er die Marodeure im Schlepp hat.“
Ich riss die Augen auf. „Die Marodeure?“
„Nun tu mal nicht so überrascht. Es war deine Idee, sie zu argentinischen Staatsbürgern zu machen und ihre Schiffe der UEMF unterzuordnen. Tja, und nun ist ihre Fregatte in unserer Begleitmannschaft“, belehrte mich der Freund.
„Kann es sein, dass ich diesmal eher von Feinden als von Freunden umgeben bin?“, murrte ich ärgerlich.
„Phhh. Feinde sind für dich doch nur Leute, die du noch nicht zu Freunden gemacht hast…“, erwiderte Kei leise.
„Kei“, hauchte ich ergriffen.
„…oder noch nicht töten konntest. Gehen wir wieder rein. Bevor das Konzert losgeht, will ich die anderen begrüßen.“
„Noch nicht töten konntest. Seit wann bist du so makaber? Hey, Kei!“

4.
Während wir uns vor der Bühne drängten – einen echten abgesperrten VIP-Bereich gab es nicht, außer man wollte das Konzert von den Seiteneingängen der Bühne aus verfolgen – passierte uns ein gut hundert Meter langes Luftschiff. Joan spielte Don´t bother me, und ich deutete fragend nach oben.
Akane, die neben mir stand, lächelte wissend und schrie mir ins Ohr: „An die Dinger musst du dich gewöhnen, Akira. Das sind Sauerstoffdistributoren. Es gibt drei Stück, die regelmäßig im Innenraum patrouillieren.“
„Sauerstoffdistri-was?“, fragte ich erstaunt.
„Distributoren. Sie erhöhen die Sauerstoffbeimengungen der Mikroatmosphäre, Akira“, erklärte Akane.
„Ich dachte, dies wäre ein einigermaßen geschlossenes System. Hat Joan einen Sauerstoffrausch für die Fans bestellt, oder was?“, hakte ich nach.
„Nein, das ist es nicht. Dies ist ein geschlossenes System, das ist richtig. Und wenn wir den Ozean und die Vegetation für die CO2-Emission aufrechnen, die wir Menschen produzieren, bräuchten wir die Dinger da oben nicht. Aber leider gibt es eine Komponente in der AURORA, die Saustoff frisst und damit aus der Gleichung nimmt.“
„Und die wäre?“, fragte ich ein klein wenig entsetzt.
„Beton, Akira. Beton. Die halbe Stadt besteht daraus und selbst für Poseidon hat man Unmengen verbaut. Beton hat aber eine sehr unangenehme Eigenschaft: Während er aushärtet, absorbiert er Sauerstoff. Dies kann bis zu zwei Jahre dauern. Wie er sich in unserer Situation verhält, kann noch niemand sagen.“
„Hm, wieder was gelernt. Danke, Akane. Deshalb lagern auf der Oberfläche auch diese riesigen Eisblöcke, was?“
„Ja, das stimmt. Wir spalten das gefrorene Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff auf. Mit dem Wasserstoff betreiben wir die Kalte Fusion-Reaktoren. Und der Sauerstoff wird bei Bedarf im Innenraum der AURORA verteilt.“
„Gut zu wissen“, erwiderte ich lächelnd. Wissen konnte man nie genügend haben. Und die Information, dass wir vielleicht eines Tages in die Notlage geraten könnten, auf Teufel komm raus Wasser aufzutreiben, weil wir Sauerstoff brauchten, war eine sehr wichtige Information.

Ich sah zurück auf das Meer. Es war aus einer natürlichen Senke entstanden, die sich bereits dort befunden hatte, als man den Innenraum erst noch versiegelt hatte. Also hatte man das stellenweise bis zu dreißig Meter tiefe Gebiet einfach mit Wasser gefüllt und eine eigene Meeresfauna etabliert. Eine eigene Flora selbstverständlich auch. Allerdings auf einem recht primitiven Niveau. Plankton, Algen, Korallen, ein paar hundert Fischsorten, einige kleinere Räuber dazwischen, Krebse, Krabben, drei, vier künstliche Riffe und dergleichen.
Das Meer mit Poseidon in der Mitte war schnell zur Spielwiese für Botaniker und Zoologen geworden, die überglücklich darüber waren, die Entwicklung des Meeres in totaler Isolation studieren zu können. Ähnlich verhielt es sich mit den Feldern, den Waldgebieten und den groß angelegten Wiesen.
Es gab sogar mehrere kleinere Berge im Innenraum, die an verschiedenen Stellen dreihundert Meter und mehr in die Höhe ragten. Die ursprünglichen Stalagmitenähnlichen Gebilde, die von der Decke herab geragt hatten, waren aber entfernt worden.
Auf Statik war sehr viel Wert gelegt worden, das wusste ich. Sie war auch dringend nötig, weil ein großer Teil des ursprünglichen Innenraums von einer großen Menge Masse geräumt worden war, um das jetzige Erscheinungsbild zu erschaffen.
Stellenweise waren die durchschnittlich dreihundert Meter dicken Seitenwände zuvor um hundert Meter Gestein erleichtert worden.
Kurz dachte ich darüber nach, wie das künstliche System gestaltet worden war. Gab es eingeschleppte Parasiten? Ratten, Mäuse, gemeine Stubenfliegen und dergleichen? Was wurde für deren Bekämpfung getan? War jemand schlau genug gewesen, um Greifvögel und Jagdspinnen zu integrieren?
Wie erfolgte die Bestäubung? Waren Insekten en Masse etabliert worden? Es war durchaus möglich, dass bei dem gigantischen Umbau mehrere nicht geplante Spezies eingeschleppt worden waren. Was vielleicht noch zu einem echten Problem werden würde.
Ich machte mir gerade nur oberflächliche Gedanken. Aber ein Profi, ein richtiger Forscher konnte hier genug Material für drei oder vier Doktorarbeiten zusammen tragen. Die Erstbestückung des Ökosystems, der Hinflug und der Rückflug würden genügend Material erbringen, um womöglich den Nobelpreis zu erlangen.
Was für ein Gedanke. Was für ein Schiff.

Drei Wochen noch, ging es mir durch den Kopf. In drei Wochen würde die AURORA mit ihrer Begleitflotte aufbrechen. Es würde Richtung Jupiterbahn gehen. Der Planet selbst befand sich zum Glück auf der anderen Seite des Sonnensystems. Sein gravitatorisches Feld würde den ersten Sprung hinaus in den stellaren Leerraum nicht beeinträchtigen.
Zwei Wochen, um den Absprungpunkt zu erreichen, fünf Stunden für die Vorbereitungen und eine halbe Sekunde für den eigentlichen Sprung. Ab diesem Punkt würden sie von Nachschub abgeschnitten sein. Aber nicht von Informationen. Denn die Anelph verfügten über ein überlichtschnelles Kommunikationssystem, welches den Kontakt mit der Erde halten würde. Mit Satelliten als Relais, über die die Verbindung geleitet werden würde, war die Heimat immer darüber informiert, wie es dem Gigantschiff ging. Und wir würden immer wissen, was daheim los war.
Drei Wochen. Nur noch drei Wochen. Wer bis dahin nicht an Bord war, der hatte Pech gehabt.
Um nichts in der Welt hätte ich nun noch meinen Platz eingetauscht. Meinen Platz auf dem Weg ins Abenteuer. In das Phantastische.
Auf einer Rettungsmission.

„Akira, träumst du?“, rief mir Akane ins Ohr.
„Was?“
„Du guckst so geistesabwesend.“
Ich sah auf und erkannte erschrocken, dass Joan Reilley gerade a Capella zu My Time sang. Das hatte ich nicht mitgekriegt. „Ich freue mich nur auf unser neues Abenteuer. Das ist alles.“
„Ach so. Und natürlich bist du sehr fasziniert vom Innenleben der AURORA.“
„Hey“, fragte ich erstaunt, „bin ich so leicht zu durchschauen?“
Akane Kurosawa streckte die Zungenspitze zum linken Mundwinkel heraus. „Nein, das ist es nicht. Nur warum soll es dir besser gehen als mir, Akira?“
Ich grinste schief. „Dieses Gigantgebilde ist ja auch sehr beeindruckend. Ich will gar nicht wissen, wie viele Tonnen Eis drauf gegangen sind, um hier eine Atmosphäre zu etablieren.“
„Stimmt, das willst du nicht wissen“, erwiderte Akane.

„Gibt es eigentlich“, fragte ich sie direkt, „einen bestimmten Grund, warum du bei mir herum stehst, anstatt dass du mit Megumi und den Slayern vorne an der Bühne stehst, um Joan anzufeuern?“
Akane zuckte mit den Achseln. „Ich verbringe eben gerne Zeit mit dir, Akira. Ist das so schlimm?“ Sie zwinkerte mir zu. „Und für den Fall, dass du dich doch mal von Megumi trennst ist es gut, wenn ich in deinen Gedanken bin.“
Von Megumi trennen… Ich war von ihr getrennt gewesen, viel zu lange. Und auch von allen anderen. Auch viel zu lange. Nachdenklich betrachtete ich Akane neben mir. Ja, auch sie hatte ich vermisst, schmerzlich vermisst.
„Akane“, sagte ich ernst – oder vielmehr rief ich es, denn bei der uns umgebenden Lautstärke war eine normale Unterhaltung unmöglich. „Die Chancen für eine Trennung sind wirklich klein. Sie hat es mir sogar verziehen, dass ich anderthalb Jahre fort war.“
„Oh“, machte sie leise. „Eigentlich sollte ich jetzt lächeln, abwinken und sagen: Nur ein Scherz, Akira. Aber das wäre gelogen.“
Betreten sah ich zu Boden. Ich fühlte nun mal so. Aber das machte das Gefühl einen Freund zu enttäuschen nicht leichter.
„Ich habe es!“, rief Akane grinsend. „Wenn du dich nicht von Megumi-chan trennst, wie wäre es dann mit einem Partnertausch?“
„Partnertausch? Du meinst mit dir und Mamoru?“, erwiderte ich.
Nachdenklich rieb ich mir das Kinn. „Hmmm, Mamoru ist gut gebaut, sieht gut aus, ist trainiert und sicherlich sehr sanft im Bett – aber Megumi dürfte für dich zu wild sein, Akane.“
Übergangslos wurde die junge Frau rot. „Akira!“, rief sie entrüstet.
„Nur ein Witz“, entschuldigte ich mich grinsend.
Sie sah mich an, und übergangslos begann sie aus vollem Herzen zu lachen. Ich fiel ein.

„Weißt du noch?“, begann sie die Unterhaltung zwei Lieder später von neuem. „Damals, auf der Erde? Als mich dieser Youma übernommen hatte? Immer war dieser Gedanke in meinem Kopf: Töte Akira. Über einen Monat lang sah ich dich fast jeden Morgen und kämpfte mit der süßen Verlockung, mit der Stimme in meinem Kopf und mit den Schmerzen, wenn ich mich verweigerte…
Dann kam der Tag, als ich dich in den Raum der Schülervertretung lockte.“
„Ich erinnere mich“, erwiderte ich grinsend. „Du hast dich vor meinen Augen ausgezogen, damit deine eingetragenen Sachen nicht zerstört werden, wenn du dem Youma nachgibst.“
Wieder wurde sie rot. „D-das habe ich nicht gemeint. Ich sage ja nur, du hattest die Möglichkeit, mich zu töten. Den Youma zu vernichten. Stattdessen hast du mich wählen lassen. Und ich entschied mich dafür, dich nicht zu vernichten und den Youma zu bekämpfen.“
„Ich erinnere mich wesentlich besser, wie du anschließend einen Riesenaufstand gemacht hast, weil du dir nicht erklären konntest, warum du nackt in der Schülervertretung hockst – mit mir im Raum.“
„Die eingeschlagene Wand nicht zu vergessen“, bemerkte sie lächelnd.
„Ja, die eingeschlagene Wand war da ja auch noch.“
„Ich weiß auch nicht, wieso. Ob ich es verdrängte oder ob es der Schock war, an diesem Abend machte ich mir weder Gedanken darüber, wer das Loch verursacht hatte noch warum ich nackt gewesen war. Die Erinnerung setzte erst später ein, nach und nach und begann mit der Gewissheit, dass du mich gerettet hast.“
Ich legte eine Hand auf ihre Wange. „Akane. Du hast dich selbst gerettet. Du bist sehr stark. Und ich bin sehr froh, dich zu kennen.“
Sie ignorierte die Hand und fuhr fort. „Jedenfalls, als mich später erneut dieser Youma angriff, da wurde mir klar, dass… Dass ich meine Slayer-Kräfte geweckt hatte, als ich mich dagegen entschied, dich zu töten. Und an diesem Tag nutzte ich sie das erste Mal bewusst. Vieles verdanke ich dir, Akira. Dafür bin ich sehr dankbar.“
„Sempai“, erwiderte ich ernst und senkte die Hand auf ihre Schulter, „wir sind Freunde. Ich habe viel von dir gelernt und ich bin gerne mit dir zusammen. Egal ob in einem Klassenraum oder beim Karaoke. Aber der Klassenraum wird wohl erst mal vorbei sein.“

„Wo du es gerade erwähnst“, begann sie, „hast du eigentlich deinen Oberstufe-Abschluss nachgeholt?“
„Akane, nach dem Säureattentat bin ich fast zwei Monate mit nicht viel mehr als einem Rucksack durch dass australische Outback gewandert, um mich selbst zu verstehen. Um wieder ich zu werden. Nur um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass ich noch viel mehr Abstand brauchte und bis zum Mond gegangen bin. Dort habe ich eine gewisse Erfüllung in harter Arbeit gefunden, bis ich endlich verstand, was ich wirklich brauchte. Nämlich meine Familie.“ Mein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass ich sie in diesen Begriff mit einschloss. Und du denkst wirklich, ich hätte in der Zeit meinen Abschluss nachgeholt?“
„Ja“, antwortete sie lapidar.
„Stimmt“, erwiderte ich leger. „Immerhin wollte ich auch auf die Uni in der AURORA gehen.“
„Wusste ich es doch“, sagte sie leise. Passend zu Joans zweiter Pause. „Und, wie ist dein Notendurchschnitt so?“
„Frag lieber nicht. Für Arzt oder Anwalt reicht es jedenfalls nicht“, erwiderte ich mit einer abwertenden Handbewegung.
„Brauchst du Nachhilfe?“, bot sie lächelnd an.
„In was genau?“, fragte ich.
„Kommt drauf an, worin du Nachhilfe brauchst, Akira.“
Unwillkürlich griff ich wieder an meinen Kragen. Kehrte diese schlechte Angewohnheit zurück, dass er mir ständig zu eng zu werden schien?
„War nur Spaß, Akira“, sagte sie und zwinkerte mir zu.
Ehrlich gesagt war ich mir da nicht wirklich so sicher.
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Die Aftershowparty bewies nur noch, was eigentlich von vorne herein feststand: Joan Reilley war der absolute Star in der AURORA. Sie hatte ihren Ruhm mitgenommen und wurde frenetisch gefeiert. Beruhigend an der Geschichte fand ich, dass selbst ihre Band eigene Fanclubs zu haben schien. Die Pfeillady hatte bei ihrem Solo ebenso Applaus bekommen wie der Elf oder Blondie und der Zopf.
Für einen Newcomer würde es schwer werden, sich gegen Joan und die Direktverbindung zur Erde durchzusetzen, über die eine Nullzeitkommunikation von enormer Bandbreite erfolgte, die es eigentlich jedem Bewohner der AURORA ermöglichte, am Leben in seiner Heimat zeitgleich teil zu haben.
Durch die geringe Fluggeschwindigkeit waren Zeitdilatationen beinahe ausgeschlossen, was mich noch mehr beruhigte. Nichts war schlimmer, als selbst nur zwei Jahre zu erleben, nur um auf der Erde festzustellen, dass dort mittlerweile drei oder mehr vergangen waren. Einstein hatte Recht gehabt. Zeit war relativ. Mit dem falschen Bezugspunkt würde die Differenz zwischen Raumfahrer und Erde recht groß werden. Wobei ich mir aber keine Sorgen machte, dass wir ein Jahr unterwegs waren, während auf der Erde ein Jahrhundert verging. So nahe würden wir niemals an die Lichtgeschwindigkeit heran kommen.
Wir blieben also dicht am Puls der Erde und die Erde verfolgte das Geschehen auf der AURORA. Und das in Nullzeit. Ein erhebendes, aber auch erschreckendes Gefühl. Wir standen quasi unter permanenter Beobachtung. Und permanenter Bevormundung, solange der Kontakt nicht aus Sicherheitsgründen unterbrochen wurde.

Ich schob die düsteren Gedanken beiseite und ging auf Toilette. Theorie war eine schöne Sache, aber eigentlich war ich ein Mann der Praxis.
Und im Moment bestand meine Praxis darin, die ruhigen Minuten abseits des Trubels zu genießen, bevor ich auf die Party zurück musste. Nun, nicht das sie schlecht war. Nicht, dass sie keinen Spaß machte. Aber Kei hatte diese Ryon mitgebracht, deren finstere Blicke mich permanent verfolgten.
Und Mako hatte drei Offiziere der Marodeure im Schlepp, die mich anstarrten als wäre ich ein Geist. Wann immer wir uns über den Weg liefen.
Und dann war da noch dieser kleine freche Bengel, den Goran Kurosz mitgebracht hatte, ehemals Sektionsführer in einer von Megumis Briareos-Kompanien der Mars-Mission. Er war im Gespräch für eine eigene Kompanie im neu aufgestellten Briareos-Regiment. Ich kannte den Mann flüchtig, hatte ein paar Mal mit ihm gesprochen. Er war durch und durch ein Briareos. Für ihn war Megumi Gott, und die absolute Gewalt auf Erden wie im Weltall.
Sein frecher Kumpel, Lieutenant Daynes, frisch von den Amis zu uns gestoßen hingegen hatte das noch zur Kunstform erhoben. Und mich zu seinem Lieblingsziel erklärt. Goran versuchte zwar, ihn zu bremsen, aber zunehmender Alkoholeinfluss hatte die Zunge des Offiziers gelockert. Was dazu führte, dass der junge Mann Spitzen auf mich abfeuerte.

Das bedeutete für mich Kreuzfeuer von drei Seiten. Ich wollte das wirklich nicht. Was war so falsch an einer netten Party zu Ehren von Joans gelungenem Konzert? Warum konnten wir nicht einfach alle friedlich miteinander feiern? Warum war ich plötzlich Mittelpunkt der Kritik? Für die eine Fraktion, weil ich war wer ich war, für die zweite weil ich getan hatte, was ich getan hatte und für die dritte weil ich nicht sein konnte, was ich war.
Ärgerlich schlug ich auf die Fliesen ein. Wurde es denn niemals leicht? Was für Optionen hatte ich? Die ganze Bande verprügeln? Nein, das war keine Option. Immerhin brauchten wir sie noch, sie alle. Dann vielleicht nur diesen kessen Ami? Vielleicht war es keine dumme Idee, ihm die Gelegenheit für ein Duell zu geben und ihn langsam aber nachhaltig aus seinem Mecha zu schneiden. Das würde ihm sehr nachhaltig den Unterschied zwischen einem Nachwuchspiloten und einen Elitekrieger vor Augen führen.
Was konnte man aber bei Ban Shee machen? Mir schwebte das was vor wie übers Knie legen. Na, vielleicht reichte es ja auch, wenn Kei seinen Einfluss auf sie nutzte. Er hatte doch Einfluss auf sie?

Als ich die fremde Aura spürte, versuchte ich in Abwehrstellung zu gehen. Schlecht, wenn man beide Hände beschäftigt hatte. Zumindest eine Hand aber brachte ich ins Spiel und bekam sie vor den Hals, bevor eine Drahtschlinge sich um meine Kehle schließen konnte.
Ein Angriff! Aber was für einer, ging es mir durch den Kopf, als sich die Schlinge mit brachialer Gewalt zuzog und mir doch die Luft abschnürte.
Ich wollte die zweite Hand ebenfalls benutzen, wurde aber schwer gegen die Wand gedrückt. Schmerzhaft machte mein Gesicht Bekanntschaft mit den Fliesen, während sich ein hartes Knie in meinen Rücken bohrte.
„Na, gefällt dir das?“, hauchte eine dünne Stimme hinter mir. „Hast du wirklich geglaubt, du wärst sicher oder wir hätten dich vergessen?“
Ich wendete den Kopf und bekam meinen Angreifer ins Blickfeld. Schwarzer Bodystocking, schwarze Maske. Die Augen waren mit roten Linsen verdeckt. In beiden Händen hielt der Angreifer die Enden der Drahtschlinge und zog sehr fest daran, wie ich an meiner Hand und meinem Hals bemerkte, wo sie hart einschnitten.
Ich setzte mein KI ein, um einen Schutz zwischen dem Draht und meiner Hand aufzubauen, nur um entsetzt festzustellen, dass der Draht heiß wurde – heiß von KI.
„Zwecklos. Denkst du, ich kenne deine Fähigkeiten nicht, Akira-chan?“, hauchte mein Angreifer amüsiert.
Scheiße. Beim Gang auf die Toilette zu sterben war nicht gerade der Tod, den ich mal erleben wollte. Aber so wie die Situation war, bestand ernsthaft die Gefahr, dass ich mit offener Hose getötet werden würde.

„Was willst du?“, krächzte ich mühsam und stemmte die Hand weiter in den Draht. Die ersten Schnitte entstanden, Blut floss hervor und lief mir die Hand herab.
„Was ich will, Akira-chan? Was ich will? Frag doch mal lieber was das Legat will. Du hast sie nicht alle erwischt. Du hast auch nicht alle Kronosier oder alle Agenten erwischt. Es gibt genügend Länder, in denen noch komplette Seilschaften existieren. Ja, Akira-chan, wir sind noch da. Und im Gegensatz zu den so genannten Marodeuren oder den geschlagenen Kronosiern auf dem Mars sind sie nicht auf Schmusekurs und bereuen die bösen, bösen Taten ihrer Anführer.
Sie traten bei, weil sie Macht wollten. Und das wollen sie noch immer.
Erinnerst du dich? Erinnerst du dich, wie viele Menschen die Gift bekommen haben? Weißt du, wie viele davon auf der Erde waren, als du den Mars erobert hast? Okay, euer Geheimdienst hat viele unserer Nester ausgeschaltet. Aber es sind noch genügend andere übrig, hörst du? Genügend andere. Unsere Strukturen existieren noch und wir haben großen Einfluss auf viele Länder, die nicht formell der UEMF angehören.
Und wir wollen immer noch Macht.“

„Du begehst den klassischen Fehler der Bösen“, krächzte ich. „Du erklärst zuviel, anstatt mich schnell zu töten. Aber ich nehme an, das ist dir bewusst. Also, was willst du?“
Ich spürte plötzlich heißen Atem an meinem Ohr. „Was ich will, Akira-chan? Ich will dich töten, das sollte dir mittlerweile klar sein. Aber ich bin kein Idiot. Und der Legat ist auch kein Idiot. Wir wissen sehr wohl zwei Dinge. Das erste ist, dass wir uns der Gefahr durch die Naguad sehr wohl bewusst sind. Die AURORA handelt in unserem Sinne, wenn sie Anelph holt und unsere Abwehr verstärkt. Das zweite ist, dass wir dich dafür brauchen. Du bist der beste Mecha-Pilot der Erde. Die Mission kann durchaus scheitern, wenn du… nicht mehr zur Verfügung stehst.“
„Also tötest du mich nach der Mission?“, riet ich.
„Etwas in der Art, ja. Dies hier ist quasi mein Antrittsbesuch.“ Die Stimme kam mir noch etwas näher. Ich verlor den Kopf dadurch völlig aus meinem Blickfeld. „Du planst sicher gerade, wie du mich hetzen und aufgreifen, vielleicht liquidieren kannst. Aber das kannst du vergessen. Sicher wunderst du dich, dass ich KI beherrsche. Tja. Wir haben nicht umsonst mit Tora zusammen gearbeitet. Wir verdanken dem Magier nicht nur die selbst lenkenden Torpedos oder den Tarnschild, der sogar einen ZULU verstecken kann. Nein, wir haben auch gelernt, das KI auf andere Art zu nutzen.“ Ein böses Lachen erklang. „Ich bin eigentlich gar nicht wirklich hier, Akira-chan. Nein, das ist falsch formuliert. Mein Körper ist gar nicht hier. Der ruht auf der Erde in einem Biotank. Nur mein Geist ist hier, durch KI in diesen Körper übertragen. Ich bin hier quasi als blinder Passagier, in irgendeinem der achtzigtausend Menschen hier an Bord der AURORA. Mich zu finden ist absolut unmöglich. Ich kann den Körper jederzeit übernehmen und dich angreifen, wenn du es am wenigsten erwartest. Und mein Wirt wird es ebenso wenig verhindern können, wie er diesmal hat verhindern können, dass ich ihn übernehme. Wer weiß, vielleicht haben wir einen deiner Freunde auf der Erde entführt und mich implantiert? Kannst du einen deiner Freunde töten, und sei es in Notwehr?“
„Du redest schon wieder zuviel“, konterte ich. „Du gibst mir die Möglichkeit zu kontern, eine Abwehr zu entwickeln.“
„Das habe ich ja auch so geplant, Akira-chan“, hauchte die Stimme leise. „Du erinnerst dich, der Legat und ich sind einer Meinung, dass du zumindest bis zur Rettung der Anelph überleben solltest. Nun, ich bin nicht der einzige, der implantiert wurde. Wir sind insgesamt zwölf, willkürlich auf die Neuankömmlinge auf der AURORA verteilt. Jeder ein potentieller Killer, jeder mit dem Auftrag dich zu töten. Und nicht jeder ist so einsichtig und gibt dir noch ein Jahr Ruhe. Außerdem haben manche von ihnen auch einen Teil deiner Freunde zum Ziel. Megumi-chan, Joan-chan, Akari-chan… Die ist besonders weit oben, weil sie den KI-Speicher zerstört hat.“
Wütend bäumte ich mich auf, wurde aber hart wieder gegen die Fliesen gedrückt.
„Kapierst du nicht, du Idiot? Ich warne dich! Ich gebe dir eine Chance, auf deine Freunde zu achten! Ihnen das Leben zu retten! Also sei nicht so störrisch! Vor mir hast du ein Jahr Ruhe. Vor den anderen nicht! Nutze die Zeit. Und verhindere vor allem, das die AURORA zerstört wird.“

Übergangslos verschwand der Druck auf dem Draht. Die Schlinge glitt von mir herab. Ich glitt zu Boden und hustete schwer.
„Mehr habe ich nicht zu sagen. Pass auf dich auf, solange du nützlich für mich bist. Und mach deine Hose zu, bevor du wieder raus gehst.“
Ich lachte krächzend. „Danke für die Warnung“, murmelte ich, während ich die Hand und meinen Hals mit KI heilte. „Aber so leicht sterbe ich nicht.“
„Sonst würde es ja auch keinen Spaß machen, Akira-chan.“
Ich wandte mich um, aber die schwarze Gestalt war fort.
„Verdammt“, fluchte ich. „Verdammt, verdammt, verdammt. Zwölf Angreifer?“
Meine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Nun hatte ich vier Fronten. Und an keiner sah es rosig aus. Nur das die vierte Front auch noch meine Freunde bedrohte.
Wozu brauchten wir die Naguad? Wir hatten doch im eigenen Lager mehr als genug zu tun.

5.
„Sensei“, sagte ich ernst. Ich kniete auf den harten Hallenboden, und sah den glatzköpfigen Mann vor mir in die Augen.
„Akira-kun.“ Der alte Mann fixierte mich nicht weniger ernst.
„Sensei, ich…“
Er wischte meine Worte mit einer Handbewegung beiseite. „Atmen“, befahl er leise und ich gehorchte.
Ein, aus. Ein, aus. Ein, aus. Langsam bekam ich meine Gefühle in den Griff. Langsam klärte sich mein Geist. Die Wut, die Hilflosigkeit verschwand, machte logischem Denken Platz.
„Gut“, sagte Futabe-sensei und nickte. „Du bist beruhigt. Nun sprich.“
Für einen Moment war ich dankbar, sehr dankbar dafür, dass sich Yoshis Großvater dazu entschlossen hatte, für die geistige Erbauung an Bord der AURORA einen Shinto-Schrein zu betreuen. Neben der Moschee, den drei christlichen Kirchen und der Synagoge sowie diversen weiteren Tempeln trug er somit zur Religionsvielfalt an Bord bei.
Sensei hatte mich seit meiner frühesten Jugend unterrichtet, mich zu fokussieren, mich zu bündeln. Mein Ich zu erkennen und somit meine Handlungen zu verbessern. Im Nachhinein erschien es mir, als wäre es dieses Training gewesen, welches mich erst befähigt hatte, Primus zu steuern. Hatte Futabe-sensei vielleicht etwas geahnt? Ausschließen konnte ich es nicht. Den ehrwürdigen Priester umgab nicht umsonst eine Aura des Geheimnisvollen.

In knappen, prägnanten Sätzen begann ich die Situation zu schildern. Sensei unterbrach mich nicht und hörte mit unbewegter Miene zu.
Als ich geendet hatte, nickte er.
„Akira-kun. Du weißt, wofür ich dich ausgebildet habe.“
Ich nickte schwer. Nicht schon wieder die Platte. „Ja, Sensei. Ich stehe kurz vor der Vollendung. Dies soll meine letzte Inkarnation sein.“
„Richtig. Und um die Vervollkommnung zu erreichen, musst du das Weltliche abstreifen, beginnen das Große zu sehen. Den Pfad der Menschen verlassen und das Ganze begreifen.“
Ich begehrte auf. „Aber Sensei, ich…“
„Akira-kun“, sagte Sensei. Es stoppte mich so effektiv, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. „Für Menschen wie dich, die vor der Vervollkommnung stehen, gibt es nichts Schlimmeres, als sich den weltlichen Dingen zu zuwenden. Sich von ihnen einfangen zu lassen. Die Lehren aus den übrigen Inkarnationen zu vergessen. Sie zu verleugnen und eine weitere Inkarnation zu erzwingen. Die Lehren der Menschen von Selbstsucht, Intoleranz, Eigennutz, Hass, von Gewinnstreben und Gedankenlosigkeit und was der Dinge mehr sind.“
„Ja, Meister“, sagte ich resignierend und wusste schon, dass ich Sensei schwer enttäuschen würde.
„Du musst den Lehren aus deinen letzten Inkarnationen folgen, Akira-kun. Was, denkst du, sind diese Lehren?“
„Dass ich mich vom weltlichen Geschehen abwende. Das ich über den Dingen stehe und mich nicht in Tod und Zerstörung einlasse. Das ich…“
„FALSCH!“

Erschrocken sah ich auf. Sensei hatte noch nie gebrüllt. Zumindest nicht in einer solchen Lehrstunde.
„Akira-kun. Warum bist du auf dem Mars John Takei geworden? Warum hast du versucht, nicht mehr zu töten?“
„Weil“, begann ich leise, „weil es zu viel geworden ist. Wenn ich an die Leben denke, die ich beendet habe… Die Menschen, deren Existenz ich ausgelöscht habe, wird mir übel. Sie waren meine Feinde, sie haben uns bedroht. Aber ich frage mich immer wieder, ob es nicht einen anderen Weg gegeben hätte. Ich frage mich immer, ob ich gut genug werden könnte, um nicht mehr töten zu müssen, ohne Freunde und Verbündete zu gefährden. Als John Takei glaubte ich, das erreicht zu haben.“
Seinsei nickte. „Und damit gehst du auf dem Pfad der Erleuchtung, Akira-kun. Nicht das Abwenden von der weltlichen Existenz bringt dir die Vervollkommnung, sondern das begreifen, das verstehen. Viele der Menschen, denen du begegnest, sind unvollkommen, zu sehr geprägt von den Eigenschaften, die du hinter dir gelassen hast. Deine Aufgabe ist es nicht, sie zu töten oder zu ignorieren. Aber ihnen den richtigen Pfad zu zeigen. Gnade zu zeigen. Vergebung zu zeigen. Als John Takei hast du nicht getötet, obwohl du die Gelegenheit dazu hattest. Verfolge diesen Pfad weiter. Und hilf den Menschen um dich herum, von ihrer Eitelkeit, ihrer Engstirnigkeit, ihrem Irrsinn zu lassen, egal ob Freund oder Feind. Denn dies ist dein Weg zur Vervollkommnung. Was du gelernt hast in deinen Inkarnationen gib nun weiter. Lasse dich nicht entmutigen. Gib niemanden verloren. Aber lass dich nicht zurück werfen, wenn du doch einmal töten musst.“
„Sensei“, hauchte ich. Diese Antwort hatte ich nicht erwartet.
„Nimm deine Aufgabe als Divisionskommandeur wahr. Achte darauf, dass die Menschen, die mit dir arbeiten, sich nicht in kleinlichen Dingen ergehen und hilf ihnen zur Erkenntnis. Natürlich nicht sofort und nicht allen zugleich. Aber durch stetiges Beispiel und Beharrlichkeit.“

„Äh, Sensei…“, hakte ich leise nach.
„Ich sehe, du hast noch eine Frage. Stelle sie mir“, forderte Yoshis Großvater mich auf.
„Sensei, ist… Sex eine von den weltlichen Eigenschaften, die ich hinter mir gelassen habe? Oder noch hinter mir lassen muß?“
„Nein“, antwortete Futabe-sensei knapp.
Ich atmete auf. Da hatte ich ja noch mal Glück gehabt…
**
„Das ist die Lage. Zwölf Attentäter in zwölf Körpern. Perfekte Schläfer, da die Träger der Bewusstseine nicht wissen, dass sie diese in sich tragen.
Wir haben unter ihnen einen Verbündeten, aber auch dies nur solange, bis wir unsere Mission erfüllt haben“, schloss ich meinen Bericht.
Kenji Hazegawa blinzelte erstaunt. „Wenn es ein anderer wäre, der mir das hier gerade erzählt hätte…“
„Es klingt unglaublich“, fügte Doitsu Ataka hinzu. „Selbst für die Begriffe, die ich mittlerweile gewöhnt bin.“
„Dennoch ist es sehr real. Leider. Also müssen wir fortan wachsam sein. Sehr wachsam. Kitsune-chan und Okame-kun werden uns helfen, so gut sie es können. Aber sie können nicht überall sein.“#
„Mir kommt da ein Gedanke“, meldete sich Yoshi zu Wort. „Abgesehen davon, dass du nur Männer in diese Runde eingeladen hast. Worauf ich nachher noch mal eingehe, aber… Hast du schon mal dran gedacht, dass diese Agenten nicht nur einen von uns zu töten versuchen, sondern eventuell gleich einen Fusionsreaktor sprengen?“
Ein erschrockenes Raunen ging durch den Raum.
„Mal den Teufel besser nicht an die Wand“, hauchte Kei erschrocken.
„Wir können ABC-Übungen abhalten“, sagte Makoto leise. „Es ist nur natürlich, dies in einem Hohlkörper zu tun, der von Fusionsreaktoren betrieben wird. Machen wir einfach ein paar mehr und führen wir auch Sicherheitstraining ein, um eventuell besetzte Kraftwerke zu stürmen.“
„Das ist doch eine Idee. Also, meine Herren, seid wachsam. Ich bin mir sehr sicher, dass wir viel mehr Ärger entgegen gehen als wir alle erwarten.“
„Apropos Ärger. Warum hast du nur Männer eingeladen?“, hakte Yoshi nach.
„Nun, der Angreifer, der mich kontaktierte, war definitiv eine Frau. Die Chance, dass die Agenten nur Frauen übernehmen ist zwar gering, aber… Es ist zumindest eine Chance.“
„Und warum bist du dir so sicher, dass es eine Frau ist?“, hakte Mamoru nach.
„Äh“, begann ich. Sollte ich ihnen vielleicht erzählen, dass ich ihren Busen gespürt hatte, als sie sich an mich gedrückt hatte, um mir ins Ohr zu flüstern?
„Genau. Du hast doch selbst gesagt dass du den Angreifer nicht gut genug sehen konntest“, ereiferte sich Kei.
„Ich weiß es einfach“, erwiderte ich schroff und begleitete die Worte mit einem bösen Blick.
Kei hob abwehrend die Arme. „Schon gut, schon gut, Akira.“
„Apropos schon gut.“ Nachdenklich kratzte sich Yoshi am Haaransatz. „Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?“
„Karaoke?“, fragte Doitsu leise.
„Ich hasse Karaoke!“, rief ich.
„Na, deswegen ja“, erwiderte der Freund flapsig. Bevor ich mich versah, stand Daisuke hinter mir und sagte: „Das tut mir jetzt mehr weh als dir, Akira-chan.“
Kurz darauf schleiften er und Kenji mich hinter sich her.
„Jungs, das könnt ihr mir doch nicht antun. Jungs. Kameraden. Waffenbrüder!“
„Wir rufen die Mädchen auch noch an“, schmunzelte Yoshi.
Übergangslos wurde ich ruhiger. Ein Duett mit Megumi, ein Medley mit Joan und Hina… Dazu musste ich nicht einen einzigen Schritt machen. „Gehen wir es an.“
Ich sah zu meinen grinsenden Freunden empor. „Hey, ich sagte, gehen wir es an. Wollt Ihr mich nicht los lassen? Ich kann alleine gehen.“
Daisuke wechselte einen Blick mit Yoshi und Makoto. Beide schüttelten den Kopf.
„Nein“, verkündete der Mecha-Pilot, „wir gehen kein Risiko ein.“
„Na Klasse“, beschwerte ich mich. Andererseits war ich aber froh. Froh, solche Freunde zu haben. Mit denen ich durch dick und dünn gehen konnte. Jederzeit…

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Anime Evolution: Erweitert
Episode fünf

1.
Training hieß das Zauberwort. Die nächsten Tage und Wochen würden ganz unter dem Bann dieses Wortes stehen. Training bis zum Erbrechen, bis zur Aufgabe. Um in einem letzten Versuch die letzte Spreu vom letzten Weizen zu trennen.
Um die besten herauszusieben und jene, welche die besten werden konnten.
Es würde hart werden, für die Ausbilder ebenso wie für die Anwärter. Schweiß und Tränen würden fließen, Flüche ausgestoßen werden und hier und da mochte Blut fließen und Knochen gebrochen werden.
Was ich vor mir sah, sollte die absolute Elite der Mecha-Piloten der Menschheit sein – soweit sie sich zum Projekt Troja freiwillig gemeldet hatte.
Ich ließ Prime Lightning die rechte Hand ausstrecken und eine winkende Bewegung machen. „Kommt.“
Kurz darauf brach in der eisigen Stille des Alls die Hölle los.

Die Distanz zu den Hekatoncheiren betrug einhundert Meter. Das bedeutete, das mir dreihundertsechzig Mechas der Klassen Sparrow, Eagle und Hawk gegenüber durch das All trieben – und in diesem Moment in meine Richtung beschleunigten.
Meine stille Hoffnung, dass sich die Mechas gegenseitig behinderten, erfüllte sich nicht. Raketen wurden abgeschossen, die Glattrohrkanonen und Laser der Eagles feuerten Sperrfeuer und direkt auf mich. Ich musste zugeben, Daisuke, Megumi und Yohko hatten ihre drei Regimenter gut koordiniert.
„Das sieht nicht gut aus, Colonel“, sagte Prime, während er die Laserstrahlen anhand meiner Gedankenimpulse austanzte und den Projektilen der Glattrohrkanonen anhand der Ortungsdaten auswich. In drei Sekunden würden auch noch Raketen dazu kommen. Aber wir würden die Strecke bis zu den Hekatoncheiren um fünfzig Meter reduziert haben.
Ich fixierte die angreifenden Raketen und markierte sie somit für mein Abwehrsystem. Im Weltraum mit den eher großen Distanzen eigentlich zeitaufwändig und unmöglich.
Aber ich und die Hekatoncheiren waren eher dicht gepackt, und auch wenn sich die über dreihundert Mechas noch diszipliniert verhielten, würde ich das Chaos schon noch in ihre Reihen bringen. Und den Vorteil nutzen, den die verkürzte Strecke mir verschaffte.
Ich hatte etwa zwanzig Raketen anvisiert, das Lasergestützte Rak-Abwehrsystem tat den Rest und fegte die Projektile aus dem All.

Im nächsten Augenblick war ich schon mitten in ihren Linien.
Ich zog die Herkules-Klingen und spaltete zwei Gyes-Hekatoncheiren des First Arm-Bataillons quer. Sie hatten nicht den Hauch einer Chance.
Herkules-Klingen zuckten nach mir. Schwere Gewehre feuerten und die Entladung einer Artemis-Lanze jagte nur knapp an mir vorbei, während ich Prime instinktiv in eine Rolle warf.
Drei Hawks der First Arm folgen mir, versuchten mich in den Nahkampf zu zwingen.
Ich nahm es dankbar an, denn je näher sie mir waren, desto weniger Platz und Gelegenheit hatten ihre Kameraden für Treffer.
Das hieß aber nicht, dass ich ewig mit ihnen spielen wollte.
„Wie sieht es aus, Prime?“, fragte ich atemlos, während ich einen Eagle vernichtete, der sich ebenfalls in den Nahkampf gegen mich gewagt hatte.
„Gut, Colonel. Wir haben zwei Raketentreffer an den Schulterschilden, einen mittig im Torso. Drei Eagles haben Treffer am linken Bein und im Rücken gelandet. Aber wir sind noch funktionell. Allerdings…“
„Ich höre“, erwiderte ich und schüttelte stumm den Kopf, als ein Sparrow in eine Wolke Raketen geriet und in einer Explosion verging, die einen Hawk in direkter Nähe verwüstete.
„Allerdings, Colonel, wir sind im Arsch.“
„Du sagst mir nichts Neues“, sagte ich, lud eine Herkules-Klinge auf und zerstörte einen weiteren Eagle, der mich aus der Distanz beharkte.

Schnell checkte ich die Ortungsdaten und konnte mein Glück kaum fassen. Die gut geordnete Schlachtreihe der Hekatoncheiren löste sich mehr und mehr auf. Sie strömten auf mich zu. Und nahmen sich damit gegenseitig das Schussfeld weg.
Sie gingen wirklich in den Nahkampf. In mein ureigenstes Gebiet.
Ich grinste kalt, als eine Artemis-Lanze nach mir stieß und den linken Arm von Prime knapp unter der Schulter abtrennte. Damit ging mir eine Herkules-Klinge verloren. Wäre ich nicht erneut in eine enge Kehre gegangen hätte die Waffe mein Cockpit erwischt.
Das konnte nur die Anführerin des Briareos-Regiments sein, die das Debakel kommen sah und nun versuchte, mich zu vernichten, bevor endgültig das Chaos ausbrach. Aber ich war auch mit nur einem Schwert noch gefährlich.
„Hallo, Schatz“, flüsterte ich leise und nutzte einen Hawk von Kottos´ Third Arm als Schild, stieß ihn Megumi Uno entgegen und blieb bis knapp vor meinem Ziel hinter ihm.
Dabei ließ ich die verbliebene Klinge kreisen und erwischte einen weiteren Sparrow mit einer nebensächlichen Bewegung, kappte zwei Hawks Gliedmaßen.
Dann war ich heran, stieg über meinen Schild hinweg und konnte Megumis Artemis-Lanze gerade noch parieren.
So schwebten wir uns bange drei Sekunden gegenüber, verbissen miteinander ringend.
Die anderen Mechas der Hekatoncheiren griffen nicht ein, was ich mit Missfallen bemerkte.
Einen Augenblick später schoss ich aus allernächster Nähe meine Raketen auf Lady Death ab.
Ich hatte sie auf Aufschlagzünder stellen lassen, mich damit der Homing-Funktion beraubt, ja, aber sie zu einer effektiven Waffe für den Nahkampf gemacht.

„Lady Death wurde schwer beschädigt“, meldete Prime.
Ich lächelte kalt, stieß die Artemis-Lanze an mir vorbei, tauchte unter dem Hawk hindurch und stieß meine Klinge an der Hüfte vorbei hinter mir. Sie durchbohrte das Cockpit von Lady Death und schaltete damit den Kopf von Briareos ein für allemal aus.
„Lady Death ist gefallen“, meldete Prime Lightning ernst.
Wieder warf ich einen Blick auf die Ortung. Die Angriffsbewegung der anderen Mechas verstärkte sich. Sie verzichteten weitestgehend auf Fernreichweitenwaffen; jene, die es dennoch taten, trafen vor allem ihre eigenen Kameraden.
Sie rückten damit aber so nahe zusammen, dass ich planlos schießen konnte und garantiert etwas traf.
„Danke für dieses Geschenk“, sagte ich kalt und riss die Herkules-Klinge aus dem sterbenden Mecha wieder hervor. Dann griff ich an.
**
Nach der Gefechtsübung herrschte im Hauptbesprechungsraum beängstigende Stille. Nur mein Lachen war zu hören.
Ich wusste, mein lautes, höhnisches Lachen war unfair. Und Megumis hochroter Kopf war der Beweis dafür, dass meine Spitze sehr wohl traf. Selbst Daisuke sah betreten zu Boden, während ich mich schier ausschütten wollte vor Heiterkeit.
Aber wenn ich in die verstockten oder stark geröteten Gesichter der Hekatoncheiren-Piloten sah, dann wusste ich, dass dies der beste Augenblick war, um sie alle zu belehren.
Es war von vorneherein eine umstrittene Entscheidung gewesen, die Hekatoncheiren nach so kurzer Zeit von Regimentsgröße auf Divisionsstärke aufzublähen. Und das Experiment drohte jeden Tag zu scheitern.
Aber nicht, solange ich etwas dagegen tun konnte.
Noch immer lachte ich. Und noch immer sahen meine Freunde beschämt zu Boden. Ja, ich hatte sie beschämt. Ein einzelner Mecha, auch wenn es der legendäre Prime Lightning war, mit dem anerkannt besten Piloten der United Earth Mecha Force an Bord, hatte gegen die gesamten Hekatoncheiren gehalten, der angeblichen Elite der Menschheit.

„Bitte sag es noch mal, Makoto“, bat ich meinen Cousin grinsend.
„Ich wiederhole noch einmal die Verlustrechnung der Übung. Mit Colonel Uno haben die Hekatoncheiren exakt siebenundachtzig Hawks verloren. Dazu neunzehn Sparrows und acht Eagles. Colonel Otomo hat davon dreiundzwanzig Hawks, elf Sparrows und alle acht Eagles vernichtet. Der Rest verging in Friendly Fire.“
Lautes Raunen antwortete dem Taktischen Chef im Range eines Colonels. Friendly Fire, Treffer durch verbündete Einheiten.
„Ich danke dir, Makoto“, sagte ich grinsend und sah meine Piloten an.
„Hoffentlich habt Ihr heute alle eines begriffen. Was einen wahren Elitepiloten ausmacht… Und was Ihr seid.“
Für einen Augenblick erklang leiser Protest. Aber Makoto deutete nur stumm auf das amtliche Ergebnis hinter mir auf dem großen Schirm, um ihn zum verstummen zu bringen.

„Vergessen Sie alle vor allem eines nicht. Sie haben das Operationsziel, Prime Lightning zu zerstören, nicht erreicht. Prime wurde wegen Überhitzung stillgelegt. Und das nach achtzehn Minuten Nahkampf. Die Schäden an Prime Lightning waren schwer, vor allem der Arm den Colonel Uno abgetrennt hat schränkte den Daishi stark ein. Was die Verluste nach unten gedrückt haben sollte“, sagte Makoto mit immer noch sehr ernster Stimme. „Aber Sie haben ihn nicht vernichtet. Ein einzelner Mecha gegen die gesamten Hekatoncheiren. Schämen Sie sich.“
Betretenes Schweigen antwortete ihm.
„Ja, schämen Sie sich. Schämen Sie alle sich. Sie wollen die Elite der Menschheit sein?“, schlug ich in die gleiche Kerbe. „Sie alle gelten als die besten Piloten, die wir auftreiben konnten. Und Sie haben es nicht geschafft, mich zu vernichten?“
Ich sah einigen Piloten direkt in die Augen. Die meisten wichen meinem Blick aus.
„Ursprünglich gingen wir davon aus, dass ich nach drei, spätestens vier Minuten zerstört sein sollte. Aber Sie alle haben schwerwiegende Fehler gemacht.
Die Regimentskommandeure“, ich sah Megumi an, danach Daisuke und schließlich Yohko, „haben mich zu nahe heran kommen lassen. Sie hätten mich mit Hilfe der Eagles auf Distanz halten müssen und mir nicht erlauben dürfen, in meinen bevorzugten Kampfstil zu finden, den Nahkampf. Ich bin nun mal gefährlich. Das solltet Ihr eigentlich wissen.“
Yohko wich meinem Blick aus, während Daisuke ihn mit einem leichten Schmunzeln erwiderte. Megumi biss sich auf die Lippe. Das ich sie vernichtet hatte, nagte immer noch an ihr.
„Die Bataillonskommandeure haben ebenfalls versagt. Die Phalanx war erstklassig aufgestellt. Doch dann begann sie aufzuweichen. Hawks rückten gegen mich vor, Sparrows spritzten zwischen ihnen herum. Und Eagles hatten plötzlich kein Schussfeld mehr.
Die Bataillone haben ihre Plätze verlassen und unfreiwillig auf ihre Kameraden gefeuert. Es war eine absolute Fehlentscheidung, mich nicht im Nahkampf zu stellen, nachdem ich diesen aufgenommen hatte. Es hätte die Verluste mindern können. Enorm mindern können.“
Ich pickte mir einige Bataillonskommandeure heraus wie Yoshi, Doitsu und Takashi. Sie nickten zumeist stumm bei meinem Tadel.
„Und die Kompaniechefs haben auf der ganzen Linie versagt. Anstatt ihre Leute bei der Stange zu halten, unter Kontrolle zu haben, sind sie auf den gleichen Zug aufgesprungen und haben versucht, den entscheidenden Schuss auf Prime Lightning abzugeben.“
Dutzende Köpfe wurden gesenkt. Ich kannte meine Pappenheimer sehr genau.
„Aber das Schlimmste!“, blaffte ich und schlug mit der flachen Rechten auf das Redepult vor mir. „Das Schlimmste seid Ihr Mecha-Krieger, egal ob Ihr in einem Hawk, einem Eagle oder einem Sparrow sitzt! IHR HABT VERSAGT!“
Wieder ging ein Raunen durch den Besprechungsraum, nur diesmal betreten.
„Wenn Ihr nicht auf eure Kompaniechefs hört, dann verfallen die Linien in Unordnung und Ihr schießt auf Kameraden oder nehmt anderen das Schussfeld weg. Wer hier Trophäen jagt gefährdet nur seine Verbündeten und HAT IN DER ELITE NICHTS VERLOREN!
Wer nicht die Disziplin hat, seinen Platz zu halten und den Anweisungen seines Kompaniechefs zu folgen, egal was neben ihm passiert, der sollte noch einmal in die Ausbildung zurückgehen. Was dabei herausgekommen ist, haben wir heute ja gesehen.
Eure Vorgesetzten sind Kompaniechefs, weil wir ihnen die damit vorausgesetzten Fähigkeiten zutrauen. Nicht weil uns der Klang ihrer Namen gefällt oder weil Papi Admiral ist.“

Ich ließ diesen Gedanken sacken. „Die Befehlsstruktur muß jedem klar sein. Ob einfacher Krieger, ob Kompaniechef, ob Bataillonskommandeur, ob Regimentsführer. Die Befehle kommen von oben. Ich gebe sie Colonel Uno. Sie gibt sie Major Futabe. Der gibt sie an Captain Kurosz weiter. Und der erteilt ihn an Lieutenant Daynes.
Hat das geklappt? NEIN!“
Ich war schon ein paar Mal laut geworden, aber diesmal war ich sicher, meine Stimme konnte man selbst in zwei Kilometer Tiefe in Fushida City hören.
„Ich bin enttäuscht. Und das vor allem von euch, den einfachen Piloten. Wir sind noch fast drei Wochen hier, danach dümpeln wir weitere zwei Wochen bis zu unserem Sprungpunkt. In dieser Zeit kann ich jeden, wirklich jeden noch nach Hause schicken.
Und so wahr ich Blue Lightning bin, das werde ich, wenn das hier nicht besser wird.
Nicht genug, dass Ihr nicht mal mit einem, mit einem einzigen Mecha fertig geworden seid.
Aber euch muß klar sein, dass die Spitzen der Hekatoncheiren mit Veteranen des Mars-Feldzuges besetzt sind. Mit den erfahrensten Männern und Frauen, die wir haben! Die in Schlachten gesteckt haben, die Ihr niemals erleben wollt. Wenn Ihr nicht auf sie hören könnt, ist in dieser Division kein Platz für euch.“
Wütend schüttelte ich den Kopf. Meine Worte waren hart, aber gerechtfertigt. Immerhin hatten wir draußen im stellaren Bereich keinen Nachschub, keine neuen Piloten, nichts.
Wir mussten mit dem auskommen, was wir mit uns führten.
„Werdet besser. Bis dahin schämt euch. Diese Übung wird offiziell als verloren gewertet. Ich bin der Sieger. Regimentskommandeure, lassen Sie diese Versager wegtreten.“

Die drei standen auf und riefen ihre Leute ins Stillgestanden, ließen sie salutieren und wegtreten.
„Na toll“, brummte Makoto neben mir. „Wenn du dir gerade fünfhundert Feinde machen wolltest, das hast du geschafft.“
„Ich bin nicht hier, um nett zu ihnen zu sein, Mako-chan“, erwiderte ich. „Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass die AURORA wieder in einem Stück nach Hause kommt.“
„Dennoch. Musstest du Megumi und die anderen gleich mit demütigen?“
„Habe ich vielleicht etwas Falsches gesagt oder übertrieben?“
Makoto schüttelte den Kopf. „Übertrieben, etwas. Aber nichts Falsches.“
Ich nickte ernst dazu.
„Keine Angst“, meldete sich Megumi zu Wort, als sie neben mich trat. „Ich und Daisuke sind nicht sauer auf Akira.“
Sie sah Makoto an. „Er hat ja Recht. Denn wir haben aus einem Bataillon nach dem Marsfeldzug ein Regiment gemacht. Ein Regiment ohne Felderfahrung mit vielen neuen Piloten. Piloten, die in ihren alten Einheiten sicherlich gute Arbeit geleistet haben, aber in dieser Zusammenstellung noch nie gekämpft haben.
Und dann haben wir sie auf eine Division aufgebläht. Diese Division muß funktionieren, und das so schnell wie möglich. Akira hat Recht, ihnen ihre Fehler vor Augen zu führen. Mit ihnen fallen und stehen wir Regimentskommandeure.“
„Danke, Megumi“, sagte ich erleichtert und gab ihr einen knappen Kuss. „Du warst übrigens richtig gut heute. Als du mir den Arm gekappt hast, dachte ich schon das war es für mich.“
„Du warst besser. Dieser alte Trick mit dem Schwert an der Hüfte vorbei, ich bin tatsächlich drauf reingefallen.“
„Glück“, erwiderte ich.
„Glück?“ Die junge Frau zog die Augenbrauen hoch. „Wenn ich mir mal deine Rede in Erinnerung hole, kam da Glück nicht an einer Stelle vor. Nur ein ich bin der Beste.“
Ich lächelte verlegen. „Habe ich vielleicht doch übertrieben?“
„Nein“, erklärte Megumi schmunzelnd. „Immerhin haben sie dich ja nicht abgeschossen. Du hast Prime überhitzt, weil du mit dem abschießen der Ziele nicht nachgekommen bist. Ich hoffe, es sickert bis in ihre Bewusstseine durch.“
„Wenn nicht“, sagte ich und gab meiner Stimme einen harten Klang, „es gibt genügend junge Mecha-Piloten, die nur zu gerne einen Platz bei den Hekatoncheiren einnehmen würden.“
„Du meinst es wirklich ernst“, sagte Makoto. Es war eine Feststellung. Eine kalte Feststellung.
„Ja“, antwortete ich, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, um meine Entschlossenheit zu unterstreichen…

„So, ich gehe meinen Leuten den Kopf waschen“, sagte sie und nickte Makoto und mir zu.
Ein Lächeln huschte über ihre Züge. „Falls das noch klappt, nachdem Akira mir meinen abgerissen hat.“
Ich räusperte mich lautstark. „Ich wollte deine Autorität nicht untergraben, Schatz.“
„Das hast du auch nicht. Aber du hast ganz sicher klar gestellt, wer die Nummer eins und wer die Nummer zwei ist.“
Wieder räusperte ich mich. Das war wirklich nicht meine Absicht gewesen.
„Schon gut, Akira. Grübele nicht drüber nach.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, winkte Makoto zu und ging.

„Tolles Mädchen“, meinte Mako. „Aber ich glaube, die nächste Woche schläfst du allein, Akira.“
„Meinst du, sie ist doch sauer?“, argwöhnte ich.
„Quatsch. Es ist nur, so wie du sie vorgeführt hast, wird sie sich und ihre Leute trainieren, bis sie umfallen.“
„Nicht dass sie es nicht nötig hätten“, brummte ich zur Erwiderung, „denn sonst können wir Projekt Troja gleich vergessen.“

2.
Zwei Wochen noch. Zwei Wochen, bevor wir aufbrachen. Die letzten Schiffe der Begleitflotte trafen ein und ließen ihre Mannschaften Quartier beziehen. Zumeist in den Appartements in den Felswänden der AURORA, aber Makoto hatte mir erklärt, dass eine Ghettoisierung, wie er es genannt hatte, nicht stattfinden sollte. Darum stand jedem Soldaten mindestens ein Zimmer in der Stadt oder einem der kleineren Orte zu.
Seit der Übung war eine Menge geschehen. In kürzester Zeit war ich zum meistgehassten Mann der AURORA aufgestiegen, zumindest was die neuen Rekruten der Hekatoncheiren betraf. Die Mars-Veteranen bewahrten sich dem gegenüber eine gewisse Nonchalanche und hielten die Klappe.
An sich war diese Entwicklung nämlich gewollt, denn wenn sie mich hassten und mich überholen wollten, mussten sie sehr viel besser werden.
Dennoch hatte ich bereits drei Leute in Schande nach Hause geschickt und durch bessere ersetzen lassen.
Was die Hekatoncheiren anging hatte ich das letzte Wort. Niemand sonst.

„Ruhe, bitte“, sagte Sakura Ino, ihres Zeichens Admiral und Oberbefehlshaberin der Expedition. Sofort verstummten die anwesenden Schiffskapitäne, die Infanterie-Offiziere, die Kommandeure der Panzereinheiten und die obersten Offiziere der Mecha-Einheiten sowie Hina Yamada als Vertreterin der Slayer. Auch Futabe-sensei war anwesend, was mich für einen Moment etwas irritierte.
Als alle Teilnehmer der Konferenz Platz genommen hatten und die kleinen Gespräche eingestellt hatten, kamen durch eine Seitentür mehrere Anelph. Einer von ihnen war unverkennbar Jano Avergan Ryon, der Admiral der Evakuierungsflotte.
Sie nahmen neben Sakura Platz. Die nickte den Neuankömmlingen zu. „Schön, dass Sie es geschafft haben, Admiral.
Das Thema der Besprechung ist unsere Mission. Oder vielmehr das, was uns erwartet. Wir haben die AURORA mit allem ausgestattet, was die Zeit ermöglichte und was die Erde entbehren konnte. Wir wissen dennoch nicht, ob es reichen wird. Admiral Ryon wird nun seinen Kenntnisstand über Lorania vermitteln, der Heimatwelt der Anelph. Bedenken Sie alle, diese Kenntnisse sind fünf Jahre alt. Admiral, bitte.“

Ryon erhob sich. „Danke, Admiral Ino. Ich danke Ihnen und Ihren Untergebenen dafür, dass sie diese schwierige Mission erfüllen wollen.“
Sein Blick glitt über die Anwesenden und blieb an mir hängen. „Ihnen allen.
Ich werde Ihnen nun etwas über mein Heimatsystem erzählen.
Zuerst einmal ein paar allgemeine Daten. Unsere Sonne heißt Kanto. Kanto ist eine gelbe Normsonne des G2-Spektraltyps. Wir schätzen ihr Alter auf vier Milliarden Jahre.
Das Kanto-System umfasst dreizehn Planeten und hundertsiebenundachtzig Monde. Plus Minus drei Dutzend, weil sich unsere Astronomen in über dreihundert Jahren interplanetarer Vermessung nicht einig wurden, was als Mond und was als kosmisches Trümmerstück gilt.
Relevant für uns sind siebzehn Monde sowie die Planeten vier bis neun.
Die inneren drei Planeten, Lokasa, Lovenk und Lote sind unbewohnbare Gluthöllen, die viel zu nahe an Kanto liegen. Lokasa und Lovenk entsprechen von der Größe her Ihrem Merkur. Lovenk hätte Leben tragen können, ist aber ebenso wie Ihre Venus von einer Hochdruckatmosphäre umgeben, die eine Besiedlung unmöglich macht.
Lorania, unsere Heimatwelt ist Planet Nummer vier. Auf ihr leben achthundert Millionen Anelph. Die Aufteilung von Land zu Wasser entspricht in etwa zwanzig zu achtzig. Die Achsneigung ist unter drei Grad, Jahreszeiten entsprechend schwach ausgeprägt. Jomma und Dipur, die beiden Monde unserer Heimat, umlaufen Lorania auf exakt gegenüber gesetzten Punkten der gleichen Bahn. Es handelt sich um Einseitendreher. Sie bringen zusammen in etwa die gleiche Masse auf die Waage wir Ihr Mond Luna. Lorania selbst ist etwas kleiner als Ihre Erde, aber ein stärkerer Eisenkern sorgt dafür, dass die Gravitation in etwa einem Gravo, also Ihrer Norm entspricht.
Wichtig an dieser Welt ist vor allem eines. Sowohl in der Hauptstadt Demiral als auch über die ganze Welt sowie die Monde verteilt befinden sich neunzehn Garnisonen der Naguad sowie fünf Raumhäfen für ihre Besatzungsflotten. An diesem Punkt konzentriert sich die größte Militärmacht der Naguad im gesamten System.“

„Von welcher Größenordnung sprechen wir?“, warf ich ein.
„Nun, die anwesenden Streitkräfte der Naguad entsprechen in etwa der Kampfkraft von elf BAKESCH. Minus der drei, die wir für unsere Flucht gestohlen haben. Dazu kommen die Streitkräfte auf einundzwanzig weiteren Basen, die über das System verteilt sind und zusammen eine Schlagkraft von sechs weiteren BAKESCH aufbringen. Diese Zahlen sind alt, wir können also davon ausgehen, dass die Kampfkraft wieder aufgestockt oder ungünstigenfalls erhöht wurde.
Doch die Missionsparameter verlangen keine Schlacht mit diesen Truppen. Ganz davon abgesehen, dass ein erobertes Kanto-System nicht länger als maximal ein Jahr zu halten wäre.“
Ich nickte als Antwort. „Verstehe.“ Die Kampfkraft von siebzehn BAKESCH war eine harte Nuss. Selbst wenn sie sich auf Dutzende Schiffe aller Klassen aufteilte würde es nicht leichter werden.

„Auf Lovaria folgt Lovtose. Lovtose ist eine fast ebenso große Welt wie unser Heimatplanet. Wir haben vor fünfzig Jahren versucht, sie mit Orbitalspiegeln zu terraformen. Ursprünglich war sie eine Eiswelt. Nun ist sie eine Wasserwüste mit minimal ausgeprägten Jahreszeiten und etwa sieben Prozent Landmasse. Drei Millionen Anelph leben hier.
Lovtose verfügt über fünf Monde von unterschiedlicher Größe. Aber lediglich Bilod ist für uns interessant da er in etwa auf einen Durchmesser von zweitausend Kilometern kommt und eine Basis der Naguad beheimatet.
Der sechste, siebte und achte Planet sind Loccose, Lotorion und Lohoris. Alle drei Welten haben keine Atmosphäre. Auf Loccose versuchen wir eine aufzubauen, da die Eigengravitation von null Komma acht von terranischer Norm bei einem planetaren Durchmesser von zehntausend Kilometern eine Atmosphäre halten könnte. Doch ob uns ein Erfolg beschienen ist, wird sich erst in fünfzig Jahren heraus stellen. Bis dahin werden Loccose, Lotorion und Lohoris als Umschlagplätze für die Frachtraumer genutzt, welche in das Naguad-Imperium aufbrechen und von dort Waren bringen.
Alle drei Welten haben jeweils einen Mond. Sie spielen aber lediglich untergeordnete Rollen und sind zu klein.
Laccus, der neunte Planet wiederum spielt eine wichtigere Rolle. Denn auf dem dreitausend Kilometer durchmessenden, atmosphärelosen Eisball befindet sich das Regionalkommando der Naguad. Alleine dort konzentrieren sich Schiffe mit einer Kampfkraft von vier BAKESCH.
Livior, Letus und Lamada sind Gasriesen. Livior ist ein Gigant, der dreizehn Prozent mehr Masse als Ihr Jupiter hat. Ihn umgeben siebenundfünfzig Monde, von denen die größten drei, Garth, Gomarn und Gelder als Basis der Naguad genutzt werden.
Letus ist unwesentlich kleiner, besitzt aber nur neun Monde. Drei von ihnen werden noch in diesem Jahrhundert auf ihre Mutterwelt hinab stürzen. Letus gilt als Materiefresser, der schon viele Kometen angezogen und assimiliert hat. Selbst seine eigenen Monde fallen ihm zum Opfer.
Lamada wiederum ist knapp an der Untergrenze eines Methanriesen. Etwa halb so groß wie Ihr Jupiter, mit neun Ringen ausgestattet und fünfundzwanzig Monden. Ein Mond, Kapel, wird militärisch genutzt. Allerdings vom Anelph-Regime, welches unser System im Sinne der Naguad regiert.
Die letzten beiden Planeten sind Licavre und Lessette, eigentlich nichts weiter als dreitausendfünfhundert Kilometer beziehungsweise zweitausendachthundert Kilometer durchmessende Eisbälle, auf denen die Naguad Frühwarnsysteme und Ortungsstationen unterhalten. Fragen hierzu?“

Makoto hob eine Hand. „Ich nehme an, Letus´ Monde werden nicht militärisch oder zivil genutzt, da das Mondsystem als instabil gilt.“
„Das ist richtig, Colonel Ino. Es macht wenig Sinn eine Basis aufzubauen, wenn sie in ein oder zwei Jahrzehnten samt Mond auf den Riesenplaneten stürzt. Es gibt keine nennenswerte Präsenz der Naguad in dieser Region des Systems. Tatsächlich haben wir Letus und seine Monde als Aufmarschgebiet genutzt, bevor wir das System als geschlossener Verband verlassen haben.“

Schweigen folgte den Worten des Admirals. Ordonnanzen traten ein und servierten Kaffee und Tee.
Nachdem alle Teilnehmer der Konferenz ein Getränk ihrer Wahl erhalten hatten, fuhr der Admiral fort.
„Kommen wir zum nächsten Teil. Ich war in der Flotte der Anelph tatsächlich Admiral. Als junger Leutnant habe ich gegen die Invasion der Naguad gekämpft. Ja, wir wurden militärisch direkt unterworfen, nicht durch einen Core.
Nach unserer Niederlage etablierten die Naguad eine neue Regierung und unterstellten das Militär ihrem Kommando. Diese Regierung sorgt vor allem für die von den Naguad geforderten Steuerabgaben und die militärische Unterstützung.
Als Vasall des Imperiums sind wir Anelph verpflichtet, auf Anforderung der imperialen Marine Soldaten und Schiffe unter den Befehl der Naguad zu stellen und Polizeiaktionen im gesamten Gebiet des Imperiums durchzuführen.
Dass wir nicht gerade als Frontklasse-Truppen gelten und oftmals kaum besser verheizt werden, sollte Ihnen allen klar sein. Ich selbst war auf elf dieser Missionen und wenn es nicht gerade darum ging eine rebellische Welt zu zerbomben, dann standen wir auf verlorenem Posten, um Naguad-Schiffen die Flucht oder das heranführen von Verstärkungen zu ermöglichen. Dementsprechend groß waren unsere Verluste.
Das Regime tut was es kann um einerseits unser Volk nicht ausbluten zu lassen, andererseits das Imperium nicht zu verärgern. Aber letztendlich wird es nicht mehr lange dauern und wir Anelph werden ebenso in den Aufstand getrieben wie andere Nationen vor uns. Und wir werden genauso blutig unterworfen werden wie sie. Außer, wir würden selbst zu Naguad werden.“

Wieder sah mich der Admiral direkt an. „An diesem Punkt der Erkenntnis fassten einige Offiziere einen Plan. Die meisten von ihnen haben mich begleitet, aber einige Tapfere sind hoffentlich noch immer unentdeckt und warten auf den Tag ihrer Aktivierung innerhalb der Admiralität.
Der Plan war einfach. So viele Anelph wie möglich zu evakuieren und aus dem Imperium zu schaffen.
Uns war allen klar, dass dies nicht von heute auf morgen möglich war. Tatsächlich hat uns der lange Weg schon früh entmutigt und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob meine Leute nach der Pause auf dem Mars bereit gewesen wären, eine weitere Reise in Kauf zu nehmen.
Die Anelph, die mich begleitet haben, sind hauptsächlich Angehörige der Soldaten meiner Flotte. Aber es sind auch viele Freunde, Bekannte dabei, Freiwillige, die wir auf diese oder jene Art integrieren konnten. Wissenschaftler, Ingenieure. Nicht die Besten, aber sehr gute Leute. Alles, was uns mit nur einem Jahr Vorbereitung möglich war.
Der ursprüngliche Plan sah vor, einen Pendelverkehr zu etablieren, immer und immer mehr Anelph aus dem Gebiet des Imperiums zu retten. Aber mit unseren Mitteln ist dies nicht möglich. Zudem wissen wir nicht, wie es im Kanto-System aussieht. Eventuell hat unsere Flucht automatisch eine Strafexpedition ausgelöst…“
Erschrockenes Raunen ging durch den Saal. Strafexpedition. Was für ein schauriges Wort.

„Reden wir über das Regime und über das Imperium. Was haben wir zu erwarten?“, fragte Daisuke ernst. „Was sind die Beweggründe des Imperiums? Inwieweit wird uns das Regime der Anelph Hilfe oder Bedrohung sein?“
„Die Beweggründe des Imperiums sind einfach. Die Naguad sind eine Rasse von Humanoiden, welche durch eine Bevölkerungsexplosion und stagnierende Wirtschaft ins All ausgewichen ist. Durch Expansion auf neue Märkte und immer billigere Ressourcen haben sie sich weiter vermehrt und weiter ausgebreitet.
Ihre Mentalität ist etwas, was Ihr Menschen Kapitalismus nennt. Der Starke frisst den Schwachen. Die Finanzen sind heilig. Und ein Leben hat einen Preis, der ist allerdings verhandelbar.
Neben dem festen Tribut handeln die Naguad mit uns. Es ist ein sehr profitables Geschäft und hat zu einem Wohlstand geführt, der immens größer ist, als alles was wir bisher auf unserer Heimatwelt erlebt haben. Allerdings bescheiden in diesem Zusammenhang für imperiale Verhältnisse und nach kapitalistischem Prinzip nur für einige wenige, vor allem Mitglieder der Regierung.
Dennoch hat sich im Regime eine Widerstandsgruppe etabliert. Denn uns stehen nur zwei Wege in die Zukunft offen. Entweder wir gehen im Imperium der Naguad völlig auf, verbreiten die Gift und werden biologisch alle selbst Naguad und treiben als Naguad die Expansion des Imperiums voran, überfallen andere Systeme, zwingen sie unter unsere Kontrolle, missbrauchen ihre Absatzmärkte und kaufen billig Rohstoffe von ihnen.
Oder wir fliehen, bauen uns ein neues Leben auf, werden wieder Anelph.
Innerhalb des Regimes gab es fünf Minister, die für uns tätig waren oder zumindest einen Teil der Aktivitäten unserer Gruppe gedeckt haben.
Auch hier kann ich nicht sagen, wer noch im Amt ist oder überhaupt noch lebt.“

„Wir haben aber die Möglichkeit, sie zu kontaktieren?“, hakte Megumi nach.
„Sicher haben wir das. Ich werde Kapitän Ban Shee Ryon sämtliche entsprechenden Daten übergeben, über die wir verfügen.“
„Noch eine Frage, Admiral Ryon“, sagte ich und erhob mich. „Wie genau soll unsere Operation ablaufen? Warten bereits bemannte Schiffe auf uns, wenn wir in das Kanto-System einfliegen? Oder müssen wir zu den bewohnten Welten? Existieren die evakuierungswilligen Anelph bereits oder müssen wir erst Überzeugungsarbeit leisten?“
„Natürlich warten noch keine bemannten Schiffe auf uns“, erwiderte der Admiral mit einem Schmunzeln. „Da niemand weiß, wie lange wir brauchen würden, wäre es auch verrückt gewesen. Aber nein, wir werden hoffentlich nicht die bewohnten Welten direkt anfliegen müssen. Es sollte möglich sein, aus dem gravitatorischen Feld von Letus heraus alle nötigen Aktionen in Angriff zu nehmen.
Und ja, vor fünf Jahren gab es mehr als genügend evakuierungswillige Anelph. Ich weiß nicht wie es heute aussieht. Leider nicht.“

„Weiter. Wie nähern wir uns an?“
„Nun, Colonel Otomo, wir springen erst einmal von System zu System. Anschließend verstecken wir uns im Orbit um Letus und schicken Scouts aus. Da es einen regen Handel mit dem Imperium gibt, sollten wir einigermaßen unbehelligt Lorania erreichen, um unsere Verbindungsleute zu kontaktieren und die weitere Flucht zu koordinieren. Entschuldigen Sie, Sie natürlich. Langsam bereue ich es, dass ich hier bei meinem Volk bleiben muß und Sie nicht begleiten werde.“
„Wir werden wahrscheinlich bis zum Hals in Ärger landen“, kommentierte ich.
„Deshalb ja“, erwiderte der Admiral schmunzelnd.
Die Anwesenden lachten leise.
„Besprechen wir einige Details“, nahm Kei den Faden wieder auf. „Sie haben doch sicherlich Leistungsparameter von Mechas, Schiffen und Infanterieeinheiten sowohl der Anelph als auch der Naguad für uns, oder, Admiral?“
Zwei der Anelph-Begleiter erhoben sich, gingen von Teilnehmer zu Teilnehmer und luden neue Dokumente in die individuellen Datapads. „Hier sind sie schon.“
„Gut. Reden wir darüber“, sagte ich ernst.

3.
„Es ist nicht unmöglich. Es ist nicht unmöglich. Es ist nicht unmöglich.“
„Akira, was ist los? Hast du plötzlich einen Schaden gekriegt, oder was?“, fragte Kei erstaunt.
„Würde dich das wundern? Du hast die Daten doch auf deinem Pad.“ Ich starrte auf meine ausgebreiteten Hände und sah dann den Freund wieder an. „Verdammt, Kei, wir haben eine gute Chance, diesen Einsatz zu überleben. Verdammt. Wir haben sogar eine gute Chance, unser Ziel zu erreichen. Aber wir haben mindestens eine ebenso gute Chance, hierbei zu sterben oder noch schlimmer, die Naguad direkt zur Erde zu führen.“
„Dann wäre es das Sinnigste, Zuhause zu bleiben, die Türen geschlossen zu halten und alles zu vernichten, was in diesem System auftaucht und nach Naguad riecht – ohne Warnung und so schnell wie möglich, richtig?“
„Richtig, Kei“, erwiderte ich ernst.
„Warum machen wir es dann nicht auch?“
„Du bist ein verdammter Arsch“, warf ich ihm vor, während der kleinere Mann mich frech angrinste. „Weil ich ein verdammter unternehmungslustiger Idiot bin und ich die feste Meinung habe, dass die Anelph, die wir dem Imperium aus den Klauen reißen wollen es wert sind.“
„Und das glaubst nicht nur du, Großer“, sagte Kei und tätschelte mir gönnerhaft die Schulter.

Wir setzten uns zusammen in Bewegung und verließen den Besprechungsraum. Die meisten Teilnehmer hatten sich schon verstreut oder standen draußen im Gang und unterhielten sich.
Die Stimmung war durchweg positiv. Man freute sich auf die Herausforderung.
Verdammt. Wie schnell konnte das alles in einem Blutbad versinken?
„Ich kann deine Gedanken lesen“, sagte der Kapitän der SUNDER leise. „Du denkst gerade daran, dass wir in ein riesiges Fiasko fliegen könnten, oder?“
„Du etwa nicht?“, konterte ich.
„Natürlich“, bemerkte er ernst. „Ich wäre ein Idiot, wenn ich das nicht in Betracht ziehen würde. Und genau deswegen können wir verhindern, dass es geschieht. Wir werden unsere Leute schleifen, bis sie umfallen. Aber wenn sie wieder aufwachen, dann beherrschen sie ihren Job im Schlaf. Und nur darauf kommt es an.
Nur wenn wir die Leute so gut kriegen, dass sie nicht an eigenen Fehlern krepieren, ist unser Gewissen nicht mehr so schwer wie die ganze AURORA…“
Ich spürte, wie meine Augen feucht zu schimmern begannen. „Kei…“
„Ich bin nicht durch die Hölle des Mars-Feldzuges mit dir gegangen, ohne etwas zu lernen.“
Ich betrachtete seine Abzeichen, bevor ich schniefte und mir mit dem Uniformärmel über die Augen wischte. „Sieht man, Kei, sieht man.“
Der Freund begann zu lachen und ich fiel ein. „Also mach ruhig weiter bei deinen Hekatoncheiren und schleif sie, bis sie dir auflauern, um dich zu verprügeln. Wenn sie erst merken das sie dank deines harten Drills überleben, werden sie dir mehr als dankbar sein.“
Ergriffen sah ich den Freund an. Aber was hatte ich anderes erwartet? Wer einen ZULU ZULU kommandierte, war kein Kind mehr.
„Aber eines stört mich doch. Sag mal, alleine gegen alle Hekatoncheiren anzutreten, kann es sein, dass du zum Angeber mutierst?“, tadelte er mich.
„Äh… Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt als Sieger hervor zu gehen.“
„Ausreden, Ausreden“, kommentierte Kei und ging wieder voran.

Wir kamen schnell zur nächsten Bahnhaltestelle. „So, ich fahre zu meinem Appartement in Süd zwei vier. Wo ist deines?“, fragte der junge Mann wie beiläufig.
„Ich habe mein Appartement heute aufgegeben. Ich ziehe nach Fushida. Man hat mir eine Wohnung zugeteilt. Ich bin schon sehr gespannt auf sie“, erzählte ich. „Hab sie bisher noch nicht gesehen.“
„Eine Wohnung in der Stadt?“
„Ja, recht zentral gelegen, habe ich mir sagen lassen. Ich mag es gerne etwas lauter.“ Ich deutete auf die Haltestelle entgegen der Südrichtung. „Willst du mit?“
„Ein Blick kann ja nichts schaden. Zieht Megumi auch ein?“
„Sie“, sagte ich ernst, „hat eine eigene Wohnung. Frag mich nicht warum, denn wir werden die meiste Zeit sowieso in bei mir sein, wenn wir nicht gerade unsere Leute drillen oder im Einsatz sind. Aber es ist ihre Entscheidung. Und ich respektiere sie.“
„Du bist mir einer“, sagte Kei, und ich fühlte mich für einen Moment gläsern. Durchschaubar. Mein alter Freund wusste viel zu gut, wie es wirklich in mir aussah.

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Wir bestiegen die Bahn und fuhren Richtung Fushida. Unsere Magnetschwebebahn fuhr auf einer Schiene, die sie über Serenity führte, das künstliche Meer. Die Route hatte auch eine Haltestelle an Poseidon, unserem HQ, das sich majestätisch inmitten der Fluten erhob. Bei Sonnenuntergang ein toller Anblick. Vor allem, wenn man am Strand lag und auf die Wellen hinaus sah. Die holographische Technik, die für den Himmel verwendet worden war, war einfach gigantisch.
„Was ist eigentlich mit Takashi Mizuhara?“, fragte Kei beiläufig. „Ich habe gehört, er hatte sich nach dem Feldzug aus der UEMF zurückgezogen?“
„Komisch. Er leitet eines meiner Bataillone. Wenn er sich zurückgezogen hat, habe ich davon nichts mitbekommen. Seine Leistungen sind sehr gut.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wenn er sich zurückgezogen hat, dann sicher nur, um seinen Abschluss zu machen.“
„Da habe ich was anderes gehört, Akira“, brummte Kei leise. „Ich glaube, er hatte ein ernstes Problem damit, dass er sich damals freiwillig gemeldet hat, um mit seiner Sparrow-Kompanie die eroberte Werft zu schützen. Machte sich viele Vorwürfe, dass er nicht mit uns in der dicken Suppe gesteckt hat.“
„Das habe ich gar nicht gemerkt“, erwiderte ich leise. „Verdammt, ich habe es nicht gemerkt.“
„Ist nicht deine Schuld. Von unseren Freunden ist er nicht gerade einer der Engsten“, entschuldigte Kei mich.
Ich rieb mir meinen Nacken, der plötzlich schmerzen wollte. „Zu eng hätte ich was zu sagen. Sein Doppelnelson ist echt die Hölle.
Also, was ist mit ihm? Warum ist er zurückgekommen? Komm schon, du hast doch sicher was gehört. Will er es diesmal besser machen?“
„Nein. Sein großer Bruder kommandiert eines der Begleitschiffe. Das war wohl der Grund für seine Rückkehr.“
„Takashi hat einen Bruder?“ Nachdenklich kratzte ich mir die Stirn. „Und ich dachte mittlerweile, ich wäre der einzige Mensch mit Geschwistern auf diesem Planeten. Von Makoto und Sakura mal abgesehen.“
Kei lachte leise. „Sarah hat auch Geschwister. Vier oder fünf, wenn ich mich nicht irre. Gut, ich und Yoshi haben keine und Megumi auch nicht. Aber Hina hat noch einen kleinen Bruder. Und Akane… Bei Akane weiß ich das gar nicht.“
Ich grinste Kei an. „Bist gut informiert.“
„Hey, wenn du ein so dickes Schiff wie die SUNDER kommandierst, musst du ein Gespür für den neuesten Tratsch und die Familienverhältnisse haben, sonst gehst du schnell auf Grundeis. Wer sich nicht für seine Leute interessiert, hat bei ihnen keinen Rückhalt.“
„Ich hasse es, wenn du Recht hast“, warf ich ihm vor.
Kei grinste mich nur an.

Wir hielten in der Poseidon-Station. Mehrere Dutzend Menschen und Anelph in Uniform stiegen zu.
„Du solltest wirklich aufhören, dir die Haare weiß zu färben“, beschwerte sich Kei bei mir. „Die starren dich alle an.“
„Nicht alle“, erwiderte ich amüsiert. „Nur die Hälfte. Die andere Hälfte sieht verkrampft weg.“
Kei grinste. „Lass die Farbe raus wachsen und das Auge von Kitsune-chan oder Okame-tono heilen, hm? Als Chef der Hekatoncheiren brauchst du beide Augen. Keine Zeit für Eitelkeiten.“
„Eigentlich hast du ja Recht.“
„Und warum machst du es dann nicht?“
„Weil ich ein Idiot bin?“
„Guter Einwand“, schmunzelte Kei. „Ist das deine Ausrede für alles?“
„Ich fliege auf diesem Felsbrocken in eine Mission mit ungewissem Ausgang. Reicht das als Antwort?“
„Touché.“

Die Bahn fuhr weiter und sauste nur knapp über die Oberfläche von Serenity hinweg. Das griechische Wort für Heiterkeit, ich fand es für das Farbenfeuerwerk unter uns sehr passend.
Die Meeresbiologen hatten sehr gute Arbeit geleistet, um in dem salzigen Wasser eine ausgewogene Population zu etablieren. Sogar an künstliche Riffe hatten sie gedacht.
Kurz ging ein Schauer über meinen Rücken als ich daran dachte, dass mit den Meerestieren, die gewollt angesiedelt worden waren, auch das eine oder andere Exemplar dabei sein konnte, dass man eigentlich nicht hatte haben wollen. Feuerquallen oder Haie zum Beispiel.
„Volleyball“, murmelte ich leise.
„Volleyball?“, argwöhnte Kei. „Ist das ein Spezialtraining oder eine Mission, die ich noch nicht kenne?“
Ich schüttelte den Kopf. „Kein Codewort. Ich meine das Spiel.“ Mit der Rechten deutete ich auf den näher kommenden Strand. Eine Gruppe junger Leute spielte dort gerade.
„Ach, richtiges Volleyball“, murmelte Kei und nickte verstehend. „Habe ich lange nicht mehr gespielt. Sollte ich unbedingt noch mal nachholen.“
„Ja, vielleicht sollten wir mal wieder alle an den Strand fahren, was? Mit der ganzen Bande“, erwiderte ich nachdenklich.
„Ach komm. Du willst die Mädchen ja nur im Badeanzug sehen“, warf der Freund mir grinsend vor.
„Wer die wohl im Badeanzug sehen will“, konterte ich grinsend. „Ich sehe dich schon deine Fotoausrüstung aufbauen. Verkaufst du eigentlich immer noch nebenbei deine Fotos?“
„Für wen hältst du mich?“, sagte Kei leise. „Ich bin Kapitän der SUNDER. Ich habe keine Zeit dafür, aufwändig Fotos von Hand zu Hand zu verkaufen.“
„Oh.“
„Dafür habe ich eine Website.“
Kei lachte mich aus, als mir das Kinn herab sackte. Und wenn ich ehrlich war, dann hatte ich es auch verdient. „Du bist ein mieser kleiner…“, begann ich.
„Soll ich dir meine Zugangsdaten geben? Ich habe da ein paar sehr tolle Serien von Megumi auf der Page“, unterbrach er mich wie beiläufig.
„Und ich dachte, du wirst endlich erwachsen“, murmelte ich und schüttelte den Kopf. „Klar, schreib es mir auf, ich sehe sie mir an. Von Megumi kann ich nie genug kriegen.“
„Wer von uns beiden wohl endlich erwachsen werden sollte“, tadelte Kei und erhob sich mit mir, als die Haltestelle meine Station erreichte. „Aber schön zu wissen, dass sich manche Dinge nicht ändern.“

Ich grinste schief, während wir in einem Pulk an Menschen die Bahn verließen.
Uns offenbarte sich ein Stadtteil mit geduckten, selten größer als dreistöckigen Gebäuden, deren Untergeschosse mit kleinen Läden, Kneipen und dergleichen ausgestattet waren. Dazwischen und dahinter duckten sich immer wieder weitere kleine Gebäude, Bungalows und andere Wohnhäuser.
„Keine Wolkenkratzer?“, wunderte sich Kei. „Du bevorzugst eher Kleinstadtatmosphäre, was?“
Ich zog einen Zettel aus meiner Uniform hervor und las ihn aufmerksam. „Keine Ahnung. Eikichi hat sich um die Wohnung gekümmert. Ich brauche eigentlich nur noch einziehen. Und meine Sachen sollten auch schon bereit stehen.“
„Deine Sachen? Auch deine Manga-Sammlung? Ich meine, du hast sie doch mitgenommen, oder?“, argwöhnte der Freund.
„Was denkst du denn von mir? Natürlich habe ich meine Sammlung mitgenommen. Willst du dich wieder durch mein Regal arbeiten?“, fragte ich grinsend.
„Klar.“

Nebeneinander gingen wir die Straße hinab. Sie war nach einem der Soldaten benannt worden, der auf dem Mars gestorben war. Eine Mahnung an mich, dass ich niemals alle hatte beschützen können und dies auch nie schaffen konnte. „Die Kenneth Young-Allee runter zur Sandra Antani-Straße“, murmelte ich leise. „Dreihundert Meter auf der rechten Seite. So steht es hier zumindest.“
„Das sollte doch zu finden sein“, meinte Kei. „Sag mal, Akira, hast du schon das von Mamoru gehört? Ich meine, schlimm genug, dass er mit Akane auseinander ist, aber er hat doch tatsächlich…“
„Ich weiß. Ich habe Gina schon kennen gelernt“, unterbrach ich seinen Redefluss.
„Okay, aber meinst du nicht, dass das noch mächtig Ärger geben wird? Ich meine, Akane wird das nicht so hinnehmen. Das gibt bestimmt Stutenbeißen.“
Ich begann leise zu lachen. „Was du für Wörter kennst, es ist unglaublich. Meinst du wirklich, es wird so schlimm? Ich meine, die zwei, sie… Nun, sie haben sich gefunden, als der Krieg seinen Höhepunkt erreicht hat. Sie waren in permanenter Lebensgefahr und kosteten das Leben aus, soweit sie es konnten. Nach dem Krieg aber fanden sie heraus, dass sie nicht zusammen passten. Und in dieser Ernüchterung haben sie sich getrennt. Ich meine, mit Hina und Doitsu war es doch genauso. Und Sakura-chan und Thomas, ein Traumpaar waren die beiden eigentlich nie, aber das es so schnell mit ihnen aus sein würde… Vielleicht hat der Rangunterschied auch ne Rolle gespielt. Manche Männer haben Komplexe, etwas mit einer Frau anzufangen, die ihnen in irgendeiner Form überlegen ist.“
„Also, ich fand, dass Doitsu und Hina gut zusammen gepasst haben. Ich meine, ihre spritzige Art tat ihm gut und er hatte einen regulierenden Einfluss auf sie. Die beiden haben zusammen wirklich aufgelebt. Bei Thomas und Sakura kann ich das eher verstehen. Irgendwie haben sie halt nicht die richtige Chemie gehabt“, merkte Kei an.
„Apropos. Wie ist es denn bei dir so gelaufen?“, fragte ich beiläufig.
„Hm? Bei mir? Ach so. Nein, hat sich nichts ergeben.“
Ich blieb stehen und starrte den kleinen Computerexperten und jetzigen Kommandeur der SUNDER an. „Was? Aber ich dachte, du… Ich dachte, die kleine Shirai hätte ein Auge auf dich geworfen. Oder war es Eri-chan?“
Keis Wangen röteten sich leicht. „E-es ist nicht so einfach. Ich meine, du kannst vielleicht mit der linken Hand die Schule schaffen, und mit Rechts steuerst du deinen Mecha, während du gleichzeitig die UEMF verwaltest und deine Traumfrau eroberst.
Aber ich musste mir alles hart erarbeiten.
Ich meine, Akira. Als du schon vier Jahre dazu gehört hast, als du schon lange ein Profi warst, da war ich noch ein besseres Kind. Ich musste mir meinen Respekt erst erkämpfen. Ich musste vieles von Grund auf neu erlernen. Die Computersysteme an Bord der GRAF SPEE sind ein völlig anderes Kaliber als die PCs, die ich Zuhause habe.
Dann die taktische Ausbildung, die Bordstruktur, der ewige Drill und die viele Verantwortung. Wann sollte ich mir da nebenbei noch eine Freundin zulegen?“
„Heißt das etwa, du…“
„Heißt was?“, erwiderte er wütend.
„Hattest du die ganzen letzten zwei Jahre keine Freundin?“
„Nein, hatte ich nicht. Denn während du dich irgendwo verkrochen hast, um von deinen Komplexen runter zu kommen, da habe ich die Akademie absolviert. In der einen Stunde selbst die Schulbank gedrückt, in der nächsten unterrichtet. Akira, ich bin erst zwanzig. Ich weiß nicht wie du das alles geschafft hast, aber ich hatte nicht den Hauch von Freizeit.
Aber wie du an meinem Kommando sehen kannst, hat es sich gelohnt.“
„Also heißt es das“, murmelte ich leise.
„Was heißt was?“, erwiderte er lauter.
„Schon gut, Kei. Ich wollte nicht den Finger in die Wunde legen.“ Ich wollte weiter gehen, doch der Freund hielt mich fest.
„Nun sag schon. Heißt was?“
„Du bist noch… Du weißt schon.“
„Nein, weiß ich nicht. Rede mal Klartext, ja?“, blaffte er wütend.
„Wenn du keine Freundin hattest, dann hattest du sicher auch noch keinen…“, sagte ich leise.
„Sex?“, argwöhnte Kei.
Ich nickte.
„Und? Hast du ein Problem damit?“
„Dann ist es wahr?“
„Mann, als wenn das so eine große Sache wäre. Ich hatte einfach keine Zeit dafür. Außerdem hatte ich auch nicht gerade deine Auswahl. Wie viele Frauen wollten was von dir? Und ich rede hier nur von den Offensichtlichen Fällen.“
„Kei, ich…“, begann ich leise.
„Nein, ist schon gut. Ist ja nicht so, als würde ich weiterhin in Askese leben wollen. Aber ich muß ja nun auch nicht gerade die Axt im Wald spielen, oder? Außerdem habe ich wirklich nicht viel Freizeit, solange ich den BAKESCH kommandiere.“

Schweigend setzte er sich wieder in Bewegung und ebenso schweigend holte ich zu ihm auf.
„Tut mir leid“, sagte ich schließlich.
„Ist schon in Ordnung. Kannst ja nichts dafür. Und es ist auch kein Beinbruch. Wenn ich die Gelegenheit habe, dann habe ich sie halt.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Ami wollte was von mir?“
„Kann sein. Gesagt hat sie es nicht, aber…“
„Und wenn schon“, meinte Kei und winkte ab. „Dann sicher nur, weil sie sauer war, dass sich Yoshi für deine Schwester entschieden hat. Ich bin nicht gerne Zweite Wahl, du verstehst?“
„Sie ist aber ein nettes Mädchen“, murmelte ich nachdenklich. „Okay, sie kann deine Wirbelsäule in fünf Sekunden in Trümmer verwandeln. Aber gib doch zu, seit sie die braunen Zöpfe gegen diesen niedlichen Kurzhaarschnitt getauscht hat…“
„Hast du nicht noch was mit zwölf Attentätern zu tun, die in die Körper von ahnungslosen Bewohnern von AURORA implantiert sind und nur darauf warten, dich töten zu können?“
„Nun reagier mal nicht so empfindlich“, erwiderte ich und hob abwehrend die Arme. „Muss ja nicht sofort sein. Ich kann sie ja mal mit den anderen Slayern zum Karaoke einladen. Du kommst dann zufällig mit und…“
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass verkuppeln nicht deine Stärke ist?“, schmunzelte Kei.
Ich blieb wieder stehen und senkte die Arme. Langsam atmete ich aus. „Alles was ich will ist doch, dass meine Freunde glücklich sind. Ist das ein solches Verbrechen?“
Unschlüssig sah Kei mich an. „Na gut!“, rief er schließlich und warf verzweifelt die Arme in die Luft, „probieren können wir es ja mal. Kann auch nicht schlimmer sein, wenn es schief geht, als drei direkte Treffer backbord zu kassieren.“
„Ich glaube, er mag sie auch“, schmunzelte ich und holte den Freund wieder ein.
**
„Das ist es?“, fragte Kei ungläubig.
Ich versuchte zu antworten, aber irgendwie wollten meine Stimmbänder nicht. Ich öffnete und schloss den Mund wie ein Karpfen auf dem Trockenen.
„Scheiße, ist das groß. Weißt du, wie viele Hochhäuser man auf diese Fläche hätte setzen können?“, tadelte Kei ernst.
Wieder öffnete ich den Mund, aber noch immer versagte meine Stimme mir den Dienst.
Was da vor mir stand, eingezäunt, zweistöckig und um einiges größer als unser altes Haus in Tokio, sollte meine neue Wohnung sein? Wie viele Quadratmeter hatte dieses Ding? Tausend? Irritiert trat ich an das schwere Metalltor und inspizierte die Klingel. Kein Zweifel, mein Name stand dort. Ich drückte meine Hand an das kühle Metall und der Sicherheitscomputer des Hauses identifizierte meinen Handabdruck, entriegelte die Tür und ließ mich mit Kei ein.
Was ich auf der anderen Seite sah, verschlug mir den Atem. Der Garten war in etwa genauso groß wie Zuhause, und er war ebenso aufgebaut. Beinahe hätte ich geglaubt, diese Wahnsinnigen von der UEMF hätten ihn in Tokio ausgegraben und hierher transferiert. Es war alles da. Sogar Yoshis Zielpfähle für sein Bogentraining.

Ich trat mit Kei an das Haus heran. Zweistöckig, vom Stil her einem alten japanischem Schloss nachempfunden. Hieß das etwa wieder Papierwände?
Die Tür öffnete sich widerstandslos. Im Vorraum zog ich meine Schuhe aus und tauschte sie gegen bereitliegende Latschen. Auch Kei schlüpfte in die bequemeren Schuhe.
„Dann bin ich wohl Zuhause“, murmelte ich.
„Willkommen Zuhause, O-nii-chan“, erklang es fröhlich neben mir.
Ich erschrak dermaßen, dass ich zusammen zuckte und gegen die Wand hinter mir kippte.
Neben mir hockte plötzlich Akari in einem traditionellen Kimono und lächelte zu mir hoch.
„W-wo kommst du denn plötzlich her?“, rief ich entsetzt.
„Aus deinem Zimmer, Akira-chan. Ich räume gerade deine Sammlung in die Regale.“ Akari zog eine enttäuschte Schnute. „Ich dachte, die Besprechung würde länger dauern. Dann wäre ich mit einräumen fertig gewesen, bis Ihr kommt. Essen habe ich auch schon aufgesetzt, um unseren Einzug zu feiern.“
Sie verbeugte sich leicht vor Kei.
„Kei-kun, ich habe mir erlaubt, deine Sachen in dein altes Zimmer zu schaffen. Ich hoffe, das war in deinem Sinne.“
Entsetzt wechselte er einen Blick mit mir. „M-meine Sachen? Altes Zimmer?“
„Es ist natürlich nicht das alte Zimmer. Hier in diesem Haus ist alles ein klein wenig größer, und viele Räume sind im Obergeschoss“, informierte sie uns. „Dafür ist das Bad um einiges größer. Und wir haben ein Außenbad, ganz wie O-nii-chan es sich gewünscht hat.“
„Habe ich das?“, warf ich verlegen ein und erinnerte mich daran, etwas derartiges Mal gesagt oder gehört zu haben.
„Dennoch dachte ich mir, dass du gerne wieder das Zimmer direkt neben dem Bad haben willst, Kei-kun. Du kannst natürlich lieber in den Ersten Stock ziehen, dort gibt es ein eigenes, aber kleineres Bad.“
„D-darf ich denn?“, stammelte er entsetzt.
„Was? In den Ersten Stock ziehen?“, fragte ich.
„Nein. Hier einziehen, meine ich.“
Ich lachte laut. „Natürlich darfst du das, Kei. Eigentlich freut es mich, dass Akari so gut mitgedacht hat. So völlig alleine in dem großen Haus wäre ich bestimmt verrückt geworden.“

„Oh, du bist schon da, Akira. Willkommen daheim. Akari, soll ich dir beim kochen helfen? Hm, Kei, willkommen Zuhause. Habt Ihr Doitsu nicht gleich mitgebracht?“
„Yohko?“, rief ich überrascht.
„Richtig geraten“, erwiderte meine kleine Schwester und streckte die Zungenspitze zum linken Mundwinkel ein Stück heraus. „Wir sind schon eine Woche hier und bereiten alles vor. Wenn die anderen kommen, dann…“
„Welche anderen?“
„Na, welche anderen wohl?“, ließ sich Yoshi vernehmen, der gerade aus einem Raum kam, in dem ich das Wohnzimmer vermutete. „Megumi, natürlich. Und Sakura. Vergessen wir nicht Mako-chan, hm? Das Haus ist so groß, willst du wirklich, dass die Räume leer stehen?“
„Äh“, machte ich.
„Ich weiß nicht, ob Joan nun auch einziehen wird, das ergibt sich dann wohl irgendwann. Wie es mit Daisuke und Sarah ist, weiß ich auch nicht. Hina, Ami und Eri… Keine Ahnung. Aber dieses Haus hat nicht ohne Grund etwas mehr Platz.“ Yoshi zwinkerte mir und Kei zu. „Ihr wollt doch sicher erst einmal eure Zimmer sehen, oder?“
Ich fühlte mich an der Hand ergriffen. Akari lächelte mich an und zog mich hinter sich her. „Komm, O-nii-chan, vor dem Essen müssen wir noch einiges einräumen.“
Ergeben seufzend fügte ich mich in mein Schicksal.
„Bin wieder da“, erklang es hinter mir. Während Akari mich in meinen Raum zerrte, erhaschte ich noch einen Blick auf eine genervt wirkende Sakura mit dem obligatorischen Handy am Ohr und Yohko, die ihrerseits Kei drangsalierte, um ihn ins Haus zu schleppen.
„Hey, Sakura“, rief ich. „Willkommen Zuhause.“
Die angespannte Miene fiel von ihr ab. Sie lächelte. Nicht irgendein Lächeln, sondern eines von dem Kaliber, mit dem sie schon die ganze alte Klasse um den kleinen Finger gewickelt hatte. „Ja. Zuhause.“
In diesem Moment war ich froh, dass ich dieses Haus nicht alleine bewohnen würde. Ohne die Familie wäre es ja auch langweilig geworden.

4.
Es war früher Abend, als Hina Yamada das kleine Lokal betrat. Hier wurde Eis verkauft. In der immer mindestens zwanzig Grad warmen künstlichen Atmosphäre der AURORA ein lohnendes Geschäft. Sie fragte sich für einen Moment, ob es eine gute Idee war, hier zu investieren. Gegen gute Renditen hatte sie noch nie etwas gehabt. Und Eisverkauf in immer angenehm temperierter Umgebung erschien ihr ein sehr sicheres Geschäft zu sein.
„Jo.“ Doitsu Ataka hatte sie bemerkt und winkte knapp zu ihr herüber.
Hina verneigte sich höflich in seine Richtung und kam langsam näher.
„Schön, dass du es geschafft hast“, sagte Doitsu, und schob die Brille in seiner unnachahmlich coolen Art die Nase wieder hoch. Dabei löste er wie so oft diesen schimmernden Reflex aus.
Hina unterdrückte ein Seufzen und nahm Platz.

Doitsu ließ ihr Zeit. Sie bestellte einen Eiskaffee und ein paar gemischte Kugeln. Nachdem die Bestellung serviert worden war, sah sie ihren ehemaligen Freund auffordernd an.
Der nickte schwer. „Du wunderst dich sicher, warum ich dich hergebeten habe, Hina.“
Die blonde junge Frau, die als Blue Slayer die anderen fünf Slayer anführte, stellte sich dumm. Vielleicht half es, den kommenden Schaden in Grenzen zu halten. „Nein, keine Ahnung.“
„Nun“, begann Doitsu ernst, „es geht um KI.“
„KI?“, rief sie überrascht.
Doitsu lächelte dünn und sah ihr in die Augen. „Es ist nicht wenigen aufgefallen, dass die Slayer Akiras Affinität zum KI genutzt haben, um besonders mächtige Schläge auszuführen. Seitdem frage ich mich, ob dies an Akira liegt… Oder ob ich das auch kann. Immerhin beherrsche ich das KI nicht viel schlechter als Akira. Außerdem ist Yoshi noch um einiges besser als wir beide. Und dann ist da immer noch Futabe-sensei, der mich seit einigen Wochen zusammen mit anderen viel versprechenden Kandidaten in der Kontrolle des KI unterweist.“
„Das ist es also? Du willst wissen, wie man die Waffe, welche die Slayer bilden, besser nutzen kann?“ In Hinas Stimme klang ein bitterer Unterton mit.

„Das war ein Grund. Ja. Aber eigentlich habe ich ihn nur vorgeschoben, damit du dich setzt und nicht sofort wieder verschwindest, Hina.“ Doitsu senkte den Blick. „Ich will dich zurück.“
Erschrocken keuchte Hina Yamada auf. „Doitsu…“, hauchte sie erschrocken.
„Du hast mir gesagt, du willst eine Pause für uns beide, zum nachdenken, zum reflektieren.
Ich weiß, wir sind beide noch jung, aber ich bin mir sicher… Ich weiß, dass wir zusammen gehören. Das ist die Antwort, die ich gefunden habe.“
„Ich…“, hauchte sie und spürte, wie ihr die ersten Tränen zu fließen drohten, „ich…“
Abrupt sprang sie auf, wollte das Lokal verlassen. Dieser Idiot! Verstand er nicht, was er ihr da gerade antat?
Eine Hand schlang sich um ihre Hüfte und zog sie zurück.
Sie landete auf Doitsus Schoß, der sie auf seine unnachahmliche Art anlächelte. „Ich denke, ich verdiene zumindest eine Antwort, Hina-chan“, flüsterte er ihr zu.
Sie hörte seine Stimme, roch seinen Atem, fühlte die Tonlage und die Sicherheit, die dahinter lag, aber dennoch…
„Ich kann nicht mehr deine Freundin sein!“, rief sie, sprang von seinem Schoß und lief aus dem Lokal.

Draußen auf der Straße wandte sie sich in eine beliebige Richtung, fort, einfach nur fort von der Enttäuschung, die sie sich selbst bereitete.
„HINA!“, erklang es hinter ihr. Im Laufen zahlte Doitsu den Wirt aus und holte dennoch zu ihr auf.
„BLEIB WEG!“, rief sie, konzentrierte sich auf ihre Slayer-Kräfte und verwandelte sich in Blue Slayer. Nach der Verwandlung nutzte sie ihre neue Energie, um auf ein Hausdach zu springen und von dort auf das nächste zu wechseln.
„HINA! WARTE!“, erklang es wieder hinter ihr.
Sie wandte sich um und sah, dass Doitsu am ganzen Körper von einer hell strahlenden Aura umgeben war. Verdammt, sein KI. Sie hatte sein KI vergessen. Es ermöglichte ihm, genauso schnell und weit zu springen wie sie selbst.
„Folge mir doch nicht“, flehte sie verzweifelt. „Mach es mir doch nicht noch schwerer!“
„Nun hör mich doch wenigstens an“, rief er ihr nach.
„Ich habe dich doch nur als zweite Wahl genommen“, rief sie zurück. „Ich war enttäuscht von Akira-san, vor allem als ich merkte, dass ich ihn nicht wirklich so liebte…
Du warst einfach der erste Mensch, der mir damals in den Sinn kam. Ich kann dich doch nicht immer als Ersatz für Akira leben lassen!“ Wütend, verzweifelt und verängstigt stieß sie sich vom nächsten Dach ab und flog durch die Luft, fort von Doitsu.

Dann spürte sie, wie zwei starke Arme um ihre Hüfte glitten, sie fest hielten, ihren Flug stoppten. Erschrocken wandte sie sich um, erkannte Doitsu, wie er sie umschlang und an sich riss. „Hina“, hauchte er und drückte sanft ihren Kopf an seine Schulter. „Es ist mir egal, was vor uns war. Es ist mir egal, warum wir zusammen gefunden haben. Ich weiß nur, das dies die beste Zeit meines Lebens war.
Ich… Ich bin in einen Yakuza-Clan geboren worden und dachte, ich würde nie ein anderes Leben führen. Erst Akira zeigte mir, dass man nicht nur um etwas kämpfen, sondern es auch gewinnen konnte. Ich habe mein Leben verändert. Ich habe mich verändert. Du bist Teil dieser Veränderung, der wichtigste Teil. Ich gebe dich nicht auf. Ich will es nicht und ich tue es nicht. Nur wenn du mir jetzt und hier sagst, dass ich wirklich nur ein Ersatz, ein Spielzeug an Akiras Stelle für dich war.“
„Autsch“, sagte Hina leise.
Erschrocken ließ der junge Mann etwas lockerer. „Habe ich zu fest gedrückt?“
„Nein“, tadelte sie ihn sanft, „du hast nur gerade wieder mein Herz gebrochen…“
Sie sah ihm lange und tief in die Augen. Er erwiderte den Blick. „Hina…“
„Doitsu…“
„Ähemm!“, erklang es neben ihnen, gerade als sie sich küssten.

Erschrocken fuhren sie herum und erkannten… „Yoshi?“
„Genau der“, sagte der und musterte sie streng.
„Du kannst auch fliegen?“, rief Doitsu überrascht.
„Wieso fliegen?“, fragte der irritiert.
„Na, weil du bei uns hier oben bist“, antwortete Hina.
Yoshi sah die beiden an, dann begann er laut zu lachen. „Hier oben? Leute, Ihr schwebt gerade direkt über dem Dach von Akiras neuer Hütte. Ich bin nur aufs Dach geklettert, weil ihr zwei hier langsam vom Himmel runter fallt. Wenn Ihr so weiter macht, landet Ihr nämlich im Außenbad.“
Erschrocken sahen sich die zwei um und erkannten, dass sie tatsächlich an Yoshi vorbei sackten. Der wirklich auf den Dach eines Gebäudes stand.
Sie tauschten einen entsetzten Blick und fielen in die Tiefe.
„Und ich warne euch auch noch!“, rief Yoshi ihnen ärgerlich nach.
Kurz darauf tauchten sie beide in warmes Wasser ein.
Hina kam hoch, schnappte nach Luft und japste: „Mist, mist, mist, mist!“
Doitsu sah sie an und lachte aus vollem Hals. „Man sollte eigentlich meinen, dass Blue Slayer bessere Flüche kennt als Mist. Immerhin hat sie mit Marines gekämpft.“
„Man macht sich eben meistens das zu eigen, was man mag“, protestierte Hina ärgerlich und wollte rausklettern, doch Doitsu hielt sie fest. Langsam zog er sie wieder zu sich heran.
„Wo waren wir?“, fragte er lächelnd.
„Du wolltest mir deine ewige Liebe schwören und mich küssen“, hauchte sie.
„Ach, die Stelle“, erwiderte er und gab ihr einen langen Kuss.

Auf dem Dach setzte Yoshi gerade eine Sonnenbrille auf und sah hinab auf das Becken. „Junge, Junge, wenn sie die beiden immer küssen, wenn Hina Blue Slayer ist und Doitsu seine KI-Aura auf Maximum hat, dann kriegen wir aber bald Ärger mit den Nachbarn. Bei der Lichtexplosion…“

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30.03.2005 00:19 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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5.
Als ich meinen Blick über die Anwesenden streifen ließ, sah ich in vielen Gesichtern noch immer den Ärger über die verlorene Übung von neulich. Doch in anderen sah ich Anstrengung, den unbedingten Willen, sich zu beweisen.
Einige zeigten Angst. Angst, genauso ausgemustert zu werden wie drei ihrer Kameraden, die ich schnell und schmerzlos aus der Aufstellung entfernt hatte.

„Hekatoncheiren“, sagte ich ernst und sofort kehrte Ruhe ein. Der Besprechungsraum, ein großer Vorlesungssaal, fasste sie, und wichtige Offiziere der begleitenden Dienste. Unter ihnen auch einige Schiffskapitäne.
„Heute will ich etwas über das neueste Projekt theorisieren, welches die Erde uns zur Verfügung stellt. Jeder von Ihnen hat den Long Range Area Observer, kurz LRAO gesehen, seine technischen Daten vermittelt bekommen und die Crews aller fünf Maschinen kennen gelernt. Ziel und Zweck dieser Einheiten sind auch jedem klar. Auf lange Strecken Daten mit Hilfe passiver und aktiver Sensoren sammeln, auswerten und gegebenenfalls unsere Kampfeinheiten koordinieren.
Nun, damit sie dieser Aufgabe auch gerecht werden, hat Luna Mecha Research dieses Projekt ins Leben gerufen: Den Booster.“
Aufgeregtes Raunen klang mir entgegen. Der Booster. Wir hatten hundert von ihnen an Bord, und jeder einzelne wurde besser bewacht als die Goldreserven im legendären Fort Knox.
Ich wartete, bis sich das Gemurmel wieder gelegt hatte. Diese Informationsrunde diente nicht nur dazu, die Hekatoncheiren mit der neuen Technologie zu konfrontieren. Letztendlich diente sie mir als weiteres Auswahlverfahren, um weitere ungeeignete Soldaten nach Hause schicken zu können. Es war nicht so, dass ich dies wollte. Aber ich würde es tun, wenn ich weitere sture, lernunwillige, von sich vollkommen überzeugte Piloten herausfilterte wie die letzten drei.

Hinter mir erwachte die Projektionsfläche zum Leben. Ich deutete ohne hinzusehen nach hinten. „Dies ist der LMR Protectorantrieb XS null neun, liebevoll Booster genannt.“
Leises Gelächter erklang, wurde schnell lauter.
Ich warf selbst einen Blick nach hinten und musste grinsen. „Okay, das ist nicht der Booster. Colonel Ino, macht es Ihnen etwas aus, das Musikvideo von Miss Reilley abzustellen und gegen den Protectorantrieb auszutauschen?“
„Natürlich, Colonel Otomo“, erwiderte Makoto und zwinkerte mir zu.
Er hatte das absichtlich gemacht. So ein Kerl.
„Nicht, dass Miss Reilley kein schöner Anblick ist“, setzte ich meine Rede fort und erntete amüsiertes Gelächter, „aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“
Hm, war das sein Plan gewesen? Mich einmal von einer menschlicheren Seite zu zeigen? Provozieren und beweisen, dass ich kein überspannter Choleriker war?
Oder hatte er mich einfach nur ein wenig triezen wollen? Wie dem auch sei, ich hatte genügend Zimt mit, um ihm bis zum letzten Tag unserer Heimreise den Kaffee zu vermiesen.
„Der Protectorantrieb“, begann ich erneut, „besteht aus zwei Komponenten. Einmal dem eigentlichen Booster und zum zweiten aus einem Schutzfeldprojektor.“
Aufgeregtes Raunen antwortete mir. Bisher hatte nichts, was kleiner als ein Großraumshuttle war, einen eigenen Schirm erhalten können, weil die Kraftwerke und die Projektoren einfach zu groß, zu klobig waren. Und dort gab es auch nur eine abgespeckte Version, gerade stark genug, um den Eintritt in eine Atmosphäre zu kompensieren.
Das nun ausgerechnet in dem Booster ein Schirmfeldprojektor stecken sollte, verschlug vielen die Sprache.

„Die Entwicklung und die Zeit stehen nicht still“, begann ich meinen eigentlichen Vortrag. „Es gibt immer wieder innovative Ideen, Neuheiten, Geniales, was das Alte über den Haufen wirft.
Der Booster ist ein solches Gerät.
Unsere bisherigen Operationen erfolgten bisher auf eng begrenztem Raum, im Orbit eines Planeten oder in der Beengtheit auf seiner Oberfläche.
Nun aber fliegen wir durch unbekannte Systeme, durch die Leere des stellaren Raums.
Der UEMF wurde schnell klar, dass die Geschwindigkeiten unserer Mechas hier an ihre Grenzen stoßen.
Um der Flotte voraus zu eilen, den Weg für sie zu erkunden, die Flanken oder den rückwärtigen Bereich zu decken, sind sie zu langsam.
Dies führte zu dem Gedanken, das erfolgreiche Modell der amerikanischen AWACS zu wiederholen, ein fliegendes Radarauge ins Spiel zu bringen. Dies ist Bruder Auge.
Um aber den Anforderungen, die wir an ihn stellen, gerecht zu werden und den Korvetten, die zudem über begrenzte Tarnfähigkeiten verfügen überlegen zu sein, mussten wir den Epsilon erheblich schneller machen und seine Reichweite drastisch erhöhen. Natürlich ist Ihnen allen klar, dass der Booster diese Lösung ist. Eine gute Lösung, denn sie befähigt einen Epsilon oder einen Hawk, zwanzig Prozent schneller zu beschleunigen als eine FOXTROTT.“

Diesmal war das Stimmgewirr lauter und dauerte länger an. Ich hob die Arme, um die Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen. „Bisheriges Problem bei diesen Geschwindigkeiten waren Mikrotrümmer. Die wenigsten, die bereits einen Mecha im Weltall geflogen haben, erlebten den Umstand noch nicht, von Mikrotrümmern getroffen zu werden. Einige dieser Objekte durchschlugen einen Mecha glatt, andere rissen Gliedmaßen ab. In den meisten Fällen hielt die Panzerung. Glücklicherweise.
Deshalb hat sich schnell eine moderate Gefechtsgeschwindigkeit etabliert, bei denen die Gefahr von letalen Schäden durch Mikrotrümmer relativ gering ist – was natürlich nicht davor schützt, wenn ein paar Moleküle mit halber Lichtgeschwindigkeit die eigene Bahn kreuzen.“
Hier und da erklang Gelächter, doch die Hekatoncheiren hörten konzentriert zu.
„Ein großes Problem war die Größe von Projektor und Kraftwerk. Beides zusammen wäre größer gewesen als ein Eagle.
Nun, wir mussten viele Kompromisse eingehen, um auf das kompakte Design zu kommen. Einer ist, dass die Booster keine eigene Energieversorgung haben. Sie tragen Akkupacks, die den Projektor in erster Linie versorgen.
Ich sehe schon, die vielen Arme, die sich nach oben recken. Ihre Frage ist doch bestimmt: Wie lange kann die Ladung der Akkus anhalten, wenn ein Schirm versorgt werden muß?
Das kann ich Ihnen beantworten: Bei Dauerbetrieb keine halbe Stunde.
Ja, ich ahne schon die nächste Frage: Wie soll man in einer halben Stunde selbst bei der zugegeben starken Beschleunigung von Bruder Auge eine akzeptable Entfernung erreichen, bevor einem der Saft ausgeht?
Auch das ist simpel erklärt, obwohl wir Monate dafür gebraucht haben, diese Lösung zu finden.
Nebenbei führte diese Lösung zur besten Aktivortung, die jemals von Menschen, Anelph oder Kronosiern entwickelt worden ist: Der Booster hat eine Künstliche Intelligenz und eine eigene Ortung. Die erfasst während einem beschleunigten Flug permanent die direkte Umgebung und sucht nach kosmischen Trümmern bis hinunter in den molekularen Bereich, der uns solche Sorgen macht. Der Radius dieser Suche beträgt bei Minimalgeschwindigkeit einen Kilometer. Bei Maximalbeschleunigung jedoch zwanzig Kilometer. Wenn man selbst sehr schnell ist, kommen die gefährlichen Sachen umso schneller näher.
Im Klartext: Der Schirm aktiviert sich nur, wenn er benötigt wird.
Durch die einmalige Ortung haben wir in Feldtests und im Labor eine Erfolgsrate von neunundneunzig Prozent erreicht. Die Fehlerquote ergibt sich übrigens nicht dadurch, dass sich der Schirm zu spät aufgebaut hat. Nein, die Mikrometeoriten waren einfach zu massereich.“

Wieder wurde geraunt, diesmal aber erschrocken.
„Das sollte uns immer daran erinnern, dass kein System absolute Sicherheit verspricht.
Übrigens, verabschieden Sie sich schon mal von der Idee, einen solchen Schirm im Gefecht nutzen zu können, denn ein weiteres Attribut des Boosters ist der fragmentale Schirm. Sprich, er baut sich in voller Stärke nur in dem Sektor auf, in dem der Einschlag errechnet wird. Dies spart zusätzlich Energie.
Im Gefecht unter Dauerbelastung schützt er tatsächlich, verbraucht sich aber überdurchschnittlich schnell. Die halbe Stunde können Sie also durch die permanenten Einschläge und den erhöhten Verbrauch aufgrund der Kompensierung vergessen.

Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die Booster auch an Hawks, Eagles und Sparrows angesetzt werden können.
Wozu hätten wir sonst einhundert an Bord der AURORA?
Wir werden jedem Auge im Einsatz eine gemischte Kompanie als Schutz zuteilen. Darüber hinaus existieren bereits Szenarien für Langstreckenkampfeinsätze. Freuen Sie sich auf eine aufregende Zeit, solange wir im Sonnensystem sind. Jeder von Ihnen wird mindestens einen Langstreckeneinsatz hinter sich bringen, bevor wir springen.
Ziel sind die Planetoiden und der Jupiter.“
Ich ließ meine Worte wirken. „Genauer gesagt werden wir die Fähigkeiten der Booster einem letzten Feldtest unterziehen. Nebenbei schicken wir zum ersten Mal in unsere Geschichte Menschen zum Jupiter. Eine Gruppe Piloten wird die Ehre haben, die ersten Menschen auf dem Mond Io zu sein.
Die Teilnehmer dieses Ferneinsatzes bestimme ich anhand der Leistungen in den nächsten Tagen. Geben Sie also Ihr Bestes, um in die Geschichtsbücher einzugehen.“

Ich nickte Makoto zu.
„ACHTUNG!“, gellte sein Ruf durch die Halle. Die Piloten sprangen auf und nahmen Haltung an.
Er löste mich am Rednerpult ab. „Vor einer Stunde habe ich diesen Direktbefehl von Executive Commander Eikichi Otomo erhalten. Ich verlese ihn nun.
An die Hekatoncheiren-Division, Unterstützende Dienste und Personal des Bruder Auge-Projekts. Mit sofortiger Wirkung erhält die Division drei Banner, die fortan bei Ehrungen, Feierlichkeiten und Paraden vor der Truppe geführt werden sollen. Die Motive der Banner sind zu Ehren der Tapferen und Gefallenen der Hekatoncheiren beider Marsfeldzüge sowie des Abwehrkampfes zwischen Erde und Mond gewählt worden und ich wünsche, dass die Truppe die Fahnen in Ehren hält.
Die Kompanie Briareos erhält das Rote Banner. Fortan ziert eine stilisierte Darstellung des Mechas Lady Death dieses Banner, um die Leistungen von Colonel Megumi Uno über die Erwartungen und weit über das Menschenmögliche zu würdigen.
Die Kompanie Kottos erhält das gelbe Banner. Fortan wird der Hawk-Mecha Thunderstrike in stilisierter Form diese Fahne zieren, in Anbetracht der Pein und der Leistung, die Lieutenant Colonel Yohko Otomo ertragen und erbracht hat.
Die Kompanie Gyes erhält das blaue Banner. Der modifizierte Eagle-Mecha Zeus wird ab sofort diese Flagge ausstatten in Anerkennung und im Respekt für die Leistungen von Colonel Makoto Ino.
Hekatoncheiren, achtet auf eure Fahnen und achtet eure Geschichte. Respektiert eure Vorgänger und erinnert euch immer daran, dass sechs Milliarden Menschen auf euch vertrauen.
Zu guter letzt befehle ich hiermit, dass Colonel Akira Otomo das Kommando über die Hekatoncheiren übernimmt.
Akira Otomo wird dafür der Rang eines Division Commander verliehen.
Im Namen einer dankbaren Menschheit, Eikichi Otomo, Executive Commander.“
Makoto verstummte und sah in die Runde.
„Colonel Ino, Colonel Honda, Colonel Otomo, bitte treten Sie vor.“

Die angesprochenen Offiziere verließen ihre Sitzplätze und kamen vor die Reihen.
Makoto trat zu ihnen und händigte jedem ein Bündel Stoff auf. „Dies sind die neuen Fahnen Ihrer Einheiten. Ehren Sie diese und achten Sie gut darauf.“
Nach der eher schmucklosen Zeremonie nickte er mir zu.
„Hekatoncheiren, weggetreten.“
Sofort bildeten sich kleine Pulks um die drei Regimentskommandeure. Diese breiteten die Fahnen aus und präsentierten sie den anderen.
Ich schmunzelte bei diesem Anblick. Vielleicht musste ich doch keinen Piloten mehr aus der derzeitigen Aufstellung entfernen.
Makoto trat leise neben mich.
„Und? Wann willst du meine Beförderung inszenieren?“, fragte ich ihn.
Mein Cousin grinste. „Sobald mehr Applaus als Pfiffe von deiner Division kommen, Akira.“
Ich lachte leise. Ein wahres Wort.
**
„Auf ein Wort, Colonel.“
Ich blieb stehen und wandte mich langsam um. Schade. Fünf Minuten später hätte ich den Laufgang verlassen und wäre in meine Bahn nach Hause eingestiegen. Ich sah zurück und erkannte ein Gesicht, dass ich eigentlich hier nicht mehr erwartet hatte. „Lieutenant Winters.“
Der Pilot hatte ehemals in der Kottos gedient. Ich hatte ihn aus der Aufstellung gezogen, weil er für persönliche Erfolge die Leben seiner Kameraden gefährdete. Dies war sogar soweit gegangen, dass er während des Trainings fast einen tödlichen Unfall verursacht hätte. Nur leider hatte der Bastard im Anschluss weder Reue noch Verständnis gezeigt. Grund genug für mich, ihn zu feuern.
„Sir. Ich wollte Sie bitten, Ihre Entscheidung zu überdenken. Es… gibt da gewisse Faktoren, die Sie nicht berücksichtigt haben.“
In diesem Moment wünschte ich mir den rauen Griff meines Katanas herbei. Einfach umfassen, griffbereit haben. Ich atmete heftig aus. „Meine Entscheidung ist endgültig, Lieutenant. Sie sind kein Teamspieler. Deshalb kann ich Sie nicht im größten Team belassen, welches die Menschheit jemals aufgestellt hat.“
Der Mann war fünfzehn Meter von mir entfernt, am Kreuzpunkt zu einem Quergang. Irritiert fragte ich mich einen Moment, warum er nicht näher kam.
Das es hier keinen Publikumsverkehr gab, kam mitten in der Schicht schon mal öfters vor und war nicht weiter verwunderlich. Nur bedeutete das, dass wir beide keine Zeugen hatten. Das beunruhigte mich etwas.

Die Hände des Offiziers bebten. Er starrte zu Boden. „Wissen Sie nicht, wer ich bin? Wissen Sie nicht, dass mein Vater Senator in Washington ist?“
„Wissen Sie, wie scheißegal mir das ist? Ich führe diese Einheit in die größte Gefahr, der wir Menschen jemals begegnet sind. Ich weiß nicht, was uns erwartet. Aber ich weiß, dass ich mir nicht eine Sekunde vorwerfen will, dass Menschen sterben, weil ich nachlässig oder weich war. Sie zu behalten wäre nachlässig, Lieutenant. Es gibt für Sie kein Zurück mehr.“
Die Hände meines Gegenübers beruhigten sich. „So ist das also“, hauchte er leise. Übergangslos zierte ein schmales Lächeln seine Lippen.
Für einen Moment musste ich schmunzeln. Ich ahnte, was nun kam. Kurz checkte ich meine Optionen.
Der Gang zur Bahn führte hinter mir noch weitere zwanzig Meter durch das massive Gestein der AURORA-Außenwand. Eine lange Strecke, wenn man floh.
Aber ich hatte nicht vor zu fliehen.

Während Lieutenant Winters seine Dienstwaffe zog, konzentrierte ich mich darauf, KI zu produzieren. Es gelang mir bereits mit nebensächlichen Gedanken, so gut war ich mittlerweile in dieser Disziplin geworden. Ein KI-Schild über Brust und Kopf würde eine Kugel oder sogar mehrere abfangen. Teufel, mein Schild war vor fast zwei Jahren beinahe genug gewesen, um eine Herkules-Klinge abzuwehren.
„So ruinieren Sie also den Rest Ihrer kläglichen Karriere“, stellte ich fest, während der Mann seine Waffe auf mich richtete.
Die Augen des Mannes fixierten meinen Blick und ich erkannte meinen Fehler. Es waren nicht mehr die Augen dieses Hitzkopfs. Sie blickten klarer, entschlossener, fanatischer. Ich hatte es mit einem Schläfer zu tun. Ein Schläfer in einem Mann. Das bedeutete für meinen Wunsch, die Fahndung nach den Schläfern auf die Frauen beschränken zu können, das Aus.
„Im Gegenteil, sie beginnt erst. Wenn ich den Mörder von Legat Taylor ausgeschaltet habe, steht mir jeder Platz in der Hierarchie des Schattenstaats offen.“
Ich spannte mich an. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich konnte einfach nicht glauben, dass der Attentäter so naiv war zu glauben, ich wäre mit einer Kugel oder zwei auszuschalten. Er musste noch einen Trumpf in der Hinterhand halten. Einen tödlichen Trumpf.

Als über mir infernalischer Krach erklang, hinter und vor mir ebenso, wurde ich bleich. Die Decke! Die verdammte Decke wurde gesprengt! Das bedeutete, dass nun gut fünfzig bis sechzig Tonnen Gestein auf mich niederfuhren! Und zu allem Überfluss drückte der Bastard ab und jagte mir eine Kugel entgegen.
Die Zeit verlangsamte sich für mich, meine Reflexe griffen. Ich rannte auf den Attentäter zu, weil die Strecke zu ihm kürzer war als zum Ausgang.
Ich wich unmerklich nach rechts aus, um der Kugel zu entgehen, da schoss der Halunke schon eine zweite ab, genau in meine neue Laufrichtung.
Vor mir sah ich die Decke sich absenken. Ich würde es nicht schaffen, nicht auf diese Weise. Konnte ich aber einen solchen Einsturz überleben? Würde mich vielleicht das KI von Dai-Kuzo-sama erneut retten?
Für einen Moment spürte ich Angst, blanke Angst. Diese Angst beflügelte mich zusätzlich, aber es würde dennoch nicht reichen. Als ich dies erkannte, wurde ich ruhiger. Noch immer war die Zeit für mich verlangsamt und ich konnte deutlich sehen, wie mein Gegner im Triumph zu grinsen begann.
Wenn ich aber schon sterben musste, wollte ich ihm nicht die Genugtuung gönnen, mich verzweifelt sterben zu sehen. Ich würde kämpfen bis zum Schluss. Und ich würde überleben, irgendwie. Irgendwie…

Plötzlich huschte ein Schemen heran, traf Winters und warf ihn zu Boden. Dann huschte der Schemen zu mir, ich spürte den festen Griff einer Hand, die mich an etwas Weiches, Warmes presste. Die andere Hand richtete sich in den Gang hinaus und entließ einen Blast aus reiner KI-Energie, der durch das herabfallende Gestein einen Tunnel trieb. Durch diesen Tunnel huschten wir nun in Sicherheit, während weiteres Gestein ihn hinter uns wieder verschloss.
Vor dem Gang beschleunigte meine Zeit wieder auf die Norm. Ich keuchte auf, sackte in den Knien ein. Übergangslos war mir zumute als müsste ich mich gleich übergeben.
„Verdammt“, krächzte ich. „Ich dachte schon, das war es für mich.“
„Akira, Akira. Das man aber auch immer auf dich aufpassen muß“, hörte ich eine amüsierte Stimme sagen.
Ich sah auf und erkannte… Ja, wer hatte mich da gerettet? Kitsune-chan? Blue Slayer? Green oder eine der anderen? Vielleicht Futabe-sensei?
Mein Blick glitt ein Paar hübscher Frauenbeine empor, erreichte einen gelb gehaltenen Rock, folgte einer Slayer-Uniform und erreichte die ersten hellblauen Haarspitzen, die sich als langer, weiter Vorhang auf dem Rücken der jungen Frau vor mir ausbreiteten.
Ich sah meiner Retterin ins Gesicht und verfluchte diesen Schutz, der verhinderte, dass man das Gesicht einer verwandelten Slayer wieder erkannte.
„Yellow Slayer?“, fragte ich überrascht.
Mein Gegenüber sah mich missmutig an. „Normalerweise sagt man danke, Akira.“
„Danke“, murmelte ich überrascht. Sieben Slayer? Woher kam der siebte Slayer? Und warum ging Yellow so familiär mit mir um?
„Na also, geht doch.“ Sie lächelte mich an und ging neben mir in die Hocke. „Geht es?“
Ich starrte sie an. „Wer bist du, Yellow?“
Ihr Lächeln wurde breiter, burschikoser. Sie klopfte mir kräftig auf den Rücken. „Aber, aber, Akira. Denkst du nicht, es könnte von Vorteil sein, mich, ah, quasi als Aß in der Hinterhand zu haben? Ich meine, ich war ja schon für den Agenten im armen Dominik Winters eine Überraschung. Das können wir doch sicher noch ausbauen, oder?“
„Vielleicht hast du Recht“, erwiderte ich nachdenklich. „Außerdem finde ich es sowieso bald raus.“
Ein amüsierter Blick strich über mich hinweg. „Versuche es ruhig, Akira. Das wird Spaß machen.“
Sie erhob sich wieder und winkte mir zu. „Auf bald.“
Ihre Konturen wurden unsichtbar, dann war sie fort.

Ich erhob mich nun ebenfalls. Alarmsirenen gellten, ich hörte die ersten Menschen in meine Richtung stürmen. „Mir das Leben zu retten war ein guter Einstand, Yellow“, murmelte ich leise. „Und eine Warnung an mich, dass ich nicht unsterblich bin. Und noch lange nicht gut genug.“
„Kluge Worte, Akira“, erklang es vor mir. Yellow Youma Slayer entstand wieder direkt vor mir.
„Nanu?“, fragte ich und zog die Augenbrauen hoch.
„Hab was vergessen“, hauchte sie, nahm mein Gesicht in beide Hände und gab mir einen intensiven Kuss.
Ich versuchte zu protestieren, da unterbrach sie diese innige Geste jedoch, zwinkerte mir noch einmal zu und verschwand erneut.
„Was haben die Mädchen nur immer mit meinen Küssen?“, raunte ich ärgerlich und verzweifelt. Hoffentlich fand Megumi das nicht raus, Frauen neigten bei solchen Dingen dazu, etwas irrational zu reagieren.

„Akira-sama!“, erklang eine aufgeregte Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum und erkannte Yamagata, gefolgt von meiner Cousine und Makoto.
„Akira-sama, geht es dir gut?“, fragte Yamagata und sah abwechselnd von mir zu dem eingestürzten Gang und wieder zurück.
Ich hob abwehrend die Hände. „Alles in Ordnung, alles in Ordnung, Ai-chan. Ich hatte einen Schutzengel.“
„Einen Schutzengel?“, raunte Makoto.
„Ja, einen Schutzengel“, erwiderte ich. „Einen gelben.“
„O-nii-chan, alles in Ordnung?“, erklang hinter mir Yohkos Stimme. Sie kam aus der anderen Richtung herbei gerannt, hinter ihr Doitsu und die junge Italienerin, Gina-chan, die Freundin von Mamoru.
„Eins, zwei, drei, vier“, murmelte ich leise. Vier Frauen kamen nun in Frage, Yellow Slayer zu sein. Wenn ich die Klischees bediente und mal nicht davon ausging, dass der siebte Slayer eine Unbekannte war.
Kurz streifte ich mit meinem Blick Makoto und erinnerte mich daran, wie niedlich er im Rock aussah. Ich hatte keine Ahnung, ob Dai-Kuzo auch einen Mann zum Slayer machen konnte. Aber in einem Anflug von Witz setzte ich ihn als Nummer fünf auf die Liste.
Doch wenn er es war, dann würden wir zwei uns sehr lange über den Kuss unterhalten müssen.
Das gleiche galt dann natürlich auch für Yohko. Besonders für Yohko.

Hinter mir zerbrach eine große Felsplatte, die bisher den Gang versperrt hatte. Yoshi trat daraus hervor, hinter ihm folgten die Slayer, Megumi und Joan Reilley, die bei der Besprechung als Unterstützungstruppen dabei gewesen waren. „Alles in Ordnung, Akira?“
„Meine Knie sind weich, aber ansonsten geht es“, erwiderte ich. Yohko erreichte mich und musterte mich intensiv. „Äußerlich bist du unversehrt. Ein Glück.“
Übergangslos umarmte sie mich.
„Hey, Hey“, beschwerte ich mich scherzhaft. „Dein Freund sieht zu.“
„Ich darf ja wohl noch meinen großen Bruder umarmen, wenn er gerade einem Attentat entronnen ist, oder?“
„Attentat?“, fragte ich ernst. Woher hatte sie das so schnell erfahren?
„Na, wir haben es euch nicht erzählt, aber da war dieser besessene Mann, der Megumi attackiert hat und sie darüber informierte, dass zwölf Menschen an Bord der AURORA…“
Entsetzt starrte ich Megumi an. Dann Yoshi, der nicht weniger erschrocken war.
Ich wirbelte herum zu Sakura, die entschuldigend die Arme hob. „Ja, ja, ich weiß. Aber wir haben nichts gesagt, weil wir gehofft haben, dass die Agenten nur Männer übernommen haben. Deshalb haben wir euch Kerle außen vor gelassen.“
„Ich glaube, wir Kerle müssen euch was dazu sagen“, hauchte ich ernst.

Epilog:
Doitsu Ataka betrat das Spielecenter in mäßigem Tempo. Er hatte es nicht eilig. Nichts, was hier geschehen würde konnte Einfluss auf sein Leben nehmen. Einzig und allein sein verbliebener Respekt vor seiner Gruppe hatte ihn überhaupt dazu gebracht, die Einladung anzunehmen.
Ein älterer Mann, der hier den Boden wischte, verbeugte sich vor ihm eifrig und geleitete ihn zur Tür zu den Mitarbeiterräumen.
Dort ging es durch einen langen Gang zu einem Gebäude im Hinterhof.
Das kleine Haus war im traditionellen japanischen Stil gehalten. Es war sogar ein Garten mit Teich angelegt. Doitsu glaubte, Koi-Karpfen erkennen zu können, war sich aber nicht sicher.
Der alte Mann hockte sich neben die Papiertür und öffnete sie für Doitsu.
Der nickte dankbar, zog die Schuhe aus und trat ein.

Ihn erwartete ein langer Tisch und zwanzig Tatamis, traditionelle Sitzmatten. Diese waren um den Tisch verteilt. Und das Wichtigste, sie waren besetzt. Alle bis auf drei. Zwei waren gleichberechtigt am Stirnende platziert, die dritte nahm eine exponierte Position an der Rechten ein. Seine Matte war dem Tisch am nahesten, gut drei Zentimeter mehr als die beiden anderen leeren Matten. Dass diese für ihn gedacht war, daran zweifelte er keine Sekunde.
Er setzte sich und verbeugte sich respektvoll vor den leeren Matten. Vor den anderen Anwesenden verbeugte er sich hingegen nur leicht, denn die Position seines Sitzplatzes machte nur zu deutlich, dass er in der Hackordnung ganz oben stand.
In diesem Moment betrat ein schwarz gekleideter Mann mit schwarzer Netzmaske den Raum.
Doitsu verstand. Dieser Mann würde stellvertretend für die beiden sprechen, die auf diesen Matten hätten sitzen müssen. Es würde so sein, als sprächen sie selbst zu ihm. Und es würde ebenso bindend sein.

Der Mann hockte sich neben die Matten und sah zu Doitsu herüber.
„Ataka Doitsu-sama“, begann er leise, „wir danken dir dafür, dass du unsere Einladung angenommen hast.“
„Ich bedanke mich für die Einladung“, erwiderte Doitsu und verneigte sich wieder in Richtung der beiden Matten.
„Der Oyabun“, begann der Schwarzgekleidete erneut zu sprechen, „hat einen wichtigen Auftrag für dich.“
Langsam aber nachdrücklich schüttelte der junge Mann den Kopf. „Ich bin nicht länger Teil der Familie. Außerdem verbietet es der Respekt vor Otomo-sama, meine Arbeit als Pilot zu vernachlässigen.“
„Du hast keine Möglichkeit, dich zu verweigern. Dies sind die Worte von Executive Commander Otomo Eikichi-sama.“
Erschrocken starrte Doitsu auf die beiden Matten. Eine von ihnen sollte Onkel Eikichi gehören? Die andere war für seinen Oyabun gedacht, den Herrn seiner Yakuza-Gruppe. Aber den Executive Commander symbolisch hier zu wissen war ein Schock für ihn.
„Ataka Doitsu-sama. Dies sind die Worte des Oyabun. Die AURORA wird sich mit vielen Menschen füllen. Die Auswahlkriterien sind streng, aber an jedem Ort, an dem Menschen zusammen kommen, wird es über kurz oder lang zu Dingen kommen, die Gewalt beinhalten. Erpressung, Mord, Prostitution, illegales Glücksspiel und was der Dinge mehr sind.
Die AURORA hat eine eigene Polizei, aber dies wird nicht ausreichen.“
Wieder neigte Doitsu respektvoll das Haupt. „Was wird meine Aufgabe sein?“
„Dies sind die Worte von Otomo Eikichi-sama. Vom Rand aus kann ein Beobachter nicht erkennen, was unter der Oberfläche eines Teiches geschieht. Die Wasseroberfläche verzerrt, verschleiert und spiegelt. Ataka Doitsu-sama, du sollst unter der Wasseroberfläche sein und auf das Treiben unter dir achten. Du sollst…“
„Ich soll wieder ein Yakuza werden? Ich soll eine eigene Gruppe gründen und den ganzen Scheiß hier auf der AURORA im Namen meines Clans leiten?“ Wütend sprang Doitsu auf.
„Dieser Teil meines Lebens liegt weit hinter mir. Viel zu weit!“

„Niemand verlangt von dir, Verbrechen zu begehen“, erklang eine sanfte Frauenstimme hinter ihm. Zwei Hände senkten sich auf seine Schultern und drückten ihn wieder auf die Matte.
Danach setzte sich die Besitzerin der Stimme neben ihm auf den Boden.
„Sakura-chan“, hauchte Doitsu erschrocken.
„Alles, was du tun sollst, ist mit diesen Männern hier darauf zu achten, dass sich keine kriminellen Vereinigungen bilden. Ihr seid Yakuza. Wenn jemand eine solche Gruppe erkennen kann, wenn jemand sie notfalls auch außerhalb des Gesetzes bekämpfen kann, dann Ihr. Dann du, Doitsu. Denn du hast mein Vertrauen, das von Eikichi und das von Akira.“
„Was, wenn ich durch solche Gruppen gezwungen bin, die Prostitution zu kontrollieren? Schutzgelderpressungen abzuwehren? Zu töten?“, hauchte er mit gesenktem Kopf.
„Ataka Doitsu-sama hat freie Hand. Diese siebzehn Kobun, die dir mitgegeben werden, führen jeden deiner Befehle buchstabengetreu aus. Nimm das Amt des Oyabuns der AURORA an, zum Schutz der Menschen an Bord, und zum Segen der Mission.
Einer Mission, für die alle Opfer bringen müssen. Dies sind die Worte von Otomo Eikichi-sama.“
Zögernd nur verneigte sich Doitsu vor den beiden leeren Matten. „Ich… habe verstanden.“
Damit hatte er zugestimmt der erste Anführer der hiesigen Yakuza zu werden.
Doch es war ein anderer Gedanke, der ihn viel mehr beschäftigte. Hina. Er hatte sie nicht angelogen. Aber dieses Amt zu übernehmen war beinahe genauso gut. Dieser Auftrag konnte sein Leben zerstören.

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Seit ich mich erinnern kann, so könnte ich diese Geschichte beginnen. Aber dann müsste ich dreimal anfangen. Denn es gab drei einschneidende Erlebnisse in meinem Leben, nach denen ich wieder von null anfangen musste.

Anime Evolution: Erweitert präsentiert: Yohko/Lonne/Lilian-Special

Meine erste früheste Erinnerung ist an ein Fest. An ein typisches japanisches Straßenfest.
Ich durfte das erste Mal alleine laufen und starrte mit glänzenden Augen auf die vielen Lichter und die Menschen in den bunten Yukatas.
Und dann merkte ich plötzlich, dass ich meine Eltern verloren hatte. Mom und Vater waren irgendwie im Gewühl verschwunden, während ich noch auf den Bottich mit den Goldfischen gestarrt hatte.
Ich weiß noch, ich wollte gerade anfangen zu weinen, da ergriff jemand meine Hand und zog mich mit. Ich sah auf und erkannte… Akira.
„Nun bleib in unserer Nähe“, tadelte er mich. „Sonst gehst du wirklich noch verloren.“
Mein großer Bruder hatte auf mich aufgepasst.
Und dies sollte nicht das einzige Mal gewesen sein.

Ich erinnere mich auch noch sehr gut an den ersten Tag, an dem die Kronosier offen die Erde angriffen. Tokio war eines ihrer ersten Ziele gewesen, neben Los Angeles und Berlin.
Aber die angreifenden Daishi Alpha und Beta hatten die Luftwaffen vollkommen unterschätzt. Das Verlustverhältnis war grauenhaft, auf einen abgeschossenen Daishi kamen drei konventionelle Jäger, die Fregatten der Kronosier wüteten und bombardierten Militärstützpunkte und alles, einfach alles schien in Trümmer niederzugehen.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass Mom wenige Wochen zuvor in einem Verkehrsunfall starb. Als wäre dies ein böses Omen gewesen, als hätte ihr Tod das Verderben eingeläutet, kamen die Kronosier über uns.
Doch wir, ich meine die Luftwaffenpiloten, hielten stand und verhinderten die Zerstörung der Stadt.
Sie schossen sogar eine Fregatte ab, wenn auch nur mit horrenden Verlusten. Aber diese Fregatte, die in der Bucht von Tokio versank, wurde für Vater und seine Firma zur Grundlage unserer Abwehr. Die in ihr verwendete Technologie und deren Erforschung gab uns den entscheidenden Dreh in die richtige Richtung. Doch es war nur ein Anfang. Sicher, auf diesen Konstruktionen basieren unsere eigenen Fregatten und Zerstörer. Aber die wirklichen Entdeckungen kamen erst später, einige Tage nur in unserer Zukunft.

1.
Es war spät am Abend, die Lage über der Stadt seit Tagen das erste Mal ruhig. Die wendigen kleinen FOXTROTT-Korvetten verhielten sich ruhig. Wobei ich den Codenamen, wenn ich daran denke, recht lustig finde. Die Daishis haben ihren Namen recht spät erhalten, nachdem man gemerkt hat, was diese grob dem Menschen nachempfundenen Mordmaschinen leisten. Bis dahin hieß der Typus einfach Target Alpha. Doch bereits der sechste unbekannte Kontakt war kein Daishi gewesen. Es war die erste Korvette. Damit bekam sie den Codenamen Foxtrott.
Warum der nachfolgende Daishi Beta dann dennoch Beta und nicht Mike genannt wurde, wissen wohl nur die Militärs, die es bestimmt haben.
So kamen die Korvetten also zu ihrem Namen. Übrigens auch die NOVEMBER-Fregatten und die ZULU-Kreuzer.
Anfangs hatten die Kronosier die Korvetten verwendet, um mit Hilfe der Tarnungseinrichtung gezielt militärische Bereiche und Kasernen anzugreifen. Aber einmal enttarnt waren sie ein leichtes Ziel für die Luftabwehrraketen. Denn glücklicherweise hob sich das Tarnfeld auf, sobald die Schiffe mit ihren Waffen zu feuern begannen. Ein enormer Vorteil, der zu Verlusten führte, aber auch zu hohen Abschussraten bei den Korvetten.

Ich ging mit Akira von der Schule nach Hause. Nach den ersten Angriffen, die unangekündigt und unprovoziert überall auf der Welt erfolgten, hatte man in der Stadtverwaltung lange drüber nachgedacht den Schulbetrieb einzustellen und die Kinder ins Hinterland zu schicken, wie es die Engländer während des Zweiten Weltkrieges mit ihren Kindern gemacht hatten.
Aber letztendlich hatte sich der Gedanke durchgesetzt, das Leben so normal wie irgend möglich zu halten. Was bedeutete, wie Akira sich ausdrückte, dass nicht mal eine verdammte Krise ein wenig Freizeit brachte.
Ich verstand ihn ja. Mitglied im Schülerkomitee, im Kendo-Club, beim Baseball, in der Schülerzeitung, und, und, und…
Entsprechend wortkarg war er, als wir nebeneinander nach Hause gingen.
Nach Hause, ein merkwürdiger Begriff. Ohne Mutter war es schon kaum erträglich in diesem Haus. Aber seit Vater Tag und Nacht an der Bergung der feindlichen Fregatte aus der Bucht von Tokio arbeitete war es noch leerer als sonst auch.
Vater hatte unsere Cousine Sakura gefragt, ob sie nicht nach Tokio kommen wollte, um hier zu studieren und nebenbei bei uns zu wohnen und ein Auge auf uns zu haben.
Mir gefiel der Gedanke nicht. Ich war alt genug, um den Haushalt alleine zu führen, das hatte ich bewiesen. Akira protestierte zwar immer, dass er mir helfen wollte, aber das ließ ich nicht zu. Das war meine Prüfung, meine Aufgabe.

„Woran denkst du?“, fragte Akira mich.
Ich lächelte ihn an und erwiderte: „Du solltest wirklich nicht versuchen, im Garten zu helfen, O-nii-chan. Ich glaube, Vaters Rosen werden eingehen, so weit hast du sie zurück geschnitten.“
„Red keinen Stuss“, erwiderte er und warf mir einen ärgerlichen Blick zu. „So schnell gehen die Rosen nicht ein.“
Ich lächelte nur still. Mein großer Bruder konnte so störrisch sein.
„Akira!“, klang hinter uns ein Ruf auf. Ich drehte mich um und erkannte ein Mädchen, das uns schnell hinterher lief. Megumi. Natürlich Megumi.
Ich wusste nicht wieso, aber sie hatte einen wahren Narren an Akira gefressen.
Nicht, das mich das störte. Sie war hübsch, fröhlich, temperamentvoll und sehr freundlich. Außerdem mochte sie mich auch, und wenn ich ehrlich war hatte ich sie schon ein paar Mal O-nee-chan genannt.
„Ah, Yohko-chan. Das war ja klar. Wo dein Bruder ist, bist du nicht weit“, sagte sie fröhlich, als sie uns erreicht hatte und begann meinen Kopf zu tätscheln.
„Ich wünschte, du würdest das lassen“, brummte ich ärgerlich und strich mir demonstrativ durch die Haare, um die Unordnung zu beseitigen, die Megumi ausgelöst hatte.
„Halb so wild, halb so wild. Du bist nun mal so knuffig, am liebsten würde ich dich knuddeln und knuddeln und…“
Übergangslos steckte ich in ihrer Umarmung, ohne etwas tun zu können. Ehrlich gesagt wollte ich das auch gar nicht, denn sie roch so gut. Und sie war so warm. Es erinnerte mich ein wenig an Mutter, und das machte mich dann immer ganz nostalgisch. Akira, der Idiot. Warum heiratete er Megumi nicht einfach? Dann gehörte sie zur Familie und…

„Ähemm!“, erklang es neben uns.
Schuldbewusst fuhren wir zu O-nii-chan herum und ließen uns los.
„Was wolltest du gleich, Megumi?“, fragte er mit starrer Miene. Aber das war nur Show. Akira liebte es zu lachen. Zu fluchen. Und zu weinen. Emotionen so offen zu zeigen war kein Zeichen von Disziplin in unserem Land, aber ich hielt es für eine seiner Stärken.
„Nichts Wichtiges“, wiegelte Megumi ab und strahlte ihn an. „Ich wollte nur mit euch nach Hause gehen.“
Akira seufzte. „Megumi, du machst einen Umweg von drei Kilometern. Ist das sinnvoll?“
Wütend ballte ich die Fäuste. Akira, wie dumm konnte ein Mann sein? Megumi ging es doch nicht um den Weg. Ihr ging es um ihn. Und, hoffentlich, auch ein wenig um mich.
„Na ja, ich dachte, ich…“, begann sie und wurde rot im Gesicht. Na Klasse, Akira. Ganz toll gemacht.
„Vielleicht aber solltest du den Umweg heute ruhig machen“, erwiderte Akira und lächelte leicht. „Ich wette, deine Eltern sind heute wieder in der Kaserne und du kriegst nichts Warmes zu essen. Willst du nicht bei uns bleiben? Ich meine, bisher hat Amnesty International Yohkos Kochen nicht auf die schwarze Liste gesetzt. Noch nicht…“
„Ooooh, O-nii-chan!“, rief ich wütend, aber er wich meinem gespielten Schlag einfach aus.
„Was denn, was denn?“, fragte er grinsend. „Ich habe nicht gelogen.“
„IDIOT!“, blaffte ich und lief vor, aber nicht ohne Megumi zu zuzwinkern. Eine gute Gelegenheit, um die beiden mal einen Moment alleine zu lassen.

Ich hatte schon fünfzig Meter Vorsprung, als mich diese Druckwelle traf. Sie war nicht sehr schlimm, aber ich musste beide Hände nehmen um zu verhindern, dass mein Rock hoch gepustet wurde. Ich wirbelte herum und erstarrte. Blankes Entsetzen lähmte mich. Denn zwischen mir, Akira und Megumi stand nun… Ein Daishi Beta.
Akira hatte sofort reagiert und sich schützend vor Megumi gestellt, obwohl es eher eine sinnlose Geste gegenüber einem Mecha war. Denn seine Waffen würden ihn einfach… Ihn einfach… „O-NII-CHAN!“
„KOMM NICHT HER! LAUF WEG!“, rief er herüber und ich stockte im Lauf. Aber ich konnte ihn doch nicht alleine lassen! Ich konnte ihn doch nicht sterben lassen! Gut, ich konnte nichts tun, aber… „O-nii-chan…“
„Irgend etwas stimmt nicht mit dem Mecha“, sagte er und schob sich langsam zusammen mit Megumi nach hinten, zur Wegabzweigung.
Ich hatte schon davon gehört, dass einzelne Daishis Jagd auf Passanten machten, angeblich um uns zu demoralisieren. War dies einer davon?
Dann erklang ein Zischen. Ich konnte von meiner Position nur den Rücken des Mechas sehen, aber ich erkannte das Entsetzen in den Augen der beiden.
Vor ihnen fiel ein lebloser Körper vom Mecha herab. Ich lief nun wieder schneller, kam heran und… Starrte in ein offenes Cockpit.
Der Pilot war heraus gefallen. Die langen, weißen Haare und die gebrochenen, fast schwarzen Augen sprachen eine deutliche Sprache. Ein Kronosier.
„Aber… Aber…“, stammelte ich.

Akiras Kopf ruckte hoch. Er fixierte den Himmel. Dann gab er Megumi einen Stoß, der sie mir in die Arme trieb. „Lauft! Lauft schnell!“, rief er uns nach. Über uns gab es eine grelle Explosion, danach eine zweite. Wir wurden erneut angegriffen!
Ich ergriff Megumis Hand. „Was tust du, O-nii-chan?“
Wie hypnotisiert starrte Akira auf die offene Cockpitluke. „Er… Er ruft mich.“
„O-nii-chan, mach keinen…“, begann ich.
„Akira Otomo. Klettere in mein Cockpit“, erklang es aus dem Mecha.
Mein großer Bruder grinste uns an. „Ich sagte doch, er ruft mich.“
„Aber wenn es eine Falle ist… Warum sollte er ausgerechnet dich rufen?“, fragte ich flehend.
„Du bist mein Pilot. Niemand sonst kann mich steuern“, erklang die Stimme wieder.
Akira zögerte nun nicht länger. Er warf einen letzten Blick auf den toten Kronosier, schnappte sich seinen Helm, der neben ihm am Boden lag und kletterte in das Cockpit.
„O-nii-chan“, hauchte ich.
Über uns senkten sich nun Rauchfahnen auf uns herab. Der Daishi wurde mit Raketen beschossen. Und wir standen ebenfalls in der Gefahrenzone.
Doch da startete der Daishi Beta schon und jagte auf die Raketen zu. Das Abwehrsystem fing jeden einzelnen Gefechtskopf ab, bevor er uns überhaupt erreichen konnte. Ein kleiner Metallsplitterregen ging vor uns nieder, aber das war es auch schon.
„Phantastisch“, hauchte Megumi neben mir. „Siehst du, wie er in den Himmel aufsteigt? Es wirkt, als hätte er nie etwas anderes gemacht…“
Ich sah dem Mecha mit brennenden Augen nach. „O-nii-chan.“
Dann griff der erste Daishi Alpha meinen Bruder an… Und verging in einer Explosion, bevor er Akira erreichen konnte.
„Kampfjets!“, rief Megumi aufgeregt. „Sie können es nicht wissen! Wir… ich muß meine Eltern anrufen! Yohko, ruf deinen Vater an! Wir müssen ihnen sagen, dass der Daishi Beta von Akira gesteuert wird!“
„Vielleicht ist das gar nicht nötig“, murmelte ich leise, während ich mein Handy langsam und puppenhaft an den Kopf hob. Akiras Mecha tanzte eine Raketensalve eines Kampfjets aus und stürzte sich dann auf einen anderen Beta.
„Atemberaubend“, hauchte ich, als der Feind-Mecha zerstört zu Boden fiel.
**
Die Streitkräfte stellten sich ungewöhnlich schnell auf den Daishi an ihrer Seite ein. Ihnen blieb auch gar nichts anderes übrig, denn Akira war einfach zu erfolgreich.
Nach der Schlacht, die für die Kronosier ungeheuer verlustreich ausgegangen war, wurden Megumi und ich in Vaters Büro gefahren.
Die ganze Zeit hatte ich dabei dieses mulmige Gefühl, weil der tote Kronosier im Wagen hinter uns fuhr. Albern, ich weiß. Aber damals war ich erst zwölf Jahre alt.

In Vaters Büro platzten wir in einen handfesten Streit.
„Du wirst nicht wieder in diesen Mecha steigen!“, blaffte Eikichi meinen O-nii-chan an.
Akira hielt dagegen. „Meinst du vielleicht, das da oben hat mir Spaß gemacht? Meinst du, ich hatte keine Angst? Dann denkst du falsch. Aber Tatsache ist, dass ich da oben nützlich war. Das ich Megumi und Yohko auf diese Weise beschützen konnte! Vater!“
„Nix Vater. Der Beta ist nicht die erste Maschine, die uns in die Hände fällt. Okay, sie ist die einzige unbeschädigte, aber bisher haben wir noch keinen Menschen gefunden, der sie steuern könnte. Das Feedback hätte sie beinahe getötet. Und ich will nicht, dass das dir passiert.“
„Primus hat mich akzeptiert. Ich bin sein Pilot! Vater, ich weiß, dass ich hier weder in einem Manga bin, noch in irgendeinem obskuren Roman. Aber ich bin der einzige, der einen voll funktionsfähigen Daishi Beta in den Kampf fliegen kann!“
„Du warst da oben mehr eine Bedrohung als eine Hilfe!“, blaffte Vater wütend. „Du hast unsere Piloten dazu verleitet, dich zu jagen. Dutzende hätten dabei sterben können. Dutzende!“
„Du bist nicht fair“, warf Akira ihm vor. „In meinem nächsten Einsatz, meinem übernächsten, werden die anderen wissen, auf welchen Beta sie feuern dürfen und auf welchen nicht. Wir installieren ein Transpondersystem und…“
„Nein, sage ich. Danke, dass du uns einen funktionierenden Mecha gebracht hast, aber wir werden einen Soldaten finden, der ihn steuern kann.“
„Wenn du das schaffst, dann bin ich zufrieden“, sagte Akira leise. Er sah zu uns herüber, aber er wirkte nicht überrascht, so als wenn er die ganze Zeit geahnt hätte, dass wir da waren.
„Aber wenn du keinen findest, dann werde ich in Primus steigen und das beschützen, was mir das Wichtigste in dieser Welt ist.“ Er legte den Kopf schräg und schien nachzudenken. „Und natürlich Yoshi. Außer, er will mich wieder zum Karaoke schleppen.“
„Kannst du nicht mal ernst bleiben?“, tadelte Vater und unterdrückte ein Schmunzeln. „Akira. Wir arbeiten daran, die Mechas der Kronosier nachzubauen. Tatsache ist, dass ein funktionsfähiger, gut gesteuerter Mecha auf unserer Seite die Verluste der ewigen Angriffe minimieren würde, ja. Aber ich sitze hier und muss eine Entscheidung treffen. Zerlege ich den unbeschädigten Beta, um bei der Entwicklung neuer Mechas voran zu kommen, oder setze ich ihn ein, um unsere Verluste in Grenzen zu halten. Dazu kommt ein Problem, dass uns um Wochen zurück wirft. Wir sind einfach nicht in der Lage, die neuronale Verbindung zwischen Künstlicher Intelligenz und Piloten zu etablieren.
Du kannst helfen. Und zwar indem du bei einigen Experimenten hilfst, in denen wir herausfinden wollen, was dich so besonders macht.“

„Otomo-tono“, erklang eine Stimme hinter Megumi und mir. Ein groß gewachsener Amerikaner betrat hinter uns das Büro, nickte uns mit blassen Augen zu und sah Vater direkt an. „Eikichi. Das hier wird dir nicht gefallen.“
Er reichte Vater eine Akte, die der ergriff und aufmerksam las.
Als seine Hand auf den Schreibtisch schlug, zuckten wir alle zusammen.
„Diese…“, hauchte er, „diese Barbaren.“
Er fixierte meinen O-nii-chan mit den Augen. „Das Militär hat beschlossen, dich und Primus gegen die Kronosier einzusetzen. Weltweit. Es kamen bereits Dutzende Nachfragen nach Beistand aus Europa, Amerika und Asien.“
Seine Hände krallten sich um das Dokument und zerknüllten es. „Diese Feiglinge. Kinder in den Tod zu schicken… Ich könnte sie…“
„Als Gegenleistung, weil es dein Sohn ist“, begann der Amerikaner mit seltsam tonloser Stimme, „lassen sie uns freie Hand bei der Mecha-Forschung und Entwicklung und fassen deinen Plan auf, für den Betrieb der Fusionsreaktoren Helium 3 auf dem Erdmond zu schürfen. Sogar die Pläne für das Zwei-Plattformensystem haben sie genehmigt. Wenn du deinen Sohn kämpfen lässt.“
Auf einmal wirkte Vater grau und müde. Er sank in sich zusammen und das Dokument entglitt seinen Fingern.
„Jeremy. Ich hasse mich dafür, aber jeder hat seinen Preis. Auch ich. Wenn wir meinen Plan mit den Orbitalfahrstühlen zwischen den Plattformen durchführen und das Helium 3 schürfen können, rettet dies die Menschheit. Begleite meinen Sohn, auf jeden Einsatz. Bring ihm alles bei, was er über Taktik wissen muß und noch mehr. Drill ihn, bis er sich auf sein Bett freut. Lass ihn auf dem Mecha trainieren, bis seine Hände bluten.
Außerdem nimm Kontakt mit dem alten Futabe auf. Eine gute Stamina ist die beste Basis für einen Soldaten. Er soll ihn in jeder freien Stunde in der Verwendung von KI ausbilden.
Wenn Akira stirbt, dann will ich mir nicht vorwerfen, es läge daran, dass ich zuwenig für ihn getan hätte.“
Der groß gewachsene Amerikaner nickte, trat neben Akira und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ja, Eikichi. Komm, Kleiner. Primus wird gerade verladen. Wir fliegen nach Peking rüber.“
Die beiden verließen das Büro, und noch immer erinnere ich mich an dieses mulmige Gefühl in meinem Magen, dass mir einflüsterte, ich sähe meinen Bruder das letzte Mal.
„Akira!“, rief Megumi neben mir, den Tränen nahe. „Komm gesund wieder.“
Er wandte sich ein letztes Mal um und lächelte uns an. Dabei blitzten seine Zähne auf. Eine KI-Reaktion, die er von Yoshi gelernt hatte. „Natürlich komme ich gesund wieder.“

Es kam alles ganz anders. Er kam gesund wieder, war aber die meiste Zeit gar nicht im Land. Seine schulischen Leistungen litten sehr unter dieser Belastung, aber die Rettung der Erde war wichtiger, viel wichtiger als eine eins in Englisch.
Auch die Entwicklung unserer Mechas machte Fortschritte. Doch damit war eine bittere Erkenntnis verbunden, auf die unsere Forscher kamen, als sie mich zusammen mit Akira testeten, um dem Geheimnis seiner Verbindungsfähigkeit mit der KI der Daishis auf die Spur zu kommen. Er war jung. Er hatte in nur wenigen Minuten die Synapsen gebildet, Verbindungen zwischen Gehirnzellen, die es ihm erlaubten, jene Teile des Gehirns besser zu nutzen, die für die Kommunikation gebraucht wurden.
Das hört sich an wie aus einem Horrorfilm, ist aber ein völlig normaler Vorgang. Er lief bei Akira nur etwas schneller ab – und bei mir auch. Als schließlich sogar Megumi positiv getestet wurde, hatte die Erde auf einen Schlag drei Mecha-Piloten.
Vater wählte für uns den Namen Hekatoncheiren, nach den drei Wesen, die Zeus geholfen hatten, die Titanen zu bändigen. Akira wurde Gyes. Megumi Briareos. Und ich… ich wurde Kottos. Zu dritt und in den neu entwickelten Hawk-Mechas reisten wir über ein halbes Jahr um die Welt, um den Feind zu stellen… Und zu töten.
Später, eigentlich nur eine Woche darauf bekamen wir einen vierten Piloten mit überragenden strategischen Fähigkeiten, die sogar jene von Akira übertrafen. Unser Cousin Makoto Ino war ebenfalls erfolgreich getestet worden und kämpfte fortan in einem Hawk.
Als Zeus wurde er bei gemeinsamen Einsätzen unser Koordinator, unser zusätzliches Paar Augen und unser Schutzengel.
Dann griffen wir den Mars an und mein erstes Leben endete.
**
Wenn ich jetzt zurück denke, dann erinnere ich mich daran, wie ich die Hände ausstreckte, nach Blue Lightning, dem Mecha meines Bruders greifen wollte, wie hart der stählerne Griff des Daishi Gamma war, der mich mitten in die Flammenhölle riss. Ich fühlte die Hitze, sah meinen Druckanzug Blasen schlagen, bevor Ruß mein Visier verschleierte und der sengende Schmerz mich in die gnädige Ohnmacht trieb.

Als ich erwachte, tat ich dies neu. Einen besseren Ausdruck finde ich nicht. Ich war einfach neu. Alles, was zuvor passiert war, existierte für mich nicht. Es gab nur das jetzt und einige Kenntnisse wie Sprachen und allgemeines Wissen.
Dass all das gezielt gelöscht worden war, konnte ich damals nicht wissen. Ich wusste ja nicht einmal meinen eigenen Namen.
Aber etwas anderes wusste ich. Ich hatte etwas sehr wichtiges verloren. Und ich wollte es zurück. Doch wie konnte ich das, solange ich in diesem Tank steckte?
„Das ist Alone One“, sagte eine Stimme. Ich sah auf und erkannte vor dem Tank einen Kronosier, der mit brennenden Augen zu mir in den Tank sah.
Neben ihm stand ein Mensch und sah indigniert von einem Klemmbrett auf. „Legat Taylor. Ich halte es für eine unnütze Idee, Alone One am Leben zu erhalten, ja, sie sogar zu heilen. Bedenken Sie, Ihre Berufung zum Legaten ist erst wenige Tage her, seit Sie selbst den Heiltank verlassen haben. Und unsere Ressourcen sind nach den Verheerungen des Absturzes noch immer begrenzt.“
Der Kronosier grinste breit. „Tja, wer hätte gedacht, dass ihr großer Bruder uns gleich einen Brocken von Phobos auf den Kopf wirft? Du hast da einen ziemlichen Hitzkopf in der Verwandtschaft, Alone One“, sagte er und legte eine Hand auf die Scheibe.
„Wir erhalten sie am Leben und geben ihr die Gift.“
„Dies liegt in Ihrer Entscheidung, Legat. Aber ich muß nochmals darauf hinweisen, dass wir Langzeitverletzte haben, denen die Zeit in einem Tank genommen wird, weil Sie…“
Kollegial legte Taylor einen Arm um die Schultern des anderen. „Pjotr, bedenken Sie eines. Dies ist eine der Toppilotinnen, welche uns angegriffen und fast ausgelöscht hat. Wir haben partiell ihre Erinnerung gelöscht und können sie nun füllen wie wir wollen. Stellen Sie es sich vor: Dieses Mädchen in einem Daishi auf unserer Seite. Was für eine mächtige Waffe wird das sein.“
„Verstehe. Aber warum die Gift? Warum sie zur Kronosierin machen?“
Taylor nahm die Hand wieder von der Scheibe. „Damit sie nie wieder zu ihm zurück kehren kann. Darum.“ Er lachte dazu, aber ich verstand weder worüber er redete, noch was das mit mir zu tun hatte. Ich hörte nur großer Bruder und mein Herz wurde ganz warm bei diesen Worten.

Wochen später wurde ich aus dem Tank entlassen. Ich weiß noch wie sich die Decke abhob, wie ich heraus gehoben wurde und mir die Anschlüsse für die künstliche Beatmung entfernt wurden. Wie mich ein Techniker musterte und dann sagte: „Du solltest alleine gehen können, Alone One. Im Tank wurden deine Muskeln permanent stimuliert, um einen Abbau zu verhindern. Dort hinten ist die Umkleidekabine für Frauen. Dusche die Schicht Heilflüssigkeit vom Körper und zieh die bereitgelegte Kleidung an. Danach wird Rafael hier dich führen. Er wird dich zu deinem neuen Quartier bringen. Hast du das verstanden, Alone One?“
Ich nickte, denn sprechen konnte ich nicht. Meine Kehle schmerzte furchtbar. Kurz musterte ich den jungen Mann, der neben dem Techniker stand und nickte auch in seine Richtung.
„Dann geh.“
Ich erhob mich und befolgte den ersten Befehl eines Kronosiers. Hunderte weitere würden folgen.

Die nächsten Tage und Wochen waren damit angefüllt, die Leere in meinem Kopf mit Wissen zu füllen. Und Rafael erwies sich dabei als sehr hilfreich. Ich weiß bis heute nicht wieso, aber er beschützte mich, er half mir wenn ich nicht weiter wusste. Er sprach viel mit mir und spielte sogar mit mir, wenn mir danach war. Er war sehr hilfreich. Aber wie er immer wieder nur betonte, um bei Legat Taylor gut dazustehen und selbst einmal die Gift zu erhalten.
„Wie ist es denn, wenn man ein Kronosier ist?“, fragte er mich, während wir im Schulungszentrum auf unseren Lehrer für die Daishi-Ausbildung warteten.
„Ich habe gehört, man wird schneller, klüger und all so ein Kram. Na, wenn ich mir die Leistungen in deinen Tests ansehe, dann muß da ja was dran sein.“
„Lonne weiß nicht“, antwortete ich leise. In diesen Tagen und Wochen, in denen ich ohne Identität herum driftete, gab es kein Ich für mich. Mein Verstand kam mir vor wie eine Fremde und dementsprechend verstand ich mich als dritte Person, beinahe als Außenstehende. Rafael fand das niedlich. Er konnte einfach nicht erahnen, welche Belastung es für mich war, derart unvollkommen zu sein. Perfekte Menschen gab es nicht, aber so unvollständig wie ich damals war keiner.
„Ach, komm schon. Deine Reflexe in den Tests sind atemberaubend. Du bist jetzt schon die Beste hier im Kurs. Und wärst du nicht auch noch Top im Kampfsport, dann hätte dich bestimmt längst jemand verprügelt aus lauter Eifersucht. Der Goldstern von Legat Taylor.“ Rafael lachte rau. Er wusste es nicht, aber ich hatte mitbekommen, wie er zwei unserer Mitschüler verprügelt hatte, weil sie einen Angriff auf mich geplant hatten.

Rafael lehnte sich nach hinten und starrte an die Decke. „Habe ich dir schon erzählt, woher ich komme, Lonne? Ja, ich habe eine Vergangenheit und mehr als so einen dämlichen Namen wie Alone One. Nein, das war keine Kritik. Es war eine Feststellung. Der Name gefiel mir nicht, deshalb habe ich ihn ja auch auf Lonne abgekürzt. Das klingt doch viel netter. Und wir kriegen keinen Ärger mit dem Legaten deswegen.
Ach ja, wo ich herkomme. Nun, ich wurde in Mexiko angeworben. Genauer gesagt lebte ich als kleiner Dieb in den Slums von Mexiko City, als mich die Werber ansprachen und mir ein besseres Leben in Aussicht stellten.
Und nun, sieh mich an. Ich steuere einen Daishi Gamma, werde als Sektionsleiter ausgebildet, schlafe in einem sauberen Bett, kriege regelmäßig gute Nahrung und habe saubere, ungeflickte Kleidung. Für mich könnte dies das Paradies sein. Wenn wir nicht diesen Krieg mit der Erde hätten.“
„Ist der Krieg mit der Erde denn schlecht?“, fragte ich erstaunt.
„Natürlich ist er schlecht. Krieg ist immer schlecht. Aber im Moment ist er das, was uns unser Essen auf den Tisch bringt. Und was dir die Gift eingebracht hat. Wofür die anderen dich erst recht beneiden.“ Er zwinkerte mir zu. „Die weißblonden Haare sind übrigens etwas untypisch. Sie sollten ganz weiß sein. Ich habe mir sagen lassen, dass die Gift bei dir nicht vollständig war. Sie haben dich zu früh raus genommen. Und seither frage ich mich, wieso. Wieso nur? Was war so wichtig, dass man dich vor der Zeit raus genommen hat?“

Ja, was war so wichtig? Ich erfuhr es, als sie begannen, mich auf dem neu entwickelten Daishi Delta auszubilden und das Ortungspod für mich vorzubereiten.
Ich sollte auf einen extrem wichtigen Einsatz gehen. Meinen ersten für den Mars. Und wenn alles so lief wie Legat Taylor es plante, sollte es auch mein letzter sein.
Bevor ich in den Mecha stieg, nahm mich Rafael beiseite, der tatsächlich Sektionschef geworden war und nun zwanzig Daishi kommandierte.
„Lonne, hör zu. Ich weiß nicht, wie dieser Einsatz ausgehen wird.“ Er sah auf den Rücken des Daishi Delta, auf dem gerade das Pod befestigt wurde. „Oder ob du ihn überleben wirst. Aber komm bitte nicht zurück. Bleib auf der Erde. Such dir eine ruhige Stelle aus und lebe dort von jetzt an. Versprich mir das und versuch so glücklich zu werden wie es irgendwie geht.“
„Lonne versteht das nicht. Magst du Lonne nicht mehr?“, fragte ich erstaunt.
Rafael grinste mich an. „Vielleicht mag ich dich einfach etwas zu sehr. Aber ich will nicht, dass du hier bleibst. Der Legat kann dich nicht ewig beschützen und ich bin auch nicht immer da. Dies ist kein Ort für dich. Versprich es mir, Lonne.“
Ich sah ihn an und strich eine Träne von seiner rechten Wange. „Darf Lonne nie wieder kommen?“
Nun lächelte er wehmütig. „Wenn, dann komm als Sieger. Nur als Sieger.“
Er wandte sich um und war fort. Und ich wurde zusammen mit dem Delta auf eine Fregatte verbracht.

Es würde zu weit führen alles aufzuzählen, was danach passiert ist. Wie ich als Lonne meinen Bruder wieder traf, wie er mich einfach um meinetwillen beschützt hatte. Wie er mir half, Schritt für Schritt wieder ein Mensch zu werden. Wie ich Yoshi wieder traf und schmerzhaft feststellte, dass ich ihn liebte. Und wie schwierig es für mich war, ihn zu erobern. Oder auch nur die vielen Gefechte aufzuzählen, die ich fortan an der Seite von Megumi und meinem Bruder erlebt habe. Es ist einfach zu viel und beschreibt nur den Wechsel von Lonne, dem Mädchen, das leicht naiv in den Tag lebte und in der dritten Person von sich sprach zu Lilian, der vermeintlichen amerikanischen Austauschschülerin, die sich endlich als eigenständige Person begriff und somit etwas von ihrem alten Ich erhaschte.
Bis hin zu jenem Tag, als Kitsune-chan mir meine Erinnerung wiedergab, die wie eine Welle über mich hereinbrach, mich fortzuspülen drohte und mich meiner Familie wiedergab.
Und mich erkennen ließ, dass mein Bruder und Megumi sogar für mich da gewesen waren, als sie mich tot geglaubt hatten.
Dieser Gedanke gab mir Zuversicht, Stärke und Hoffnung.
Dies war der zweite wichtige Abschnitt meines Lebens, der endete und mit einem neuen, phantastischeren begann.
**
Ich weiß nicht, wieso sich Lilian in Yoshi verliebt hat. Aber ich, ich meine Yohko, war schon immer in den coolen Freund meines großen Bruders verschossen gewesen. Yoshi war immer so groß, so locker und selbstsicher, ohne überheblich zu wirken. Er schien immer und überall die Lage im Griff zu haben. Warum er sich selbst zum Sidekick meines Bruders reduzierte hatte ich nie richtig verstehen können. Bis ich eines Tages spürte, welch tiefe Liebe ihn mit Akira verband. Und das er wegen dieser Liebe freiwillig einen Schritt für ihn zurücktrat.
Letztendlich hat sich dies als richtig erwiesen. Mein großer Bruder hatte die Chance gehabt sich frei zu entfalten, und so die Welt gerettet.
Und Yoshi hatte auf diese Weise mehr Zeit, um sich um mich zu kümmern.
Aber das ist Augenwischerei. Das Yoshi und ich zusammen gekommen sind, als ich noch Lilian war, ist bemerkenswert. Das die Liebe zu ihm auch noch andauerte, als ich wieder Yohko wurde, war dann keine Überraschung für mich. Selbst ohne meine Erinnerung hatte ich mich wieder in ihn verliebt.

Natürlich bestand meine Welt nicht nur aus Yoshi, Megumi und Akira.
Selbst als ich noch Lilian war, verband mich schnell eine innige Freundschaft mit der tollpatschigen blonden Hina und der irgendwie dauerkrank wirkenden Ami.
Zusammen stellten wir so manches auf die Beine und die Eröffnung, dass sie beide Blue und Red Slayer waren, hatte mich nicht wirklich überrascht. Ihre Tatkraft und Energie konnte einfach nicht in einem normalen Leben kanalisiert werden.
Manchmal frage ich mich wie es wäre, wenn ich auch ein Slayer sein würde. Wenn Dai-Kuzo-sama, die Spinnengöttin, von der Akira mir berichtet hatte, auch mich für würdig befunden hätte, ein Slayer zu werden…
Aber dieser Gedanke ist müßig. Denn ich bin eine Sparrow-Pilotin. Genauer gesagt, ich bin die Sparrow-Pilotin, denn nur aufgrund meiner Angaben und Wünsche hatte die United Earth Mecha Force den Sparrow als leichteren, flexibleren aber auch schwächer bewaffneten Mecha aus dem Hawk entwickelt.

Mein drittes Leben begann, als Kitsune-chan mir meine Erinnerung wiedergab. Als alles, was ich war über mich wieder herein brach.
Der Moment, als Megumi mir um den Hals fiel, erleichtert und glücklich, völlig aufgelöst… Aber nein, das war ja Makoto gewesen.
Der Moment, als mein Bruder sich weinend bei mir entschuldigte, mich nicht vom Mars gerettet zu haben. Der Augenblick als ich aus drei Personen eine einzige schmieden musste.
Opa Michael musste es gewusst haben, für eine lange Zeit, als Akira noch gar keine Ahnung hatte, dass er sich mit Lonne auch seine Schwester Yohko ins Leben geholt hatte. Und im richtigen Augenblick hatte er gehandelt.
Ich war zerrissen, verwirrt, die Gedanken an drei Leben schwirrten in meinem Kopf herum, meine Freunde umarmten mich und weinten vor Glück, auch meine Tränen flossen, und mein Bruder zerschlug den Wohnzimmertisch, entschuldigte sich bei mir und verließ den Raum.
Dieser Dummkopf! Ahnte, wusste er denn nicht, wie wichtig gerade er für mich war? Wusste er nicht, wie viel es mir bedeutete, dass er mich aufgenommen und beschützt hatte, als ich noch eine feindliche Pilotin für ihn gewesen war?
Oh, ich verstand, warum er es tat. Ich sah zu deutlich sein Dilemma. Er glaubte mich auf dem Mars sterben zu sehen. Und nun war ich wieder da. Er musste sich Vorwürfe machen, schlimme Vorwürfe, die ihn fast zerrissen und es nur nicht taten, weil ich, Yohko, noch lebte.
Ich wollte ihn stützen, ihn umarmen, sagen dass es gut sei und er dennoch für mich da gewesen war. Das er es gewesen war, der mich in mein altes Leben geleitet hatte.
Aber er ging einfach. Er ging und kehrte die halbe Nacht nicht zurück.
Und Yoshi, der Idiot, im Moment als ich ihn ebenso brauchte wie O-nii-chan, schnappte sich seinen Bogen und lief ihm hinterher.
Männer. Freundschaften. Irgendwie beruhigte mich das.
Aber Hey, ich bin nur ein einfaches Mädchen, das nur zufällig fast so tödlich auf einem Mecha ist wie Megumi. Ich wollte erobert werden. Und keinesfalls in der Prioritätenliste auf Platz zwei rutschen. Nicht einmal für Akira.

Als mein O-nii-chan die geheimen Mitglieder der UEMF von unserer Oberstufe abholte und seinen rührseligen Auftritt als Beschützer der Menschen hatte, da war ich mir noch lange nicht sicher gewesen, wer ich war: Lonne? Lilian? Yohko?
Nein, ich wusste es nicht, denn alle drei Namen bedeuteten für mich ein eigenes Leben. Und all das als Summe zusammengefasst ergab… Ich wusste es nicht.
Entsprechend gereizt war ich natürlich, als wir die Marsmission begannen und Yoshi nichts Besseres zu tun hatte, als mir hinterher zu laufen.
Yoshi, dieser kleine Weiberheld. Was konnte er mir nun bieten? Und was hatte ich, was ihm seine anderen Verehrerinnen nicht geben konnten?
Nun, es war etwas Besonderes, Großartiges, und doch sehr schlichtes. Er liebte mich.
Schlicht und einfach. Er liebte mich. Und dies war der Augenblick, an dem aus drei Leben eines wurde und ich mich für einen Namen entschied. Ich war Yohko. Yohko Otomo, die Tochter von Eikichi Otomo, dem Executive Commander der UEMF und die Schwester von Akira Otomo, dem besten Mecha-Piloten der Erde. Und Yohko, sowohl die kleine Yohko, die heimlich den Freund ihres Bruders angehimmelt hatte als auch die große Yohko, die von einem Moment zum anderen spürte, dass sie reif für eine feste Bindung war.

Letztendlich war es dieses Gefühl, die Gewissheit, geliebt zu werden, von so vielen, den Freunden, der Familie, das es mir ermöglichte, mit Lonnes Erinnerungen an den Mars ausgerechnet dorthin zurück zu kehren.
Akira trug in dieser Zeit eine schwere Last, mich bedrängten schattenhafte Erinnerungen an diesen Teil meiner Vergangenheit und nichts schien für uns gut auszugehen.
Mit dreiundzwanzig Schiffen hatte die UEMF angreifen wollen. Und vier Schiffe, auf denen Notmannschaften aus Halbwüchsigen dienten, vollführten diesen Auftrag nun.
Niemand dachte wirklich daran, dass wir die Mission überleben würden.
Aber unser kollektiver Wille war, das Missionsziel zu erreichen und die Kronosier als Gefahr für den Frieden auf der Erde auszuschalten. Auch wenn dies unseren Tod bedeutete.
Ich… Erinnere mich noch gut daran, wie wir die Deimos-Werft eroberten. Ich erinnere mich auch noch gut daran, wie wir in die Atmosphäre des Mars hinab sprangen, auf den Nyx Olympus zu, den größten Berg des Sonnensystems. Wie wir den riesigen Krater sahen, der nicht weit von der kronosischen Siedlung in die Kruste des Planeten getrieben worden war.
Ich erinnere mich an Raketen, die an meinem Sparrow vorbei zuckten, Laserimpulse, die Kameraden von mir trafen, Schmerzenschreie und die Rufe Sterbender – und wir waren immer noch beim Absprung.
Und ich erinnere mich, wie mich die Erinnerung an das Leben als Lonne zu übermannen drohte, das nicht immer schlecht gewesen war. Zwei Herzen drohten in meiner Brust zu schlagen und Tränen verschleierten meine Sicht. Sie waren nicht alle schlecht. O-nii-chan, sie waren nicht böse. Das war meine feste Überzeugung. Dennoch kämpfte ich gegen sie.

In der Kaverne unter dem Mount Olymp stellten wir uns unserer größten Herausforderung. Dem Endkampf. Uns bot sich alles dar, was den Legaten der Kronosier geblieben war.
Und meine Verzweiflung, meine Zerrissenheit erreichte einen neuen Höhepunkt. Neben mir verschwanden Joan Reilley und Mamoru Hatake unter einer wahren Flut an den neuen, kaum getesteten und hirnlosen Kampfcyborgs, Megumi und Akira stellten sich Legat Taylor zum Kampf. Und ich konnte auf einmal nicht mehr feuern. Nicht mehr ausweichen.
Dies war der Moment, in dem ich abgeschossen wurde. Beinahe zeitgleich sah ich dabei zu, wie Taylor eine Herkules-Klinge durch das Cockpit von Prime Lightning trieb, den Mecha meines Bruders.
Und ich sah, wie sich Akari, der Oni meines Bruders auflöste, um ihren ganz persönlichen Hassgegner zu vernichten.
Ich hingegen fiel. Ich stürzte tief, tiefer, in die Unendlichkeit hinab und…
Schlug hart auf. Der Schmerz brachte mich zur Besinnung. Hier lief einiges falsch. Hier lief viel zu viel falsch. Akira konnte, durfte nicht sterben. Akari, die ich hier kaum erwähnt habe, die mir aber irgendwie ans Herz gewachsen war, konnte sich doch nicht wirklich auflösen.
Und Joan, die meiner Megumi den Platz in Akiras Herzen streitig machen wollte, sie war doch stärker als diese Nachbauten? Bitte, konnte sie nicht stärker sein?
Angst hüllte mein Herz ein. Ich umklammerte meinen Körper und begann zu zittern.

Als sich die Cockpitluke öffnete und Licht von draußen herein kam, war es wie eine Verheißung. Wie ein Versprechen auf einen besseren nächsten Tag.
Yoshi kam zu mir herein geklettert, und musterte mich besorgt.
„Yohko, bist du verletzt? Geht es dir gut?“
Er legte mir eine Hand auf die Stirn, ließ sein KI wirken. Ein warmes, sanftes Gefühl, beruhigend und erhebend.
„Nichts gebrochen, nichts verletzt“, sagte er erleichtert, nahm mir meinen Helm ab und umarmte mich sanft. „Ich hätte nicht gewusst, was ich tun soll, wenn dir etwas passiert wäre, Yohko. Ich hätte nicht gewusst, wie ich in dieser Welt bleiben soll, ohne dich. Bleib bei mir. Versprich mir, dass du bei mir bleibst, Yohko.“
Ich schluckte hart und brach in Tränen aus. O-nii-chan und Akari-chan waren in diesem Augenblick vielleicht schon tot, ebenso wie Joan-chan und Mamoru-kun. Aber Yoshi war bei mir, umarmte mich. Was immer dieser Tag für Verluste brachte, mit ihm zusammen würde ich es überstehen.

So begann ich mein viertes Leben.

Im Nachhinein betrachten ist eine einfache Sache. Man hat Distanz, kann einiges erklären was man getan hat ohne zu wissen warum. Man kann auch interpretieren, den Sinn verändern, einen neuen suchen. Und man kann ein Fazit ziehen.
Ich habe mein Leben betrachtet und festgestellt, dass es mir nicht länger alleine gehörte.
Ich hatte drei Leben hinter mir und begann mein viertes Leben. Und dieses Leben begann mit Veränderungen.
Yoshi und ich vertieften unsere Beziehung, auch wenn es Vater nicht gefiel, seine Tochter, die er gerade erst wieder gewonnen hatte, gleich wieder an einen Mann zu verlieren.
Auch wenn dieser Mann ein heimlicher Protegé Eikichis war.
Und ich selbst entwickelte mich weiter. Ich wurde die große Schwester für Akari, so wie Megumi all die Jahre meine große Schwester gewesen war.
Gewiss, als vierhundert Jahre alter Oni hatte sie einiges an Lebenserfahrung. Aber ein vierzehnjähriges Mädchen um Japan der Neuzeit zu sein war nicht in diesem Schatz an Wissen erhalten.
Und wenn ich ehrlich war, gefiel mir die Rolle als O-nee-chan sehr gut.
Wie hatte Akira das so treffend ausgedrückt? Es brachte Leben in die Bude.
Und ich traf einige wichtige Entscheidungen, viele davon, während Akira verschwunden war.
Die Wichtigste war, dass ich eine Aufgabe angenommen hatte und nun erfüllen würde.
Ich wollte an Operation Troja teilnehmen und als eine der besten Mecha-Pilotinnen der Erde dafür sorgen, dass sie ein Erfolg wurde.
Ich wollte weiter bei Akira und den anderen sein, die Familie nicht auseinander reißen.
Und ich wollte sehen, wie Megumi und O-nii-chan das nachholten, was sie in anderthalb Jahren versäumt hatten.

Mein viertes Leben begann gefährlich.
Aber wann war es jemals anders gewesen?
Nur… Mittlerweile hatte ich genügend gelernt, um weder hilflos zu wirken wie Lonne, noch dauerlächelnd und innerlich verängstigt wie Lilian durch das Leben zu ziehen.
Ich war Yohko Otomo, die beste Sparrow-Pilotin der Erde.
Ich hatte viele Aufgaben übernommen und würde ihnen allen gerecht werden. Selbst an Bord der AURORA. Selbst als Offizier der Hekatoncheiren.
Ich würde Vater sehr lange nicht sehen, aber ich wollte ihn stolz machen. Stolz auf Akira. Stolz auf mich.
Und irgendwann, wenn die Zeit dafür reif war, dann…

„Was schreibst du denn da?“
„Aaaah, nicht lesen! Das ist privat, Yoshi!“
„Seit ich mich erinnern kann… Sag mal, bist du vielleicht der geheimnisvolle Autor, der diese Bücher über den zweiten Marsangriff geschrieben hat? Die Streitkräfte stellten sich ungewöhnlich schnell auf den Daishi an ihrer Seite ein…
Hat schon mal jemand mit dir wegen deinem Bruderkomplex geredet?“
„Das ist meins! Hör auf, deine Größe auszunutzen um zu verhindern, dass ich es greifen kann! Yoshi! Sei nicht so gemein!“
„„Ich hätte nicht gewusst, was ich tun soll, wenn dir etwas passiert wäre, Yohko. Ich hätte nicht gewusst, wie ich in dieser Welt bleiben soll, ohne dich. Bleib bei mir. Versprich mir, dass du bei mir bleibst, Yohko.
Ich… Ich erinnere mich an diese Worte. Ich… ich meine sie heute noch immer so wie damals. Du weißt wie sehr ich dich liebe.“
„Kriege ich also das Manuskript wieder?“
„Ääääh… Nein. Autsch! Musst du gleich so rabiat werden? Mitten auf die Magengrube.“
„Ha! Danke. Wer nicht hören will, muss fühlen!“
„Ja, ist ja schon gut. Aber willst du mich hier so stehen lassen? Halb tot und vor Schmerzen gekrümmt?“
„Kommt drauf an… Yoshi-sama. Willst du hier dumm rumstehen oder mich in meinem neuen Kostüm sehen?“
„D-dienstmädchen?“
„Sieh einfach nach. Ich bin nebenan.“
„W-warte! Ich komme ja schon! Autsch. Sie schlägt beinahe fieser zu als ihr Bruder. Aber es gibt keine Bessere. Soll ich dir beim umziehen helfen, Yohko-chan? Yohko?“

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Anime Evolution: Erweitert
Episode sechs

1.
Noch ein Tag. Noch ein läppischer Tag, und die AURORA würde mit ihren Begleitschiffen aufbrechen, um die Jupiterbahn zu erreichen. Der Flug würde eine knappe Woche dauern. Von dort würden wir nach Alpha Centauri springen, einem Doppelsternsystem, das etwas über vier Lichtjahre von der Erde entfernt war. Die Anelph hatten es ebenfalls als Station genutzt, um die Erde zu erreichen und uns versichert, dass es sicher war.
Abgesehen von sieben Planeten, drei davon Gasriesen, die anderen drei Eisblöcke oder Gluthöllen, gab es dort nichts von Interesse, nicht für die Naguad.
Doch dies würde nur die erste Etappe sein. Nach und nach würden wir uns die Systeme vorarbeiten, bis wir die Heimat der Anelph erreichten. Vorsichtig. Langsam. Schritt für Schritt. Es würde Zeit brauchen. Es würde Langeweile bedeuten. Aber jeder Tag in Langeweile bedeutete einen Tag, an dem wir ohne die Schrecken des Krieges auskamen. Ich würde für jeden einzelnen dankbar sein, selbst wenn ich lautstark nörgeln sollte.

„Akira. Was machst du denn für ein Gesicht?“ Megumi ergriff meinen rechten Arm und hielt mich fest. Gemeinsam blieben wir stehen. „Bedrückt dich etwas? Ich meine mehr als sonst?“
„Ach, lass ihn doch“, murmelte Yoshi und unterdrückte ein Grinsen. „Er ist einfach noch sauer.“
„Bin ich nicht!“, blaffte ich ärgerlich.
„Und warum stampfst du dann hier rum wie ein schlecht gelaunter Elefant?“ Megumi versetzte mir einen Hieb mit dem Ellenbogen in die Seite. „Dies ist ein Fest. Genieße es doch.“
Kurz ließ ich meinen Blick über die Szenerie schweifen. Unser Viertel stellte sich vor und hatte deswegen ein Straßenfest organisiert. Da sehr viele Japaner in der Gegend hier wohnten hatten sich die Anwohner für ein traditionelles Straßenfest entschieden mit Kirmesbuden, japanischen Köstlichkeiten, Feuerwerk und traditionellen Künsten.
Ich hatte sogar schon ein paar verrückte Europäer gesehen, die in Samurai-Rüstungen herum liefen. Der Gedanke brachte mich zum grinsen.
„Siehst du. So gefällst du mir schon besser. Kannst du so bleiben? Sagen wir, den Rest des Abends?“
Ich sah Megumi an und schüttelte ernst den Kopf. „Nein, kann ich nicht. Und ja, ich bin doch sauer.“
„Wusste ich es doch“, brummte Yoshi belustigt. Er blieb an einem Stand stehen um sich eine Portion Natto zu kaufen.
„Du hast gut lachen! Du musst es ja nicht machen!“, rief ich ihm hinterher.
Doch mein bester Freund grinste nur und machte eine ziemlich vulgäre Geste, die er den Amerikanern abgeschaut haben musste.

„Akira-chan!“ Auf meiner Schulter landete ein Fuchs in einem Yukata.
„Kitsune?“
„Akira-chan. Ich habe es schon gehört. Will Eikichi-tono dich umbringen, oder was? Warum musst du denn nur wieder die Schulbank drücken?“
Ärgerlich starrte ich zu Boden. „Die Unterlagen meines Fernstudiums sind abhanden gekommen“, brummte ich ärgerlich. „Ich habe keinen einzigen Beweis mehr für meinen Oberstufenabschluss. Und Vater ist nun mal der festen Meinung, dass nur jemand mit der Qualifikation für eine Universität eine Division befehligen sollte.“
„Aber du hast doch deinen Abschluss gemacht!“, klagte Kitsune und versuchte verzweifelt, auf meiner Schulter Halt zu finden, um nicht wieder herab zu rutschen. Ich griff ihr in den Kragen ihres niedlichen kleinen Yukatas und setzte sie richtig auf meine Schulter.
„Du hast doch deinen Abschluss gemacht?“
Ich spürte wie ich rot wurde. „Natürlich habe ich ihn gemacht“, brummte ich ernst. „Ich war sogar wegen der Prüfung auf der Erde. Aber der Name auf meinen Unterlagen lautete John Takei. Und als sie dann zugeschickt werden sollten und ich mich wieder Akira Otomo nannte, da…“
„Ist das die ganze Wahrheit oder hast du es etwa doch nicht geschafft? Oder einfach noch gar nicht angefangen?“, hakte Kitsune nach.
Ich warf ihr einen bösen Blick zu.
Erschrocken rutschte die Füchsin beinahe von meiner Schulter. „Aaah. Tut mir Leid, Akira-chan. Tut mir Leid.“
„Ist schon in Ordnung. Megumi hat mich damit auch schon genervt“, brummte ich und warf meiner Freundin ebenfalls einen wütenden Blick zu.
„So? Ich nerve also? Wenn das deine Meinung ist, Akira, dann…“, begann sie, senkte den Kopf und ging schnell ein paar Schritte vor.
Ich ergriff ihren Arm und hielt sie fest. „So habe ich das doch gar nicht gemeint, Megumi. Megumi-chan. Du weißt doch, dass ich dir nie Vorwürfe machen würde.“
Sie sah zurück und grinste mich an. „Schön, das zu hören, Akira. Kitsune-chan, da hinten sind Yohko und Akari. Wollen wir da hin?“
„Supi!“, rief die über zweitausend Jahre alte Fuchsdämonin und sprang von meiner Schulter zu Boden. Dort verwandelte sie sich in die niedliche rothaarige Menschenfrau, als die sie normalerweise auftrat und ging mit Megumi zu den anderen beiden Mädchen.

Yoshi tauchte neben mir auf, während er sich die klebrigen Fäden und die Sojabohnen des Natto einverleibte. „Junge, Junge. Du stehst ganz schön unter dem Pantoffel, Akira. Sieh nur zu, dass das auf dein Privatleben beschränkt bleibt. Ansonsten kannst du ihr deine Division auch gleich übergeben.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich lasse ihr ne lange Leine. Sie wird schon merken, wenn ich dran ziehe.“
Yoshi schluckte hart neben mir, als sich Megumi umwandte, um uns beide zu fixieren. Seltsam. Sie war definitiv außer Hörweite gewesen. Das musste ein Zufall sein.
Ich lächelte zu ihr herüber und winkte, sie begann auch zu lächeln und winkte zurück.
Neben mir atmete Yoshi hörbar aus. „Junge, Junge, für ne Sekunde dachte ich, die frisst dich und mich gleich mit, nur weil ich daneben stehe.“
„Halb so wild, halb so wild. Sie weiß es noch nicht, aber in unserer Beziehung habe ich das Kommando“, brummte ich ernst.
„Phh. Die Wetten in Makotos Pool stehen jedenfalls vier zu anderthalb gegen dich, Akira“, murmelte Yoshi und stopfte sich noch eine Fuhre Natto in den Mund.
Ich für meinen Teil würde mir nachher lieber eine Schüssel Ramen mit Krabben und Eiern kaufen.
„So. Makoto wettet schon wieder. Aber diesmal scheint er die Quoten falsch gesetzt zu haben.“ Ich schmunzelte amüsiert. „Er wird schon noch sehen, wer härter ist: Ich oder Megumi.“
„Was soll´s, bei der Quote habe ich natürlich auf den Außenseiter gesetzt“, sagte Yoshi und gab mir einen derben Klaps auf den Rücken. „Also streng dich gefälligst an und verlier nicht. Auch Natto?“
Angewidert wandte ich mich ab. „Bleib mir mit deinen Pilzfäden vom Leib. Ich kann mich auch mit Sake vergiften.“
Yoshi runzelte die Stirn. „Sicher, dass du Japaner bist?“
„Was hat das denn mit Natto zu tun?“, erwiderte ich wütend. „Aber wo du es ansprichst, nein, ein Viertel von mir ist Europäer. Reicht das, um kein Natto essen zu müssen?“
„Eigentlich nicht. Denn was du dir alles an Sushi reinpumpst geht ja auf keine Kuhhaut.“

In einer freundschaftlichen Geste legte er mir einen Arm um die Schulter. „Gehen wir einen Sake trinken, eh? Und nebenbei, mein alter Freund, hast du wirklich deinen Oberstufenabschluss gemacht oder hast du das nur erzählt?“
Ich griente ihn an. „Was denkst du denn?“
Für einen Moment war Yoshi sprachlos. „Du hast gelogen? Eiskalt gelogen? Wow. Du hast also auch eine dunkle Seite, Akira.“
„Natürlich habe ich eine dunkle Seite. War vielleicht ein Fehler zu glauben, ich würde damit durch kommen. Na, wenigstens habe ich eine gut konstruierte Ausrede. Aber wieder die Schulbank drücken zu müssen nervt. Den ganzen Kram lernen und so, nebenbei die ganze Division führen, das wird anstrengend.“
„Aber, aber. Du hast doch noch uns, deine treuen Offiziere. Außerdem hast du einen eigenen Stab. Schon vergessen? Die betteln alle um Arbeit.“
„So kann man es auch sehen“, murmelte ich. „Außerdem muß ich mir ja nur den Stoff erarbeiten, den ich für die Prüfung brauche. Wie lange kann das dauern? Ein Jahr? Ein Halbes?“
„Mindestens ein Jahr. Selbst für ein Genie wie dich, Kumpel.“ Yoshi zwinkerte mir zu und zog mich zu einem Getränkestand. „Zwei Sake. Der hier bezahlt. Nicht wahr?“
„Erpresst du mich hier etwa, mein Freund?“, tadelte ich ihn.
Der grinste mich an. „Aber, aber. Als Divisionskommandeur hast du einfach einen besseren Sold. Ist es verkehrt, wenn man darauf hinweist, Commander, Sir?“
„Witzbold“, brummte ich amüsiert und kaufte den Sake.

Wir saßen etwas abseits und beobachteten, wie die anderen mit Kenji und Eri zusammentrafen – und nun gemeinsam versuchten, aus einem Bottich Goldfische zu fischen. Das sollte angeblich Glück bringen.
Yoshi grinste mich an. „Es war ein langer Weg bis hierher.“
„Ein sehr langer Weg“, erwiderte ich und stieß mit ihm an. Die Portion war klein, aber wir wollten uns ja auch nicht betrinken. Es reichte aber durchaus dafür, um uns in sentimentale Stimmung zu versetzen.
„Ich weiß jetzt endlich warum Zeus seinen Eagle immer alleine gesteuert hat“, brummte Yoshi und betrachtete seine Hände. „Dieses Gefühl, dieses absolute Gefühl, alles um einen herum zu erfassen, auf alles zugleich zu reagieren, die Bewegung des Mechas zu spüren, die Ziele anzuvisieren… Es ist phantastisch.“
Ich grinste den Freund an. „Du beschreibst gerade wie es ist in einem Hawk zu sitzen, mein Freund.“ Mit einem Lächeln beobachtete ich Akari, wie sie siegreich einen Goldfisch in einer Plastiktüte in der Hand hielt. Neben ihr sah Yohko betreten zu Boden, in der Hand fünf Käscher mit Papierfläche, die für dieses Vergnügen benutzt wurden. „Aber ein Eagle ist… Größer, mächtiger, mehr Energie durchpulst ihn. Die Waffen erfordern eine ständige Nachjustierung. Während eines Gefechts ist dies für ein normales menschliches Gehirn, selbst wenn es einen Mecha steuern kann, einfach zuviel. Deshalb hat man sich dazu entschlossen, Pilot und Waffen zu trennen. Nie hat jemand damit gerechnet, dass es einen Menschen geben könnte, der beides schafft.“ Ich sah Yoshi an und zwinkerte. „Oder sogar zwei.“

Missmutig erwiderte der Freund den Blick. „Hör bloß auf. Ich habe die letzten beiden Jahre dafür gebraucht, um so weit zu kommen. Selbst jetzt bin ich nur ein mittelmäßiger Pilot. Und da werde ich wohl auch stehen bleiben.“
„Aber du bist der beste Schütze der Division und du hast überragende Fähigkeiten in der Menschenführung“, konterte ich.
„Ja, weil ich ihnen mit dir drohe, wenn meine Leute einen Befehl nicht ausführen wollen“, scherzte er.
Ich verdrehte die Augen. „Einen besseren Witz hast du nicht drauf?“
„Na, mit Yohko oder Megumi kann ich ihnen ja wirklich schlecht kommen. Manche Männer würden es nicht als Strafe auffassen, wenn…“
„Das geht jetzt vielleicht ein wenig in die falsche Richtung!“, beeilte ich mich zu sagen. „Jedenfalls hast du sehr große Fortschritte gemacht und ich bin sehr stolz auf dich. Makoto hat neulich erst gesagt, dass er nur deshalb aus seinen Eagle geklettert ist, weil du ihn ersetzen kannst.“
Yoshi sah zur Seite. „Ach, was Mako-chan immer redet.“
„Sag mal, wirst du gerade rot?“, neckte ich ihn.
„B-blödsinn“, erwiderte Yoshi und versuchte mich nicht anzusehen.
„Hm. Steckt da vielleicht immer noch was in dir? So ein wenig Bewunderung für Makoto?“
Ich hatte vieles erwartet, aber nicht den klaren und leicht wehmütigen Blick, den Yoshi daraufhin in den Himmel richtete. „Natürlich ist da Bewunderung für Mako-chan. Immerhin liebe ich ihn.“
Er bemerkte meinen entsetzten Blick und winkte ab. „Nicht so, Akira. Nicht so. Eher wie… Wie einen großen Bruder. Ja, großer Bruder. Auch wenn er kleiner ist als ich, er war lange Zeit mein Lehrer und Mentor und ich bin dankbar für jede Stunde, die er auch heute noch mit mir verbringt. Außerdem muß ich dir das doch nicht erzählen, oder? Du liebst ihn doch auch.“
Ich nickte schwer. „Natürlich. Immerhin ist er Familie.“ Ich sah Yoshi ernst an. „Genauso wie du.“
Der Freund schluckte schwer. „Danke“, brachte er mühsam hervor.
Wir schwiegen daraufhin einige Zeit. In der übrigens Joan mit ihrer Band auftauchte, mit Mamoru und Gina im Schlepp. Himmel, das würde Akane aber gar nicht gerne sehen. Die Sache zwischen ihr und Mamoru schlug immerhin noch immer Funken und ich war mir nicht sicher, ob der Brand, der die beiden verbunden hatte, nicht erneut ausbrechen konnte.

„Denkst du manchmal noch daran?“, fragte ich leise.
Yoshi warf mir einen schiefen Seitenblick zu. „Woran? Daran? Daran, dass uns dieser kleine superdeformte Teufel weisgemacht hat, wir wären in ein fiktives Universum versetzt worden?“
Woher wusste er das nur schon wieder? Ernst nickte ich.
Yoshi seufzte schwer. „Jeden Tag und jede Nacht. Ich wache manchmal auf und denke daran, wie ich mein anderes Leben verbracht habe. Ob das was Dai-Kuzo dir gesagt hat wahr ist oder ob drüben in der anderen Welt nicht mein Körper im Koma liegt. Aber ich erinnere mich an dieses Leben leider nur bis zu dem Punkt, an dem das Blondie mit dem Laptop aufgetaucht ist. Haben wir nicht eigentlich das Recht, alles über unsere alten Leben zu erfahren?
Und dann stehe ich manchmal irgendwo im Freien, zwirbele einen Grashalm und bete, bete laut und voll Inbrunst, dass all das wahr ist und wahr bleibt. Das ich dieses Leben nicht verliere. Das ich Yohko nicht verliere. Das wir beide nicht auseinander driften.
Denn ich liebe diesen Ort. Das Leben hier ist so schwer, so unsagbar schwer, aber jeder einzelne Tag, jedes Lachen eines unserer Freunde gleicht das doch aus. Je mehr Mühe ich in diesem Leben habe, desto mehr Freude erwartet mich.
Ich will hier nicht weg, Akira. Selbst wenn alles nur eine große Illusion ist. Hier gehöre ich her. Nicht weil ich hier mehr bin als in dem anderen Leben. Nein, weil mir die Menschen gefallen, die uns umgeben. Ich liebe sie, sie alle. Ich kann nicht ohne sie sein.“
Er musterte mich amüsiert. „Akira, dein Kiefer.“
Überrascht klappte ich ihn wieder zu. „Wow. Du hast gerade meine Gedanken und Gefühle in Worte gefasst.“
Er lächelte schüchtern. „Manchmal frage ich mich, ob wir Kitsune oder Dai-Kuzo nicht fragen sollten, ob sie unsere Erinnerung an das alte Leben auslöschen kann.“
„Aber dann erkennst du, dass es diese Erinnerung ist, die dein Leben hier geformt hat, die dich geformt hat. Das es erst der Schritt war, diese Welt zu akzeptieren und nicht mehr hergeben zu wollen, die dir das erste Mal wirklich bewusst gemacht hat zu leben“, fügte ich leise an.
Yoshi starrte mich an wie einen Oni. „Du hast meine Gedanken und Gefühle gerade in Worte gefasst, Akira.“
Ich winkte ab. „Wir haben uns anscheinend nur die gleichen Gedanken gemacht, hm?“
Wir wechselten einen stummen Blick voller Wissen und Verständnis. Wieder einmal erfuhr ich, warum Yoshi mein bester Freund war. Und warum ich der seine war.
Dieser Rückhalt, den ich nur bei ihm genoss, dieses Vertrauen war etwas sehr besonderes.

„Guten Abend, Division Commander Otomo“, erklang hinter mir eine zuckersüße Stimme. Ich kannte diese Art von Stimmen. Entweder wollten sie etwas haben, oder sich an etwas weiden. Und so wie diese Stimme klang hatte sie vor, mich ausgiebig fertig zu machen und anschließend über meine erbärmlichen Reste zu lachen.
„Hallo, Kapitän“, erwiderte ich ohne mich umzudrehen. Yoshi warf mir einen wissenden Blick zu und machte Anstalten sich zu erheben, aber ich winkte ab.
Ban Shee Ryon, Tochter von Admiral Ryon, dem Anführer der anelphschen Evakuierungsflotte kam um die Bank herum, auf der Yoshi und ich saßen und lächelte uns an.
Es war natürlich ein falsches Lächeln. Die Frau hatte mich echt gefressen und sie ließ keine Gelegenheit aus, um mich zu triezen. Nicht, dass mir das wirklich etwas ausgemacht hätte.
Ich hatte nicht viele Schwachstellen und bisher hatte die Anelph an keiner gerührt.
„Genießen Sie dieses schöne Straßenfest, Commander? Guten Abend, Major Futabe.“
Yoshi erwiderte die Begrüßung mit einem Nicken. Und ich bemerkte verwundert, dass sie meinen besten Freund eher beiläufig beachtete, nicht wie einen meiner engsten Vertrauten und einen der Mitverantwortlichen bei der Enterung der Evakuierungsflotte ihres Volkes.
Anscheinend hasste sie nur mich.
„Ja, das tue ich. Es wird sicher noch mehr Gelegenheiten wie diese geben, aber wenn wir erst einmal im Einsatz sind, steigen die Chancen sie zu verpassen.“ Ich seufzte schwer.
„Aber, aber. Da zweifelt doch nicht etwa jemand an seinen Fähigkeiten?“, tadelte die groß gewachsene Frau mit den braunen Haaren, zog dabei einen Schmollmund und winkte mit dem Zeigefinger, eine Geste, die sie uns Menschen abgeschaut hatte.
„Das würde ich nun nicht sagen. Eher, dass ich mir vorstellen kann, wie die Zukunft aussehen wird. Übrigens steht Ihnen Ihr Yukata ausgezeichnet“, bemerkte ich mit Hinweis auf das mintgrüne Kleidungsstück, welches ihre schlanke Figur betonte und toll zu ihren Augen passte. Es war wirklich erstaunlich, wie sehr sich Anelph und Menschen ähnelten. Und dies nicht nur äußerlich.
„Das sagen Sie doch garantiert zu jeder Anelph im Yukata, Commander“, antwortete sie, „falls Sie sie nicht gerade zum Schein vor ein Kriegsgericht zerren.“

Yoshi wollte sich erheben, aber ich drückte ihn an der Schulter wieder auf die Bank zurück.
„Wie dem auch sei, Kapitän, ich gratuliere zu Ihrer Beförderung und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit. Da Ihr ZULU ZULU…“ „BAKESCH, Commander.“ „Da Ihr BAKESCH das größte Schiff unserer Flotte mit der größten Mecha-Kapazität ist, werden wir wohl des Öfteren zusammen arbeiten.“
„So wird es wohl sein. Falls Sie nicht gerade die Schulbank drücken müssen, Commander“, flötete die Anelph süffisant und legte dann eine Hand auf den Mund, als hätte sie sich über ihre unbewusst ausgesprochenen Worte erschrocken.

Die Katze war aus dem Sack. Oder eben irgendein anderes kleines Anelph-Tier, welches den Part des halb domestizierten, putzigen Raubtiers übernehmen konnte.
„Ach ja, die Schule“, erwiderte ich. „Davor graust mir schon. Ich werde mich tödlich langweilen wenn ich den ganzen Stoff, den ich schon beherrsche, noch mal durchkauen muß.“
Für einen Moment verlor die Offizierin die Fassung. Durch ihr ewiges Dauerlächeln glitt kurz ihre wahre Stimmung. Ein wütendes Funkeln trat in ihre Augen und innerlich präparierte ich mich darauf, dass sie nun stärkeres Geschütz auffahren würde.
„Nun, hätte ein anderer dies gesagt als Akira Otomo, der legendäre Held beider Mars-Feldzüge, Zerstörer des Mars-Mondes Phobos und Eroberer der Anelph-Flotte, dann würde ich das natürlich für Angeberei halten. Aber bei Ihnen, Sir, da fällt es doch überhaupt nicht schwer zu glauben, dass Sie sich eigentlich nur noch das Abschlusszertifikat abholen müssen.
Anstatt wie alle anderen hart und ausdauernd dafür zu lernen und auf dieses schwierige Ziel kontinuierlich hinzuarbeiten.
Aber Sie sind auch in dieser Hinsicht Vorbild, nicht nur in Ihrer Rolle als Commander der Hekatoncheiren-Division. Ich bin sicher, die gut achttausend Kinder und Heranwachsenden im Schulalter an Bord der AURORA werden von Ihrer ehrlichen Leistung und Hingabe für die Schule inspiriert sein.“
Ich schluckte hart. Wie konnte diese kleine tödlich beleidigte Anelph es wagen, mir durch die Blume so eine Gardinenpredigt zu halten? Und wie konnte sie es dann auch noch wagen, Recht zu haben?

Ban Shee spürte natürlich, dass sie getroffen hatte. Und sie schickte sich an, dem Hüllenbruch nachzuhelfen.
„Das reicht jetzt, Ban Shee.“
Ich sah zur Seite und erkannte Kei Takahara, wie er auf uns zukam. Nun, zumindest vermutete ich, dass es Kei war, denn dieses unverhohlen zornige Gesicht und die Wut-Aura, die er vor sich her schob, machten eine Erkennung schwierig.
Ban Shee Ryon sah zur Seite und wurde bleich.
Kei indes trat näher heran und schien sie mit einem Abstand von einem Meter vor sich her zu schieben, bis sie mitten im Strom der Besucher standen, die ebenfalls auf das Straßenfest wollten. Längst nicht alle im Yukata, soviel Stoff würden unsere Fabriken nicht in einem Monat produzieren können. Aber doch ein paar hundert.
„Ich sehe mal davon ab, dass Sie gerade auf einem Freund herum hacken. Auf einem meiner besten Freunde, Kapitän.“, begann Kei seinen Vortrag.
Er war einen halben Kopf kleiner als die schlanke Anelph, aber er schien mit jedem einzelnen Wort, dass er sprach zu wachsen. „Und auch einmal darauf abgesehen, dass der Kooperationsvertrag unserer beiden Völker als erstes die Unterschriften Ihres Vaters und die Akira Otomos ziert… Sie sprechen mit dem Mann, der bereits als Kind in Gefechten stand, die Sie nie erleben wollen. Er griff den Mars zweimal an, wie Sie richtig festgestellt haben. Er wurde entführt, sein Gehirn wurde partiell gelöscht, er musste aus dem Nichts wieder der beste Mecha-Pilot der Erde werden, um seine Familie, seine Freunde und eine ganze Welt zu schützen. Und er war es, der das Legat vernichtet hat. Was Ihr Volk gedankenlos und in Panik verursacht hat!“
Bei Keis letzten Worten schien es letztendlich so, als wäre er tatsächlich größer als seine Erste Offizierin. Sie sah kleinlaut zu ihm hoch, aber seinem wütenden Blick konnte sie nicht lange standhalten.

„Um es abzukürzen, Ban Shee, werde ich jeden weiteren verbalen Angriff auf Akira behandeln als würden Sie mich kritisieren. Und vergessen Sie nicht: Auf der Erde und dem Mars gibt es nicht nur willige Mecha-Piloten um Hekatoncheiren zu ersetzen. Auch einige sehr gute Erste Offiziere.“
Die letzte Spitze saß. Erschrocken sah die Anelph ihren Kapitän an, rang sichtlich um Fassung.
Ich verstand in diesem Moment dass es sich hier nicht um die Fortsetzung der kleinen verbalen Rangelei im Backstagebereich von Joans Konzert handelte, dass es um weit mehr ging als darum, dass sie mich nicht mehr zu triezen versuchte.
Es ging auch darum, ultimativ darum, ob sie Kei wirklich als Vorgesetzten akzeptierte. Als Mann, dessen Befehle sie ausführte und nicht diskutierte.
In einem Gefecht vielleicht die Zehntelsekunde, die ein Schiff retten konnte.
Übergangslos straffte sich die junge Frau. „Ich habe verstanden, Commander.“
Zufrieden nickte Kei. In einer freundschaftlichen Geste legte er eine Hand auf die Schulter der Anelph. „Ich will Ihre Freundschaft und Ihr Vertrauen, Ban Shee. Aber die kann ich nicht erreichen und akzeptieren, wenn Sie einen Mann sabotieren, den ich schätze wie keinen zweiten. Ich kann Vertrauen nicht subtrahieren. Nur addieren.“
Die beiden tauschten einen langen Blick aus.
Dann endlich nickte die Anelph erneut. „Ja, Sir.“
„Sagen Sie Kei zu mir, wenn wir nicht im Dienst sind, Ban Shee.“
Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ja, Kei.“

Dies war der Moment, in dem ein Bann gebrochen zu sein schien. Die zwei lächelten sich an und ärgerlicherweise wusste ich plötzlich, dass sie nicht aufhören würde mich zu triezen. Es würde nur eine neue Qualität erreichen.
Aber das war es auch gar nicht, was Kei hatte erreichen wollen.
„Vielleicht trinken wir nachher mal was zusammen“, bot Kei an.
„Ich bin gerade erst gekommen“, erwiderte die Anelph. „Es gibt sicher die Gelegenheit dazu, Kei.“
„Gut. Gehen Sie ruhig schon mal vor. Ich habe mit Akira noch etwas zu besprechen.“
Ban Shee Ryon nickte, warf mir noch mal einen bösen Blick zu – obwohl er bei weitem nicht die Intensität ihrer üblichen bösen Blicke erreichte – und verschwand im Menschengewirr.
Kei seufzte tief und setzte sich neben mich.
„Sie hat aber Recht, Akira“, sagte er betont leise. „Mit hingehen, Prüfung machen und wieder verschwinden ist es nicht getan. Vergiss nicht, wenn du in diese Schule gehst, wirst du mit Gleichaltrigen lernen. Du musst ihnen ein Vorbild sein. Sowohl was das lernen angeht als auch was deine sozialen Kontakte betrifft. Auf der AURORA ist es so leicht zum Außenseiter zu werden. Und bei weitem schlimmer als auf der Erde. Mach dich also nicht selbst zu einem und dulde es nicht bei anderen.“
„Na danke“, brummte ich unwirsch. „Ich wollte eigentlich nicht wirklich ein ganzes Jahr durchziehen.“
„Da wirst du wohl nicht drum herum kommen. Hey, Sakura-chan! Tetsu-kun!“ Yoshi erhob sich und winkte meiner Cousine und dem Kommandanten der AURORA zu.
Der ehemalige Ganganführer und die von der UEMF eingesetzte Expeditionsführerin gingen nebeneinander durch das Gewirr der Straßen.
Misstrauisch beäugte ich die Szene. „Ist es mit ihr und Thomas wirklich aus?“, fragte ich ernst. „Ich meine, nichts gegen Tetsu. Er hat wirklich gute Arbeit geleistet und die LOS ANGELES hervorragend geführt. Und ich erwarte für die AURORA zumindest die gleiche Leistung. Aber…“
„Nur weil Thomas nicht an Bord ist heißt das noch lange nicht, dass Sakura nun auf Tetsu abfährt“, erwiderte Yoshi burschikos. „Außerdem würde es mich nicht stören. Ich weiß ja, dass Tetsu ein feiner Kerl ist.“
„Na, danke“, seufzte ich und erhob mich. Kei stand ebenfalls auf und zusammen gingen wir auf die zwei zu.
„Da fällt mir ein, hat eigentlich schon jemand Mizuhara-sempai gesehen? Er soll seit einigen Tagen an Bord sein, aber ich habe ihn noch nicht beim Sparrow-Training gesehen.“
„Woran du alles denkst“, tadelte Kei. „Dies ist ein Fest. Hat das keinen Vorrang bei dir?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Reine Vorsichtsmaßnahme. Bei Takashi weiß man eben nie, woran man ist. Wenn man sich nicht vorsieht, taucht er direkt hinter einem auf und…“
Ängstlich warf ich einen Blick hinter mich. Nein, dort lauerte kein Takashi Mizuhara, um mich wieder einmal in einen wirklich fiesen Doppelnelson zu nehmen.

Erleichtert sah ich wieder nach vorne, hatte zusammen mit Kei und Yoshi Sakura fast erreicht – und sah wieder nach hinten.
Tatsächlich, ich wurde verfolgt. Und das auch noch auf eine sehr plumpe Art und Weise, mit nur drei Schritt Abstand.
Ich wandte mich ganz um, was dazu führte, dass meine drei Verfolger – Verfolgerinnen, wohlgemerkt – abrupt stehen blieben.
„Ja, bitte?“, fragte ich trocken.
Verlegen sahen die drei weg, bis sich die Mittlere ein Herz fasste. „Commander, ich bin…“
„Second Lieutenant Amanda Leary aus dem Briareos-Regiment. Ich hatte Ihre Akte auf meinem Tisch, weil Sie eine Abschusskandidat waren“, stellte ich fest. Ich musterte die anderen beiden Frauen, aber bei ihnen klingelte es nicht gerade. Kannte ich sie überhaupt?
Die junge Frau senkte betroffen den Kopf. „Ja, Sir, das ist korrekt. Ich bin Leary. Sie haben mir gedroht, mir meine Sektion wegzunehmen und mich zurück zur Erde zu schicken. Ich... Ich war eine der Freiwilligen für den zweiten Marsangriff und habe die Endschlacht um Martian City auf meinem Hawk mitgemacht.
Nachdem ich so hoffnungsvoll zur AURORA und der Mission Troja aufgebrochen war, da war ich der festen Meinung, ich wäre bereits die Elite, die Sie sich für die Hekatoncheiren-Division erhofften. Ich dachte, ich stände an einem Platz, von dem aus es nur noch aufwärts geht.
Doch dann kam Ihr Tadel und ich war nahe daran, selbst meinen Rücktritt einzureichen. Ich, eine der besten Pilotinnen der Erde, nach Hause geschickt, nein, das war undenkbar.
Aber da war diese Übung, in der Sie alleine gegen alle Hekatoncheiren antraten und auch noch gewonnen haben. Da fragte ich mich, ob es richtig gewesen war, ob dieses Verhalten nicht eigensinnig gewesen war und im Ernstfall die ganze Mission gefährdet hätte.
Ich begann, darüber nachzudenken, und bevor ich mich versah, hatten Sie und ich die Plätze getauscht und ich hatte erkannt, dass ich mit meinem Verständnis von Elite selbst die Gefahr war. Das ich meine Leute und meine Division mit dieser Einstellung in Gefahr gebracht hätte.“
Ich schwieg bestürzt. Ich hatte keine Offenbarung erwartet. Eher noch einen verbalen Angriff.
„Was ich sagen will“, druckste sie verlegen und sah zur Seite, „ist, danke.“

Ich legte eine Hand an meine Stirn und senkte den Blick. Übergangslos hatte ich Kopfschmerzen. Da war doch nicht etwa jemand heute freundlich zu mir?
„Was wollen Sie wirklich, Lieutenant? Nur sich bei mir bedanken, weil ich Sie wach gerüttelt habe?“
Wieder druckste die junge Frau verlegen. „Nein, auch, aber nicht nur. Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, haben wir das gleiche Alter, Commander Otomo und…“
Unwillkürlich erwartete ich, dass in diesem Moment Megumi aus der Menge aufschaute, ihre Augen in ein dämonisches Leuchten getaucht wurden und sie eine halbe Sekunde später an meinem Arm klebte, um ihr Revier zu markieren.
„Und?“, fragte ich ernst.
„Und ich weiß, dass Sie wieder in die Schule müssen, weil etwas mit Ihrem Abschluss schief gelaufen ist. Ich… Ich bin direkt aus meiner Mittelschule zum Militär gekommen und von dort aus erst in die UEMF und dann in einen Hawk.
Ich meine, im Gegensatz zu Ihnen war ich nie auf der Oberstufe. Aber wenn Sie noch einmal die Schulbank drücken, ich meine, mit dem Tadel hatten Sie ja schon Recht, warum dann nicht auch mit der Schule? Ich werde auch wieder in die Schule gehen und mir meinen Abschluss holen.
Ich weiß nicht, ob ich so schnell sein werde wie Sie, Sir. Aber ich verspreche, dass meine Arbeit in der Hekatoncheiren-Division nicht darunter leiden wird.“
Überrascht blinzelte ich zwischen den Fingern meiner Rechten hindurch. Na, das war doch mal eine Aussage.
„Das freut mich zu hören, Leary. Das bedeutet, wir sind wohl ab nächster Woche Schulkameraden. Kommen Sie auch ins letzte Jahr?“
Die junge Frau errötete. „Nun, ich versuche es im dritten Jahr. Aber ich bin nicht zu stolz, um notfalls ein Jahr zurück zu gehen und den ganzen Stoff noch mal aufzuarbeiten!“
Ich nahm die Hand ganz ab und sah in ihre großen, vor Entschlossenheit und Verlegenheit strahlenden Augen und musste lachen. Ich lachte einfach, laut und herzlich. War denn heute der Tag der Predigten? Und warum musste jede einzelne nur so verdammt gut sitzen?

Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, wischte ich mir ein paar Tränen von den Wangen und lächelte die Pilotin an. „Seien Sie unbesorgt, Leary, ich lache nicht über Sie. Ich lache über mich. Was war ich doch nur für ein Narr die ganze Zeit. Eine so wichtige Sache wie die Hochschulreife sollte man nur mit der gebotenen Ernsthaftigkeit in Angriff nehmen. So gesehen haben Sie meinen vollen Respekt für das Wagnis, dass Sie eingehen.“
Ich reichte ihr die Hand. „Wollen wir beide unser Bestes geben?“
Die Hawk-Pilotin zögerte einen Moment, dann aber ergriff sie meine Hand mit beiden Händen und drückte sie. „Ja, Sir!“, rief sie erleichtert und lachte dazu.
Ich schmunzelte. Und fühlte mich für einen Moment wirklich wohl. Hatte ich die Schule bisher als notwendiges Übel gesehen, dass ich auf meinem Weg zum Division Commander in Kauf nehmen musste, so war es nun anders geworden. War ich ein Vorbild? Ja. Und dieser Rolle musste ich gerecht werden. Sowohl für die Hekatoncheiren als auch für die Schüler der Fushida Schule. Und für die anderen Soldaten und Zivilisten an Bord der AURORA.
Hatte ich das gewollt? Hatte ich irgendetwas davon gewollt? Nun, ich hatte mich freiwillig und aus vollem Herzen für diese Welt entschieden.

„Entschuldigen Sie, ich bin unhöflich. Ich habe gar nicht nach den Namen Ihrer Begleiterinnen gefragt, Lieutenant.“
Die junge Frau errötete. „Das sind Private Adrian Leslie von Briareos First Head Third Arm und First Lieutenant Sascha Andropova von der Panzerabteilung. Sie gehören zu… Nun, meiner Klasse. Sie holen auf der AURORA ebenfalls ihre Abschlüsse nach.“
„Das scheint ja eine lustige Truppe zu werden“, erwiderte ich lächelnd. „Wäre vielleicht ganz nett, wenn ich auch in Ihre Klasse käme.“
Übergangslos spürte ich eine bedrohliche Präsenz hinter mir und dachte unwillkürlich daran, Megumi könnte zurückgekehrt sein und meine Worte fehl interpretiert haben.
Aber als ich mich umwandte, sah ich in ein von blonden Haaren eingerahmtes, lächelndes Gesicht, dass sofort sämtliche Alarmanlagen in meinem Kopf in voller Lautstärke aufläuten ließ.
„Natürlich wird es eine lustige Truppe werden. Immerhin habe ich mich dazu entschlossen, einen Teil meiner spärlichen Freizeit zu opfern, um dich in deinem Bemühen zu lernen zu unterstützen, Akira-chan.“
Ich spürte wie mir das Blut aus dem Kopf sackte und kaltes Grausen von meinem Magen ausgehend den ganzen Körper erfasste. „Das… ist gut, Sakura-chan“, hauchte ich mit einer rauen Stimme, die ich kaum als meine eigene wieder erkannte.
Plötzlich hatte ich zwei Finger im Mund, die meine Mundwinkel schmerzhaft auseinander zogen. Auf Sakuras Stirn pochte eine große Ader und sie sah mich mit einem Blick an, wie er kaum mörderischer sein konnte. „Du weißt meine Bemühungen um deine Bildung und um deinen Abschluss hoffentlich zu schätzen, Akira-chan?“
„Gargl“, machte ich.
Der wütende Blick verschwand und machte einem Lächeln Platz. „Gut. Da das geklärt ist, mein Lieblingscousin, können wir uns ja wieder dem Fest widmen. Und Sie, meine Damen“, sagte Sakura in Richtung der drei jungen Frauen, „können sich schon mal auf meinen Unterricht freuen.“
Aufgeregtes Raunen antwortete ihr.
„Ist irgendetwas?“, fragte Sakura mit einem wirklich liebenswerten und gefährlichen Lächeln nach.
Alle drei hoben abwehrend die Hände und lächelten gequält. „Nein, nein, Sensei. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit“, erwiderte Leary.
„Na dann ist ja gut.“

Ich fühlte mich am Kragen meines Yukata ergriffen und davon geschleift.
„Das ist nun wirklich übertrieben, Sakura-chan“, beschwerte ich mich, während ich mehr oder weniger hinter meiner Cousine herstolperte.
„Ist es nicht. Denn du wirst jetzt am Gesangswettbewerb teilnehmen, mein Lieblingscousin.“
Ich startete sofort mit einer Fluchtreaktion. Scheiterte aber einerseits an Sakuras festem Griff und andererseits an Megumi, die mich abfing und nun ebenfalls begann, mich mitzuziehen.
Dazu lächelte die kleine Verräterin so süß, dass mir beinahe warm ums Herz geworden wäre, wenn sie mich nicht in meine persönliche Nemesis geführt hätte.
„Ich will nicht…“, begehrte ich auf. Als Antwort verstärkte sich der Griff um meine Arme und zwei Hände begannen mich von hinten zu schieben.
„Ihr seid viel zu lasch. So muß man das machen“, hörte ich Yoshi sagen. „Fünf Jahre Erfahrung darin, Akira zum Karaoke zu schleifen.“
„Warum wollt Ihr mich nur alle dauernd zu diesem dämlichen Rumsingen schleifen?“
Die drei hielten an. Ich fühlte mich übergangslos von mehreren Dutzend Blicken fixiert.
Dann brach lautes Gelächter aus, das eindeutig auf meine Kosten ging.
„Ich glaube“, japste Yoshi atemlos, „das hat er wirklich ernst gemeint.“
Wieder wurde gelacht.
„Das war keine Antwort auf meine Frage“, murrte ich.
**
„Der Sonnenuntergang ist wirklich schön“, hauchte Megumi neben mir und sah mit mir dabei zu, wie die holographische Projektion auf der Backbordseite der AURORA über dem Serenity-Meer langsam versank. Dabei tauchte die Sonne das Meer und die Poseidon-Station in herrliches rotes Licht. Ein wirklich wundervoller Anblick.
Ich lächelte leicht, als sie ihren Kopf gegen meine Schulter sinken ließ. Diese Momente, diese wenigen Momente waren es, die unsere Beziehung so wundervoll machten. Die Momente alleine, ohne Freunde und Familie. Egal wie sehr ich die ganze Bande mochte, ja liebte, Zeit für mich und Megumi alleine gab es dabei viel zu selten – wenn man mal von nicht gerade wenig Zeit in der Nacht absah. Aber da hatten wir selten Gelegenheit, um still beieinander zu sitzen, ein wenig zu reden und einfach nur etwas Wunderschönes zu betrachten.

Über uns fuhr eine Rakete in den Himmel über der Stadt und zerplatzte in einer farbenfrohen Aureole. Dutzende folgten und tauchten den Himmel in rot, blau, gelb, grün und orange.
Das für den Abend versprochene Feuerwerk begann. Unwillkürlich zog ich Megumi noch enger zu mir heran. Wir hatten bestenfalls noch ein paar Minuten, bevor die anderen uns fanden – selbst hier oben auf einem Hausdach, drei Blöcke vom Straßenfest entfernt. Die wollte ich einfach nur mit ihr genießen.
„Wunderschön“, hauchte sie neben mir.
„Ja, das ist ein tolles Feuerwerk“, erwiderte ich.
„Ich meinte nicht das Feuerwerk“, hauchte sie.
Überrascht sah ich sie an. „Das war eigentlich mein Text.“
„Das hast du mir damals gesagt, auf dem Dach des Treppenhauses, weißt du noch? Ich bin vor dir weg gelaufen und du… Du hast dich neben mich auf dieses Dach gelegt und gesagt: Wunderschön. Damals wollte und konnte ich dir nicht glauben.“
„Ja, ich musste erst sterben, damit du mir glaubst. Und damit ich selbst wirklich und wahrhaftig weiß, was ich für dich fühle.“
Ich erwartete eine trotzige, eine wütende Reaktion auf meine Worte. Stattdessen sah sie mich nur mit feucht schimmernden Augen an und berührte meine Wangen mit beiden Händen. „Akira…“, hauchte sie mit tränenschwangerer Stimme.
Ich spürte ihren sanften Kuss wie eine heiße Flamme auf meinen Lippen, fühlten ihren Körper, der sich an mich drängte mit all der Zartheit und Wärme und wusste um die ganze Liebe, die in diesem einen Wort steckte. Nein, eigentlich mehr in der Betonung. Und das machte mich glücklich, so unendlich glücklich.

Sie beendete ihren Kuss nur zögerlich und sah mich an. „Akira. Damals auf dem Mars, ich… Ich wäre beinahe gestorben. Ich dachte, du verlässt mich. Das hätte ich nicht ertragen.“
Ihr Kopf sank gegen meine Brust. „Das hätte ich nicht überlebt, Akira. Das hätte ich nicht überleben wollen.“
Ich schloss meine Arme um sie. „Dummkopf. Welchen Sinn hat es für dich zu sterben, wenn du nicht weiterleben willst?“
„Ich will ja weiterleben. Aber nicht ohne dich.“
Sanft streichelte ich über ihre Wange. „Megumi, du weißt, wie sehr ich dich liebe. Und ich weiß wie sehr du mich liebst. Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich diese Mission überlebe. Ich kann dir nur versprechen, dass ich die Zeit für uns beide glücklich mache. Falls ich sterben sollte, dann hat es hoffentlich einen tieferen Grund, einen größeren Sinn. Und dann bleibst nur du, um meinen Willen auszuführen und die Expedition sicher nach Hause zu bringen. Es gibt keinen Menschen, dem ich so sehr vertraue wie dir. Kannst du mir das versprechen, dass du überlebst, auch wenn ich sterbe?“
Von meiner Brust aus sah sie mir in die Augen. „Moment mal, Herr Akira. Was ist, wenn es mich erwischt? Was ist, wenn ich sterbe? Wer führt dann meinen Willen aus, he? Lebst du dann für mich weiter?“
Ich wollte lachen und antworten. Doch ich konnte es nicht. Übergangslos steckte mir ein Kloß im Hals. „Ich weiß es nicht“, hauchte ich.
„Ach komm schon, Akira. Ich verspreche dir, dass ich weiterleben werde. Aber was ist mit dir?“
Sanft küsste ich sie auf die Stirn. „Ich werde deinen Willen ausführen und diese Expedition nach Hause bringen. Aber erwarte nicht, dass ich jemals ohne dich glücklich werde.“
„Na, das wäre ja noch schöner“, brummte sie, rutschte auf meinen Schoß und schmiegte sich an mich.

Über uns zerplatzte die zweite Welle Feuerwerk und tauchte die Stadt beinahe in taghelles Licht. Ein wirklich schöner Anblick, wie ich fand. Dazwischen leuchteten die ersten projizierten Sterne auf. Wir hatten uns bei der Planung dazu entschlossen, den Menschen nicht irgendeinen Sternenhimmel in der Nacht vorzugaukeln, sondern ihnen die Sterne zu zeigen, die sie auch von der Außenhülle der AURORA gesehen hätten.
Doch im Moment hatte sich da nicht viel verändert. Bis auf die Planeten waren alle Fixsterne an ihrem Platz. Ich war aber schon sehr gespannt, wie dieser Himmel aussehen würde, wenn wir Alpha Centauri erreichten.

Vor meinem Gesicht tauchte eine volle Flasche Sake auf. „Auch was?“
Ich sah zur Seite und blickte in Mamorus grinsendes Gesicht. „Du störst.“
„Schon klar, schon klar, Kumpel. Aber ich bin nur das kleinere Übel. Denn jede Sekunde kommen hier Akari und Ami an. Da dachte ich mir, ich warne euch beide besser vor.“
Ich seufzte tief. Unser gemeinsamer Moment war vorbei.
Megumi seufzte ebenso tief und rutschte wieder von meinem Schoß. Sie warf mir einen letzten wehmütigen Blick zu, fügte einen kurzen Kuss an und griff nach der Flasche.
„Hey“, protestierte Mamoru. „Das ist nur was für die Männer. Warte auf den Sekt.“
„Rede nicht, gib her“, erwiderte sie und trank einen kurzen Schluck.
„Akira-chan“, erklang eine fröhliche Stimme vom Dachrand. Nacheinander erklommen mehrere Personen das Dach über die Feuerleiter. Vorweg natürlich Akari, die sich zwischen Mamoru und mir zu Boden sinken ließ. Dazu gesellten sich Yoshi, Makoto, Kei, diesmal aber ohne Ban Shee, Doitsu und Hina, die aus unerfindlichen Gründen ihre Beziehung wieder belebt hatten, Ami und Eri, die Kenji im Schlepp hatten sowie Joan und Ai-chan, die mittlerweile so etwas wie ihr Mündel geworden war – so oft wie die beiden zusammen waren.
Irgendwann hörte ich auf, die Leute mit Namen aufzuzählen. Stattdessen freute ich mich plötzlich, dass sie alle zusammen gekommen waren.
Okay, etwas ärgerlich war ich schon, immerhin bedeutete diese Massenansammlung in erster Linie eine Stabilitäts- und Partytauglichkeitsprüfung für das Dach und zweitens das Ende von Megumis und meiner kleinen Auszeit. Aber meistens liebte ich es, wenn das Leben um mich herum brodelte.
„Akira-chan“, hörte ich Kitsune rufen, bevor sie mir von hinten um den Hals fiel. „Wir haben euch schon vermisst.“
„Sie hat euch vermisst und wollte schon Suchtrupps ausschicken“, kommentierte Okame-tono und setzte sich vor uns, in der Hand eine Flasche Sake, „aber zum Glück hat Kurosz-tono gesehen, wohin Ihr gegangen seid.“
Suchend glitt mein Blick über die Anwesenden und erkannte schon bald den Ausbilder aus dem Briareos-Regiment. Übrigens zusammen mit diesem halbherzigen Anwärter, den ich auch fast nach Hause geschickt hätte. Außerdem gefielen mir die Blicke nicht, die er Megumi zuwarf, wenn er meinte dass ihn niemand beobachtete.
Aber zugegeben, beide hatten großes Potential.
„Ist das zulässig?“, hörte ich Sakuras wütende Stimme von der Leiter. Sie kletterte auf das Dach, Tetsu dicht hinter sich. „Hier eine Party zu machen – ohne uns?“
Lautes Gelächter und Zustimmung antworteten ihr.
Und langsam machte ich mir wirklich Sorgen um die Stabilität des Daches.
Zugegeben, für einen winzigen Moment.

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2.
Der große Moment war atemberaubend, aber dann auch wieder so schrecklich banal.
Die AURORA verfügte über genau zwei Schwerkraftsysteme. Das eine System, die Basis, war im fünfhundert Meter starken Boden des gigantischen Felsen verankert worden.
Dort sorgte es für eine permanente simulierte Schwerkraft von einfacher Erdschwere. Ironischerweise gab es aber Regionen auf dem Boden der AURORA, an denen die Schwerkraft stellenweise nur ein dreiviertel der Erdschwere, ein Gravo genannt, erreichte.
Doch das lag einfach in der Natur des Schwerkraftgenerators.
Der zweite Generator war in den Bug des natürlichen Gebildes eingebaut und nahm in diesem Augenblick seine Arbeit auf.
Wir würden den Felsen hart beschleunigen müssen, um ihn in annehmbarer Zeit bis auf die Jupiterbahn zu bringen. Nur dort konnten wir den Sprung nach Alpha Centauri wagen, ohne durch den Riss in der Raumzeit große Schäden auf den bewohnten Planeten des Systems zu riskieren, Schockwellen gleich.
Bei dieser Beschleunigung aber würden enorme Kräfte auf die Steinhülle wirken. Dem wirkte der Gravitationsgenerator entgegen.
Das Prinzip dieser Maschinen war relativ simpel, wenn man es erst einmal erkannt, ausgetestet und installiert hatte.
Im Bug und im Boden des Schiffs verliefen die Bahnen gigantischer Partikelbeschleuniger. Dort wurde jeweils eine bestimmte Masse bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit gebracht und mittels Magnetkräften in einem geschlossenen System gehalten. Nahe der Lichtgeschwindigkeit potenzierte sich diese Masse auf ein Vielfaches des alten Wertes, zog damit die Materie in seiner Umgebung an. In unserem Fall jagte diese Masse durch eine Art Oval im Boden der AURORA und erzeugte somit die von uns gewohnte Gravitation.
Das gleiche Prinzip galt im Bug, doch war es hier etwas komplizierter. Beschleunigung war immer gleich zu setzen mit Masseaufbau. Sprich, je mehr ein Schiff beschleunigte, desto höher wurde die eigene Masse und die damit verbundene Schwerkraft, in diesem Fall Andruck genannt.
Um zu verhindern, dass einerseits die strukturelle Integrität der AURORA geschädigt wurde und andererseits die Bevölkerung des Schiffs plötzlich auf dem Heck leben musste, weil sich die Stadt um neunzig Grad gekippt hatte, wirkte der Buggenerator genau entgegen der Masse, welche die Beschleunigung im Heck erzeugte.
Gravitation war ein Fallen auf ein bestimmtes Objekt zu. Das Prinzip der Gravitation war ein gegenseitiges Fallen. Ich fiel auf den Boden der AURORA zu, was ich als Gravitation verspürte. Gleichzeitig aber fiel die AURORA minimal auf mich zu. Bei der Beschleunigung wirkten genau diese Kräfte. Einerseits die Kraft im Heck, andererseits die Kraft im Bug. Beide Kräfte ließen mich fallen, hielten sich aber die Waage. Somit hoben sie sich gegenseitig auf. Die einzige Kraft, die auf mich wirkte war der Bodengenerator und somit die normale Schwerkraft.

Es war lange Zeit umstritten gewesen, ob der riesige Felsen ausreichend verstärkt worden war, um die Beharrungskräfte auszuhalten. Doch als sie langsam auf tausend Meter pro Sekunde beschleunigte, war allen klar, dass wir es geschafft hatten.
Es gab keinen Jubel, keinen Applaus. Nur die nüchterne Nachricht in den Medien, dass sich die AURORA wie erwartet erfolgreich in Bewegung gesetzt hatte.
Ich grinste schief. Nichts anderes hatte ich erwartet.
Deshalb hatte ich die Nachrichten auch nicht Zuhause verfolgt sondern in der Innenstadt vor einem Shop für Fernseher.
Nachdenklich lüftete ich meinen Kragen. Wieder in einer Schuluniform zu stecken war ein merkwürdiges Gefühl. Die UEMF-Uniform erschien mir viel wichtiger zu sein, wie eine zweite Haut zu passen. Der Mandarinkragen der Jacke bereitete mir doch einige Mühe.
Ärgerlich stellte ich das zerren ein und machte mich auf den Weg zur Schule.
Vielleicht hätte ich mich doch etwas mehr anstrengen sollen. Vielleicht hätte ich mich nicht verkriechen dürfen. Vielleicht wäre Vater bestechlich gewesen…
Aller Müßiggang half nichts. Ich hatte eine Aufgabe und nahm sie wahr.
Megumi hatte drei Jahre lang das Doppelleben als Offizier und Schülerin geführt, und das während eines Krieges. Da konnte ich, Akira Otomo ja wohl ein lächerliches Jahr zur Schule gehen und nebenbei eine Division Mechas führen, oder?
Nachdenklich strich ich mir über die Haare. Die weiße Farbe wuchs langsam raus und machte dem normalen dunkelblonden Haarton Platz, den ich Mutter verdankte. Aber im Moment sah ich aus wie ein Stachelschwein. Ein sehr amüsanter Gedanke.
Das weiße Auge, das durch den Säureangriff beinahe blind war, hatte ich mit einer Sonnenbrille abgedeckt. Ich wollte den jungen Leuten, die mich die nächste Zeit umgeben würden, nicht gleich zu Anfang einen solchen Schrecken einjagen.
Und eines Tages, wenn mich die Gedanken an meine Schuld nicht mehr so sehr plagten, bat ich vielleicht Kitsune-chan darum, das Auge zu heilen.
Obwohl, irgendwie wirkte ich cool.
Mit einem Grunzen schob ich diesen Gedanken beiseite. Die Aufgabe, die auf mich zukam würde schwer genug werden. Ich würde sehr viel nachholen müssen, denn ich fing im letzten Jahr an, mir fehlten aber die Vorbereitungen aus dem zweiten Jahr für die Fächer, auf die ich mich konzentrieren wollte. Dieses Wissen musste ich mir erarbeiten. Und das würde ein ganz schöner Brocken sein, an dem ich da kauen würde.

Je näher ich der Schule kam, desto mehr junge Menschen und Lehrer waren auf den Straßen zu sehen. Zwei Linien der Magnetbahn hielten beinahe in direkter Nähe und brachten mehrere hundert Schüler. Zusammen mit denen, die bereits im Gebäude sein mochten und jenen auf dem Weg waren dies gut viertausend. Fünftausend sollten es sein, verteilt auf dreizehn Klassen, die Vorschule mal nicht mit eingerechnet.
Fünftausend Kinder und Heranwachsende aus siebzig Nationen, neunzehn Religionen und allen drei ethnischen Grundtypen.
Und alle begrüßten sich freundlich, gingen sehr höflich miteinander um und schienen sich auf das Sommersemester zu freuen.
Nur ich fiel in diesem Haufen natürlich auf wie ein Uniformierter im Kindergarten.
Ich war nicht gerade rücksichtslos, als ich mir meinen Weg in die Schule bahnte. Aber ich zeigte meine mürrischste Miene und vermied es, andere anzusehen. Was schwierig war, denn mehrere hundert Blicke ruhten auf mir.
Ich ignorierte das so gut es ging, kam in das Gebäude, stellte verwundert fest, dass es keine Schuhboxen gab und man anscheinend in Straßenschuhen durch das Gebäude gehen sollte…
Westler.

Ich erreichte meine Klasse, trat ein und erstarrte für einen Moment. Zwölf Paar Augen wandten sich mir zu und musterten mich mit unverhohlener Neugier. Halb hatte ich erwartet, dass die drei Soldatinnen vom Fest gestern in meiner Klasse waren. Doch die zwölf Gesichter, sieben Mädchen und fünf junge Männer, kannte ich nicht.
Der Raum war großzügig ausgelegt, es hätten sicher dreißig oder mehr hinein gepasst. Aber es war nur noch ein Tisch frei.

„Morgen“, grüßte ich trotz meiner schlechten Laune, aber ohne wirkliche Begeisterung, während ich meine Tasche auf den freien Platz ablegte.
Danach sah ich in die Runde. „Ich bin Akira Otomo. Wer möchte, kann mich Akira nennen. Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus.“
Stille antwortete mir und ich fragte mich, ob ich vielleicht zu mürrisch, zu abweisend auf sie gewirkt hatte.
„Äh“, machte ich leise und sah peinlich berührt weg. Was für ein toller Start.
„Akira-chan.“
Verdutzt sah ich wieder auf. Was? Wurde etwa jemand so schnell mit mir familiär?
Eine der jungen Frauen erhob sich von ihrem Pult, kam herüber und unterband gerade noch den Versuch, vor mir zu salutieren. „Second Lieutenant Mareike Koopman, Briareos, Stabsdienst. Ich war mit Ihnen auf dem Mars und habe in der Koordination gedient.“
„Freut mich. Darf ich Sie Mareike nennen? Second Lieutenant ist doch etwas zu lang.“
Na das war ja zu erwarten gewesen. Ein oder zwei Veteranen sollte es wohl in jeder Klasse geben.
Damit hatte die junge Frau einen Bann gebrochen und auch die anderen begannen ihre Namen zu nennen. Etwas zu schnell für mich um wirklich mitzukommen.

„Ruhe, bitte!“, erklang von vorne eine bekannte Stimme.
Ich zwinkerte überrascht. Einmal, zweimal. Nein, ich irrte mich nicht. Die Frau, die dort vor mir an der Tafel stand und offensichtlich die Lehrerin war… Es war Akane.
„Wie Ihr sicher gemerkt habt, sind die Klassen hier recht klein. Die Kapazität der Schule liegt bei fünfzehntausend Schülern. Im Moment aber kommen auf jeden Klassenraum im Schnitt ein Lehrer und neun bis vierzehn Schüler.
Mein Name ist Akane Hazegawa. Ich studiere und werde hier zehn Stunden die Woche als Hilfslehrer für Physik, Sprachen und Mathe arbeiten. Ich war ebenfalls mit Akira-chan auf dem Mars und ich hoffe, wir alle kommen gut miteinander aus.“

Ich grinste schief. Na Klasse. Das fing ja wirklich gut an. Akane gab die seriöse Lehrerin und nannte mich gleich im ersten Atemzug chan. Fehlte nur noch, dass…
„Wie gesagt, ich helfe hier zehn Stunden die Woche aus. Darf ich euch nun euren Klassenlehrer vorstellen…“
Sie sah zur Seite, wo sich die Tür öffnete.
Wer würde es sein? Mamoru vielleicht? Takashi-sempai? Oder noch schlimmer, Makoto im Minirock?
Nun, es war ein Minirock, aber die Beine gehörten definitiv nicht Makoto.
„Guten Morgen, Klasse“, sagte eine gut gelaunte Sakura Ino und lächelte in die Runde. „Ich bin für dieses Jahr eure Klassenlehrerin. Ich teile mir diese Aufgabe aber weitestgehend mit Hazegawa-sensei, weil ich nebenbei noch die AURORA-Kampfgruppe befehligen muß.
Und ja, ich mache es, weil mein Cousin in dieser Klasse ist.
Auf gute Zusammenarbeit.“
Sakura lächelte in die Runde und gegen meinen Willen wurde mir warm ums Herz. Mein Cousinchen war eben immer noch die Alte. Und eine der liebenswertesten Personen, die ich kannte. Wenn man mal von ihrem Hang zur brutalen Gewalt absah.
Mein Nachbar, Miguel Santos oder so, klopfte mir grinsend gegen die Schulter. „Akira-kun, wir werden sehr gute Freunde.“
Die Worte hätten mir mehr bedeutet, wenn er meine Cousine nicht zuvor mit seinen Blicken regelrecht ausgezogen hätte…

3.
„O-nii-chan!“
Erschrocken wäre ich beinahe von meinem Stuhl gerutscht, auf dem ich gerade ein wenig kippelte. Dafür biss ich ein Stück meines Bleistifts ab. Ein widerlicher Geschmack.
Akari kam in den Klassenraum und stellte sich vor meinen Tisch. In der Hand hielt sie ein in ein Tuch eingewickeltes Päckchen.
Sie kniff die Augen zusammen und lächelte mich honigsüß an. „Du bist heute Morgen so schnell aufgebrochen, ich hatte gar keine Zeit, dir dein Mittagessen mitzugeben.“
Überrascht sah ich sie an. Sie trug die gleiche Uniform wie die Mädchen meiner Klasse. Das bedeutete, dass sie definitiv in der Oberstufe war. Ein gutes Jahr zu früh, wenn man mal davon absah, dass sie eigentlich vierhundert Jahre alt war.
Aber die Uniform stand ihr gut, sehr gut sogar. Wenngleich ich mir als großer Bruder wünschte, dass der Rock etwas länger wäre – so ein bis zwei Meter.
Ich ergriff das Päckchen. „Danke, Akari-chan. Aber ich hätte mir doch was aus einem Automaten ziehen können.
Die ehemalige Oni zog einen Schmollmund. „Du kannst doch nicht nur von Zucker und Kaffee leben, Akira. Du musst was Gesundes essen. Außerdem habe ich das alles selbst gemacht. Ich hole die Box nachher wieder ab und wehe, es ist noch etwas drin.“
Sie drohte mir gespielt mit dem Zeigefinger und zwinkerte mich an. Danach verließ sie den Klassenraum wieder.

Erst nach einiger Zeit fiel mir die absolute Stille im Raum auf.
Und die zwölf brennenden Blicke in meinem Nacken.
„Wie süß!“, rief eine meiner Klassenkameradinnen plötzlich. Eines der anderen Mädchen fiel ein und resignierend befürchtete ich, sie würden sofort einen Akari-Fanclub gründen.
Übergangslos spürte ich mehrere Hände auf meiner Schulter und wurde von den Männern umringt.
„Hey, Akira-kun, das war deine Schwester? Wie alt ist sie? Hat sie einen Freund? Was isst sie gerne? Mag sie Karaoke?“
„Ich… Ich…“ Für einen Moment fühlte ich mich hilflos.
„Und das Essen hat sie alleine gemacht? Bento nennt Ihr Japaner das, oder? Dürfen wir nachher mal davon probieren?“
„Sie ist ja sooo niedlich…“
„Was für ein Lächeln. Und die langen schwarzen Haare, zum verlieben.“
Ich seufzte viel sagend. Die Anzahl der Clubmitglieder hatte sich wohl gerade auf zwölf erhöht.
Schützend legte ich beide Hände auf mein Bento. „Finger weg. Das hat sie für mich gemacht.“ Ich grinste in die Runde. „Ihr könnt sie ja meinetwegen fragen, ob sie euch auch eins macht. Sie kocht ganz gerne.“
Aufgeregtes Stimmengewirr antwortete mir, und mir fiel auf, dass ich nicht behandelt wurde wie Akira Otomo, der Mann, der zweimal den Mars angegriffen hat, der zeitweilig Oberkommandierender der Erdverteidigung war, der die Abschussliste der UEMF mit großem Vorsprung anführte.
Nein, hier war ich Akira. Einfach nur Akira. Und das gefiel mir sehr.
**
Für die Mittagspause suchte ich mir das Dach aus. Es war der erste Schultag, es hatten sich noch keine Strukturen etabliert, dementsprechend hatte sich der Brauch, dass die größten Schulschläger das Dach beanspruchten, noch nicht durchgesetzt.
Also nahm ich es in Besitz und genoss den Sonnenschein der Hologrammsonne, während ich mich über Akaris Festmahl hermachte.
In der Ferne zog einer der Sauerstoffdistributoren seine Bahn und ließ zugleich eine Werbung für einen Softdrink auf seiner Außenhülle blinken, unter mir hatte sich der Schulhof mit Schülern gefüllt und über mir flog ein Falke. Ein Falke?
Ich war nicht über jeden Aspekt informiert, welcher die Fauna in der AURORA betraf, aber waren hier Greifvögel ausgesetzt worden?
Der große Vogel zog kreischend ein paar Runden um meine Position, drehte dann ab und jagte auf eine Wiese knapp außerhalb der Stadt zu.
Ein majestätischer Anblick.

„Akira Otomo?“, erklang es hinter mir. Natürlich, lange konnte ich ja nicht alleine bleiben.
„Wer fragt?“, erwiderte ich und wandte mich dem Treppenhaus zu.
Dort stand ein Junge in der Uniform der Mittelstufe, und für seinen mörderischen Blick benötigte er alleine schon einen Waffenschein. Für den langen Dolch in seiner Hand allerdings auch.
Der Junge sah mich böse, sehr böse an und lief aus dem Stand los. Als er mich fast erreicht hatte, stieß er den Dolch nach mir.
Ich wich aus, im allerletzten Moment, ergriff das Handgelenk mit dem Dolch, drehte es schmerzhaft nach außen. Danach drehte ich den ganzen Arm im Gelenk und auf den Rücken. Auf diese Weise zwang ich den Angreifer bäuchlings zu Boden. Nachdem ich den Arm schmerzhaft hart eingedreht hatte, keuchte der Junge auf und ließ den Dolch fallen.

„Netter Versuch, aber du bist ein paar hundert Jahre zu früh dran, Kleiner.“
Ich hielt ihn wirklich gut im Griff, dennoch sträubte er sich. Ich setzte zusätzlich meinen rechten Fuß auf seinen Rücken und beendete seine Bewegungen, aber nicht seine Gegenwehr.
„Ich… töte dich, Akira Otomo“, schluchzte er mit einer Schmerzgezeichneten Stimme. Schmerz, der wenig mit dem verdrehten Arm oder dem Schuh in seinem Kreuz zu tun hatte.
„Ich bringe dich um!“
Erst jetzt fiel mir sein weißes Haar auf. Konnte es sein, dass… Nein, die Kronosier auf dem Mars hatten zwar schon Kinder gezeugt. Aber keines von ihnen war älter als sechs Jahre. Der Bursche hier aber war definitiv vierzehn Jahre oder älter.
Aber hatte er die Gift erhalten? In diesem Alter?
„Ist ja schön und gut, aber kannst du mir erklären, warum?“
Er drehte den Kopf und sah mich aus brennenden Augen an. „Du hast meinen Vater getötet!“
**
„Also, damit ich das kapiere. Als ich den Mars angegriffen habe, wurde dein Vater getötet. Du selbst bist beim Einsturz deiner Schule schwer verletzt worden und kamst in einen Biotank. Der Tank war aber schon programmiert gewesen, um jemanden die Gift zu gewähren.
Nachdem du geheilt wurdest, hast du geschworen mich zu töten. Und als du erfahren hast, dass ich auf der AURORA dienen würdest, hast du alles daran gesetzt, um ebenfalls herkommen zu können.“
Der junge Kronosier saß neben mir wie ein begossener Pudel. „Ja, so weit stimmt das.“ Er umklammerte seine Knie mit beiden Armen. „Ich habe versagt.“
Die Sache war kompliziert und sicher noch nicht ausgestanden. Ich hatte mehrere Möglichkeiten, und eine von ihnen war, den jungen Mann der Schulleitung zu melden. Aber das konnte ich nicht, denn seine Beweggründe waren nachvollziehbar, ja, sie erschienen mir sogar berechtigt zu sein.
„Einverstanden“, sagte ich und klopfte mir auf die Knie. „Ich mache es.“
Erstaunt sah der Junge mich an. „Was? Mich verhaften lassen?“
„Nein, Kurzer. Ich begann mich schon zu langweilen. Da bietet deine Rache eine kleine Abwechslung. Im Moment bist du kein Gegner für mich, bestenfalls ne Fingerübung. Aber ich sehe ein, dass du ein Recht auf Rache hast. Deshalb… Nun, will ich dich trainieren, bis du mich schlagen kannst.“
„Du spinnst“, erwiderte der Kronosier im Brustton der Überzeugung. „Warum solltest du mich noch gefährlicher machen?“
„Weil du mir im Gegenzug versprichst, mich nicht noch einmal anzugreifen. Erst wenn ich dir sage, dass du soweit bist, klar? Oder du kannst nicht nur das ganze Training vergessen, sondern den Rest der Reise auf Stubenarrest verbringen.“ Ich sah ihn mit meinem zwingendsten Blick an. „Außerdem lockt mich wirklich die Herausforderung. Nimm an oder lass es.“
Wir sahen uns lange, sehr lange in die Augen. Ich sah es in ihnen arbeiten, sah den Hass mit der Vernunft ringen. Welche Seite würde gewinnen?
„Einverstanden, Akira Otomo.“
Für einen Moment kam ich mir lächerlich vor. Ich züchtete mir hier meinen eigenen Erzfeind heran. „Das wird ein Spaß“, murmelte ich leise zu mir selbst.
„Hey, Kurzer, wie heißt du überhaupt?“
Der Junge sah mich an und übergangslos stand wieder Hass in seinen Augen. „Mein Name ist Michi Torah.“

3.
Nachdenklich kaute Akari auf ihren Kugelschreiber herum. Ob das Bento Akira wohl schmeckte? Früher hatte er ihr Essen immer gerne gegessen. Aber seit sie wieder ein Mensch war, da war es ihr, als würde hier und da etwas fehlen. Und in einem Anflug von Verzweiflung fragte sie sich, ob ihre Kochkunst auch gelitten hatte.
„O-nii-chan“, murmelte sie nachdenklich. Das Verhältnis, welches sie zu Akira Otomo unterhielt hätte komplizierter nicht sein können, wenn man damit begann, dass er sie als Oni unterworfen und in seine Dienste aufgenommen hatte.
Kurz dachte sie an die gemeinsame Zeit, in der sie sich als Akiras Beschützerin verstanden hatte. Der Angriff auf den ZULU damals, die Attacke auf dem Mars. Dai-Kuzo-samas Prüfung, in der ihr schmerzhaft bewusst geworden war, wie sehr sie an ihrer Existenz hing und die Erkenntnis, dass das Leben von Akira wichtiger für sie war.
Sie war ein Mensch geworden, dank Dai-Kuzo-samas Gnade. Und sie war immer noch ein Slayer und trainierte mit den anderen Slayern und der Infanterie für gemeinsame Einsätze, wenngleich sie nicht daran glaubte, dass ihnen Youmas oder andere Dämonen begegnen würden.
Ja, sie war immer noch White Slayer. Aber die Stärke, ihre phänomenale Stärke hatte sie verloren. Sie spürte es jedes Mal wenn sie sich verwandelte. Aber es würde reichen. Reichen müssen. Egal, welche Gefahren sie in der Zukunft erwarten würden, sie würde ihrem Bruder beistehen. Der Mann, der als ihr Meister begonnen hatte und nun das Wertvollste war, was sie je gekannt hatte, sie würde für ihn da sein. Das hatte sie sich geschworen.

„Otomo-kun“, rief sie der Lehrer auf. „Ich habe hier einen Freistellungsantrag in deiner Akte. Demnach fordert dich die UEMF an. Kannst du uns dazu vielleicht eine Erklärung geben?“
Nun, sie musste nicht unbedingt jedem auf die Nase binden, dass sie White Slayer war, aber eine halbe Wahrheit war immer noch besser als eine ungeschickte Lüge.
„Das ist schnell erklärt, Sensei. Ich gehöre dem Infanteriekontingent der AURORA an. Es kann sein, dass ich ab und an zu Einsätzen und Übungen muß.“
Aufgeregtes Raunen ging durch ihre elfköpfige Klasse.
„Du bist bei der UEMF?“, rief einer ihrer Klassenkameraden aufgeregt.
Akari zuckte mit der Schulter. „Ich war beim Marseinsatz dabei.“
Das Raunen ging in purer Aufregung unter.
Irritiert sah sie der Lehrer an. „Was? Aber du warst doch gar nicht im Rekrutierungsalter, als Akira Otomo seinen geschichtlichen Rekrutierungsaufruf…“ Im Gesicht des Lehrers arbeitete es. „Otomo…“, murmelte er leise.
Akari schmunzelte dazu. Anschließend nickte sie leicht, um ihrem Klassenlehrer zu bestätigen, dass seine Vermutung richtig war.
„Wie dem auch sei, dein Freistellungsantrag ist jedenfalls genehmigt. Klasse, ich erwarte von euch, dass Ihr Rücksicht auf Otomo-kun nehmt. Nicht nur, dass sie vorzeitig in die Oberstufe aufgerückt ist, nein, sie hat zudem Doppelbelastung durch das Militär. Ich erwarte, dass Ihr alle ihr helft, wo immer Ihr es könnt.“
Bestätigendes Raunen erfüllte den Raum und Akari ging ein Stich durchs Herz. Übergangslos fühlte sie sich in dieser Klasse sehr wohl. Beinahe schon genauso wohl wie in der Klasse, welche sie in ihrer alten Schule in Tokio besucht hatte.
**
Der erste Schultag war immer etwas sehr aufregendes, fand Akari. Daran änderte sich nichts, nicht einmal in vierhundert Jahren. Und für den ersten erfolgreich absolvierten Tag hatte man immer eine Belohnung verdient. Fand zumindest die ehemalige Oni.
Also gönnte sie sich was, holte sich Eis und ging zur Nordwand.
Sie hätte mit ihren neuen Klassenkameraden nach Hause gehen können, aber das war nichts, was man überstürzen musste. Sie alle würden schon noch zusammen wachsen. Irgendwie.

Die Nordwand, das war die Begrenzung in Bugrichtung der AURORA. Fushida City war sehr nahe am Nordende erbaut worden. Um zu vermeiden, dass manche Einwohner quasi jeden Tag auf die deprimierende Steinmauer blicken musste, hatte man die Stadt in den Felsen integriert. Genauer gesagt waren mehrere Wolkenkratzer halb in die Wand hinein erbaut worden. Überdies führten Dutzende großer und kleiner Zugänge in das Gestein und ermöglichte den Zugang zum industrialisierten und militärischen Bereich des Gigantschiffs.
Darüber thronten wie Schwalbennester die allgegenwärtigen Appartements in der Wand und erlaubten einen formidablen Ausblick auf die Innenwelt.
Die Gegend selbst war dünn besiedelt. Genauer gesagt gab es kaum jemanden, der bisher hier wohnen wollte. Oder konnte, denn so nahe an der Industrie drängten sich hier die Verteilerbetriebe aneinander und ließen relativ wenig Wohnraum übrig.
Akari leckte nachdenklich an ihrem Eis und trat an den Sovereign-Tower heran, das anerkannt größte Gebäude in der Stadt. Es ragte einen stolzen Kilometer in die Höhe. Und war zur Hälfte in der Wand verbaut. Akari war sich sicher, dass dieses Hochhaus einen ähnlichen Kultstatus erreichen würde wie es der Tokio Tower auf der Erde erreicht hatte.
Der Ausblick da oben musste super sein.

„Du bist Akari Otomo, richtig?“, erklang hinter ihr eine amüsierte Frauenstimme.
Langsam wandte sich die ehemalige Oni um. „Wer will das wissen?“
Die arrogant wirkende Frau mit dem dunklen Teint und dem schmalen Gesicht betrachtete sie abfällig. „Oh, ich will nur sichergehen, dass ich die Richtige erwische.“
Ein worum geht es lag Akari auf der Zunge, aber da sprang sie schon im Reflex einen Meter zur Seite. Wo sie vorhin noch gestanden hatte, trafen mehrere Shuriken den Boden.
„Ach, darum“, brummte sie leise und beobachtete ihre Gegnerin, wie sie langsam näher kam und gemächlich die Shuriken wieder einsammelte. „Gute Geschwindigkeit, Schätzchen. Dann wird das hier doch nicht so langweilig einfach wie ich dachte.“
Übergangslos wurde Akari in blendend weißes Licht gehüllt. „White Slayer Power…“
Als normaler Mensch hatte sie gegen diese Frau keine Chance, das wusste sie. Als Oni hätte sie mit ihr den Boden aufgewischt. So aber blieb ihr nur die Flucht oder die Verwandlung in White Youma Slayer.
Sie fühlte ihre Macht wachsen, ihre Sinne schärfer werden und ihr Herz schneller schlagen. Dennoch fühlte es sich nur wie ein Abklatsch ihrer alten Macht an. Aber für die da würde es reichen müssen.
Akari verwandelte sich in White Slayer und fixierte anschließend ihre Gegnerin. „Schauen wir mal, wie langweilig.“
Die erwiderte den Blick. „Gehen wir es an, Schätzchen.“
**
Hart prallte Akari gegen die Wand der Lagerhalle. Sie stürzte auf die Knie herab und hustete. Blut floss als dünner Faden aus ihrem Mundwinkel. Verdammt, verdammt, verdammt. Warum war diese Frau nur so stark? Sie war doch nur ein Mensch, ein einfacher Mensch!
Ihre Gegnerin grinste dämonisch und betrachtete dabei ihren rechten Arm, der von einer rötlich glimmenden Aura umgeben war. „Du hast doch nicht wirklich gedacht, mein kleiner Slayer, das nur Ihr Menschen Fortschritte bei der Anwendung des KI gemacht habt? Nein, die Forschungen von Meister Tora haben sehr wohl Ergebnisse geliefert. Nicht nur diese Torpedos oder diese starke Hauptwaffe eines Schlachtkreuzers.“
Sie sah von ihrem Arm zu Akari herüber. Ihre Augen schienen aufzulodern, als das KI aus ihnen herauszuschießen schien. „Wenn man erst einmal weiß, wie es geht dann ist es sehr leicht. Dann bedeutet es keine Schwierigkeit, einen Menschen zu töten. Und mit ein klein wenig Anstrengung mehr einen Slayer.“
Akari warf sich vor, löste einen Energieblitz aus, der ihre Gegnerin ablenken sollte und griff mit einem Tritt an.
Ihre Feindin schlug den Blitz beiseite und fing die Slayer im Flug aus der Luft auf. Für einen winzigen Augenblick schien die Zeit einzufrieren. Dann schleuderte die Frau Akari meterweit durch die Luft.
Hart kam sie auf dem Boden auf, überschlug sich mehrfach und stieß dann auch noch mit dem Kopf schmerzhaft auf dem Boden auf. Benommen schüttelte sie den Kopf. Sie konnte, sie durfte jetzt nicht liegen bleiben. Sie musste doch… Sie musste diesen Gegner besiegen. Denn was war sie für ihren großen Bruder wert, wenn sie schon hier versagte?

Mühsam drehte sie sich auf die Seite, sah die Angreiferin heran eilen. „NUTZLOS!“, blaffte die Frau und hob ihren rechten Arm zum Schlag.
Da sauste ein armdicker Strahl auf sie zu und traf sie frontal in der Leibesmitte. Die Angreiferin wurde getroffen und meterweit zurück geschleudert.
Wow. Wow.
Ein Paar langer Beine tauchte in Akaris Blickfeld auf. Zwischen ihnen hindurch konnte sie immer noch die Angreiferin erkennen, die sich mühsam aufrappelte. „Du“, knurrte sie wütend. „Ich töte dich.“
Zu den Beinen gehörte ein gelber Slayer-Rock. Akari sah höher und erkannte zwei lange Stränge hellblauen Haares. Wer war das? Eri? Akane?
Als Antwort entließ die Slayer im gelben Rock einen erneuten Energieblast, dem die Feindin nur knapp entging, dafür aber die dahinter liegende Wand pulverisierte.
„Verdammt!“, heulte sie wütend. Einen Augenblick später war sie verschwunden.
Akari versuchte sich hoch zu stemmen, aber es gelang nicht. Stattdessen löste sich ihre Verwandlung auf und aus White Slayer wurde wieder der Mensch.
Ihr wurde schwarz vor Augen, sie sank auf die Straße zurück.

Als sie die Augen wieder öffnen konnte, sah sie in ein hübsches, von blauem Haar umrandetes Gesicht. „Geht es wieder, Akari-chan?“, fragte die unbekannte Slayer.
Akari fuhr auf. Sie hatte mit ihrem Kopf auf dem Schoß von Yellow Slayer geruht.
„Yellow?“, fragte sie hastig und kämpfte mit einem erneuten Blackout, weil sie zu schnell hoch gekommen war.
Sie fühlte sich auf dem Kopf getätschelt. „Richtig. Yellow Youma Slayer. Und du bist Akari-chan, White Youma Slayer. Da bin ich wohl gerade Rechtzeitig gekommen, was?“
Beschämt musste Akari eingestehen, dass die fremde Slayer Recht hatte. Ohne ihr Eingreifen hätte die Attentäterin mit ihr den Boden aufgewischt. Seit wann war sie nur so schwach? So entsetzlich schwach?
„Ruhig“, sagte Yellow und drückte Akari an ihre Brust. „Du machst dir zu viele Gedanken und Sorgen. Du erzwingst zu viel und lässt dein KI zu wenig machen. Kämpfe mehr mit dem Herzen und weniger mit dem Verstand.“
Erstaunt sah Akari die neue Slayer an. „Mehr mit dem Herz?“
Yellow lächelte und nickte dazu. „Mehr mit dem Herz. Und du wirst dich wundern, welche Stärke du daraus schöpfst.“
Yellow hielt die ehemalige Oni eine Armlänge von sich. „Du bist stark, Akari-chan. Sehr stark sogar. Lass dir von niemandem erzählen, es wäre anders. Und in dir ruht noch soviel mehr Kraft. Du bist vielleicht die Mächtigste von uns allen.“
Dies war das Stichwort. Akari sah Yellow aus großen Augen an. „Apropos. Wer bist du? Kenne ich dich?“
„Das“, erwiderte Yellow noch immer lächelnd und legte die Rechte auf den Mund, „ist ein Geheimnis, Akari-chan. Wenigstens noch für eine Weile, solange wir noch mit den zwölf Agenten des Legats zu kämpfen haben. Kannst du aufstehen und gehen?“
„Ja“, erwiderte sie leise. „Ich denke schon.“ Sie wusste von den Agenten. Das engte den Kreis der möglichen Kandidaten gewaltig ein.
„Gut. Dann solltest du jetzt schnell nach Hause gehen, bevor sich die anderen und dein großer Bruder Sorgen um dich machen. Wir sehen uns.“

Übergangslos war Akari allein. Ein neuer Slayer. Ein neuer Slayer, der ein wenig schüchtern war. Und eine ganze Ecke stärker als sie. Warum war die Welt so ungerecht?

__________________
Ace Kaiser,
Angry Eagles

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Clan Blood Spirit

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2.
Der große Moment war atemberaubend, aber dann auch wieder so schrecklich banal.
Die AURORA verfügte über genau zwei Schwerkraftsysteme. Das eine System, die Basis, war im fünfhundert Meter starken Boden des gigantischen Felsen verankert worden.
Dort sorgte es für eine permanente simulierte Schwerkraft von einfacher Erdschwere. Ironischerweise gab es aber Regionen auf dem Boden der AURORA, an denen die Schwerkraft stellenweise nur ein dreiviertel der Erdschwere, ein Gravo genannt, erreichte.
Doch das lag einfach in der Natur des Schwerkraftgenerators.
Der zweite Generator war in den Bug des natürlichen Gebildes eingebaut und nahm in diesem Augenblick seine Arbeit auf.
Wir würden den Felsen hart beschleunigen müssen, um ihn in annehmbarer Zeit bis auf die Jupiterbahn zu bringen. Nur dort konnten wir den Sprung nach Alpha Centauri wagen, ohne durch den Riss in der Raumzeit große Schäden auf den bewohnten Planeten des Systems zu riskieren, Schockwellen gleich.
Bei dieser Beschleunigung aber würden enorme Kräfte auf die Steinhülle wirken. Dem wirkte der Gravitationsgenerator entgegen.
Das Prinzip dieser Maschinen war relativ simpel, wenn man es erst einmal erkannt, ausgetestet und installiert hatte.
Im Bug und im Boden des Schiffs verliefen die Bahnen gigantischer Partikelbeschleuniger. Dort wurde jeweils eine bestimmte Masse bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit gebracht und mittels Magnetkräften in einem geschlossenen System gehalten. Nahe der Lichtgeschwindigkeit potenzierte sich diese Masse auf ein Vielfaches des alten Wertes, zog damit die Materie in seiner Umgebung an. In unserem Fall jagte diese Masse durch eine Art Oval im Boden der AURORA und erzeugte somit die von uns gewohnte Gravitation.
Das gleiche Prinzip galt im Bug, doch war es hier etwas komplizierter. Beschleunigung war immer gleich zu setzen mit Masseaufbau. Sprich, je mehr ein Schiff beschleunigte, desto höher wurde die eigene Masse und die damit verbundene Schwerkraft, in diesem Fall Andruck genannt.
Um zu verhindern, dass einerseits die strukturelle Integrität der AURORA geschädigt wurde und andererseits die Bevölkerung des Schiffs plötzlich auf dem Heck leben musste, weil sich die Stadt um neunzig Grad gekippt hatte, wirkte der Buggenerator genau entgegen der Masse, welche die Beschleunigung im Heck erzeugte.
Gravitation war ein Fallen auf ein bestimmtes Objekt zu. Das Prinzip der Gravitation war ein gegenseitiges Fallen. Ich fiel auf den Boden der AURORA zu, was ich als Gravitation verspürte. Gleichzeitig aber fiel die AURORA minimal auf mich zu. Bei der Beschleunigung wirkten genau diese Kräfte. Einerseits die Kraft im Heck, andererseits die Kraft im Bug. Beide Kräfte ließen mich fallen, hielten sich aber die Waage. Somit hoben sie sich gegenseitig auf. Die einzige Kraft, die auf mich wirkte war der Bodengenerator und somit die normale Schwerkraft.

Es war lange Zeit umstritten gewesen, ob der riesige Felsen ausreichend verstärkt worden war, um die Beharrungskräfte auszuhalten. Doch als sie langsam auf tausend Meter pro Sekunde beschleunigte, war allen klar, dass wir es geschafft hatten.
Es gab keinen Jubel, keinen Applaus. Nur die nüchterne Nachricht in den Medien, dass sich die AURORA wie erwartet erfolgreich in Bewegung gesetzt hatte.
Ich grinste schief. Nichts anderes hatte ich erwartet.
Deshalb hatte ich die Nachrichten auch nicht Zuhause verfolgt sondern in der Innenstadt vor einem Shop für Fernseher.
Nachdenklich lüftete ich meinen Kragen. Wieder in einer Schuluniform zu stecken war ein merkwürdiges Gefühl. Die UEMF-Uniform erschien mir viel wichtiger zu sein, wie eine zweite Haut zu passen. Der Mandarinkragen der Jacke bereitete mir doch einige Mühe.
Ärgerlich stellte ich das zerren ein und machte mich auf den Weg zur Schule.
Vielleicht hätte ich mich doch etwas mehr anstrengen sollen. Vielleicht hätte ich mich nicht verkriechen dürfen. Vielleicht wäre Vater bestechlich gewesen…
Aller Müßiggang half nichts. Ich hatte eine Aufgabe und nahm sie wahr.
Megumi hatte drei Jahre lang das Doppelleben als Offizier und Schülerin geführt, und das während eines Krieges. Da konnte ich, Akira Otomo ja wohl ein lächerliches Jahr zur Schule gehen und nebenbei eine Division Mechas führen, oder?
Nachdenklich strich ich mir über die Haare. Die weiße Farbe wuchs langsam raus und machte dem normalen dunkelblonden Haarton Platz, den ich Mutter verdankte. Aber im Moment sah ich aus wie ein Stachelschwein. Ein sehr amüsanter Gedanke.
Das weiße Auge, das durch den Säureangriff beinahe blind war, hatte ich mit einer Sonnenbrille abgedeckt. Ich wollte den jungen Leuten, die mich die nächste Zeit umgeben würden, nicht gleich zu Anfang einen solchen Schrecken einjagen.
Und eines Tages, wenn mich die Gedanken an meine Schuld nicht mehr so sehr plagten, bat ich vielleicht Kitsune-chan darum, das Auge zu heilen.
Obwohl, irgendwie wirkte ich cool.
Mit einem Grunzen schob ich diesen Gedanken beiseite. Die Aufgabe, die auf mich zukam würde schwer genug werden. Ich würde sehr viel nachholen müssen, denn ich fing im letzten Jahr an, mir fehlten aber die Vorbereitungen aus dem zweiten Jahr für die Fächer, auf die ich mich konzentrieren wollte. Dieses Wissen musste ich mir erarbeiten. Und das würde ein ganz schöner Brocken sein, an dem ich da kauen würde.

Je näher ich der Schule kam, desto mehr junge Menschen und Lehrer waren auf den Straßen zu sehen. Zwei Linien der Magnetbahn hielten beinahe in direkter Nähe und brachten mehrere hundert Schüler. Zusammen mit denen, die bereits im Gebäude sein mochten und jenen auf dem Weg waren dies gut viertausend. Fünftausend sollten es sein, verteilt auf dreizehn Klassen, die Vorschule mal nicht mit eingerechnet.
Fünftausend Kinder und Heranwachsende aus siebzig Nationen, neunzehn Religionen und allen drei ethnischen Grundtypen.
Und alle begrüßten sich freundlich, gingen sehr höflich miteinander um und schienen sich auf das Sommersemester zu freuen.
Nur ich fiel in diesem Haufen natürlich auf wie ein Uniformierter im Kindergarten.
Ich war nicht gerade rücksichtslos, als ich mir meinen Weg in die Schule bahnte. Aber ich zeigte meine mürrischste Miene und vermied es, andere anzusehen. Was schwierig war, denn mehrere hundert Blicke ruhten auf mir.
Ich ignorierte das so gut es ging, kam in das Gebäude, stellte verwundert fest, dass es keine Schuhboxen gab und man anscheinend in Straßenschuhen durch das Gebäude gehen sollte…
Westler.

Ich erreichte meine Klasse, trat ein und erstarrte für einen Moment. Zwölf Paar Augen wandten sich mir zu und musterten mich mit unverhohlener Neugier. Halb hatte ich erwartet, dass die drei Soldatinnen vom Fest gestern in meiner Klasse waren. Doch die zwölf Gesichter, sieben Mädchen und fünf junge Männer, kannte ich nicht.
Der Raum war großzügig ausgelegt, es hätten sicher dreißig oder mehr hinein gepasst. Aber es war nur noch ein Tisch frei.

„Morgen“, grüßte ich trotz meiner schlechten Laune, aber ohne wirkliche Begeisterung, während ich meine Tasche auf den freien Platz ablegte.
Danach sah ich in die Runde. „Ich bin Akira Otomo. Wer möchte, kann mich Akira nennen. Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus.“
Stille antwortete mir und ich fragte mich, ob ich vielleicht zu mürrisch, zu abweisend auf sie gewirkt hatte.
„Äh“, machte ich leise und sah peinlich berührt weg. Was für ein toller Start.
„Akira-chan.“
Verdutzt sah ich wieder auf. Was? Wurde etwa jemand so schnell mit mir familiär?
Eine der jungen Frauen erhob sich von ihrem Pult, kam herüber und unterband gerade noch den Versuch, vor mir zu salutieren. „Second Lieutenant Mareike Koopman, Briareos, Stabsdienst. Ich war mit Ihnen auf dem Mars und habe in der Koordination gedient.“
„Freut mich. Darf ich Sie Mareike nennen? Second Lieutenant ist doch etwas zu lang.“
Na das war ja zu erwarten gewesen. Ein oder zwei Veteranen sollte es wohl in jeder Klasse geben.
Damit hatte die junge Frau einen Bann gebrochen und auch die anderen begannen ihre Namen zu nennen. Etwas zu schnell für mich um wirklich mitzukommen.

„Ruhe, bitte!“, erklang von vorne eine bekannte Stimme.
Ich zwinkerte überrascht. Einmal, zweimal. Nein, ich irrte mich nicht. Die Frau, die dort vor mir an der Tafel stand und offensichtlich die Lehrerin war… Es war Akane.
„Wie Ihr sicher gemerkt habt, sind die Klassen hier recht klein. Die Kapazität der Schule liegt bei fünfzehntausend Schülern. Im Moment aber kommen auf jeden Klassenraum im Schnitt ein Lehrer und neun bis vierzehn Schüler.
Mein Name ist Akane Hazegawa. Ich studiere und werde hier zehn Stunden die Woche als Hilfslehrer für Physik, Sprachen und Mathe arbeiten. Ich war ebenfalls mit Akira-chan auf dem Mars und ich hoffe, wir alle kommen gut miteinander aus.“

Ich grinste schief. Na Klasse. Das fing ja wirklich gut an. Akane gab die seriöse Lehrerin und nannte mich gleich im ersten Atemzug chan. Fehlte nur noch, dass…
„Wie gesagt, ich helfe hier zehn Stunden die Woche aus. Darf ich euch nun euren Klassenlehrer vorstellen…“
Sie sah zur Seite, wo sich die Tür öffnete.
Wer würde es sein? Mamoru vielleicht? Takashi-sempai? Oder noch schlimmer, Makoto im Minirock?
Nun, es war ein Minirock, aber die Beine gehörten definitiv nicht Makoto.
„Guten Morgen, Klasse“, sagte eine gut gelaunte Sakura Ino und lächelte in die Runde. „Ich bin für dieses Jahr eure Klassenlehrerin. Ich teile mir diese Aufgabe aber weitestgehend mit Hazegawa-sensei, weil ich nebenbei noch die AURORA-Kampfgruppe befehligen muß.
Und ja, ich mache es, weil mein Cousin in dieser Klasse ist.
Auf gute Zusammenarbeit.“
Sakura lächelte in die Runde und gegen meinen Willen wurde mir warm ums Herz. Mein Cousinchen war eben immer noch die Alte. Und eine der liebenswertesten Personen, die ich kannte. Wenn man mal von ihrem Hang zur brutalen Gewalt absah.
Mein Nachbar, Miguel Santos oder so, klopfte mir grinsend gegen die Schulter. „Akira-kun, wir werden sehr gute Freunde.“
Die Worte hätten mir mehr bedeutet, wenn er meine Cousine nicht zuvor mit seinen Blicken regelrecht ausgezogen hätte…

3.
„O-nii-chan!“
Erschrocken wäre ich beinahe von meinem Stuhl gerutscht, auf dem ich gerade ein wenig kippelte. Dafür biss ich ein Stück meines Bleistifts ab. Ein widerlicher Geschmack.
Akari kam in den Klassenraum und stellte sich vor meinen Tisch. In der Hand hielt sie ein in ein Tuch eingewickeltes Päckchen.
Sie kniff die Augen zusammen und lächelte mich honigsüß an. „Du bist heute Morgen so schnell aufgebrochen, ich hatte gar keine Zeit, dir dein Mittagessen mitzugeben.“
Überrascht sah ich sie an. Sie trug die gleiche Uniform wie die Mädchen meiner Klasse. Das bedeutete, dass sie definitiv in der Oberstufe war. Ein gutes Jahr zu früh, wenn man mal davon absah, dass sie eigentlich vierhundert Jahre alt war.
Aber die Uniform stand ihr gut, sehr gut sogar. Wenngleich ich mir als großer Bruder wünschte, dass der Rock etwas länger wäre – so ein bis zwei Meter.
Ich ergriff das Päckchen. „Danke, Akari-chan. Aber ich hätte mir doch was aus einem Automaten ziehen können.
Die ehemalige Oni zog einen Schmollmund. „Du kannst doch nicht nur von Zucker und Kaffee leben, Akira. Du musst was Gesundes essen. Außerdem habe ich das alles selbst gemacht. Ich hole die Box nachher wieder ab und wehe, es ist noch etwas drin.“
Sie drohte mir gespielt mit dem Zeigefinger und zwinkerte mich an. Danach verließ sie den Klassenraum wieder.

Erst nach einiger Zeit fiel mir die absolute Stille im Raum auf.
Und die zwölf brennenden Blicke in meinem Nacken.
„Wie süß!“, rief eine meiner Klassenkameradinnen plötzlich. Eines der anderen Mädchen fiel ein und resignierend befürchtete ich, sie würden sofort einen Akari-Fanclub gründen.
Übergangslos spürte ich mehrere Hände auf meiner Schulter und wurde von den Männern umringt.
„Hey, Akira-kun, das war deine Schwester? Wie alt ist sie? Hat sie einen Freund? Was isst sie gerne? Mag sie Karaoke?“
„Ich… Ich…“ Für einen Moment fühlte ich mich hilflos.
„Und das Essen hat sie alleine gemacht? Bento nennt Ihr Japaner das, oder? Dürfen wir nachher mal davon probieren?“
„Sie ist ja sooo niedlich…“
„Was für ein Lächeln. Und die langen schwarzen Haare, zum verlieben.“
Ich seufzte viel sagend. Die Anzahl der Clubmitglieder hatte sich wohl gerade auf zwölf erhöht.
Schützend legte ich beide Hände auf mein Bento. „Finger weg. Das hat sie für mich gemacht.“ Ich grinste in die Runde. „Ihr könnt sie ja meinetwegen fragen, ob sie euch auch eins macht. Sie kocht ganz gerne.“
Aufgeregtes Stimmengewirr antwortete mir, und mir fiel auf, dass ich nicht behandelt wurde wie Akira Otomo, der Mann, der zweimal den Mars angegriffen hat, der zeitweilig Oberkommandierender der Erdverteidigung war, der die Abschussliste der UEMF mit großem Vorsprung anführte.
Nein, hier war ich Akira. Einfach nur Akira. Und das gefiel mir sehr.
**
Für die Mittagspause suchte ich mir das Dach aus. Es war der erste Schultag, es hatten sich noch keine Strukturen etabliert, dementsprechend hatte sich der Brauch, dass die größten Schulschläger das Dach beanspruchten, noch nicht durchgesetzt.
Also nahm ich es in Besitz und genoss den Sonnenschein der Hologrammsonne, während ich mich über Akaris Festmahl hermachte.
In der Ferne zog einer der Sauerstoffdistributoren seine Bahn und ließ zugleich eine Werbung für einen Softdrink auf seiner Außenhülle blinken, unter mir hatte sich der Schulhof mit Schülern gefüllt und über mir flog ein Falke. Ein Falke?
Ich war nicht über jeden Aspekt informiert, welcher die Fauna in der AURORA betraf, aber waren hier Greifvögel ausgesetzt worden?
Der große Vogel zog kreischend ein paar Runden um meine Position, drehte dann ab und jagte auf eine Wiese knapp außerhalb der Stadt zu.
Ein majestätischer Anblick.

„Akira Otomo?“, erklang es hinter mir. Natürlich, lange konnte ich ja nicht alleine bleiben.
„Wer fragt?“, erwiderte ich und wandte mich dem Treppenhaus zu.
Dort stand ein Junge in der Uniform der Mittelstufe, und für seinen mörderischen Blick benötigte er alleine schon einen Waffenschein. Für den langen Dolch in seiner Hand allerdings auch.
Der Junge sah mich böse, sehr böse an und lief aus dem Stand los. Als er mich fast erreicht hatte, stieß er den Dolch nach mir.
Ich wich aus, im allerletzten Moment, ergriff das Handgelenk mit dem Dolch, drehte es schmerzhaft nach außen. Danach drehte ich den ganzen Arm im Gelenk und auf den Rücken. Auf diese Weise zwang ich den Angreifer bäuchlings zu Boden. Nachdem ich den Arm schmerzhaft hart eingedreht hatte, keuchte der Junge auf und ließ den Dolch fallen.

„Netter Versuch, aber du bist ein paar hundert Jahre zu früh dran, Kleiner.“
Ich hielt ihn wirklich gut im Griff, dennoch sträubte er sich. Ich setzte zusätzlich meinen rechten Fuß auf seinen Rücken und beendete seine Bewegungen, aber nicht seine Gegenwehr.
„Ich… töte dich, Akira Otomo“, schluchzte er mit einer Schmerzgezeichneten Stimme. Schmerz, der wenig mit dem verdrehten Arm oder dem Schuh in seinem Kreuz zu tun hatte.
„Ich bringe dich um!“
Erst jetzt fiel mir sein weißes Haar auf. Konnte es sein, dass… Nein, die Kronosier auf dem Mars hatten zwar schon Kinder gezeugt. Aber keines von ihnen war älter als sechs Jahre. Der Bursche hier aber war definitiv vierzehn Jahre oder älter.
Aber hatte er die Gift erhalten? In diesem Alter?
„Ist ja schön und gut, aber kannst du mir erklären, warum?“
Er drehte den Kopf und sah mich aus brennenden Augen an. „Du hast meinen Vater getötet!“
**
„Also, damit ich das kapiere. Als ich den Mars angegriffen habe, wurde dein Vater getötet. Du selbst bist beim Einsturz deiner Schule schwer verletzt worden und kamst in einen Biotank. Der Tank war aber schon programmiert gewesen, um jemanden die Gift zu gewähren.
Nachdem du geheilt wurdest, hast du geschworen mich zu töten. Und als du erfahren hast, dass ich auf der AURORA dienen würdest, hast du alles daran gesetzt, um ebenfalls herkommen zu können.“
Der junge Kronosier saß neben mir wie ein begossener Pudel. „Ja, so weit stimmt das.“ Er umklammerte seine Knie mit beiden Armen. „Ich habe versagt.“
Die Sache war kompliziert und sicher noch nicht ausgestanden. Ich hatte mehrere Möglichkeiten, und eine von ihnen war, den jungen Mann der Schulleitung zu melden. Aber das konnte ich nicht, denn seine Beweggründe waren nachvollziehbar, ja, sie erschienen mir sogar berechtigt zu sein.
„Einverstanden“, sagte ich und klopfte mir auf die Knie. „Ich mache es.“
Erstaunt sah der Junge mich an. „Was? Mich verhaften lassen?“
„Nein, Kurzer. Ich begann mich schon zu langweilen. Da bietet deine Rache eine kleine Abwechslung. Im Moment bist du kein Gegner für mich, bestenfalls ne Fingerübung. Aber ich sehe ein, dass du ein Recht auf Rache hast. Deshalb… Nun, will ich dich trainieren, bis du mich schlagen kannst.“
„Du spinnst“, erwiderte der Kronosier im Brustton der Überzeugung. „Warum solltest du mich noch gefährlicher machen?“
„Weil du mir im Gegenzug versprichst, mich nicht noch einmal anzugreifen. Erst wenn ich dir sage, dass du soweit bist, klar? Oder du kannst nicht nur das ganze Training vergessen, sondern den Rest der Reise auf Stubenarrest verbringen.“ Ich sah ihn mit meinem zwingendsten Blick an. „Außerdem lockt mich wirklich die Herausforderung. Nimm an oder lass es.“
Wir sahen uns lange, sehr lange in die Augen. Ich sah es in ihnen arbeiten, sah den Hass mit der Vernunft ringen. Welche Seite würde gewinnen?
„Einverstanden, Akira Otomo.“
Für einen Moment kam ich mir lächerlich vor. Ich züchtete mir hier meinen eigenen Erzfeind heran. „Das wird ein Spaß“, murmelte ich leise zu mir selbst.
„Hey, Kurzer, wie heißt du überhaupt?“
Der Junge sah mich an und übergangslos stand wieder Hass in seinen Augen. „Mein Name ist Michi Torah.“

3.
Nachdenklich kaute Akari auf ihren Kugelschreiber herum. Ob das Bento Akira wohl schmeckte? Früher hatte er ihr Essen immer gerne gegessen. Aber seit sie wieder ein Mensch war, da war es ihr, als würde hier und da etwas fehlen. Und in einem Anflug von Verzweiflung fragte sie sich, ob ihre Kochkunst auch gelitten hatte.
„O-nii-chan“, murmelte sie nachdenklich. Das Verhältnis, welches sie zu Akira Otomo unterhielt hätte komplizierter nicht sein können, wenn man damit begann, dass er sie als Oni unterworfen und in seine Dienste aufgenommen hatte.
Kurz dachte sie an die gemeinsame Zeit, in der sie sich als Akiras Beschützerin verstanden hatte. Der Angriff auf den ZULU damals, die Attacke auf dem Mars. Dai-Kuzo-samas Prüfung, in der ihr schmerzhaft bewusst geworden war, wie sehr sie an ihrer Existenz hing und die Erkenntnis, dass das Leben von Akira wichtiger für sie war.
Sie war ein Mensch geworden, dank Dai-Kuzo-samas Gnade. Und sie war immer noch ein Slayer und trainierte mit den anderen Slayern und der Infanterie für gemeinsame Einsätze, wenngleich sie nicht daran glaubte, dass ihnen Youmas oder andere Dämonen begegnen würden.
Ja, sie war immer noch White Slayer. Aber die Stärke, ihre phänomenale Stärke hatte sie verloren. Sie spürte es jedes Mal wenn sie sich verwandelte. Aber es würde reichen. Reichen müssen. Egal, welche Gefahren sie in der Zukunft erwarten würden, sie würde ihrem Bruder beistehen. Der Mann, der als ihr Meister begonnen hatte und nun das Wertvollste war, was sie je gekannt hatte, sie würde für ihn da sein. Das hatte sie sich geschworen.

„Otomo-kun“, rief sie der Lehrer auf. „Ich habe hier einen Freistellungsantrag in deiner Akte. Demnach fordert dich die UEMF an. Kannst du uns dazu vielleicht eine Erklärung geben?“
Nun, sie musste nicht unbedingt jedem auf die Nase binden, dass sie White Slayer war, aber eine halbe Wahrheit war immer noch besser als eine ungeschickte Lüge.
„Das ist schnell erklärt, Sensei. Ich gehöre dem Infanteriekontingent der AURORA an. Es kann sein, dass ich ab und an zu Einsätzen und Übungen muß.“
Aufgeregtes Raunen ging durch ihre elfköpfige Klasse.
„Du bist bei der UEMF?“, rief einer ihrer Klassenkameraden aufgeregt.
Akari zuckte mit der Schulter. „Ich war beim Marseinsatz dabei.“
Das Raunen ging in purer Aufregung unter.
Irritiert sah sie der Lehrer an. „Was? Aber du warst doch gar nicht im Rekrutierungsalter, als Akira Otomo seinen geschichtlichen Rekrutierungsaufruf…“ Im Gesicht des Lehrers arbeitete es. „Otomo…“, murmelte er leise.
Akari schmunzelte dazu. Anschließend nickte sie leicht, um ihrem Klassenlehrer zu bestätigen, dass seine Vermutung richtig war.
„Wie dem auch sei, dein Freistellungsantrag ist jedenfalls genehmigt. Klasse, ich erwarte von euch, dass Ihr Rücksicht auf Otomo-kun nehmt. Nicht nur, dass sie vorzeitig in die Oberstufe aufgerückt ist, nein, sie hat zudem Doppelbelastung durch das Militär. Ich erwarte, dass Ihr alle ihr helft, wo immer Ihr es könnt.“
Bestätigendes Raunen erfüllte den Raum und Akari ging ein Stich durchs Herz. Übergangslos fühlte sie sich in dieser Klasse sehr wohl. Beinahe schon genauso wohl wie in der Klasse, welche sie in ihrer alten Schule in Tokio besucht hatte.
**
Der erste Schultag war immer etwas sehr aufregendes, fand Akari. Daran änderte sich nichts, nicht einmal in vierhundert Jahren. Und für den ersten erfolgreich absolvierten Tag hatte man immer eine Belohnung verdient. Fand zumindest die ehemalige Oni.
Also gönnte sie sich was, holte sich Eis und ging zur Nordwand.
Sie hätte mit ihren neuen Klassenkameraden nach Hause gehen können, aber das war nichts, was man überstürzen musste. Sie alle würden schon noch zusammen wachsen. Irgendwie.

Die Nordwand, das war die Begrenzung in Bugrichtung der AURORA. Fushida City war sehr nahe am Nordende erbaut worden. Um zu vermeiden, dass manche Einwohner quasi jeden Tag auf die deprimierende Steinmauer blicken musste, hatte man die Stadt in den Felsen integriert. Genauer gesagt waren mehrere Wolkenkratzer halb in die Wand hinein erbaut worden. Überdies führten Dutzende großer und kleiner Zugänge in das Gestein und ermöglichte den Zugang zum industrialisierten und militärischen Bereich des Gigantschiffs.
Darüber thronten wie Schwalbennester die allgegenwärtigen Appartements in der Wand und erlaubten einen formidablen Ausblick auf die Innenwelt.
Die Gegend selbst war dünn besiedelt. Genauer gesagt gab es kaum jemanden, der bisher hier wohnen wollte. Oder konnte, denn so nahe an der Industrie drängten sich hier die Verteilerbetriebe aneinander und ließen relativ wenig Wohnraum übrig.
Akari leckte nachdenklich an ihrem Eis und trat an den Sovereign-Tower heran, das anerkannt größte Gebäude in der Stadt. Es ragte einen stolzen Kilometer in die Höhe. Und war zur Hälfte in der Wand verbaut. Akari war sich sicher, dass dieses Hochhaus einen ähnlichen Kultstatus erreichen würde wie es der Tokio Tower auf der Erde erreicht hatte.
Der Ausblick da oben musste super sein.

„Du bist Akari Otomo, richtig?“, erklang hinter ihr eine amüsierte Frauenstimme.
Langsam wandte sich die ehemalige Oni um. „Wer will das wissen?“
Die arrogant wirkende Frau mit dem dunklen Teint und dem schmalen Gesicht betrachtete sie abfällig. „Oh, ich will nur sichergehen, dass ich die Richtige erwische.“
Ein worum geht es lag Akari auf der Zunge, aber da sprang sie schon im Reflex einen Meter zur Seite. Wo sie vorhin noch gestanden hatte, trafen mehrere Shuriken den Boden.
„Ach, darum“, brummte sie leise und beobachtete ihre Gegnerin, wie sie langsam näher kam und gemächlich die Shuriken wieder einsammelte. „Gute Geschwindigkeit, Schätzchen. Dann wird das hier doch nicht so langweilig einfach wie ich dachte.“
Übergangslos wurde Akari in blendend weißes Licht gehüllt. „White Slayer Power…“
Als normaler Mensch hatte sie gegen diese Frau keine Chance, das wusste sie. Als Oni hätte sie mit ihr den Boden aufgewischt. So aber blieb ihr nur die Flucht oder die Verwandlung in White Youma Slayer.
Sie fühlte ihre Macht wachsen, ihre Sinne schärfer werden und ihr Herz schneller schlagen. Dennoch fühlte es sich nur wie ein Abklatsch ihrer alten Macht an. Aber für die da würde es reichen müssen.
Akari verwandelte sich in White Slayer und fixierte anschließend ihre Gegnerin. „Schauen wir mal, wie langweilig.“
Die erwiderte den Blick. „Gehen wir es an, Schätzchen.“
**
Hart prallte Akari gegen die Wand der Lagerhalle. Sie stürzte auf die Knie herab und hustete. Blut floss als dünner Faden aus ihrem Mundwinkel. Verdammt, verdammt, verdammt. Warum war diese Frau nur so stark? Sie war doch nur ein Mensch, ein einfacher Mensch!
Ihre Gegnerin grinste dämonisch und betrachtete dabei ihren rechten Arm, der von einer rötlich glimmenden Aura umgeben war. „Du hast doch nicht wirklich gedacht, mein kleiner Slayer, das nur Ihr Menschen Fortschritte bei der Anwendung des KI gemacht habt? Nein, die Forschungen von Meister Tora haben sehr wohl Ergebnisse geliefert. Nicht nur diese Torpedos oder diese starke Hauptwaffe eines Schlachtkreuzers.“
Sie sah von ihrem Arm zu Akari herüber. Ihre Augen schienen aufzulodern, als das KI aus ihnen herauszuschießen schien. „Wenn man erst einmal weiß, wie es geht dann ist es sehr leicht. Dann bedeutet es keine Schwierigkeit, einen Menschen zu töten. Und mit ein klein wenig Anstrengung mehr einen Slayer.“
Akari warf sich vor, löste einen Energieblitz aus, der ihre Gegnerin ablenken sollte und griff mit einem Tritt an.
Ihre Feindin schlug den Blitz beiseite und fing die Slayer im Flug aus der Luft auf. Für einen winzigen Augenblick schien die Zeit einzufrieren. Dann schleuderte die Frau Akari meterweit durch die Luft.
Hart kam sie auf dem Boden auf, überschlug sich mehrfach und stieß dann auch noch mit dem Kopf schmerzhaft auf dem Boden auf. Benommen schüttelte sie den Kopf. Sie konnte, sie durfte jetzt nicht liegen bleiben. Sie musste doch… Sie musste diesen Gegner besiegen. Denn was war sie für ihren großen Bruder wert, wenn sie schon hier versagte?

Mühsam drehte sie sich auf die Seite, sah die Angreiferin heran eilen. „NUTZLOS!“, blaffte die Frau und hob ihren rechten Arm zum Schlag.
Da sauste ein armdicker Strahl auf sie zu und traf sie frontal in der Leibesmitte. Die Angreiferin wurde getroffen und meterweit zurück geschleudert.
Wow. Wow.
Ein Paar langer Beine tauchte in Akaris Blickfeld auf. Zwischen ihnen hindurch konnte sie immer noch die Angreiferin erkennen, die sich mühsam aufrappelte. „Du“, knurrte sie wütend. „Ich töte dich.“
Zu den Beinen gehörte ein gelber Slayer-Rock. Akari sah höher und erkannte zwei lange Stränge hellblauen Haares. Wer war das? Eri? Akane?
Als Antwort entließ die Slayer im gelben Rock einen erneuten Energieblast, dem die Feindin nur knapp entging, dafür aber die dahinter liegende Wand pulverisierte.
„Verdammt!“, heulte sie wütend. Einen Augenblick später war sie verschwunden.
Akari versuchte sich hoch zu stemmen, aber es gelang nicht. Stattdessen löste sich ihre Verwandlung auf und aus White Slayer wurde wieder der Mensch.
Ihr wurde schwarz vor Augen, sie sank auf die Straße zurück.

Als sie die Augen wieder öffnen konnte, sah sie in ein hübsches, von blauem Haar umrandetes Gesicht. „Geht es wieder, Akari-chan?“, fragte die unbekannte Slayer.
Akari fuhr auf. Sie hatte mit ihrem Kopf auf dem Schoß von Yellow Slayer geruht.
„Yellow?“, fragte sie hastig und kämpfte mit einem erneuten Blackout, weil sie zu schnell hoch gekommen war.
Sie fühlte sich auf dem Kopf getätschelt. „Richtig. Yellow Youma Slayer. Und du bist Akari-chan, White Youma Slayer. Da bin ich wohl gerade Rechtzeitig gekommen, was?“
Beschämt musste Akari eingestehen, dass die fremde Slayer Recht hatte. Ohne ihr Eingreifen hätte die Attentäterin mit ihr den Boden aufgewischt. Seit wann war sie nur so schwach? So entsetzlich schwach?
„Ruhig“, sagte Yellow und drückte Akari an ihre Brust. „Du machst dir zu viele Gedanken und Sorgen. Du erzwingst zu viel und lässt dein KI zu wenig machen. Kämpfe mehr mit dem Herzen und weniger mit dem Verstand.“
Erstaunt sah Akari die neue Slayer an. „Mehr mit dem Herz?“
Yellow lächelte und nickte dazu. „Mehr mit dem Herz. Und du wirst dich wundern, welche Stärke du daraus schöpfst.“
Yellow hielt die ehemalige Oni eine Armlänge von sich. „Du bist stark, Akari-chan. Sehr stark sogar. Lass dir von niemandem erzählen, es wäre anders. Und in dir ruht noch soviel mehr Kraft. Du bist vielleicht die Mächtigste von uns allen.“
Dies war das Stichwort. Akari sah Yellow aus großen Augen an. „Apropos. Wer bist du? Kenne ich dich?“
„Das“, erwiderte Yellow noch immer lächelnd und legte die Rechte auf den Mund, „ist ein Geheimnis, Akari-chan. Wenigstens noch für eine Weile, solange wir noch mit den zwölf Agenten des Legats zu kämpfen haben. Kannst du aufstehen und gehen?“
„Ja“, erwiderte sie leise. „Ich denke schon.“ Sie wusste von den Agenten. Das engte den Kreis der möglichen Kandidaten gewaltig ein.
„Gut. Dann solltest du jetzt schnell nach Hause gehen, bevor sich die anderen und dein großer Bruder Sorgen um dich machen. Wir sehen uns.“

Übergangslos war Akari allein. Ein neuer Slayer. Ein neuer Slayer, der ein wenig schüchtern war. Und eine ganze Ecke stärker als sie. Warum war die Welt so ungerecht?

4.
„Bin wieder da“, sagte ich laut, als ich das Haus betrat. Der erste Schultag war doch alles in allem sehr gut gelaufen. Kaum Ärger, nur ein Attentat, keine Notfälle militärischer Natur…
„Willkommen daheim.“ Akari verbeugte sich vor mir steif in der Hüfte. Das hatte sie schon nicht mehr gemacht seit… Hm, da war sie noch ein Oni gewesen.
„Alles in Ordnung mit dir, Akari-chan?“, fragte ich nach.
„Alles Bestens. Alles Bestens. Ich hatte nur eine Begegnung mit einem der Attentäter.“ Sie strich sich über die Stirn, um eine Haarsträhne wegzuwischen. „Aber eine neue Slayer hat mir geholfen.“
„Eine neue Slayer?“ Richtig, ich hatte ja niemandem erzählt, dass mich ein Slayer aus dem einstürzenden Gang gerettet hatte.
Akari nickte. „Yellow Slayer. Ist sehr stark, O-nii-chan.“
Dieser Umstand schien sie zu betrüben. Gerade wollte ich tiefer bohren, als sie sich erneut verneigte. „Guten Abend, junger Mann.“
Peinlich berührt legte der Bengel neben mir die Rechte auf den Hinterkopf. „Du brauchst dich nicht zu verneigen, Otomo-kun. Ich wurde westlich erzogen.“
Ich grinste. „Das ist Michi Torah. Ich… werde ihn ab sofort trainieren.“
„Trainieren?“ Argwöhnisch hob Akari eine Augenbraue.
„Ja, er… Ist gewissermaßen mein Schüler geworden.“ Das ich ihn trainieren wollte um ihn in die Lage zu versetzen mich zu töten brauchte ich ja nicht extra zu erwähnen. Der Gedanke hatte sowieso etwas sehr krankes. Aber irgendwie wusste ich, wenn ich mir nicht selbst Herausforderungen stellte und beständig versuchte besser zu werden, konnte dies eine Reise ohne Wiederkehr werden.
„Er hat eine große Wunschliste. Schwertkampf, KI-Beherrschung, Mecha-Steuerung. Ich denke, es wäre keine vergeudete Zeit.“
Akari lächelte den Jungen an. „Ein Freund von O-nii-chan ist hier immer willkommen. Hast du schon gegessen? Wir machen gerade Abendbrot. Komm, ich stell dir die anderen vor.“
Akari ergriff die Linke von Michi, ließ ihm kaum Zeit die Schuhe zu wechseln und zog ihn hinter sich her in Richtung Wohnzimmer.

Ich seufzte, tauschte meine Schuhe gegen Schlappen und ging ihnen hinterher.
Als ich die Küche passierte, grüßte ich gedankenlos, stockte aber sofort. Irgendetwas stimmte nicht an dem, was ich gesehen hatte.
Ich trat einen Schritt zurück und sah erneut rein. „Sakura. Du kochst?“
Meine Cousine warf mir einen spöttischen Blick zu. „Habe ich das nicht früher immer für dich gemacht?“
„Schon, schon, aber das letzte Mal ist nun zwei Jahre her. Du hast doch…“ Zuviel zu tun, hatte ich sagen wollen, doch sie wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite.
„Höchste Zeit, dass ich es mal wieder mache. Ich mag das kochen doch so gerne.“
„Ich auch“, beschwerte sich Kitsune, die neben Sakura stand und Zwiebeln schnitt. „Aber was passiert? Sakura-chan schneit hier rein und ich werde zum Hilfsarbeiter degradiert. Die Welt ist so ungerecht. Dabei habe ich fast die letzten zwei Jahre in dieser Küche das Kommando gehabt. Na, außer wenn Yoshi gekocht hat. Aber ansonsten…“
„Ich will ja nicht immer kochen“, besänftigte Sakura die Dämonin. „Nur heute mal und danach ab und zu. Wenn du mir dabei hilfst, bringe ich dir vielleicht meine Waffeln bei.“
Kitsunes Augen blitzten auf. „Deine Waffeln? Du meinst die Waffeln, die du nur Akari gezeigt hast?“
Ich unterdrückte ein Schmunzeln.
„Genau die Waffeln, Kitsune-chan“, sagte Sakura mit einem feinen Lächeln und kniff dabei die Augen zum so genannten Japanlächeln zusammen.
Übergangslos glomm Kitsunes Aura auf. Es sah aus, als würde Starkstrom über ihren Körper wandern. „Die ultimativen Waffeln, die mir noch fehlen, um meine westliche Küche zu vervollständigen… Was soll ich tun?“
„Ihr kommt ja gut zurecht, wie ich sehe“, bemerkte ich, winkte noch einmal und ging dann ins Wohnzimmer.

„Dann sind wir ja nur eine Etage voneinander entfernt, Torah-kun“, schall mir Akaris freudige Stimme entgegen, kaum dass ich die Tür zum Wohnzimmer geöffnet hatte.
Von ihrer depressiven Stimmung war nun nichts mehr zu spüren, denn während sie sich mit Michi unterhielt, schien sie richtig aufzublühen.
Was immer im Zusammenhang mit dem neuen Slayer an ihr nagte, im Moment war es vergessen.
Ich setzte mich dazu, grüßte kurz Yoshi und Kei, die gelangweilt in den Fernseher sahen und schmunzelte leicht. Es kam selten, viel zu selten vor, dass Akari außerhalb des Freundeskreises derart offen mit einem Menschen umging, gerade mit einem gleichaltrigen Jungen. Vielleicht hatte sie hier die Möglichkeit, wie ein völlig normales sechzehnjähriges Mädchen eine einfache Freundschaft aufzubauen.
Bis Michi soweit war, um ernsthaft versuchen zu können mich zu töten.
Der Gedanke zuckte durch meinen Kopf und verursachte mir seelischen Schmerz, nein, körperlichen, denn mein Magen zog sich zusammen. Verdammt. Was hatte ich mir dabei gedacht, Michi Torah mit nach Hause zu nehmen? Und warum ließ ich es zu, dass sich Akari offensichtlich mit ihm anfreundete? Irgendwann würde ich mein Versprechen halten und mit ihm kämpfen. Sicher würde er dabei sterben, vielleicht, wenn ich als Lehrer nicht versagte, würde ich sterben. Aber ich hatte es ihm versprochen und auf eine krude Art sogar die Berechtigung an Rache zuerkannt.
Für eine Sekunde fragte ich mich ernsthaft, ob ich nicht eher ein Fall für einen Psychiater war und nicht besser das Divisionskommando abgeben sollte.

„Es geht los“, murmelte Yoshi. „Hey, Sakura, sie bringen die Namen.“
„Komme! Megumi-chan, Yohko, beeilt euch, es geht los.“
„Was? Habe ich was nicht mitgekriegt?“, fragte ich verwundert.
Yoshi sah kurz zu mir herüber. „Sie veröffentlichen jetzt die Namensliste der Begleitschiffflotte. Zwölf Kähne liegen ja schon längs, aber die letzten neun Namen fehlen noch. Sie stoßen am Sprungpunkt Jupiter zu uns. Hast du das letzte strategische Meeting verschlafen, Akira?“
Ich spürte, wie ich rot wurde. Verschlafen war eine gute Formulierung. Wenn ich mich recht entsann, hatte ich es geleitet, die Ausarbeitung aber Makoto überlassen.
Na ja, bei all dem Ärger, den ich in letzter Zeit hatte, inklusive zwei Attentaten, durfte ich doch sicher mal was vergessen.

„Jetzt wird es spannend. Ich frage mich, ob die UEMF die BISMARCK und die HINDENBURG mitschicken oder nicht. Kann durchaus sein, dass sie in der Mission ein schlechtes Omen für die Schiffe sehen.“ Kei grinste mich an. „Immerhin hast du sie ja neulich ein halbes Jahr im atlantischen Ozean geparkt.“
Ich verdrehte die Augen. „Damals erschien mir das sehr logisch.“
„Und nachdem die Schiffsrümpfe aus eintausend Meter Tiefe geborgen und aufwändig restauriert worden waren, gab es angeblich keine Crew und keinen Kapitän, der freiwillig diese Schiffe übernehmen wollte“, setzte Kei nach.
„Ja, ja, ich habe einen Fluch über diese Schiffe gebracht. Ich bin der Böse. Und wenn sie mitkommen, werden sie vernichtet, weil meine Aura mit ihrem Karma kollidiert. Bla, bla, bla“, sagte ich und winkte ab.

Admiral Richards, der Oberbefehlshaber der Begleitflotte trat im Blitzlichtgewitter vor das Rednerpult. Blitzlichtgewitter, ja, wir hatten eine eigene Presse an Bord. Faksimile von großen Tageszeitungen und auch eigene Blätter.
„Das weckt keine guten Erinnerungen“, murmelte ich mehr zu mir selbst. Das letzte Mal, als ich selbst derart in Blitzlichter getaucht worden war, hatte ich die Jugend der Welt gezwungen, in den Krieg zu ziehen. Und davor hatte Joan Reilley eine schauspielerische Glanzleistung hingelegt, die mich für Wochen zum meistgehassten Mann meiner Schule gemacht hatte.
„Guten Morgen, AURORA“, sagte der bärbeißige Amerikaner, der mich als einer der Ersten unterstützt hatte, als die Kronosier den OLYMP mit Hilfe des Temporalresonators lahm gelegt hatten. Beifälliges Gemurmel antwortete ihm.
„Nun, Sie wissen alle, warum wir hier zusammen gekommen sind. Ich gebe jetzt die offizielle Liste der Schiffe ab, die uns begleiten werden.
Vorweg eines: Uns wurden von den Kronosiern zwanzig Schiffe der FOXTROTT-Klasse zur Verfügung gestellt, die direkte Begleitaufgaben erfüllen werden. Wir haben uns dazu entschlossen, diesen Schiffen Codenamen nach dem NATO-Alphabet anstatt Eigennamen zu geben. Dies vor allem, da sie keine festen Crews und keinen festen Kapitän haben werden.
Aber kommen wir zum eigentlichen Kern.
Das Flaggschiff unserer Flotte wird selbstverständlich der ZULU ZULU, Verzeihung, der BAKESCH sein, den uns unsere Anelph-Freunde zur Verfügung gestellt haben. Die SUNDER steht unter dem Kommando von Kapitän Kei Takahara, einem unserer Besten.
Die UEMF hat uns für unsere Mission drei BISMARCK zur Verfügung gestellt. Wie Sie alle wissen, ist die GRAF SPEE schon seit geraumer Zeit bei uns. Doch bisher wussten wir nicht, welche der anderen sieben bisher gebauten Schiffe uns begleiten werden.
Ich habe die große Freude, Ihnen verkünden zu können, dass uns die BISMARCK, der Namensgeber dieser Klasse sowie die PRINZ EUGEN die Ehre geben. Beide Schiffe wurden von Veteranenkapitänen des zweiten Marsfeldzuges übernommen. Kapitän Roger Smith wird die BISMARCK übernehmen. Kommodore Elora Gonzales kommandiert die PRINZ EUGEN.
Fünf Schiffe der MIDWAY-Klasse begleiten uns. Namentlich sind das die MIDWAY selbst, die LOS ANGELES, die WESTPOINT, die ENTERPRISE und die NEW YORK.
Dazu kommen zwölf YAMATO. Die YAMATO selbst wird ebenso dabei sein wie die KAZE, die KOBE, die AKAGI, die HARUNA, die SAKURA, die OSAKA, die TOKIO, die OKINAWA, die SEOUL und als letztes Schiff in der Aufstellung die BEIJING. Darüber hinaus teilte uns die UEMF anstelle einer zwölften YAMTAO-Fregatte die NOVEMBER-Fregatte KOWLOON zu.
Mit dieser Aufstellung an erfahrenen Schiffen, Kapitänen und Mannschaften weren wir diese Mission vollbringen.
Ich als Befehlshaber der Begleitflotte verlange von den Schiffen Mut, Opferbereitschaft, Leistung und Einsatz, wie es während dem zweiten Marsfeldzugs gezeigt wurde.
Zwei Planeten schicken uns voller Stolz und Hoffnung ins Unbekannte. Wir werden sie nicht enttäuschen. Nicht mit der Elite von zwei Planeten, die auf der AURORA und den Begleitschiffen versammelt ist.“

Wieder flammte das Blitzlichtgewitter auf. Ich nickte zufrieden. Man gab uns wirklich die erfahrensten und Kampferprobtesten Schiffe mit. Die KAZE, die LOS ANGELES, die GRAF SPEE und die YAMATO waren beim zweiten Marsangriff dabei gewesen. Bessere Schiffe konnte ich mir gar nicht wünschen. Alles in allem glaubte ich ernsthaft, eine Streitmacht zu sehen, die es durchaus mit einem Teil des Naguad-Imperium aufnehmen konnte.
Zugleich erschien mir dieser Gedanke aber vermessen.
„Macht die Flimmerkiste aus“, erklang Sakuras Stimme aus der Küche. „Essen ist fertig.“
Yoshi schaltete ab und setzte sich an den Tisch. „Na dann mal her mit den guten Sachen.“
Das traf den Kern der Sache recht gut, fand ich.
**
Nach dem Essen verschwand Akari kurz mit Michi, während ich mich mit Yoshi in den Garten setzte. Doitsu gesellte sich dazu und Mamoru, der während des Essens reingeschneit gekommen war, brachte kalten Tee und Gläser mit.
Wir füllten uns ein, genossen den kalten grünen Tee und sahen nach oben in den projizierten Sternenhimmel, während die holographische Sonne versank.
Ich seufzte leise. „Ein wirklich schöner Tag.“
„Ja“, pflichtete Mamoru bei, „man kann glatt vergessen, dass man hier in einem hohlen Felsen sitzt und gerade in ein ungewisses Schicksal rast.“
Ich seufzte schwer. „Danke, dass du die Stimmung ruiniert hast. Außerdem, es sind noch zwei Wochen bis zum Sprung. Du kannst dich also jederzeit absetzen.“
„Wieso? Ich liebe den Sprung ins Unbekannte“, erwiderte der Geheimdienstoffizier mit einem Lächeln.
„Das merkt man. Deshalb verstehst du dich auch mit dieser Gina so gut, was?“, spöttelte Yoshi. „Gut, dass Akane das so gut weg gesteckt hat.“
Mamoru wurde kurz rot. „W-was hat Akane denn damit zu tun? Wir sind nicht mehr zusammen.“
„Apropos“, setzte Doitsu hinzu, „arbeitest du jetzt eigentlich als Koch in Ginas Restaurant? Ich meine, das war doch im Gespräch, oder?“
Mamoru umklammerte sein Glas und sah zu Boden. „Ich… helfe ab und zu mal aus. Sie hat ja eine eigene Crew zusammen gekriegt und das Lokal ist immer gut gefüllt. Aber hier und da…“
„Interessant. Und wie nimmt Akane die Sache auf?“, fragte ich leise.
„Schon wieder Akane. Wir sind nicht mehr zusammen. Lies es von meinen Lippen ab, Akira. Nicht mehr zusammen.“
Abwehrend hob ich die Rechte. „Ruhig, ruhig, mein Großer. Es schien mir nur halt so, als wärst du noch nicht richtig drüber weg. Und Akane wirft dir immer diese heimlichen, verliebten Blicke zu und so…“
„Erzähl nicht so einen Quatsch, Akira!“, blaffte Mamoru wütend.
Leise fügte er hinzu: „Wäre ja schön, wenn es so wäre.“
„Du liebst sie immer noch?“, fragte Doitsu ernst.
„Weiß nicht. Was ist Liebe? Das man kaum Schlaf findet? Das sie mein erster und mein letzter Gedanke am Tag ist? Das ich mich schuldig fühle für jede Frau mit der ich ein Wort wechsle?“
„Ihr solltet euch dringend mal aussprechen“, murmelte ich teils belustigt, teils resignierend.
„Ja, das sollten wir wohl“, murmelte er ernst.

„Themawechsel“, bestimmte Yoshi. „Akira. Du wirst nächste Woche die Booster-Expedition zum Jupiter leiten. Hast du schon entschieden, welcher Mecha-Pilot auf dem Jupitermond Europa landen darf und somit unsterblich in den Geschichtsbüchern verewigt wird?“
„Hm“, machte ich leise. „Ein Epsilon wird uns begleiten. Wenn ich Makoto dazu kriege, das Team zu leiten, dann wird er der erste Mensch auf Europa.“
„Und wenn nicht? Wird es dann Megumi? Oder Yohko?“
„Nein, Doitsu. Ich dachte dann an dich oder Yoshi. Dai-chan wäre auch keine schlechte Wahl, oder?“, erwiderte ich mit einem Lächeln.
„Oder du nimmst jemanden, der wirklich hart gearbeitet hat, um sich in den Hekatoncheiren zu behaupten.“ Yoshi zog einen eng beschriebenen Zettel hervor. „Hier, Vorschläge deiner Regiments- und Bataillonskommandeure.“
Ich nickte ernst. „Akzeptiert.“ Vielleicht waren unter all den Namen tatsächlich einige dabei, die diese Ehre verdient hatten. Und die danach als Ansporn für die anderen Hekatoncheiren dienen würden.

„Waaah! Die ganze Reihe!“, erklang plötzlich eine laute Stimme aus dem Fenster zu meinem Zimmer. „Alle bisher erschienenen Bände! Hochglanzcover und handsigniert. Ich habe noch nie davon gehört, dass Hideako Teutsch einen seiner Mangas handsigniert hat!“
„Nicht so laut, Michi! Wenn Akira uns hört und hier reinkommt, während wir seine Sammlung durchstöbern…“, klang Akaris Stimme auf, nur wenig leiser.
Ich tauschte einen überraschten Blick mit den anderen aus und rückte auf der Veranda näher an mein Fenster heran. Die anderen folgten mir grinsend.
„Beyond the Lines: Daystorm hat er ja auch. Die ausgekoppelte Geschichte aus der Haupthandlung um dieses Wurmloch. Ich habe nie alle drei Bände zusammen auf einem Haufen gesehen. Und auch handsigniert! Wow!“
„Beyond the Lines scheint ihm zu gefallen“, sagte ich zu Doitsu. Die Geschichte eines Krieges der Menschen mit einer insektoiden Alienrasse und insbesondere einem Trägerraumschiffs, dass hinter der Frontlinie operierte war schon lange kein Geheimtipp mehr, sondern ein richtiges Massenprodukt. Es gab kaum einen Mangafan, der die epischen Zeichnungen und die gut dargestellten Charaktere nicht kannte. Die unterkühlte Russin, den überspitzten, karrieregeilen CAG, die einzelnen, liebenswert oder abstoßend gezeichneten Piloten. Die diversen Liebesgeschichten, das Leid und der Schmerz, wenn es wieder einen Kameraden erwischt hatte.
Doitsu nickte. „Ich arbeite gerade an Band neun. Zweihundert Seiten fehlen mir noch, aber ich komme ganz gut voran.“
Yoshi sackte die Kinnlade runter. „Was? Wie? Du… Du bist Hideako Teutsch?“
„Sag bloß, dass wusstest du nicht?“, kommentierte Mamoru amüsiert. „Hat er dich während des Flugs zum Mars etwa nicht mit seinen ersten Entwürfen und Zeichnungen genervt?“
„Ja, schon, aber…“
„Und ist dir nicht aufgefallen, wie sehr sich der Stil von Doitsu und Hideako ähneln?“
„Jetzt, wo du es sagst…“ Yoshi warf Doitsu einen bösen Blick zu. „Das bedeutet, dass du meine Bände auch signierst, verstanden?“
„Schon gut, schon gut, habe es kapiert“, erwiderte Doitsu grinsend.
Er schob mit der Rechten seine Brille die Nase wieder hoch, was in der Abendsonne einen spiegelnden Reflex hinterließ. „Ich habe zwar etwas wenig Zeit, aber die Arbeit an meinem Manga ist mir das Wichtigste.“

„Und, Akira?“, fragte Mamoru.
„Was, und, Mamo-chan?“
„Und, wann willst du Michi-kun und Akari aus deinem Zimmer werfen?“
Ich winkte ab. „Lass sie doch lesen. Ich gehe schon rein, wenn es mir zuviel wird.“
„Hey, Akari, meinst du, dein Bruder merkt was, wenn ich mir ein paar der Mangas ausleihe?“
Ich sprang auf wie von einer Tarantel gestochen. „Ich glaube, jetzt ist es mir zuviel.“
Unter dem Gelächter meiner Freunde hetzte ich wieder ins Haus. Meine Sammlung, meine geheiligte Sammlung – auseinander gerissen? Niemals!

Epilog:
Die fünf Mechas rasten mit Hilfe der Booster knapp unter einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit durch das Sonnensystem.
Es waren drei Hawks, ein Eagle und ein Long Range Area Observer oder auch umgebauter Epsilon, die mit Hilfe der Booster-Packs einen kurzen Abstecher zum Jupiter machten.
Nein, eigentlich waren es nur zwei Hawks, denn obwohl das Konzept des Mechas Primus nachempfunden worden war saß ich in keinem Hawk. Ich steuerte einen modifizierten Daishi Beta. Meinen Daishi Beta. Den legendären Prime Lightning.
„Und da kommt er auch schon in Sicht“, hörte ich Makotos Stimme über den Funk rufen. „Meine Damen und Herren, der Jupiter. Ich schicke euch die Kursdaten, die Ihr braucht, um rechtzeitig für das Rendezvous mit Europa abzubremsen und sicher in den Orbit um den Mond zu gehen.
Und seid wachsam. Der Jupiter ist eine Art Staubsauger, der Abermilliarden Tonnen Geröll und Weltraumschrott aufsaugt, lange bevor sie den inneren Planeten gefährlich werden können. Je näher wir ihm also kommen, desto mehr werden unsere Schutzschirme belastet.
Wie um seine Worte zu bestätigen flammte mein eigener Schirm auf und zerstieb ein faustgroßes Trümmerstück in seine Atome. Zum Glück war es nicht sehr schnell gewesen.
„Verstanden“, bestätigte ich. Auch Yoshi meldete sich kurz.

„Hey, Akira“, erklang eine Frauenstimme. Ich erkannte sofort Hitomi wieder, eine Klassenkameradin von Megumi, die uns ebenfalls auf die Marsmission begleitet hatte, aber im Stab gelandet war. Hier und heute leitete sie das Team aus vier Ortungstechnikern an Bord des LRAO, den Makoto steuerte.
„Was gibt es, Hitomi-chan?“
„Hm, hast du schon eine Entscheidung getroffen? Wer wird denn nun der erste Mensch auf dem Mond Europa sein?“
Yoshi schaltete sich dazu. „Also, wenn du mich ausgewählt hast, vergiss es. Es gibt genügend andere, die diese Ehre eher verdient hätten.“
Die Mechas schoben, von den künstlichen Intelligenzen gesteuert, ihre Steuerdüsen nach vorne und gaben Gegenschub, um auf den neuen Kurs zu wechseln und die Geschwindigkeit zu reduzieren. Jupiter wurde größer und größer, sogar das Sturmauge, das Wahrzeichen des Gigantplaneten konnte man schon sehr gut erkennen.
„Ja, ich habe eine Entscheidung getroffen. Goran, hast du die Ohren auf?“
Captain Goran Kurosz, einer von Yoshis Kompaniechefs, meldete sich sofort. „Klar, Chef. Wenig reden, viel zuhören ist das Zauberwort.“
Ich grinste schief. „Du hast dir in letzter Zeit richtig Mühe gegeben, Kumpel. Darum möchte ich, dass du Europa betrittst.“
„Das… Das ist eine große Ehre“, hauchte der Mann ergriffen.
„Warte, warte. Ich bin noch nicht fertig. Lieutenant Daynes?“
„Sir?“
„Ich will mal ganz ehrlich mit Ihnen sein. Ich mag Sie nicht. Meiner Meinung nach verehren Sie Colonel Uno etwas zu sehr und scharwenzeln viel zu oft um sie herum. Man könnte glatt meinen, Sie wollen mir meine Freundin ausspannen.“
„Ich… ich…“, stammelte der Amerikaner, während die anderen lachten.
„Und noch was. Ich hatte Sie von Anfang an auf meiner Abschussliste, und ich stand auch kurz davor, Sie nach Hause zu schicken.“
Ich ließ den Gedanken sacken, während die Mechas rapide Geschwindigkeit reduzierten.
„Aber ich habe mich geirrt. Sie haben sich gut gemacht, ja, sie haben nicht nur Leistung gezeigt, sondern auch noch kontinuierlich verbessert. Sie haben sich Mühe gegeben. Viel Mühe. Nun, das hat mir imponiert. Deshalb will ich, dass Sie zeitgleich mit Captain Kurosz auf Europa landen. Verstanden?“
„Ver…Verstanden, Sir.“
Ich schmunzelte. Der Junge hatte so aufgeregt geklungen. Das tat richtig gut.

Wir kamen in dem Orbit um Europa an. Ich besah mir die Eiswelt genauer und erschauderte. Kurz gingen mir wundervolle Ideen durch den Kopf, wie künstliche Sonnen zu installieren und den Eismantel schmelzen zu lassen, um aus diesem Mond eine bewohnbare Welt zu machen. Aber der Gedanke war einfach zu phantastisch.
„Ein paar Atomsonnen aus Anelph-Produktion, in tiefem Orbit“, hörte ich Yoshi murmeln, „dazu dreihundert Kontrollstationen, die das Abschmelzen des Eises überwachen… Akira, das hier könnte mal eine annehmbare Welt werden. Der Fischereiplanet des Sonnensystems.“
Ich schmunzelte amüsiert. Zum Teil darüber, das wir uns wieder einmal die gleichen Gedanken gemacht hatten.
„Ach. Und auf der Venus richtest du eine Großbäckerei ein, was?“
„Spötter“, kommentierte er amüsiert.

„Okay, es geht los. Lieutenant, Captain, bereiten Sie sich auf den Abstieg vor.“
„Sir, wir haben drüber geredet“, meldete sich Daynes zu Wort, „und wir wissen auch zu schätzen, welche Chance Sie uns hier bieten. Aber…“
Erstaunt hob ich die Augenbrauen. Lehnten die zwei etwa ab?
„Aber wir sind beide der Meinung, dass wir alle zusammen da runter gehen sollten.“
Ich schwieg verblüfft. Das war wirklich eine Überraschung.
„Na, wenn alle einverstanden sind…“
Ich dirigierte Prime zu Makotos LRAO herüber und griff nach der humanoiden Hand. „Darf ich bitten?“
Makoto griff nach Daynes, der nach Yoshi, und dieser nach Kurosz. Als die Linke seines Hawks in Primes Rechter ruhte, hatten wir den Kreis geschlossen.
„Okay, Colonel Ino hat Prioritätsrecht. Seine KI lenkt den Abstieg. Gehen wir Geschichte schreiben, Leute.“
„Roger“, hallte es mir entgegen, während wir auf die Eisoberfläche herab stiegen. Unsere ganz persönliche Zeile in der Geschichte der Erforschung des Sonnensystems.
Ein erhabener Gedanke.

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Ace Kaiser,
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Mein Leben in Worte zu kleiden ist schwierig. Langweilig war es nie, aber oftmals war es… Beängstigend. Ein anderer Faktor aber trifft sehr wohl für mein Leben sehr gut zu. Bis zu einem gewissen Punkt war ich… Einsam. Ich dachte lange Zeit, das müsste so sein. Doch dann gab es den Tag, der mein ganzes Leben veränderte…

Anime Evolution: Erweitert präsentiert:
Daisuke Honda, Kommando, Mecha-Pilot, Leibwächter.

Ich weiß es noch wie gestern, als ich das Eintrittsformular für die United Earth Mecha Force unterschrieb. Es waren schlimme Zeiten, in denen die UEMF viele junge Leute suchte, um mit ihnen die neu entwickelten Mechas zu bemannen und sich gegen die Daishis der Kronosier zu stemmen. Von zehntausend Menschen kam nur einer in Frage, was Fitness, Reflexe und Synchronisation betraf. Ich war einer von ihnen.
In diesem Moment dachte ich, mein sinnloses Leben hätte endlich die richtige Richtung gefunden.
Im Anbetracht meiner Vorbilder, Blue Lightning, Lady Death, Zeus und Thunderstrike, die Gerüchtehalber sogar noch jünger als ich sein sollten, aber trotzdem gegen den Feind kämpften, wollte ich diese Chance, diese Gelegenheit nicht versauen.

Ich würde gerne eine rührselige Geschichte liefern, wie aufgewachsen in einem Krisengebiet, schon in jungen Jahren gezwungen zur Waffe zu greifen und ständig ums Leben kämpfend. Aber dem war nicht so. Ich wuchs behütet auf, war der älteste Sohn des Hauses und sollte dereinst das Familienunternehmen übernehmen.
Ich ging auf eine Privatschule und mein hervorragender Abschluss war bereits beschlossene Sache, bevor ich überhaupt meine erste Stunde hatte.
Der Nebeneffekt dieses Lebens aber war eine Leere, eine tief greifende Leere, der ich nicht entkommen konnte, die von mir Besitz ergriff, die mich auffraß.
Das einzige, was mir in dieser Zeit Trost spendete, das mir Halt gab, das war mein Kampfsport. Aikhido, Karate, Judo. Ich war nie sehr gut in diesen Disziplinen, denn auch hier fehlte mir die Herausforderung. Auch hier wurde es mir leicht gemacht.
Aber wenigstens waren die Schmerzen echt. Man konnte sagen, mein Leben war am Ende, bevor es eigentlich begann.
Das war, bevor ich eines Nachts zum Sternenhimmel hinauf sah.

Über mir glitzerten die Sterne wie eine ferne Verheißung. Ein lockender Ruf nach Abenteuer und Gelegenheit, endlich ich selbst zu sein. Und zwischen den Sternen… Da blühten die Blitze schwerer Explosionen auf.
Fasziniert sah ich dabei zu, wie über mir gekämpft wurde. Wie ich heute weiß, in über hundert Kilometer Höhe.
Ebenso fasziniert sah ich dabei zu, wie eine kronosische Fregatte der NOVEMBER-Klasse als feuriger Komet abstürzte.
War es Zufall? Oder Bestimmung? Der gigantische Stahlball fiel nicht ins Meer, nein, er raste auf den Platz zu, an dem ich stand. Nun, nicht gerade direkt auf mich zu, aber mir war klar, dass die Explosion nach dem Aufschlag nicht viel von mir übrig lassen würde.
Aber das machte in dem Moment nicht viel. Denn ich hielt es für Bestimmung und meine Chance, ohne meiner Familie Schande zu machen aus diesem Leben zu fliehen.
Der Feuerball kam näher und näher und näher und… verschwand aus meiner Sicht. Stattdessen spürte ich eisig kalten Wind an mir zerren, fühlte ihn peitschen und mir die Luft aus den Lungen reißen. Ich riss die Augen auf, versuchte meine Umgebung zu erkennen und sah… Einen Hawk. Ich steckte in der voll modellierten Hand, während das Stahlungetüm fort raste, fort von der Absturzstelle.
Der NOVEMBER bohrte sich in die Erde, ging hoch. Ein Lichtblitz folgte, der mich fast blendete. Die Hitze der Explosion hüllte mich ein, ließ mich glauben, bei lebendigem Leib zu verbrennen – und dann wurde es wieder kühl.

Stunden später saß ich in einem Behandlungsraum eines Lazaretts, in der Hand einen Becher heißen Tee, über den Schultern eine warme Decke. Und mein Retter, ein Junge mit roten Haaren, klopfte mir auf die Schulter. „Da hast du ja noch mal Schwein gehabt. Dir ist nichts passiert.“
Ich sah den Jungen an und konnte nur staunen. „Die Fregatte, der Absturz, ich…“
Verlegen legte er eine Hand auf den Hinterkopf. „Tut mir Leid. Blue Lightning und ich hatten leider keine Gelegenheit, die Fregatte richtig zu vernichten. Uns fehlen eben immer noch Feuerkraft und weitere Hawks.“
Dies war der Moment, in dem ich mich entschied. Es erschien mir, als wäre mir ein zweites Leben geschenkt worden, das ich nun neu nutzen und mit Sinn füllen wollte.
Und der Anblick dieses jungen Mannes, der seine Existenz und den wertvollen Hawk riskiert hatte um mich zu retten, gab mir den Ausschlag. Ich wollte so werden wie er.

Am nächsten Tag bewarb ich mich bei der UEMF. Wie alle Aspiranten wurde ich auf meine Tauglichkeit getestet, um mit der künstlichen Intelligenz eines Hawks zu synchronisieren.
Damals wurde mein volles Potential noch nicht erkannt, weshalb ich zuerst zur Infanterieausbildung kam und auf die Warteliste gesetzt wurde.
Ein halbes Jahr später, nachdem meine Fähigkeiten in meinen Kampfsportarten erheblich voran gebracht worden waren und ich neben Gehorsam auch den Umgang mit Dutzenden Waffen erlernt hatte, wurde ich erneut getestet und erreichte eine Synchronisation, die beinahe an die Werte eines Blue Lightnings heran reichte.
Die Disziplin beim Kampfsport, beim Militär hatte mich fokussiert, meinen Geist geklärt, meinen Verstand geschärft. Ich erkannte, welch Potential ich mit mir herum geschleppt und absolut verschwendet hatte. Und ergab mich der Disziplin. Ich wollte der perfekte Hawk-Pilot werden. Der perfekte Soldat. Niemals einen Fehler machen. Und doch beging ich Dutzende.
Es dauerte Jahre, bis ich verstand, dass dies der richtige Weg und kein Fehler war.
**
Ich weiß noch, wie bestürzt ich war, als ich vom Ergebnis der Mars-Attacke erfuhr. Sie war erfolgreich gewesen, aber um welchen Preis.
Einer von vier Elitepiloten der Menschheit war tot. Einer von vier jungen Menschen, die alles gegeben hatten, um diese Welt zu beschützen, hatte das ultimative Opfer erbracht.
Mittlerweile hatten wir auf der Erde über dreißig Mecha-Piloten, und ich fragte mich ernsthaft, ob ich auf dem Mars eine Hilfe gewesen wäre. Ob ich nicht hätte verhindern können dass Thunderstrike sterben musste. Ja, ich machte mir Vorwürfe.
Als dann Blue Lightning seinen Dienst auf unbestimmte Zeit ruhen ließ, konnte ich es verstehen, aber für mich brach eine Welt zusammen. Blue Lightning, ausgerechnet er, diente nicht mehr. Wer beschützte nun die Menschheit? Wer verhinderte, dass die Schiffe und Daishis der Kronosier erneut die Erde direkt angriffen? Wer stand zwischen ihnen und dem OLYMP?
Die Antwort war klar. Ich.
Ich nahm diese Aufgabe an und schwor mir, so gut darin zu sein, dass Blue Lightning stolz auf mich sein konnte.
**
Unser Angriff erfolgte überraschend. Es waren keine Daishis in der Luft, um unser Kommando aus fünf Hawks und einem Eagle abzufangen. Wir radierten die aufgeklärten Abwehrstellungen im ersten Anflug komplett aus und vernichteten drei Viertel der anderen, bisher versteckten Stellungen. Drei startende Daishi Beta wurden von uns noch im Hangar vernichtet.
Gigantische Bell-Transporthubschrauber landeten und entließen mehrere Kompanien Elite-Infanterie.
Wir nahmen hier ein Nest hoch. Ein Nest der Kronosier, eine einsame Insel in der Südsee, die eigentlich unbewohnt sein sollte. Aber stattdessen erwartete uns eine schwer verteidigte Festung unserer Feinde.
Ein kalter Schauder ging durch meinen Körper, als ich einen Daishi Alpha, der ebenfalls gerade starten wollte, eine volle Raketensalve in den Leib jagte. Er fiel zurück in den Hangar und blieb dort liegen.
Ich ging kein Risiko ein, landete mit beiden Füßen meines Mechas auf seinem Cockpit.
Damit stand ich im Feindhangar.
Schnell zerstörte ich das Kontrollhaus für die Tore und verhinderte so, dass meine Leute ausgesperrt wurden. Danach machte ich mich auf den Weg tiefer in den Komplex.
Das Nest, es war etwas Besonderes. In ihm sollte Blue Lightning gefangen sein.
Wieder lief ein Schauder durch meinen Körper. Als Teil des Militärs hatte ich natürlich von seiner Entführung gehört, von der monatelangen Suche nach ihm, die immer wieder ins Leere endete. Hatte gebangt und gehofft, wie alle anderen.
Und war nun entsprechend motiviert, um mein Bestes zu geben, um ihn zu retten!

Der Hawk wurde schnell zu groß für die Gänge des Stützpunkts. Also nahm ich meine Handfeuerwaffen an mich und verließ das Cockpit, um zu Fuß voran zu kommen. Eine innere Stimme mahnte mich zur Eile, machte mir schmerzhaft bewusst, dass zögern, warten auf die Infanterie der groé, der größte Fehler meines Lebens sein konnte. Also stieß ich alleine vor, auf meine Reflexe, meine Ausbildung vertrauend.
Gewehrfeuer zwang mich in Deckung, ich feuerte zurück. Warf eine Handgranate und näherte mich meinem Gegner im Deckschatten der Explosion. Ich tötete ihn aus kurzer Distanz und hetzte weiter. Ich funktionierte. Und das sehr gut. Nichts konnte mich überraschen, nichts konnte mich erschüttern.
Gut, fast nichts, erkannte ich, als ich die schier endlose Reihe an Tanks mit bernsteinfarbener Flüssigkeit erreichte, in denen je ein nackter, menschlicher Körper trieb.
Ich erstarrte. Verharrte sekundenlang. Versagte. Ich, der ich perfekt funktionierte.
Dann erst ging mein Blick den Gang hinunter, erkannte einen Mann, der vor einem der Tanks stand und gehetzt hinein sah.
Mein Blick ging zu dem Tank daneben, in dem eine junge Frau gefangen zu sein schien. Sie hämmerte von innen gegen den Tank, was ich für eine beachtliche Leistung hielt, denn die anderen Menschen trieben nur träge und ohne Bewusstsein in der Flüssigkeit.
Bis ich erkannte, was sie aufgeweckt, was sie so aufgewühlt hatte!
Ich hob meine Waffe und feuerte auf den Mann vor dem Tank, eilte hin, sah Funken auf den Apparaturen schlagen.

Der junge Mann im Tank sah auf mich herab.
Und ich sah, wie die Flüssigkeit an seiner linken Schläfe kochte.
Der Fremde hatte ihn töten wollen.
Verzweifelt versuchte ich, die Einstellungen wieder rückgängig zu machen, ihm das Leben zu retten, zu funktionieren.
Gehetzt ging mein Blick umher, auf der Suche nach Hilfe.
Da trafen meine Augen auf den Blick des Mädchens. Der Blick wanderte und fixierte einen Anschluss an der Seite des Tanks und ohne nachzudenken vertraute ich ihr, riss den Anschluss heraus.
Kurz darauf hörte der Funkenschlag auf, das Wasser beruhigte sich.

Schwer atmend lehnte ich mich gegen den Tank. Ich hatte beinahe versagt. Beinahe wäre jemand gestorben, weil ich nicht gewusst hatte, wie ich ihn retten sollte.
Und das in dem Moment, in dem er eigentlich befreit werden sollte.
Ich fühlte mich erbärmlich und erleichtert zugleich.
Wieder sah ich in den Tank mit dem Mädchen. Sie sah mich an und lächelte erleichtert.
Ich kam von meiner Position herüber, legte beide Hände schwer auf ihren Tank. Und sank mit meinem Kopf gegen die Scheibe. Hemmungslos begann ich zu weinen.
Nicht ich hatte den jungen Mann gerettet. Sie war es gewesen. Ich war nur ihr Arm, ihr ausführendes Organ gewesen.
Da bemerkte ich ihre Hände, wie sie sich auf ihrer Seite des Tanks gegen das Glas drückten, so als wollte sie mein Gesicht liebkosen.
Ich sah auf, blickte in ihre wundervollen, klaren Augen, sah darin diese tiefe Dankbarkeit und fühlte, wie ich erneut tief berührt wurde.
Eine Sekunde später aber sickerte die Erkenntnis zu mir durch, dass sie nackt war. Und ich dummerweise jedes Detail ihres Körpers sehr genau betrachtet hatte.
Rot wie eine Tomate wandte ich mich also um und erhaschte so etwas wie Amüsement in ihrem Blick. So als wollte sie mir sagen, dass es nun etwas spät wäre, um schüchtern zu werden.
**
Lieutenant Commander Beuachamp sah auf mich herab, während er durch das Büro auf dem OLYMP auf und ab ging. Der Offizier war Stellvertretender militärischer Kommandeur auf der oberen Plattform des riesigen Orbitalaufzugsystems und einer von meinen Ausbildern. Eigentlich der Beste, den ich je erlebt hatte. Er selbst sagte immer von sich, dass er nur ein erbarmungsloser Schleifer ohne besondere Fähigkeiten war. Aber ich wusste es besser.
Er war ein guter Mann und guter Offizier, der es ohne weiteres mit Commander Steiner, dem militärischen Oberbefehlshaber aufnehmen konnte. Und sicher konnte er auch Commander Thomas, dem Mentor von Blue Lightning das Wasser reichen.
„Das war eine verdammt gute Arbeit, Second Lieutenant“, sagte Beauchamp und blieb endlich stehen. „Wissen Sie eigentlich, wen Sie da im Tank gerettet haben?“
Amüsiert sah er mir in die Augen. „Sie haben Blue Lightning den Arsch gerettet.“
Übergangslos musste ich mit einem Brechreiz kämpfen. Die Luft schnürte sich mir ab und ich rutschte von meinem Sessel. Schwer stützte ich mich auf dem Boden ab und rang röchelnd nach Atem. Der junge Mann, das war Blue Lightning persönlich gewesen?
Klar, ich hatte ihn gerettet, aber viel zu spät. Es hieß, die Ärzte hätten es nicht gewagt, ihn aus dem Tank zu nehmen, weil der überlastete Anschluss ihm fast das Gehirn gekocht hätte.
„Es… tut mir Leid, dass ich so langsam war“, keuchte ich und kämpfte mit meinem Mageninhalt.

Übergangslos spürte ich die Hand des Offiziers auf meiner Schulter. „Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen, Honda. Sie haben ihm das Leben gerettet. Blue Lightning wird noch eine sehr lange Zeit im Tank verbringen, ja, das ist Richtig. Aber er wird wieder gesund werden. Und das er das kann, verdankt er nur Ihnen.“
„Nicht mir“, begehrte ich auf.
Beauchamp winkte ab. „Ich habe Ihren Bericht bezüglich Miss Anderson gelesen. Sagen wir einfach, Sie beide geben ein gutes Team ab.“
Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch und wartete ab, bis ich erneut in meinen Sessel geklettert war.
„Was uns nun auch schon zu Thema bringt“, brummte der Commander und schob mit einen Becher mit Tee zu. „Hier, beruhigt die Nerven.“
Dankbar nahm ich den Tee an und trank vorsichtig.
„Sie werden für Ihre Leistungen zum First Lieutenant befördert. Und der Silver Star ist auch für Sie drin, Daisuke.“
Prustend spuckte ich den Tee wieder aus – zum Glück nicht in die Richtung meines Ausbilders. „Was?“
„Sie haben mich schon gut verstanden, junger Mann“, kommentierte der Algerier amüsiert. „Leider ist mit der Beförderung ein Aufgabenwechsel verbunden. Sie werden ab sofort dem Personenschutz eines Escaped zugeteilt. Sie wissen doch, was ein Escaped ist?“
Verwirrt nickte ich. „Natürlich, Sir. Ein Escaped ist jemand, der in einem Biocomputer der Kronosier vernetzt war, befreit wurde und nun noch über Teile oder sogar das ganze Wissen des Computers verfügt.“
„Im Groben ist das richtig, Lieutenant. Jedenfalls hat eine der Escaped ausgerechnet Sie persönlich als Personenschutz angefordert. Sie ist als Beraterin in die UEMF eingetreten und wird an diversen Forschungsprojekten mitarbeiten. Aber generell wird sie nach Japan wechseln und an der Hochsicherheitseinrichtung Fushida Hochschule ihren Abschluss machen. Sie werden die Escaped getarnt als normaler Schüler begleiten und für ihre Sicherheit sorgen.“
Beauchamp grinste fies. „Und selbstverständlich erwartet die UEMF, dass Sie einen exzellenten Abschluss machen und die Truppe nicht blamieren.“
„Selbstverständlich nicht, Sir.“

Beauchamp lächelte schief und aktivierte sein Sprechgerät. „Miss Anderson kann nun rein kommen.“
Dies war der Moment, in dem mir der Magen, der gerade noch rebelliert hatte, vollends bis zu den Knien durchsackte. Ungläubig drehte ich den Kopf zur Tür und sah tatsächlich die blonde junge Amerikanerin eintreten, die damals in dem Tank neben Blue Lightning gefangen gewesen war.
Wieder lächelte sie, und ich fühlte, wie mir heiß und kalt zugleich wurde. Gedanken, Erwartungen und mein Pflichtbewusstsein veranstalteten ein wildes Durcheinander in meinem Kopf und schmerzhaft wurde mir bewusst, dass ich mich in einer winzigen Sekunde in diese Frau verliebt hatte.
Sarah Anderson verneigte sich leicht vor mir und sagte: „Ich begebe mich in Ihre Obhut, Lieutenant Honda. Bitte kümmern Sie sich gut um mich.“
Ich sprang auf, erwiderte die Verneigung und antwortete: „Ich stehe mit meinem Leben für Sie ein, Miss Anderson.“
Und ich wusste, es war keine Floskel. Es war die reine Wahrheit.
**
„Mein Name ist Mamoru Hatake. Freut mich, Sie kennen zu lernen, Lieutenant.“
Erschüttert schüttelte ich die Hand des groß gewachsenen Mannes. Ich konnte kaum glauben, dass er erst im zweiten Jahr der Oberstufe war. Und noch unglaublicher war, dass dieser Mann der Komet sein sollte. Komet, so wurde er genannt, weil er einen halsbrecherischen Aufstieg im Geheimdienst der UEMF hinter sich hatte. Im Moment bekleidete er den Rang eines Captains und koordinierte die Geheimdienstarbeit in der Fushida Oberstufe. Diese Einrichtung war mehrfach durchleuchtet und wurde von einem guten Dutzend Undercoveragenten überwacht. Ziel war es, aus der Schule einen sicheren Ort zu machen. Einen sicheren Ort für Menschen wie Sarah. Oder für Captain Uno, die bald in die Oberstufe auf diese Schule wechseln würde.
Und wie es hieß, würde auch Akira Otomo, der Sohn von Eikichi Otomo, bald hier anfangen. Was die Geheimagenten hier vollends rotieren lassen würde.
„Freut mich ebenso, Captain Hatake“, erwiderte ich ernst und hielt seinen Blick fixiert.
Mamoru Hatake schmunzelte bei diesem Anblick. „Aber, aber, Lieutenant. Nur weil ich Sie mit dem Rang angesprochen habe, müssen Sie sich nicht aufführen wie auf dem Kasernenhof. Vergessen Sie nicht, der Geheimdienst der UEMF ist eigentlich gar nicht hier. Ich bin ein ganz normaler Schüler, genau wie Sie.“
„Verstanden“, erwiderte ich laut und knapp.
Mamoru senkte den Kopf. „Ich gebe es auf. Sehen Sie wenigstens zu, dass Ihr militärisches Gehabe nicht auffällt, Daisuke, ja? Und wenn doch, dann spielen Sie einfach den Militär-Otaku.“
Ich runzelte die Stirn. Übertrieb ich etwa? Nein, das konnte nicht sein. Priorität hatte vor allem die Sicherheit der Schutzbefohlenen. Und vor allem einer Schutzbefohlenen.“
Mamoru schob mir eine Dose mit heißem Kaffee zu. „Ich habe in Ihre Akte gesehen, Daisuke. Und dabei drängte sich mir eine Frage auf: Sie könnten längst eine Sektion bei den Hekatoncheiren kommandieren. Was machen Sie hier im Personenschutz?“
Unwillkürlich ging mein Blick zu den Fotos, die Mamoru vor sich ausgebreitet hatte. Einige der Schnappschüsse zeigten mich mit Sarah zusammen. Und entsetzt stellte ich fest, dass ich auf viel zu vielen Bildern lächelte.
Dabei war eigentlich mein heimliches Ziel gewesen, Sarah nicht zu zeigen, was ich für sie fühlte. Nur in ihrer Nähe zu sein, mich um sie kümmern zu können, das war mein Glück. Mehr wollte ich nicht, mehr durfte nicht sein.
„Ach, Sarah-chan“, bemerkte Mamoru erstaunt, als er meinem Blick folgte. „Na, das ist doch mal ein guter Grund.“
Ich spürte wie ich rot wurde. „Wenn es das war dann…“
„Noch nicht ganz“, sagte Mamoru und wurde übergangslos wieder ernst. „Eine Sache hätte ich da noch. Megumi Uno fängt an dieser Schule an, ich hatte es gerade erwähnt. Ich weiß, Sie sind persönlich Sarah Anderson zugeteilt. Aber…“
Ich nickte schwer. „Selbstverständlich hat die Sicherheit des Topass unserer Mecha-Streitkräfte Priorität. Rufen Sie mich, wann immer Sie mich brauchen.“
Mamoru wirkte erleichtert. „Danke, dass Sie es so sehen, Daisuke. Sie können wegtreten.“

Ich unterdrückte das Verlangen zu salutieren oder auf dem Absatz schneidig kehrt zu machen. Ich schnappte mir nur meine Dose und ging zur Tür.
„Ach, noch was. Daisuke, mögen Sie Karaoke?“
„Ich bin nicht der beste Sänger“, erwiderte ich.
„Das macht nichts. Ich auch nicht. Haben Sie Lust, mit mir und einigen Leuten aus dem Team mal einen Nachmittag zu verbringen? Bringen Sie Ihre Freundin mit.“
„Sicher. Am Wochenende hätten wir Zeit“, erwiderte ich, wagte ein knappes Lächeln und verließ den Raum.
Bis mir auffiel, was Mamoru Hatake gesagt und was ich geantwortet hatte. Sarah war nicht meine Freundin. Durfte es nicht sein.
Das ich etwas für sie empfand war meine Privatsache, aber ich durfte es nicht nach außen zeigen.
Andererseits durfte ich nicht unterkühlt wirken, das hätte Sarah viel zu schnell auf den richtigen Gedanken gebracht.
Was sollte ich also tun? Was konnte ich tun?
Und vor allem, wie dachte Sarah nur darüber?
**
Ich weiß, viele sehen mich als den verstockten, verbissenen Militär, der keine Freizeit kennt und kein eigenes Leben hat. Nun, das mit dem Leben ist richtig, denn ich habe mein Leben vollkommen Sarahs Leben untergeordnet. Was ehrlich gesagt nicht gerade die beste Grundlage für eine Beziehung ist.
Aber wie heißt es doch so schön: Eine Frau, die einen Soldaten nimmt, hat dreimal Glück. Er kann kochen, er kann nähen und er kann gehorchen.
Doch verstockt und verbissen lasse ich nicht gelten. Ein klein wenig besessen vielleicht, aber nicht vom Militär, nur von Sarah.
Gut, das war nie ein besonders ausfüllendes Leben, aber langweilig war es auch nicht.
Aber gemerkt was mir immer gefehlt hat, habe ich erst nachdem ich gegen Yoshi Futabe auf Leben und Tod gekämpft hatte.
Es hatte Spaß gemacht. Ich meine, wir hatten es beide verteufelt ernst gemeint – nicht, dass ich einen anderen Schüler auf bloßen Verdacht hin erschossen hätte. Aber ich hatte gewinnen wollen und es hatte einen riesigen Spaß gemacht.
So sehr ich mich auch aufopferte, so sehr ich meine Erfüllung bei Sarah fand, viele Dinge fehlten doch noch. Und durch Yoshi erfuhr ich von einem wichtigen Aspekt. Ich hatte keine Freunde.
Nun, Freunde, richtige Freunde hatte ich nie gehabt. Als verwöhntes neureiches Balg, das auf eine Privatschule ging hatte ich keine gehabt. Und als verbissener Offizier und Hawk-Pilot hatte ich mir hierfür keine Zeit genommen.
Zudem hatte ich den Kontakt zu meiner Familie fast vollkommen abgebrochen, nachdem sie tatsächlich versucht hatten, zuerst meinen Abschied aus der UEMF zu erzwingen und später meine Karriere zu fördern, nachdem das nicht gelungen war.
Ich tauchte eigentlich nur noch am zweiten Weihnachtstag Zuhause auf und blieb nie sehr lange.
Jedenfalls, Yoshi, der Junge war gut. Wir waren einander ebenbürtig und ich hatte eine große Palette meiner Tricks auffahren müssen, um gegen halten zu können. Und auch er hatte sehr flexibel reagieren müssen, um von mir nicht eingeseift zu werden.
Selten hatte ich mich so gut amüsiert. Obwohl der Gedanke im Bezug auf meine geistige Gesundheit einen bitteren Nachgeschmack hinterließ.
Ein Adrenalinjunkie war ich nie gewesen, aber an einem Kampf derart viel Freude zu empfinden war… Bedenklich.

Doch dies war eigentlich nur der Anfang in einer Reihe von Dingen, die beschlossen hatten, mein Leben ein klein wenig zu beschleunigen.
Denn der Anführer der berühmtesten Jungengang der Schule, Akira Otomo, Sohn des Executive Commanders der UEMF, der junge Mann, der mit einer schweren Amnesie erst wieder ins Leben hatte finden müssen war… Niemand geringerer als Blue Lightning, der Mann, den ich im Tank davor bewahrt hatte, von einem neuronalen Anschluss gebraten zu werden.
Ich ertappte mich dabei wie ich mir wünschte, ebenfalls in dieser Gruppe um Akira sein zu wollen. Ich ertappte mich dabei, wie ich ebenfalls mit ihnen auf dem Dach mein Mittag einschaufeln wollte, nur um mit ihnen über belanglose Dinge reden zu können.
Und als Blue Lightning wieder die Bühne betrat und sich ganz in alter Form zurück meldete, da spürte ich, dass mir vor allem mein Mecha fehlte.
Mein Hawk, mit dem ich im eisigen Weltraum ebenso gekämpft hatte wie über subtropischen Inseln. Er rief mich und ich wollte dem Ruf folgen.
Wie konnte ich das alles vereinbaren? Wie eine Freundschaft zu Akira und Yoshi aufbauen, wieder in meinem Mecha kämpfen und zugleich Sarah beschützen?
Nein, das konnte nicht klappen und durfte es auch nicht. So dachte ich damals.
Bis sich Sarah vor meinen Augen in einen Magical Youma Slayer verwandelte, eines jener Mädchen, die ihren ganz eigenen Kampf führten.
Denn während die UEMF gegen die Kronosier antrat, taten die damals noch vier Slayer ihr Bestes, um die sporadisch in Tokio auftauchenden Youma-Monster zu bekämpfen und zu vernichten.
Der Gedanke, dass Sarah viel mächtiger als ich war, dass sie meinen Schutz in etwa ebenso brauchte wie wund gelaufene Füße, ernüchterte mich.
Sie ließ es mich nie merken, aber ich war in meiner Position unnötig geworden. Auch wenn sie nicht wusste, das ich ihr Geheimnis kannte. Es war halt da und stand zwischen uns.
Ich hatte an aufgeben gedacht, daran mich wieder in den OLYMP versetzen zu lassen, zu den Hekatoncheiren oder wenigstens den Titanen zu gehen. Eine eigene Aufgabe zu finden und Sarah zu vergessen…
Doch das konnte ich nicht, was mir schmerzlich bewusst wurde. Ich konnte sie nicht verlassen. Ich liebte sie, und das viel zu sehr.
Ein Gedanke, der schwer im Magen lag.
Doch ebenso schwer wog dieses Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Nur noch Makulatur zu sein. Niemals hatte ich ihr zur Last fallen, immer nur für sie da sein wollen. Sie war der erste Mensch, den ich sah wenn ich meine Wohnung verließ und der Letzte, wenn ich schlafen gehen wollte. Ich wollte das nicht missen, wollte dass es immer so weiter ging.
Doch meine Rechtfertigung, ihr Schild zu sein war zunichte.
Das allerdings war bevor alles ganz anders lief, als wir uns das jemals vorgestellt hatten.

Ich hatte, nachdem ich Akira wieder getroffen hatte, viele gute Erinnerungen gemacht, von mir und Sarah und den anderen. Alleine das Wochenende am Strand war mehr als etwas Besonderes gewesen.
Meine kleine Feindschaft zu Yoshi wurde die engste Beziehung die ich neben Sarah zu einem Menschen unterhielt und mit Akira und Doitsu verband mich auch bald eine gewisse Nähe, die ein normaler, weniger paranoider Mensch als ich auch als Freundschaft gedeutet hätte.
Ich hatte vorgehabt, mich an so viele schöne Dinge wie möglich zu erinnern, bevor ich meinen Posten aufgab und Sarah damit die Gelegenheit geben wollte, ihr eigenes Leben ohne den immer präsenten Geheimdienst zu haben.
Mein Abschied war schon beschlossen, ja, mir fehlte nur noch ein Zeitpunkt, den ich weiter und weiter vor mir her schob…

Bis zum ersten Abend am Strand, an dem ich zwei Dinge merkte: Akira hatte einen verdammt harten Punch und Sarah brauchte mich doch. Nicht als Bodyguard, nicht als Soldat, sondern als der Mann, der ich war, der bei ihr war. Der sie liebte und den sie liebte. Diese Erkenntnis, dieser Moment brach einen Damm, der meine unterdrückten Emotionen hervor spülte und ihre beständige Kontrolle hinweg fegte wie Herbstlaub im Taifun.
Unsere Beziehung erreichte eine neue Qualität, sie wurde mit einfachen Worten ausgedrückt Liebe.
Liebe, in der wir einander das Wichtigste waren, aber die noch andere Aufgaben kannte.
Sarah als Slayer und Escaped, ich als Hekatoncheire und Jagdpilot.
Immer füreinander da, immer einander unterstützend.
Egal ob in den schweren Tagen nach dem Angriff auf den OLYMP mit Hilfe des Temporalresonators, ob in der Zweiten Schlacht um den Mars oder gar in den langen bangen Monaten, in denen Akira verschwunden war.
Wir gehörten zueinander, wir blieben beieinander. Wir waren ein Paar. Ihr Herz gehörte mir, meines war nur für sie. Aber unsere Seelen, die gaben wir den Menschen hin, die wir unsere Freunde nannten.
Damit gab es kein Zögern für uns, auf die AURORA zu gehen, als die anderen es taten. Auf die Dauer wäre es mir auch langweilig geworden ohne Yoshi.
Und Sarah hätte niemals darauf verzichtet, einerseits die Mission als Escaped und andererseits als Slayer zu begleiten.
Dass ich mein eigenes Hekatoncheiren-Regiment, die Kottos befehligte, machte die Entscheidung nur unwesentlich leichter.

Ich hatte mich verändert, sehr verändert. Ich war schon lange nicht mehr so verbissen, übertrieben geradlinig und stur, staute nicht länger meine Gefühle, sondern konnte sie zeigen – natürlich vor allem Sarah.
Doch das war auch ein Vertrauensbeweis an unsere gemeinsamen Freunde. Ein Versprechen an unsere Zukunft und den Zusammenhalt.
Und ich wusste, selbst wenn Sarah und ich heirateten, das Leben uns auseinander dividierte, so würden es doch diese gemeinsamen Jahre sein, denen ich mein Glück verdankte, meinen Charakter und meine Seele.
Yoshi war mein bester Freund geworden. Akira mein wichtigster. Doitsu mein Vertrautester. Und mit Kei lachte ich am Meisten… Diese Liste konnte ich endlos fortsetzen.
Aber eine Summe war leicht zu ziehen.
Ich vertraute der AURORA und damit meinen Freunden mein Leben und Sarah an - auf einem Flug ins absolut Unbekannte, ohne Garantie auf Wiederkehr. Das taten wir beide. Und wir fühlten uns gut dabei. Denn egal was uns erwartete, wir würden es zusammen bewältigen. Wir alle, meine Freundin, unsere Freunde. Zusammen.

Ein wunderbares Gefühl, dass ich nie wieder missen will. Ich liebe diese Bande. Denn ich bin ein Teil von ihr. Diese Erkenntnis zu erlangen hat mich Jahre gekostet. Aber das ist sie wahrlich wert. Das, und Sarahs Liebe, die ich besaß, seit ich mit ihrer Hilfe Akira im Tank vor dem Tod bewahrt hatte.
Wurden wir da schon eins? Vielleicht ja…

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Anime Evolution: Erweitert
Episode sieben

Prolog:
Ein Hypersprung ist ein Faktum, das unter terrestrischen Physikern heftig umstritten ist.
Mehrere Lichtjahre in einer relativ kurzen Zeit zurück zu legen, ohne eine unendliche Masse aufzubauen, das Universum zu zerstören oder gar einer Zeitdilatation zu unterliegen lässt viele Physiker daran zweifeln, dass es überhaupt möglich ist.
Bleibt nur die Tatsache, dass es bereits getan wird. Und dies sicher nicht nur in unserem Teil des Universums.

Das Prinzip, welches die Anelph uns mitgebracht haben, ist mehr als simpel.
Raum und Zeit bilden eine gemeinsame Struktur, die man vereinfacht als eine Art Decke definieren kann, auf der die Realität aufliegt.
In Wirklichkeit ist es etwas komplexer, ein Wechselspiel aus Eigengravitation, welche die Raumzeit erschafft zusammen mit Fliehkraft und einigen weiteren Faktoren, die zu erläutern eindeutig zu weit gehen würde.
Aber der Deckenvergleich reicht, um einen Sprung zu beschreiben. Auf dem einen Ende der Decke ist das Sol-System mit der Sonne und ihren neun Planeten. Am anderen Ende der Decke, vier Komma drei Lichtjahre entfernt befindet sich Alpha Centauri.
Auf der Decke können wir maximal Lichtgeschwindigkeit erreichen. Dabei würden wir aber eine solche Masse aufbauen, dass wir die ganze Decke mitziehen und nachhaltig verformen würden.
Ist also nicht machbar.
Um die Strecke dennoch in einer annehmbaren Zeit zu überbrücken wird auf einen Trick zurückgegriffen, den die Decke selbst anbietet. Denn dort, wo sich Planeten und Sonnen befinden, beult sich die Decke aufgrund der Eigengravitation aus. Sie ist also verformbar.
Das schlicht Geniale an einem Sprung ist nun, dass man nicht die ganze Decke verformen muß, um zu springen. Lediglich einen Teil, der seinerseits einen anderen Teil der Decke heran zieht, der von der anderen Seite stammt.
Die beiden Segmente berühren sich, bilden quasi ein Wurmloch und bieten nun eine wesentlich kürzere Strecke an, als dies oberhalb der Decke der Fall gewesen wäre.
Der Sprung dauert Wochen, durch ein unwirkliches, kaum zu definierendes Medium. Aber er ist möglich und erspart eine Reise von Dutzenden an Jahren.
Nur hat es noch niemand mit einem Objekt der Größe der AURORA probiert.

(Zehn Sekunden vor dem Sprung. Aufzeichnungen von Akira Otomo zur Troja-Mission.)

1.
Als die mächtigen Hypergeneratoren der AURORA anliefen, erfüllte ein sattes Brummen den gesamten Innenraum.
Die Techniker hatten versichert, dass dieses Geräusch nur Bestand hatte, bis sich die beiden Punkte der Raumzeit – also Ausgangspunkt und Zielpunkt – verbunden hatten. Danach würde kaum Energie nötig sein, um den Korridor bis zum Ende der Reise aufrecht zu erhalten.
Es war ein erhabener Gedanke, der staunen ließ. Vier Komma drei Lichtjahre in einundzwanzig Tagen zu überbrücken ließ den menschlichen Verstand schaudern.
Wir alle waren schon sehr gespannt, wie der Sprung mit einem Koloss wie der AURORA ausgehen würde.
Pessimisten befürchteten das Schlimmste für uns, aber von denen hatten wir nur wenige an Bord.
Optimisten prophezeiten uns im ungünstigsten Fall das wir strandeten. Aber dann konnten wir immer noch die Begleitschiffe mit Sprungantrieben ausrüsten und so peu a peu zur Erde zurückkehren.
Nun, die Erde würde es live mitbekommen, denn ein ähnliches, aber kleineres Prinzip erzeugte eine Art Superstandleitung zu unserem Heimatplaneten. Eine Serie an Relais sollte den Kontakt für uns halten, damit wir den Blick für und auf die Heimat nicht verloren.
Wenn alles funktionierte, würden wir in einem halben Jahr über der Heimatwelt der Anelph stehen.
**
Natürlich konnte man nicht sehen wie sich die Raumzeit krümmte, um uns zu ermöglichen den Weg ins Nachbarsystem erheblich abzukürzen. Aber die Hologrammtechnik der Anelph projizierte eine nicht ganz realitätsgetreue Projektion, die den Vorgang simulierte.
Dazu kamen Computeraufbereitete Aufnahmen, die uns Menschen mehr sehen ließen als eigentlich möglich war.
Ein erschrockenes Raunen ging durch die Zentrale der AURORA, als Alpha Centauri plötzlich auf uns zuzurasen schien. Deutlich war der begleitende Zwergstern zu erkennen, der sein Muttergestirn umrundete. Und dann… sprangen wir.
„Sprung ist eingeleitet“, kam die Meldung vom Ruder.
Sakura Ino nickte dazu. Sie salutierte vor einem Bildschirm, einem von etwa einem Dutzend an der Seite der Zentrale, die Szenen von öffentlichen Plätzen auf der Erde zeigten. Der eine spezielle Monitor aber zeigte Eikichi Otomo, meinen Vater und noch immer Executive Commander der United Earth Mecha Force.
„Sir, die AURORA und ihre Begleitflotte meldet sich ab“, sagte Sakura leise und ernst.
So hatte ich sie selten erlebt. Vielleicht war es die Admiralsuniform, die sie trug, die ihr Ernsthaftigkeit verlieh?
Ich sah Vater schmunzeln, während er ebenfalls salutierte. Er trug auch seine Uniform, was für mich ein Novum war. In den letzten fünf Jahren hatte ich ihn nie damit gesehen.
„Itterashai“, sagte er mit tonloser Stimme. Die alte japanische Phrase wünschte einen guten Weg und eine gesunde Heimkehr. Ich fand, dass Eikichi nichts passenderes hätte sagen können.

Wieder salutierte Sakura und wandte sich Tetsu Genda zu, dem Kapitän der AURORA. „Starten Sie, Tetsu.“
„Aye, Ma´am. AURORA: START!“
Die Verbindung mit dem fernen Punkt im Sonnensystem Alpha Centauri wurde vollends etabliert, und die AURORA driftete auf den Korridor zu.
Dann erreichten wir ihn und bedenkenswert unspektakulär gingen wir auf eine Geschwindigkeit, die uns half, die Gesetze des regulären Raums auszutricksen und schneller zu sein als das Licht, ohne das Universum zu vernichten.
Ich warf einen weiteren Blick auf die Monitore. Die Verbindung riss nicht ab, und ich sah auf jedem einzelnen Monitor Menschenmengen auf öffentlichen Plätzen, die sich versammelt hatten, um unseren Abflug zu beobachten. Und um uns Glück für unsere Mission zu wünschen.
Itterashai schien dabei das Modewort der Saison zu werden, denn überall blitzte das japanische Wort auf Schildern auf, teils in Kanji geschrieben, aber meistens in römischer Schrift.
Diese Geste rührte mich.

„Wir sind drin“, meldete das Ruder.
Tetsu Genda nickte schwer. „Gut gemacht, Rudergänger. Admiral, wir benutzen in diesem Moment den Korridor nach Alpha Centauri. Die AURORA meldet keine Schäden und keine Schwierigkeiten.“
„Sehr gut, Tetsu. Beenden Sie den Alarmzustand und gehen Sie auf normalen Dienst.“
„Aye, Ma´am.“ Tetsu Genda wandte sich ab und aktivierte die Lautsprecher. „Hier spricht der Kapitän. Wir haben den Sprung in den Korridor geschafft. Auf Anordnung von Admiral Ino beenden wir den Alarm und gehen auf normalen Dienst. Kapitän Ende.“

Eine Sekunde später brach lauter Jubel in der Zentrale aus, der mir einen Schauer über den Rücken jagte, allerdings einen wohligen. Wir hatten den ersten Schritt auf einer Reise ins Ungewisse gemacht.
„Gute Arbeit, Cousinchen“, sagte ich und trat neben Sakura.
„Danke, Akira-chan“, erwiderte sie lächelnd.
Komisch, sie wirkte viel zu ernst. So erlebte ich sie selten, sehr selten.
Das war eine Sekunde, bevor ich in ihrem Griff steckte und nach Luft japste.
„Aber solange ich meinen Lieblingscousin dabei habe, kann ja nichts passieren“, rief sie und drückte mich auf ihre Brust.
„Sakura-chan! Luft!“, ächzte ich, aber das störte sie herzlich wenig. Hoffentlich machte niemand in diesem Moment ein Foto, ging es mir durch den Kopf.
Kurz darauf brandete Blitzlichtgewitter durch die Zentrale.
Irgendwie war das nicht mein Tag. Und irgendwie wusste ich, dass es kaum besser werden würde, wie immer eigentlich.

2.
Ich saß mit meinen Offizieren zusammen. Eine Division zu führen war alleine schon ein logistischer Albtraum, aber eine Division zu führen und sie erst noch zu formen, aus Individuen ein großes Team zu schaffen, das war verdammt schwer.
Die Hekatoncheiren, so hieß meine Division, war hier als Elite der Erde. Sie teilte sich in drei Regimenter auf, die Briareos, die Gyes und die Kottos.
Jedes Regiment umfasste drei Bataillone, die wir Head nannten, in Anspielung auf die alte Legende um die griechischen Sagengestalten der Hekatoncheirenlegende. Die Hekatoncheiren, welche Zeus halfen, die Titanen zu bändigen, sollten drei Köpfe gehabt haben, fünfzig Arme und hundert Hände.
Nun, die drei Heads pro Regiment teilten sich in insgesamt zwölf Kompanien auf, die sich teils gemischt als Eagles, Hawks und Sparrows zusammensetzten. Das waren keine fünfzig Arms, aber zwölf war ja auch nicht schlecht. Die Kompanien bestanden aus je zehn Mechas und fünf bildeten zusammen eine Hand, eine eigene Sektion.
Die einzelnen Mechas dann als Finger zu bezeichnen hatten wir doch gelassen.

„Soweit so gut“, murmelte ich leise, während ich die Statusberichte der drei Regimenter durch ging. „Briareos hat seine Leistungen verdoppelt, wie ich sehe. Und Gyes ist ebenfalls auf einem guten Weg. Kottos hat seine Ziele erreicht. Es wäre auch etwas spät, jetzt noch einen Piloten auszutauschen.“
Leises Gelächter antwortete mir.
Ich sah mir meine drei Regimentkommandeure an. „Colonel Uno. Colonel Honda. Lieutenant Colonel Otomo.“ Nacheinander ruhte mein Blick auf Megumi, Dai-chan und meiner Schwester Yohko. „Ich bin sehr zufrieden. Aber das kann nur der Anfang sein. Wir haben nun drei Wochen Zeit, bevor wir Alpha Centauri erreichen, um hieran noch einmal hart zu arbeiten. Ich will, dass diese Zeit bestmöglich genutzt wird.“
Ich warf einen Blick zur Seite, wo Makoto saß. Er war mein Stabschef, neben seiner Arbeit als Chefkoordinator der AURORA. Wie der schmächtige Mann diese ganze Arbeit unter einen Hut bekam war mir schleierhaft. „Commander Ino. Setzen Sie entsprechende Übungen an. Ich will auch ein paar Verbundwaffenübungen sehen, also Mechas kombiniert mit Slayerunterstützer Infanterie. Ob wir dafür einen Hangar oder ein bestimmtes Gebiet im Innern der AURORA nehmen ist mir gleich. Finden Sie was Geeignetes.“
Makoto nickte stumm, doch ich sah es in seinen Augen arbeiten.
„Gut. Ich werde eine entsprechende Anfrage an Major Hatake und Spezialist Yamada schicken. Ich glaube kaum, dass sie einer gemeinsamen Übung abgeneigt sein werden.“
Wieder warf ich einen Blick in die Runde. „Wenn es das war, beschließe ich den offiziellen Teil.“
Die vier anwesenden Offiziere schüttelten den Kopf.

„Gut. Kommen wir zum inoffiziellen Part. Wie sieht es an der Front aus? Gibt es Ergebnisse in Bezug auf die restlichen elf Agenten, die uns bedrohen?“
Megumi meldete sich zu Wort. „Wir haben in Zusammenarbeit mit Mamo-chan eine Namensliste mit gut eintausend Menschen erstellt, die Lücken in ihrem Lebenslauf haben. Diese Lücken sind nicht groß und befassen sich meist mit einer oder zwei Wochen Urlaub. Aber es könnte reichen, um entführt zu werden und einen Agenten implantiert zu bekommen. Wir versuchen aber die Zahl der Verdächtigen einzuengen.“
„Das will ich hoffen. Tausend ist doch ein wenig viel, finde ich. Haben wir einen oder zwei konkrete Verdächtige?“
„Wir haben in einer Vorauswahl dreiundzwanzig Namen aussortiert“, sagte Makoto. „Der Geheimdienst auf der Erde forscht gerade intensiv nach, um die letzten Bewegungen dieser Menschen nachzuvollziehen. Obwohl ich nicht glaube, dass der Gegner es uns so leicht macht.“
„Nein, das glaube ich auch nicht. Dennoch wäre es sträflich nachlässig, diese Spuren zu ignorieren, nur weil sie zu offensichtlich sind. Dai-chan?“
Der Hawk-Pilot zuckte zusammen, als hätte ich ihn bei etwas Verbotenem erwischt. „Akira?“
„Dai-chan. Von Sarah träumen kannst du später noch. Dein Bericht.“
Die anderen drei lachten leise, als der Anführer von Kottos rot wurde. „Äh, die Escaped wurden mit diesem Fall betraut, genauer gesagt hat sich Sarah der Sache angenommen. Sie versuchen nun nachzuvollziehen, wie es gelungen ist, einem Menschen ein fremdes Bewusstsein oder vielmehr das KI aufzuprägen. Sobald das geklärt ist, finden wir vielleicht eine Methode, um es aktiv nachweisen zu können. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir lediglich mit einem Scanner durch die AURORA gehen müssen, um unsere Feinde aufzuspüren. Danach sollte es möglich sein, das fremde KI zu entfernen und zwischenzuspeichern. Die Forschungen des Magiers Torah auf dem Mars, die teilweise darin gipfelten, die Seelen Verstorbener in intelligenten Torpedos zu integrieren, bilden hierfür die Basis.
Ja, ich weiß, es ist eine Schweinerei, an diesen Daten weiter zu forschen, wenn sie derart grausam erworben wurden. Aber deswegen können wir sie doch nicht einfach löschen. Siehe da, wir brauchen sie sogar schon.“
„Das war keine Kritik, Dai-chan“, sagte ich ernst. „Absolut keine Kritik. Aber wir haben alle ein mulmiges Gefühl dabei, auf die kronosischen Unterlagen, vor allem die KI-Forschung betreffend zurück zu greifen. Doch wie wir alle sehe ich die Notwendigkeit.“
„Ich mag es nicht. Aber das verlangt ja auch keiner“, sagte meine Schwester leise. „Hoffentlich.“

Ich erhob mich. „Es haben alle ihre Aufgaben. Arbeitet hart daran, Freunde, damit unsere Untergebenen sehen, warum wir vier Kids eine Division kommandieren. Genauer gesagt, ihr drei arbeitet hart daran.“
Ich öffnete den Kragen meiner Schuluniform und schnappte mir meine Tasche. „Ich gehe jetzt nämlich in die Oberstufe.“
„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir dich bemitleiden oder beneiden sollten“, scherzte Makoto.
„Ich ehrlich gesagt auch nicht“, erwiderte ich und kurz ging der Gedanke an Sakura durch meinen Kopf, zusammen mit der Tatsache, dass sie meine Klassenlehrerin war. „Ich auch nicht…“
**
Man konnte sagen, was man wollte, das Schülerleben hatte etwas für sich. Denn abgesehen davon, dass ich ernsthaft mit dem Schlaf kämpfte, weil die meisten Sachen für mich lediglich Wiederholungen waren, so gab es doch die Möglichkeit, mal ganz einfach und ehrlich zu schwitzen. Und wenn man es genau nahm, dann hatte ich Baseball schon lange vermisst.
Ich war ein miserabler Batter, aber mein Sprint war super. Da machte es wenig aus, dass ich nur vierzig Prozent der Bälle traf. Bevor ich meinen dritten Strike bekam, war ich meist schon auf dem Weg zum ersten Base. Es kam aber auch leider vor, dass sich die sechzig Prozent, die ich nicht traf, während des einen oder anderen Innings auf einen Versuch konzentrierten.
Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als der gegnerische Pitcher schon zum zweiten Mal meine Strikezone verpasste, also jenen Bereich, in den er werfen musste, damit der Versuch zu schlagen gewertet werden konnte.
Ich hatte schon zwei Strikes und wartete auf einen guten Ball. Der Pitcher war nicht der Beste, gegen den ich je gespielt hatte, aber er hatte einen ruhigen, kräftigen Arm und beförderte pro Inning drei meiner Mitspieler zurück auf die Bank.
Ein Strike, zwei Ball oder ein guter Hit, eines von denen würde die Sache beenden.
Für einen Sekundenbruchteil dachte ich daran, mein KI auf den Schläger zu übertragen und einen Schlag zu landen, der den Ball bis an die Decke der AURORA drosch. Aber das wäre unfair gewesen.
Der Pitcher warf, ich nahm Maß und…
„Strike drei. Sie sind raus, Mister.“
Frustriert warf ich meine Keule hin und ließ den Helm folgen. Na, danke. Und das im achten Inning beim Stand drei zu vier.

Als ich auf die Ersatzbank kletterte, erwartete mich eine grinsende Bande.
„Schlechter Tag heute, eh, Otomo?“, fragte Jason Scott, unser Kapitän.
Ich winkte in seine Richtung. „Haben wir wohl beide. Immerhin hat er dich auch raus gehauen.“
Er zuckte mit den Achseln. „Ist nicht zu ändern. Ein Inning haben wir ja noch, dort sollten wir unbedingt punkten, um unseren Vorsprung zu halten.“
Ich dachte kurz über seine Argumente nach. Unser Spielzug, der Versuch zu punkten, einen Spieler über alle drei Bases und dann über das Homebase nach Hause zu bringen bedeutete das Ende des achten Innings. Danach würde das neunte beginnen und unser Gegner erhielt als erstes die Möglichkeit zu punkten. Während wir aufs Feld raus mussten, um genau das zu verhindern. Schaffte es unser Gegner nicht, hatten wir schon gewonnen. Zog er aber gleich oder ging sogar einen oder zwei Punkte in Führung, dann wurde es noch mal eng.
„Ich sag es ja immer. Hätten wir im Vierten den Sack zugemacht und unsere drei Läufer durch gekriegt, hätten wir sie gebrochen und der Sieg wäre uns sicher gewesen“, murmelte ich leise.
Das war das Problem. Wenn man einen Ball ins Outer Field schlug und einer der gegnerischen Feldspieler ihn fing, war man draußen.
Und genau das war passiert – und ich war schon auf der zweiten Base und schon so gut wie Zuhause gewesen.
Scott winkte ab. „Halb so wild, halb so wild. Das hier ist nur ein Trainingsspiel, Otomo. Du verlierst nicht gerne, oder?“
Einen Moment dachte ich über diese Worte nach. Dachte an meine beiden Angriffe auf den Mars, auf die Flucht mit Megumi den Rio de la Plata hinab und an die letzten Attentate.
„Nein“, sagte ich schließlich. Denn zu verlieren hätte oft genug meinen Tod bedeuten können. Meinen und den meiner Freunde.

„O-nii-chan!“ Seufzend erhob ich mich von der Bank, während ein weiterer Angriffsversuch auf dem Homebase gestoppt wurde und guckte um die Ecke. „Was gibt es denn, Akari?“
Ich schluckte heftig, als ich Yohkos wirklich frustriertes Gesicht sah. „Was denn, was denn? Darf ich dich nicht mehr so nennen? Hat Akari nun die alleinigen Rechte dran oder was?“
Ich winkte ab und spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. „Nein, so ist es doch gar nicht, Yohko. Es ist nur so, dass du das so lange schon nicht mehr gesagt hast und…“
Yohko musterte mich scharf. Dann endlich ließ sie mit einem Schnauben erkennen, dass sie die Erklärung annahm.
Dennoch machte sie einen missfallenden Tonfall und sah mit verschränkten Armen zur Seite. „Um dich mache ich mir noch Mal Sorgen und komme extra her, um dich zu fragen, wann du hier fertig bist.“
„Wer ist denn das, Otomo?“, sagte Scott neben mir und versuchte mich zur Seite zu drücken – er und fünf weitere unserer Spieler. Kommentare wie ist die süß bis hin zu Sachen die ich als großer Bruder eigentlich nicht im Zusammenhang mit meiner Schwester hören wollte, drangen an mein Ohr. Auch von der gegnerischen Mannschaft kamen Rufe und Pfiffe herüber.
„Meine Schwester“, erwiderte ich ernst. „Meine mittlere Schwester.“
„Wow. Bei deinem Aussehen glaubt man gar nicht, dass du so eine hübsche Schwester haben kannst. Und du hast noch mehr? Warum versteckst du die vor uns?“
„Vorsicht“, ermahnte ich meinen Kapitän grinsend.

„O-nee-chan“, erklang eine weitere Stimme. Akari kam heran und stellte sich neben Yohko. „Hast du Akira-chan schon gefragt?“
Yohko musterte Akari, danach mich und machte erneut diesen missfallenden Ton, bevor sie in die Wolken sah.
„Also nicht“, seufzte Akari.
„Und wer ist das?“, rief Scott.
„Meine andere, kleine Schwester“, erwiderte ich.
„Du hast aber auch ein Pech. Zwei so bildhübsche Mädchen, und mit keiner darfst du ausgehen“, triezte mich der Kapitän.
„Ganz so ist es nicht“, erwiderte ich mit einem wirklich fiesen Grinsen. „Mit einer könnte ich ausgehen, weil wir nicht Blutsverwandt sind.“
Ein panikartiges Raunen ging durch die Reihen der Jungs.
„Aber ich habe ja schon eine feste Freundin…“
Darauf folgte erleichtertes Aufatmen.
Die beiden Frauen warfen sich einen viel sagenden Blick zu. „Männer!“, kommentierte Yohko.
„Männer!“, bestätigte Akari. Übergangslos hatten sich die Frauen wieder aufeinander eingependelt und wir Kerle wurden die Bösen.

„Neuntes Inning!“, kam der Ruf vom Feld.
„Unser Spiel geht weiter. Wenn Ihr was von mir wollt, dann sagt es gleich oder wartet einen Moment“, sagte ich zu den beiden Mädchen.
Was mir zwei verärgerte Blicke einhandelte. „Männer!“, sagten sie im Chor.
Nun wurde es mir aber doch zu bunt. Ich schnappte mir meinen Baseballhandschuh und winkte ihnen zu. „Wir reden, wenn Ihr euch wieder abgeregt habt, ja?“
Das hätte ich besser nicht gesagt, denn nun trafen mich zwei wirklich böse Blicke.
Scott klopfte mir auf die Schulter. „Eine liebenswerte Familie hast du da. Soll ich dir vielleicht helfen und eine der beiden ab und an mal ausführen?“
„Netter Versuch“, erwiderte ich. „Aber eine hat schon nen Freund.“
„Bleibt immer noch die andere“, schmunzelte der Mitschüler.
Das war zwar sachlich richtig, aber ich bezweifelte doch ernsthaft, dass er Akari gewachsen war.
Andererseits wurde es höchste Zeit, dass sie zumindest mal mit einem Jungen ausging. Auch wenn Vater mich dafür umbringen würde, sobald er davon erfuhr.
**
„Also, was wollt Ihr zwei denn nun von mir?“, fragte ich und lehnte mich in dem Lokal weit nach hinten. Ich hatte Kaffee und Eis bestellt, die Mädchen gaben sich mit Tee zufrieden.
„Und vor allem, warum bist du nicht beim Training deiner Gyes, Yohko?“
„Habe ich Takashi überlassen“, erwiderte sie ernst. „Das wirst du ihm ja wohl zutrauen, oder?“
Als ich an Takashi Mizuhara dachte, schmerzten mir unwillkürlich Nacken, Beine und der Hals. Mein alter Sempai und Vorsitzender der Schülervertretung hatte durchaus Schleiferfähigkeiten.
„Es ist so“, begann Yohko, „ich habe mich noch einmal in die Oberstufe eingeschrieben. Ich habe mich endlich entschieden, was ich studieren will. Ich brauche noch diverse Scheine für den Studiengang, die ich bei meinem ersten Abschluss nicht erreicht habe. Das sind bestenfalls sechs Stunden die Woche, wird also meine Arbeit für Gyes nicht beeinträchtigen.“
„Und? Brauchst du dazu meine Erlaubnis?“, fragte ich ernst.
„Nein, darum geht es nicht. Aber Akari meinte, dass… Nun sag doch was, Akari-chan.“
Yohko stieß die ehemalige Oni mit dem Ellenbogen an. Die schluckte trocken, sah mich an und wurde rot.
Sie senkte den Blick, sah wieder auf und sprang plötzlich auf. Mit rotem Gesicht rief sie: „Werde mein Vorsitzender, O-nii-chan!“
Entgeistert starrte ich sie an. „Was?“
„Das ist leicht erklärt. Akari wurde in ihrer Klasse zu Klassensprecherin gewählt und gehört nun dem Schülerkomitee an. Deine Klasse muß ja auch noch wählen und es wäre nicht schlecht, wenn sie dich wählen. Die Idee ist nun, dass ich auch kandidieren werde. Wir drei könnten dann den Vorsitz in der Schülervertretung übernehmen. Wenn wir gewählt werden.“
„Wenn wir gewählt werden“, brummte ich ernst und strich mir übers Kinn. Das hatten die zwei ja nett eingefädelt. Ein Druck auf die Tränendrüse fehlte noch, aber ansonsten war dies hier eine gut vorbereitete Falle.
Akari, die mit gutem Beispiel voran ging, und mir kaum eine Wahl ließ als nachzuziehen, Yohko, die ihre Kandidatur daran knüpfte, ob ich auch antrat und der diskrete Hinweis zu Anfang, dass ich der Vorsitzende werden sollte.
Zugegeben, zutrauen würde ich mir das schon. Und mit meinen Kontakten würde ich ein ziemlich mächtiger Schülersprecher werden. Mein direkter Draht zum Lehrerkollegium und zur Führung der AURORA konnte viele Probleme erheblich schneller beseitigen als üblich.
Aber alles in allem würde es Arbeit bedeuten. Unnütze Arbeit nicht, aber warum sollte ich mir das auch noch an die Backe pinnen? Es gab Bessere für den Job, die zudem auch mehr Zeit dafür hatten.

Akari schien meine Gedanken zu ahnen, denn ihre Augen wurden plötzlich sehr, sehr groß, schimmerten feucht und sahen mit flehentlich an. „Bitte, O-nii-chan, alleine traue ich mir das nicht zu. Aber mit dir, da…“
„Schon gut, schon gut“, murmelte ich leise. „Nicht den Rehaugentrick. Ich mache es ja. Ich mache es ja.“
„Siehst du, Akari, wenn du noch den einen oder anderen Trick brauchst, um Akira weich zu kochen, frag einfach mich. Ich habe ihn bisher immer um den Finger wickeln können.“
Akari strahlte Yohko an. „Ja, der Tipp war super. Was muß ich machen, damit ich mehr Taschengeld bekomme?“
„Also, das ist so, hat bei Eikichi immer gewirkt. Also…“
„In die UEMF eintreten und eigenes Geld verdienen“, fuhr ich meiner Schwester ins Wort, bevor sie aus Akari ein berechnendes Monster machen konnte. „Was du eigentlich als Slayer schon lange getan haben solltest.“
Verlegen drückte Akari beide Zeigefinger aneinander. „Ich weiß ja, O-nii-chan, ich weiß ja. Aber im Moment, da fühle ich mich einfach nicht so mächtig und ich weiß nicht, ob ich für die anderen nicht eher eine Belastung bin und…“
„So ein Quatsch. Ihr seid ein Team. Und Ihr seid als Team stark, nicht als einzelne Person“, wandte ich mit meiner sanftesten Stimme ein.
„Meinst du das wirklich, O-nii-chan?“, fragte Akari und begann zu strahlen. „Dann muß ich weg. Die Slayer trainieren heute mit Megumi-nee-chan. Da sollte ich als Slayer wohl auch sein.“
Sie erhob sich, drückte Yohko einen Kuss auf die Wange, gab mir auch einen und verließ im Laufschritt das Lokal.

Verlegen kratzte ich mich am Kinn. „Hoffentlich hilft ihr das etwas. Ihr Selbstbewusstsein war doch etwas angeknackst in letzter Zeit. Und das volle Dutzend Männer, das ihr hinterher läuft, hat ihr eher geschadet als geholfen.“
„Keine Bange, Akira, ich achte auf sie“, sagte Yohko leise und legte eine Hand auf meine Rechte. „Sie ist für mich ebenso ein Familienmitglied wie für dich. Und keiner kann besser als ich verstehen, wie viel Sorgen du dir um deine Freunde und deine Familie machst. Ich bin sehr stolz, dich zum Bruder zu haben. Und ich eifere dir jeden Tag nach, um ein ebenso guter Mensch zu werden.“
Verlegen legte ich die Rechte hinter den Kopf. „L-lass doch dieses Süßholzraspeln, Yohko. Willst du etwa auch mehr Taschengeld?“
„Nein“, sagte sie anstelle eines Wutausbruchs, beugte sich vor und küsste mich auf die Wange. „Ich will nur meinem Bruder sagen, was für ein wundervoller Mensch er ist. Du übernimmst doch die Rechnung, oder? Ich schüttele nur schnell deine Baseballmannschaft ab und treffe mich dann mit Yoshi. Wir wollen das kombinierte Training mit Mako-chan und Mamoru besprechen.“
„Meine Mannschaft abhängen?“, murmelte ich überrascht und merkte erst jetzt, dass der Laden gut gefüllt war – mit auffällig desinteressierten Gästen, die betont auffällig nicht in unsere Richtung sahen und sich ebenso betont unauffällig nicht unterhielten.
Ich seufzte tief.
„Soll ich dir den Rücken decken?“
„Nee, lass mal. Spätestens wenn sie mich mit Yoshi sehen, werden sie schon aufgeben“, erwiderte sie mit einem fiesen Grinsen, winkte noch mal und verließ das Lokal.
Wieder seufzte ich. „Sie werden so schnell groß. Und berechnend. Und erfolgreich.“
Kurz darauf war das Lokal bedenklich leer. Hauptsache, die hatten alle bezahlt.

3.
„Nein, nein, nein, nein!“, rief Megumi und drohte dem riesigen Hawk mit dem Zeigefinger. Die über neun Meter große, humanoide Kampfmaschine zuckte vor der zierlichen Menschengestalt zurück.
„Nein, habe ich gesagt. Du musst die Bewegung fühlen, Hina. Stell sie dir vor. Es bringt überhaupt nichts, sie zu erzwingen!“
Der große Mecha drückte die Zeigefinger der voll modulierten Hände aufeinander. „Tut mir Leid, Megumi.“
Die Offizierin legte eine Hand auf die Augen, als sie diese Meisterleistung an Präzision sah. Manche Piloten mussten Monate üben, um überhaupt die Handflächen aufeinander pressen zu können. Und Hina Yamada schaffte dieses Kunststück im ersten Versuch. Warum aber hatte sie dann beim Slalom wirklich jede Tonne umgeworfen?
Hinter ihnen krachte es laut, als Sarah Anderson ihren Sparrow erneut zu Boden schickte.
„Tut mir Leid“, kam es über die Lautsprecher des Mechas, während sich der Scout wieder erhob. „Ich bin weg gerutscht.
Megumi musste gar nicht hinsehen um zu wissen, dass Sarah problemlos hoch kam.
Es war paradox. Die Slayer schienen alle dazu geschaffen zu sein, einen Mecha zu steuern. Die schwersten Aspekte der Mechaführung fielen ihnen geradezu in den Schoß. Dann aber waren es Kleinigkeiten, die ihnen das Leben schwer machten.

Neben Megumi marschierte ein zwölf Meter hoher, schwer bewaffneter Eagle vorbei, nahm Kurs auf die Zielscheiben und versenkte seine Übungsmunition und seine Leistungsreduzierten Laser, ohne den Marsch zu stoppen.
Bei Ami Shirai wusste Megumi ehrlich gesagt nicht woran sie war. Das kleine, ewig kränklich aussehende Mädchen hatte den anderen Slayern eine Menge voraus. Sie feuerte präzise, sie bewegte den Eagle elegant und sicher. Wenn die anderen Naturtalente waren, dann war sie ein Genie.
„Gut gemacht, Ami“, lobte Megumi. „Aber wer hat dir gezeigt, wie man die Waffen aktiviert? So weit sind wir doch noch gar nicht!“
Der Eagle drehte sich zu ihr um und wedelte abwehrend mit den Armen. „Tu-tut mir Leid, Megumi-chan. Ich habe es ja nicht böse gemeint. Ich wollte ja nur…“
„Ja, du wolltest nur. Dir wieder einen Vorsprung uns gegenüber verschaffen, gib es zu“, warf ihr Eri vor. Die junge Frau im Sparrow meinte es aber nicht wirklich ernst, man glaubte fast ihr spitzbübisches Lächeln bei diesen Worten zu sehen.
Ein weiterer Eagle betrat die Übungshalle, in der sie trainierten. „Komme ich ungelegen?“
„Akane!“, rief Megumi erfreut. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.“
„Ich hatte noch in der Schule zu tun. Du glaubst ja gar nicht wie viel Arbeit es macht, so eine einfache Schulstunde vorzubereiten. Und alles nur für… Äh, eine gute Bewertung.“
Megumi schmunzelte. „Schon gut, Akane. Wir Mädchen sind hier vollkommen unter uns. Den Eagle bewegst du ja schon ganz gut. Hilf Hina mal, die Hindernisse für den Slalom wieder aufzustellen und mach dann den Parcours selbst.“
„Verstanden“, antwortete Akane Kurosawa.

„Ich wünschte, ich könnte mitspielen“, maulte Kitsune neben Megumi.
Die zuckte erschrocken zusammen. „Wo kommst du denn plötzlich her, Kitsune-chan?“
„Mir ist langweilig. Lang… wei… lig! Weißt du, es ist wirklich mies, wenn du keinen Schlaf brauchst und auch keine Lust hast, ein künstliches Schlafbedürfnis zu erschaffen. Es bleibt einfach nicht genügend zu tun übrig, und mehr als achtzehn Stunden fernsehen am Tag schaffe selbst ich nicht. Da wird man ja sonst blöde bei.
Ha, da dachte ich mir, sieh doch mal nach, was Hina und die anderen Slayer so machen, wenn sie bei dem Versuch die Mechas zu beherrschen die Halle in Schutt und Asche legen.“
Misstrauisch sah die Dämonin in die Runde. „Sieht aber nicht so aus, was? Die Mädchen scheinen sogar richtig Talent zu haben.“
„Waaaaaah!“, kam es von Eri, während ihr Sparrow hart auf dem Boden aufschlug.
„Talent ja. Jetzt muß noch die Übung dazu kommen“, kommentierte Megumi. „Sehr, sehr viel Übung.“
Kitsune grinste breit. „Ach, ich wünschte, ich könnte auch mitmachen. So einen Mecha steuern ist bestimmt interessant.“
„Nur zu, ein Hawk steht draußen noch rum und braucht eine Pilotin“, erwiderte Megumi schmunzelnd. Würde bestimmt lustig werden, wenn die Dämonin in einen Mecha stieg.
Kitsune dachte kurz darüber nach und sagte dann: „Geht nicht.“
„Wie, geht nicht?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Geht halt nicht. Aber mal was anderes. Eigentlich wollt Ihr doch nur eines hier erreichen. Ihr wollt austesten, ob die Booster von KI-Energie unterstützt werden können, oder? Ihr wollt damit die Reichweite und vor allem die Geschwindigkeit erhöhen. Deshalb werden gerade zwanzig viel versprechende Hekatoncheiren von Opa Futabe in Disziplin ausgebildet, um ihnen zu ermöglichen ihr KI selbst zu steuern. Und Ihr?“
„Das ist ja das fatale. Diese zwanzig Krieger sind bereits ausgebildete Piloten. Die Slayer aber beherrschen ihr KI perfekt, sobald sie sich verwandelt haben, beherrschen aber die Mechas nicht. Wir versuchen halt beides. Den Piloten die Kontrolle ihres KI zu vermitteln und den Slayern beizubringen, wie man einen Mecha steuert.
Mit ihrer KI-Kontrolle haben sie die größte Chance, einen Booster auf einen phänomenalen Wert zu beschleunigen.“
„Aha. Und damit sie nicht auf Nimmerwiedersehen im Universum verschwinden, bringst du ihnen allen vorher bei, wie man einen Mecha steuert.“
„Richtig. Nun, fast allen.“
Megumi senkte kurz den Blick. Was war nur mit Akari los? Die sonst so fröhliche Frau wirkte in letzter Zeit reichlich betrübt. Neulich, als Michi Tora zu Besuch war, da war sie fast wieder die Alte gewesen. Aber ansonsten schien sie mächtig an etwas zu kauen. Eine gemeinsame Übung mit ihren Slayer-Freundinnen wäre genau das Richtige gewesen, um sie ein wenig aufzubauen. Aber Megumi hatte absolut keine Ahnung, wo sich Akiras kleine Schwester gerade herum trieb.

Plötzlich stapfte ein zweiter Hawk herein. „Bin ich zu spät?“, erklang Akaris atemlose Stimme.
„Deshalb“, kommentierte Kitsune und grinste breit, „kann ich nicht in den zweiten Hawk klettern.“
„Akari-chan!“, rief Hina freudig und steuerte ihren Hawk mit bemerkenswerter Sicherheit auf den Neuankömmling zu.
„Akari!“, rief Akane und kam ebenfalls heran.
„Akari-chan!“ Die fünf Mädchen versammelten ihre Mechas um die Freundin.
„Mensch, wo hast du denn gesteckt? Ohne dich macht das hier doch nur halb so viel Spaß“, rief Eri aufgeregt.
„Genau. Einer muß ja noch schlechter sein als Hina“, stichelte Sarah, was ihr einen gespielten beleidigten Ton der Freundin und Anführerin der Slayer einbrachte.
„Jetzt bin ich ja da“, rief Akari aufgeregt. „Ich bin ja wieder da.“
Megumi betrachtete die Szene und nickte dazu. „Willkommen zurück, Akari-chan.“
Hoffentlich stimmte das auch. Hoffentlich war sie wieder bei ihnen. In dem Punkt zweifelte Megumi noch etwas.
„Ich kann für dich übrigens gerne noch einen Hawk kommen lassen, Kitsune-chan“, murmelte sie leise. „Kitsune?“
Megumi wandte sich um, aber die Dämonin war verschwunden.
„Ich glaube, das macht sie absichtlich“, brummte sie verärgert. Andererseits… Ohne Kitsune wäre die Reise nur halb so lustig.
**
Doitsu Ataka bewegte sich durch ein Gebiet in Fushida, dass es eigentlich nicht geben sollte. Es war die Grey Zone, ein Lebensbereich, der nicht in der Planung gewesen war. Unter der Stadt gab es ein Netzwerk natürlicher Kavernen und Höhlensysteme, die eigentlich hatten mit Beton aufgefüllt werden sollen, um die Stabilität der AURORA zu verbessern.
Irgendwie war dies verhindert worden. Nun waren diese Kavernen verbaut und bewohnt. Und das nicht gerade von den offiziellen Bewohnern des Gigantschiffs. Wie diese Menschen hierher gekommen waren wusste Doitsu nicht, auch wenn er ein oder zwei Erklärungen parat hatte. Was sie hier taten aber war offensichtlich.
Hier im Keller von Fushida, weitab der eigentlichen Kontrolle durch die Polizei, die zudem noch gar nichts von diesem Ort wusste, war eine eigene, gut florierende Kultur entstanden, die aus Glücksspiel, Prostitution und Drogen bestand. Doitsu schätzte die Zahl der Bewohner der Grey Zone auf ein bis zweitausend. Dazu kamen jetzt schon siebentausend Besucher die Woche aus der Oberen Stadt und aus den Fabriken und Werften.
Diese Menschen suchten hier ein Vergnügen, von dem sie glaubten, dass sie es oben unter den Augen der UEMF kaum finden konnten. Damit hatten sie ja auch Recht, soweit es illegale Drogen betraf. Manche reizte vielleicht nur das Gefährliche, die vermeintliche permanente Todesgefahr, in der man hier unten schwebte.
Ihn selbst reizte nur eines: Seiner Aufgabe als Oyabun der AURORA gerecht zu werden und diesen Dschungel unter seine Kontrolle zu bringen, illegale Drogen zu unterbinden, bevor diese aus tödlichen Substanzen gemixt wurden, weil es nichts anderes mehr gab. Oder bevor aus der Prostitution ein menschenverachtendes Geldgeschäft wurde, dass Krankheiten förderte und in Mord gipfelte.
Wer immer es geschafft hatte, diese Menschen an der UEMF vorbei an Bord zu bringen, hatte Geld, sehr viel Geld, und er erhoffte sich von der Grey Zone noch viel mehr Geld.
Er würde sich die Kontrolle nicht freiwillig aus der Hand nehmen lassen. Falls er selbst an Bord war.
Aber genau das war es, was Doitsu hier tun musste.

Er selbst war getarnt hier unten, nicht als Major der Hekatoncheiren, sondern als Techniker, der nach dem Job das Flair der Zone genießen und ein paar Bier trinken wollte.
Es war eine Aufklärungsmission. Doitsu musste herausfinden, wie groß dieses Gebiet wirklich war. Wer Waffen trug, wer sie bereit war einzusetzen. Wer diese Menschen waren, woher sie kamen. Ob er hier unten vielleicht willige Verbündete finden konnte.
Eines musste er dem unbekannten Planer lassen, die Umgebung wirkte wie eine düstere Gasse irgendwo in einer Großstadt und nicht wie eine Felskaverne irgendwo in dem Gigantbrocken der AURORA. Das Belüftungssystem musste hervorragend sein, ebenso die sanitären Einrichtungen. Und der holographische Himmel über ihm sagte darüber hinaus, dass das noch lange nicht alles war.
Vor den Lokalen und einschlägigen Geschäften standen Männer jedes Alters und jeder Couleur und priesen die Dienstleistungen an, die drinnen geboten wurden. Doitsu beobachtete diese Menschen, besah sich genau Gesundheit, Nägel und Zähne, soweit das unauffällig möglich war, um einschätzen zu können, aus welcher sozialen Schicht sie kamen.
Und vor allem um einschätzen zu können, mit welchen Mitteln er hier vorgehen konnte.
Da es die Zone nun schon mal gab, fand Doitsu es klüger, sie lediglich unter Kontrolle zu bringen anstatt sie auszulöschen. Für einen Rücktransport dieser Menschen zur Erde war es ohnehin zu spät. Und wenn man es nicht übertrieb konnte dieses Vergnügungsviertel durchaus seinen Sinn haben.

Das Gangsystem war weitläufig, aber nur ein zentraler Kern war wirklich bewohnt. Doitsu schätzte diesen Bereich auf einen Radius von einem Kilometer. Die hier gebauten Häuser waren oftmals dreistöckig. Und einige schienen sogar Keller zu haben.
Doitsu grinste schief. Die besten Kneipen waren die Kellerkneipen.
Kurz fühlte er sich versucht eines dieser Lokale zu betreten, alleine schon um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen. Andererseits war er bestimmt schon aufgefallen, denn ein einsamer Mann, der sich einmal vor und dann zurück durch die Zone treiben lässt, überall rumguckt, aber mit niemandem ein Wort spricht, musste ja auffallen.
Sein einziger Trumpf war die Geschwindigkeit, mit der er seine Aktion ausgeführt hatte. Er war recht flink gewesen und nun nur noch wenige hundert Meter vom geheimen Fahrstuhl entfernt, der in die Eingeweide der eigentlichen Stadt fuhr. Ein ungutes Gefühl im Magen warnte ihn davor, Bekanntschaft mit enttäuschten Barbesitzern zu machen, die ärgerlich darüber waren, dass er sein Geld nicht bei ihnen ließ. Oder noch schlimmer, einer Art Schutztruppe für die Zone.
Unwillkürlich atmete er tief ein, um zu spüren wie seine Brust gegen das Wakizashi stieß, welches er unter der Technikerjacke trug. Und das nun seinen wichtigsten Schutz darstellte.

„Hey, du.“ Doitsu blieb stehen, wandte sich langsam um.
„Wer bist du denn? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“ Langsam kam ein Riese von Mann auf ihn zu, gewiss zwei Meter zwanzig groß und Muskel bepackt.
„Geht ja wohl auch schlecht“, erwiderte Doitsu ärgerlich. „Die AURORA ist ja auch erst seit ein paar Monaten bewohnt, oder?“
Der Riese lachte leise. „Guter Konter. Wer hat dich rein gebracht, Junge? Smith? Wang? Oder Nkobu?“
Natürlich. Das war der große Fehler gewesen, den Doitsu von vorne herein gemacht hatte. Dieser Ort war nicht allgemein zugänglich. Sicher gab es Werber, die einzelne Leute zum Geldausgeben in die Grey Zone lockten. Und dann gab es Freunde, die Freunde einluden und dergleichen. Diesen Ort gab es offiziell gar nicht, also musste Doitsu von jemandem eingeladen worden sein. Denn wenn er hier unten war weil er andere verfolgt hatte, die die Zone besuchen wollten, dann musste er ein Polizist oder Schlimmeres sein.
„Hm?“, machte er. „Die Namen sagen mir nichts. Mein Kumpel hat mich mitgenommen.“
„Dein Kumpel? Und dann bist du alleine hier? Merkwürdig.“
„Was kann ich denn dafür?“, erwiderte Doitsu und seufzte Filmreif. „Er wollte ja unbedingt noch im ROUGE bleiben und seinen Monatssold durchbringen. Aber ehrlich gesagt sind mir die Mädchen und die Preise zu heftig.“
Wieder lachte der Mann. „Das ROUGE ist eben nicht jedermanns Sache. Komm mit ins PALACE. Ich gebe dir einen aus, weil du neu bist.“
„Ein anderes Mal vielleicht. Ich habe Morgen Frühschicht.“
„So?“, meinte der Riese enttäuscht. „Dann guten Heimweg. Und noch ein Rat: Du wirst verfolgt, Doitsu Ataka. Wenn du hier unten Fuß fassen willst, wird das deine erste ernsthafte Prüfung werden.“
Doitsu, der sich schon umgedreht hatte, um weiterzugehen zuckte zusammen.
Er wirbelte wieder herum, aber der Riese war weg, verschwunden im quirligen Treiben der Straßen die knapp vor ihm begann.
Wieder wandte sich Doitsu um und ging zum Fahrstuhl. Er hatte es plötzlich sehr eilig.
Als er schnelle Schritte hinter sich vernahm, rannte er los. Aufgeregte Rufe klangen auf und die schnellen Schritte legten noch etwas zu.
Na toll, soviel zum Thema unauffällig.

Doitsu hatte den Fahrstuhl fast erreicht und blieb stehen. Er wurde bereits erwartet.
Zwei Männer mit entsicherten Pistolen standen vor dem offenen Fahrstuhl und zielten auf ihn.
„Will unser Gast schon gehen?“, fragte einer von ihnen süffisant.
Doitsu lächelte gering schätzend und schlug seine Jacke zurück. Er legte die Rechte auf den Griff des Wakizashi und musterte die beiden Angreifer. „Wenn Ihr leben wollt, solltet Ihr jetzt beiseite treten.“
„Wie niedlich. Der Japs kommt mit nem Messer zur Schießerei“, brummte der andere amüsiert.
„Ihr seid niedlich“, knurrte Doitsu. „Eine Feuerwaffe kann immer nur in eine Richtung angreifen. Ein Schwert hingegen ist da sehr viel flexibler.“
„Aber auch keine Gefahr für uns, solange wir dich aus der Entfernung erschießen. Also, lass dein Brotmesser fallen, oder wir knallen dich ab wie einen räudigen Hund.“
Doitsu erkannte aus den Augenwinkeln eine Bewegung, zog seine Waffe blank und lief drei Schritte zur Seite. Hinter ihm kam der erste Verfolger heran gestürmt, verfehlte ihn nur knapp.
Die beiden Wachen am Fahrstuhl feuerten, doch es bereitete Doitsu keine Probleme, auszuweichen. Er aktivierte sein KI und überzog die Klinge damit. Damit wehrte er die Schüsse der anderen Verfolger ab, die nun ebenfalls heran waren. Fünf waren es nun insgesamt, und anscheinend hatten sie kein Problem damit, ihn tot zu sehen.
„Ich würde noch mal drüber nachdenken, das Brotmesser weg zu werfen, Bengel“, kommentierte der Bursche von eben süffisant.
„Keine Chance. Akira würde mich auslachen, wenn ich das tue.“
„Akira-wer? Hier unten regieren wir und keine Möchtegernhelden von Papas Gnaden.“
Wütend biss Doitsu die Zähne zusammen. Dieser Ort musste dringend unter Kontrolle gebracht werden. Dringend.
Übergangslos begann er kalt zu lächeln. „Kein schlechtes Wort über meinen Kumpel Akira, bitte. Er ist hundertmal mehr wert als jeder einzelne von euch. Er bringt einem nützliche Sachen bei. Zum Beispiel zu solchen Orten nur mit Rückendeckung zu kommen. Chiba!“
Der Mann schien direkt aus dem Felsen neben dem Fahrstuhl zu wachsen. Er ergriff die vordere Wache, hämmerte ihr seine Faust auf die Schläfe und schleuderte den Bewusstlosen auf die Dreiergruppe. Danach wich er dem Schuss des zweiten Fahrstuhlwächters aus, ging in die Hocke, drehte sich um die eigene Achse und wischte den Gegner von den Beinen.
Doitsu indes hatte nur auf eine solche Gelegenheit gewartet. Er lief KI-verstärkt los, erreichte die drei, die gerade von ihrem bewusstlosen Kameraden getroffen wurden, vollkommen überraschend und traf den ersten mit der Faust am Kinn, bevor dieser überhaupt wusste, was mit ihm geschah.
Chiba indes versenkte seine rechte Faust schmerzhaft im Magen seines Gegners und schaltete ihn damit effektiv aus.
Doitsu zog seine Klinge über einen Gegner, in Kauf nehmend, ihn dabei schwer zu verletzen, vielleicht zu töten. Aber nun war einfach nicht die Zeit, um zimperlich zu werden.
Dann wirbelte er herum und trat den dritten Mann in den Bauch. Sein KI entließ dabei solch eine Kraft, dass der Mann hoch geschleudert und meterweit gegen die nächste Felswand geworfen wurde.

„Soll ich sie töten, Tono?“, fragte Chiba tonlos.
Doitsu musterte den Mann mit den hohen Wangenknochen und dem unbeweglich erscheinenden Gesicht. Der Mann war ihm von seinem Oyabun anvertraut worden und stand nun mit ihm auf Ehre und Tod. Er hatte sich nicht erst heute als hilfreich erwiesen.
„Nein“, entschied Doitsu. „Dies hier dürfte als Warnung ausreichen.“ Er wischte die Blutbesudelte Klinge an der Kleidung eines Bewusstlosen ab und steckte sie wieder in ihr Futteral unter der Jacke. Danach betrat er zusammen mit Chiba den Fahrstuhl und fuhr hinauf in die Stadt.
Er legte eine Hand auf sein Gesicht und stöhnte leise. Verdammt, verdammt, wenn Hina je erfuhr, was er hier unten trieb, dann… Mühsam entkrampfte er die Linke, die sich kraftvoll in den Stoff seiner Jacke gekrallt hatte.
„Chiba.“ „Tono?“ „Ich will, dass die Sache hier erst mal in der Gruppe bleibt. Und ich will wissen, ob es nur diesen einen Zugang gibt. Und wer diesen hier benutzt.“
„Ja, Tono.“
Den Rest der Fahrt schwiegen sie und Doitsu fragte sich verzweifelt, ob er zum Leben als Yakuza geboren worden war.

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Angry Eagles

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