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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle
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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
Captain


Dabei seit: 06.10.2015
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Herkunft: Jena, Thüringen

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Akari-Hauptstadt Pan’chra, kaiserlicher Palastbezirk

„Also, was hast du zu General Ressan gefunden?“
Kronprätendent Rallis Thelams Stimme gab nichts preis, aber sein Adjutant registrierte die unausgesprochenen Zweifel: „Seid Ihr sicher, dass ich der richtige bin, um…“
„Hör auf, dich klein zu machen, Dan. Ich will keine Tiefenanalyse. Ich will nur, dass du das Material auswertest, das ich dir zu lesen gegeben habe.“
Dan Qua seufzte kurz, räusperte sich unsicher, und warf einen Blick auf den Bildschirm: „Militärisch? Für sehr kompetent, da sind sich alle Quellen einig, die ich zu ihm heranziehen konnte. Er ist zwar nur General zweiten Ranges, aber seine Leistungen sind beeindruckend. Aufgrund seiner hervorragenden Abschlussnoten auf der Akademie in das Nachwuchs-Programm der Garde aufgenommen, sammelte er nach Antritt des aktiven Dienstes Erfahrungen sowohl in regulären als auch Kolonial- und Spezialoperationen, wurde mehrmals verwundet und erhielt im Lauf der Jahre zahlreiche Orden. Die 14. Garde leistete unter seinem Kommando während der Anfangszeit des Krieges gegen die Menschen Herausragendes und wurde wiederholt ausgezeichnet.“
„Und dennoch wurde er seit ein paar Jahren nicht weiter befördert und zuletzt für einen…besseren Wärterdienst eingeteilt.“
„Ja, der Grund dafür…
Die 14. Garde spielte eine Rolle in einer der Schlachten, wegen der sich damals die Offiziersfronde gegen Kronprinz Jor formierte. Einer unserer ersten großen Niederlagen. Ressans Einheit sollte einen Gefängniskomplex zurückerobern, den die Menschen kurz zuvor befreit hatten. Bevor sie ihre Aufgabe vollenden konnten, mussten wir uns unter hohen Verlusten aus dem System zurückziehen. Es war überhaupt das erste Mal, dass wir gegenüber der TSN einen umfassenden Rückzug einleiteten. Und was danach folgte…
Das war nicht Schuld der 14., aber es war ein Makel in ihrer Leistungsbilanz. Bei mehreren Einsätzen in den folgenden Monaten erlitt Ressans Einheit erneut hohe Verluste und musste zeitweilig aus dem aktiven Dienst abgezogen werden. All das war für seine Kariere nicht unbedingt förderlich – und dazu kamen…politische Gründe.“
„Sag bloß, er hat sich der Fronde gegen Jor angeschlossen. So etwas macht die Garde doch nicht.“ In Rallis Stimme schwang mehr als ein wenig Sarkasmus mit.
„In Ressans Fall gehörte er wohl tatsächlich nicht zu den Verschwörern. Aber er kritisierte einige strategische Entscheidungen Jors. Nachdem sich der Kronprinz gegen seine Kritiker durchgesetzt hatte, wurde Ressan in den Draned-Sektor abgeschoben. Zuerst nach T’rr, wo er an einigen Operationen gegen die Rebellen teilnahm, und dann…“
„Wurde er Kommandeur des Mondes von Avon.“

Der Mond, der den Gasriesen Avon umkreiste, war die zentrale Strafkolonie im Draned-Sektor, und eine der berüchtigtsten im ganzen Imperium. Auf dem überwiegend von arktischem Klima geprägten Trabanten war ein Überleben nur in einer schmalen Zone entlang des Äquators möglich, der Rest des Mondes war einfach zu kalt. Ursprünglich als Minenkolonie und Basis für Asteroidenbergbau im Avon-System geplant, scheiterte das Projekt nach einigen Jahrzehnten aus Kostengründen. Stattdessen wurde der Planet zum Abladepunkt für Verbrecher, Rebellen und vor allem renitente T’rr.
Die Akarii-Streitkräfte auf dem Mond überwachten die Blockade des Systems und hielten einige befestigte Punkte. Die Lebensbedingungen waren bestenfalls karg, da weder Lebensmittel noch moderne Technik in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt wurde. Zu inzwischen mehr als einer Million verbannter T’rr und ihren Nachfahren kamen zehntausende Mitglieder anderer Rassen des Draned-Sektors und sogar ein paar tausend Akarii-Strafgefangene, die in eigenen Hochsicherheitslagern untergebracht waren und für die schon wegen der meist feindseligen Einstellung der anderen Gefangenen jeder Fluchtversuch aussichtslos war.

„Das auf dem Avon-Mond herrschende Strafkoloniesystem setzte schon früher, vor allem aber seit Beginn des Terranischen Krieges auf Kostenreduktion und eine Selbstverwaltung und -versorgung der Deportierten. Während im Rahmen der erneut ausbrechenden T’rr-Rebellionen die Zahl der Deportierten um mehr als zehn Prozent anstieg, wurde Teile der Garnisonstruppen abgezogen und die ohnehin limitierte Ausgabe an technologischem Gerät, Medikamenten und zusätzlichen Nahrungsmitteln weiter eingeschränkt.
Dies führte zu sehr…chaotischen Zuständen und einem Anstieg des bereits hohen Gewaltlevels. Gemeinschaften schotteten sich ab, kämpften um die knappen Ressourcen. Banden von Plünderern bildeten sich und griffen schwächere Gruppen an.“
„Wenn man nur ein bisschen am Lack kratzt, sind wir alle Raubtiere.“
„Parallel zu dieser Entwicklung schlossen sich einzelne Gruppen und Siedlungen zusammen, um sich zu schützen und bei der Nahrungsmittelproduktion zu unterstützen. Es war vermutlich kein Zufall, dass dabei ehemalige Guerillas, Rebellen und als…unzuverlässig eingestufte ehemalige Angehörige unserer T’rr-Hilfstruppen eine zentrale Rolle spielten. Und Teile der alten T’rr-Aristokratie, die wir auf den Avon-Mond verbannt hatten. Binnen weniger Jahre entstand eine Reihe von Bündnissen, die sich allerdings teilweise seinerseits feindselig gegenüberstanden. Die – rasch wechselnden – Garnisonskommandeure versuchten mit begrenztem Erfolg, die Situation im Gleichgewicht zu halten, indem sie einigen Gruppen…Privilegien bei der Versorgung gewährten.“
„Sagen Sie es doch offen, wir haben die Verbannten gegeneinander gehetzt. Es wundert mich, dass wir nicht auch noch Waffen ausgegeben haben.“

Dan Qau warf einen Blick auf seine Unterlagen und räusperte sich kurz. Rallis Thelam blickte ihn an und schnaufte dann gequält auf: „Oh bei den Göttern! Das also auch. Es hat natürlich nicht funktioniert.“
„Auf kurze Sicht hat diese Politik geholfen, die Kontrolle zu halten. Langfristig…
Jedenfalls konnten einige Gruppen der Verbannten eine beträchtliche Anzahl an Infanteriewaffen organisieren. Kaum Laser, aber zahlreiche Projektil- und Feuerwaffen – bis hin zu Granat- und ungelenkten Raketenwerfern. Teils selbst hergestellt, teils aus…anderen Quellen.
Trotz der erwähnten Maßnahmen und etlichen…Polizeioperationen mit begrenztem Erfolg aber teilweise beträchtlichen Verlusten konnten unserer Sicherheitskräfte auf lange Sicht die Bildung größerer Allianzen nicht verhindern, sodass letztendlich nur noch ein halbes Dutzend Bündnisse übrig blieb, die die meisten der Plünderer- und Banditenbanden entweder schluckten oder auslöschten. Die zahlenmäßig unterlegen Nicht-T’rr mussten sich einer dieser Allianzen anschließen, wurden in die Grenzgebiete des bewohnbaren Zone abgedrängt – oder teilweise ausgelöscht.“
„Die T’rr scheinen wirklich von uns gelernt zu haben.“
„Kurz vor Jors Tod wurde General Ressan auf den Strafmond abkommandiert. Dafür gab es mehrere Gründe. Sein Vorgänger wurde verdächtigt, Kontakte zu einer der separatistischen Bewegung im Draned-Sektor geknüpft zu haben. Ob nun aus Überzeugung oder als Rückversicherung…“
„Spielt letztlich keine Rolle.“
„Außerdem war man auf Akar – oder an Bord der KORAX – möglicherweise darauf aufmerksam geworden, dass sich inzwischen mit General Ressan, Admiral Taran und einer Anzahl weiterer Offiziere eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Kritikern des Kronprinzen im T’rr-System zusammengefunden hatte.“
Rallis Thelam schnaubte amüsiert: „Wenn man seine Feinde immer auf die unangenehmsten Posten abschiebt, wird es dort irgendwann zwangsläufig voll. Vor allem, wenn man ein Talent dafür hat, sich neue Gegner zu machen.“
Dan Qau verkniff sich einen Kommentar und fuhr stattdessen fort: „Gleichzeitig wurde die Garnison des Strafmondes weiter reduziert.“
„Ich verstehe. Entweder jemand meinte, dass General Ressan mit Nichts Wunder vollbringen kann, oder man wollte ihm keine Truppen an die Hand geben – und dass er scheitert.“
„Falls das der Fall war, so wurden die Hoffnungen enttäuscht. Ressan gab eine Anzahl von unterbemannten Überwachungsstationen auf und reorganisierte die Raumkontrolle des Strafmondes. Seine Maßnahmen waren nicht unumstritten, zumal er mehrere Offiziere degradieren oder versetzen ließ. Aber obwohl sich die Operationsfreiheit diverser Gruppierungen der Strafverbannten erhöhte, konnte Ressan immerhin einen völligen Kontrollverlust verhindern. Und das bei minimalen Mannschafts- und Materialverlusten, und ohne auf eine Politik der Verbrannten Erde zurückzugreifen, wie sie teilweise gefordert worden war.“

„Ich höre da ein ‚Aber‘…“
„Wie erwähnt konnten diverse bewaffnete Gruppen auf dem Strafmond ihren Aktionsradius ausdehnen – und leider letztendlich vor allem diejenigen, die sich den…Steuerungsmaßnahmen von Ressans Vorgängern verweigert hatten.“
„Weil sie keine Waffen erhalten haben, meinst du.“
Dan Qau zuckte etwas unbehaglich mit den Schultern. Auf sein in Rallis Thelams Diensten erworbenes Wissen von einigen eher fragwürdige Taktiken der Kolonialpolitik hätte er gut verzichten können: „Schließlich schlossen sich vier der verbliebenen Verbannten-Gruppierungen zusammen. Formales Oberhaupt wurde ein T’rr-Adliger namens Duran, der offenbar aus dem Zweig der letzten T’rr-Dynastie stammt…“
„Der Teil der Familie, den wir wegen ihrer verdammten Renitenz auf den Strafmond abgeschoben haben. Wie auch als Rückversicherung und Warnung für ihre Verwandtschaft, die in unserem Namen auf T’rr ‚regierte‘. Nicht, dass das ein besonders effektives Druckmittel wäre. Die Intrigen der T’rr-Dynastie lässt einige der Verschwörungen auf Akar wie…Schulhofbalgereien wirken.“
„Unsere Politik auf T‘rr hat fast hundert Jahre funktioniert.“
„Bis die T‘rr den letzten Imperator von unseren Gnaden ermordet haben.“
„Sie behaupten, dass wir das waren.“
„Natürlich tun sie das. Was wissen wir über diesen ‚Imperator in der Verbannung‘?“
„Duran ist noch relativ jung – Ende Zwanzig etwa – soll aber schon an einer ganzen Reihe von Gefechten teilgenommen haben. Als Kämpfer und als Kommandeur.“
„Na ja. Was solche Behauptungen auch immer wert sind. Aber er ist sicherlich eine akzeptable Kompromisslösung und nützliche Frontfigur. Auch wenn die T’rr ihre Herrscher noch häufiger umgebracht oder gestürzt haben als wir.“
Dan Qau hüstelte kurz: „Mindestens eine Quelle vermutet außerdem, dass die Kommandeure der Verbannten-Gruppierungen uns so ein potentielles Ziel für einen eventuellen Gegenschlag liefern wollen, zumal sie Durans Tod dann auch noch propagandistisch ausschlachten könnten.“
„Nur wird dieser Gegenschlag nicht kommen, nicht wahr? Zumindest nicht so bald.“
„Nein. Nicht, solange der Draned-Sektor isoliert ist. Und die Richtlinien gelten, die Admiral Taran erlassen hat, bevor er mit seiner Flotte auf Befehl von Admiralin Rian gegen das Parrak-System vorstieß.“
„Du meinst diese Selbstmordmission? Aber immerhin hat er das überlebt. Und er bringt sogar einen Großteil seiner Schiffe wieder nach Hause. Ich frage mich, ob das meine geliebte Cousine freut oder verärgert. Sie behält einen Raumsektor, aber auch jemanden, der näher am Thron steht, als ihr vielleicht lieb ist.
Egal. Das ist ein Thema für einen anderen Tag. Zurück zu Ressan…
General Ressan hat in seiner Funktion als Kommandeur der Avon-Strafkolonie also Kontakte zu diesem Möchtegern-T’rr-Imperator Duran geknüpft.“
„Die Garnison des Avon-Mondes war schon vor dem Krieg zu klein, um ohne die Existenz einer recht…autonom agierenden Selbstverwaltung der Verbannten zu funktionieren. Dazu kommen die erwähnten Richtlinien von Admiral Taran bezüglich des Umgangs mit Nicht-Akariis. Es war also nur logisch, dass Ressan die Lage auch politisch zu sondieren begann.“
„Nicht unbedingt logisch für einen General der Garde. Die neigen normalerweise zu einem weniger subtilen Ansatz und eher unpolitischen Lösungen. Also ist Ressan auch ein Reformer, oder steht ihren Ideen zumindest aufgeschlossen gegenüber. Mein unbeweint verstorbener Cousin Jor wird im Jenseits voller Scham sein Gesicht abwenden. Mit seiner…ungestümen Innen- und Außenpolitik hat er mehr für die Reformbewegung innerhalb der Verwaltung und den Streitkräften getan, als ein halbes Dutzend aufgeklärter Staatsphilosophen. Weil jeder mit einem Funken Verstand inzwischen begreift, dass wir nicht einfach so weiter machen können.“
Dan Qau räusperte sich erneut, überging aber Rallis Spitze gegen Prinz Jor. Er hatte schon Schlimmeres gehört, nicht nur von seinem Dienstherren und Mentor.

„Wenn ich eine Frage stellen darf, Hoheit…“
„Nur zu, immerhin sollst du von mir lernen. Das habe ich erst kürzlich deinem Onkel versprochen.“
„Sie reden mit dem Kanzler über mich?“ Dan Qaus Stimme kletterte unwillkürlich etliche Stufen die Tonleiter hinauf. Alet Qau war der zweite furchteinflößende ältere Akarii in seinem Leben und es war sein nur schlecht verhohlener Albtraum, eines Tages in ein Rededuell zwischen Alet und Rallis zu geraten, die beide nicht gerade im selben politischen Lager standen.

„Entspann dich, ich habe deine Fortschritte gelobt. Und was war nun deine Frage zu Ressan?“
Dann Qau brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder daran zu erinnern, was er ursprünglich hatte wissen wollen: „Äh...Warum interessiert Sie ein zweitrangiger Garnisonskommandeur, der nur über bescheidene Verbände, wenige schwere Waffen und an Raumstreitkräften nur über einige bewaffnete Frachter sowie Patrouillenshuttle- und Kampfflieger-Staffeln verfügt?“
„Weil ich mich frage, was Ressan tun wird, wenn wir ihm – recht inoffiziell – dazu auffordern, diesem Duran und seinen Verbannten eine…Geste des guten Willens zukommen zu lassen.“
„Waffen?“ Qau schaffte es nicht ganz, die ungläubige Überraschung, ja Schockiertheit aus seiner Stimme herauszuhalten: „Aber Sie sagten doch eben…“
Rallis Thelam winkte lässig ab: „Sei doch nicht dumm, Dan. Und beleidige auch nicht meine Intelligenz. Ich werde gewiss nicht denselben Fehler machen, wie einige eher kurzsichtige Vorgänger von General Ressan. Und ganz gewiss will ich nicht meinen…Freunden im Adelsrat eine günstige Gelegenheit geben. Waffen für die T’rr? Genauso gut könnte ich auch eine Klinge auf mein Herz richten, und Herzog Allecar das Heft der Waffe in die Hand drücken.
Nein, ich spreche von dem, was den Verbannten laut den ursprünglich für die Avon-Strafkolonie erlassenen Statuten eigentlich zusteht: Lebensmittel, Medizin, technische Geräte. Ziviltechnik eben. Was die T’rr dort ganz bestimmt nicht brauchen, sind noch mehr Waffen. Aber Heizgeräte, Brennstoffzellen und landwirtschaftliche Geräte…“
„Das würde Durans Position allerdings genauso stärken, wie eine Schiffsladung Infanterielaser.“
„Na also, du hast doch etwas gelernt. Aber wenigstens kann er mit Pflügen und Zuggeräten nicht auf uns schießen. Und wenn wir irgendwann auf T’rr wieder so etwas wie Frieden haben wollen, sollten wir nicht nur auf Verhandlung mit den dortigen Rebellengruppen setzen.“
„Eine solche Strategie könnte im Adelsrat und den Streitkräften aber als ebenso…ehrenrührig angesehen werden, wie direkte Waffenlieferungen.“
„Wenn man dort die langfristigen Folgen begreift. Aber Weitsicht ist eine Fähigkeit, die den Göttern sei Dank bei unserer Konkurrenz nicht so häufig gesät ist. Zudem gibt es für die Eisenfresser und Blutsäufer am Hofe, im Adelsrat und den Streitkräften…näherliegende Ziele. Tobarii und Dero und ihre ‚Seid-nett-zu-den-Menschen‘-Avancen.“ Rallis lachte zynisch auf: „Manche werden sich jetzt verzweifelt fragen, wen sie denn in diesem dämlichen Duell anfeuern wollen.“ Übergangslos wurde er ernst: „Die Schlaueren hingegen werden sich totlachen, weil sich der Reformflügel derart selber zerfleischt.“
Wäre Dan Qau mutiger gewesen, hätte er jetzt einiges sagen können. Immerhin hatte sich Rallis alle Mühe gegeben, einen Keil zwischen Prinzessin Linai, Dero Allecar und Tobarii Jockham zu treiben. Was auch Gerüchte über die Affäre der Prinzessin einschloss.

„Die Frage ist also, wird General Ressan eine derartige politische Offensive unterstützen? Oder wird er sie hintertreiben?
Ressan mag die T’rr nicht. Er ist ja nicht pervers. Aber er dürfte sie respektieren. Und er weiß, dass wir manchmal einem alten Feind die Hand reichen müssen, um ein größeres Übel abzuwenden. Taran hat die richtige Entscheidung getroffen, als er Ressan als Garnisonskommandeur von Avon bestätigte…“
„Nicht, dass er viele Alternativen oder Zeit gehabt hätte…“
„Und wenn ich mich wirklich hinter Tarans Versuch stellen will, den Draned-Sektor zu befrieden und unser Verhältnis mit den T’rr auf eine neue Basis zu stellen…dann gibt es ungeeignetere Verbündete als Ressan.“
„Hoheit, abgesehen von den naheliegenden Gründen wie dem Überleben des Imperiums – Sie haben mir auch noch nicht gesagt, WARUM Sie sich hinter Tarans Kolonialpolitik stellen. Ich dachte, dass der Mann etwas zu nahe bei Prinzessin Linai steht. Er war sogar mal mit Dero Allecar befreundet.“
„Ich hoffe doch sehr, dass er da inzwischen herausgewachsen ist. Seine politische Linie liegt jedenfalls nicht völlig auf der von Dero, sonst hätten Tarans eigene Soldaten – oder die T’rr – ihn schon längst erschossen. Und Tarans Nähe zu Linai…Sie muss wissen, dass er Teil der Verschwörung gegen ihren Bruder gewesen ist. Und warum hat sie ihn mitten ins Kreuzfeuer vorgeschickt? Er ist aufgrund seiner Herkunft vielleicht doch etwas zu nahe am Thron, damit sie ihm voll vertrauen kann. Und wenn er klug ist, dann weiß er das auch. Und deshalb es ist klug, dem Kommandeur des Draned-Militärsektors gewisse…Handlungsoptionen aufzuzeigen.“ Jäh blühte ein ausgesprochen boshaftes Lächeln auf Rallis Gesicht auf: „Und sei es auch nur, um Linai genau das bewusst zu machen. Außerdem…“, und sein Lächeln gewann eine ausgesprochen sardonische Note, „…gehen wir hier auf Akar sehr…interessanten Zeiten entgegen. Vielleicht ist es auch deshalb klug, Kontakte zu einem weitestgehend autonom agierenden Kommandeur eines unserer Randsektoren zu knüpfen.“

Dan Qau war sich nicht sicher, wie Rallis das meinte – als verbale Spielerei mit all den Fällen, in denen die Grenzarmeen in die Intrigen des Kaiserhofes eingegriffen hatten? Oder als ironische Reminiszenz daran, dass so manchem erfolglosen Thronprätendenten der Vergangenheit nur die Verbannung oder Flucht in die Provinz geblieben war?
Doch so gerne er da nachgehakt hätte, er verkniff es sich. Wie auch die Frage, was in diesem Fall aus ihm werden würde.


****

Akar, nur wenig später

Navarr Thelam unterdrückte mühsam den Reflex, zu gähnen. Dies wäre ein seiner Familie unwürdiges Zeichen von Schwäche gewesen, zumal er sich momentan in der Kommandozentrale einer aus Mobiler Infanterie, Artillerie und Panzertruppen bestehenden imperialen Akarii-Kampfgruppe befand, auch wenn sie mit leistungsgeminderten Waffen ausgerüstet war.
Navarr hatte in den letzten Tagen wenig Schlaf gefunden, und das lag nicht nur an ständigen Alarmübungen, Gefechtssimulationen und Lagevorträgen, die immer wieder von Schieß-, Nahkampf- und Geländetraining unterbrochen wurden. Heute Nacht zum Beispiel hatte ihn und seine Kameraden die Sichtung mehrerer näherrückender Kolonnen von Fahrzeugen und Flugeinheiten aus dem Schlaf gerissen.
Die Manövereinheiten waren daraufhin in Gefechtsbereitschaft beordert worden. Aber wie auch immer die Reaktion der Kampfgruppe auf die gemeldete ‚Bedrohung‘ auch sein würde – wahrscheinlich würden weder Navarr noch die anderen Offiziersanwärter heute Nacht zum Schlafen kommen. Außerdem gab auch andere Gründe, die ihm den Schlaf raubten…

Das Militärmanöver, zu dem Navarr abkommandiert worden war, dauerte schon über zwei Wochen. Und es konnte gut sein, dass er in zwei Wochen immer noch hier wäre, in einer abgelegenen Bergregion des Hauptkontinentes, weitab von Pan’chra. Was möglicherweise auch ein Grund für seine Anwesenheit war…
Als Navarr von den dramatischen Vorgängen in der Hauptstadt erfahren hatte, hatte er dummerweise seine Rückkehr nach Pan’chra beantragt. Immerhin war er ein Thelam, und es ging um die Ehre SEINER Familie. Daraufhin war er von dem für die Beaufsichtigung der Offizierskadetten verantwortlichen Offizier auf eine Art und Weise zusammengefaltet worden, die Navarrs Rang als Kronprätendent Hohn sprach. Er war so überrascht gewesen, dass er nicht einmal auf die Idee gekommen war, seinen Status ernsthaft ins Spiel zu bringen. Also war er geblieben – und hatte sich in seinen wenigen freien Minuten gefragt, wem er seine Verschickung in die Provinz verdankte und welcher seiner Kadettenkameraden oder Vorgesetzten als sein Aufpasser fungierte. Und für wen.

Hatte seine Cousine Linai ihn so aus dem Spiel genommen? Das konnte gut sein, denn sein Cousin Karrek war auf ähnliche Art und Weise wie Navarr neutralisiert worden. Und wie ihr Ehemann Tobarii Jockham – und ihr angeblicher Liebhaber Dero Allecar – würde Linai es vermutlich bevorzugen, einen potentiellen Unsicherheitsfaktor auf unblutige Art und Weise kaltzustellen. Fehlende Skrupellosigkeit war eine von Linais ansprechenden Schwächen.
Ja, vermutlich hatten Linai oder Tobarii ihn ins Manöver geschickt, Dero fehlten dazu die Verbindungen. Und dem alten Herzog Allecar vermutlich die Subtilität oder Zurückhaltung. Wenn das stimmte, was er über Deros Vater gehört hatte, dann hätte der sich bestimmt nicht damit begnügt, einen potentiellen Rivalen nur zeitweilig kaltzustellen.
Rallis? Nein, das war nicht sein Stil. Er brauchte Navarr, das hatte Rallis mehrmals betont und Navarr glaubte ihm. Navarr aus der Hauptstadt fortzuschicken hätte keinen Sinn gemacht. Außerdem war Rallis von der zwischen Dero und Tobarii ausgesprochenen Herausforderung ebenso überrascht worden wie Navarr. Und selbst wenn Rallis das alles geplant und dirigiert hatte – er hätte Navarr in Pan’chra behalten, weil er das richtige Publikum brauchte. Denn das Wissen um die eigene Klugheit und politische Brillanz war eine von Rallis Schwächen.
Aber letzten Endes konnte er nur Vermutungen anstellen, die ihm nichts brachten, außer schlaflosen Stunden.

Navarr Thelam war einmal mehr zu diesem frustrierenden Fazit gekommen, als die Meldung eines Kommunikationsoffiziers durch seine Gedanken schnitt: „Einkommende Funksignale. Autorisierungs- und Identifizierungscode. Es sind verbündete Einheiten.“
Das kam überraschend. Navarr hätte eher damit gerechnet, dass die anrückenden Verbände die Manöverkampfgruppe in ein Scheingefecht verwickeln würden. Aber offenbar war er nicht der einzige, den die neue Entwicklung überraschte. Einige der versammelten Kommandeure steckten die Köpfe zusammen, während der Kommunikationsoffizier leise mit seiner Meldung fortfuhr.
Dann drehte sich einer der Offiziere um und musterte die wartenden Offizierskadetten. Navarr Thelam war sich sicher, dass der Blick des Offiziers länger auf ihm ruhte als auf seinen Kameraden. Aber er wusste nicht genau, ob das etwas zu bedeuten hatte.

Nur eine halbe Stunde später glaubte er die Antwort zu kennen. Denn jetzt stand er vor einem Mann, dessen Namen er sehr gut kannte und dessen Erscheinen eine Bedeutung haben musste: „Marschall Parin, ich wusste nicht, dass man Sie reaktiviert hat.“
Der ehemalige Feldherr lächelte dünn: „Ich bin nur als Berater hier.“
‚Ja, aber für wen. Oder was?‘ Navarr wusste, dass Parin Verbindungen zu Rallis Thelam hatte. Aber er war sich nicht sicher, wie eng dieses Bündnis wirklich war, und ob der alte Offizier nicht sein eigenes Spiel spielte. Immerhin hatte er auch Kontakte zu der Verschwörung gegen Navarrs Cousin Jor gehabt…: „Und eure Truppen?“
„Sind nicht meine Truppen. Ich habe sie nur begleitet.“
„Ein komplettes Reservistenregiment Luftlandetruppen, fast dreihundert Kadetten der imperialen Akademie…“
„Sie können das Training gebrauchen. Und die Kadetten…etwas Urlaub von den Verwirrungen der Hauptstadt kann ihnen sicherlich nicht schaden. Manchmal habe ich den Eindruck, die jungen Adligen kennen keinen anderen Zeitvertreib mehr, als sich zu duellieren.“
Navarr verkniff sich die passende Antwort während er überlegte, ob es noch einen anderen Grund gab, die Söhne und Tochter der angesehensten und einflussreichsten Adelsfamilien aus der Hauptstadt zu entfernen. Auf keinen Fall konnte Parin das veranlasst haben – zumindest nicht alleine.
„…wenn ihr mir die Frage verzeiht, Marschall – aber warum bin ich hier?“
„Ihr würdet mir diese Frage nicht stellen, wenn ihr nicht meinen würdet, die Antwort zu kennen, Hoheit.“
„Natürlich geht es um dieses Duell.“
„Eine naheliegende Vermutung. Es gibt viele in der Hauptstatt, die sich fragen, was diese Fehde zwischen Jockham und Allecar für sie und das Imperium bedeutet. Manche suchen nach einem Ausweg. Einer Alternative. Und andere…wollen genau das verhindern.“
‚Und zu welcher Fraktion gehörst du?‘
„Und das macht diese Truppen zu was – meiner Leibgarde? Oder meinen Wächtern?“
Der alte Marschall lächelte humorlos: „Wer weiß? Mancher in der Hauptstatt könnte sich vielleicht auch daran erinnern, was andere Prinzen mit sehr viel weniger Männern erreicht haben.“
Navarr musste ein Zusammenzucken unterdrücken. Sicherlich meinte Parin damit nicht etwa…
Der fuhr unterdessen fort: „Aber so ist es doch immer am Hof. Paranoia und das Wissen um die eigenen Ambitionen und unsere glorreiche, blutige Vergangenheit. ‚Wir blicken in das Antlitz des Fremden, und sehen doch nur den Spiegel unserer eigenen Furcht.‘“
„Ihr müsst ausgerechnet Imperator Taku zitieren? Außerdem habe ich mich schon früher gewundert, warum man ausgerechnet ihm diese Worte zuschreibt. Sie klingen so…reflexiv. Merkwürdig für einen Mann, den die Barbaren auf Akar zusammen mit seinem Sohn noch mindestens eintausend Jahre lang als Kinderschreck benutzt haben.“
„Er war der einer der größten Herrscher des ersten Imperiums.“
„Das nach seinem Tod beinahe völlig zerfallen wäre.“
„Das macht ihn nicht weniger groß. Und um auf Eure ursprüngliche Frage zurückzukommen…
Vielleicht seid Ihr nur zufällig gerade jetzt zu diesem Manöver abkommandiert worden und mir ist langweilig geworden. Vielleicht bin ich nur ein alter Mann, der lieber einem jungen kaiserlichen Prinzen etwas von seinem Wissen weitergeben möchte, als sinnlos seine Pension zu verzehren und auf den Tod zu warten. Oder darauf, dass jemand meint, ein Risiko ausräumen zu müssen. Es gibt momentan in Pan’chra zu viele Emporkömmlinge. Und nichts macht einen Mann so gefährlich, wie das Wissen um seine Schwäche oder die Fragwürdigkeit seiner Ambitionen.“
‚Redest du von den Allecars? Oder von dir? Oder all den anderen Adelsfamilien, die sich in Position bringen?‘ Navarr wusste, das er darauf keine Antwort erhalten würde.
„…euer Cousin Karrek ist bei der Flotte, Hoheit. Und Admiralin Rian wird es nicht dazu kommen lassen, dass er zu einer Figur in dem Spiel wird, das einige Häuser jetzt spielen wollen.“
‚Sie wird vor allen Dingen nicht zulassen, dass Karrek selber einen Zug tut. Außer sie will es.‘
„Linai Thelam…Sie hat den Schutz der Garde, ihres Hauses und deren Verbündeten. Letzteres mag nicht mehr so viel wert sein wie noch vor kurzem, aber zumindest die Kaiserliche Garde würde für den Schutz des ungeborenen Imperators Pan’chra in Schutt und Asche legen.“
Navarr wusste, dass das schon mehr als einmal passiert war. Genauso oft hatte allerdings die Garde jene gestürzt, verbannt oder getötet, die sie zu verteidigen geschworen hatte – nicht immer zum Schaden des Imperiums. ‚Du weißt das auch. Und du weißt, dass ich es weiß.‘
„Lisson Thelam wird durch seine Schwäche beschützt. Es gibt so viel wichtigere Ziele als ihn. Und Rallis…Rallis hat ein Netz von Bündnissen und Gefälligkeiten um sich herum gespannt. Seine Waffen sind Worte und Intrigen – und die können genauso mächtig sein, wie Gewehre und Kanonen. Wer gegen ihn zu Feld ziehen will, der wird bald merken, dass er sich auf vermintes Gebiet gewagt hat.“
Navarr war sich ziemlich sicher, dass Rallis im Zweifelsfall auch Kanonen und Gewehre in der Hinterhand bereithielt. Nicht zuletzt diejenigen, die Parin und die überlebenden Offiziersverschwörer mobilisieren konnten.

Erst nach einigen Augenblicken realisierte Navarr, das der alte Marschall verstummt war und den jungen Thronprätendenten schweigend musterte, immer noch dieses ironische Lächeln auf den Lippen: „Ihr denkt, dass ich viel rede und wenig sage. Vielleicht habe ich zu viel Zeit mit eurem Cousin verbracht. Aber letztlich spielt es keine Rolle, was ich sage. Ihr würdet es dennoch anzweifeln und nach dem verborgenen Sinn hinter meinen Worten suchen. Denn ich bin nicht der einzige, der zu lange in das Spiel verwickelt gewesen ist, das Männer und Frauen wie Rallis, Allecar und Linai gepielt haben – ob nun freiwillig oder erzwungenermaßen.
Doch da ich nun – aus welchen Gründen auch immer – an diesem Manöver als Berater teilnehme, hat man es für angemessen gehalten, mir einen jungen Offizierskadetten zur Seite zu stellen. Zumindest eine Zeitlang. Sehen Sie es als eine Möglichkeit an, wenn schon nicht von dem Besten so doch von jemandem zu lernen, der sehr gut ist.“
„Ihr meint militärische Manöver und strategische Kniffe.“
„Natürlich, was sonst. Was die Regeln und Taktiken in jenem anderen…Spiel angeht, kennt Ihr Lehrer, die sehr viel begabter sind als ich.“
‚Ja, aber die sind in Pan‘chra. Und wenn in der Hauptstatt Blut fließen sollte, dann bin ich immer noch hier. Inmitten einer Streitmacht, deren Infanteriewaffen mit nur einem Softwarebefehl und ein paar Handgriffen scharf geschaltet werden können.‘
25.04.2016 19:28 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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T’rr, irgendwo im Rebellengebiet

Goliath hatte mal von irgendjemandem gehört, dass sich in der Geschichte alles wiederhole. Und was beim ersten Mal ein Drama gewesen sei, würde beim zweiten Mal eine Farce sein.
Wenn er sich jetzt umsah, war er beinahe geneigt, dem ersten Teil des Sprichwortes zuzustimmen. ‚Nur zum Lachen finde ich es nicht.‘

Schon wieder steckte er unter Bewachung in einem unterirdischen Bunker fest. Und sprach mit demselben Guerilla-Kommandanten, der ihn auf T‘rr ‚begrüßt‘ hatte. Vor einer Ewigkeit, einem halben Leben.
Natürlich gab es auch Unterschiede. Diesmal brauchte Goliath keinen Dolmetscher, denn inzwischen beherrschte er die Sprache der T’rr fast fließend. Oder zumindest das Mischmasch aus T’rr-Dialekten und Akarii-Brocken, das die Rebellen verwendeten: „Finden Sie nicht, dass ich mehr verdiene?“
„Ich weiß nicht genau…ob ich verstehe.“
Goliath rief sich in Erinnerung, was er über die T’rr und ihre Kriegführung wusste. Dass der Mann vor ihm wenige Monate zuvor mehrere Kämpfer auf eine Mission ohne Rückkehr geschickt hatte. Was beinhaltete, dass sie sich in Kältestarre versetzen und als Fleischvorräte deklariert auf eine imperiale Raumstation schmuggeln lassen mussten. Goliath war ein Marine – aber er war sich sicher, dass nicht einmal die berühmten Recon Forces des Korps oder die SAS/SEAS eine derartige Selbstmordmission übernommen hätten. ‚Vielleicht die Fremdenlegion. Aber die Legionäre sind verrückt und machen einen Kult aus ihrer Todesbereitschaft.‘
Eine junge T’rr, die Goliath…nicht ganz unwichtig war, hatte nur wenig später einen ihrer Kameraden erstochen, weil sie ihn nicht retten oder mitschleppen konnte, und den Mann zurückzulassen zu riskant gewesen wäre: „Nein, Sie wissen vermutlich wirklich nicht, was ich meine.“ Er vergaß immer wieder, dass die T’rr keine Menschen waren: „Aber vielleicht haben Sie zumindest Antworten für mich.“
„Antworten wollen Sie? Gut – dann fragen Sie.“
Goliath schnaubte: „Ich dachte, die Fragen wären sowieso klar.
Warum bin ich hier? Ich meine, warum habt ihr mich wieder in diesem Loch vergraben wie…“, er suchte nach einem passenden Gleichnis, aber sein T’rr hatte immer noch Lücken: „…wie verrottendes Fleisch?“
„Weil du zur falschen Zeit gelandet bist, Mensch.“
„Es war ja nicht so, als ob ich eine WAHL gehabt hätte.“
„Nein. Aber es hat sich seitdem viel verändert. Eure…Konföderation-Freunde sind übergelaufen.“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber Goliath wusste, was der T’rr meinte.
„…die Konföderation war auch unser Verbündeter, Menschenpilot. Waffen, Informationen, Technik. Einige Kämpfer und Agenten. “ Goliath fragte sich, was mit denen passiert war. Die T’rr waren als Kämpfer zutiefst gnadenlos – gegen ihre Feinde, wie gegen sich selbst.
„Der Seitenwechsel der Konföderation bedeutet, dass alles was wir mit ihrer Hilfe aufgebaut haben, nun eine Gefahr ist. Ein Punkt an dem das Imperium ansetzen kann. Auch unsere Verbindungslinien zur TSN. Was wissen die Konföderierten? Was sagen sie ihren…neuen Freunden?
Und die Republik selber…brauchte die Konföderierten, um uns zu helfen. Euch fehlen die Kontakte im Imperium. Und das Netz, das ihr im Imperium in den letzten Jahren aufgebaut habt, ist durch den Umfall Hannovers gefährdet. Vor allem…ist die Republik auf einmal in der Defensive. Das Imperium gewinnt Schlachten. Es greift wieder an. Es hat den Krieg nicht gewonnen, noch lange nicht. Wahrscheinlich nie. Aber selbst wenn die Menschen am Ende siegen sollten – das ist nicht mehr sicher. Dieser Krieg kann jetzt wieder Jahre dauern. Und nachdem ein Menschenreich auf einmal einknickt…einige T‘rr fragen sich, wann auch die TSN kriegsmüde ist. Ob wir dann alleine gegen die Macht des Imperiums stehen. Das haben wir schon einmal getan. Und wir erinnern uns, auch wenn der letzte Zeuge dieser Schlachten schon lange tot ist. Wir vergessen nicht.“
„Das erklärt aber noch immer nicht, warum ihr mich weggesperrt habt. Nachdem ich für euch gekämpft habe. Denkt ihr, dass ich zu den Akarii überlaufe?“
Der T’rr schnaubte kurz: „Du kämst nie dort an. Und du bist nicht dumm, du weißt, dass dir das nichts bringen würde. Nein, darum geht es nicht.
Wie gesagt, wir kennen die Akarii. Wir haben sie bluten lassen. Jahr um Jahr. Und darum – darum geht es. Vielleicht, möglicherweise, sind sie auch müde, immer wieder auf unseren Planeten zu kämpfen. Wir sind keine willenlosen Sklaven. Der Draned-Sektor ist der Ort, zu dem missliebige Offiziere und Politiker geschickt werden. Um zu scheitern – um zu sterben. Dieser Krieg…ist viel älter als euer Kampf mit dem Imperium. Er kostet den Akarii zu viel Geld, zu viele Kämpfer. Bindet zu viele Schiffe und Divisionen.“
Goliath schloss die Augen. Er wusste, was jetzt kam. Etwas in der Art hatte sich schon angekündigt, als er auf jene Mission aufgebrochen war, die in einem monatelangen Irrmarsch durch den Urwald geendet hatte: „Die Akarii verhandeln.“
„So sieht es aus. Ihre Truppen bleiben in den Garnisonsstandorten. Es gab bereits…Absprachen mit einigen Verbänden ihrer Hilfstruppen. Keine echten Verträge oder Verhandlungen. Aber…Atempausen. Auf einmal hören wir von…neuen Ideen. Kontakte werden geknüpft. Botschaften ausgetauscht. Die Waffen schweigen. Vorerst. Doch das bedeutet nicht, dass die Gefahr vorbei ist. Denn jetzt geht es auch darum, wer unter den Rebellengruppen die Entscheidungen fällt und die Richtung vorgibt. Das war schon immer so, du hast es selbst erlebt. Wir kämpfen nicht nur gegen das Imperium oder ihre Handlanger. Es gibt auch andere Gefahren…
Wir waren immer ein blutiger Dorn in der Flanke des Imperiums. Sie hassen uns, fürchten uns – aber sie kennen auch unsere Kampfkraft. Die Imperialen haben die T’rr schon früher für sich kämpfen lassen. Weißt du, wie selten das ist? Und sie tun es immer noch. Ohne T’rr-Hilfstruppen könnten sie sich nicht auf unseren Planeten halten. So gute Kämpfer sind wir.“ Goliath verkniff es sich, seine Zweifel zu artikulieren.
Der T’rr nickte einmal, wie um seine Worte zu bekräftigen: „Und vielleicht…vielleicht – sind sie nun bereit, dafür mehr zu geben, als ein paar Krümel von ihrer Tafel.“
„Wollt ihr das ernsthaft tun? Euch vor dem Imperium verbeugen?! Ihr verratet uns, bevor wir euch verraten?“
Die Stimme des T’rr blieb leise, aber es war auf einmal ein gefährliches Kratzen darin: „Verrat? Wir haben den gleichen Feind. Das ist alles. Wir haben den Menschen nie etwas geschworen. Nichts versprochen. Wir führen diesen Krieg nicht für euch. Und auch nicht wegen euch. Wir führen ihn nur für T’rr. Und die Menschen kämpfen auch nicht für die T’rr, egal was ihr behauptet. Das tun vielleicht die T’rr in der Konföderation, aber sonst niemand. Für die Menschen sind wir nur…Werkzeug. Hilfstruppen. Was ist da der Unterschied zum Imperium?“
„Das Imperium hat euch mit Massenvernichtungswaffen bombardiert. Und zwei Jahrhunderte lang unterjocht.“
„Ja. Und wenn wir Jahr um Jahr von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Akarii töten würden, wäre diese Schuld noch immer nicht voll bezahlt.
Aber das Imperium kann uns auch geben, was die Menschen noch nicht geben können. Was die Menschen uns vielleicht nie geben können, wenn sie nicht bald wieder zu siegen lernen. Ihr habt uns sehr wenig gebracht. Und Versprechen gemacht, die ihr nicht halten könnt.“
„Sie glauben nicht wirklich, dass das Imperium eine Alternative bietet.“
Der T’rr musterte den jüngeren Menschen lange. Dann schnalzte er: „Ich…weiß nicht. Aber andere Kommandeure sind bereit, es zumindest in Betracht zu ziehen. Und ich bin zu alt, um diesen Krieg alleine zu führen.“
„Das klingt…“
„Denk nicht, dass du über mich richten kannst, Mensch. Oder über die T’rr. Du bist wie lange – ein halbes Jahr auf dieser Welt? Und willst uns sagen, wie wir unseren Krieg führen sollen? Wir haben schon gegen Akarii gekämpft, da wusstet ihr noch nicht, dass es sie gibt. Ich habe Imperiale getötet, da warst du noch nicht mal geboren!“
„Auch ich habe Akarii getötet.“
„Und deshalb bist du hier und am Leben. Verborgen vor den Akarii. Und vor T’rr, die vielleicht meinen, dass du ein guter…Pfand in den Verhandlungen wärst.“
„Ich verstehe nicht ganz. Wollen Sie mit den Imperialen verhandeln oder nicht?“
Der T’rr-Kommandeur musterte den Piloten lange: „Was ich will? Das ist ein freies T’rr. Aber das Imperium, die Konföderation, die Republik…alle bluten aus. Und wir bluten auch. Wir können diesen Krieg nicht alleine gewinnen.“
„Die Republik hat ein paar Schlachten verloren, aber es ist das Imperium, das in der Defensive ist. Auch auf T’rr.“
„Vielleicht hast du Recht, Mensch. Aber das Problem ist, dass du nicht MICH überzeugen musst. Es liegt nicht in deinen Händen. Und auch nicht in meinen. Ich kann nur tun, was das Beste für meine Truppe ist. Und das bedeutet, dass du unsichtbar bleiben musst.“
Goliath lehnte den Kopf mit einem frustrierten Seufzer gegen die Bunkerwand: „Ich hätte verdammt noch mal im Urwald bleiben sollen.“
Der T’rr klackte mit den Zähnen: „Ja. Ja. Das wäre besser gewesen. Wir hätten uns an den Menschen erinnert, der mit uns zusammen gegen die Akarii gekämpft hat. Niemand kann verlangen, dass wir einen Verschwundenen ausliefern.
Und außerdem…hat Arima dir gesagt, wer damals versucht hat, euch gefangen zu nehmen?“
Goliath schluckte wütend. ‚Arima…sie wird stinkwütend sein.‘ Dann besann er sich auf die Frage: „Sie sagte damals irgendetwas von der kaiserlichen Garde der T‘rr. Eine Rebelleneinheit, die sich aus Verbänden eures ehemaligen Militärs rekrutiert.“
Der T’rr schnaubte: „Wenn das alles ist, was sie gesagt ist, weiß ich nicht, wer von euch beiden ignoranter war. Aber das spielt jetzt keine Rolle.
Was wichtig ist, diese Verbände sind stark. Und sie können viele T’rr hinter sich versammeln, gerade weil sie bisher niemals das Knie gebeugt haben. Wenn es so etwas wie einen Frieden geben SOLLTE – brauchen wir sie. Wir müssen den Akarii als eine geeinte Front gegenübertreten, damit wir etwas erreichen können. Sie haben Soldaten und die Tradition auf ihrer Seite. Andere haben …Verbindungen zu den Truppen, die immer noch auf Seiten der Akarii kämpfen, die nie ganz gekappt wurden.“
„Ist das ihr Ernst?“ Aber dann erinnerte sich Goliath daran, was er von den verschiedenen Guerilla- und Bürgerkriegen der Erdgeschichte wusste, mit ihren verwirrenden Fronten und wechselnden Allianzen: ‚Vielleicht sind die T’rr doch menschenähnlicher als ich dachte.‘
„Allianzen werden neu verhandelt, Bündnisse geschmiedet. Und du…“
„Ich bin im Wege. Eine lebendige Erinnerung an ein Blutvergießen, das die Verhandlungen behindern könnte. Die Verhandlungen mit anderen Rebellen und mit den Akarii. Denn egal was auch immer geschieht, die Imperialen werden niemals menschliche Soldaten und Kommandos auf T’rr dulden.“
„Etwas hast du also doch verstanden. Außerdem hast du die Kaisergarde…blamiert. Ein Mensch und eine Halbwüchsige töten eines ihrer Kommandos und entkommen im Urwald. Peinlich.“
„Was ist mit Arima?“
Sie ist eine T’rr. Viel weniger auffällig als ein Mensch. Um sie musst du dir keine Sorgen machen.“
‚Dafür war es schon vor einer ganzen Weile zu spät. Egal was du sagst.‘
Der T’rr musterte Goliath lange. Dann klackte er noch einmal, offensichtlich amüsiert mit den Zähnen: „Sie ist zu wertvoll, um sie für Verhandlungen zu opfern. Sie kann nicht nur die Sprache der Akarii, sondern auch die der Menschen.“
„Und warum haben Sie sie dann weggeschickt?“
„Zwei Ziele sind weniger leicht zu treffen. Und außerdem ist sie draußen wertvoller, als wenn sie ebenfalls hier sitzen wie…wie sagst du? Verrottendes Fleisch.“
„Warum glaube ich Ihnen nur nicht?“
Der T’rr wurde übergangslos wieder ernst: „Du hast keine Wahl. Aber wenn du es unbedingt wissen willst…
Sie hat offenbar Probleme mit dem Gehorchen. Besonders wenn es um dich geht, Mensch. Besser, sie ist irgendwo, wo sie keine Dummheiten machen kann.“
‚Mich warnen, falls ihr mich doch verkauft?‘ Dennoch musste Goliath zusammenreißen, um nicht zu lächeln. Er konnte sich gut vorstellen, was die junge T’rr von der neuen Entwicklung hielt: „Sie wurde immerhin auch beinahe von diesen Ex-Garden umgebracht, die mich unbedingt als Trophäe wollten. Sie können also kaum erwarten, dass sie ihre neue Politik gutheißt.“
„Sie hat nichts ‚gutzuheißen‘. Sie hat zu gehorchen. Und wir beide wissen, dass es hier nicht nur darum geht.“ Der Akarii klackte einmal mehr mit grimmiger Belustigung mit den Zähnen: „Ihr beiden jungen Narren. Wenn ich nichts Wichtigeres zu tun hätte, fände ich das ja sehr komisch.“
„Es freut mich, dass ich sie erheitere.“ Dann riss sich Goliath zusammen. Er half weder sich noch Arima, wenn er sich mit ihrem Kommandeur herumstritt. Zumal er keine Asse in der Hinterhand hatte: „. Wollen Sie mich hier einfach wegstauen?“
„Wie ich schon sagte, kann ich dich nicht einfach frei herumlaufen lassen, Mensch. Zumindest bis sich die Lage geklärt hat. Also was willst du schon tun, außer warten?“
„Ihr habt mich vielleicht lebendig begraben, aber ich bin nicht tot. Irgendetwas muss ich doch tun können. Geben Sie mir Tech zum Reparieren, oder Akarii-Flugmanöver zu analysieren. Verdammt, ich kenne mich immer noch besser mit den imperialen Maschinen aus, als neunzig Prozent Ihrer Leute. Das muss doch etwas wert sein.“
Der T’rr schien zu überlegen, während er mit den Krallen seiner rechten Hand auf den Deckel der Plastiktonne trommelte, die als Schrank/Tisch fungierte: „Kannst du eine Akarii-Infanterie-Drohne reparieren? Und sie auch fliegen?“
„Ich kann alles fliegen. Und eine Drohne reparieren? Sie haben mich losgeschickt, ein imperiales Shuttle instand zu setzen, und wir hätten es beinahe geschafft, wenn diese Bastarde nicht aufgekreuzt wären. Eine simple Spähdrone ist da Problem.“
„Nicht nur eine Spähdrone…also gut, Mensch. Ich werde sehen, ob sich das machen lässt. OHNE, dass du dich damit zu sehr exponierst.“
„Ich könnte einen Dolmetscher gebrauchen. Ein zusätzliches Paar Hände.“
„Aber sicher doch. Am besten jemand, der ohnehin weiß, dass du bei uns bist, nicht wahr?
Eins nach dem anderen. Sieh dir die Drohne an, und überzeuge mich, dass wir da was machen können. Dann…sehen wir weiter.“
Goliath unterdrückte ein triumphierendes Grinsen: ‚Das ist doch schon mal ein Anfang.‘
25.04.2016 19:29 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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A Game of Thrones – A Game of Queens

FRT, Erde, an einem unbekannten Ort

Die Frau hatte es sich selbst untersagt, Unsicherheiten zu zeigen. Die meisten Menschen wären nervös gewesen, wenn sie ihre Sicherheit in die Hand von Leuten legen sollten, denen sie nicht über den Weg trauten – vor allem, wenn sie einmal bei einem Mordanschlag schwer verletzt worden wären. Glücklicherweise war nicht wie die meisten. Sie nickte knapp aber freundlich der drahtigen kaukasischen Frau zu, die ihr die Tür aufhielt, ebenso dem Fahrer des Schweberwagens, einem durchtrainierten Japaner oder Koreaner. Ganz so, als wäre dies ihre geschätzten Mitarbeiter, nicht Personen, die sie vermutlich im Bruchteil einer Sekunde überwältigen oder töten konnten. Nicht, dass sie wirklich glaubte, dass man das in Erwägung ziehen würde…aber ihre eigenen Sicherheitsleute waren SEHR unglücklich über die Bedingungen, mit denen sie sich hatten abfinden müssen. Doch die eigentliche Gefahr bei dem Treffen lag nicht in etwas plumpen wie direkter Gewalt. Und doch konnte ein Scheitern für die Beteiligten auch noch für sehr viel mehr Menschen katastrophale Folgen haben.
Die Lippen der jüngeren Frau, die ihr gegenüber Platz genommen hatte, bewegten sich, fast lautlos formten sie ein paar Worte, als der Schweber sich in Bewegung setzte: „Red Queen ist auf dem Weg.“
Diese Bezeichnung brachte die Passagierin fast zum Schmunzeln. Wer immer sich den Codenamen ausgedacht hatte war mit ziemlicher Sicherweit ein Witzbold, der die Vielschichtigkeit der Bezeichnung zu würdigen wusste, auch wenn das für die meisten seiner Kollegen wahrscheinlich nicht galt.* Im Inneren des Fahrzeugs – einem auf den ersten Blick vollkommen unauffälligen, tatsächlich aber gepanzerten und modifizierten Mittelklassemodell – schnallte der Gast sich in aller Seelenruhe an und setzte ihre Datensichtbrille auf. Den für eine Millisekunde verdutzten Blick ihrer Begleiter, die es nicht gewöhnt waren, dass ihre Passagiere so nonchalant reagierten, ignorierte sie. Sie wusste, wohin sie fuhr, und sie wusste auch, was sie dort sagen wollte. Also konnte sie die Zeit, die der Schweberflug brauchen würde genauso gut nutzen... Außerdem, wozu ihre Wachhunde nervös machen, indem sie versuchte, einen Blick nach draußen zu erhaschen der ihr möglicherweise verriet, wo man sie hinbrachte?

Mehrmals wechselte das Fahrzeug den Kurs, und da die Fahrt gut eine halbe Stunde dauerte, ließ sich nicht sagen, wo sie sich befanden, als das Fahrzeug anhielt. Auf jeden Fall handelte es sich um ein Viertel, das vor allem von Lagerhallen und automatisierten Industriegebäuden geprägt war. Der Schweber parkte direkt vor dem Eingang eines Gebäudes, das wie eine Verwaltungsbaracke wirkte. Die Passagierin stand auf und nickte ihren Begleitern knapp zu: „Vielen Dank für die Fahrt.“ Wenn sie das sarkastisch meinte, ließ sie es sich nicht anmerken. Von der Tür des Fahrzeugs bis zu der des Gebäudes waren es nur ein paar Schritte, was zweifellos Absicht war. Doch selbst auf dieser kurzen Strecke registrierte die Passagierin, dass sich im Umkreis von ein paar Dutzend Metern mindestens vier Aufpasser befanden, was bedeutete, dass es in Wahrheit wohl mindestens doppelt so viele waren. ,Ich sollte mich ja geschmeichelt fühlen, wüsste ich nicht, dass der ganze Aufwand nicht einer Gefahr von meiner Seite gilt.‘ Dachte sie.

Die Szenerie, die sie im Inneren des Gebäudes erwartete, wirkte fast ein wenig surreal. Die Einrichtung bestand aus leicht transportablen Kunststoffelementen, doch war sie qualitativ vom Feinsten, gewissermaßen Campingmode für die oberen Zehntausend. Irgendjemand hatte das Zimmer mit einiger Sorgfalt geplant und in Windeseile eingerichtet. Die holographische Datenwiedergabeeinheit war erstklassig, und der leichte Duft nach Tee stammte zweifellos von einer erlesenen Sorte, das Gebäck, das auf einem Teller sorgfältig arrangiert war, hätte zweifellos selbst verwöhnten Gaumen geschmeichelt. Kurz und gut, hier waren Geld, Klasse und – kaum verdeckt angedeutet – Macht und Einfluss eine perfekte Symbiose eingegangen. Die Frau, die auf die Passagierin wartete, erhob sich ohne Hast, höflich, aber voller Selbstbewusstsein.
„Frau Generalsekretärin.“
Isabella Pavon alias La Pasionaria, Generalsekretärin der Interplanetaren Kommunistischen Partei und nahezu unangefochtene Führungspersönlichkeit des Pariser Paktes, der terranischen Friedensbewegung, die weit über Pavons eigene Partei hinausging, neigte gemessen den Kopf: „Madam Präsident…Es freut mich, dass Sie unser Treffen arrangieren konnten.“

Die letzten Worte waren mehr als eine gelinde Untertreibung. Es hatte Monate vorsichtiger Sondierungen gebraucht, und endlose Gespräche im engsten Kreis der Vertrauten auf beiden Seiten, ehe ein persönliches Gespräch zwischen Birmingham und Pavon überhaupt denkbar gewesen war. Beide Seiten hatten sich in aufrichtigem Misstrauen gegenübergestanden. Die Friedensbewegung konnte nicht vergessen, wie sehr ihre Mitglieder von Seiten der Behörden gegängelt, bespitzelt und schikaniert worden waren. Andreas Ziegler, Gründungsmitglied des Pariser Paktes und einflussreicher Vertreter einer ganzen Gruppe von Randwelten, war unter mehr als zweifelhaften Umständen wegen angeblicher Verbindungen zur Colonial Liberation Army verhaftet worden, einer separatistischen Terrorbewegung. Und wie ihm war es auch anderen ergangen. Aktivisten, kritische Pressevertreter, sogar der eine oder andere Künstler oder Geistliche, sie alle hatten den mal eisenharten, mal subtilen Griff oder zumindest den drohenden Schatten der Sicherheitsdienste gespürt. Viele waren verhaftet worden, wenn auch meist nur für kurze Zeit. Einige hatte man unter Ausnutzung der in Kriegszeiten verschärften Gesetze aber auch rechtskräftig zu ruinösen Geld- oder empfindlichen Haftstrafen verurteilt, auch wenn diese als verdeckte Erpressung nicht selten zur Bewährung ausgesetzt wurden. Andere Friedensaktivisten hatten Reisebeschränkungen auferlegt bekommen, Investoren und Arbeitgeber hatten sich ohne Angabe von Gründen von ihnen distanziert. Und es gab hartnäckige Gerüchte über noch weitergehende Zersetzungsmaßnahmen.
Auf Seiten der Regierung wiederrum war nicht vergessen, dass die von der Friedensbewegung organisierten Streiks und Massendemonstrationen im Laufe der Jahre Milliarden von Steuercredits gekostet hatten. Zehntausende Polizisten und Nationalgardisten mussten mobilisiert werden. Regierungsvertreter und Militärs waren beschimpft und öffentlich angeprangert worden, es hatte immer wieder gewaltsame Zusammenstöße, Hacks gegen Regierungsseiten und ähnliches gegeben. Die Führung des Pariser Pakts wusch seine Hände stets in Unschuld und sprach sich verbal gegen jeden „unzivilisierten“ Protest aus, aber das mochte auf Seiten der Sicherheitskräfte kaum einer wirklich glauben.
Und natürlich war im Laufe der letzten Jahre das geschehen, was so viele öffentliche Kontroversen kennzeichnete. Pavon hatte die Entwicklung in einer internen Besprechung recht treffend charakterisiert: Die Kontrahenten hatten sich in ihren Positionen eingegraben, die verbalen Stacheldrahtverhaue, Minenfelder und Todestreifen waren immer breiter geworden, bis es schier unmöglich war, lebend von einer Seite auf die andere zu gelangen. Moderate Stimmen auf beiden Seiten waren immer leiser geworden und wurden von dem Trommelfeuer und Salven der Scharfmacher und Einpeitscher übertönt.

Patricia Birmingham wunderte sich insgeheim immer noch, dass angesichts dieser verfahrenen Lage doch die Basis für Vorverhandlungen geschaffen werden konnte. Das war ein Stück weit reines Glück gewesen. Vor einer gefühlten halben Ewigkeit, im Februar 2637, kurz nach der Schlacht von Beta Borialis, hatte sie sich auf Anraten ihrer Berater und nach langen Überlegungen entschlossen, insgeheim zwei Initiativen zu starten, obwohl zu diesem Zeitpunkt ein Sieg in greifbarer Nähe schien. Wie schnell und vollständig sich das doch geändert hatte…
Zum einen hatte sie sich entschlossen, Fühler zu den Akarii auszustrecken, um die Möglichkeit von Verhandlungen zu sondieren. Zunächst nur für einen Gefangenenaustausch, doch stets mit der Option, die Verhandlungen auf richtige Friedensgespräche auszuweiten. Die Alexander-Mansfeld-Mission war ein grandioser Fehlschlag geworden. Leider war immer noch nicht klar, wer das Scheitern zu verantworten hatte, aber nicht nur im innersten Zirkel der Präsidentin munkelte man, dass Birmingham ein paar Pfähle für die Köpfe der Schuldigen hatte reservieren lassen. Und Admiral Alexander stand ziemlich weit oben auf der Liste der Verdächtigen – es war ihre Mission gewesen, also auch ihre Verantwortung.
Die zweite Initiative war noch subtiler angelaufen. Heimlich, still und leise, ohne Aufsehen darum zu machen, hatte die Präsidentin die Gangart gegen den Pariser Pakt gemäßigt. Die offenkundigen Schikanen waren eingestellt worden, auch wenn die Überwachung zumeist fortgesetzt wurden. Und nicht nur Andreas Ziegler war freigekommen, sondern auch noch viele andere, teils weil die Ermittlungsverfahren eingestellt oder die Urteile durch Amnestiemaßnahmen abgemildert wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Birmingham nicht damit gerechnet, dass ihre Wiederwahl in Gefahr sein könnte – so lange der Krieg gut lief, wusste sie sich sicher, auch wenn eine erneute Legitimierung durch eine Wahl überfällig war. Sie hatte die Gräben ein wenig einebnen wollen, die der Krieg in der Gesellschaft der FRT aufgerissen hatte. Schließlich musste jemand den ersten Schritt machen, und sie wollte nicht, dass ihr innenpolitisches Vermächtnis aus einer gespaltenen Republik bestand. Da sie selber über einen Frieden verhandeln wollte, war sie etwas nachsichtiger gegenüber den Kriegsgegnern geworden. Damals meinte man, sich das leisten zu können.

Die militärischen Rückschläge und die Kapitulation der Konföderation hatten alles geändert. Die Republikaner hatten einen glaubwürdigen Kandidaten für die kommenden Präsidentenwahlen aus dem Hut gezaubert, während gleichzeitig Stimmen laut wurden, dass Birmingham als Oberkommandierende vielleicht doch nicht länger die richtige Wahl sei. Zwar sei man ihr dankbar für das, was man unter ihrer Führung erreicht hätte, aber jetzt müsste ein frischer Wind wehen, an ihr würden zu sehr die Rückschläge der letzten Monate haften und dergleichen mehr. Und dann hatten die Ereignisse in Sterntor das Verhältnis zwischen der demokratischen Regierung und den einflussreichsten Ministerpräsidenten außerhalb des Sol-Systems schwer belastet, was Schockwellen durch die ganze Republik sandte. Die Ministerpräsidenten und Lokalparlamente hatten zwar keine direkte Funktion bei den republikweiten Präsidentenwahlen, aber ihr indirekter Einfluss war beträchtlich. Schon eine nur lauwarme Unterstützung – von offener Kritik ganz zu schweigen – konnte Dutzende Millionen von Wählerstimmen kosten. Präsidenten waren schon an weniger gescheitert.
In dieser dramatischen Situation war erstmals der Gedanke aufgekommen, irgendwie einen Ausgleich mit der Friedensbewegung zu suchen. Die Gründe waren ebenso einfach wie einleuchtend. Wenn der Pariser Pakt einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellte, dann war er oder sie zwar chancenlos. Doch es war abzusehen, dass die Rückschläge der TSN die Friedensbewegung stärken würde. Und natürlich war die Wahrscheinlichkeit, dass demokratische Wähler zum Pakt-Kandidaten – oder, wenn man es genau nahm, vermutlich der KANDIDATIN – wechselten, deutlich höher als bei den Republikanern. Birmingham würde von rechts von Nkuma und von links vom Pakt angegriffen werden, und das konnte sie die entscheidenden Stimmen kosten.
Natürlich konnte man sich nicht einfach anrufen und in Ruhe ausdiskutieren, ob man nicht einen Modus Vivendi zum Wohle aller Beteiligten finden könne. Selbst ein normales Gipfeltreffen war ausgeschlossen. Die Republikaner hätten sich auf diese Gelegenheit gestürzt wie der Geier auf einen frischen Kadaver und Birmingham mangelnde Siegeszuversicht unterstellt – im Krieg, und in ihrem Wahlkampf ohnehin. Viele Demokraten, die noch auf einen Sieg setzten, wären verstimmt gewesen. Und die Puristen der Friedensbewegung hätten die Möglichkeit einer Kooperation mit der Regierung entrüstet zurückgewiesen oder zumindest unerfüllbare „Minimalbedingungen“ aufgestellt. Um das wie und ob der Verhandlungen hätten man sich in beiden Lagern monatelag erbittert streiten können. Und falls die Gespräche dann zustande kamen, am Ende aber scheiterten – was ja nie auszuschließen war – wären all diese unerfreulichen Nebeneffekte bestehen geblieben, ohne dass dem ein substanzieller Nutzen entgegenstand. Und deshalb war man übereingekommen, sich erst einmal unter totaler Geheimhaltung von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Bei den Demokraten wie im Pariser Pakt wussten insgesamt nur eine Handvoll Männer und Frauen Bescheid – namentlich Angehörige des Sicherheitspersonals und die wichtigsten Entscheidungsträger, die man einfach nicht außen vor lassen konnte.

„Möchten Sie etwas, Tee oder Kaffee?“ Die Präsidentin hatte offensichtlich vor, die perfekte Gastgeberin zu spielen. Und die Generalsekretärin war bereit, sich auf dieses Spiel einzulassen, bei dem es auch darum ging, den anderen zu durchschauen und zu manipulieren: „Tee wäre nett, danke.“
Wortlos betrat ein Angehöriger des Secret Service und platzierte ein Tablett vor Pavons Gast. Er musste schon bereitgestanden haben, und Pavon war auch nicht im Geringsten überrascht, dass man ziemlich genau wusste, was für ein Getränk sie schätzte.
Sie verbarg ein Lächeln, als sie die Tasse vors Gesicht hob. Sie hätte sich schwergetan, das zuzugeben, aber sie genoss so eine Art von Kräftemessen einfach viel zu sehr. Normalerweise sollte man Politik ja wegen der Ergebnisse oder wegen seiner Überzeugungen machen – oder, wie unterstellt wurde, um des eigenen Vorteils willen – aber viele Leute begriffen nicht, dass der intellektuelle Wettkampf an sich wie eine Droge wirken konnte. Der Weg durfte natürlich nie das Ziel werden, aber manchmal war der Kampf um den Sieg fast ebenso inspirierend wie der Sieg selber. Für einen Moment genoss sie das Aroma ihres Tees, wohl wissend, dass auch das nur ein Schachzug war. Es war „Schwarzer Sand“**, ein Getränk, das sie erst ein paar Mal in ihrem Leben probiert hatte.

Aber Pavon war natürlich viel zu erfahren, um sich durch eine solche Geste irgendwie beeinflussen zu lassen – sei es, dass der Luxus sie beeindruckte, ihr schmeichelte, oder aber sie verärgerte. Gefühle waren bei Verhandlungen ein Luxus, den man sich zwar leisten konnte, man durfte sich aber nicht von ihnen leiten lassen. Und sie hatte sich bereit eine Verhandlungsstrategie zurechtgelegt.
„Frau Präsidentin, ich will gleich zum Kern unseres Gespräches kommen.“ ,Nein, ich werde keine Zeit mit Smalltalk ausfüllen, denn da bist du mir in jedem Fall gewachsen…‘
„Lassen Sie mich zuerst aufzählen, was WIR für Sie tun können. Natürlich sprechen wir nicht für den gesamten Pakt, denn unsere Mitglieder und viel mehr noch die Menschen, die uns unterstützen, dürften uns nicht in allem folgen. Aber wir können ziemlich gut einschätzen, welchen Dingen sie zustimmen und wie man sie überzeugen kann, zumindest eine ausreichend große Zahl von ihnen.
In erster Linie werden wir Ihre Präsidentschaftskandidatur unterstützen und ihnen damit die Gelegenheit bieten, dass Ihr Name mit diesem Krieg und seinem Ende untrennbar verbunden wird, dass die demokratische Partei diejenige sein wird, die letztlich die FRT durch ihre größte Krise gesteuert hat. Ich zweifle nicht daran, dass Ihre Spezialisten bereits kalkuliert haben, wie viele Menschen uns folgen würden, wenn wir ihre Kandidatur unterstützen. Es werden in jedem Fall viele sein, auf der Erde, wie in der Peripherie. Diejenigen, die Zweifel an ihrer Regierung, vielleicht aber auch an den Republikanern haben, Zweifel daran, dass wir den Krieg in akzeptabler Zeit zu einem akzeptablen Preis gewinnen können. Die unzufrieden sind wie die Lasten in diesem Krieg verteilt sind. Zweifellos wissen Sie am besten, dass dies kaum die Haltung der Mehrheit ist – aber die einer erheblichen Minderheit. Sie, Madam Präsident, werden die Chance erhalten, unsere Heimat in dieser entscheidenden Phase ihrer Geschichte zu prägen.
Wir fordern nicht nur unsere Mitglieder – Kommunisten wie Angehörige anderer Parteien und Gruppen – auf, für Sie zu stimmen. Wir verteidigen diesen Entschluss auch vehement gegen Gegenwind aus den eigenen Reihen, den es totsicher geben wird. Wir stimmen unsere Wahlkampfkundgebungen und die Inhalte unserer Spots und E-Papierannoncen mit Ihren Leuten ab, und auch wenn wir über die Verwendung unserer Wahlkampfgelder selber entscheiden, werden wir nicht mit leeren Händen antreten. Und wir koordinieren das Vorgehen gegen unsere gemeinsamen Gegner auf regionaler oder Bundesebene. Zweitens werden wir ihre Politik auch in der kommenden Legislaturperiode nach Möglichkeit unterstützen, das heißt, Sie können auf die Hilfe unserer Senatoren zählen, vor allem aber auf unseren Einfluss in den Lokalparlamenten. Und wir werden beraten, ob wir auch bei Lokalwahlen Ihre Leute unterstützen können.“ Das klang vielleicht nicht nach sehr viel, denn nur eine Handvoll Ministerpräsidenten und Senatorinnen gehörten dem Pariser Pakt an oder waren ihm nahestehende ,Neutrale‘, allerdings war der Einfluss in vielen Regionalparlamenten erheblich. Und Patricia Birmingham wusste, dass die Republikaner auf erhebliche Zugewinne bei kommenden Senats- und Regionalwahlen hoffen konnten. Da konnte eine Handvoll Personen an der richtigen Stelle den Ausschlag geben, um ein umstrittenes Projekt durchzudrücken. Falls – und das stand ein großes Fragezeichen davor – sie tatsächlich wiedergewählt wurde. Und falls eine mögliche Allianz hielt. Aber sie war fest entschlossen, das in ihrer Macht stehende dafür zu tun. Nicht nur, weil es ihr schwer fiel, ihr Amt loszulassen. Denn wenn sie ehrlich war, spielte das natürlich auch eine Rolle. Bei allem was es kostete, dem Stress, den 90-Stunden-Wochen (mehr oder weniger), dem Leben im Rampenlicht (und damit auch im Fadenkreuz, und dies nicht nur metaphorisch), Entscheidungen zu treffen die das Leben von Dutzenden Milliarden Menschen und Nichtmenschen bestimmten, WAR verführerisch. Sie hatte nie die Toren verstanden, die den Politikbetrieb als schmutzig und unwürdig schmähten.
Es ging ihr auch nicht in erster Linie darum, dass es ihr widerstrebte, einem Newcomer den Sieg einfahren zu lassen, an dem sie Anteil hatte. Obwohl, wenn sie ehrlich war, der Gedanke, dass Nkuma oder zumindest seine Leute dann allen Verdienst dem neuen Präsidenten zuschieben könnten, war ihr herzlich zuwider. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Menschheit gewesen. Dafür hatte sie zu hart gekämpft. Wobei, ehe man sich Gedanken darüber machte, wer in den Geschichtsbüchern mit dem Sieg über die Akarii in Erinnerung blieb, musste dieser Sieg erst einmal erkämpft werden. Nein, vor allem war es die feste Überzeugung, dass sie vielleicht nicht allerbeste denkbare Person im Amt war – aber zumindest besser als die augenblicklichen Alternativen.

„Kommen wir nun zu der Frage, was wir im Gegenzug erwarten. Dabei wäre zu unterscheiden zwischen den Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit – was wir als Entgegenkommen für unsere Zugeständnisse und Hilfe erwarten – und denen, die erst umgesetzt werden, falls unsere Allianz Erfolg hat. Schließlich müssen wir es unseren Unterstützern verständlich machen, warum sie ihre Stimmen zu Ihren Gunsten abgeben sollen.“
Patricia Birmingham unterdrückte ein schiefes Grinsen. Natürlich, jetzt kam der Teil, an dem man hart um kleinste Details feilschte. Nicht wenige Leute hätten dieses Gespräch als Symbol dafür betrachtet, was im politischen System der FRT schief lief. Diese Diplomatie hinter verschlossenen Türen, die geheimen Deals, in denen Ergebnisse über Grundsätze gestellt wurden. Die Absprachen im elitären Kreis, bei denen die Basis erst im Nachhinein um Zustimmung gefragt – und nicht selten geschickt beeinflusst wurde, dass sie auch so stimmte, wie man es von ihr erwartete. Doch was wäre die Alternative gewesen? Die planetaren Ableger und ideologischen Flügel der großen Parteien lagen sogar innerhalb EINER Partei nicht selten extrem weit auseinander. Eine kollektive Willensfindung war schon aus technischen Gründen kaum machbar. Es war ein Alptraum, Vertreter so vieler Welten und Gruppen zusammenzubringen, selbst Konferenzschaltungen litten unter den großen Distanzen, unterschiedlichen Tag/Nacht-Zeiten und, und, und. Repräsentanz und Arbeitsfähigkeit widersprachen sich nicht zwangsläufig, aber sie kamen auch nicht leicht zusammen. Das war wohl einer der Gründe, warum sich die CC für ein weit weniger repräsentatives und im Grund nicht sehr demokratisches System entschieden hatte, bei dem jeder Vollplanet eine Stimme hatte, unabhängig von seiner Bevölkerungszahl.

Pavon kam – was wenig verwunderlich war – gleich zum Kern des Anliegens, das den Pariser Pakt überhaupt erst geschmiedet hatte: „An erster Stelle kommt natürlich ein glaubwürdiges und annehmbares Friedensangebot an das Imperium, das zugleich mehr bringen soll als einen temporären Waffenstillstand. Mir ist klar, dass es erst Sinn macht, die Verhandlungen zu beginnen, sobald feststeht, wer die Wahl gewonnen hat. Aber wir erwarten ein klares Signal im Voraus.“
Die Noch-Präsidentin lächelte leicht: „Tja, das bringt uns zu der Frage, was Sie unter glaubwürdig und annehmbar verstehen. Ich glaube natürlich nicht das, was einige Feuerköpfe meiner Partei und der Republikaner seit Jahr und Tag behaupten. Die Friedensbewegung ist kein Freund des Imperiums.“ Pavon nickte knapp.
„Ich denke, Sie betonen zwar, dass sie keinen Hass gegen die einfachen Akarii empfinden, doch wünschen keinen bedingungslosen Frieden im Vertrauen auf die Güte der kaiserlichen Regierung – abgesehen von einigen Sonderlingen, die keinen wirklichen Einfluss haben.“
Die Kommunistin verzog ihre Lippen, als habe sie einen üblen Geschmack im Mund, den sie gezwungen war auszukosten: „Ich hätte es zwar nicht genauso ausgedrückt, aber ja. Ich will offen sein. Natürlich wissen wir, wer diesen Krieg begonnen hat. Wir werfen dem terranischen Militär – aber auch Ihrer Regierung – vor, dass sie nicht genug getan haben, um mit den Akarii so etwas wie ausreichend gegenseitiges Verständnis aufzubauen, das diese Katastrophe vielleicht hätte verhindern können. Aber es ist offensichtlich, wer zuerst gefeuert hat. Nur – ,der andere hat angefangen‘ ist nicht einmal im Sandkasten das beste Argument. Jemand muss auch anfangen, aufzuhören. Denn ich denke, kein Volk kann in diesem Krieg gewinnen. Keines kann es sich leisten, ihn noch wesentlich länger zu führen. Wir, aber auch das Kaiserreich werden bereits jetzt an den Folgen über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu leiden haben. Deshalb brauchen wir diesen Frieden, und wir brauchen ihn bald – wir müssen es zumindest versuchen, und zwar in einer Art und Weise, die möglichst für beide Seiten annehmbar ist.“
Pavon lachte trocken, als sie fortfuhr: „Und dafür sind wir bereit, auch mit dem imperialen Kaiserhaus zu verhandeln. Einer Bande geistig degenerierter Militärdiktatoren, deren Herrschaft durch religiös-traditionalistisches Talmi verbrämt wird und deren einzige Legitimation abgesehen von den Mündungen der Gewehre die Entscheidung einer nicht minder antiquierten Riege von Aristokraten, Militärs und Wirtschaftsführern – oft in Personalunion – ist.“
Birmingham legte ihren Kopf schief: „Das klingt jetzt eigentlich nicht so, als ob Sie an einem, wie nannten Sie es doch, ach ja ,gegenseitigem Verständnis‘ interessiert wären.“
„Ich bin Kommunistin. Was denke Sie wohl halten meine Leute und ich selber von einer Monarchie wie dem Kaiserhaus? Denken Sie wir – oder grob geschätzt 95 von 100 der übrigen Friedensaktivisten – würden auch nur eine Träne vergießen, wenn die Akarii und die unterworfenen Völker endlich aufwachen und sich der Clique entledigen würden, die sie und uns in Unglück gestürzt hat? Wissen Sie, was ich mich aufrichtig wünsche? Dass noch heute jemand dem Haus Thelam ein Romanowsches*** Schicksal bereitet, und dann, nachdem gründlich reiner Tisch gemacht wurde, mit uns Frieden schließt. Aber ich bin auch Politikerin und Realistin, und muss mit dem arbeiten was ist, nicht dem, was sein sollte. Ich wäre bereit gewesen mit Eliak IX. Frieden zu schließen, und der war der größte Massenmörder, mit dem die menschliche Rasse jemals zu tun hatte. Da werde ich mich auch bei seinen Nachfolgern überwinden können, und Sie können das auch.“
Birmingham grinste schmal, denn sie hegte ähnlich warmherzige Gefühle für die Akarii-Monarchie: „Was das eigentliche Problem ist, wie Sie sich vorstellen können. Denn wenn wir verhandeln – wer im imperialen Palast wird zustimmen, auf die Gefahr hin, dass seine Rivalen ihn dann stürzen als Verräter der ach so noblen Doktrin von Beta Borialis? Man kann sich darüber streiten, ob es im Moment wirklich jemanden gibt, der dazu bevollmächtigt ist. Und wer garantiert uns, dass unser Verhandlungspartner nicht schon morgen gestürzt wird und sein Nachfolger sich nicht an die Abkommen gebunden fühlt?“
„Zugegeben. Allerdings glaube ich nicht, dass ein neuer Kaiser die Möglichkeit hätte, den Krieg einfach wieder zu beginnen, wenn er erst einmal gestoppt ist. Er wird verwundbar sein, und SO GUT läuft der Krieg nicht für die Echsen, als dass er einen neuen Waffengang als leichte oder auch nur halbwegs realistische Möglichkeit betrachten könnte, Ruhm zu gewinnen. Außerdem gleicht eine moderne Kriegsmaschinerie weniger einem Raumjäger als einem Supertransporter – sie kann nicht schnell abbremsen, und schnell starten schon gar nicht. Ich weiß genug – die Echsen sind kriegsmüde, und die von ihnen unterworfenen Völker sind es erst Recht. Sie können dem nur zumeist nicht richtig Ausdruck verleihen, und man hat es aus ihnen herausgeprügelt und geschossen, sich den Einfluss zu nehmen, der ihnen zukäme. Ich glaube nicht, dass sie sich einfach wieder zur Schlachtbank treiben lassen, wenn erst einmal Frieden herrscht. Jedenfalls nicht sofort. Aber sollten wir nicht erst einmal darüber nachdenken, über einen Frieden zu verhandeln, eher wir uns Gedanken machen, ob der wirklich anhält, so lange das Gras wächst und die Wolken ziehen.“ Letzteres war zweifelsohne sarkastisch gemeint.****

„Ich nehme an, Sie stehen weiterhin zu ihrem Bekenntnis eines Friedens ohne Annexionen und Kontributionen?“ meinte die Präsidentin, die damit einen beliebten Slogan des Paktes aufgriff.
Pavon nickte entschlossen: „Ein definitives ,Ja‘ zum ,Nein‘ bei den Kontributionen, schon aus Gründen der Klugheit. Die Akarii haben wirtschaftlich viel stärker geblutet als die FRT oder die CC. Wir haben einen erheblichen Teil ihres Transportraumes vernichtet, ihre Handelsrouten unterbrochen, viele Welten besetzt oder blockiert, in Teilen zerstört. Von dem latenten Bürgerkrieg in Teilen ihres Reiches ganz zu schweigen. Sie könnten sich nennenswerte Reparationen in der Höhe, dass sie etwas bewirken würden, gar nicht leisten. Und natürlich würden ohnehin nur die Untertanen, besonders die Nicht-Akarii, die Zeche zu zahlen haben. Wollen Sie verantwortlich sein, dass es auf einem Dutzend Welten zu Hunger- und Steuerrevolten kommt, die die Sicherheitskräfte gewohnt brutal niederschlagen?“
Sie trommelte nachdenklich mit den Fingern auf den Tisch: „Was Grenzveränderungen angeht, so sage ich Ihnen das nur im Vertrauen, aber ich denke das könnte man etwas…flexibler…handhaben. Wir sind entschieden gegen strategische oder expansionistische Annexionen, gegen die Eroberung besiedelter Welten oder die Sicherung von Ressourcen und ,Siedlungsraum‘. Das können und wollen wir auch unseren Anhängern nicht zumuten. Etwas anderes wäre es, wenn ein Teil der kaiserlichen Grenzwelten künftig demilitarisiert wird. Das heißt sie gehören zum Imperium, doch die kaiserliche Flotte darf dort nicht mehr als leichte Schutzverbände gegen Piraten und Raider stationieren, Flottenbewegungen sind anzukündigen. Und falls natürlich die Bevölkerung von einigen im Moment von uns kontrollierten Welten mit einer soliden Mehrheit ohne Manipulationen von unserer Seite …“ letzteres betonte sie: „für ein Verlassen des Imperiums stimmt und wir ihnen zügig entweder die Vollmitgliedschaft oder privilegierte Assoziation mit der FRT anbieten… Wie ich schon sagte, wir sind keine Freunde des Imperiums in seiner gegenwärtigen Form und haben eine Menge übrig für diejenigen, die es unterworfen hat. Natürlich müsste man dann den Transfer derjenigen Bevölkerungsteile organisieren, die lieber beim Imperium bleiben wollen. Und umgedreht die Evakuierung von den Personen, die auf den Welten für uns eingetreten sind, die wir zeitweilig unter unserer Kontrolle hatten, aber an das Kaiserreich zurückgeben. Ich will nicht deren Blut an meinen Händen haben, wenn wir sie der nicht vorhandenen Gnade und Großmut des Imperiums ausliefern.“
Birmingham dachte für einen Moment, dass es bedauerlich war, dass die Friedensbewegung in dieser Hinsicht aufgeschlossener war als viele Demokraten oder Republikaner, die äußerst zurückhaltend bis ablehnend auf die Idee einer Aufnahme von Alienplaneten oder auch nur einer größeren Zahl von Nichtmenschen in die FRT reagierten.

„Beide Seiten müssten zudem auf die Forderung nach der Bestrafung von Kriegsverbrechern verzichten. Ich glaube nicht, dass irgendein Kaiser hohe Militärs oder Adlige an eine ,minderwertige Rasse‘ wie die unsere ausliefern könnte, geschweige denn in der gegenwärtigen Situation. Da kann er auch gleich Russisches Roulette spielen. Und zwar mit einer Automatikpistole. Es ist von Vorteil, dass einige der größten Schlächter schon gestorben sind. Eliak, Jor – und Ilis wird es wohl auch kaum noch lange machen, verkalkt wie er ist. Taran ist ein anderer Fall, aber er ist nun einmal ein Verwandter der Kaiserfamilie.“ Pavon grinste schief: „Es sei denn, man will im kaiserlichen Palast die Reihen möglicher Rivalen ausdünnen, aber darauf sollten wir uns nicht verlassen. Und was die Personen angeht, deren Bestrafung wiederum die Akarii fordern, ist mir klar, dass wir niemanden an das Kaiserreich ausliefern können. Schon gar nicht bei dem Ruf, den die Akarii-Justiz aus gutem Grund hat. Ich würde Ihnen aber raten, Madam Präsident, unseren Stall angelegentlich gründlich auszumisten. Einige Dinge die wir in den letzten Jahren geschehen ließen, sind eine Schande für die Werte, für die wir angeblich stehen und kämpfen.“ Birmingham wusste natürlich, wovon La Pasionaria sprach. Das wohl größte menschliche Kriegsverbrechen, die Bombardierung der Gartenwelt Troffen, war nicht das Geheimnis geblieben, welches es hätte sein sollen. Die Präsidentin wünschte sich heute noch sehnlich, den Schuldigen in die Hände zu bekommen, der die Informationen damals ,durchgestochen‘ hatte – und mit denen, die sich den ganzen Plan ausgedacht hatten, wäre sie am liebsten mindestens ebenso rüde verfahren.
„Sie haben sich ja offenbar schon eine Menge Gedanken zu dem Thema gemacht. Was getan werden muss, und womit ich mich einverstanden erklären soll.“
Pavon lächelte strahlend, wenn auch nicht ohne Bosheit: „Wenn ich schon meine Seele in einem Kuhhandel verpfände, soll es sich doch wenigstens lohnen. Und Sie hätten nicht um das Gespräch gebeten, wenn Sie nicht in genügend Punkten einen Standpunkt hätten, der mit dem unseren nicht unvereinbar ist.“
„Ich nehme an, ein Austausch von Gefangenen und besetzten Welten wäre ebenfalls Teil eines Waffenstillstandabkommens wie es Ihnen vorschwebt?“
„Ja und Nein. Auch hier würde ich sagen, wir sollten flexibel vorgehen. Wir haben wesentlich mehr Welten und Kriegsgefangene in unserer Hand als der Gegner. Also können wir großzügig sein, ihnen in einer ersten Phase mehr überlassen als sie an uns zurückzugeben haben…und dennoch ein paar Faustpfänder in der Hand behalten. Ein paar strategisch bedeutende Welten oder einen Teil der Kriegsgefangenen, die wir nur schrittweise wieder dem Kaiserreich überlassen, in dem Maße, wie die einzelnen Punkte des Abkommens implementiert werden. Sagen wir verteilt über einen Zeitraum von ein oder zwei Jahren. Natürlich mit einigen humanitären Zugeständnissen wie regelmäßigem Kontakt mit dem Rest des Imperiums, verbesserter Selbstverwaltung… Das ist hoffentlich großzügig genug, dass es vielleicht noch akzeptabel ist. Selbstverständlich werden die Akarii es als Zumutung sehen, aber sie wissen natürlich auch, welche Bedingungen SIE üblicherweise anderen Nationen diktieren. Und es ist lang genug, dass die Akarii sich an den Frieden gewöhnen können und ihn hoffentlich wieder schätzen lernen. In einem weiteren Schritt könnte man dann darüber nachdenken, die Beziehungen zwischen unseren Nationen zu normalisieren. Gegenseitige Rüstungsbeschränkungen und -kontrollen, Ankündigung von Flottenbewegungen entlang der Grenze, Austausch diplomatischer Vertreter…Aber das ist Zukunftsmusik, und hängt stark davon ab, wie der neue Imperator mit dem Frieden umgeht.“

Birmingham ließ sich das grobe Gerüst eines Friedensangebots durch den Kopf gehen, das Pavon skizziert hatte. Sie wusste, es würde in der FRT – vor allem in den Streitkräften, aber nicht nur – eine Menge Leute geben, die es für zu großzügig hielten. Wie sie sich vorstellen konnte, dass es eine ganze Anzahl von Friedensaktivisten geben dürfte, die Pavons eher…pragmatische…Vorschläge als Verrat an ihren Idealen betrachtet hätten. Aber es war etwas, worüber man reden konnte: „Ich kann Ihnen nichts in die Hand versprechen, aber ich werde das mit meinen engsten Beratern durchgehen und bisher scheint mir nichts unannehmbar – ich weiß nur nicht, ob die Echsen das auch so sehen. Am besten wären sicher ein paar Rückschläge für sie, damit sie etwas friedensbereiter werden. Die letzten ,Erfolge‘ – vor allem in der propagandistischen Übertreibung, in der sie der breiten Masse serviert werden – dürften die Friedensbereitschaft nicht gerade gefördert haben. Und wir müssten natürlich sicherstellen, dass niemand querschießt. Es gibt auf unserer Seite wie im Imperium genug Leute, die keinen Frieden wollen, zumindest nicht so und nicht jetzt.“
„Allerdings. Und deshalb denke ich, man sollte das Ganze auch nicht als Hinterhofdiplomatie im kleinen Kreise betreiben – die kann von einem einzelnen Attentäter leicht sabotiert werden. Wir müssen sicherstellen, dass einzelne Friktionen, die es zweifellos geben wird, nicht den ganzen Prozess gefährden.“

Für einen Moment fragte sich Birmingham, wie gut ihr Gegenüber über den katastrophalen Verlauf der Alexander-Mission Bescheid wusste. Es gab gewisse Hinweise, dass entweder der Pariser Pakt oder zumindest einige beteiligte Gruppen über eine sehr ausgeklügelte ,Aufklärung‘ verfügten, über Kontakte bis in höchste Ebenen von Politik und Militär. Das mochte nur die Ausgeburt von Verschwörungstheoretikern sein – oder auch nicht. ,Alexander…noch so ein ranghoher Militär, die in erster Linie durch Versagen glänzt.‘ dachte die Präsidentin säuerlich. Die Zahl und vor allem Tragweite der Missionen, die diese Admirälin glorios an die Wand gefahren hatte, war wirklich beeindruckend, dass man schon fast von einem Naturtalent sprechen konnte. ,Wenn ich tatsächlich meinen Stall ausmisste, sollte ich so etwas auch nicht vergessen.‘
„Und was ist, wenn wir uns auf ein Friedensangebot einigen, und die Akarii das einfach ablehnen? Sie mögen mit MIR verhandeln können – niemand kann uns garantieren, dass die neue Führung im kaiserlichen Palast ebenfalls bereit ist, zuzuhören. Wenn wir dann ,nachbessern‘ sollen, kann das nicht nur ein mögliches Bündnis zwischen den Demokraten und dem Pakt gefährden – es könnte die ganze FRT spalten und unsere Möglichkeit, diesen Krieg der uns vom Kaiser und seinem Sohn aufgezwungen wurde weiterzuführen.“
Pavon straffte sich, und mit einmal wirkte die eher zerbrechliche Frau einschüchternd, ja bedrohlich: „Ich kann nicht für jedes Mitglied des Paktes sprechen. Aber ich versichere Ihnen, dass wir uns dieser Gefahr durchaus bewusst sind. Und in dem Fall bleibt uns nur eines, und wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um dies zu ermöglichen. Und das ist weiterzukämpfen, bis die Akariiführung die Notwendigkeit des Friedens zu den genannten Konditionen und seine Machbarkeit einsieht – oder bis die gegenwärtige Führung durch eine ersetzt wird, die dazu in der Lage ist. Was wir bestimmt nicht wollen ist, die Imperialen für ihre Gleichgültigkeit für das Leben und Leid unserer UND ihrer eigenen Bürger auch noch zu belohnen. Wenn ein Gegner keinen Frieden will, dann muss man ihn bekämpfen, bis sein Wille zum Kampf endgültig gebrochen ist.“ Sie atmete tief durch und lächelte matt: „Aber ich gehe davon aus, dass sogar das Kaiserhaus und der Adelsrat Vernunft annehmen, BEVOR unsere Truppen den Palast stürmen und auf ihm das Banner der FRT hissen. Schon weil sie fürchten müssen, dass Teile des Imperiums den Frieden wählen, wenn sie merken, dass er zwar nicht umsonst, aber zu einem erträglichen Preis zu haben ist. Und wenn wir insgeheim andeuten, dass wir diese Option in Erwägung ziehen, dürfte das die Kompromissbereitschaft der Zentralregierung vermutlich steigern.“

„Ihnen ist aber schon klar, dass es die Demokraten einiges kosten wird, wenn wir für einen moderaten Frieden eintreten. Und die Rückschläge der letzten Monate haben die Lage nicht unbedingt erleichtert. Es gibt genug Leute, die jetzt vor allem Rache wollen. Wichtige Leute – und sehr, sehr viele einfache Leute.“
„Ohne Zweifel. Und ich habe dafür Verständnis, dass Hanifa Jergian und ihre Leute Rache fordern, einen Frieden der ihnen Gerechtigkeit verspricht und eine Garantie, dass sich so etwas wie der Raid nach Sterntor nicht wiederholen kann. Ich denke aber, nüchtern betrachtet ist gerade das Grund genug, JETZT Frieden zu schließen. Wir haben im letzten halben Jahr vier gigantische Schlachten erlebt. Karrashin, Hannover, Sterntor und Sigma Norell. In diesen Schlachten sind meines Wissens etwa 100.000 föderierte und konföderierte Soldaten und Zivilisten ums Leben gekommen. Nehmen wir die Verletzten hinzu, kommen wir auf Verluste von einer Viertelmillion. Von den kleineren Kampfhandlungen und den zum Teil ebenfalls verlustreichen Bodenkämpfen rede ich erst gar nicht. Von diesen großen Schlachten waren zwei knappe Siege der Akarii, Karrashin ein blutiges Patt und Sterntor ein verlustreicher Sieg der Bundesrepublik. Ich mag nicht Ihre Kenntnis über unsere Möglichkeiten und militärischen Optionen haben, Madam Präsident, aber alles was ich sehe ist ein auf beiden Seiten mit äußerster Verbissenheit geführter Abnutzungskampf. Ich will damit nicht unsere Offiziere und Soldaten kritisieren – sie haben vielfach Bewundernswertes geleistet. Aber auch die Akarii haben ihre Einsatzmoral bewahrt, auf beiden Seiten mit manchmal geradezu erschreckender Totalität. Vor allem, wenn wir es als Aussicht darauf betrachten, wie dieser Krieg künftig geführt werden könnte.“ Pavon brauchte nicht auszuführen, was sie meinte. Sowohl das Kaiserreich als auch die FRT hatten im letzten Kriegsjahr Kamikazepiloten eingesetzt. Die Akarii hatten mit Antimaterie eine Sprungverbindung gesprengt, die Menschen einen halben Planeten pulverisiert.
„Ich glaube einfach nicht, dass wir im Moment eine militärische Option haben, die uns den großen Durchbruch bringt, den Kollaps der feindlichen Front oder den totalen Zusammenbruch des politischen Systems des Imperiums, so wünschenswert das wäre. Und glücklicherweise ist auch das Kaiserreich weit von einem derartigen Sieg entfernt. Keine der Schlachten war ein strategischer Geniestreich, ein mit geringen Verlusten errungener Sieg, wie wir aber auch unser Gegner sie in der Vergangenheit mehrfach erringen konnten. Und wir können nicht darauf bauen, dass wir diese Art des Siegens dauerhaft garantieren können – oder solche Niederlagen mit Sicherheit vermeiden. Die Akarii spielen zwar extrem auf Risiko, und nach allen Gesetzmäßigkeiten des Krieges müsste das auch einmal schiefgehen. Nur kann man darauf keine Strategie gründen, und ich glaube auch nicht, dass sie so irrwitzig sind. So etwas wie dieser im Grund hirnverbrannte Raid auf Hannover lässt sich nicht duplizieren, das hat die Schlacht um Sterntor bewiesen. Zudem sind wir nicht die Konföderation, und Sie sind nicht Cochrane. Alles was ich mit Blick auf das letzte halbe Jahr sehe ist, dass das Imperium und wir uns voraussichtlich in einer ganzen Kette künftiger Schlachten gegenseitig aufreiben werden. Aber den Gegner ,Weißbluten‘***** war noch nie eine gute Strategie, und ich denke, das sollten wir unserem Volk als auch den Völkern des Imperiums ersparen. Zudem man nie sagen kann, wie es ausgeht.“
„Ich hoffe, das sehen die Echsen auch so, denn wenn sie grundsätzlich rational handeln würden, hätten sie den Krieg nie angefangen – oder schon vor einer Weile zu beenden versucht. Nun gut. Ihnen ist sicher klar, dass ich das nicht einfach mit einem Federstrich absegnen kann. Das muss gründlich – wenn auch zügig – beraten werden. Und damit meine ich nicht, dass ich um meinen Posten fürchte. Ich denke, Sie werden in einem Präsidenten Nkuma einen wesentlich weniger…kompromissbereiten Zuhörer finden. Und falls es noch den einen oder andere militärischen Rückschlag geben sollte, wird das die Möglichkeit eines Friedens nicht fördern, weil dann die Hardliner bei den Echsen Rückenwind spüren.“
„Da haben Sie natürlich Recht, Madam Präsident. Allerdings…“ Pavon lächelte fast spitzbübisch: „gibt es noch ein paar andere Punkte, die wir besprechen sollten.“

,Natürlich, das war zu erwarten gewesen. Der Pakt will Ergebnisse, denn man kann sich ausrechnen, dass aus dem Frieden vielleicht nichts wird, egal was wir machen. Denn den Führern der Akarii sitzen weder die Presse noch ihre Wähler im Nacken. Die können zur Not weiterkämpfen, zumindest noch eine ganze Weile. Vielleicht ist das sogar das einzige, was einigen von ihnen in ihrer Verbohrtheit nach ein paar Jahrhunderten voller Siege einfällt. Die Gefahr, dass sie für den Versuch eines Friedensschlusses gestürzt werden, ist mindestens so groß wie die, dass man sich ihrer entledigt, weil sie weiterkämpfen wollen.‘
„Wieso habe ich nur das Gefühl, dass mir das noch weniger gefallen wird, als Ihre bisherigen…Vorschläge?“
„Weil Sie – denke ich – den Frieden kein Stückchen weniger wollen als wir. Wir sind uns nur über den Weg dahin und den Preis nicht ganz einig.“ Meinte Pavon, halb spöttisch, halb aufrichtig.
„Aber ich denke, bei dem einen Punkt um den es uns geht sind wir uns sowieso einig. Das Verhältnis mit der Konföderation sollte möglichst schnell normalisiert werden, auf höchster Ebene durch Verhandlungen über die Repatriierung der Internierten, und auf bilateraler Ebene durch eine Wiederaufnahme des Grenzhandels zwischen unseren und ihren Welten. Ich denke es ist keinem gedient, wenn wir die Konföderierten noch mehr in die Arme des Kaiserreichs treiben, auch wenn ich für die Motive und Taten der CAV vollstes Verständnis und große Sympathie empfinde.“ Damit vertrat Pavon die Interessen der Randwelten, die unter der Blockade litten. „Ich hoffe, das nimmt etwas Spannung aus der angeheizten Lage, ehe dieser Schandfleck für den gesamten Politikerstand sein Volk noch in einen Konflikt mit uns hineinmanövriert und es zu spät ist.“

Patricia Birmingham hätte sich beinahe verschluckt. Wusste Pavon von der letzten und vielleicht größten Torheit des konföderierten Generalgouverneurs? Das war eigentlich undenkbar, sie selbst hatte erst vor kurzem davon erfahren. Nein, sie meinte sicher die Truppenbewegungen der CN, die ja kein Geheimnis geblieben waren.

Unter anderen Umständen wäre es erheiternd gewesen, mit welcher Abscheu die meisten Angehörigen des Pariser Paktes Generalgouverneur Cochrane behandelten, waren sie doch wie er für den Frieden. Aber sie waren eben zumeist auch Menschen mit Überzeugungen und Prinzipien, oder gerierten sich zumindest als solche. Und da war es schwer erträglich, dass jemand urplötzlich ein Loblied auf den Frieden und die kaiserliche Güte und Milde anstimmte, der zuvor jahrelang Gift und Galle gegen die Friedensbewegung gespien und jede Überlegung über einen Separatfrieden der FRT mit dem Kaiserreich als Narrheit und schändlichsten Verrat gegeißelt hatte. Ein Mann, von dem es aus gutem Grund hieß, dass er imperiale Verbrechen dieses und früherer Kriege nicht nur geradezu routinemäßig propagandistisch ausgeschlachtet, sondern sie zum Teil noch aufgebauscht oder gar erfunden hatte, um die Kriegsbegeisterung anzufachen – und der nun Krokodilstränen darüber vergoss, wie ungerecht die Konföderation doch von der FRT behandelt worden sei. Es gab ein Maß an Prinzipien- und Charakterlosigkeit, das einfach nicht mehr hinnehmbar war.
„Und da wir schon beim Thema Friedenstiften sind, so erwarten wir eine konzertierte Aktion, um mit einigen sozial und separatistisch motivierten Guerillagruppen in der FRT – auf Pandora aber auch an anderen Orten – zu einer Einigung zu kommen. Das liegt selbstverständlich auch bei den Ministerpräsidenten und dürfte Jahre dauern, aber man sollte schon jetzt seitens der Zentralregierung Zeichen setzen mit Amnestieangeboten, der Haftverkürzung oder Hafterleichterung für einen Teil der Gefangenen, Zugeständnissen was Kernforderungen der Aufständischen betrifft und dergleichen mehr. Wir denken da an Steuererleichterungen, eine erweiterte Selbstverwaltung, Bodenreformen, mitunter auch die Nationalisierung bestimmter Unternehmen, die sich extrem unbeliebt gemacht haben. Es ist mir klar, dass das ein heikles Thema ist. Aber wenn selbst die Kaiserlichen es schaffen, zumindest in Ansätzen Verhandlungen mit den T’rr zu initiieren, wäre es ein Armutszeugnis für uns, wenn wir das nicht auch schaffen würden. Über die Details können wir natürlich verhandeln.“

Das war eine Forderung, die vor allem Pavons Partei und den in der Peripherie verankerten Teilen des Paktes aus dem Herzen gesprochen war, weit weniger den liberalen oder religiös motivierten Friedensaktivisten auf den Kernwelten. Die kommunistischen Parteien und die Bewohner der Peripherie waren dafür bekannt, ein großes Verständnis – und mitunter insgeheim auch Kontakte – mit den politischen Gruppen, manchmal auch den bewaffneten Verbänden zu unterhalten, die die Zentralregierung der FRT beziehungsweise die Ministerpräsidenten vor Ort herausforderten. Im öffentlichen Bewusstsein spielten diese Konflikte kaum eine Rolle, spätestens seit Beginn des Krieges, aber sie waren nie ganz erloschen.
Die Präsidentin war keineswegs grundsätzlich gegen diese Idee, aber sie war sich darüber im Klaren, dass dies ein Feld war, auf dem die Republikaner sie in jedem Fall hart angreifen würden: „Sie wissen, dass es nur schwer vermittelbar sein könnte, mit Gruppen zu verhandeln, die das Blut von Polizisten, Soldaten, Beamten und auch von unbeteiligten Zivilisten vergossen haben.“
„Selbstverständlich. Aber SIE wissen auch, dass es in diesen Konflikten so gut wie nie um einen Kampf Gut gegen Böse geht. Die Vertreter der FRT haben sich ebenfalls schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Die Misshandlung, Folterung und Ermordung von Gefangenen, extralegale Tötungen ohne Gerichtsurteil, massenhafte Festnahmen und Internierungen ohne ausreichend begründeten Tatverdacht, Verwundung und Tod von Zivilisten durch rücksichtsloses Vorgehen der Truppen, die Zerstörung ihres Besitzes…die Liste ist lang, und Sie wissen, dass das keineswegs nur Rebellenpropaganda ist. Und nicht nur auf Pandora. Wenn wir es schaffen, einige dieser Konflikte zu lösen oder zumindest den bewaffneten Kampf zu beenden, hinterlassen wir der FRT ein Erbe, das mehr wert ist, als eine oder eine ganze Reihe gewonnener Schlachten oder Gesetzesreformen.“

„Und da wäre noch ein Themenkomplex, bei dem wir Gesprächsbedarf sehen – der gerechteren Verteilung der Lasten dieses Krieges. Sie wissen, dass wir seit jeher eine stärkere Besteuerung der Kriegsgewinne gefordert haben. Eine Forderung, der auch einige prominente Demokraten etwas abgewinnen können. Die Besitzer und Aktionäre von Rüstungsfirmen, aber auch wichtiger Zulieferindustrien wie dem Bergbau und der chemischen Industrie haben mit diesem Krieg exorbitante Gewinne gemacht und Dividenden erhalten. Wir betrachten das nicht nur als unethisch und ungerecht, sondern für den sozialen und politischen Frieden in der FRT als untragbar. Bei den einfachen Leuten, die nun einmal einen großen Teil der Soldaten stellen und am stärksten unter Transporteinschränkungen, Strukturveränderungen in der Wirtschaft und erhöhten Steuern leiden – auch wenn es sich nur um kleine Beträge handelt – ist kaum etwas von diesem Reichtum angekommen. Kaum ein Rüstungskonzern oder Zulieferer schüttet die Gewinne angemessen an seine Arbeiter aus oder reinvestiert sie in soziale Programme oder meinetwegen in die Hinterbliebenen- und Versehrtenfürsorge. Jemand wie…sagen wir Audrey MacFarlane gibt für ein Abendkleid, das sie vielleicht einmal in ihrem Leben trägt – Schuhe und Schmuck nicht mal eingerechnet – locker so viel aus, wie der Witwer einer gefallenen Soldatin für sich und seine Kinder in einem Jahr an staatlichen Mitteln erhält. Die Kriegsprofiteure feiern Empfänge, für die sie Besucher und Köstlichkeiten aus der halben FRT zusammentragen lassen, während auf manchen Peripheriewelten Knappheit an Medikamenten und Ersatzteilen herrscht, weil die Versorgung ausschließlich von maroden Trampfrachtern erledigt werden muss, da unser normaler Transportraum so strapaziert ist, und diese Fahrten nur wenig Gewinn abwerfen. Menschen STERBEN dort, weil ein verzweifelt erwartetes Schiff von Piraten aufgebracht wurde, oder auch, weil es einfach zwei, drei Tage lang mit einem Maschinenschaden festliegt und sich deshalb verspätet. Ich finde das geradezu obszön. Es ist mir klar, dass wir die Großkonzerne brauchen, und das einige von den reichen Leuten auch tatsächlich hart für ihr Geld gearbeitet haben. Aber es ist letztlich UNSER Geld – das Geld des Staates und damit der Steuerzahler, und das schließt die Peripherie mit ein – an dem sie sich so mästen. Daran und am Blut unserer Soldaten, denen sie mehr als einmal zu wenig oder zu schlechtes Material geliefert haben. Die Menschen erwarten, dass sich da etwas tut.“

Patricia Birmingham registrierte, dass ihre Gesprächspartnerin bei diesem Thema ungewohnt emotional geworden war. Nun ja, La Pasionaria konnte ihre Herkunft bei aller politischer Vernunft und taktischen Finesse eben doch nicht verleumden.
„Ihnen ist schon klar, dass ICH russisches Roulette mit einer Automatikpistole spielen würde, wenn ich, sagen wir einmal, einen großen Rüstungskonzern nationalisieren lassen würde. Einmal abgesehen, dass ich das nicht will, auch wenn ich Ihre Entrüstung über einige Dinge verstehe und teile. Und nicht zuletzt – wie Sie selber sagen brauchen wir die Großindustrie und ihre Aktionäre. Ihre Expertise, ihre Fähigkeiten, und ihr Geld. Und unsere Soldaten brauchen es.“
Pavon atmete tief durch, mit einmal klang ihre Stimme wieder ruhig und kontrolliert: „Natürlich. Ich sage ja auch nicht, dass Sie die Schafe schlachten sollen. Sie etwas, besser ein erhebliches Stück gründlicher scheren, ohne sie dabei zu ritzen – das ist schon etwas anderes. Egal wie laut sie dabei blöken. Es muss fühlbar sein, ohne Zweifel. Aber nicht unerträglich.“ Es musste offenbleiben, ob der Sprecherin des Paktes auffiel, dass sie gegenüber einigen Leuten in der FRT eine ähnliche Politik verfolgte, wie gegenüber dem Kriegsgegner. Sie war für Frieden – aber keinen billigen…
„Sie können sich dabei sogar Hilfe von einigen Firmen und einzelnen der Superreichen holen, die selber der Meinung sind, dass sich etwas ändern muss, sei es aus Überzeugung oder weil sie so intelligent sind um einzusehen, dass es so nicht weitergeht. Leider sind das nur sehr wenige, die meisten sind derartig selbstzufrieden und egozentrisch, dass es mehr bedarf als vernünftiger Argumente. Geben Sie den Vernünftigen die Gelegenheit, sich gut zu präsentieren und ihre Konkurrenten auszustechen…
Und wie man das Geld verwendet…lassen Sie es der Peripherie zugutekommen. Den verwundeten Soldaten und den Familien, deren Angehörige gefallen sind. Den Menschen, die ihre Heimat verloren haben weil ihre Welten als frontnahe evakuiert werden mussten. Stellen Sie es bereit, um unseren Heimkehrern die Rückkehr ins zivile Leben zu erleichtern, wenn der Krieg erst einmal vorbei ist. Wir müssen jetzt schon mit zehn-, oder eher hunderttausenden traumatisierten Soldaten und Zivilisten rechnen, und ihre Zahl wird noch wachsen. Darauf muss sich unsere Gesellschaft vorbereiten, und ich sehe nicht, dass wir das bisher ausreichend getan haben. Diese Männer und Frauen können wir nicht verraten. Wir führen einen Krieg, der der größte und verlustreichste der letzten 450 Jahre ist, und ich habe nicht das Gefühl, dass jeder sich wirklich klar gemacht hat, was das auf lange Sicht bedeutet. Sie hätten die Möglichkeit, nicht nur die Gegenwart zu gestalten, sondern gemeinsam mit uns auch die Zukunft. Das WIRD eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre sein, ein Thema im kommenden Wahlkampf, und in denen danach. Sie haben die Möglichkeit, sich in der Hinsicht Seite an Seite mit uns diesen Problemen zu stellen, oder es zu vernachlässigen, wie es bisher geschah, aber dann werden Sie sich die Frage gefallen lassen müssen, wie und warum sie vielleicht den Krieg gewinnen, aber den Frieden verlieren konnten. Es ist vielleicht unsere letzte Chance, das Ruder herumzuwerfen und rechtzeitig etwas zu unternehmen.“

Die Präsidentin schwieg einen Moment, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. Sie konnte vielem zumindest in Teilen zustimmen, was ihre langjährige Gegnerin gesagt hatte. Nicht jeder Analyse, nicht jedem Vorschlag, aber zumindest im Grundsatz gab es in der Tat eine Menge Gebiete, in denen die FRT in den letzten Jahren unter dem Druck des Krieges - aber auch unter der Verweigerung genau diesem Druck nachzugeben - Abstriche gemacht und notwendige Maßnahmen versäumt hatte. Manches sah man mitunter von der Seitenlinie, aus der Opposition klarer, obwohl man in anderem falsch liegen mochte. Diese Herausforderungen in Angriff zu nehmen – sei es gegen den Pakt, ohne ihn oder aber besser mit ihm – war vielleicht wirklich unvermeidlich. Es blieb nur die Frage, wie man das richtige Maß fand, und dabei noch den Krieg zu akzeptablen Bedingungen beendete. Sicher nicht auf die Art wie Generalgouverneur Cochrane, der es schaffte, den Kredit, den er sich durch Krieg wie durch Frieden erarbeitet hatte, in Rekordzeit aufzubrauchen.

„Das war in jedem Fall ein…erhellendes Gespräch. Und eines, das ich als vielversprechenden Anfang betrachte. Ich teile Ihre Meinung, dass wir handeln müssen, und das möglichst bald. Über das wie sollten wir uns bald noch einmal austauschen. Die demokratische Partei und mein Ministerkabinett werden sicher einige…Anmerkungen haben.“ ,Und Änderungsvorschläge, und Einwände und Proteste…‘ aber das sprach sie nicht laut aus – ihre Verhandlungspartnerin wusste es ja ohnehin.
Als die beiden sich zum Abschied die Hände gaben, hielt Pavon für einen Moment den Kontakt aufrecht. Sie lächelte, aber in der Stimme der Frau, die ihre Überzeugungen und ihren Einsatz bereits einmal beinahe mit dem Leben bezahlt hatte war etwas, das die Präsidentin beinahe frösteln ließ: „Ich verstehe, dass Sie darüber beraten müssen. Doch das sollten Sie schnell tun. Wenn man wie wir dieses Spiel mit Kronen und Thronen spielt, bei dem tausende Leben auf dem Spiel stehen und das Schicksal ganzer Nationen, dann ist Zaudern nicht immer die beste Wahl. Und es gibt oft keinen zweiten Platz. Nur den Sieg, oder den Untergang.“

*************

* Die Bezeichnung Rote Königin taucht vielfach in menschlicher Fiktion auf, zu den bekanntesten Personen mit dieser Bezeichnung gehört eine eher ambivalente Gestalt aus einem Buch von Lewis Caroll. Der Begriff fand Verwendung in einem Paradigma über den Fortschrittszwang von Zivilisation und wurde mannigfaltig adaptiert. Zu nennen wäre beispielsweise auch eine eher feindselige KI in einer Reihe von Filmen und anderer Unterhaltungselektronik der Erde des 21. Jahrhunderts, eine mysteriöse Alienherrscherin in einem einflussreichen Sience-Fiction-Zyklus im 22. Jahrhundert, und auch etliche Rebellen- und Piratenführerinnen in der Geschichte der FRT, u. a. in den Totenkopfkriegen des 26. Jahrhunderts.

** Ein Tee der gewonnen wurde aus den Früchten einer den irdischen Kakteen ähnelnden und sogar auf ihrer Heimatwelt seltenen Pflanze, die es nur auf Hanwi gab, einem trockenen, ziemlich verlassenen Planeten am Rande des terranischen Einflussgebietes, der nach einer Lakota-Mondgottheit benannt ist. Es ist bisher nicht gelungen, Pflanzen dieser Welt in auf anderen Planeten anzusiedeln – zu exotisch waren die Strahlungsverhältnisse, die Spurenelemente in Boden und Wasser, und natürlich bedarf es auch der Mitwirkung endemischer Tierarten. Das macht den Tee zu einem absoluten Luxusgut, dem vielleicht teuersten Früchtetee überhaupt. Kenner aus der halben Republik streiten sich darüber, wie man ihn am besten konsumiert – pur oder mit Zusätzen, und wenn ja welchen. Das ist natürlich ein reiner Elitenspleen, eine Tasse kostet immerhin ein halbes Monatsgehalt eines Arbeiters.

*** Der letzte russische Zar aus dem Hause Romanow wurde mit seiner Kernfamilie und vier Bediensteten am 17.7.1918 in Jekaterinburg durch ein Erschießungskommando der Bolschewiki hingerichtet. Am folgenden Tag wurden bei Alapajewsk weitere Mitglieder der erweiterten Zarenfamilie exekutiert. Die orthodoxe Kirche im Exil betrieb einen gewissen Märtyrerkult um die Romanows, und nach der Wiederannäherung mit der Hauptkirche Anfang des 21. Jahrhunderts wurde dies auch in Russland übernommen. Spätestens der Einflussverlust der Orthodoxie in der Sowjetischen Konföderation sorgte freilich dafür, dass die Zarenfamilie den meisten Russen herzlich gleichgültig wurde. Sie galten und gelten gegenwärtig primär als letzte inkompetente Vertreter eines repressiven, unzeitgemäßen Regimes, das schon lange vor seinem Sturz abgewirtschaftet hatte. Jeder Versuch entfernter Verwandter, aus der Geschichte der Familie politisches Kapital zu schlagen – was mehrfach in Zeiten russischer Krisen geschah – endete in politischen oder persönlichen Katastrophen. Versuche, das Andenken der Zarenfamilie im öffentlichen Bewusstsein zu verbessern, können mithin als gescheitert betrachtet werden. ,Romanow‘ ist im Gebiet der Sowjetischen Konföderation bis heute geradezu der Innbegriff des Ewiggestrigen, Überholten.

**** Anspielung auf ähnliche Floskeln in Verträgen zwischen der US-amerikanischen Regierung und den amerikanischen Ureinwohnern im 19. Jahrhundert – die Verträge wurden im Regelfall schon wenige Jahre nach dem Abschluss von den Weißen gebrochen.

***** Angeblich Strategie des kaiserlich-deutschen Heeres bei der Schlacht von Verdun 1916: den Gegner in eine Auseinandersetzung zwingen, bei der man ihn in einer Materialschlacht schließlich ausbluten kann. Es ist freilich umstritten, ob dies wirklich das Ziel der Obersten Heeresleitung war.
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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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„Nichts ist tödlicher, als der Hass zwischen Brüdern.“
Der antike Akarii-General Gorlan Rikata



„Schritt eins: Eröffnung.“
Der Angriff begann mit einer doppelten, überraschend unspektakulär wirkenden Explosion. Die beiden täuschend harmlos wirkenden Frachter zerbarsten in einem synchronisierten Überraschungsschlag und stießen dabei einen Schwarm expandierender Objekte aus. Und auf dem Weg der sich rasch und merkwürdig gleichmäßig ausdehnenden Wolke blühten zahllose weißgelbe Feuerblumen - jede eine explodierende Atommine, die einen Zerstörer vernichten oder einen Kreuzer wrackschlagen konnte.
Binnen weniger als dreißig Sekunden blieben von den ersten Reihen des dichtgestaffelten Minenfeldes nur Trümmer und Reststrahlung.

„Schritt zwei: Sicherung der Angriffs- und Umgruppierungszone.“
Der Weg war frei, als zehn, zwanzig, dann dreißig Kriegsschiffe den Sprungpunkt passierten, gefolgt von einem gigantischen imperialen Träger, der sofort Schwärme von Jägern, Jabos und Kampfbombern ausstieß. Unter dem Schutz dieser Streitmacht stießen Minenräumer und Shuttles in die gelichteten Reihen des Minenfeldes vor. Die Reste der Sprungpunktverteidigung – einige leichte Einheiten, Hilfsschiffe und -kreuzer, zwei Schnellbootträger sowie Verteidigungssatteliten – hatten keine Chance. Sie konnten den Angriff nicht einmal ernsthaft verlangsamen. Schwere Gefechtslaser und Anti-Schiffsraketen zerfetzten sie binnen weniger Sekunden. Die wenigen verbliebenen Raumminen wurden zum größten Teil geräumt oder umgangen. Einige der angreifenden Einheiten wurden beschädigt, aber das war auch schon alles.

„Schritt drei: Ausbruch und Vorstoß.“
Die erste Angriffswelle formierte sich um, gab den Sprungpunkt frei und stieß tiefer in das System vor, während die zweite Welle in den Realraum wechselte.

„Simulation anhalten.“ schaltete sich die Stimme von Admiral Taran ein. Der Kommandeur der Rikata-Kampfgruppe und Oberbefehlshaber des Draned-Sektors drehte er sich langsam zu den hinter ihm stehenden Offizieren um: „Das lief schon fast zu gut. Vor allem wenn ich es mit der vorhergehenden Sequenz vergleiche, die einen sofortigen Angriff simuliert. Wäre ich misstrauisch, würde ich unterstellen, dass jemand einige Parameter geschönt hat, um seinen Willen durchzusetzen.“
„Dann würde ich erwidern, dass dieses Misstrauen unbegründet ist. Und vielleicht auch dem etwas irrationalen Drang entspringt, mit einer angeschlagenen und untermunitionierten Flotte sofort gegen die Separatisten loszuschlagen, obwohl Schiffe und Mannschaften Ruhe brauchen.“ Kapitän Wor Matir ließ sich nicht einschüchtern. Außerdem kannte er seinen Kommandeur inzwischen und wusste, dass Taran Widerspruch nicht schätzte, aber akzeptierte.
„Reparaturen und Erholung kosten Zeit. Und während wir unsere Schiffen warten und die Mannschaften auf Freigang schicken, baut dieser Bastard Qulat seine Verteidigung aus.“
„Das wurde in die Simulation einberechnet. Die Ressourcen der Separatisten sind begrenzt. Qulat kann Minenfelder auslegen und verstärken lassen, Verteidigungssatteliten, Gefechtsshuttles und Jäger bauen, Hilfskreuzer und vielleicht auch ein paar Hilfsträger ausrüsten – aber letzten Endes ist das alles Stückwerk. Er wird niemals die Stärke haben, um der imperialen Flotte zu widerstehen. Erst Recht nicht, wenn unsere Gefechtsschäden beseitigt, die Verluste an Kampffliegern und Shuttles ausgeglichen, die Raketenmagazine aufgefüllt und unsere Männer und Frauen ausgeruht sind. Und wenn wir auch über eine ausreichende Anzahl von Luftlandetruppen und schweren Waffen für den Bodenkampf verfügen.“
„Sie sind sehr zuversichtlich, dass wir das feindliche Sprungpunktminenfeld sprengen können, von dem wir wissen, dass Qulats Truppen es immer weiter ausbauen.“
„Im Grunde ist das eine ziemlich simple Sache. Wir kennen die detaillierten Gefechtsdaten von Qulats Minen – immerhin verwendet er imperiale Standardmodelle. Wir besitzen Informationen über etliche der von ihm gelegten Felder – denn der imperiale Geheimdienst ist auf den aufrührerischen Welten weiter aktiv.“
„Wenn das nicht Spielmaterial ist, dass man absichtlich an uns weiterleitet. Das Leidige an Bürgerkriegen ist, dass der Verrat in BEIDE Richtungen gehen kann.“
„Welch ein Glück, dass wir die Legitimität des kaiserlichen Hofes auf unserer Seite haben. Und die stärkeren Divisionen.“ warf Captain Los sarkastisch ein.
Captain Matir zuckte mit den Schultern: „Außerdem kommen unsere Informationen aus verschiedenen Quellen. Qulats Verräterbande kann nicht ALLE Zellen des Geheimdienstes umgedreht haben. Wir wissen welche Passivsensoren Qulats Truppen für ihre Minen verwenden, und auf welchen Frequenzen diese aktiv orten – weil es UNSERE Minen sind. Teilweise wissen wir sogar, über welche Frequenzen sie ferngesteuert werden – und in einigen Fällen werden wir diese Funkkanäle hacken oder stören können. Das ist einer der wenigen Vorteile, wenn wir gegen Akarii kämpfen – und zwar Akariis mit sehr begrenzten Ressourcen.
Wenn wir genügend Aktivminen, Kurzstreckendrohnen und Spähsatteliten umrüsten und am Sprungpunkt überraschend und schlagartig freisetzen, können wir eine hinreichend große Zone säubern, um unsere Anfangsverluste auf ein Minimum zu reduzieren. Alles Weitere ist dann nur noch…Mathematik und einfache Gefechtslogik.
Ein sofortiger Angriff hingegen würde zwar auf deutlich schwächere Minenfelder und Sperrverbände stoßen, doch sind gerade die Minenfelder in der unmittelbaren Nähe des Sprungpunktes bereits dicht gestaffelt, was zu hohen Verlusten führen könnte. Auch ein synchronisierter Angriff über mehrere Sprungpunkte würde daran nichts ändern. Im Gegenteil, dies würde bedeuten, dass wir uns mit zu wenigen Räumeinheiten durch mehrere Minenfelder kämpfen müssten.“

Admiral Taran nickte widerwillig: „Ich verstehe Ihre Argumentation.“
„Außerdem haben wir dank der Offensive von Admiralin Rian Zeit gewonnen.“ schaltete sich Los wieder in die Diskussion ein: „Die Menschen werden andere Ziele haben, als den Draned-Sektor.“
„Das hoffen Sie.“ Taran schien nicht überzeugt: „Die Menschen haben vielleicht nicht mehr die Kräfte für eine Großoffensive – oder konzentrieren diese auf naheliegender Ziele. Aber mit ein paar leichten Trägern und einigen Kreuzer- und Zerstörerdivisionen können sie den Sektor in Brand setzen. Und dann sind da noch unsere Alien-Untertanen, die den Aufstand proben. Wir dürfen nicht länger schwach wirken, wenn wir den Draned-Sektor halten wollen. Und nichts lässt einen schwächer wirken, als eine Bande degenerierter Verräter, die glauben, sich aus dem Territorium des Imperiums ihr eigenes Königreich herausschneiden zu können.“
„Ich bezweifle, dass es ein Zeichen von Stärke ist, wenn wir bei der Vernichtung der Separatisten ein Dutzend Kriegsschiffe verlieren. Vor allem, wenn die Menschen dann doch noch angreifen sollten. Es ist ein Risiko, wenn wir warten. Aber ein Risiko, das wir eingehen sollten. Vor allem, da uns Akar Verstärkung versprochen hat.“
„Akar hat dem Draned-Sektor schon vieles versprochen. Die Frage ist, ob diese Versprechen gehalten werden können…“, Admiral Taran winkte gereizt ab: „Ihre Bedenken sind zur Kenntnis genommen. Sie werden beherzigt und in meine Entscheidung einfließen.“
„Dann sollten Sie allerdings auch noch eine weitere Option berücksichtigen.“, schaltete sich Thera Los ein: „Computer, Sequenz ‚Verbrannte Brücken‘ einspeisen und Simulation weiterlaufen lassen.“

Kurz flackerte das Bild, stabilisierte sich dann, ohne dass ein Unterschied zu vorher zu erkennen war. Die Flotte war immer noch in dem System, bereit zum Vorstoß auf den Planeten…
Und eine gigantische Explosion verschlang den Sprungpunkt, zerriss die angekommenen Schiffe, fegte durch das All und ließ von der ersten Angriffswelle, die das Minenfeld und die Verteidigungseinheiten niedergekämpft hatte, nicht mehr als eine Handvoll wrackgeschossene Einheiten.

Es war Admiral Tarans Stimme, die dieses virtuelle Schreckensbild verlöschen ließ: „Simulation, Ende.“ Falls er durch die letzte Sequenz überrascht worden war, verbarg er das gut: „Erklären Sie mir das, Captain Los. Warum sollte Qulat einen der Sprungpunkte sprengen, über die seine Bande verräterischer Rebellen mit dem Rest des Draned-Sektors verbunden ist? Das würde der ohnehin angeschlagenen Wirtschaft dieses…Brigantenhaufens den Todesstoß versetzen. Und was bringt Sie zu der Annahme, dass er das überhaupt KANN?“
Kapitän Wor Matir meldete sich zuerst zu Wort: „Qulat ist die Wirtschaft egal, wenn es um sein Überleben geht. Sie haben ihn zum Tode verurteilt.“ ‚Und damit gedroht, den Sitz seiner Familie bis auf die Grundmauern zu schleifen und Salz in den Boden zu streuen.‘
„Ich habe damit gemäß imperialen Rechts gehandelt. Dieser Bastard und seine Bande verräterischer Gefolgsleute haben es nicht besser verdient. In einer anderen Zeit wäre der Tod Qulats erst der Anfang der Strafe gewesen, die über diese Planeten gekommen wäre.“
„Das mag sein, aber so hat er auch nichts mehr zu verlieren. Und viele seiner Gefolgsleute auch nicht, die wenig Lust haben dürften, sich unserer Gnade zu unterwerfen.“

Keiner der Anwesenden sprach es aus, aber alle waren sich der Tatsache bewusst, dass Admiral Taran als Mitglied der Offiziersfronde mit seinem Denken und Handeln selber gefährlich nahe an den Bestand des Hochverrates gekommen war. Auch wenn er und seine Mitverschwörer dies natürlich ganz anders gesehen hatten. Ihr Ziel war zwar nicht die Loslösung vom Reich, sondern ein nach ihren Vorstellungen erstarktes Imperium gewesen, aber laut dem Gesetz hätte das wohl keine große Rolle gespielt, wenn man sie vor Gericht gestellt hätte. ‚Aber so ist es doch schon immer gewesen. Das imperiale Militär – und vor allem unsere adligen Generäle, Marschälle und Admiräle – hat schon früher am liebsten selbst darüber befunden, was Verrat ist und was nicht.‘

„Und wer weiß, vielleicht würden Teile der Bevölkerung es sogar begrüßen, wenn sie für eine Weile vom Rest des Sektors abgeschnitten würden. Die Galaxie ist ein…sehr unruhiger Ort geworden. Die Menschen, die Rebellion unserer Alien-Untertanen…
Manche finden Trost darin, die Gefahren einfach zu ignorieren, die an die Türen ihrer Häuser klopfen. Andere würden diese Türen lieber hinter sich verriegeln und zumauern, weil sie meinen, das Gefängnis, in das sie sich einschließen, würde ihnen Schutz gewähren.
Und was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so hat Qulat zwar keine Antimaterie. Aber laut unseren Berechnungen kann die synchronisierte Zündung von einem Dutzend schwerer Fusionssprenköpfe oder die gezielte Spengung eines ausreichend großen Schiffsreaktors einen Sprungpunkt vermutlich destabilisieren. Die Kraft der Folgeexplosion entspräche zwar nicht den bekannten Sprungpunkt-Maximalvorfällen, die zu einem langfristigen wenn nicht sogar permanenten Ausfall führten, dennoch…“
„Bis vor ein paar Jahren wussten wir noch nicht einmal, dass man einen Sprungpunkt sprengen KANN. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass ein paar Raumminen ausreichen?“
„In diesem Punkt gibt es keine Gewissheiten, aber laut den uns bekannten Parametern müssen wir zumindest mit dieser Möglichkeit rechnen.“
„Sie sagten, Qulat bräuchte dafür mindestens ein Dutzend schwerer Fusionssprengkörper. Warum können wir die nicht einfach sprengen?“
„Wir könnten es versuchen – aber das Problem ist, dass wir nicht wissen, wo Qulat diese Sprengkörper stationieren wird.“
„Falls er sie überhaupt hat. Das ist vor allem eine Abschreckungswaffe. Wenn er so eine…Rückversicherung hätte, würde es Qulat bereits über alle verfügbaren Kanäle hinausbrüllen. Möglicherweise tut er das sogar, wenn er sie nicht hat. Immerhin könnten wir das wohl kaum überprüfen. Doch da er dergleichen noch nicht angedroht hat…“

Thera Los musste zugeben, dass der Einwand des Admirals plausibel war. Dennoch wollte Sie die Gefahr nicht so einfach abtun. Sie kannte die Berichte darüber, was die Explosion eines Sprungpunktes anrichten konnte: „FALLS die Separatisten die Sprengung eines oder mehrerer Sprungpunkte vorbereiten würden, könnten sie die Fusionsbomben auf stationären Einweg-Werfern nach der Art unserer Aktiv-Minen postieren, die auf ein Richtfunksignal hin die Sprengkörper starten. Ein starker Signalsender könnte sogar in der Lage sein, die Hintergrundstrahlung am Sprungpunkt zu durchdringen, falls er die Fusionsbomben direkt im Sprungpunkt stationieren will. Normale Minen hätten dort wenig Sinn, weil ihre Aktiv- und Passivsensoren zu schwach wären, um mit der Hintergrundstrahlung fertig zu werden. Aber diese Sprengkörper haben nur EINEN Zweck. Sie müssen ihr Ziel nicht orten.“
„Und was schlagen Sie anstatt dessen vor? Dass wir warten, bis Qulat an Altersschwäche stirbt? Denn gegen eine Sprengung des Sprungpunkts können wir uns nicht wappnen. Und kommen Sie mir nicht mit unserem Nachrichtendienst. Egal wie viele Zellen jetzt noch in Qulats Machtbereich operieren, sie könnten uns weder zuverlässig warnen, noch die Sprengkörper deaktivieren. Ich bin jedoch nicht bereit, meine Planung durch Furcht und imaginierte Gefahren bestimmen zu lassen.“
„Das will keiner. Aber wir sollten zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen. Unsere Aufklärung intensivieren. Und nach Alternativen suchen. Und dafür ist der Nachrichtendienst unsere beste Option.“
Taran blickte auf und nickte langsam: „Das hätten Sie gleich sagen können. Jetzt verstehe ich, was Sie meinen. Einen Karrg hackt man nicht in Stücke, um ihn zu töten. Man trennt ihm den Kopf ab oder durchbohrt sein Herz.“
Kapitän Matir warf der Stabschefin einen nicht allzu herzlichen Blick zu: „Ich bin nicht immer einer Meinung mit Captain Los, aber hierbei stimme ich zu. Es ist schon zu viel Akarii-Blut geflossen. Bevor wir eine Invasion gegen imperiale Welt initiieren – auch wenn sie abtrünnig ist – sollten wir alle verbliebenen Möglichkeiten ausschöpfen.
Und da diplomatische Mittel ausfallen…“
„Dessen können Sie sich sicher sein! Lieber verhandele ich mit den T’rr oder sogar den MENSCHEN. Die sind wenigstens unsere Feinde. Aber wenn wir gegenüber rebellischen Akarii Schwäche zeigen – Qulats Verrat gar mit einem Autonomiestatus oder Sonderrechten für ‚seinen‘ Teil des Draned-Sektors belohnen – dann laden wir jeden unzufriedenen Kommandanten oder Gouverneur ein, sich sein eigenes kleines Reich zusammenzuräubern.“

Thera Los verkniff sich den Hinweis, dass dergleichen in der Akarii-Geschichte keine Neuheit gewesen wäre, auch wenn es schon lange her war. In mehreren der Krisen, durch die das Imperium im Laufe seiner Geschichte gegangen war, hatten rebellische Provinzgouverneure oder unzuverlässige Verbündete durch Drohungen, Bestechung und manchmal auch nackte Gewalt Privilegien und Autonomierechte von der Krone erpresst. Soviel sie wusste, war sich in grauer Vorzeit das antike Haus Taran ebenfalls nicht zu schade gewesen, ähnliche Methoden anzuwenden: „Um Matirs Gedanken fortzuführen – ein Enthauptungsschlag könnte uns den Sieg mit einem Minimum an Verlusten sichern. Wenn Qulat ausfällt, könnte das seiner Rebellion den Todesstoß versetzen. Zumindest dürfte sein Nachfolger dann wahrscheinlich…kompromissbereiter sein. Zumal er – oder sie – noch nicht in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurden.“

Der Admiral schnaubte kurz: „So verlockend das klingt, glauben Sie denn, dass Qulat und seine Putschistenbande das nicht wissen?“
„Qulat umgibt sich mit einer starken Leibwache, da haben Sie Recht. Aber seine Herrschaft beruht auch auf seinem Charisma…“
„Bah! Der Bastard hat das Charisma einer verfaulenden Menschenleiche!“
„…er muss wieder und wieder seinen Untertanen und Untergeben versichern, dass sein Weg der richtige ist. Er kann sich nicht einfach einbunkern, denn seine fragwürdige Legitimität beruht ja gerade darauf, den Akarii eine Alternative zu bieten, die sich vom Kaiserhof im Stich gelassen fühlen. Dazu muss er Präsenz zeigen – Propaganda und Vid-Sendungen reichen nicht. Und das macht ihn verwundbar. Ein Scharfschützenlaser, eine Bombe, Gift…“
„Oh ja, die politischen Mittel unserer ruhmreichen Vergangenheit und Gegenwart.“
In Admiral Tarans Stimme schwang mehr als nur ein wenig Zynismus mit. Allerdings auch fast so etwas wie…Unbehagen. Flüchtig fragte sich Thera Los, wie weit die Offiziersfronde eigentlich zu gehen bereit gewesen war, als sie sich verschworen hatte, um Prinz Jor zu entmachten. Soweit sie gehört hatte, war es Taran und seinen Mitverschwörern darum gegangen, den Kronprinzen aus seiner übermächtigen Stellung als Kriegsminister und Großadmiral zu entfernen. Aber wer weiß…in der glorreichen Vergangenheit, die Taran so faszinierte, waren Verschwörungen auch schon beträchtlich weiter gegangen. Und nicht jeder Imperator, Kronprinz und Kanzler war wirklich an jener Todesursache verstorben, die in den offiziellen Geschichtsbüchern stand…

„Wie gesagt verfügen wir bei den Streit- und Sicherheitskräften in Qulats Machtbereich noch über mehrere Kontakte und Zellen, sowie über einen Teil der Geheimdienstinfrastruktur.“
„Es ist aber etwas anderes, Informationen zu liefern und auf den Tag des imperialen Strafgerichts zu hoffen, oder einen Diktator von eigenen Gnaden inmitten seiner Leibwache zu ermorden. Das wäre eine Selbstmordmission, wenn der Anschlag scheitert – und möglicherweise sogar dann, wenn er gelingt. Verdammt, jetzt bräuchten wir die Cha’kal.“

Diese direkt dem Imperator unterstellten Kommandos hatten einen legendären Ruf als unsichtbare Leibwächter, Spione und Attentäter. Manche behaupteten, die nach gestaltwandelnden Dämonen oder Geistern der Akarii-Mythologie benannten Kämpfer seien nicht einmal Akarii – oder überhaupt Wesen aus Fleisch und Blut.

„Wir verfügen vielleicht nicht über die Cha’kal, aber es gibt Alternativen. Nicht nur bei den Akarii, die loyal gebliebenen sind.“
Admiral Taran lächelte hässlich: „Sie reden von einem Kopfgeld.“
Matir schnaubte sardonisch: „Ich würde es eher die wohlverdiente Belohnung für eine Heldentat nennen. Das ist die Schwachstelle jeder Revolte. Hundertprozentige Loyalität ist ein so rares Gut…“
„Und selbst wenn sich bei Qulats Offizieren oder Leibwächtern niemand findet, alleine die Möglichkeit könnte Qulat verunsichern. Ihn zu Fehlern verleiten, die ihn oder sein ohnehin fragwürdiges Ansehen schwächen könnten.“
„Sie haben Recht. Vielleicht habe ich Qulat immer noch zu sehr als ein Problem gesehen, das wir mit konventionellen Mitteln lösen müssen. Aber er hat das Imperium verraten, und er wurde von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Er ist eine wandelnde Leiche – und uns wird jedes Mittel Recht sein – JEDES – um das gefällte Urteil durchzusetzen.“ Falls es Taran Unbehagen bereitete, dass er im Begriff war einen Mord zu sanktionieren, verbarg er das: „Und Los, Matir – ich will eine vollständige Aufstellung darüber, wie lange die Flotte brauchen würde, um wieder vollständig gefechtsbereit und aufmunitioniert zu werden. Einschließlich der Mobilisierung von einer Luftlandedivision und mehrere Regimenter mobile Artillerie.“
„Was die Flotte angeht, haben wir bereits entsprechende Listen vorbereitet, Admiral.“
„Natürlich. Dann widmen wir uns…“


*******

Akar, Pan’chra, Sitz des Hauses Zuuni

„Verzeiht, aber ich wusste nicht, dass Ihr auch Verbindungen zu Verrätern unterhaltet.“ In Admiral Kern Ramals Stimme schwang sowohl Unglauben als auch so etwas wie Verunsicherung mit, während er sich von der Videobotschaft abwandte, die er soeben gestoppt hatte.
Großherzogin Lev Zuuni schnaubte wenig damenhaft: „Jetzt klingst du sowohl unhöflich als auch dumm. Und das bist du nicht, sonst hätte ich mir nicht so viel Mühe mit dir gegeben. Du musst das verstehen. Selbst jene Häuser, die im Laufe ihrer Geschichte noch nicht auf der falschen Seite einer Revolte oder Palastintrige standen, haben zumindest Kontakt oder sogar verwandtschaftliche Beziehungen zu Adelsfamilien, die weniger glücklich oder geschickt waren. Schon alleine die Art und Weise, wie wir im Laufe der Jahrtausende untereinander geheiratet und mehr oder weniger langlebige Allianzen geschlossen haben, macht das unvermeidlich.“
„Aber hier geht es nicht darum, dass Haus Allecar und Haus Taran in grauer Vorzeit am Sturz von Xias dem Blutigen beteiligt waren. Hier geht es um die Gegenwart.“
„Gerade dass du dieses Beispiel zitierst sollte dir beweisen, dass die Vergangenheit auf Pan’chra niemals wirklich vergangen und tot ist.“
„Dennoch. Dass Ihr Kontakte zu den Separatisten im Draned-Sektor unterhaltet….“
„Natürlich tue ich das nicht! Was würde es dem Haus Zuuni bringen, direkten Umgang mit einem Haufen chancenloser Dilettanten zu pflegen, die glauben, dass sie ein Monument der eigenen Größe errichten, wenn sie sich auf einen Misthaufen stellen?
Aber das heißt nicht, dass ich es ignorieren kann, wenn ich auf so…konspirative Art und Weise eine Botschaft aus dem Rebellenterritorium im Draned-Sektor erhalte. Vor allem eine Botschaft, die ausgerechnet an dich adressiert ist. Und ausgerechnet JETZT eintrifft.“
„Sich alleine Qulats Worte anzuhören, könnte als Hochverrat ausgelegt werden. Und bringt mich in eine unangenehme Lage.“
„Eins nach dem anderen. Vielleicht sollten wir erst einmal darüber reden, was Qulat da behauptet?“

„Warum? Das Ziel seiner ‚Botschaft‘ ist ebenso offensichtlich, wie seine Methode durchschaubar. Er weiß, dass er von geliehener Zeit lebt und dass diese Gnadenfrist abläuft, sobald Admiral Mokas Tarans Flotte in den Draned-Sektor zurückkehrt und gegen Qulats kleines Banditenkönigreich aufmarschiert. Und da er nicht die Mittel hat, um Tarans Streitmacht aufzuhalten, versucht er sie zu enthaupten.
Indem er zu einer der ältesten Anschuldigungen greift, die man gegen einen adligen Flottenkommandeur erheben kann. Er behauptet, dass die Offiziere der Draned-Flotte gewillt sind, Taran zum Imperator durch das Schwert auszurufen. Der das natürlich auch annehmen würde und plane – wie hat Qulat behauptet? – Linai zu erpressen, damit sie ihn heiratet? Das ist doch grotesk! Taran hat sein eigenes Kommando und kann im Draned-Sektor fast nach Belieben schalten und walten. Er ist mit der Enkelin eines Großadmirals verlobt, die zufälligerweise auch noch im persönlichen Dienst bei Prinzessin Linai steht. Sein Bruder macht Karriere bei der Admiralität, sein Vater ist jemand, auf dessen Worte man im Adelsrat hört – vor allem, da er bei diesen…Eskapaden der letzten Tage die Stimme der Vernunft gibt. Warum sollte Mokas Taran all das riskieren?“
„Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass genau all das manchen misstrauisch machen könnte? Erfolg weckt Neider. Und je mehr Macht und Erfolg jemand hat, desto größere Ambitionen unterstellt man ihm. Du nennst die Vorstellung grotesk, dass Taran nach der Krone trachten könnte? Etwa so grotesk wie diese…Farce, die die Allecars angezettelt haben? Grotesk wäre Qulats Anschuldigung, wenn dergleichen nicht schon mehr als einmal passiert wäre.“
„Vor wie vielen tausend Jahren? Ich habe ja schon gehört, dass Taran eine Schwäche für unsere ruhmreiche Vergangenheit hat – aber das geht denn doch etwas weit…“
„Es geht hier aber nicht darum, was DU für realistisch oder auch nur denkbar hältst.“
„Aber es ist doch offensichtlich, was Qulat mit diesem Unsinn bezweckt! Er hofft doch tatsächlich, dass Taran abberufen wird oder zumindest keine weitere Verstärkung erhält. So hätte er sich Zeit erkauft. Und vielleicht wäre Tarans Nachfolger – oder die Admiralität – in diesem Fall auch eher bereit, eine Verhandlungslösung in Betracht zu ziehen. Auch DAS ist schon passiert, nicht wahr?“
„Mehr als einmal. Aber Qulat hat nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Dieser Schachzug kostet ihn nichts. Auf Tarans Gnade kann er so oder so nicht hoffen, denn für den ist Qulat ein Toter auf Abruf. Und das nicht nur, weil Qulats Rebellen ihr kleines Banditenreich aus dem Territorium herausgeschnitten haben, das Tarans Flotte beschützen und für das Imperium halten soll. Der Admiral ist ein Mann mit starken Überzeugungen. Das macht ihn gefährlich, aber auch berechenbar. Taran hasst Verräter.“
„Trotz seiner Beteiligung an der Verschwörung gegen Jor?“
„Gerade deswegen.“
„Weil er etwas beweisen will?“
„ Nicht in erster Linie. Sondern weil er und all diese jungen Offiziere glauben, dass alles was sie getan haben, nur einem Ziel dient – den Krieg zu gewinnen. Und das Imperium stark zu machen und in eine glorreiche Zukunft zu führen. Und deshalb verabscheuen sie Männer – und Frauen – wie Qulat aus tiefster Seele. Taran kann einen Menschen und sogar einen rebellischen T’rr respektieren. Aber niemals einen Akarii, der sich gegen das Imperium gewandt hat. In dieser Hinsicht sind Männer und Frauen wie Taran eben doch Kinder der Beta-Borealis-Doktrin, auch wenn sie diese für veraltet und ihre Anhänger für verkalkte Fossile halten.
Hätten sie nur aus reiner Machtgier gehandelt, wäre die Offiziersfronde Jor nicht so gefährlich werden können. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, was Qulat mit seinen Anschuldigungen bezweckt. Und im besten Fall – dem besten Fall für Qulat – würde Taran nicht nur abberufen werden. Sondern auf eine sehr viel endgültigere Art und Weise aus dem Spiel genommen werden.“
„Das würde Linai niemals zulassen!“
Die Großherzogin wiedersprach ihm nicht. Allerdings seufzte sie so vielsagend, dass Ramal sich genötigt, seine Überzeugung noch einmal zu bekräftigen: „Niemals. Ihr kennt Sie nicht, wie ich es tue.“
„Und das macht dich blind. Und selbst wenn sie ‚so etwas‘ nie tun würde – dafür hat die kaiserliche Familie ihre Werkzeuge und ihre im vorauseilenden Gehorsam handelnden Gefolgsleute.“ Die Großherzogin überlegte kurz und fügte dann bissig hinzu: „Wenn Linai und ihre Cousins allerdings so weitermachen, sind bald nicht mehr genug wahrhaft getreue Gefolgsleute von Haus Thelam übrig, um auch nur einen Urlaubskreuzer zu füllen oder eine Kneipenprügelei niederzuschlagen.“
Diesmal sparte sich Ramal seinen Protest. Wahre Treue war auf Pan’chra inzwischen ein wahrhaft seltenes Gut geworden. Nicht zuletzt deshalb, weil dank der internen Kabalen des Hauses Thelam und der von Zuuni zuvor erwähnten Heirats- und Bündnispolitik die Fronten reichlich unübersichtlich geworden waren.
„Und dann gibt es noch eine Möglichkeit, auf die Qulat hoffen könnte. Wenn seine Warnung Taran zu Ohren kommt und es so aussieht, als würde Akar sie ernst nehmen, dann könnte sich Taran veranlasst sehen, genau das zu tun, wovor Qulat uns so selbstlos warnen will. Auch das hat es schon gegeben. Die Furcht vor dem Verrat gebiert den Verräter. Und in dem Fall hätte Taran natürlich Wichtigeres zu tun, als seinen Hinterhof zu säubern.“
„Ihr sagtet doch, dass Taran Verräter hasst und niemals das Reich gefährden würde.“
„Habe ich das gesagt? Er ist aber auch Kind einer Blutlinie, die immer schon recht…eigenwillige Gefolgsleute hervorgebracht hat. Die Tarans wissen um ihren Wert. Außerdem frage ich mich, ob seine Loyalität so weit geht, dass er es hinnehmen würde, von seinem Posten abgelöst zu werden. Oder zu warten, bis ihn das Messer aus den Schatten trifft.“
„Er hat nicht rebelliert, als man ihn nach T’rr abgeschoben hat. Auf einen Posten, der vielen seiner Vorgänger die Karriere gekostet hat. Oder das Leben.“
„Das war eine andere Zeit. Damals lebte Jor noch. Und der Imperator. Und viele andere, die uns jetzt fehlen. Die alten Männer und Frauen sind tot – oder sehen das Ende des Weges vor sich. Die Jungen drängen nach. Der Krieg hat sie geformt, und er ist ein grausamer Lehrer.
Außerdem…auf T’rr für Ruhe und Ordnung zu sorgen, das ist eine Herausforderung, der jemand wie Taran einfach nicht wiederstehen kann. Dort Erfolg zu haben, wo so viele andere gescheitert sind…“
Ramal musterte seine Mentorin etwas beunruhigt: „Redet Ihr immer noch von Taran? Und wenn ich kryptische Warnungen oder Anspielungen auf unsere großartige, blutige Vergangenheit hören möchte, kann ich auch zu Rallis Thelam gehen.“
„Du solltest Linais Cousin besser nicht unterschätzen, egal was du von seinen rhetorischen Spielereien hältst. Er ist nämlich tatsächlich fast so schlau, wie er selber denkt.
Um aber auf Taran zurückzukommen…bist du sicher, dass er wirklich keine Gefahr für Linai darstellt? Oder dass sie das zumindest denken könnte?“
„Ich kenne sie. Taran kenne ich nicht.“ Ramal überlegte kurz und setzte bissig hinzu: „Ich könnte Dero Allecar fragen, da die beiden ja befreundet waren. Aber der würde mir wohl kaum ehrlich antworten. Und ich würde ihm nicht mal glauben, wenn er mir sagt, dass Pan’chra die Hauptstadt des Imperiums ist.“
„Etwas hast du also doch gelernt. Und auf jeden Fall musst du mit dieser Botschaft zu Linai gehen.“
„Muss ich das? Obwohl es Unsinn ist?“
„Das spielt keine Rolle. Glaubst du wirklich, dass Qulat in diesem Spiel nur auf eine Karte setzt?! Totsicher gingen identische Nachrichten an andere Häuser. Und kannst du dir vorstellen, wie es aussehen würde, wenn ausgerechnet du so eine Nachricht zurückhältst? Und so etwas kommt immer heraus. Wenn du glaubst, dass Linai das einfach übersehen würde…“
„Und als nächstes meint Ihr, dass diese ‚Warnung‘ vielleicht von jemandem lanciert wurde, um mich UND Taran in Misskredit zu bringen, und dass das der Schachzug eines der anderen Thronprätendenten sein könnte, der sich auf dem Weg an die Spitze einiger Stolpersteine entledigen möchte.“
„Also hast du doch etwas gelernt. Außerdem solltest du dir überlegen, warum diese Nachricht – mitsamt einer speziellen Köstlichkeit wie Mokas Tarans angeblicher Plan, Linai zu einer Heirat zu zwingen – ausgerechnet an dich ging.“
Ramal ignorierte die nicht sehr subtile Anspielung. Er würde ganz bestimmt nicht hier und jetzt über eine dumme Schwärmerei seiner Jugend diskutieren.
„Und wer sollte das sein, der diesen Unsinn lancieren oder inspirieren könnte, wenn es nicht Qulat und seine Bande degenerierter Abtrünniger waren? Rallis?“
„Es ist hinreichend verschlagen, dass er tatsächlich auf so eine Idee kommen könnte. Allerdings möchte ich gerne glauben, dass ihm die Sicherheit des Imperiums und unserer Provinzen doch etwas mehr bedeutet.“
„Wer macht sich jetzt Illusionen?“
„Es ist eher die Furcht davor, was geschehen könnte, wenn jemand mit Rallis Macht, Verbindungen und Intelligenz einem Kurs in Richtung Thron folgen würde, bei dem die Sicherheit eines kompletten Sektors und die offene Rebellion einer imperialen Flotte nur ein Werkzeug ist. Oder eine Ablenkung. Wir stehen schon so nahe genug am Abgrund.“
„Und dennoch wollt Ihr, dass ich einen Offizier anschwärze, dessen einziges Verbrechen seine Abstammung und sein Hass auf einen Verräter ist?“
„Zum einen hat Mokas Taran selber den Platz gewählt, auf dem er jetzt steht. Du bist ihm nichts schuldig. Aber du bist es dir selber – und auch Linai – schuldig, dass du ihr von diesen Anschuldigungen und Behauptungen erzählst. Sie hat ein Recht, davon zu erfahren.
Was du in der Hand hast, ist die Art und Weise, WIE du es ihr erzählst. Aber denke dabei daran, dass du damit auch deine Zukunft und die des Hauses Tarans beeinflussen kannst. In den Kämpfen, die du noch zu schlagen hast, wird es entscheidend sein, wer deine Verbündeten und wer deine Feinde sind.“
„Ihr wollt damit sagen…“
„Ich will nur sagen, dass du rasch handeln musst – rasch aber überlegt. Und da du dein Schicksal wohl eher in der Flotte als in einem Ministerium siehst, solltest du auch entsprechend entscheiden.“
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Bereitschaftsraum VF 1271
TRS Columbia, Sterntor, FRT

Kali trat zuerst ein, machte einen Schritt zur Seite: „Achtung!“
Während die jüngeren Piloten der roten Schwadron hochfederten, sah das Haltung annehmen bei Stuntman, Too-Tall, Titan und Bobcat um einiges legerer aus.
„Rühren“, Jules hatte wie alle seine Piloten den Raumanzug, „entschuldigen sie bitte die Verspätung, Commander Mitra und ich hatten noch eine… Personalangelegenheit zu klären.“
Er trat hinters Rednerpult und legte seinen Helm dort ab, mit dem markigen Rufzeichen in Richtung seiner Piloten.
„Dies ist für unsere Staffel die letzte reale Übung in Sterntor und wir werden diese mit scharfer Munition abhalten, von daher erwarte ich von jedem einzelnen größtmögliche Sorgfalt.
Unser Zielgebiet ist ein in der Wüste gelegenes Übungsareal der Masters National Space Guard. Dort fliegen wir zwei Angriffe. Unser erstes Missionsziel ist die Bombardierung eines vermuteten LKW-Parks. Die genauen Spezifikationen sind dem ND nicht bekannt und das Ziel ist visuell zu identifizieren, bevor sie es angreifen. Dieser Angriff erfolgt in zweiergruppen.“
Too-Tall hob die Hand: „Was sagt der ND zur Verteidigung, mit wieviel Flak ist zu rechnen?“
„Da es sich hierbei um einen vermuteten LKW-Park handelt ist nicht bekannt, wie es um die Luftverteidigung steht“, das war nicht mal gelogen.
„Das klingt nach jeder Menge BS“, murrte Bobcat.
„Wie meinen, Lieutenant?“
„Bobcat hat recht, Skipper, die Befehle klingen wie aus einem schlechten Pandora-Film, schießen sie nicht auf dieses, schießen sie nicht auf jenes, erfüllen sie nur ihre Mission“, Stuntman hatte sich vorgebeugt, „die Einsatzbefehle sind scheiße.“
Jules fletschte die Zähne, als er die Übung seinen Staffelführern aufgetragen hatte, war deren Reaktion ähnlich gewesen: „Diese Übung wurde nicht ohne Grund ausgewählt und so gestaltet. Sie ist ein Vorgeschmack auf unsere Einsatzregeln über Gamma-Eridon. Wir sind nämlich angehalten, weder Flüchtlingskonvois oder peshtianische Einheiten zu bombardieren. Ferner sind Luftkämpfe über Städten zu vermeiden.“
The Kid hob den Arm: „Ist sowas schon vorgekommen?“
„Es geht sogar noch weiter, wir und damit meine ich die Navy, haben auf Gamma-Eridon sogar schon Stellungen der TRA bombardiert.“
Ernüchternde Stille breitete sich aus, bis Dog murmelte: „Dürfte der Army nicht geschmeckt haben Scheiße aus eigener Produktion zu fressen bekommen zu haben.“
„Kommen wir zurück zu unserer Übung. Nachdem wir den vermuteten LKW-Park bombardiert haben oder nicht, werden wir in der Luft von einem Shuttle der Masters Space Guard aufgetankt und gehen zum zweiten Ziel über: Nahbereichsunterstützung für die Infanterie.
Ein in Schwierigkeiten geratenes Bataillon wird um Luftunterstützung bitten und uns Ziele zuweisen. Das Gelände wird unübersichtlich und verraucht sein. Am Boden werden Artillerieschläge und schwere Kämpfe simuliert. Der Infanterieeinweiser wird DIESMAL nicht vor Ort sein.
Unser Ziel ist es, die Infanterie bei der Abwehr eines Angriffes zu unterstützen, die Zieleinweisung wird so realistisch wie möglich erfolgen. Versuchen sie trotzdem so wenig eigene Truppen wie möglich zu erwischen.“
„Wär es nicht besser, gar keine eigenen Leute zu erwischen“, flötete Bobcat.
„Oh, dieses Mal, werden wir genau erfahren, wie viele eigene Leute wir erwischen. Das nächste Mal wenn wir scharfe Munition abwerfen, werden dort unten echte Menschen um ihr Überleben kämpfen. Von daher, wäre es gut, wenn sie alle diese Übung sehr ernst nehmen.“
Nach dem ernst musste noch etwas Ehrgeiz her und Jules nickte Kali zu.
Diese erhob sich und trat vor die Staffel: „Gut, wie sich jeder denken kann, haben unsere beiden Jagdbomberschwadronen den Highscore unter sich ausgespielt und weder der CAG noch ich erwarten an deren Punktzahl heranzukommen. Da dort unten aber weder ein Zerstörer noch eine Fregatte zu finden war, haben die Butcher Bears nur sehr mäßig abgeschnitten. Von den Jagdstaffeln gilt es also die Jaguars zu schlagen und auch wenn das schwer wird, ist dies unser erklärtes Ziel. Die Harponeers zu schlagen wäre Bonus und … die Royal Flush Gang, da müsste ich mir dann schon ein wirklich großes Stück Zucker ausdenken um den Erfolg zu feiern.“
Kali warf die Zahlen der übrigen Staffeln an die Monitorwand.
Die Harponeers lagen schlappe fünfzig Punkte hinter der Roayl Flush Gang zurück. Der Abstand zwischen Harponeers und Jaguars hingegen war Imens.
„Nicht ganz ohne Stolz“, warf Jules ein, „darf ich verkünden, dass das was sie da sehen der neue Rekord für diese Übung und auch zu erwähnen ist, dass die Harponeers dicht dran waren den eigentlichen Rekord zu brechen.“
Jules blickte in die Runde: „In Ordnung Herrschaften, Maschinen durchchecken und aufsitzen!“
Kali und er hatten die Piloten mit der Besprechung soweit aufgeputscht, dass alle jetzt Energie hatten, die sie zielgerichtet entladen konnte. Das merkte man selbst Veteranen wie Titan, Too-Tall und Stuntman an.

Die zwölf Nighthawk Überlegenheitsjäger standen schon auf dem Flugdeck der Columbia bereit. Die rote Schwadron würde heute in ihrer Oríginalbesetzung fliegen. Cowboy mit Cabbie als Flügelmann, Bobcat mit Dog. Kali hatte die zweite Sektion mit The Artist ihr und The Kid als Too-Talls Begleiter. Die dritte Sektion führte Titan, welch mit Tulip gepaart war und Stuntman als Anführer von Sonnyboy.
Jede der Maschinen war mit vier Sidewinder-Raketen, die in der Atmosphäre keinen ihrer im All zum Tragen kommenden Nachteile mitbrachte, für den Nahkampf bestickt, sowie zwei Amraam für die Mittelstrecke. Unter dem Rumpf hingen zwei Präzisionsbomben und ein Behälter für Clusterbomben.
Alles in allem jede Menge Fuck-you für den Empfänger, doch eigentlich war die Nighthawk nicht für diese Art von Mission konzipiert. Während die Griphen keinerlei Schwierigkeiten mit dieser Bestückung hatte, wurde die Nighthawk in der Atmosphäre recht behäbig.
Von einer Falcon gar nicht erst zu reden.
Piloten und Waffentechniker begannen ihre Maschinen zu überprüfen. Es waren kein roten Fähnchen zu sehen und die Maschinen wirkten rundum in Ordnung.
Nichts desto trotz tasteten die Piloten die Zuladung, die Klappen und alle anderen empfindlichen und für Störungen bekannte Teile der Jäger ab.
Erst viel es Jules nicht auf aber der ihn begleitende Waffenwart war ungewöhnlich schweigsam, bis er Spencer Kendrix direkt ins Gesicht blickte.
Dieser hielt den Blick gesenkt, die Schultern waren herabgesunken und kümmerte sich still um seine Aufgaben.
„Mr. Kendrix, auf ein Wort, bitte“, Jules verschränkte die Arme vor der Brust.
Der junge Waffentechniker wurde ein paar Oktaven bleicher und nahm Haltung an: „Sir?“
„Sie brauchen nicht wie ein geprügelter Hund herumschleichen, Chief Dodson hat sie abgekanzelt, damit ist die Angelegenheit für mich erledigt.“
„Ja, Sir. Danke, Sir“, Kendrix wirkte erleichtert, da er wohl mit der nächsten Standpauke gerechnet hatte.
„Machen sie einfach ihre Arbeit, dann ist alles in Ordnung“, Jules klopfte dem jungen Mann auf die Schulter und begab sich zum Einstieg seiner Nighthawk. Ein Rundumblick von oberen Ende der Leiter zeigte ihm, dass seine Piloten auch soweit waren.

Der Start und Formationsbildung der zwölf Raumüberlegenheitsjäger verlief reibungslos und schon bald war der Funkkanal mit alltäglichen Geplauder gefüllt und Jules wollte seinen Piloten die zwanzig Minuten Entspannung gönnen.
Masters war aus der Ferne betrachtet eine wunderschöne Welt und würde auch an der Oberfläche Flecken aufweisen, wo man ein unbeschwertes Leben führen konnte. Orte voller Ruhe und Harmonie, Orte, die das gnadenlose Bombardement der Akarii überstanden hatten.
Aber keiner dieser Orte war heute das Ziel der roten Staffel.
Sie strebten zu einem Gebiet, welches der Nationalgarde von Masters, dem Marine Corps und jetzt der Navi als Übungsgelände diente. Dort wurde der Konturenflug mit dem Bodenfolgeradar geprobt, Luftkämpfe in geringer Höhe, die Bombardierung von harten und weißen zielen und ebenso die Nahbereichsunterstützung für in Gefechte verstrickte Truppen konnten dort simuliert werden.
Kurz bevor sie in die Atmosphäre eindrangen meldete sich die Bodenkontrolle in Form einer weiblichen Stimme: „Spirit sieben-null-null, hier ist die Al-Azrie Training Base, kommen.“
„Al-Azrie Training Base, Spirit sieben-null-null, Callsign Cowboy, wir sind zwölf Nighthawks, von zwo-null-neun reinkommend. Alle Waffen sind gesichert, wir sind bereit die Übung durchzuführen.“
„Cowboy, Al-Azrie Training Base, sie erhalten gleich die Daten für einen hohen Orbit. Wir werden die Rotten einzeln runterlotsen. Bei 20.000 Fuß dürfen sie die Waffen scharf schalten und werden dann an den Training-Instruktor weitergeleitet, der sie dann durch die Übung führt. Im Anschluss werden wir sie wieder in den Orbit dirigieren. Sobald die erste Sektion mit dem Bombing-Run durch ist, werden wir mit dieser die Luftunterstützungsübung beginnen.“
„Toughes Programm, Al-Azrie.“
„Keine Sorge, Cowboy, wir hier unten sind echte Profis“, es hatte sich etwas Amüsement in die Stimme seines Gegenübers eingeschlichen.
„Das glaube ich Gern, Al-Azrie, wir wären dann so weit“, damit hatte sich sein Plan als erster durch die Übung zu gehen erledig. Er wollte so viel wie möglich von seinen Piloten live sehen.
„Cowboy, Al-Azrie Training Base: Dann schicken sie uns mal die ersten beiden Delinquenten runter.“
„Kali, Cowboy, kleine Planänderung, sie sind die ersten, Titans Sektion macht die Nummer zwo.“
„Auf einmal Gentlemen?“ Kam Titans Gemecker über die Staffelfrequenz.
„Es gibt so Momente im Leben eines Mannes, da ist es nie gut zu erst durch die Tür zu gehen“, versuchte Jules mit Humor zu kontern, „zum Beispiel, wenn auf einen geschossen wird.“
„Oh, in solchen Situationen bin ich auch immer großer Feminist“, sprang ihm Dog bei.
„Und jetzt ruhe im Äther“, bellte Jules, bevor dieser Kommentar das Gerede aus dem Ruder laufen lassen würde.
Kali meldete sich und The Artist an und die beiden Nighthawk verließen die Formation und schalteten kurze Zeit später auf den Funkkanal des Übungsleiters.
Während ihm, im Gegensatz zu den ganzen jungen Piloten seiner Staffel die Beobachtung für die Übung wohl einen Vorteil verschaffte, war es ihm viel wichtiger, sich ein Urteil über die Aktionen seiner Leute zu machen. Dazu wäre es zwar gut, ebenfalls den Funk mitanzuhören, doch wäre dies ein klarer Verstoß gegen die Manöverrichtlinien.
So gut es eben ging versuchte er aus dem Orbit zu beobachten, wie erst Kalis Sektion und dann Titans ihr bestens gaben, den vermuteten Truckpark zu identifizieren und danach zu bombardieren.
Das Unterfangen war nicht gerade von überragendem Erfolg gekrönt aber immer noch besser als Fritten aus der Tonne.
Dem Funkverkehr nach, als Kali und The Artist sich wieder zu ihnen gesellte nach hatte Kali dem Ziel einen ziemlichen Blattschuss verpasst, während ihre Flügelfrau kräftig hatte Federn lassen müssen.
Kaum hatten sich die ersten beiden Pilotinnen der Formation angeschlossen, wurden auch schon Too-Tall und The Kid runterbeordert.
Jules musste jetzt die Lautsprecher herunterdrehen, da die jüngeren Piloten seiner Staffel Kali und ihre Flügelfrau mit Fragen bombardierten.
Wenn man The Artist Glauben schenken wollte, war die Simulation so realistisch, dass man fast Angst bekommen konnte.
Als Too-Talls Rotte wieder zu ihnen Aufschloss begann Titan, die deutlich durch Schweigen auffiel, damit ihre zweite Rotte zuerst runter zu schicken.
Dann wurde es noch unübersichtlicher, da die Übungsleitung Kalis Sektion zum Auftanken dirigierten und zur zweiten Übung weiterleitete.
Jules lehnte sich in den Schleudersitzt zurück und drehte den Funk wieder voll auf: „Bobcat, Cowboy, kommen.“
„Ich höre sie großer Meister“, flötete die blonde Pilotin fröhlich zurück.
Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken: „Wenn Titan gleich zurückkommt, gehen sie runter.“
„Och menno, gehört zum gesunden Feminismus nicht auch dazu, ab und an, nicht die Tür zu öffnen?“
„Vorwärts Soldat“, war Jules gespielt leichte Antwort, „zeigen sie mal, dass da mehr als nur Smalltalk drin ist.“
„Aye, aye, Sir“, kam die zackige Antwort und sie und Dog gingen sofort in den Sinkflug über, als die Befehle der Bodenkontrolle dazu kamen.
„Cabbie, Cowboy, sie reden wohl im Gegensatz zu Bobcat wohl nicht allzu viel.“
„Nein, Sir.“ Sein Flügelmann klang irgendwie ertappt.
„Ganz ruhig, Junge, noch ist es nur eine Übung.“
„Aye, Sir.“
Sein Flügelmann klang tatsächlich eher irritiert als eingeschüchtert, doch ehe Jules den Gedanken weiter verfolgen konnte meldete sich die Bodenkontrolle: „Cowboy, Al-Azrie Training Base, nun sind sie schließlich doch noch an der Reihe. Schwenken sie auf zwo-zwo-acht, dreißig Grad Sinkflug.“
Er bestätigte durch zweimaliges Klicken und wandte sich dann wieder an Cabbie: „Sie haben die Lady gehört, Lieutenant, mir nach.“
„Zu Befehl, Sir.“
Die beiden Nighthawks durchbrachen die Atmosphäre in steilen Sinkflug und näherten sich dem eigentlichen Übungsgelände.
„Cowboy, Al-Azrie Training Base, schalten sie um auf Kanal vier-acht, Übungsleiter hat das Rufzeichen Ripper. Viel Erfolg.“
„Danke, Al-Azrie“, Jules wechselte den Kanal, „Ripper, hier Cowboy, zwei Nighthawk reinkommend von Nord-Nord-Ost, vierhundert Knoten, höhe fünfundzwanzigtausend Fuß, Waffen gesichert, laut unseren Schirmen ist der Luftraum frei.“
„Cowboy, Ripper, wir haben sie auf dem Radar. Verlangsamen sie auf 200 Knoten und sinken sie auf neunzehntausend Fuß.“
Nachdem er den Befehl mit zweimaligen Klicken bestätigt hatte führten die beiden Piloten die Befehle aus.
„Cowboy, Ripper, machen sie die Waffen scharf und geben sie mir eine Statusmeldung.“
Jules legte den Waffenhauptschalter um: „Ripper, Cowboy, Waffen sind scharf, Bordgeschütze heizen vor, Bomben, Kassettenbehälter und Raketen sind feuerbereit.“
Sofort darauf folgte Cabbies gleichlautende Meldung.
„Ripper für alle Beobachtungsposten: Guntrain, wiederhole Guntrain. Wir haben zwei Vögel mit scharfen Waffen über dem Areal.“
Der Übungsleiter schaffte es dabei nicht gelangweilt zu klingen, dies war der sechste Durchgang heute.
„Cowboy, Ripper, folgen sie ihren jetzigen Kurs bis zum Wegpunkt, dort drehen sie vierzig Grad nach Steuerbord und gehen auf sechstausend Fuß runter. Laut uns vorliegenden Meldungen ist in etwas hundertzwanzig Kliks ein feindlicher LKW-Park, Identifizieren sie das Ziel visuell und sollten sie den LKW-Park bestätigen können, vernichten sie ihn.“
Jules gab durch, dass er verstanden hatte und wiederholte die Einsatzorder.
Auf seinem HUD wurde die Route samt Wegpunkt angezeigt.
„Cowboy, Cabbie, müssen wir der vorgeschriebenen Route folgen?“
„Erstmal ja, Lieutenant.“
Sein Flügelmann verfiel wieder ins Schweigen.
Am Wendepunkt drehten die beiden Nighthawk wie angeordnet vierzig Grad nach Steuerbord.
„Ripper für alle: Übung beginnt jetzt, wiederhole Übung beginnt jetzt.“
Ihr Anflugvector führte sie einen zerbombten Highway entlang, über einen Fluss und schließlich über ein Tal, wo der Magnetanomaliedetektor der Nighthawk ansprang.
„Cowboy, Cabbie, ich habe da etwas an Steuerbord, zehn Klicks voraus.“
„Verstanden Cabbie, ich habe eine Anzeige Backbord. Wir überprüfen erst ihren Kontakt und anschließend meinen. Sie führen.“
„Roger, Cowboy, wir gehen runter auf tausend Fuß und beschleunigen auf vierhundert Knoten“, wies Cabbie an, „zwanzig Grad Steuerbord.“
Jules bestätigte und folgte seinem Flügelmann.
Sie näherten sich dem Orangen Punkt auf dem Scanner als der Radarwarner ansprang.
„SAM, SAM, SAM“, brüllte Cabbie über Funk und begann Ausweichmanöver auszuführen.
Jules wich in die entgegengesetzte Richtung aus und warf Düppel und Phosphorkugeln ab.
Energiebolzen kreuzten seine Flugbahn.
Sein Flügelmann musste einen größeren Kreis ziehen, so das der Geschwaderführer zuerst über das von Cabbie gesichtete Ziel flog.
„Glückwunsch Junge, sie haben uns direkt über eine Flakstellung geführt“, die am Boden installierten Projektoren zeigten eine Lehrbuchmäßige Stellung.
Zentral eingebunkert eine Feuerleitfahrzeug, umgeben von je drei Raketenstartern und drei Geschützstellungen.
Mehr aus Reflex als geplant warf Jules eine seiner Präzisionsbomben ab.
Sowohl der Hilfsmonitor als auch der Rückspiegel zeigten eine Explosionsflamme, die sich sehen lassen konnte.
„War das jetzt Flak oder der Truckpark?“ Die Coolness seines jungen Flügelmanns war dabei zu verschwinden.
Jules selbst musste jetzt kräftig kurbeln, weil der Raketenwarner ansprang.
„Nur Flak, das Primärziel müssen wir noch finden, Cabbie, ziehen sie sich etwas zurück, und halten sie sich bereit, ich werde ihnen das Ziel schon zuweisen.“
„Aye, Sir.“
Eine Reihe von Teuschkörpern hinter sich zurücklassend zog Jules eine S-Kurfe auf sein ursprüngliches Ziel zu.
Eine SAM explodierte laut Computer sehr dicht an seiner Nighthawk und hätte beinahe die Schilde durchbrochen. Hinzu kamen mehr als ein Dutzend Treffer durch Energiegeschütze. Schilde und Panzerung hielten aber noch.
Das Tal explodierte geradezu in Geschützfeuer.
Da, da war er, der vermutete Truckpark in einer kleinen zementierten Senke, umgeben von Bäumen und Gestrüpp standen akariische Infanterietransporter, leichte Schützenpanzer und Versorgungsfahrzeuge.
Sofort warf er seine zweite Präzisionsbombe ab.
„Cabbie, ich habe unseren Truckpark gefunden, ich markiere ihnen die Position, meine Bombe müsste vorbeigehen. Ebenso versuche ich ihnen alle Flakstellungen zu übermitteln. Jetzt liegt es an ihnen.“
„Bin auf dem Weg, Sir!“
Jules versuchte eine Schleife zu ziehen um die Flugabwehr weiter beschäftigt zu halten, um Cabbies Chancen zu verbessern. Raketenstarts und Geschützfeuer intensivierten sich weiter.
Nur an der Verlagerung der Strahlenbahnen konnte der CAG erahnen wo sein Flügelmann gerade war.
„Bomben los!“ brüllte dieser schließlich ins Funk, „gehe auf vollen Nachbrenner!“
Ein Überschallknall erschütterte das Tal, danach flammten zwei Explosionen auf. Jules glaubte mindestens einen guten Treffer ausgemacht zu haben.
Da sich gleich die volle Aufmerksamkeit wieder auf ihn vereinen würde gab auch er seiner Nighthawk die Sporen und entfernte sich mit dem Nachbrenner.
„Ripper an alle: Übung abgeschlossen. Cowboy, Cabbie, Waffen sichern und kehren sie zur Warteposition zurück.
„Ripper, Cowboy, copy, Waffen sind gesichert. Cabbie, an meiner Flanke formieren.“
Sein Flügelmann bestätigte erst Rippers Anweisung und dann seine.
Als die beiden Nighthawks die Atmosphäre wieder verließen durchbrach Cabbie die Stille: „War das eine realistische Darstellung eines Bodenangriffs, Commander?“
Jules musste lachen: „Das Lieutenant, war eher wie das Feuerwerk zum achtzehnten Mai.“
„Achtzehnter Mai, Sir?“
„Achtzehnter Mai, Unabhängigkeitstag der Colonial Konföderation“, informierte ihn Jules, „aber ich muss zugeben, die Jungs hier auf Masters sind wirklich gut, die Simulation kam schon wirklich nah an einen realen Bomberangriff ran.“

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5th Syrtis Fusiliers - Pillage and looting since first succession war


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Das Jura-Eisfeld-Wurmloch erstrahlte auf den Bildschirmen der Brücke der NICOLA TESLA in vollem Glanz. Zumindest, nachdem die Computer die Neutrino-Strahlung, die Raumzeitkrümmung und die Gamma-Strahlung aufgerechnet und als visuelle Effekte in das Bild eingerechnet hatten.
Auf einem Bildschirm war der Trichter in mattem, sattem Dunkelgrün zu sehen. Ein Ire hätte seine wahre Freude dran gehabt. Auf dem anderen sah man die radioaktiven Emissionen. Auf dem nächsten die Neutrinos, die durch das Wurmloch von fernen Sternen kamen.

Für einen Moment, einen winzigen Moment erlaubte sich Justus Schneider, Voll-Kapitän und Kommandant des Forschungsschiff NICOLA TESLA, mit seinen Gedanken abzuschweifen und an die ursprüngliche Entdeckung der Wurmlöcher zu denken. Damals hatte es die ersten unbemannten Fernexpeditionen zur Centauri-Sternengruppe gegeben, auch um die dort festgestellten Planeten zu untersuchen, um zu erlernen, warum die Erde so sehr aus dem Kosmos hervorstach und Leben hervorgebracht hatte. Unbemannte, wohlgemerkt, da es damals noch keine Andruckabsorbertechnologie gegeben hatte, und ein Mensch die Beschleunigungs-, und Abbremsverfahren kaum überlebt hätte, geschweige denn die wesentlich höhere Kosmische Strahlung außerhalb des vom Sonnenwind Sols freigefegten Bereichs. Schutzschirme hatte es ja auch nur in einem sehr frühen, Energiehungrigen Stadium gegeben. Jedenfalls war man drauf und dran, eine wirkliche Fernexpedition auszurüsten und wesentlich langsamer auf den Weg nach Proxima Centauri zu schicken. Die knapp fünf Lichtjahre hätten in zehn langen Jahren mit knapp der Hälfte der Lichtgeschwindigkeit bewältigt werden können; die Rückreise hätte noch einmal so lange gedauert. Die aktuelle Forschungszeit hätte zwei Jahre betragen. Der Gigant, der dafür hätte aufbrechen müssen, hätte einem Pegasus-Flottenträger Ehre gemacht. Alleine der riesige Eisschild, der die Besatzung vor der kosmischen Höllenstrahlung zwischen den Systemen geschützt hätte, wäre wahrlich gigantisch geworden. Aber es hätte verdammt noch mal funktioniert.

Bis zum Tag X. Bis sich ein Wissenschaftler irgendwo in einem Labor unter den Alpen hingesetzt hatte, um Neutrinos zu beobachten. Neutrinos, masselose, lichtschnelle Partikel, die als Abfallprodukt der Energiegewinnung von Sonnen entstanden. Dadurch, dass sie keine Masse hatten, durchdrangen Neutrinos alles, ohne Schäden zu verursachen. Woraufhin die Menschen begonnen hatten, Kilometertief unter der Erde, Kilometertief unter Gebirgen Wassertanks aufzustellen, in denen diese Neutrinos, abgeschirmt von dem Gros der natürlichen Strahlung, messbar geworden waren. Schon damals, als die ersten Messungen durchgeführt worden waren, lange bevor die Menschen den Mond besiedelt hatten, hatte man spektakuläre Erkenntnisse gewonnen, die bis zur Geburt des Universums zurückgegangen waren. Am Tag X hingegen hatte eben dieser Mann eine Neutrino-Vergleichsmessung von einer der unbemannten Expeditionen erhalten. Diese verglich er mit den wesentlich exakteren Messungen auf der Erde. Und dabei bemerkte er, dass es einen Hauch, eine Winzigkeit zu viele Neutrino-Emissionen gab, die den Tank unter den Alpen trafen. Irritiert hatte der Mann nachgeforscht, warum dies so war, warum die Sterne der näheren Umgebung augenscheinlich mehr Neutrinos erzeugten als sie sollten. Dadurch erfuhr er, dass diese vermehrten Neutrinos von nahen Sonnen kamen, genauer gesagt der Centauri-Gruppe. Von allen Sternen der Centauri-Gruppe. Auf eine äußerst verrückte Weise, so als würde nur aus dem Zentrum des Systems durch eine winzige Röhre, einen Strohhalm, die Extrazahl an Neutrinos zu ihnen geblasen werden.
Diese Entdeckung war noch nicht spektakulär. Aber als die Arbeit des Wissenschaftlers Peer-Reviewed war und das Siegel der einwandfreien wissenschaftlichen Arbeit erhalten hatte, da wurden auch andere Stellen neugierig. Zum Beispiel der Privatier Cao Fong. Der Erbe eines Billiarden schweren asiatischen Finanzkonglomerats rüstete dem Wissenschaftler sowie interessierten Kollegen eine Expedition aus, die ein einziges Ziel hatte, für das er anfangs verlacht wurde: Den Strohhalm zu finden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Wissenschaftler fanden den Strohhalm. Was sie damit aber wirklich gefunden hatten, das waren die Wurmlöcher. Die Entdeckung der Weinheim-Gruppe, benannt nach dem Neutrino-Forscher aus den Alpen, zog weite Kreise, setzte weitere Expeditionen in Bewegung, und nicht weniger als fünf Expeditionen wiesen die Strohhalme nicht nur für alle Sonnen der Centauri-Gruppe nach, sondern für alle Sonnen in einem weiten Umkreis von etwa dreißig Lichtjahren. Das war allerdings auch von der Größe der anderen Sonnen abhängig.

Ja, so waren die Wurmlöcher entdeckt worden, die bis dato theoretisch existierten. Nun waren sie in der Praxis angelangt. Das bedeutete aber nicht, dass man nun munter anfangen konnte, durch sie hindurch zu reisen. Wurmlöcher waren mitnichten Materie-Schleudern oder Highways zu fremden Sonnen. Zudem waren etliche Wurmlöcher viel zu klein, schwach, zu weit gedehnt, oder durch andere Ereignisse gestört. Es musste erst die Technologie erfunden werden, um die stabilen Wurmlöcher dazu anzuregen, für eine kurze Zeit Passagen zu werden. Im Umkreis von fünf bis zehn Lichtjahren klappte das, als die Technologie einmal zur Verfügung stand, recht gut. Zeitgleich gab es einen Technologiesprung bei Antrieben und Schutzeinrichtungen, und aus dem bereits bekannten Prinzip der Antigravitation wurde endlich der Andruckabsorber entwickelt, der erheblich höhere Beschleunigungen und Abbremsphasen zuließ. Auch nach Sirius, einem der größten Sterne in der direkten kosmischen Nachbarschaft, gab es von vorne herein eine sichere Passage.
Nur die weiter entfernten Sterne, oder aber masseschwächere Sterne bildeten mit Sol eher unzuverlässige Wurmlöcher aus. Es gab Ausnahmen. Und es gab besonders stabile Wurmlöcher zu Normsonnen-Systemen wie Texas, das einst eine Gliese-Nummer getragen hatte.

Von diesem Punkt aus an war die Menschheit auch über die Sterne ausgeschwärmt und hatte zu ihrer Verwunderung fast vierzig Welten im Umkreis von einhundert Lichtjahren gefunden, die tatsächlich Leben trugen, wie die Menschen es gewohnt waren. Auch waren Dutzende Welten darunter, die mit ein wenig Manipulation Leben tragen würden. Man hatte viel aus dem Terraforming des Mars und dem derzeit noch laufenden Prozess auf der Venus gelernt. So war die Republik entstanden, mit Terra als Kern, als Keimzelle, als Regentin.
Und dann gab es da noch das Jura-Eisfeld-Wurmloch, das nach Beta Hydri führte, einer Normsonne, die gerade dabei war, sich zu einem Roten Riesen aufzublähen. Obwohl sie sich nur rund fünfundzwanzig Lichtjahre entfernt befand, war es genau dieser Hungerprozess, die Selbstkannibalisierung des Sterns, die aus der theoretisch sehr guten Verbindung des Wurmlochs eine unsichere Sache gemacht hatte. Jura-Eisfeld galt als nicht stabil genug für Raumfahrt.

Justus seufzte. Aber das Wurmloch war stabil genug, um an ihm zu forschen. Und der Militärstützpunkt auf dem einzigen erdähnlichen Planeten des Systems war weit genug von der Front entfernt, um einen möglichen Erfolg bei der Stabilisierung des Wurmlochs theoretisch zu halten. Gut, das Hinterland konnte somit besser erreicht werden, die Rückfront würde gestärkt sein. Und, sollte die Erde fallen, wäre das Jura-Eisfeld-Wurmloch eine nahezu ideale Fluchtroute weit weg von der Front, um wenigstens einen Teil der Menschheit zu retten. Doch bevor überhaupt eines dieser Ereignisse eintreten konnte, musste das Wurmloch derart stabilisiert werden, dass es endlich feste Materie hindurch ließ, anstatt sie zu zerquetschen. Und genau daran arbeitete das Wissenschaftsteam unter Commander Jamison-Bowyer in genau diesem Moment. Sie hatten Emitter gebaut und in relative Ruheposition gebracht, drei um genau zu sein. Im Beta Hydri-System hatte man die Pendanten aufgestellt, und ein zweites Team, auch unter Melissa Jamison-Bowyers Kommando. Gelang es, die Emitter auf ihrer Seite zu stabilisieren, auf der anderen Seite zu stabilisieren und DANN miteinander zu verbinden, so Melissa, würden sie wie bei einer Beipass-Operation eine Art innere Hülse verlegen, die verhinderte, dass Jura-Eisfeld wieder zusammenfallen konnte. Die Energien, die das verschlingen würde, waren enorm und noch vor achtzig Jahren undenkbar gewesen. Es ging hier darum, die Raumzeit auf fünfundzwanzig Lichtjahre zu krümmen. Aber heutzutage stand diese Energie längst zur Verfügung. Die Zerstörungskraft ihrer mächtigsten Waffen basierte auf das nahezu endlose Vorhandensein von Energie. Und diesmal, diesmal würde diese Energie dazu verwendet werden, um etwas vielleicht Gutes zu schaffen, nämlich nichtmilitärischen Nutzen. Nebenbei aber würde es auch die Grundlage dafür sein, um das Manticore-Wurmloch vielleicht wieder zu öffnen, nachdem die Akarii es gewaltsam geschlossen hatten. Und dann war die Befreiung dieses terranischen Vorpostens vielleicht in greifbare Nähe gerückt. Vielleicht.

„Standby“, hallte die Stimme von Master Chief O'Brien durch das Schiff. „Standby. Standby. Emitter zapfen volle Energie. Leistung bei zwanzig Prozent.“
Melissa Jamison-Bowyer biss sich auf die Lippe, die ihr zum rechten Mundwinkel raus hing. Sie war eine sehr schöne Frau und einer der klügsten Köpfe, mit denen Justus je zu tun gehabt hatte. Aber sie hatte, wie jeder anständige Eierkopf, ihr eigenes Maß an Handicaps und Macken. Das mit der Zunge gehörte eindeutig dazu. Allerdings sah es eher weniger lächerlich aus, es erinnerte ihn eher an ihre gemeinsame College-Zeit und daran, dass er Melissa nicht nur für ihren Intellekt hoch geachtet hatte. Er aktivierte die Standleitung zum Labor. „Mel. Zunge.“
Die Wissenschaftlerin sah auf, als sie Justus' Stimme erkannte. „Hn?“ Dazu machte sie den belämmertsten Gesichtsausdruck, zu dem sie fähig war. „Oh.“ Langsam zog sie die Zunge wieder in den Mundraum. Justus beschloss, sich diese Szene auf jeden Fall noch einmal auf den automatisch laufenden Aufzeichnungen anzusehen. Er hoffte, dass sie zum Material gehören würde, mit dessen Hilfe einst von diesem Meilenstein der technologischen Entwicklung berichtet werden würde. Das ließ ihn grinsen.
„Fünfzig Prozent. Keine Probleme bei der Abnahme“, sagte O'Brien.
„Lichtspruch von drüben“, meldete Professor Jorgensson, ansonsten der Hausherr der Wissenschaftlichen Abteilung der TESLA, „Emitter bei fünfzig Prozent.“
Melissa nickte dankbar bei den Worten ihres defacto Vorgesetzten, der ihr hier und jetzt auf ihrem Fachgebiet assistierte, der höheren Wurmlochphysik, obwohl er selbst nicht gerade ein Laie war. Allerdings deckte Ole Jorgensson auch alle Wurmlochspezifischen Wissenschaften ab, nicht nur die Physik, was ihn überhaupt erst zum Chefwissenschaftler gemacht hatte.
„Wir gehen auf achtzig“, sagte Melissa.
„Achtzig, Aye.“ Der Bosun gab seine Anweisungen. „Auf achtzig gehen!“
„Achtzig, Aye! Meldung an Beta Hydri ist raus! Gehen auf achtzig!“
Die Skalen schossen weiter in die Höhe. Das waren Energien, die noch vor eintausend Jahren dazu gereicht hätten, um die fünf energiehungrigsten Städte des Dritten Jahrtausends ein Jahr lang zufriedenstellend zu versorgen. Heutzutage aber benötigte und erbrachte jede Fregatte zumindest die Hälfte dieser Leistung.

„Positive Resonanz, alles im grünen Bereich“, meldete Captain Baker, der Anstandswauwau der wissenschaftlichen Abteilung des Flottenhauptquartiers – und Intimfeind von Melissa und ihrem Mann. Aber verdammt, der Kerl war nützlich, wenn man bei ihm die richtigen Schalter drückte und darauf achtete, dass er die richtigen Aufgaben erfüllte.
„Wie zu erwarten war.“ Auf Melissas Stirn traten Schweißtropfen. „Bis hierhin war es ja auch einfach. Einhundert, bitte.“
„Einhundert, Aye, Ma'am. GEHEN AUF EINHUNDERT!“
„EINHUNDERT, AYE! Botschaft an Beta Hydri ist raus!“
Damit wurden die externen Emitter auf die volle Leistung befeuert. Nun standen sie quasi bis an die Spitze ihrer Aufnahmefähigkeiten unter Strom. Und nun entschied sich, ob Bakers Team bei der Hardware gute Arbeit geleistet hatte.
„Emitter stabil“, meldete er bange Sekunden, nachdem die Höchstspitze erreicht war.
„Meldung von Beta Hydri: Bereit, bereit, bereit“, meldete der Professor.
Melissa biss schon wieder auf ihre Zunge, diesmal aber nur auf die Spitze. „Tun Sie's, Professor.“
Schneider lehnte sich ein Stück zurück und gab der Brückenbesatzung ihre Befehle. „Klar Schiff für Einschlag. Jeder hat einen Halt. Schirme hoch und auf volle Leistung.“
„Aye, Sir!“ Übergangslos wurde das Forschungsschiff zu einer kleinen Festung gegen eine mögliche Explosion der Emitter und ihrer geballten Energie.
Dann drückte Professor Jorgensson den Sensor, der alles entschied.

Im freien Weltall hätte man nichts sehen können. Es gab etliche Fernsehserien, die ein Wurmloch visuell gemacht hatten. Wie es für einen Sprung aus der Raumzeit hervorschoss, wie ein Wurmmaul oder eine Art Strudel. Das war aber Quatsch. Für das menschliche Auge gab es nichts zu sehen. Die Computer aber arbeiteten alle Daten, die sie permanent erhielten, auf und fügten sie in die Monitore ein. Deshalb konnte Schneider sehen, wie die Emitter ihre übergroßen Partikelkanonen abfeuerten, nicht auf Waffenfrequenzen, sondern auf niederfrequenten, Energiearmen, dafür aber sehr stabilen Frequenzen.
„Meldung von Beta Hydri: Schuss! Schuss! Schuss!“
Theoretisch hätten sich die Bahnen von Beta Hydri und von Sol aus im gleichen Moment nach dem Abschuss vereinigen müssen. Sie waren lichtschnell. Aber wäre es so einfach, hätte es keinen Bedarf für eine eigene Wurmlochphysik gegeben. So dauerte es geschlagene zwei Minuten, bis Melissa fragte: „Messungen?“
„Kein Austritt von Partikelenergie durch die Beta Hydri-Emitter, Ma'am“, meldete der Bosun.
„Auch Bety Hydri meldet keinen Austritt!“, rief der Professor enthusiastisch.
Dies löste einen recht großen Jubel aus, denn es bedeutete, dass die Berechnungen vom Team Jamison-Bowyer so exakt waren, dass sich die Partikelschüsse tatsächlich über fünfundzwanzig Lichtjahre hinweg innerhalb des Wurmlochs dreimal exakt getroffen hatten und ihre überschüssige Energie an das Wurmloch abgaben, um es zu stabilisieren.
Melissa focht das nicht an. „Ruhe, bitte“, mahnte sie das Team. Oh, es war bereits ein großer Erfolg, der größte Erfolg, den die Wissenschaftsabteilung zur Wurmlochforschung je erbracht hatte. Aber es war dennoch erst der Anfang.
„Nachricht an Beta Hydri: Schickt die HOPE!“
„Aye, Ma'am! Nachricht ist raus!“
Justus versteifte sich ein wenig auf seinem Sitz. „HENRI und INDESTRUCTIBLE sollen aufschließen und ihre Schilde vor uns legen!“ Das war durchaus abgesprochen, aber nicht ganz zu Unrecht nahm Justus an, dass die Besatzungen ihrer beiden Begleitfregatten nun mit eher mulmigen Gefühlen den Kugelfang für sie spielten. Die TESLA und ihre Begleitschiffe standen ohnehin nicht direkt vor dem Wurmloch, immerhin, aber wenn die HOPE, eine wracke, aber sprungfähige Perry-Fregatte, als pure Energie aus dem Wurmloch kam, konnte das die gleiche Wirkung haben wie als wenn ein Antimaterie-Torpedo in nächster Nähe explodierte. Wie nahe entschied dann darüber, wer überlebte.
„HENRI und NORFOLK schließen auf.“
„Nachricht von Beta Hydri: Sprung! Sprung! Sprung!“
Justus beobachtete das Manöver der Schiffe und warf zugleich einen Blick auf den Neutrino-Messer. Keine ungewöhnlichen Schwankungen, und noch immer war keine alles vernichtende Energiewelle zu ihnen unterwegs. Die Sprungzeit für die HOPE wurde auf zwei Minuten, elf Sekunden, acht Zehntel, drei Hundertstel berechnet. Genug Zeit für ihn und Melissa, sich Gedanken darüber zu machen, wie erfolgreich sie hier und heute sein würden. Und ob sie überhaupt überlebten.
„Mr. Mahony, den WHAM, bitte.“
Der Petty Officer First Class rief: „Aye, Sir, schalte den WHAM dazu!“
Die Datenflut nahm mit der Aktivierung des WHAM noch einmal drastisch zu. Defacto war der WHAM eine Art aktiver Orter für Neutrinos, der nicht auf Empfang beruhte, wohl aber auf Reflexion. Gerade bei der Erforschung des Jura-Eisfeld-Wurmlochs hatte er sehr gute Ergebnisse geliefert. Und für die Ankunft der HOPE, egal in welcher Form, würden sie jedes zusätzliche Messergebnis gut gebrauchen können. „WHAM steht und arbeitet normal, Skipper.“
„Gute Arbeit. Sagen Sie das auch Petty Officer Lun.“
Der junge Raumfahrer grinste. „Jawohl, Sir.“
Dann stieß Melissa einen missbilligenden Laut aus, und Justus widmete sich wieder den Bildschirmen und der Direktübertragung aus der Steuerzentrale. Zehn Sekunden bis zur erwarteten Ankunft. Melissa versteifte sich merklich, und auch Justus spürte die Nervosität nach sich greifen. Freilich ließ er sich nach außen nichts anmerken.

Und dann... Dann explodierte der Neutrino-Orter, der WHAM lieferte die wahrscheinlich besten Bilder seiner Existenz, und vor ihren Augen, exakt zwischen den Emittern, kam ein Schiff aus dem Sprung: Die HOPE!
Dieser Anblick ließ die Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure jubeln. Sie verließen ihre Plätze, fielen einander in die Arme und schrien und kreischten ihr Glück über den Erfolg hinaus. Justus sah Melissa sogar Baker für einen kurzen Moment umarmen, der wahrscheinlich selbst nicht mitbekam, was er gerade tat.
Auf der Brücke wurde auch gejubelt, und das nicht zu knapp. Aber die Leute blieben auf ihren Stationen. Justus beließ es bei einem zufriedenen Grinsen, denn wie hatte Admiral Auson es doch ausgedrückt: Ein Offizier führte und lehrte durch Beispiel.
„Ms. Juga, anscheinend versäumen es unsere wissenschaftlichen Kollegen in ihrem Freudentaumel gerade, also seien Sie so nett und melden Sie dem zweiten Team in Beta Hydri, dass die HOPE unversehrt angekommen ist. Wenn die Messgeräte an Bord jetzt auch noch bestätigen, dass lebende Wesen den Transport überlebt hätten, haben wir heute mehrfach Geschichte geschrieben.“
Die Funkoffizierin nickte zustimmend. „Aye, Sir. Gebe Meldung ab. Was ist mit der Admiralität?“
„Melden Sie Terra, dass das Jura-Eisfeld-Wurmloch höchstwahrscheinlich stabil und für die Raumfahrt nutzbar ist.“
Ihr Grinsen ging so weit es ihre Mundwinkel zuließen. „Aye, Sir!“
Justus erwiderte ihr Grinsen. Er sah sich das Treiben der euphorisierten Wissenschaftler an und sagte: „Ich schätze, wir sollten den Erfolg gebührend feiern. Die Eierköpfe sind ja schon dabei.“
Er erntete zustimmendes, leises Gelächter. Nicht für den Kosenamen für „ihre“ Wissenschaftler, aber für die Feier, die angesichts dieses Erfolgs gar nicht groß genug ausfallen konnte.
***
Mehrere Stunden später ließen die Wissenschaftler Wissenschaft Wissenschaft sein. Auch die Raumfahrer hatten ihre Arbeit weitestgehend eingestellt. Nur eine Rumpfcrew wachte noch über das Schiff. Diese war klein, bestand aus den nötigsten Köpfen, denn zum Henker, man war im Sol-System. Alle anderen trafen sich, unterstützt durch eine Abordnung ihrer beiden Begleitschiffe, im größten Saal der TESLA und ließ es sich bei einem guten Essen und erstaunlich viel Alkohol richtig gut gehen. Die Stimmung hervorragend zu nennen wäre eine schamlose Untertreibung gewesen, und Justus hatte von Melissa, die neben ihm saß, schon drei oder mehr Markierungen ihres roten Lippenstifts auf die Wange erhalten. Angesichts der guten Stimmung und des großartigen Erfolgs, den sie alle erbracht hatten, versuchte er, den neuen, strengeren Justus so wenig wie möglich zu spielen und seinem alten Ich damit etwas Freilauf zu verschaffen.
In diese ausgelassene Stimmung, und nachdem Ole Johansson bereits das dritte Mal auf Melissa Jamison-Bowyer, „das größte Genie der Menschheit seit Einstein, Hawkins und Beaumont“ geprostet hatte, platzte Lieutenant Rudy, der unglücklicherweise die Rumpfmannschaft anführen musste, während der Rest der Crew feierte.
Er trat an den Skipper heran. „Captain?“
„Was gibt es, Lieutenant Rudy?“
„Eine Depesche von der Admiralität für Sie, Sir.“
Schneider wandt sich aus Melissas nächstem Versuch, ihren Lippenstift auf seiner Wange zu verewigen, und nahm die Nachricht entgegen. Merkwürdig, die Glückwünsche und die Ankündigungen von erheblichen Prämienzahlungen hatten sie doch bereits erhalten.
Justus öffnete die gefaltete Nachricht und überflog sie schnell. „Bosun, ich bitte um Ruhe.“
Rupert O'Brien, in ausgelassener Stimmung, aber als höchstrangigster Unteroffizier immer im Dienst, so lange er an Bord war, brüllte: „ACHTUNG!“
Augenblicklich verstummten alle Gespräche und die Augen von Crew, Ingenieuren, Technikern und Wissenschaftlern richteten sich auf den Captain.
„Ich habe soeben eine Depesche des Hauptquartiers erhalten und möchte sie gerne verlesen“, verkündete er. Die Stille wurde nun greifbar.
„Admiral Frost persönlich gratuliert Kapitän und Mannschaft der TESLA sowie Lieutenant Commander Jamison-Bowyer und Team und allen begleitenden Einheiten und Mannschaften hier und im Beta Hydri-System höchst erfreut zu diesem bahnbrechenden Erfolg, der die Wurmlochforschung noch in diesem Jahrzehnt komplett auf den Kopf stellen könnte. Die weiteren Arbeiten mit den Jura-Eisfeld-Wurmloch übernimmt ab sofort die ALBERT EINSTEIN.“
Erschrockenes Raunen ging durch die Halle. Gewiss, die ALBERT EINSTEIN hatte einen sehr guten Ruf, aber wieso wurde die NICOLA TESLA von ihrer eigenen Mission abgezogen? Fragende Blicke trafen den Skipper, der diesen Augenblick des Informationsvorsprungs absolut genoss.
„Die NICOLA TESLA sowie das Team Jamison-Bowyer setzen ihre Forschung an einem anderen Wurmloch fort. Das Schiff hat den Marschbefehl erhalten, sich unverzüglich nach Übergabe des Versuchsaufbaus an die ALBERT EINSTEIN in das Texas-System zu begeben. Dort sollen Schiff und Mannschaft die Forschung am Texas-Manticore-Wurmloch übernehmen mit dem hoffentlich nicht allzu fernen Ziel, das von den kaiserlichen Streitkräften geschlossene Wurmloch wieder für die Raumfahrt zugänglich zu machen. Gezeichnet: Admiral Nathan Frost.“

Justus sah auf. Die Gesichter der Besatzung waren ihm zugewandt: Kaukasier, Asiaten, Schwarze, Mischlinge, Soldaten, Techniker, Wissenschaftler, Ingenieure. Es brach kein spontaner Jubel aus. Aber hier und da wurde durchaus erwartungsvoll geraunt. Er fühlte sich genötigt, dazu etwas zu sagen, zu erklären. „Ich muss Sie leider allesamt enttäuschen, Herrschaften“, sagte er mit seiner nonchalantesten Stimme, die ihm auf der KAZE sowohl Todesdrohungen als auch Liebesbriefe eingebracht hatte, „aber das bedeutet nicht, dass unser nicht ganz unbedeutender Forschungskreuzer damit an die Front kommt. Wo er auch nichts zu suchen hat. Aber, und das verspreche ich Ihnen allen mit Inbrunst: Unsere Arbeit der nächsten Tage, Wochen und Monate wird dazu beitragen, um den Krieg zu den Akarii zurückzutragen und unserem Land wieder Frieden zu bringen.“ Applaus klang auf, zustimmende Pfiffe. Nicht wirklich Begeisterungsstürme, aber Justus hatte es bewusst vermieden, „seine“ Leute moralisch anzustacheln, militärisch scharf zu machen, indem er Begriffe wie „Tod“, „Endsieg“ und „Vernichtung des Feindes“ vermieden hatte. Aber er war mit der Reaktion mehr als zufrieden. Er erhob sich, griff nach seinem Glas und hob es an. „Auf Admiral Frost. Möge diese seine Entscheidung den Krieg früher beenden!“
„Auf den Admiral!“, hallte es ihm aus hunderten Kehlen entgegen. Die Minderheit hatte „Auf Admiral Frost“ gesagt. Sie tranken, Justus setzte sich wieder und rief: „Und jetzt lasst uns weiter feiern!“
Dies brachte endlich den richtigen Jubel in der richtigen Lautstärke ein.

Neben ihnen war Captain – hier an Bord ehrenhalber Commodore, denn es gab nur einen Captain auf der TESLA – Baker erschreckend blass geworden, wohl bei dem Gedanken, schon wieder in einen möglichen Kampf zu ziehen. Augenscheinlich hatte er etliche der Vorfälle bei Eurydike noch nicht richtig verdaut.
Melissas Hand krampfte sich um seinen rechten Unterarm. „Justy“, flötete sie, gerade laut genug, damit nur er sie verstehen konnte, „was ist, wenn wir uns trotzdem mitten in den Frontlinien wiederfinden?“
Schneider lachte abgehackt. „Unmöglich ist das nicht“, raunte er ebenso leise zurück. „Aber sollte es wirklich so weit kommen, dann haue ich uns auch wieder raus, keine Sorge, Mel.“
„Dein Wort in Frosts Ohr“, spottete sie, griff nach ihrem eigenen Drink und stieß mit ihm an.
Schneider lehnte sich entspannt ein Stück zurück. „Ich bitte dich, Mel. Texas. Was soll schon passieren, außer, dass die Akarii durchbrechen? Und selbst wenn das Unmögliche passieren sollten, sind wir längst abgezogen, wenn sie kommen sollten. Wir forschen für den Sieg, wir kämpfen nicht.“
„Ich sagte doch“, erwiderte sie mit einem dünnen Lächeln, während sie ihren Drink leerte, „dein Wort in Frosts Ohr.“

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TRS COLUMBIA, Sterntor-System

„Das war ganz einfach beschämend. Das können Sie besser. Das können WIR besser.“ Lieutenant Commander Kano Nakakura machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. Und wie immer, wenn er eine Strafpredigt vom Stapel ließ, hielt er sich noch aufrechter als sonst. In Kombination mit der inzwischen schon fast legendären kalten Stimme und ausdruckslosen Miene schaffte er es gut, seine nur durchschnittliche Statur zu kaschieren.
„Wir liegen über dem Durchschnitt. Kein Grund, sich gleich ins Schwert zu stürzen.“ Das kam natürlich von Huntress. Kanos Stellvertreterin wirkte selber verärgert über das schwache Abschneiden der Butcher Bears bei der letzten Übung, zumal ausgerechnet Staffords Rote Schwadron sie ausgestochen hatte. Sie gehörte nicht gerade zu der kleinen Schar von Staffords Fans. Dass einige der Roten den Butcher Bears ihren ‚Sieg‘ ziemlich nachdrücklich unter die Nase rieben, machte die Sache nicht besser. Die Rote und die Schwarze Schwadron konkurrierten seit Aufstellung der Butcher Bears miteinander – eine Rivalität, die von den verschiedenen Staffelchefs bewusst geschürt worden war. Bei den Jagdbombern und den Abfangjägern der Angry Angels war es genau das Gleiche.

Kano wusste, dass Huntress vermutlich einfach aus Prinzip Widerworte geben musste. Sie war einfach so: „Wir sind aber mehr als knapp überdurchschnittlich, Agyris. In einer Beschreibung der Butcher Bears haben diese Worte nichts verloren. Höchstens, um unsere Gegner und Konkurrenten zu charakterisieren.“
„Sie könnten etwas flexibler sein. Oder liegt es daran, dass die Roten auch Kalis Staffel sind? Bei ihr sollten Sie doch eigentlich daran gewöhnt sein, nicht immer Oben zu landen. Will ich jedenfalls mal hoffen.“ Das brachte Huntress das Grinsen einiger Staffelmitglieder.
Kano verdrehte nicht mal die Augen: „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über MEINE Motive. Wollen Sie im Ernst, dass wir hinter den Roten zurückfallen? Die Butcher Bears waren mal die Staffel des Geschwaderchefs. Und das können sie auch wieder werden. Aber nicht, wenn wir im Ranking absacken. Und ich bin nicht bereit, das zuzulassen. Dazu haben wir zu viel hinter uns.“
„Ist das Ihr Karriereziel? Da zielen Sie ein bisschen hoch, denn nach meiner Zählung rangieren Sie momentan BESTENFALLS im Mittelfeld der potentiellen Bewerber um den Kommandoposten. Verdammt, man hat Ihnen erst vor ein paar TAGEN den nächsten halben Ring aufs Revers genäht.“
Kano überraschte seine Untergebenen mit einem seltenen Lächeln: „Wenn es gerade gut läuft, gibt es keinen Grund, das Tempo zu drosseln.“

„Aber diese Übung zählt doch nur halb. Wie oft kommt es schon vor, dass wir einen Bombenangriff fliegen?“ Das kam von Sugar.
„So wie die Parameter unserer neuen Mission aussehen – mit steigender Wahrscheinlichkeit.“ bemerkte Kano trocken: „Und die Entschuldigung mit mangelnder Praxis zieht nicht. Die Roten hatten auch nicht mehr Gelegenheiten zum Üben.“
„Immerhin haben sie gerade erst Bobcat dazubekommen. Die soll eine echte Kanone sein.“ warf Phoenix ein.
„…und das nicht nur im Bett.“ vollendete Huntress anzüglich.
„Was denn, hast du Kenntnisse, die wir nicht besitzen?“ schoss Top Gun.
„Davon träumst du, was?! Und Bobcat vielleicht auch, nach den Schwingungen die ich so empfange.“
„Hieven Sie ihre Gedanken wieder über die Gürtellinie.“ schnitt Kano durch das anzügliche Geplänkel: „Mich interessiert nicht die sexuelle Orientierung unserer neuen Piloten, sondern warum wir zurückfallen.“
Phoenix hob den Kopf: „Wie wäre es damit: Im Gegensatz zu den anderen Staffeln trainieren wir auch noch mit Toppriorität mit den neuen Arrows-Atomraketen. Und haben deshalb diesen Decker von der Waffenerprobung und seine blödsinnigen Sicherheitsbedenken und Starallüren an den Hacken. Das kostet Zeit. Und während wir bei der Übung Staffords geniale Idee mit den rotierenden Kommandostrukturen durchexerziert haben, flogen die Roten in besser eingespielten Teams.“
„Das darf keine Rolle spielen. Immerhin ist es ja gerade der Sinn von Staffords Idee, dass wir lernen, in so ziemlich jeder Zusammensetzung gut zu funktionieren. Auch bei Bodenangriffen unter ungünstigen Bedingungen. Ich will nämlich nicht, dass die nächste Erwähnung der Butcher Bears ein Friendly Fire-Vorfall ist.“
„Ja, denn eigentlich sollte das Sache der Roten sein. Ist bestimmt toll, mit jemandem zu fliegen, der einen von der eigenen Feldpostnummer abgeballert hat.“ ätzte Huntress mal wieder.

„Das reicht, Agyris.“ Kanos Stimme war eisig. Er schien nicht der einzige zu sein, dem Huntress etwas zu weit gegangen war. Top Gun sah so aus, als hätte er einen üblen Geschmack im Mund und würde am liebsten ausspucken. Allerdings war Huntress natürlich nicht bereit, sofort klein beizugeben: „Wenn es aber wahr ist?!“
Kano sparte sich eine Antwort. Aber etwas in seinem Blick veranlasste die Pilotin zu einem: „Schon gut, schon gut! Wenn Sie es nicht hören wollen, fein.“ Sie musterte ihren Kommandanten misstrauisch: „Aber Sie haben uns doch nicht nur versammelt, um uns die Leviten zu lesen.“
„Sie überraschen mich durch Ihre Fähigkeit zur Erkenntnis, Agyris.“ Kano musterte seine Untergeben kurz und lächelte knapp: „Auf Ihren Computern finden Sie neue Dienstpläne.“
„Wir haben ohnehin kaum noch Freizeit! Irgendwann ist der Saft aus der Zitrone raus!“ revoltierte La Reine.
„Entspannen Sie sich, Obasanjo. Sie behalten die Ihnen zustehenden Ruhezeiten. Ich habe nur das Programm umgestellt. Einige Standardübungen erweitert. Wir werden verstärkt mit wechselnden Kommandostrukturen üben. Und in Kooperation mit anderen Staffeln. Unter anderem den Jagdbombern.“
„Bombenangriffe?“ Huntress klang wenig begeistert.
Kano schüttelte den Kopf: „Nicht in erster Linie, obwohl diese auch dazu gehören werden. Aber nur an der einen Schwachstelle zu arbeiten und dabei unsere Stärken zu vernachlässigen, das macht wenig Sinn. Also werden auch Durchbruchs- und Abfangeinsätze dabei sind. Wir sind die Staffel, die immer durchkommt. Die den Feind nicht verwundet – sondern ihn in Fetzen reißt. Und das wird auch so bleiben.“
„Und wie haben Sie unsere Kollegen breitgeschlagen, ihre Termine mit uns abzustimmen?“ fragte La Reine misstrauisch. Übungen mit anderen Staffeln waren heiß begehrt, denn sie kamen einem ‚echten‘ Gefecht immer noch am nächsten.
Kano lächelte flüchtig: „Unter anderem werde ich bei einigen Übungen von Gold und Silber assistieren. In MEINER Freizeit. Zu etwas ist ein hoher Killscore eben doch gut. Huntress, La Reine, Phoenix – ihre Namen sind auch gefallen. Wäre schön, wenn Sie sich dazu herablassen könnten, gelegentlich dabei zu sein.“
Natürlich wusste Kano, dass er seinen Untergebenen damit keine echte Wahl ließ. Und ihren Gesichtern zufolge wussten sie das auch.
„Und was noch?“, stichelte Huntress: „Haben Sie ihr Konto geplündert, um jemanden zu bestechen? Sollen wir da vielleicht auch noch spenden?“
Aber das ignorierte Kano ganz einfach. Er hatte inzwischen Übung darin: „Kommen wir zur Planung unseres nächsten Staffelmanövers…“

***

Wenig später

Das Schrillen des Türsummers unterbrach Kanos Kampf mit dem scheinbar täglich größer werdenden Papierberg – auch wenn diese Schlacht natürlich inzwischen überwiegend elektronisch geführt wurde. Aber immer noch machten organisatorische und bürokratische Kleinarbeit einen beachtlichen Teil des Pensums aus, den ein Staffelchef zu bewältigen hatte. Zum Glück hatte Kano damit Erfahrung sammeln können. Besonders Cunningham hatte diesen Teil seiner Pflichten gerne auf Untergebenen abgewälzt. Hingegen war Huntress Zuarbeit als Staffel-XO…ausbaufähig: „Herein.“

‚Wenn man vom Teufel spricht.‘ Tatsächlich war es seine Stellvertreterin, die den Raum mit der ihr eigenen, etwas provokant wirkenden Selbstsicherheit betrat. So als würde sie erwarten, dass alle Augen sich sofort auf sie richteten – womit sie meist auch Recht hatte.
Und nach dem Ausdruck in ihren Augen war sie auf Blut aus: „Sehen Sie mal, was ich an der Tür unseres Besprechungsraums gefunden habe!“ Sie fuchtelte derart aufgebracht mit dem Blatt E-Papier in ihrer Hand, dass es Kano nicht leicht fiel, der Aufforderung Folge zu leisten.

Auf dem Blatt sah man einen etwas abgekämpft wirkenden Cartoon-Bären mit Augenbinde. Eine Bombe unter dem linken Arm, tastete er sich mit dem Stock in der Rechten auf eine Reihe Zieltafeln zu.

Kano presste kurz seine Lippen zusammen: „Umwerfend komisch.“
„Das waren nicht Huntress erste Worte.“ warf Phoenix ein, der der stellvertretenden Staffelchefin folgte. Als dann auch noch Top Gun das Büro betrat, zog Kano überrascht eine Augenbraue hoch: „Was soll das werden? Eine Gruppenbeschwerde?“
„Eher eine kleine Verschwörung.“ Huntress Grinsen wirkte raubtierhaft: „Als ich dieses…Kunstwerk fand, wollte ich eigentlich in die Sporthalle, um dem nächstbesten Roten in einer kleinen Sparringrunde die Grütze aus dem Schädel zu treten.“
Kano wusste, dass sie das wahrscheinlich sogar geschafft hätte. Wie Top Gun am eigenen Leib herausgefunden hatte, hatte Huntress ein Faible für Kampfsport. Sie war eine mehr als fähige Kickboxerin mit einer Vorliebe für schmutzige Tricks.
„Zum Glück lief sie uns über den Weg.“ warf Phoenix ein.
Kano bedachte seine Stellvertreterin einem wenig herzlichen Blick: „Und damit meint er wohl, zu IHREM Glück. Vielleicht war es in Ihrem früheren Geschwader anders, aber in meiner Schwadron ist kein Platz für eine XO, die sich mit den Piloten anderer Staffeln prügelt.“
„Nicht mal wenn Sie gewinnt? Außerdem ist ja nichts passiert. Phoenix hatte nämlich eine bessere Idee, wie wir uns revanchieren können.“
„Wenn Sie glauben, dass ich bei irgendeinem kindischen Streiche mitmache, den sie aushecken, dann…“
„Hören Sie erst einmal zu, Commander.“ Phoenix grinste kurz, was angesichts seiner Gesichtsnarben ausgesprochen unschön aussah: „Sie haben natürlich Recht, dass wir unser Training weiter verbessern und intensivieren sollten. Aber um uns an der Spitze zu halten, brauchen wir mehr als das. Wir müssen uns selbst – und den anderen Staffeln - beweisen, dass wir die Besten SIND. Gute Abschusszahlen, erfüllte Missionen und ein exzellentes Abschneiden bei Übungen sind die eine Sache. Aber es gibt immer auch eine psychologische Komponente. Und nachdem die Roten meinen, über uns Lachen zu können, sollten wir ihnen zeigen, dass dieser Spaß auf ihre Kosten geht. Dass sie uns nicht das Wasser reichen können. Außerdem ist das gut für den Teamgeist. Und sogar eine Möglichkeit, die Flugskills von uns und einer Menge anderer Piloten zu verbessern. Das einzige, was wir dafür aufwenden müssen, ist etwas Freizeit. Da Sie ja sowieso gerne über die verfügen…
Außerdem benötigen wir Huntress Connections, ein paar Kisten Bier vom Schwarzmarkt und Blackhawks Unterstützung.“
Kano musterte seine drei Untergebenen mit einem leichten Kopfschütteln: „Wenn Sie partout keine Ruhe geben wollen…
Lassen Sie ihre geniale Idee hören. Aber wenn Sie meine Zeit vergeuden…“

***

Einige Tage später

„Finden Sie nicht, dass das ein bisschen unsportlich ist?“
Kali unterdrückte ein Seufzen: „Wieder die alte Leier? Es steht zwölf Piloten gegen zwölf, Kid. Ich verstehe nicht, was es da zu meckern gibt.“
„Aber das sind alles Akademie-Frischlinge. Nicht mal Mars-Gemüse, sondern Kolonialgewächse. Die haben doch keine Chance!“
„Na wenn du alter Hase mit deiner jahrelangen Kampferfahrung es so siehst, dann muss es ja stimmen!“, schnappte Kali.
„Hast du deine…“
„Überleg dir genau, was du sagen willst!“, die stellvertretende Staffelchefin der Roten Schwadron mahnte sich selbst zur Ruhe. Kid war längst nicht so schlimm wie Radio, Skunk oder Knockout: „Die Sengbe Koroma Flight School lehrt nach den Standards der Mars-Akademie, und das tut sie ziemlich gut. Und wenn sie vorschlagen, dass eine unserer Staffeln gegen die Besten ihres Jahrgangs antreten, dann fühlen wir uns geehrt. Und fangen nicht an, herumzumeckern. Zumal das Ganze auch eine politische Note hat. In diesem System ist man momentan nicht gut auf die TSN zu sprechen. Kein Wunder nach dem, was Admiral Taran unter unserer Nase hat abziehen können. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass wir der Sengbe Koroma einen Wunsch wie eine gemeinsame Übung gerne erfüllen. Und nicht vom hohen Ross herab die Nase rümpfen, kapiert?“
Kalis Lektion hatte nur eine begrenzte Wirkung: „Dieser Mitleidsbonus ist dann wohl auch der Grund dafür, dass die Flugschule ihre Frischlinge in Nighthawks stecken kann.“
„Glaubst du, du schaffst es, derartige Geistesblitze für dich zu behalten?“
„Und warum geht es nur zwölf gegen zwölf? Wenn sie zwei Staffeln gegen uns schicken würden, dann wäre es vielleicht halbwegs ausgeglichen…“
„Deine Bescheidenheit ist wirklich erstaunlich…“, schaltete sich Artist ein: „Aber wenn du mal mit dem KOPF denken würdest, dann würdest du erkennen, dass es unseren Konfirmanden nicht viel bringen würde, wenn sie uns in Übermacht angehen. Denn SO gut läuft der Krieg nicht. Es ist eher selten der Fall, dass wir in überlegener Zahl gegen die Imperialen antreten. Hingegen kann es durchaus mal passieren, dass sie die Klingen mit einem Gegner kreuzen werden, der erfahrener ist als sie. Habe ich deine Frage beantwortet?“
„Vielleicht solltest du es ihm aufmalen.“ kam es von Bobcat.
„Was hackt ihr auf mir rum?“

„Ich unterbreche Sie nur ungern, aber es gibt Neuigkeiten.“ In Staffords Stimme schwang Amüsement mit: „Wir werden doch nicht zwölf gegen zwölf antreten.“
„Na bitte…“
„Nicht, wie du dir das vielleicht vorstellst, Kid. Die Flugschule stellt uns eine halbe Staffel zu Seite und stockt auch auf der anderen Seite sechs Maschinen auf.“
„Da das ja nur die zweite Wahl der zweiten Wahl ist, hätten sie ruhig die ganze Staffel…“
„Jetzt ist Schluss, Kid. Aber wo ihr alle so von Selbstbewusstsein strotzt…
Zeit, die Karten neu zu mischen.“
Das rief bei einigen ein genervtes Stöhnen hervor, die genau wussten, was jetzt kam. Und sie wurden nicht enttäuscht: „Artist, die übernimmst die Staffelführung. Kali, heute fliegst du als Kids Flügelfrau…“
Als Stafford mit dem Umformieren der Roten Schwadron fertig war, öffnete Kali einen Kanal zu Kid: „Ich kann dein Grinsen HÖREN. Denk lieber daran, dass wir nur für diese Runde mit vertauschten Rollen fliegen.“
„Du verstehst echt keinen Spaß mehr. Dein Japs färbt zu sehr ab.“
„Falls du es als Spaß bezeichnest, den Wappentieren auf den Maschinen der Butcher Bears Augenbinden aufzumalen oder ein Dutzend mit ‚Zielwasser‘ beschriftete Trinkflaschen in ihren Besprechungsraum zu schmuggeln…“
„Immerhin war es nur Wasser. Ich hätte da auch noch was ganz anderes abfüllen können…“

„Achtung, Red Spirits! Da kommt unsere Verstärkung.“ Artists Stimme war ruhig und kontrolliert.
Tatsächlich schlossen sechs Nighthawks zu der Roten Staffel auf. Auf Artists Anweisungen gliederten sie sich in die Flugformation ein: „Noch etwa zehn Minuten bis zum Zielpunkt. Wachsam bleiben.“

Der vereinbarte Manövertreffpunkt befand sich im Raum, wenn auch nur knapp außerhalb der Atmosphäre – das verkürzte die Flugzeit für die Sengbe Koroma-Piloten, schränkte allerdings auch das Gefechtsfeld ein. Allerdings hatte Artist offensichtlich die Absicht, das zu ihren Gunsten zu nutzen. Die von ihr befohlene Gefechtsformation sorgte dafür, dass sie den Planeten auf der linken, schwächeren Flanke hatten. Natürlich waren die Nighthawks atmosphärentauglich. Aber selbst viele erfahrene Piloten kämpften nicht gerne in der Nähe eines Planeten. Die Maschinen verloren an Wendigkeit, und wenn es zu einem Triebwerksausfall kommen sollte, flogen viele Jäger nicht besser als ein nur vage aerodynamisch geformter Backstein. Luftschichtungen, atmosphärische Phänomene, der viele Planeten umkreisende Weltraumschrott, Satteliten und die von ihnen ausgehenden Signale konnten Ortung, Zielerfassung beziehungsweise das Manövrieren erschweren.

„Da kommen unsere Freunde.“ Das war To-Tall: „Die Trottel glauben offenbar, dass wir nicht zählen können. Oder blind sind.“ Tatsächlich bestand der feindliche Hauptpulk nur aus zwölf Maschinen. Die übrigen…

„Hab Sie!“ Das war To-Tall: „Die wollten uns überraschen.“ Tatsächlich schien ein Drittel der feindlichen Maschinen den Versuch zu unternehmen, sich an die Rote Staffel anzuschleichen. Bei dem Versuch, die atmosphärische Schichtung auszunutzen und ein möglichst schwaches Radar-Signal zu geben, war ihre Formation durcheinander geraten. Einige Maschinen hatten sich aus der Formation gelöst.
„Amateure. Habe ich doch gesagt.“ Das war Kid.
Kali runzelte die Stirn leicht: „Meinst du nicht…“
„Artist – wie gehen wir vor?“, schaltete sich Stafford ein.
Die musste nur kurz überlegen: „Wir haben den Höhenvorteil. Kappen wir unseren Freunden die Flügelspitze, während der Rest sich um den Hauptpulk kümmert. Das sollte einfach werden. Kid, dein und To-Talls Team…“

Offenbar bemerkten die ‚Gegner‘ der Roten Schwadron, dass ihr ‚Horizontschleicher‘ nicht funktionierte. Doch statt sich zurückfallen zu lassen, beschleunigten sie – offenbar entschlossen, die Atmosphäre hinter sich zu lassen und in den Nahkampf zu gehen.
Allerdings waren sie nicht die einzigen, die dem Gefecht entgegenfieberten: „Die schnappen wir uns! ANGRIFF!!“
Während Kali temporärer ‚Chef‘ beschleunigte und sie zu ihm aufschloss, kniff sie die Augen zusammen. Irgendetwas an der Art und Weise, wie die feindlichen Maschinen bewegten, kratzte an ihrem Unterbewusstsein. Die eine Nighthawk, die viel zu schnell aufstieg und sich damit Kid als Ziel präsentierte…
„Kid…“
„Ich habe den Schweinehund!“ Der junge Pilot stürzte sich auf seinen Gegner, kurvte hinter ihm ein, eröffnete das Feuer…
Doch sein Ziel absolvierte ein perfektes Von-Bein-Manöver mit den Schubdüsen, und eröffnete ‚rückwärts fliegend‘ das Feuer aus allen Rohren. Kids Ausweichmanöver kam zu spät und wurde von seinem Gegner mit einer fast lässig wirkenden, Kali nur zu vertrauten Eleganz ausgeglichen. Kid hatte keine Chance.
‚Das darf doch nicht wahr sein…‘ „Dieser elende Hund! Das sind die BUTCHER BEARS!“
Doch dann waren die anderen fünf Maschinen der Schwarzen Staffel schon heran und stürzten sich wie ein Schwarm Haifische, die Blut gewittert hatten, auf Kalis Sektion, die auf einmal die Unterlegenen waren.

***

Etwa zwei Stunden später

„Als Sie den Antrag einreichten, ebenfalls mit den Piloten der Sengbe Koroma zu trainieren, haben Sie wohl vergessen zu erwähnen, was Ihnen dabei vorschwebt.“ Staffords Stimme und Miene war schwer zu deuten. Aber da konnte sein Gegenüber ihm problemlos Konkurrenz machen: „Ich wollte Ihre Zeit nicht mit unnötigen Details in Anspruch nehmen, Sir. Außerdem ging ich davon aus, dass auch die Einsatzfähigkeit der Roten Staffel nur davon profitieren kann, wenn sie mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert wird. Dies zwingt die Piloten zur Improvisation.“ Andere Offiziere hätten diese Worte vielleicht mit einem spöttischen Ton garniert, hatte Stafford doch vor wenigen Tagen etwas Ähnliches gefordert. Aber Kano Nakakura war nicht der Typ für spöttische Untertöne. Allerdings hatte schon mancher Vorgesetzte Ohkas kühl-emotionslose Ausdruckweise ähnlich frustrierend empfunden, wie einen ausgestreckten Mittelfinger.
„Glauben Sie, sich jetzt für irgendetwas revanchiert zu haben, Nakakura?“
„Nein, Sir. Ich glaube nicht, dass es etwas gibt, wofür ich mich revanchieren müsste. Ich weiß natürlich nicht, wie Sie das sehen. Oder die Piloten Ihrer Schwadron.“
Stafford unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen. Natürlich hatte er mitbekommen, dass einige seiner Piloten ihre Leistungen bei der letzten Übung – und das schlechtere Abschneiden der Butcher Bears – recht…nachdrücklich zelebriert hatten. Besonders Kid, der ohnehin schon früher die Schwarze Staffel im Visier gehabt hatte. Er hatte dem keinen Riegel vorgeschoben – vielleicht auch, weil er Kano nicht als jemanden eingeschätzt hatte, der sich dafür revanchieren würde. So etwas hätte er jemandem wie Ace, möglicherweise Lilja zugetraut. Oder…‚Da habe ich mich wohl geirrt.‘

Stafford war sich nicht ganz sicher, wie er sich verhalten sollte. Kano hatte nicht gegen geltende Richtlinien verstoßen, sie allerdings ziemlich weit gedehnt. Allerdings würde es nicht besonders souverän wirken, wenn Stafford ausgerechnet jetzt eingeschnappt reagieren und seinen recht lockeren Führungsstil aufgeben würde. Allerdings durfte er sich auch nicht zu viel gefallen lassen. Immerhin hatte es bei den Angry Angels von Anfang an…Scherzbolde gegeben, deren Witze auf Staffords Kosten gingen.
Unter anderen Umständen hätte er Kano vielleicht in einen Jäger gesteckt, um in einem kleinen Übungskampf klarzumachen, wer das Sagen hatte. Vielleicht auch nicht sehr erwachsen, aber effektiv. Doch leider gehörte Ohka zu dem halben Dutzend Angry Angels, die Stafford in so einem Duell besiegen konnten. Er war sicherlich nicht der beste Offizier des Geschwaders, aber einer der besten Piloten. Seine fliegerische Leistung und tödliche Präzision mit den Bordkanonen machten ihn in Kombination mit einer fast schon legendären, kaltblütigen Geringschätzung für Gefahren zu einem gefährlichen Gegner.
„Da Sie so viel Engagement bei der Organisation von Übungen in Staffelgröße zeigen, können Sie diese ruhig öfters unter Beweis stellen. Sie werden die nächsten beiden Manöver planen. Und ich hoffe doch mal, dass die Sengbe Koroma ebenfalls wieder dabei sein wird.“
Jetzt wirkte Kano trotz seiner üblichen stoischen Meine doch etwas verdutzt. Oder vielmehr…wachsam: „Jawohl, Sir. Darf ich fragen, bis wann…“
„Bis Morgen. Um 900 Standardzeit erwarte ich den Eingang.“
„Ich verstehe.“ Diesmal hatte Kano Stimme und Gesichtsausdruck wieder perfekt unter Kontrolle. Allerdings wusste er, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde.
„Und ich denke, wir sollten den nächsten Tag auch dafür nutzen, um unsere Staffeln noch einmal etwas zu erproben.“
„Soll ich den Plan für diese Gefechtsübungen auch noch entwerfen…Sir?“
Stafford grinste sarkastisch. „Nein. Ich glaube, das übernehme ich selber. Und wir werden auch nicht gegeneinander antreten. Sondern auf derselben Seite kämpfen.“
Kano sagte dazu nichts, der Geschwaderchef hatte ihn nicht um seine Meinung gebeten, aber vielleicht war ihm doch eine leichte Überraschung anzumerken gewesen. Staffords Lächeln vertiefte sich: „Ich glaube, beide Staffeln können mehr voneinander lernen, wenn sie zusammenarbeiten. Und so beugen wir vielleicht auch der Gefahr vor, dass einige unserer Jungen und Mädchenetwas zu viel…Engagement in diesen kleinen Wettbewerb stecken.“
Kano warf einen Blicke auf die Piloten BEIDER Staffeln: „Wenn Sie das sagen, Sir.“ In seiner emotionslosen Stimme schwang weder Kritik noch Unglauben mit, aber er hätte seine Zweifel genauso gut auch laut äußern können.
„Dann werden wir da wohl etwas mehr Energie investieren müssen. Aber sie ist gut investiert.“

Kano verkniff sich die zweifellos etwas kindische Anmerkung, dass es nicht die Piloten seiner Staffel gewesen waren, die diesmal den ersten Schuss abgefeuert haben. Aber wenn der Geschwaderchef meinte bestimmen zu können, wann diese kleine ‚Fehde‘ aufhörte, dann war es Kano Recht. So insgeheim befriedigend es auch gewesen war, die Rote Staffel vorzuführen, es gab sehr viel Wichtigeres.
Stafford nickte knapp: „Das wäre erst mal alles. Bis morgen.“
„Sir.“ Kano drehte sich um und realisierte, das andere Piloten der Roten Staffel das Ganze offenbar weniger sportlich sah als Stafford. Kid hatte sich wütend gestikulierend vor Huntress aufgebaut, die seinen Ausbruch mit leicht süßlichem Tonfall parierte. Kano verstand nicht, was sie genau sagte, aber offenbar verhinderte nur Artists Hand auf Kids Schulter, dass er Huntress ernsthaft anging. Was vermutlich sein Glück war. Kano musste sich ein zynisches Lächeln verkneifen: ‚Nicht mehr so spaßig, wenn der Witz auf deine Kosten geht, Baka.‘ Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber er glaubte ein leises Seufzen von Stafford zu hören, als der an ihm vorbei seine Leute ansteuerte. Vielleicht hatte der Geschwaderchef erkannt, dass es doch nicht so einfach sein würde, die Staffelrivalität in produktivere Bahnen zu lenken.

Dieser Gedanke wurde allerdings unterbrochen, als ein anderes Mitglied der Roten Staffel Kano in den Weg trat. Offenbar war Kid nicht der Einzige, der angefressen war: „Du Mistkerl! Nenn mir einen Grund, warum ich dir keine runterhauen soll!“
Kano verkniff sich den eigentlich nahe liegenden Hinweis auf seinen höheren Dienstrang. Und da sie nicht alleine waren, konnte er auch nicht die Antwort geben, die ihm auf der Zunge lag. Aber er hatte ja noch eine weitere Alternative: „Weil du mich aus der Maschine geschossen hast, Kali?“
Tatsächlich hatte Kali ihren Verlobten zusammengeschossen, nachdem der Kid ausgeschaltet hatte – und das nicht, weil er etwa nur halbherzig gekämpft hätte.
Aber die indische Pilotin kannte Kano einfach zu gut und hatte sich weder ausmanövrieren noch abschütteln lassen. Am Ende war Kanos Maschine nur noch ein Wrack gewesen. Allerdings war Kali gleich darauf von Phoenix ‚abgeschossen‘ worden und der Roten Staffel hatte ihr Sieg auch nicht mehr geholfen.
„Du hast mich eiskalt auflaufen lassen mit deiner kleinen Überraschungsparty.“
„Wär' es dir lieber gewesen, wenn ich dir davon erzählt und dich um Stillschweigen gebeten hätte?“
Kali fuchtelte wütend mit der Hand durch die Luft, fand aber nicht sofort eine Antwort auf die Frage. Stattdessen suchte sie sich ein anderes Ziel: „Wessen Idee war das? Huntress? Ja, das passt zu ihr…“
„Es war eher eine Art Braintrust. Aber letztendlich spielt das keine Rolle. Es war meine Entscheidung und Verantwortung…“ Kanos Worte galten nicht nur Kali.
Sie schnaubte wütend: „Ich bin noch nicht fertig mit dir, und du willst dir gleich noch eine Zielscheibe auf die Brust pinnen?!“
„Ich glaube, er stünde nicht alleine, wenn hier irgendjemand das Feuer eröffnen will.“ warf Phoenix ein, sein Grinsen wirkte ziemlich hässlich, was allerdings vor allem an seinen alten Brandnarben lag. Normalerweise hatte er nichts gegen Kali.
Kano winkte ab: „Danke für die Unterstützung, aber die brauche ich nicht. Ich glaube, wir haben unserem Publikum inzwischen genug Unterhaltung geboten.“
Das stimmte allerdings. Der Schlagabtausch hatte Aufmerksamkeit erregt und ein beachtliches Publikum gefunden. Piloten mochten die Stars der TSN sein – aber das bedeutete auch, dass die anderen Navy-Angehörigen es liebten, über sie herzuziehen. Und die diversen persönlichen und Staffel-Rivalitäten waren ein gefundenes Fressen für den Bordklatsch.

Kali drehte sich um und wurde offenbar erst jetzt des Publikums bewusst. Einer der Techs hielt es offenbar für witzig, die Frage „Na, Ärger im Paradies? Muss jemand heute nach auf der Couch schlafen?“ an sie zu richten.
Während Kano in Gedanken zu zählen anfing, kam ihm der Gedanke, dass er dem Mann eigentlich dankbar sein sollte. Denn er gab Kali genau das Ziel, dass sie benötigte. Kano kam mit seinem lautlosen Countdown nur bis drei, dann folgte die Explosion.

Kali fehlte die mit gelegentlichen Ausbrüchen von Gewalt unterfütterte Vulgarität von Knockout und Skunk, die Schandschnauze von Radio oder die eiskalte, oft verletzende Arroganz, die Monty und Lilja kultiviert hatten. Aber in den letzten fünf Jahren und besonders während ihrer Zeit mit Radio hatte die indische Pilotin gelernt, wie man ein knappes Dutzend Piloten an die Kandare nahm, deren Staffelchef nicht gerade mit gutem Vorbild voranging.
Späteren Gerüchten zufolge hatte der Mann sich in die Hose gemacht, war in Ohnmacht gefallen oder in Tränen ausgebrochen, noch bevor Kali mit ihm fertig war. Angeblich hätten sogar Knockout und Radio an diesem Tag noch ein paar neue Worte lernen können…

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07.12.2016 18:47 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Fort Kinsley,
Orbit um Vallis Chroma,
Shifang-System

General Hamish Alexander sah auf Vallis Chroma hinab. Genauer gesagt sah er auf Erus City herab, jene planetare Ansiedlung, die sich an das Camp Alabaster schmiegte. Hier hatte die Republik all jene konföderierten Offiziere und Mannschaften konzentriert, die sie einerseits nicht an einem anderen Ort verhörten, und die andererseits nicht zu ihren Streitkräften übergelaufen waren. Der Natur der Sache entsprechend waren die Flottenangehörigen deutlich in der Überzahl, noch immer, obwohl sich mehrere tausende ColNavy-Leute dazu entschlossen hatten, den Kampf in der republikanischen Flotte fortzusetzen. Aber es gab noch immer knapp achtundvierzigtausend Soldaten da unten, etwa im Verhältnis eins zu sechs zu Marines und Army-Personal. Als die ColCon dem Friedensvertrag zugestimmt hatte und der Befehl gekommen war, Navy-Personal zu internieren und Navy-Schiffe zu konfiszieren, waren naturgemäß nur wenige Army-Öeute darunter gewesen. Die meisten als Verbindungsoffiziere in Frontstäben oder im Flottenhauptquartier. Erstaunlicherweise waren die ColArmy-Offiziere und Soldaten nicht so eifrig dabei gewesen, den Kampf in den Reihen der Republik fortzusetzen, aber das war wohl eine andere Geschichte.
Wenn Alexander auf Vallis Chroma herab sah, konnte er Camp Alabaster gerade so mit dem bloßen Auge erkennen. Es bot Platz für fünfzigtausend Wesen von durchschnittlicher menschlicher Natur und war damit für den jetzigen Zweck vollkommen überdimensioniert. Es war auch nie für den jetzigen Zweck angelegt worden. Man hatte es errichtet, um in Zukunft Akarii der kaiserlichen Marine zu internieren – möglichst weit weg von der Hauptwelt und der damit verbundenen schlechten Presse. Dann hatte die ColCon kapituliert... Nein, korrigierte sich Hamish selbst, nicht kapituliert. Sie hatte vom Kaiser einen fast schon an Selbstzerstörung grenzenden Friedensvertrag angeboten bekommen. Und da die ColCon vor dem Krieg Beziehungen zum Kaiserreich gehabt hatte, hatte Cochraine dem imperialen Gesandten, Lord Dero Allecar, vertraut, und in diesem für die ColCon positiven Einzelfrieden eingewilligt. Tja, und dann war passiert, was nicht mehr geändert werden konnte. Alle irgendwie erreichbaren ColNavy-Schiffe, die noch auf irgendeine Weise abzufangen gewesen waren, waren von der Republik abgefangen worden, dies teilweise mit Waffengewalt. Dafür hatte ein Vier Sterne-Admiral einen Stern eingebüßt, aber die Ergebnisse, eine deutliche Verbesserung der Schiffszahlen, hatten Frost und die Navy trotzdem mitgenommen.
Es hatte einige Tote gegeben, Raketen auf verbündete Schiffe und noch ein paar Schweinereien mehr, und mehr als ein Akarii-Offizier, der sich für seine Leute eingesetzt hatte, oder einfach nur zur falschen Zeit dem falschen Marine in die Augen gesehen hatte, hatte seine Existenz eingebüßt. Siebenundachtzig Tote waren registriert worden, aber es waren nur acht Verfahren eröffnet worden, was Hamish nicht nur für falsch hielt, sondern auch für gefährlichen Unsinn. Für ihn war das nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die Republik mit den ColCon noch immer nicht auf Augenhöhe verhandelte. Tatsächlich hatte man unter Schneider nicht damit gerechnet, dass die ColNavy, geschweige denn die Army mehr als ein Kriegsjahr durchhalten würde, bevor sich die Front des Imperiums bis nach Hannover vorgedrängt hatte. Stattdessen war auf lediglich drei Welten gekämpft worden, und die ColNavy hatte ein Patt herausgeschunden, über fünf Jahre lang. Dann aber war Kal Ilis gekommen und hatte drei Trägerverbände, eine ganze verdammte Flotte, in einer Hauruck-Aktion zuerst bis nach London getrieben, und dann nach Hannover. Dies war zu einer sehr günstigen Gelegenheit geschehen, denn viele Navy-Schiffe waren an der Front gebunden gewesen, und ein nicht unbeträchtlicher weiterer Teil hatte sich auf republikanischem Gebiet eingefunden, um an einer koordinierten Operation teilzunehmen, die das Ziel gehabt hatte, die drei umkämpften Welten zu befreien. Zumindest die Systeme. Tja, und dann war alles ganz anders gekommen.

Brüsk wandte sich Hamish Alexander von seinem Fenster ab. Es polarisierte sich ohnehin gerade, denn Fort Kinsley kroch über den Horizont, und Shifang sandte sein grelles Licht über den Horizont von Vallis Chroma. Ohne die Verteilung durch eine Lufthülle war das Licht stark genug, einen Menschen temporär zu blenden. Nun. Er kannte Sonnensysteme, in denen der Blick in die Sonne schlimmere Schäden verursachte, bis hin zur Verödung der Sehnerven. Es wäre pure Ironie gewesen, wäre er jetzt erblindet, zwei Stunden bevor die koloniale Flotte nach ihrem Überraschungscoup am Vegas-Wurmloch im Orbit um Vallis Chroma eintraf, um... Ja, um das zu tun, was er, General Hamish Alexander, an ihrer Stelle auch getan hätte, nur wesentlich früher, und vor allem auch gegen die Entscheidung seiner Vorgesetzten. Einer der Gründe, warum er zwei Sterne trug, und gerade nur ein besserer Gefängniswärter war. Ein anderer Grund war seine ausgeglichene Persönlichkeit und sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, der in der Truppe gut bekannt war und der half, Misshandlungen und Schikanen am ColNavy-Personal minimal zu halten. Was man auch brauchte, wollte man sie nach und nach als Söldner anwerben. Aber das hatte sich wohl erledigt. Hamish konnte nicht anders, er sympathisierte mit den Zielen der ColNavy, und er hatte nicht vor, Okamba einen Kampf zu liefern. Dankenswerterweise würde das auch nicht notwendig werden, denn Admiral Noltze hatte mit ihrem Befehl bereits klargestellt, dass sie selbst kämpfen würde. Bis dahin sollten keine unnötigen Verluste riskiert werden. Was ohnehin Wahnwitz gewesen wäre, denn was da auf Vallis Chroma zukam, war ein kompletter Trägerverband, etwa ein Viertel der Gesamtstärke der ColNavy, und er hatte noch sechs Fregatten, zwei davon am Shifang-Lourdes-Wurmloch. Sicher, er konnte mit den Geschützen von Fort Kinsley angreifen lassen. Sicher, er konnte seinem Bodenregiment befehlen, sich einzugraben und am Boden den Kampf aufzunehmen. Sicher, er konnte es Okamba schwer machen, seine Leute zu retten. Aber er würde es nicht tun. Ein sehr wichtiger Grund dafür war... Nein, nicht Noltzes Befehl, auch nicht sein Sinn für Gerechtigkeit. Nein, er hoffte, dass Minus und Minus dann Plus ergab. Die illegale Annexion der ColNavy-Schiffe und der Angriff und die gewaltsame Befreiung des ColNavy-Personal würden dann einander aufwiegen. Nicht ganz, aber vielleicht genug, sodass es einem der Idioten auf Terra vielleicht irgendwann einmal einfiel, dass eine neutrale Colonial Confederation etliche Schiffe und Truppen für die Front freimachen würde und das zu verteidigende Gebiet drastisch verringerte.
Aus diesem Grund hatte er auch den Zerstörer TSN HUE BA und seine drei Begleitschiffe, die Fregatten TSN MONTAGNON, TNS UTUMAMNA und TSN VON BREUCHER auch zum Shifang-Lourdes-Wurmloch befohlen. Kapitän Weng, der Skipper der HUE BA, war ein fanatischer Hitzkopf, zum Glück nicht besonders gewaltbereit, aber mit seinem Posten höchst unzufrieden. Alexander hatte ihn weit weg geschickt mit dem Hinweis, dass er sich Noltzes Flotte anschließen konnte, und dann eine echte Chance gegen die ColNavy hatte... In seinem Herzen aber hoffte Alexander, dass alles vorbei sein würde, bevor Noltze ankam. Es wäre... Gerecht gewesen. Für all das hatte General Alexander nun einen Logenplatz. Auf das Geschehen, und auf das Ende seiner Karriere, denn kein Gefängnisdirektor überstand einen Massenausbruch und blieb auf seiner Position. Er wusste, darin würde er Recht behalten.
„Henry, geben Sie mir von Hitzelsberger.“
***
Anatol von Hitzelsberger schreckte auf, als der Summer seines Kommunikators summte. Im Volksmund nannte man das Gerät noch immer „Telefon“, wenngleich die wenigsten Menschen noch wussten, was damit überhaupt gemeint war. Anatol wusste es, aber er hatte auch ein Faible für prästellare Fernsehserien. Die heutigen Geräte waren denen dieser Ära natürlich weit überlegen, hatten sehr viel mehr Funktionen. Angeblich konnte das Tischgerät von Admiral Frost selbstständig einen Schutzschirm aufbauen und Attentate abwehren. Aber sie waren noch immer Telefone. Oder besser gesagt, Visiphone, denn sie übertrugen auch Bilder. „Annehmen“, wies er den Bürocomputer an. Es gab nur sehr wenige Leute, die zu ihm direkt durchkamen, und der Tonfall des Summens bestätigte, das ein solcher Anruf vorlag.
„Colonel, General Alexander möchte Sie sprechen.“
Von Hitzelsberger nickte. Das hatte er erwartet. Eventuell etwas früher. „Stellen Sie ihn durch, Jodie. Und grüßen Sie Henry.“
„Jawohl, Sir.“
Der Bildschirm erwachte zum Leben und zeigte den General, einen kleinen, schwarzhaarigen Mann mit grauen Schläfen und viel zu rosaner Haut auf der linken Gesichtshälfte. Reste einer Gefechtsverwundung, die vollständig hatte regeneriert werden können. Gerüchten zufolge war dies aber nicht der Hauptgrund für den ehrenwerten neuen Posten des Generals. Ehrenwert... Für Anatol war dies seine erste Bewährungsprobe als Chef einer Verwaltung, namentlich des Camps Alabaster in seinem Rang als Lieutenant Colonel des Heeres. Für Alexander aber war dies ein Abschiebebahnhof.
„Ani, Hamish hier“, sagte der General überflüssigerweise.
Anatol entsann sich seines Fehlers und trat in den Fokus der Telefonkamera. „Ich bin hier, Hamish. Geht es um die CC?“
Alexander nickte. „Ja. Was da durch das Vegas-Shifang-Wurmloch durchkommt, beläuft sich auf eine komplette Trägergruppe mit zwei Frontklasseträgern, der DELANY und der JOHNSTON. Und wer weiß, was die ColNavy noch alles in der Hinterhand hat.“
Damit spielte der General auf die Haupteignung des Shifang-Systems als Gefangenlager an. Shifang war ein Rattenloch mit lediglich zwei Wurmlöchern, und beide führten durch die Republik. Jeder Gegner, der sie hier angriff, musste entweder starrsinnig, wahnsinnig, oder weit überlegen sein. Und dann musste er auch noch den Verstärkungen entkommen, die zwangsläufig eintreffen mussten. „Ein bisschen viel für Wengs Schaluppen“, sagte er.
„Stimmt. Ani, ich habe vor, mich vollständig an den Befehl zu halten, den Admiral Noltze mir gegeben hat. Sorgen Sie dafür, dass die ColNavy ungestört landen kann, übergeben Sie Camp Alabaster und sehen Sie zu, dass keiner Ihrer Leute auf die Idee kommt, eine Straßenschießerei anzufangen. Die Truppentransporter, die Okamba mitführt, sind laut der Bewegunsvektoren beladen. Er kommt also mit einer ganzen Brigade an.“
„Eine Übermacht“, sagte Anatol. Er hatte wenig Lust, seine Leute bei einem Gefecht zu verheizen, in dem ihm ein gleich ausgerüsteter Gegner, der die Lufthoheit hatte und ihm eins zu zehn überlegen war, den Arsch aufriss. „Ich habe nicht vor, meine Leute in den Tod zu schicken.“ Er hatte auch nicht vor, auch nur einen seiner Leute, einige davon Fanatiker der schlimmsten Sorte, die es laut Oberkommando in der Flotte oder der Armee aber überhaupt nicht geben konnte, einen Privatkrieg anzetteln zu lassen.
„Richtig. Zu diesem Zweck räumen Sie Camp Alabaster vollständig. Ich will auch nicht einen Ihrer Leute auf dem Hafen sehen. Vor allem keinen dieser Idioten, die Sieg Hurra schreien und der Meinung sind, die Verräter der ColCon müssen bis aufs Blut gepeinigt werden.“
Anatol versteifte sich. Es hatte... Übergriffe gegeben, vor allem gegen Akarii und andere Fremdweltler der ColNavy. Die harmlosesten Fälle waren Spottreden über die unglaubliche Feigheit der Navy gewesen, schlimmere Fälle hatten mit Todesfällen auf beiden Seiten geendet. „Ich habe verstanden.“
„Das ist noch nicht alles. Ani, gehen Sie rein, übergeben Sie den Oberbefehl komplett an Benjamin, und dann, wenn er erfahren hat, dass seine Leute kommen, dann werben Sie.“
„Hamish?“, fragte der Lt. Colonel verdutzt.
„Werben Sie ColNavy-Personal an. Machen Sie den Leuten klar, das dies die letzte Gelegenheit ist, um sich für den Widerstand gegen das Kaiserreich zu entscheiden. Sagen Sie ihnen: Jetzt oder nie.“ Er schwieg für einen Moment. „Wir nehmen auch Akarii.“ Mehrere Hundert waren mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden, aber es waren noch etwa achttausend Fremdweltler im Camp gefangen.
„Tun wir das tatsächlich?“ Einerseits war das eine gute Nachricht. Etliche ColNavy-Offiziere akariischer Abstammung hatten trotz der Repressalien geradezu darauf gedrängt, angeworben werden zu können, ein unglaubliches Potential an ausgebildetem, in fünf Jahren Krieg gut geschulten Personals. Andererseits waren Akarii für die Republik noch immer gleichgesetzt mit dem Feind. Oder anders ausgedrückt, die Soldaten der weit größeren Republik waren im Schnitt nicht besonders helle und von der Grundtendenz rassistisch eingestellt. Die Kriegspropaganda der letzten Jahre hatte das nicht gerade korrigiert. Im Gegenteil. In den ersten Kriegsjahren war Akarii-Hass förderlich für die Kampfmoral gewesen. Und wie kriegte man das jetzt aus den Köpfen der Leute wieder raus?
„Ich kenne Ihre Bedenken, Ani. Aber Befehl ist Befehl. Machen Sie alles so, wie ich es sage, und sorgen Sie dafür, dass die Überläufer die Chance erhalten, sich notfalls in der Stadt zu verstecken. Okamba hat sehr wenig Zeit. Er wird sie nicht mit Gewalt suchen und gegen ihren Willen mitnehmen. Verstehen Sie?“
„Ja, ich verstehe, Hamish. Gibt es schon ein Zeitfenster für die Ankunft von Admiral Noltze? Soll ich die Einbootung behindern?“
Alexander schwieg für einen sehr langen Moment. „Hören Sie, Ani, ich werde froh sein, wenn Camp Alabaster leer ist. Wenn es das ist, dann braucht es keinen Oberwärter mehr, und auch keinen Gefängnisdirektor. Das bedeutet für uns beide neue Verwendungen. Für mich wird das ein dämlicher Schreibtisch sein, aber ich werde Sie stattdessen in den Himmel loben. Wenn ich Sie wäre, würde ich packen und verladen helfen.“
Anatol von Hitzelsberger schnaubte, und das hätte alles sein können, von Spott bis Zustimmung. „Ich habe verstanden.“
„Sie haben dreihundert Minuten plus minus acht, bis die ersten Lander runter gehen. Machen Sie was aus der Zeit.“
„Das werde ich, Hamish. Ich mache mich gleich an die Arbeit. Und, Hamish, ich bin mir sicher, es wird kein Schreibtisch für Sie.“
Alexander lachte schallend. „Stimmt. Es gibt ja immer noch den Vorruhestand und die unehrenhafte Entlassung. Ist aber vielleicht auch besser so.“
Der General schaltete ab, und von Hitzelsberger fühlte Ärger in sich aufsteigen. Alexander war ein guter Mann aus einer Soldatenfamilie mit uralter Tradition. Admiral Alexander war eine Cousine Dritten Grades, die es im Frieden zum Volladmiral geschafft hatte. Sie hatte danach sehr viel Pech gehabt, und dieses Pech schien auf alle Alexander abzufärben. Verdammt.
„Jodie, meinen Wagen.“
„Ja, Sir.“
***
Keine fünf Minuten später stand er vor dem Lagerkommandanten. Genauer gesagt vor dem ranghöchsten inhaftierten ColNavy-Offizier, der der Form halber das Lager führte und das Oberkommando. Von Hitzelsberger sah auf seine Uhr. Dreihundert Minuten oder auch fünf Stunden. Und es gab viel vorzubereiten.
Benjamin Yukono empfing seinen Oberaufseher an der Tür seines Büros, schüttelte ihm die Hand und bot ihm dann einen Sitzplatz an. „Anatol, es freut mich, Sie zu sehen. Was bringt Sie zu mir? Kaffee? Wir haben Rotkreuzpakete aus der Heimat erhalten, und ich kann Ihnen eine Londoner Sorte anbieten.“
„Danke, Sir, aber es gibt Wichtigeres, als Kaffee zu trinken.“
Der Kolonialterraner hob eine Augenbraue. „Und zwar?“
„Ich bitte Sie mit Nachdruck darum, Ihre Leute antreten zu lassen und ihnen mitzuteilen, dass, wenn sie gewillt sind, den Krieg gegen das Kaiserreich fortzusetzen, genau jetzt ihre letzte Chance gekommen ist.“
„Und das ist, weil...?“
„Weil Admiral Okamba in genau diesem Moment mit einer Trägergruppe und Begleitflotte sowie Evakuierungsschiffen auf dem Weg nach Vallis Chroma ist.“ Anatol bemerkte sehr wohl, wie dem Mann der Schweiß ausbrach und wie sein Gesicht rot wurde. Vor Aufregung. Aber noch beherrschte er sich.
„Da die Flotte unseren Wacheinheiten weit überlegen ist, hat General Alexander entschieden, Okamba die Evakuierung gewähren zu lassen, solange unsere Schiffe und Fort Kinsley nicht angetastet werden. Des weiteren informiere ich Sie darüber, dass, um die Evakuierung nicht zu behindern, ich meine Leute aus dem Camp und vom Raumhafen abziehen werde. Wir werden Sie nicht behindern, aber wir werden Ihnen auch nicht helfen. Im Gegenteil, ich werde die fanatischeren meiner Leute im Zaum halten, so gut ich kann.“
„Wann?“, brach es aus dem Admiral hervor.
„Ungefähr dreihundert Minuten.“
„Wie viel Zeit?“
„Ich bin ehrlich mit Ihnen. Eine derart große Flotte der ColNavy kann weder unbemerkt von uns zusammengezogen werden, noch sich unbemerkt durch republikanischen Raum bewegen. Entsatzeinheiten werden auf dem Weg sein, aber das ist ebenso wenig meine Sache wie Ihre Einschiffung, Sir.“
„Ja. Ja, ist schon klar. Ich...“
„Sir, ich übergebe Ihnen hiermit das Kommando über Camp Alabaster. Machen Sie das Beste draus, und... Vergessen Sie nicht, dass dies tatsächlich die letzte Chance ist, in der Republik zu bleiben. Übrigens werben wir ab sofort auch Akarii an. Und, das möchte ich betonen, der Generalgouverneur hat ja eine Generalamnestie für alle Navy-Leute ausgesprochen, die aus dem Krieg in die Konföderation heimkehren. Sagen Sie das Ihren Leuten.“
„Ja. Ja...“ Der Vice Admiral saß da wie vom Donner gerührt, während sich sein Gesicht immer weiter rötete.
Von Hitzelsberger reichte ihm die Hand. „Ich war immer der Meinung, dass Sie hier zu Unrecht festgehalten werden, aber ich hatte meine Befehle. Ich wünsche Ihnen und Ihren Leuten viel Glück.“
Yukono sah ihn an, ergriff die Hand aber nicht. „Ich denke, das wird... Das ist nicht notwendig. Ich werde hierbleiben.“
„Sie schließen sich der Republik an?“
„Nein, Anatol, ich werde nur hierbleiben.“
Irritiert sah der Lt. Colonel den Admiral an. „Sir?“
„Ich kann nicht in der Republik dienen. Ich kann aber auch nicht zurückkehren. Durch meine Entscheidung fing der ganze Mist überhaupt erst an.“
„Das mag ja sein, aber wenn Sie weder das eine noch das andere tun und mit Ihrem Arsch im Camp Alabaster bleiben, meinen Sie, das nützt überhaupt jemandem, geschweige denn Ihnen?“ Von Hitzelsberger sah auf seine Uhr. „Sie haben zweihundertneunzig Minuten. Wenn Sie hier bleiben, gehe ich davon aus, dass Sie desertieren, um in der Navy zu dienen, und ich werde Sie an Admiral Noltzes Stab überstellen. Wenn Sie gehen, gehe ich davon aus, dass Sie dabei helfen werden, die Colonial Navy wieder aufzubauen, und dafür wünsche ich Ihnen viel Glück. Was Sie auf keinen Fall tun werden, Sir, ist hier einen auf ruhigen Lenz zu machen.“
„Das kann ich nicht.“
„Die beste Form der Buße ist es, fortan etwas besser zu machen.“ Anatol zog seine Hand ein und wandte sich ab. Im Gehen setzte er seine Schirmmütze auf. „Vergessen Sie nicht, dass Sie da draußen achtunddreißigtausend Soldaten haben, die sich sehr schnell entscheiden müssen. Nachdenken und sich entscheiden können Sie auch, während Sie Ihre Pflicht tun, Admiral.“
Die Tür schloss sich hinter dem Armee-Offizier, und Yukono sah ihm wie stumm nach. Dann lachte er leise. Vergoss ein paar Tränen. Ja, er hatte nicht das Recht dazu, sich selbst zu bestrafen oder gar nichts mehr zu tun. Er griff nach seiner Mütze und verließ sein Büro. „Yessup“, sagte er zu seinem Adjutanten, der auf der CRS ALTANI als CAG gedient hatte, „unsere Leute kommen uns holen. Lassen Sie alle antreten. Ich muss sie vor eine Wahl stellen.“
„Unsere Leute? Was?“
„Okamba mit einer Trägerflotte. Beeilen Sie sich.“
„Ja, Sir!“ Eilig griff er zum nächsten Kommunikationsgerät und befahl eine Durchsage über die Lautsprecheranlage.
***
An Bord der CVL Pegasus,
Flaggschiff der Eingreiftruppe Badger.
Lourdes-System,
Gebiet der Republik

„Ma'am, gerade kam der Notruf an alle verbündeten Einheiten rein“, meldete Rear Admiral Kilian Scotland, genannt Scotty. „General Alexander funkt alle Schiffsdaten, die er über die Angriffseinheit hat, mit voller Sendeleistung per Lichtspruch durch die halbe Galaxis.“
Admiral Meike Noltze ließ sich zu einem erfreuten Schnauben in ihren Kaffee verleiten. Dem fünften an diesem Tag, und das, obwohl sie in Erwartung eines langen Gefechtstages erst vor kurzem aufgestanden war. „Hält er sich an meinen Befehl?“
„Ja, Ma'am, er hat volle Kooperation angeboten und seine unbeschädigten Wachschiffe sicherheitshalber zum Wurmloch geschickt.“ Er stutzte. „Ein oder zwei der Kapitäne sind Hitzköpfe, die auf diesem Posten etwas abkühlen sollen. Es wäre denkbar gewesen, dass sie heimlich Minen auslegen würden, oder, in einer günstigen Schussposition auf die Träger oder die Transporter gefeuert hätten, auch wenn das ihr Ende bedeutet hätte. Und das ihrer Besatzungen.“
„Alexander ist ein umsichtiger Mann. Wie sieht es auf Vallis Chroma aus?“
„Die Armee hat das Lager aufgegeben, ebenso den Raumhafen. Sie sichert das Umland, behindert aber nicht die Arbeiten.“
„Wer hat da unten die Führung?“
„Stitch, Ma'am.“ Er zögert einen Moment. „Der zweite Sohn von Senator von Hitzelsberger, Anatol, Lt. Colonel in der Armee. Guter Mann, schnell aufgestiegen, aber wenig Verwaltungserfahrung. Darum Camp Alabaster.“
„Scheint so, dass ein besonnener Mann mit Fronterfahrung genau jetzt im Camp Alabaster nützlich ist. Zeitfenster für Okamba?“
„Etwas unter fünf Stunden, bis er die ersten Landungsshuttles aussenden kann.“
„Unsere GAZ?“
„Wir erreichen das System über das Lourdes-Shifang-Wurmloch in etwa fünfeinhalb Stunden. Weitere neun brauchen wir, um theoretisch Vallis Chroma zu erreichen. Die Frage ist, was Okamba tun wird. Mit einem schnellen Run kann er uns entkommen, wenn er Leute und Material zurücklässt. Er kann die Evakuierung auch komplett ausführen und dann unseren Verband stellen und seinen Transportern damit die Flucht ermöglichen. Meine Abteilung ist sich aber sicher, dass wir mitten in die Aktion reinplatzen werden. Das ist so sicher wie das wöchentliche Flöten der Tokyo Rose.“
Noltze spielte mit ihrer Tasse. Sie war leer. Schon wieder. „Es widerstrebt mir, gegen die Navy zu kämpfen, Scotty.“
„Ich müsste lügen, würde ich sagen, ich könnte das nicht nachvollziehen, Admiral.“
„Aber ich habe eine Pflicht zu erfüllen. Melden Sie Frost unsere Situation, die voraussichtliche Lage und fordern Sie explizite Befehle an. Und ich will diese Befehle, bevor wir nach Shifang springen!“ Ihre Stimme klang ruhig und fest, auch wenn es ausschaute, als würde sie die ganze Verantwortung auf das Oberkommando abwälzen. In Wirklichkeit, da war sich Scotty sicher, lotete die energische kleine Frau lediglich die Grenzen ihrer Möglichkeiten aus. Das aber gründlich.
„Aye, Ma'am. Und wenn wir keine spezifischen Befehle bekommen?“
Noltze füllte ihre Kaffeetasse nach. „Scotty. Ich habe vier Sterne auf der Schulter. Was denken Sie, werde ich tun, wenn ich keine Befehle erhalte, die sich konkret mit meiner Situation beschäftigen?“
„Sie werden sich an die alten Befehle halten und gemäß der Situation improvisieren.“
„Richtig. Signal an die Flotte: Wir gehen als Flotte durch das Wurmloch.“
„Ma'am?“
„Ich könnte meine leichten Einheiten detachieren, aber damit würde ich einerseits das Überraschungsmoment verlieren und das Wild aufscheuchen, andererseits wären die Fregatten nur besseres Kanonenfutter. Und das Überraschungsmoment werde ich haben, solange wir beide Seiten des Shifang-Lourdes-Wurmlochs kontrollieren. Das tun wir doch, Scotty?“
„Ja, Ma'am, das tun wir.“
„Na, dann ist ja alles gut.“

__________________
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16.02.2017 21:57 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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An Bord der Columbia
Sterntor-System

Unmittelbar nach dem etwas hitzigen gemeinsamen Debriefing nach der gemeinsamen Übung mit den Butcher Bears fand sich 2nd Lieutenant Josiah „Sonnyboy“ Scott alleine an einem der Tische des Besprechungsraumes mit seinem neuen Wingleader Stuntman wieder. Der ältere Pilot fixierte ihn mit einem grantigen Gesicht. Sonnyboy tat das, was er in diesen Situationen am besten konnte: Er lächelte.
„Hab ich einen geheimen Witz nicht mitbekommen? Oder lächelst du über mich?“
„Nein, Sir. Ich lächle nicht über Sie… Ich lächle einfach nur so, ist so eine Angewohnheit von mir.“
„Wie oft soll ich das noch sagen: Du mußt mich nicht siezen und nenn mich nicht Sir. Und wenn das vorhin der Ernstfall gewesen wäre, dann hättest du jetzt nichts mehr zu Grinsen.“
Sonnyboy lächelte weiter. „Ich weiß, Sir. Sie aber auch nicht.“
Stuntmans Augen verengten sich zu Schlitzen. „Auch noch frech werden?“
Der junge Pilot musste auflachen und normalerweise war das ansteckend. „Nein, Sir. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Red Spirits heute fast alle vor die Hunde gegangen wären. Aber das ist kein Grund sich gegenseitig so an die Gurgel zu gehen.“
„Ach nicht?“
„Nein, Sir. Ich denke einige meiner Kameraden nehmen diesen Konkurrenzkampf ein wenig zu Ernst.“
„Das heißt du bist eher der Meinung, wir sollten das alles nicht so eng sehen und uns alle an den Händen nehmen und alles wird gut?“
„Nein, Sir. So meine ich das auch nicht. Natürlich müssen wir unser Bestes geben und aus dieser Übung und unseren Fehlern lernen. Aber das kann man auch tun, ohne sich gegenseitig anzugiften.“ Sonnyboy blickte rüber zu Kid, der immer noch eine vor Ärger hochrote Birne hatte.
„Hör mit diesem verdammten Sir auf! Ich fange an mich alt zu fühlen.“
Josiah entgegnete darauf lieber nichts, sondern lächelte weiter vor sich hin. „Tut mir Leid, Sir ähh Stuntman. Macht der Gewohnheit.“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Sie ähh… Du scheinen ähh… scheinst das Ganze auch nicht so wild zu sehen.“
Stuntman blinzelte irritiert. „Was?“
„Naja, trotz Abschuss und Konkurrenzkampf scheinst du recht ruhig zu sein, fast schon abgeklärt.“
„Bist du ein Psychiater oder sowas?“
„Nein, Sir. Man sagt mir nur nach eine recht gute Menschenkenntnis mitzubringen. Ich kann in der Regel die Gemütslage meiner Kameraden besser einschätzen als andere.“
„Ach ja? Und wie ist meine Gemütslage?“
Sonnyboy überlegte kurz, ob er es wirklich wagen sollte und wirklich mit Stuntman dieses Gespräch führen sollte. Aber er spürte, dass jetzt ein guter Zeitpunkt gekommen war. Bislang hatte er sich noch keinem seiner Vorgesetzten wirklich öffnen können. Mantis war irgendwie „kalt“ gewesen, an Cowboy traute er sich nicht ran und Kali kannte er noch nicht gut genug. Titan, Too-Tall und Stuntman waren die nächsten in der Befehlskette und jetzt war vielleicht endlich die Gelegenheit gekommen seine besondere Fähigkeit zu demonstrieren. Er hoffte, dass er sich nicht komplett lächerlich machte, beschloss dann aber, dass er es darauf ankommen lassen würde. Also lächelte er immer noch, wenn auch etwas ernster als er fragte ob er die Erlaubnis hatte frei reden zu können.
„Erlaubnis erteilt.“
„Sie sind gereizt, genervt und im Moment nicht ganz bei der Sache.“ Stuntmans Augen verengten sich zu Schitzen, doch Josiah fuhr fort. „Vordergründig tun Sie so, als ob sie das hier alles nicht so sehr interessiert, aber in Wahrheit brodelt es in Ihnen. Sie zeigen uns allen ihren harten Kern, aber ich spüre förmlich, dass Sie in ihrem Inneren etwas mit sich schleppen. Etwas das sie belastet und dass sie am liebsten laut hinausschreien würden. Etwas wo nach sie sich seit langer Zeit sehnen.“
„Und was soll das sein?“
Josiah überlegte kurz und für einen kurzen, flüchtigen Augenblick war sein Lächeln verschwunden. Er betrachtete diesen griesgrämigen, häufig schlecht gelaunten, verschlossenen und für viele unsympathisch wirkenden Piloten. Und dann erkannte er es. Er konnte nicht sagen, wie und woher er es wusste oder woher er es ahnte. Aber er wusste es einfach und es war so als ob er in der Aura des älteren Haudegens lesen konnte. „Respekt!“
„Wie bitte!?“
„Respekt, Anerkennung, Bestätigung, Achtung. Das ist wonach sie sich sehnen… Sir.“
Stuntman blickte ihn aus dunklen Augen an und Sonnyboy befürchtete, dass er vielleicht zu weit gegangen war. Und er merkte, dass sein Lächeln schwächer wurde. Er war nur ein mittelmäßiger Pilot und konnte von Glück sagen, dass er noch am Leben war. Seitdem er an Bord war, hatte er das Bedürfnis gehabt jedem zu zeigen, worin er wirklich gut war.
Er hatte seinen Kameraden Cabbie, Kid und Dog die Sorgen vor den Schlachten genommen. Er hatte sie immer und immer wieder moralisch aufgerichtet. Er hatte Kid geholfen, seine Wut zu kanalisieren. Er hatte Tulip getröstet als dieser Petal verloren hatte. Er hatte Artist Mut zu gesprochen, als diese kurz vor dem Nervenzusammenbruch stand. Doch bis dahin hatte er es sich noch nicht getraut seine Fähigkeiten bei seinen Vorgesetzten einzubringen. Und jetzt in diesem Augenblick fragte er sich, was ihn geritten das ausgerechnet jetzt und ausgerechnet bei Donovan Cartmell zu tun.
Stuntman schwieg und blickte ihn weiter an. Doch die Schärfe wich aus seinem Blick und Sonnyboy spürte, wie der ältere Pilot nachdachte.
„Woher weißt du… Wer hat…“
Er schüttelte den Kopf. „Niemand hat mir irgendetwas gesagt, Sir! Wie ich schon sagte, ich bin ganz gut in diesen Dingen. Ich weiß auch nicht wieso.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun um mehr Respekt und Anerkennung zu bekommen?“
„Sir, ich kann ihnen sagen, wie sie sich fühlen. Manchmal sogar besser als sie selbst. Aber ich kann ihnen nicht sagen, was sie tun sollen. Aber vielleicht wäre es ein Anfang, wenn sie ihr Können und ihr Wissen etwas mehr mit uns Jungspunden teilen würden?“
Stuntman blickte ihn immer noch düster an, doch mit einem Mal lachte er auf und beugte sich vor. „In Ordnung, Jungchen. Aber nur unter einer Bedingung!“
„Und die wäre, Sir?“
„Nur wenn du endlich aufhörst mich Sir zu nennen, verdammt noch eins.“ Und damit reichte er ihm die Hand und Sonnyboy griff lächelnd zu.

***

Marines Ausbildungskaserne Fort Kendrick, In der Nähe von Neu Kapstadt,
Seafort, Sterntor, FRT

Der Mannschaftswagen rumpelte über eine unasphaltierte Straße in Richtung der Marines Ausbildungskaserne Fort Kendrick, eine lange Staubfahne hinter sich herziehend. An Bord saßen jeweils knapp 15 Unteroffiziere verschiedenster Ränge, Herkunft, Hautfarbe und Alter an beiden Außenseiten des LKW, alle in ihren Arbeitsuniformen und mit ihren Seesäcken zu ihren Füßen.
Sergeant Jean Davis musterte ihre knapp 30 zukünftigen Ausbildungskameraden und musste unwillkürlich schlucken. Ihr fiel auf, dass sie mit Abstand eine der jüngsten, unerfahrensten, rangniedrigsten und körperlich unterlegensten an Bord dieses Mannschaftswagens war. Und wenn das ebenso für die drei weiteren LKW galt, die diesen Konvoi formten und den Rest ihrer Ausbildungskompanie darstellten, dann fragte sie sich doch, was sie hier überhaupt machte.
Ihr Magen rumorte schon seit geraumer Zeit, sie schwitzte trotz der für Seafort eher milden Temperaturen wie ein Schwein und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Die beiden Sergeants zu ihrer Linken und Rechten waren zum Glück auch nicht auf ein Pläuschchen aus, denn Jean war sich nicht sicher, ob sie überhaupt etwas anderes als ein Krächzen hätte hervorbringen können. Somit blieb sie aber von belanglosem Small-Talk verschont.
Kurze Zeit später wurde der Lastwagen langsamer, passierte die Umzäunung des Ausbildungslagers und kam ruckelnd vor einem der größeren Baracken zum Stehen. Der Ausstieg verlief wie zu erwarten militärisch zackig und reibungslos, beobachtet durch eine Reihe Offiziere und Unteroffiziere die ihnen den Weg zu einem Konferenzraum wiesen, der genug Platz für alle angehenden Absolventen bot.
Beim Eintreten wurde ihnen gesagt, dass die Sitzplätze alphabetisch sortiert nach ihrem Nachnamen belegt waren, so dass Jean als eine Davis relativ weit links vorne Platz nehmen konnte. Auch jetzt nutzte Jean die Gelegenheit sich umzuschauen und fand ihre ursprüngliche Einschätzung bestätigt. Wenn man die anderen Unteroffiziere als Kampfhunde bezeichnen würde, dann wäre sie höchstens ein Grasdackel.
An ihrem Nebenplatz kam gerade ein kräftiger First Sergeant an und reichte ihr ohne zu zögern seine Pranke. „Hi, Jon Krister Daggermark.“ Ein dicker skandinavischer Akzent und seine für Marines untypischen schulterlangen und rotblonden Haare und ein ebenso dicker strubbeliger Vollbart ließen Jean augenblicklich an einen Wikinger denken.
Sie schlug fest ein und verzog keine Miene trotz seines Schraubstockgriffes. „Jean Davis.“
„Schön dich kennenzulernen, Jean.“ Seine Stimme war tief und strömte automatisch einen beruhigenden Basston aus. „136. Marinesregiment! Aus welcher Einheit kommst du?“
„Bordkontingent Columbia.“
Jon Krister pfiff annerkennend durch die Zähne. „Oha. Nicht schlecht. Warst du bei Hellmountain dabei?“ Jean Davis nickte, aber ihr war nicht danach zumute zu diesem Zeitpunkt mehr davon preiszugeben, noch nicht. Und Jon Krister schien es das auch zu respektieren, was ihn in Jean´s Augen direkt sehr sympathisch erscheinen ließ. „Und du, das 136. war auf Beta Borealis oder?“
„Aye, unter anderem…“ Doch bevor er weiter ausholen konnte erschallte ein lautes „AAACHTUNG“ durch den Raum, als Signal das der Befehlshabende Kommandant den Raum betrat.
Jean Davis nahm wie alle anderen sofort stramm Haltung an.

Den Raum betraten ein Colonel und ein Lt. Colonel, ein knappes Dutzend weiterer Offiziere und ebenso viele Unteroffiziere.
Der große, muskelbepackte, kahlköpfige, tiefschwarze Colonol bezog mit verschränkten Armen etwas weiter hinten Stellung, während zu Jean´s leichter Überraschung der etwas kleinere asiatische Lt. Colonel vor das Rednerpult trat.
„Ladies and Gentlemen, Herzlich willkommen auf Fort Kendrick. Mein Name ist Lt. Colonel Hue Xha Bao und ich werde in den nächsten 6 Monaten ihr Kommandant sein.“
Der Name kam ihr vage bekannt vor, sie wußte nur nicht mehr in welchem Zusammenhang und Jean Davis blickte ihren obersten Ausbilder genau an. Er war nicht sonderlich groß und hatte ein asiatisches Allerweltsgesicht. Seine Arbeitsuniform war schlicht und bis auf seinen Rang und sein Namensschild neutral gehalten – keine Kampagnenspangen, keine Orden, gar nichts. Entweder hatte er also nichts vorzuweisen – was ungewöhnlich gewesen wäre oder er zog es vor nicht mit seinen Erfolgen zu prahlen. Oder es bedeutete, dass es hier so Usus war, denn sie bemerkte auch bei den übrigen Offizieren und Unteroffizieren dasselbe Prinzip.
„Rühren bitte. Nehmen sie Platz.“
Während sich die knapp 120 Männer und Frauen setzten, wartete Lt. Colonel Hue ruhig und ließ seinen Blick schweifen, bis sich die Geräuschkulisse auf ein Minimum reduziert hatte. Trotz seiner kleineren Statur strömte ihr Kommandant eine Aura der Autorität aus und sein Charisma war förmlich spürbar.
Die Stille im Raum war zum Greifen nahe und durch die geöffneten Fenster war das zirpen der Grillen zu hören. Wunderbare 25 Grad bei klarem Sonnenschein herrschten draußen und unwillkürlich mußte Jean Davis an unbeschwertere Tage der Vergangenheit denken. Vor allem ihr viel zu kurzer Aufenthalt in Neu-Kapstadt mit Donovan fiel ihr ein, wie er auf sie gewartet hatte in diesem unsäglichen Hawaii-Hemd und diesem schiefen Grinsen. Ihr Magen knotete sich zusammen bei dem Gedanken an diesen liebenswerten Idioten und sie musste sich buchstäblich schütteln um sich auf die nächsten Worte von Lt.Col. Hue zu konzentrieren.
„Willkommen auf dem Offiziersausbildungslehrgang für Unteroffiziere. Wie sie vielleicht wissen, bin ich ebenfalls neu hier und habe diesen Posten vor knapp einem Monat angetreten. Colonel Nkono Maputo hier ist unser Lagerkommandant und wird mir dabei helfen, dass sie die beste Ausbildung ihres Lebens erhalten werden.“ Col. Maputo blickte regungslos mit eisigem Blick in die Runde, so als ob er die Worte von Lt.Col Hue Lügen strafen wollte.
„Seien sie versichert, dass wir hier eine Reihe der erfahrensten und klügsten Köpfe haben, die ihre Ausbildung begleiten werden.“ Ihr Kommandant zeigte kurz hinüber zu der versammelten Gruppe an Ausbildern. Jean Davis zählte 16 Offiziere und ebenso viele Unteroffiziere, die alle an der Seite des Raumes standen und warteten.
„Wir werden sie im Anschluß an meine kleine Begrüßung in 8 Gruppen a je 15 einteilen und ihrer Gruppe werden je zwei erfahrene Offiziere und Unteroffiziere zugeteilt werden. Die Einzelheiten dazu finden sie in den Umschlägen an ihrem Platz“
Lt. Colonel Hue blickte wieder ernst in die Runde.
„Bevor wir also mit der Ausbildung beginnen, lassen sie mich noch ein paar klare Worte sagen: Das hier wird kein Spaziergang, kein Selbstläufer. Sie werden hart arbeiten, sehr hart, so hart wie vielleicht noch nie in ihrem Leben. Sie werden in knapp 6 Monaten das lernen, was ein Offizier der TSN in knapp 3 Jahren lernt. Sie werden auf Land, auf dem Meer, in der Luft und im All operieren. Sie werden einzeln und in der Gruppe arbeiten. Sie werden Männer und Frauen in die Schlacht führen, jeden einzelnen Tag. Sie werden den schmalen Grat zwischen Führung und Gehorsam erlernen. Und wir werden jeden Tag aufs Neue ihre Stärken, ihre Schwächen und ihre Grenzen ausloten.“
Lt. Colonel Hue Xha Bao blickte die sauber vor ihm aufgestellten Unteroffiziere eindringlich an. „Sie alle gehören zu den besten Unteroffizieren, die die Marines hervorgebracht haben. Sie sind die Besten der Besten und jeder von Ihnen hat das Potenzial gezeigt weitere Führungsverantwortung zu übernehmen. Aber nicht jeder hat am Ende das Zeug dazu ein Offizier zu werden, nicht jeder von Ihnen wird sich diesen Traum erfüllen können.“ Hue ließ diese unverhohlene Drohung einen Moment im Raum stehen. „Aber das bedeutet nicht, dass sie dann gescheitert wären. Wir sind im Krieg und wir brauchen jeden fähigen Mann und jede fähige Frau und die Marines werden in dem Falle ihres Auscheidens aus diesem Programm dafür Sorge tragen, dass sie innerhalb der Mannschaftsränge Karriere machen können. Seien sie sich dessen bitte sicher!“
Jean musste schlucken und fragte sich instinktiv, wie hoch wohl die Quote derer war, die dieses Programm nicht erfolgreich absolvieren würden. Und sie hoffte natürlich, dass sie nicht zu dieser Gruppe gehören würde.

„Und nun lassen sie uns mit der Ausbildung beginnen. Sergeant Major Hankock?“
„Aye, Sir!“ Der kantige, wuchtige Sergeant Major, der schräg hinter Col. Hue gestanden hatte, schritt vor und bellte ein paar Befehle. Und ehe sie es sich alle versahen, hatten sie die vor ihnen liegenden dicken Umschläge geöffnet.
Jean Davis entnahm den Unterlagen, dass sie ab jetzt zu Team Neptun gehören würde. Jon Krister neben ihr grinste, da er offensichtlich zur selben Gruppe gehören würde.
Jetzt hielten acht der Unteroffiziere Schilder mit den jeweiligen Team Namen hoch und wiesen alle Anwesenden an, sich bei ihren jeweiligen Teams einzufinden.
Jean and Jon Krister folgtem dem Schildhalter von Team Neptun, der aus dem Auditorium in die Sonne Seaforts schritt. Als er sich vergewissert hatte, dass alle 15 Anwärter und seine Ausbilderkollegen eingetroffen waren, schritt er wortlos weiter in Richtung eines nahegelegenen dreistöckigen Kasernengebäudes. Alle Teams gingen in dieses Gebäude, doch wurden sie offenbar in getrennten Mannschaftzimmern untergebracht. In Jean´s Ausbildungseinheit waren neun männliche und sechs weibliche Aspiranten, doch das Mannschaftszimmer hatte keine Geschlechteraufteilung sondern nur acht Zweierhochbetten. Bei den Marines war Geschlechtertrennung keine große Sache und daher schnappten sich alle Anwärter kommentarlos eine freie Koje. Daggermark nahm sich das untere Bett und Jean warf ihren Seesack ohne zu zögern auf das obere Bett. Kaum hatten sie alle ihre Betten ausgesucht, da erschallte schon der Ruf Haltung anzunehmen.

Der ranghöchste Offizier ihres Ausbildungssquad war ein erfahrener First Lieutenant, der sich als Mitch McKenna vorstellte. Er stellte sowohl seine indisch-stämmige Stellvertreterin 2nd Lieutenant Parminda Brahnamurti vor als auch die beiden unterstützenden Sergeants Martina Esposito und Karl Bickham.
McKenna wiederholte im Kern, was Lt. Colonel Hue bereits erwähnt hatte während Jean Davis und die anderen Offiziersanwärter stramm an ihren Betten standen. Dann schritt McKenna die Reihe der Offiziersanwärter einzeln ab. Als er bei Jean ankam, blieb er stehen und musterte sie unverhohlen. Eine Furche bildete sich auf seiner Stirn, als er die Augen zusammenkniff. „Sergeant Jean Davis?“
„Sir, Aye, Sir!“
„Sie sind nicht zufällig verwandt mit einem First Lt. Clifford „Ace“ Davis?“
„Lieutenant Commander Davis ist mein Bruder, Sir!“
„Lieutenant Commander? So so…“ McKenna lächelte, doch Jean bemerkte, dass das Lächeln nicht seine Augen erreichte, im Gegenteil. Etwas an seinem Blick war verwirrend und furchteinflößend. Der Blick des First Lt. wanderte für ein paar Augenblicke in die Ferne, so als ob er sich an längst vergangene Zeiten erinnern würde.
„Kennen sie meinen Bruder, Sir?“
„Wie war das?“ Der Blick des Lieutenant wurde steinhart. „Habe ich etwa Erlaubnis zum Sprechen erteilt? RUNTER UND ZWAR SOFORT!!! Ich will 50 Liegestütze sehen und zwar zackig.“ Jean lief hochrot an und sie hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt für diesen Anfängerfehler. Aber einen zweiten Fehler würde sich nicht machen und ging sofort an die Arbeit. Und zum Glück war sie Top in Form, so dass 50 Liegestütze kein allzu großes Problem für sie darstellten. Als sie fertig war, nahm sie wieder Haltung an nur um zu erkennen, dass McKenna inzwischen weitergegangen war und nun der weibliche Sergeant vor ihr stand. „Und haben sie noch weitere Fragen?“
„Ma´am, Nein, Ma´am!“
Sergeant Esposito blickte sie nur eiskalt und herausfordernd, ging dann ber zu McKenna und den anderen Ausbildern, die nun an der Tür Stellung genommen hatten.
„In 15 Minuten sind ihre Klammotten vorschriftsgemäß eingeräumt und sie alle unten in ihrer leichten Einsatzmontur, verstanden?“
„Sir, Ja, Sir!“ erschallte es aus allen Kehlen und kurz darauf wurde hektisch eingeräumt und umgezogen.
Daggermark warf ihr einen fragenden Blick zu. „Was war denn das? Kennst du den etwa?“
Jean zuckte mit den Schultern. „Nicht das ich wüsste. Aber er scheint irgendwas mit meinem Bruder zu tun gehabt zu haben.“ Jean würde wohl warten müssen, bis sie vielleicht zu anderer Zeit dieses Geheimnis lüften konnte.
Jetzt ging es erstmal daran, schnell die Sachen wegzuräumen, sich umzuziehen und vor dem Kasernengebäude Aufstellung zu nehmen. Als sie dann unten ankamen, wurden ihnen 40-Kilo-Rucksäcke in die Hand gedrückt und ihre Ausblidung begann mit einem klassischen 20 Kilometerlauf.
Knapp 3 Stunden später, als sie keuchend und schwitzend wieder ankamen wurden ihnen sofort Waffen am Schießstand ausgehändigt und ihre Ergebnisse aufgenommen. Wieder zwei Stunden später kam eine Runde durch den Hindernisparcour, dann kurz was essen und wieder eine Übung. Dann durften sie kurz duschen und es gab eine vierstündige Klassenzimmerstunde mit der Androhung eines Tests über dieses Thema am nächsten Morgen. Insgesamt 20 Stunden waren sie dann auf den Beinen als endlich Zapfenstreich war und sie alle todmüde in ihren Betten lagen. Der Schlaf kam zum Glück sofort, doch hielt er nicht lange an, denn nur knapp vier Stunden später um 0500 ging schon wieder das Licht an und sie wurden schon wieder aus den Betten gehetzt.
Jean Davis begann zu begreifen, wie ihr Leben von nun an wohl aussehen würde. Ein Teil von ihr ächzte jetzt schon unter dieser Vorstellung. Doch ein anderer Teil fühlte sich angestachtelt bei dem Gedanken diese Tortur auszuhalten und zu zeigen, wie zäh und hart im Nehmen sie war.
Sie hoffte nur, dass sie das auch sechs Monate würde aushalten können.

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"

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Der unförmige Klotz, auf den sie zuhielten, hatte einen Durchmesser von fast einem Kilometer. Dabei war er nicht einmal annähernd rund zu nennen. Auch nicht quadratisch, eckig, oder sonst irgendetwas, was man als geometrische Form bezeichnen mochte. Die beste geometrische Bezeichnung mochte „abenteuerlich“ sein. Oder „Kartoffel, deformiert“. Wie dem auch sei, der Anblick hatte was. Und während die ORANJE FOREVER diesem Gebilde näher und näher kam, verstärkte sich der Eindruck noch. Vor allem, weil sich in diesem Moment Godeka-IV, die grüne Zwergsonne, anschickte, um den Planetoiden zu wandern, auf dem dieses Gebilde stand, und damit einen Strom aus schwachem Licht aussandte, der auf den großen, dicken Eispanzer traf. Und reflektiert wurde. Prismeneffekte beleuchteten jene Teile des Umlands, die vom neuen „Tag“ noch nicht erfasst worden waren. Doch, doch, das sah ganz schön aus. Wenn es da unten auch nicht viel gab, so hatten die Menschen, die hier lebten, zumindest das.

„Woooooow“, klang die Stimme von Stepan Zorik auf, der wie Truman Davis in der Beobachtungslounge der ORANJE FOREVER stand, „das sieht ja krasssss aus!“ Erstaunt sah er Truman an. „Und da unten leben tatsächlich Menschen? Ich meine, die sind da eingefroren!“
Milos Esterhazy, der Sicherheitschef der Davis Spacefreight Corporation, erlaubte sich eine seine seltenen emotionalen Reaktionen, er schnaubte leise. Das kam beim ehemaligen Colonel einem spöttischen Gelächter am Nächsten. Sein Blick, der zu Truman wanderte, sagte eindeutig und wieder mal: Dumme Idee, ihn mitzunehmen.
Truman hätte dazu genickt. Hätte er so etwas wie eine Wahl gehabt, dann wäre der Planetengeborene, der vom Leben hier draußen so viel Ahnung hatte wie eine Henne vom Eierkochen, sicher nicht mit von der Partie. Dann wäre das kleine DSC-Einsatzkommando, das mit dem umgerüsteten und schwer bewaffneten Cougar aufgebrochen war, noch immer unter sich gewesen. Aber er hatte die Agyris-Versicherungsgruppe über seinen Plan informieren müssen, um sich und DSC nicht irgendwann einmal eine Anklage wegen Hehlerei einzufangen. Und er hatte auf die Forderung seiner Geschäftspartner eingehen müssen, einen zivilen Inspektor mitzunehmen, der eben genau das bestätigen oder widerlegen sollte. Etwas schwierig, denn so oder so würde Truman Davis mit Diebesgut handeln. Genauer gesagt mit jedem Milligramm von zweitausend Kilo Industriediamanten, die vor drei Wochen von der EMERALD JADE aufgegeben worden waren, damit Jayhawker und ihre Crew ihre Haut hatten retten können. Truman hielt absolut nichts von falsch verstandenem Heldenmut, und er war auch nicht der Meinung, dass Menschen für Materialien sterben müssen sollten. Zudem war die JADE und ihre Kapitänin mit dem Black Buccaneer konfrontiert worden. Vielmehr seinem Nachfolger, denn eine gemeinsame Analyse von Lieutenant Cartmell und Colonel Esterhazy hatte zwei Fakten ergeben: Der Pilot des Jägers, der sich selbst Black Buccaneer nannte, war eben NICHT der Black Buccaneer, der Donovan Cartmell einst als Geisel gehalten hatte. Aber sein Flugverhalten war ähnlich genug. Der Verdacht, den Cartmell unter Vorbehalt, unter sehr viel Vorbehalt geäußert hatte, wies daraufhin, dass eventuell die Tochter des echten Buccaneers am Steuerknüppel saß. Aber von Rechts wegen musste diese Frau tot sein. Weshalb sich Cartmell dazu hatte hinreißen lassen zu sagen, es „könnte auch ein anderer überlebender Pirat sein, der den Flugstil nachahmt“.

So viel dazu. Truman rechnete nicht damit, auf den Black Buccaneer, seine Raumschiffe und seine Jagdflieger zu treffen, aber sicherheitshalber hatte die ORANJE FOREVER zwei, drei Überraschungen geladen, nur um sicherzugehen. Denn eigentlich war ihr Ziel, die verdrehte Kartoffel, ein sicherer Hafen für jedes Schiff der DSC-Flotte. Eigentlich. Jedoch war der Black Buccaneer nicht dafür bekannt, auf die Ansprüche, Sorgen oder Rechte anderer Rücksicht zu nehmen. Auch der neue Black Buccaneer zeichnete sich durch erhebliche Rücksichtslosigkeit aus, und Truman wollte DAS auf keinen Fall aus erster Hand erfahren. Deshalb waren die beiden Fliegerbays auch mit zwei voll ausgerüsteten Phantom-Jägern bestückt, die DSC nicht neu, aber in sehr gutem Zustand aus ausrangiertem, älterem Militärbedarf hatte kaufen können, Chargen der zweiten von acht Versionen. Wenn man so weit raus flog wie die Davis-Großfamilie, dann drückten Polizei und Militär schon mal ein, zwei Augen zu, wenn sie das Arsenal sahen, dass die Frachter mit sich führten. Ausschließlich zur Selbstverteidigung, natürlich. Aber, ja, es ging weit über das hinaus, was normalerweise Standard für eine Selbstverteidigung gewesen wäre. Aber da die Navy gerade in Kriegszeiten keinen oder nur wenig Begleitschutz, geschweige denn Systemschutz stellen konnte, waren die Behörden eigentlich ganz froh, wenn sich die Spacer selbst um ihren Schutz kümmerten.

Truman räusperte sich, als er das erwartungsvolle Gesicht des jungen Mannes sah. Blond, mittelgroß, jugendliches Gesicht, leuchtend blaue Augen, und ein heftiger Zug Naivität um die Mundwinkel, der große Davis hatte noch nicht entschieden, was daran echt war, und was dieser Mann schauspielerte. Denn Stepan Zorik war republikanischer Zollinspekteur, und diese Leute pflegten weder besonders naiv zu sein, noch in irgendeiner Form ungebildet. Zugegeben, junge Leute konnte man schnell begeistern. „Sie missverstehen da was, Stepan“, sagte Truman in sonorem, väterlichen Ton. „Das Eis ist bewusst dort platziert worden.“
Skeptisch sah der Inspektor ihn an. „Und warum? Als Trinkwasservorrat? Wäre es da nicht in Tanks besser aufgehoben?“
Milos Esterhazy hustete, vermutlich um ein Lachen zu kaschieren. Was bei ihm nicht sehr oft vorkam, da der Mann stets sagte: „Wenn ich was zu lachen habe, dann mache ich meinen Job nicht richtig.“
Truman gönnte sich ein wohlwollendes, leises Gelächter. „Sie verkennen die Situation, Stepan. Natürlich ist der Eispanzer auch ein Vorrat, aber nicht nur. Vergessen Sie nicht, Fort Irresponsible steht nicht auf einem Planeten mit Atmosphäre und angenehmen Temperaturen, sondern im garstigen, kalten Weltall auf einem dreitausendeinhundertundfünf Kilometer durchmessenden Mini-Mond, was ihn hier zum größten Brocken weit und breit macht.“
„Und das bedeutet? Klar, Tesla – er heißt doch Tesla, richtig? - ist ein ziemlich kalter Ort, aber gerade geht ja auch die Sonne auf.“
„Godeka-IV ist zwei astronomische Einheiten entfernt, also nahezu vierhundert Millionen Kilometer. Sie ist eine relativ winzige Sonne mit einem kleinen Energie-Output, der etwa einem Sechstel der Sonne Sol entspricht, obwohl sie ihre halbe Größe hat.“ Noch kleiner, und sie wäre ein brauner Zwerg geworden, ging es Truman durch den Kopf, eine Ansammlung von Wasserstoff, superdicht konzentriert wie in einer Sonne, aber einfach nicht gewaltig genug, um in ihrem Herzen die Kernfusion auszulösen. „Mit anderen Worten: Godeka-IV kann das Eis nicht abtauen. Oh, gewiss, ein Teil der Oberfläche verdampft sogar hier, weil Licht Energie ist, und Energie bedeutet Wärme, und die Wärme, die hier aufschlägt, trifft das erste Mal nach vierhundert Millionen Klicks auf ein festes Objekt und entlädt sich hier. Aber alles, was verdampft, kondensiert auch wieder und schlägt sich nieder. Fast alles kehrt zum Eis zurück. Der Rest, so es denn eine wahrnehmbare Menge ist, kondensiert im Umfeld und kann im Zuge von Wartungsarbeiten zurückgebracht werden.“
„Dann ist es wahr? Fort Irresponsible wurde absichtlich vereist? Weil das Eis im Vakuum quasi nicht verloren gehen kann?“
„Auch“, sagte Truman. „Vor allem aber, um Wärme zu speichern.“
„Bitte, was?“, fragte der junge Mann ungläubig. „Das ist doch Eis. Eis, Truman!“
Esterhazy ließ sich nun doch dazu hinreißen, einen Kommentar abzugeben. „Das sind nur Äußerlichkeiten, Mr. Zorik.“
Truman lachte erneut. „Was der Colonel Ihnen damit sagen will, Stepan, ist einfach: Näher an der Außenhülle von Fort Irresponsible wird das Eis wieder zu Wasser.“
„Auch das noch?“, fragte der Inspektor, sichtlich verwirrt.
Esterhazy rollte die Augen.
Truman unterließ es, das ebenfalls zu tun. „Ich denke, ich hole mal weiter hinten aus. Wissen Sie, was hinter Fort Irresponsible steckt, Stepan?“
„Es ist ein Schmugglerposten?“
„Es ist eine Siedlung“, korrigierte Truman. „Allerdings eine Siedlung, die, sagen wir, etwas außerhalb liegt und deshalb von der Republik, nun, ignoriert wird, solange sie sich einerseits nicht in diese Richtung ausdehnt, und andererseits nicht zu viele gefährliche Dinge geschehen, die die Sicherheit unseres Staates gefährden.“
„Ein paar Todesfälle, zum Beispiel unter Beamten, reichen da noch nicht“, warf Esterhazy ein.
Truman warf ihm einen tadelnden Blick zu, fuhr aber fort zu erklären. „Godeka-IV ist uninteressant, relativ uninteressant. Die Sonne ist klein, fast winzig, sie hat keine Planeten, nur einen großen Trümmergürtel und den Porter-Ring. Es gibt hier alle bekannten Rohstoffe, aber leider über den ganzen Planetoidengürtel verteilt, also über einen zweihundert Kilometer breiten, achtzig Kilometer starken und vierhundert Millionen Kilometer langen Ring verbreitet. Sie hier zu finden ist das Problem. Für Prospektoren gibt es leichtere, besser abbaubare Ziele tiefer in der Republik. Aber man ist außerhalb der Republik, so dass sich doch der eine oder andere die Mühe macht, hier etwas von Wert zu finden. Eisen, Tantal, seltene Erden, Gold, natürliche Mineralien wie Diamanten oder Zirkone und dergleichen... Gefunden wird davon meistens Eisen, und dafür gibt es zwar keine Höchstpreise, aber immer einen Markt. Kurz und gut: Man kommt eher selten freiwillig für eine solche Arbeit, die man in der ganzen Republik unter Lizenz betreiben kann, ausgerechnet hierher. Es gibt nur zwei Vorteile, die für Godeka-IV und damit für Fort Irresponsible sprechen.“
„Und die wären?“
Esterhazy sagte: „Godeka-IV hat fünf Wurmlöcher. Das ist für so eine Winzsonne enorm. Würde sie tiefer in der Republik liegen, wäre dies ein extrem wichtiges Transit-System. So aber könnte... KÖNNTE es irgendwann in den nächsten zweihundert Jahren bedeutend genug werden, dass die Republik sich bis hierhin ausdehnt. Bis dahin aber ist dies, hm, nennen wir es freies Gebiet.“
„Gesetzlosenraum“, sagte Zorik.
„Oh, Gesetze gibt es hier schon, nur halt nicht die der Republik“, sagte Truman spöttisch.
Der Zollinspektor verkniff den Mund zu einer abweisenden Miene. Die Spitze hatte er wohl vernommen. „Und was ist die zweite Sache, die für Godeka-IV spricht?“
„Es gibt hier ab und an Artefakt-Funde. Kunstwerke, Schiffstrümmer, Schmuckstücke, Elektroschrott, solche Dinge. Sie müssen von einer Zivilisation stammen, die schon sehr lange untergegangen ist. Oder weitergewandert. Wenngleich die Artefakte wenige Gemeinsamkeiten mit den Produkten der stellar gesehen nächstangesiedelten Rassen aufweisen.“
„Wird das nicht wissenschaftlich untersucht?“
„Oh, es wurde untersucht, eine Zeitlang sogar sehr, sehr intensiv, denn als das System entdeckt, kartographiert und gründlich erforscht wurde, vor knapp einhundert Jahren, da hat der Chefwissenschaftler der Expedition, Aaron Porter, tatsächlich behauptet, der nach ihm benannte Wasserstoffgürtel, der etwa noch mal so weit entfernt von uns ist, also achthundert Millionen Kilometer von der Sonne, und diese ebenso einmal umrundet, wäre ursprünglich ein Gasriese von der dreifachen Größe des Jupiters gewesen.“
Mit Faszination sah der Inspektor den Raumfahrer an. „Und? Was ist passiert?“
„Es gibt keinen natürlich Effekt, der einen Planeten, der sich bereits organisiert hat, dazu bringen kann, diese Organisation wieder aufzulösen, außer einer totalen Vernichtung. In diesem Fall einer gezielten Zerstörung, denn wäre zum Beispiel ein anderer Gasriese auf den Porter-Gasriesen geprallt, hätte es nun einen erheblich größeren und einen erheblich kleineren Gasriesen zur Folge. Stattdessen aber hat sich der Wasserstoff regelrecht entladen, ist aus dem Planeten geflossen und hat einen Ring gebildet, der einmal um die Sonne geht. Natürlich hat die Navy diesen Verdacht überprüft, ursprünglich, um das Ding, das so etwas vollbringen konnte, in ihren Besitz zu bringen. Man stelle sich vor, ein Planetenkiller im Dienst der Terran Space Navy. Gut, dass sie es nie gefunden haben.“
„Nun, wir wären sorgsam und mit Bedacht damit umgegangen“, sagte Zorik etwas trotzig.
„Sicher wären Sie das“, erwiderte Truman. „Jedenfalls wurde nichts gefunden, nur halt ein paar Rohstoffe im Gürtel, und eben die Artefakte, die über den Planetoidengürtel verteilt sind. Was einige Wissenschaftler die Vermutung machen ließ, auch dies wäre mal ein Planet gewesen. Allein, die Masse hätte für fünf Planeten von der Größe der Erde gereicht, und das spricht nicht unbedingt dafür, dass es diesen Planeten, man nannte ihn Proto-Porter, überhaupt gegeben hatte. Also hätte die Porter-Waffe nicht nur den Gasriesen leckgestochen, sondern auch Proto-Porter zu Trümmern zerblasen. Und dann hat sich die Waffe ins Nichts verflüchtigt.“
„Sie verarschen mich?“, argwöhnte der Beamte.
„Sagen wir es so. Eine Zeitlang hat die Forschungsabteilung der Navy tatsächlich sehr intensiv nach Spuren einer solchen Waffe geforscht, aber letztendlich, ganz zum Schluss, einer natürlichen Erklärung für den Porter-Ring den Vorzug gegeben.“
„Es wurde also nie geklärt?“
Truman schüttelte den Kopf. „Es wurde nie ein Beweis für die Existenz einer solchen Waffe gefunden. So rum ist es richtig, Stepan.“

„Was übrig blieb“, nahm Esterhazy den Faden wieder auf, „das war ein System, abseits des erforschten und beherrschten Raums mit fünf Wurmlöchern, drei in die Republik, zwei in andere Richtungen, was das Godeka-IV-System für einen gewissen Durchgangsverkehr interessant gemacht hat. Und wenn etwas interessant genug ist, um Menschen anzulocken, dann kommen sie auch. Irgendwann. Irgendwie.“
„So ist Fort Irresponsible entstanden? Wer hat denn so viel investiert?“
Truman schüttelte den Kopf. „Es braucht nicht viel, um im freien Weltall zu überleben, Stepan. Drei primäre Dinge sind erforderlich, und die sind leicht zu erreichen. Das Erste ist eine Atmosphäre unter guten Druckverhältnissen. Alles bis zu Null Komma drei Bar ist gut zu verkraften. Alles bis zu einem Sauerstoffanteil runter auf vier Prozent geht in Ordnung. Das Zweite ist Wärme. Überall, wo es eine Atmosphäre und Plusgrade gibt, sind die Voraussetzungen für Leben geschaffen. Der dritte Punkt ist...“
„Wasser?“, fragte Zorik.
„Richtig, Stepan, Wasser. Sind diese drei Voraussetzungen erfüllt, dann kann menschliches, oder menschenähnliches Leben existieren.“
„Natürlich gibt es noch ein paar weitere, sekundäre Dinge, die man braucht“, sagte Esterhazy. „Nahrung zum Beispiel. Aber sind die Grundlagen erst einmal geschaffen, dann geht der Rest ganz einfach.“
„Sollte Nahrung nicht auch eine der drei Grundvoraussetzunge sein, also vier?“
„Mit Luft, Wärme und Wasser kann man Nahrung erschaffen“, sagte Truman. „Dazu braucht es nicht mal immer Licht, weshalb auch das keine primäre Voraussetzung ist. Und ich rede hier von einer kontinuierlichen Beleuchtung, nicht von einer Deckenlampe oder einem Handscheinwerfer.“
„Aber es ist doch bestimmt ein teurer Spaß gewesen, all das hier raus zu schaffen.“
Truman schüttelte den Kopf. „Ich weiß, Sie sind ein ausgebildeter Staatsdiener, und man hat Ihnen für Ihren Job viel Nützliches beigebracht, Stepan, aber Sie sind kein... Spacer. Ein Spacer weiß, dass es nicht viel bedarf, um zu leben. Im Prinzip nur etwas, das eine Atmosphäre halten kann. Eine Styroporbox erfüllt diesen Zweck vollauf.“
„Eine Styroporbox? Was? Ich meine, da draußen ist ein Vakuum bei unter Minus zweihundertsiebzig Grad.“
„Stimmt, aber auch das kältestes Vakuum will nirgendwo rein, Mr. Zorik“, erklärte Esterhazy. „Das Problem ist immer, dass die Luft irgendwo raus will, nicht dass das Vakuum rein kommt.“
„Einfachste Vorrichtungen reichen schon. Es braucht keine künstliche Schwerkraft, keine Stahlkonstruktionen, keine Fusionskraftwerke. Natürlich gibt es Dinge, die man beachten sollte und gegen die man gewappnet sein muss. So hält zwar eine Styroporbox durchaus die Atemluft, aber sie ist auch leicht durchdrungen zum Beispiel von kosmischer Strahlung.“
„Ah, ich verstehe. Der Eispanzer rund um Fort Irresponsible ist also wirklich nicht nur ein Vorrat, sondern eine Schutzhülle. Zum Beispiel gegen Kosmische Strahlung. Wenn der Eispanzer dick genug ist, kommt da nicht mal die harte Gamma-Strahlung durch.“
„Richtig, Stepan“, lobte Truman. „Es ist die einfachste Methode, um sich dagegen abzusichern, auf die Dauer tödlich verstrahlt zu werden. Zudem bietet dieser Wasserpanzer die Möglichkeit, in ihm Algen, Wasserpflanzen und Tiere zu ziehen. Oder um es anders auszudrücken: Fort Irresponsible hat ein Gerüst, das aus einer Bergkette besteht, die mit der Zeit ausgehöhlt wurde, und es hat ein Netzwerk großartiger Stahlstreben für die Stabilität. Der Rest aber ist, sagen wir, von erheblich zerbrechlicherer Natur. Nur dank der geringen Schwerkraft Teslas kann man auf diesem, ah, zerbrechlicheren Material den Eispanzer aufschicken und dort halten. Nicht, dass es den Fischen nicht egal wäre.“
„Und da drunter ist...“
„Da drunter ist das, was die Menschen in den letzten Jahrzehnten zweckentfremden konnten, um die so entstandenen Leerräume zu nutzen. Alle paar Jahre wird sogar ein wenig angebaut. Zumindest wird es das, solange die Bergkette das Grundgestell liefert.“ Er sah den Inspektor ernst an. „Leben findet überall seine Nische, und das sehr oft sehr fix, Stepan. Menschliches Leben sowieso. Man sagt sich, drei Lebensformen würden einen Atomkrieg überstehen: Ratten, Kakerlaken und Menschen.“
„Stubenfliegen nicht vergessen“, sagte Esterhazy grinsend, aber das war eh mehr ein Insiderwitz.

Truman lächelte folgsam, bevor er fortfuhr. „Seither also ist Fort Irresponsible entstanden, fernab der Jurisdiktion der Republik, ein Sammelsurium an allen, die das Weltall nach und nach hier angespült hat und die aus welchen Gründen auch immer nicht mehr fortgekommen sind. Oder nicht mehr fort wollten.“
Skeptisch sah Zorik das Gebilde an, auf das sie noch immer zuhielten, das aber optisch nicht größer geworden war. „Und das will jemand? Hier bleiben?“
„Es gibt Menschen, die da unten was erreicht haben. Etwas erreicht haben, was ihnen an einem anderen Ort vielleicht nicht möglich gewesen wäre. Sie wären töricht, das wieder aufzugeben. Wie sagt mein Erstgeborener doch immer: Lieber eine große Ratte in einem kleinen Bau als eine kleine Ratte in einem großen Bau.“
„Und die, die weg wollen, aber es nicht können?“
„Wer hier wirklich weg will, der findet auch einen Weg. Es gibt viele, die hier geboren sind, die keine Verwandten in der Republik haben, oder nichts mehr von solchen Banden wissen, zugegeben, aber wer hier weg will, der kommt hier auch weg. Auf die eine oder andere Art.“
„Ich verstehe. Glaube ich. Hoffe ich.“ Zorik sah den Raumfahrer an. „Gibt es besondere – eigene - Gesetze, die ich kennen muss? Faustrecht und dergleichen?“
„Sie wären erstaunt, wie gut organisiert man hier ist. Auch oder gerade, was öffentliche Ordnung angeht. Zudem braucht man hier den einen oder anderen Soziopathen nicht wirklich zu fürchten, weil... Milos?“
„Weil man nicht das zerstört, was man haben will, außer man ist ein absoluter Volltrottel.“
„Richtig. Für viele Menschen, Prospektoren, Piraten, Schmuggler, aber auch reguläre Frachtfahrer, ist Fort Irresponsible die einzige größere Siedlung der Menschheit, die sie gefahrlos betreten können. Und auch wieder verlassen. Wenn sie sich an die Regeln halten. Das Fort und seine Ordnungskräfte zu zerstören wäre gleichbedeutend mit dem Ende dieses Zufluchtsortes. Das bedeutet natürlich nicht automatisch sakrosante Sicherheit, aber es ist ein Pfund zum Wuchern. Halten Sie sich einfach an die Grundregeln, Stepan. Tun Sie niemandem, was Sie nicht wollen, was man Ihnen tut. Wenn Sie etwas haben wollen, feilschen Sie gut darum, aber bezahlen Sie den Preis. Und, last but not least, zeigen Sie für alles, was Sie sehen, erleben oder hören ein tiefes grundsätzliches Verständnis. Beachten Sie das, folgen Sie den Anweisungen der Ordnungskräfte, halten Sie sich immer bei mir oder Milos auf, und Sie überstehen das.“
„Okay. Und hier werden wir einen Teil der Diamanten zurückkaufen können?“
„Hoffentlich“, brummte Esterhazy. Es klang vage, aber eigentlich hatte er damit gemeint: Hoffentlich die ganzen zweitausend Kilo.

Vor ihnen veränderte sich etwas. Scheinwerfer flammten auf, erfassten die anfliegende ORANJE FOREVER. Das war auf zweihundert Kilometer Distanz schon eine Leistung. Dann beleuchtete sich ein Quadrat direkt neben der deformierten Kartoffel und begann rhythmisch zu blinken.
„Oh. Es ist jemand Zuhause“, sagte Truman erfreut. „Und er hat die Willkommen-Matte gut sichtbar ausgelegt.“
„In der Tat“, kommentierte der Colonel. „Aber es hätte mich auch gewundert, wenn Truman Davis hier nicht höchst willkommen wäre.“
Zorik runzelte die Stirn. „Gibt es dafür einen besonderen Grund?“
„Ein oder zwei. Die Davis Spacefreight Corporation rekrutiert hier ab und an Personal, müssen Sie wissen. Und wir unterhalten hier zwei, drei Projekte. Für die Menschen.“
„Altruistische Projekte?“
Truman schmunzelte. „Wenn Sie es so definieren wollen, dann, ja, altruistische Projekte.“
Über ihnen erwachte ein Lautsprecher zum Leben. „Truman, wir haben Landeerlaubnis.“
„Bring uns locker rein, Gwen. Es gilt weiter stiller Alarm, bis wir das System wieder verlassen haben.“
„Verstanden.“
Der Inspektor sah erstaunt auf. „Stiller Alarm?“
„Unsere Spezialisten und die Crew der ORANJE FOREVER sind in permanenter Kampfbereitschaft“, erklärte Esterhazy.
Truman klopfte dem Jüngeren auf die Schulter. „Wir unterhalten vielleicht altruistische Projekte im Fort, aber wir sind weder leichtsinnig noch dumm, Stepan. Gehen wir zur Schleuse. Wir werden übersetzen, sobald der Frachttunnel steht. Dann können wir beide unseren Job machen. Und du, Milos, musst deinen hoffentlich nicht machen.“
Erneut schnaubte der Sicherheitschef der DSC. Mit Hoffnungen hatte er sich noch nie abgegeben. Nur mit Fakten.

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Weiße und schwarze Schafe

Fort Irresponsible, Godeka-System, am Rande des republikanischen Raums

Ein letztes Mal ging Kapitänin Sarah Victor alias Jayhawker die anstehende Checkliste mit ihrer Crew durch. Da hieß es zum einen Fracht ausladen, denn die Emerald flog nirgendwohin ohne nicht zumindest etwas auszuliefern oder abzuholen. Davon abzuweichen hätte eventuell Aufmerksamkeit der falschen Art erregt. Dazu kam das gängige intergalaktischen ABC der Betriebsvorschriften wie Auftanken, Schiffsmaschinen überprüfen, Nachschub einkaufen, Qualität desselben prüfen und so weiter. Vor allem aber ging es um Sicherheitshinweise gegen Bedrohungen durch humanoide oder zumindest intelligente Risikofaktoren. Ihre wackeren Mannen (und Frauen) waren in der Messe um sie versammelt. Hier draußen, jenseits der Gesetze - aber auch des Schutzes - der FRT bot die Crew einen wesentlich...farbigeren Anblick, bei dem mancher der sie von einem Planeten im republikanischen Raum kannte, sicher die Stirn gerunzelt hätte. Oder schreiend das Weite gesucht. Praktisch jeder - bis hinunter zu Quicksilver, Mädchen für alles und Schiffsratte ehrenhalber - wartete mit mehr als einer Waffe auf. Da gab es Messer und andere, zum Teil ziemlich exotische Klingen-, Schlag- und Betäubungswaffen. Aber auch Laserpistolen der unterschiedlichsten Typen, wie auch einige chemisch getriebene Waffen. Die Kapitänin selber zum Beispiel trug nun offen ihre Laserpistole. Toro präsentierte gar eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf und Kolben, griffbereit in einem Unterarmlangen Hüftholster. Unter beengten Bedingungen eine mörderische Waffe, deren Niederschlagseigenschaften ein netter Bonus waren. Außerdem machte sie nicht GANZ so leicht Löcher in Außen- und tragende Wände wie ein Laser. Alles in allem sah die Crew aus, als hätte sie mindestens einen Banküberfall in Vorbereitung. Aber wenn man fürchten musste, dass ein Piraten-Psycho einem auf die Pelle rückte, ging man gerne auf Nummer sicher.
Sie sollten ja als Köder fungieren, die Sache hatte nur im wahrsten Sinne des Wortes einen HAKEN. Als Regenwurm fühlte man sich ganz und gar nicht gut, denn Köder wurden üblicherweise geschluckt, und sie hatten wenig davon, wenn der dicke Fang, der sie gefressen hatte, dann an Land gezogen wurde. Zudem sollten sie die ,Angler' erst hier treffen, was bedeutete, das die Crew auf dem Hinflug Blut und Wasser geschwitzt hatte. Wenn sie ,Bebe' - für Black Buccaneer - oder ,Blacky', wie sie ihren Gegenspieler in einer Geste latent selbstmörderischen Trotzes getauft hatten, da draußen erwischt hätte, ohne eine Zollschutzkorvette oder ein paar Jäger als Rückendeckung, wäre das todsicher ins Auge gegangen.
Außerdem...die Crew der EMERALD JADE hatte hier draußen eine Menge...Bekannte. Der Wettstreit um Aufträge, Fracht, Nachschub, Dienstleistungen und Platz wurde mit harten Bandagen geführt, und manche Leute konnten schrecklich nachtragend sein.

Für einen Augenblick verlor sich Jayhawker in einen ungemein verführerischen Tagtraum. Ein Traum wie es wäre, in einer Galaxis zu leben ohne gierige und übergriffige Großhändler, durchgedrehte Geheimdienstler mit wirren Theorien, konföderierte oder föderale Zoll- und Finanzbeamte mit ihrem Stock im Arsch, mordlüsterne kaiserliche Marines und psychopathische Piraten. Eine Galaxis in der man leben und fliegen konnte ohne irgendwelche uralten Geheimnisse aufzustören, die angeblich wie in schlechten Horrorstreifen auch nach Äonen noch mit eisiger Hand aus dem Grab heraus zuschlugen und Menschen und Aliens ins Verderben rissen. Aber da konnte sie sich ebenso gut galaxisweiten Frieden wünschen...
Apropos - soweit sie wusste, war für ihren Geschmack zuviel von den Dingen, die sie um jeden Preis meiden wollte entweder mit Sicherheit oder potentiell hier zu finden. Da waren einmal die Gerüchte über das System, die ihr natürlich vertraut waren. SEHR vertraut. Es hatte da vor ein paar Jahren einen gewissen Zwischenfall gegeben, in dem es um ein paar ,garantiert echte' Artefakte aus dem Godeka-System ging, die sie abgeholt und an ein paar Terries mit mehr Geld als Verstand verscherbelt hatte. Anschließend hatte sie sich in einem Sektor der Republik eine Weile lang bedeckt halten müssen. Heutzutage wäre sie wohl nicht mehr ganz so unbedenklich an solche Geschäfte herangegangen. Allerdings, nur weil einmal VIELLEICHT etwas an den Gerüchten dran gewesen war, lauerte ja nicht gleich in jedem System von dem man dergleichen munkelte ein ausgehungerter Sternenvampir, eine Horde Weltraumzombies oder dergleichen. Aber dennoch...Spuren alter Zivilisationen, Check.

UND sie sollte hier ihren staatlichen Kontakt treffen, mit dem zusammenzuarbeiten man sie genötigt hatte. Die Kontaktdetails waren erst kürzlich als verschlüsselter Subtext angehängt an eine belanglose Nachricht reingekommen. Deshalb Terry-Nervensägen, Check.

DAS wiederum führte zu einem weiteren Punkt auf ihrer ,Dinge-die-ich-hasse'-Liste. Denn diese Station sollte der Ausgangspunkt ihrer passiv-aggressiven Suche nach dem Black Buccaneer sein. Wahrscheinlich würde man sie mit halbwegs erträglicher Fracht auf einsame Routen schicken, worüber die Crew natürlich in den Kantinen erzählen sollte, in der Hoffnung, dass der rachsüchtige Pirat Wind bekam und geradewegs in den Rachen des Zolls flog. Vermutlich würde man von ihr erwarten, dass sie sich als noch attraktiveres Ziel präsentierte, indem ihre Mannschaftsmitglieder laut mit ihrer Heldentat beim letzten Angriff des Freibeuters angaben. Es gab nicht viele Frachtercrews die behaupten konnten, einen Jäger des alten oder neuen Blacky abgeschossen zu haben und davon berichten konnten. Wenn so eine Story erst einmal die Runde machte, musste der Pirat fürchten, dass beim nächsten oder übernächsten Angriff der eine oder andere Frachterkapitän ebenfalls so einen Stunt riskierte. Ein starker Anreiz, den Frechdachsen von der EMERALD eine blutige Lektion zu erteilen. Folglich irrer Piratenpsycho, Check.

Aber egal, es brachte schließlich nicht zu lamentieren. Man musste sich auf die wirklichen, akuten Probleme konzentrieren. Wie hatte es ihre Tante doch genannt? Ach ja, auf Fragen wie ,Wo kriege ich was zu trinken?' und ,Wer ist bloß der Vater - oder zahlt wenigstens Alimente?'
Mit diesem ein wenig erheiternden Gedanken traf sie letzte Anweisungen: "Yang, du begleitest mich und gibst mir Rückendeckung. Toro, du passt auf, dass sich keiner an der JADE vergreift, als halt die Augen offen, dass keiner in einem Raumanzug näherkommt. Und behalte die Hafenarbeiter im Auge, wenn sie hier aufkreuzen und unsere Fracht abladen. Dass mir keiner für eine Sekunde unbeaufsichtigt auf der EMERALD rumstreunt! Yin, halte dich im Cockpit oder im Rückenturm bereit. Keiner geht irgendwohin, ohne den anderen Bescheid zu sagen. Ghost, Quicksilver, macht euch an die Arbeit, die Maschine muss flutschen wie der Darm der Crew nach Quicksilvers Käse-und-Eingeweide-Überraschung, nötigenfalls bin ich bereit einen Gewaltstart hinzulegen, wenn wir hier schnell verschwinden müssen."
Was bedeuten würde, dass sie sich hier nicht so schnell wieder würde blicken lassen dürfen, auch wenn man natürlich im ,Fort' auf solche Gefahren vorbereitet war. Ein gewaltsamer Start konnte die Verbindungstunnel beschädigen, die die auf den ,billigen Plätzen' weit außerhalb der Station gelandeten Schiffe mit der eigentlichen Anlage verbanden. Was den Transport der Fracht erschwerte, ebenso wie den Genuss der Annehmlichkeiten eines Aufenthaltes hier.
"Denkt immer daran, das ist eine beschissene Kapermission, kein normaler Handelsflug, also halten wir den Kopf unten und sehen zu, dass wir heil aus der Sache rauskommen."
Ein vielstimmiges bestätigendes Gemurmel antwortete ihr, und das scharfe Klicken von einem halben Dutzend Waffen, die durchgeladen wurden. Für einen Moment musste sie eine sehr unkapitänische Träne der Rührung unterdrücken, als sie ihren bunten Haufen musterte. DAS war ihre Familie. Sie verließen sich aufeinander, und sie, Jayhawker, würde alles in ihrer Macht tun, um alle heil und mit einem angemessenen Anteil aus der Sache herauszuholen.

Die künstliche Schwerkraft der Station war eine Grundvoraussetzung dafür, dass man hier nicht nur problemlos gehen - viele Raumfahrer kamen mit Schwerelosigkeit ganz gut klar - sondern vor allem längere Zeit ohne gravierende Knochenschäden leben konnte, obwohl rigoroses Training und eine spezielle Diät die negativen Auswirkungen mangelnder Schwerkraft ohnehin deutlich verlangsamten. Nach allem was Jayhawker wusste, hatte man hier die Schwerkrafteinheiten aus alten Handelsschiffen eingebaut. Deren Felder überlappten sich, so dass es im Kern Zonen gab, in denen die Schwerkraft voll funktionierte. Je weiter man nach außen kam, desto schwächer wurde das Feld, es schwankte auch mitunter, dass man eben noch an der Decke schweben und im nächsten Moment im ungünstigsten Fall auf den Boden krachen konnte. Und da die Anlagen nicht mehr die neuesten waren, kam es immer mal wieder zu ,Stotterern'. Vor zwei Jahren war die Schwerkraft in der ganzen Station dem Vernehmen nach für drei Tage ausgefallen, was ein nettes Durcheinander angerichtet hatte. Die Eigenschwerkraft des Planetoiden war zwar etwas stärker als auf der terranischen Luna, was an der relativ hohen Bahn- und Rotationsgeschwindigkeit sowie der vergleichsweise hohen Masse lag, aber nicht höher als etwa auf dem Level von Mars oder Merkur. Sollte heißen, ohne künstliche Schwerkraft konnte man schnell mit dem Kopf gegen die Decke krachen, wenn er oder sie nicht Haftstiefel trug.

Das Außenteam bewegte sich mit genau der Art einstudierter Selbstsicherheit, mit der man signalisierte, dass man keine leichte Beute war - und betete, dass es einem auch abgenommen wurde. Sie hatten ihre Waffen angemeldet und eine Lizenz erworben, eine der üblichen Betrugs- und Abzockemaschen. Na ja, die Leute hier draußen waren eben genau so gierig wie - sagen wir mal - diese ganzen mittelgroßen bis größeren Handelsunternehmen und Patrizierdynastien. Sie waren nur nicht so ekelhaft versnobt.
Jayhawker hatte ihre schwere Laserpistole und genügend Magazine für einen mittleren Bürgerkrieg offen im Gürtel, dazu kam ein schwerer Vielzweckdolch, und im Stiefelholster steckte eine kleine aber ungemein durchschlagkräftige Taserpistole, deren drahtlose Kondensatorpfeile problemlos einen Ochsen ausknocken konnten. Yang, der sich zwei Schritte hinter seiner Chefin hielt und wie sie immer wieder großspurig-argwöhnisch andere Passanten und Seitengänge musterte, war natürlich ebenfalls bewaffnet. Sein Arsenal bestand aus einer konventionellen Pistole, die wahlweise Salven schießen konnte, einem Teleskopschlagstock, der nötigenfalls auch Elektroschocks Marke Viehtreiber abgeben konnte, und seinem Miaodao in einer Rückenscheide, ein chinesisches Schwert, das wie eine Mischung zwischen riesiger Machete und zweihändigem Säbel wirkte und wirklich gemein aussah. In den meisten Stationen wäre sie in dem Aufzug nicht einmal aus der Luftschleuse gekommen, aber hier gab es keine echte Polizei, also musste man bereit sein, für sich selbst zu sorgen. Der Stationskomment sorgte zwar dafür, dass Sprengmittel und schwere Waffen untersagt waren, aber es gab keinen wirklich effektiven Schutz gegen Raubüberfälle, Erpressungen oder Schlimmeres, wenn die dort passierten, wo es nicht genug Zeugen gab. Bei der Größe der Station und dem Verkehr konnte ein Täter auch ganz gut untertauchen. Die Anlage war nun einmal groß und unübersichtlich. Gewiss, die meisten Leute benahmen sich - man war hier um Geschäfte zu machen, nicht um Ärger zu bereiten. Aber irgendjemand war immer verzweifelt, dumm oder betrunken genug, sich nicht an die Regeln zu halten.

Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, war die Luftqualität nicht die beste. Eine arbeitende Geruchsfilterung gab es nur in wenigen Bereichen. Die Zusammensetzung der künstlichen Atmosphäre wurde zwar kontrolliert, aber das bezog sich nicht auf den...nun, Geruch beschrieb es nicht einmal ansatzweise. Es war ein ganz eigenes Odeur, bei dem man das Gefühl hatte, es habe geradezu klebrige Konsistenz und sickere in Kleidung, Haare, ja in die Poren der eigenen Haut ein. Deshalb trugen einige Passanten Gesichtsmasken - die praktischerweise auch ihre Identität verbargen. Andere hatten kleine Duftspender dabei.
Ziel der beiden Landgänger war, sobald sie die üblichen Andock- und Entladeformalitäten erledigt hatten, wie konnte es anders sein, eine Kneipe. Davon gab es im Fort nicht weniger als ein halbes Dutzend, wobei zwei primär für nichtmenschliche Kundschaft ausgelegt waren und sogar ihre Öffnungszeiten den Schlaf-/Wachperioden der bevorzugten Besucher angepasst hatten. Natürlich machte der Bodensatz der Galaxis auch so eifrig rassenübergreifende Geschäfte miteinander, stritt und prügelte sich, sang, spielte, aß und betrank sich, wenn auch nicht unbedingt mit denselben Dingen, und dem Vernehmen nach kamen sich einige Vertreter sogar...noch näher....

,Igitt igitt', dachte Jayhawker bei dem Gedanken unwillkürlich, wiewohl nun eigentlich weder ein Kind von Traurigkeit noch von Prüderie oder Rassismus. Aber wie dem auch sei, auch bei all der Inter-Spezies-Harmonie war es nun einmal so, dass bestimmte Gerüche, Geräusche, Temperaturen, Lichtverhältnisse und so weiter, die von Vertretern einiger Rassen bevorzugt und als angenehm oder stimulierend empfunden wurden, für andere nichtssagend oder gar schwer erträglich bis geradezu gesundheitsschädigend waren. Und selbstverständlich war die EINE Sache, die Menschen wie Nichtmenschen gemeinsam hatten, ihre Gier nach dem Geld der anderen, stark genug, dass man sich Mühe gab, für jede Nachfrage und Bedürfnis auch ein entsprechendes Angebot zu schaffen.

Das "Pieces of Eight" - Jayhawker entging die Ironie nicht, dass die Kneipe nach einer Münze benannt war, die im Goldenen Zeitalter der terranischen Piraterie sehr beliebt und in der Folkloristik und Popkultur untrennbar mit diesem verbunden war - war hingegen eher auf menschliche Besucher ausgelegt. Es lag recht weit im Kern, in den ,besseren' Gegenden, wo die Beleuchtung der Gänge besser, die Zahl der Passanten höher und die Schwerkraft praktisch normal war.
Natürlich konnte sich auch ein Akarii, Peshten, T'rr oder Angehöriger anderer Spezies in dem Etablissement eine Dröhnung geben, ob nun mit Alkohol oder mit Drogen, aber der Schwerpunkt des Angebots war auf die Gattung ,Homo Sapiens' ausgelegt, wenngleich nur ein sehr unkritischer Betrachter irgendwelche der Besucher in die Kategorie ,Weiser Mensch' eingeordnet hätte. Die Anpassung an den Besuch von Erdbewohnern fing mit einem Großteil der Getränk- und Drogenkarte an, ging über die Beleuchtung und Musik - menschlich, wenn auch nicht unbedingt erlesen - bis zum, nun, Unterhaltungsprogramm, das aus mehreren teils realen teils holographischen ,Tanzdarstellungen' menschlicher Frauen und Männer bestand. Ja, an der Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies und dem Geschlecht der Darsteller bestand WIRKLICH kein Zweifel.
Jayhawker spürte, wie sich ihr Zynismus einmal mehr mit aller Macht meldete. Wie hatte es eine Zufallsbekanntschaft ausgedrückt, die sie ein paar Mal auf Pandora getroffen hatte? Ach ja: ,Da sind wir nun, tausende von Lichtjahren von dem Ort entfernt an dem die Menschheit begann - und stehen in einer Bar, in der besoffene Kerle halbnackten Weibern auf den Arsch starren. Ich weiß nicht, ob das jetzt lustig oder traurig ist.' Oh Mann, die hatte etwas vertragen können, aber sie hatte bei der einen oder anderen ,unvermeidlichen' Prügelei auch ordentlich ausgeteilt und eingesteckt...

Yang und Jayhawker suchten die Kneipe zunächst nach möglichen Bedrohungen ab. Sie gaben sich nicht mal die Mühe, dabei sonderlich dezent vorzugehen, dergleichen prüfende Blicke sah man hier häufiger. Weniger nach bewaffneten Gästen - davon gab es genug - als nach solchen, die sich auffällig benahmen. Na ja, AUFFÄLLIGER. Wenn jemand nicht trank, spielte, krakelte oder besagte Hinterteile im Blick behielt, war das schon mal ein guter Hinweis, dass etwas nicht stimmte. Aber auf den ersten Blick fand sich nichts dergleichen.
Also marschierten die beiden zur Bar. Jayhawker unterdrückte - nicht zum ersten Mal - die unwillkürliche Frage, ob die unzweifelhaft hübsche dunkelhäutige Barkeeperin mit den pink-violett-grünen Haaren in ihrem freizügigen und sehr knappen Outfit auch auf der Liste der lokalen Angebote stand, als sie zwei Drinks orderte, ein wenig Smalltalk zum wer-was-wann der Siedlung betrieb, dann noch zwei Drinks bestellt und dazu noch eine lokale Spezialität aus dem Bereich Halluzinogene. Schließlich wollte sie ja auch nicht, dass man annahm, SIE hätten was zu verbergen. Das Mittel, nicht sehr einfallsreich ,Stardust' getauft, war eine Mischung aus biologischen und chemischen Synapsenschmelzern, die angeblich den totalen Kick gaben, vor allem wenn man sie mit gewissen anderen sensorischen Stimulanzen wie spezieller Musik und Lichtmustern verband. Die ursprüngliche Droge, von den Peshten für rein rituelle Zwecke verwendet und auf den poetischen Namen ,Hauch der Ahnen die zu uns sprechen' oder so ähnlich getauft, war nach dem try-and-error-Pinzip bereits wenige Jahre nach dem Erstkontakt mit diesen Aliens an die menschliche Biochemie angepasst worden. Inzwischen gab es drei Dutzend unterschiedliche Verabreichungsformen allein für Erdbewohner, und dabei zählten die individuellen Streckungsverschnitte nicht mal mit. Jayhawker mochte die Droge. Natürlich nahm sie sie nicht. Sie verkaufte sie nur...
Jedenfalls gab ihr die Ladung Stardust die perfekte Entschuldigung, ein Separee zu ordern, wie man es ihr aufgetragen hatte. Das ,Pieces of Eight' hatte etliche davon, in sehr unterschiedlichen Preisklassen und Größen. Dort konnte man in Ruhe spielen, Drogen nehmen ohne zu befürchten, dass einem die Taschen ausgeleert - oder die Niere entfernt - wurde, Geschäfte klar machen, für die selbst eine schummrige Bar voller Gesetzloser zu riskant war, oder anderen...Aktivitäten nachgehen.
Die Barkeeperin zwinkerte den beiden zu und kassierte ab. Keiner der Gäste warf auch nur einen Blick auf die beiden Spacer, als sie die Treppe hoch verschwanden.

Doch Jayhawker war natürlich nur oberflächlich so gelassen und auf Party aus, wie sie sich den Anschein gab. Sie GLAUBTE nicht, dass die Terries so bescheuert waren und mit einem Einsatzteam von Bebe im Schlepptau hier auftauchten. Aber der Dummheit von Regierungsangestellten waren ja bekanntlich kaum Grenzen gesetzt, wenn sie mit dem echten Leben außerhalb ihrer kontrollierten Umgebung auf den Kernwelten in Kontakt kamen. Also blieben sie stehen, als sie die Zieletage erreicht hatten. Jayhawker zauberte einen kompakten Funkscanner hervor, während ihre Rückendeckung ein Ortungsgerät hervorholte, das auf Basis eine Kombination von Ultraschall , Radar- und Infrarotortung arbeitete. Man konnte damit sogar durch viele Wände sehen. Diese Spielzeuge wurden auch vom Militär eingesetzt, aber ihre Reichweite war begrenzt. Für Zwecke wie diesen allerdings...

Im Funkbereich gab es nichts auffälliges, und offenbar fand auch Yang nichts, was auf einen Hinterhalt hindeutete. In "ihrem" Zimmer wartete nur eine einzelne Person, und die Nachbarräume waren nicht belegt, oder die Insassen waren weggetreten oder anderweitig beschäftigt. Dennoch musste Jayhawker ein paar Mal tief Luft holen, trotz der miesen Luftqualität, bevor sie es fertig brachte, ihrem Kameraden zuzunicken, ihre Hand - die linke natürlich, die rechte blieb in der Nähe der Waffe - auszustrecken und den Türöffner zu betätigen. Sie traten ein und standen endlich ihrem Kontakt gegenüber. Es war... Kapitän Sarah Victor alias Jayhawker.
Vor ihnen saß das perfekte Double der Frachterkapitänin, komplett mit der undefinierbaren Mischung an Kleidungsstücken, die das Markenzeichen der Crew war und selbstsichere nonchalante Haltung. Sogar ihr rotbrauner Zopf war ein Spiegelbild der Haartracht der Herrin der EMERALD JADE, der einzige Unterschied war, dass ihre Augen giftig grün statt grau waren. Und während die beiden Neuankömmlinge noch mit hängender Kinnlade dastanden, flegelte sich die sitzende Frau noch ein wenig bequemer in ihren Liegesessel: "Hallo, Schwesterchen. Ich hatte mich schon gefragt, wann du hier endlich aufschlagen würdest."

***

Jayhawker hatte noch immer Schwierigkeiten, die geballte Ladung an Neuigkeiten zu verdauen. Es kam nicht häufig vor, dass sie als erfahrene Fahrensfrau, die mehr Planeten besucht hatte als sie zählen konnte, auf dem falschen Fuß erwischt wurde und sich das auch anmerken ließ, aber heute war so eine Gelegenheit. Man begegnete schließlich nicht jedem Tag unverhofft seinem dunklen Spiegelbild. Die Schwester der Kapitänin galt aus gutem Grund als schwarzes Schaf der Familie Victor - dazu eines, das sich selbst für ein weißes hielt. Dass sie sich in ihrer Jugend bei der Nationalgarde eingeschrieben hatte, um so eine bessere Ausbildung finanziert zu bekommen anstatt wie Jayhakwer die Ochsentour an Bord von Trampfrachtern zu absolvieren und von der Pike auf zu lernen, zusätzlich zum Wachdienst Astrophysik und Astrogation büffelte - na ja, das ging noch. Es war eine Abkürzung, aber eine verzeihbare. Doch irgendwie war DIESE Victor nicht in der zivilen Raumfahrt gelandet, noch nicht mal bei der Nationalgarde oder der TSN, was schon schlimm genug gewesen wäre. Nein, an irgendeinem Punkt ihrer Ausbildung hatte sie die Aufmerksamkeit von irgendjemandem erregt, ob zufällig oder weil sie genau danach gesucht hatte, das wusste Jayhawker nicht. Sie wusste nur, dass ihre Schwester mit einer mehr als dürftigen Geschichte als Begründung verschwunden war. Und dabei war es geblieben, über all die Jahre. Sie tauchte hin und wieder auf Familienfeiern auf, praktisch immer ohne Vorankündigung, schwieg aber eisern über die Art der Arbeit, die sie machte. Nur, dass die sehr gut bezahlt war, sie an die merkwürdigsten Orte führte - und sich mit fester Terminplanung rein gar nicht vertrug. Es war nicht offen ausgesprochen worden, aber gefährlich war der Job offenbar auch, denn wer immer das unglaubliche und unglaubwürdige Glück haben sollte, BEIDE Schwestern nackt zu sehen, hätte sich sicher schwer getan zu entscheiden, wer von ihnen mehr Narben aufzuweisen hatte.

Nun, Jayhawker war nicht dumm. Im Grunde konnte das alles nur bedeuten, dass ihre Schwester entweder für das Innen- oder Verteidigungsministerium in irgend einer verdammten Sondereinheit arbeitete - oder sie war eine Freelancerin, ein Contractor einer der Firmen, die ganz spezielle Dienstleistungen anboten. Und damit war nicht so etwas Anständiges wie Hostess gemeint. Gerade in den Randbereichen der Republik griffen die Zentral- wie die Regionalregierungen immer wieder auf Firmen zurück, die im Grunde nichts anderes als Söldnervermittler waren. Ihre Mitglieder waren zumeist gut ausgebildet und professionell - Aufschneider und Betrüger gab es freilich immer, obwohl da eine gewisse darwinistische Auslese griff - und erledigten nicht selten die Dinge, die die TSN und Nationalgarde wegen Zuständigkeitsfragen oder mangelnden Kapazitäten nicht regeln konnten. Dass sie Industrieanlagen und Frachtschiffe bewachten war dabei noch die harmloseste Variante. Es gab Firmen, die Regierungen wie den Peshten ganze Bataillone an Rekruten vermittelten, und Gerüchten zufolge führten einige Unternehmen verdeckte Operationen durch, bei denen die FRT Wert darauf legte, zur Not zwar nicht unbedingt glaubhaft aber mit gerade noch ausreichend berechtigten Zweifeln eine Beteiligung leugnen zu können.
Da Jayhawkers Familie generell kein Freund der Zentralregierung und der großen Firmen war, war diese Berufswahl und das standhafte Stillschweigen über die Details in etwa ein vergleichbarer Fauxpas, wie wenn eine Capulet verkündet hätte, sie wolle einen Montague heiraten. Jayhawkers schlechtere Hälfte war damit fast so etwas wie eine Unperson in der Familie geworden, jemand, den man den kleinen Kindern als abschreckendes Beispiel vorhielt, und die Konversation bei den wenigen Begegnungen war gelinde gesagt angespannt.

All dies wie auch die unwillkürlich sich aufdrängenden Schlussfolgerungen führten dazu, dass Jayhawker etwas die Contenance verloren hatte. Selbst jetzt noch war sie ziemlich außer sich: "Und du willst mir sagen, Ma..." die erhobene Hand ihrer Schwester stoppte sie.
"Meinen ,richtigen' Namen, bitte. Ich nehme meine Rolle ernst."
Jayhawker schnaubte: "Bah, meinetwegen. Aber ,Senni Kiffu'? Wer denkt sich denn so einen dämlichen Namen aus? Welcher Idiot verwendet überhaupt so einen Namen?" Sie atmete zwei-, dreimal tief durch, um sich zumindest etwas zu beruhigen: "Du willst mir also sagen, die ganze Operation ist mir nichts, dir nichts nicht etwa abgeblasen oder auch nur notwendigerweise modifiziert worden, sondern hat sich unversehens in etwas ganz anderes verwandelt!?!"
"Exakt. Den Buccaneer auszuschalten wäre eine gute Sache, und die Option ist nicht vollkommen vom Tisch. Aber zunächst einmal sollen wir - das heißt ich und du als meine Unterstützung, oder umgedreht, wenn dir das lieber ist - rauskriegen, ob man nicht die Bande oder zumindest Teile davon anheuern kann. Auch als Testfall und Dosenöffner um an andere seiner Art heranzukommen. Sie KÖNNTEN nützlich sein."

Nützlich wofür, das sagte sie nicht, brauchte es aber auch nicht. Der Einsatz von Freibeutern in See-, mitunter aber auch in Raumkriegen war nicht wirklich etwas Neues in der Geschichte. Wenn man den gegnerischen Nachschub schwächen wollte, wer war besser dafür geeignet als der Abschaum, der ohnehin Übung darin hatte, die Lücken in den Überwachungsnetzen der Großmächte zu finden, die Transitrouten wie ihre Westentasche kannte und für die Aussicht auf Gewinn bereit war, ein beträchtliches Risiko einzugehen? Die Einstiegskosten in das Geschäft waren gering, denn die ,Angestellten' brachten ihre Hard- und Software zumeist bereits mit, man musste ihnen lediglich Informationen liefern und bei Nachschub und Instandhaltung unter die Arme greifen. Mitunter ließ sich sogar ein netter Gewinn herausschlagen, denn die Freibeuter mussten ihre Beute ja verkaufen und brachten ihren Gewinn häufig mit bemerkenswerter Bereitwilligkeit unter die Leute. Wenn es die Kaperer aber erwischte, nun, der Gedanke brachte kaum einen der Auftraggeber um den Schlaf. Die größte Gefahr bestand darin, dass Kaperer NACH dem Krieg schnell wieder dazu zurückkehrten, gegen ALLE Flaggen zu segeln. Aber das war ein Risiko, dass man oft bereit war einzugehen.
"Wie konntest du mir das antun? Ich BIN immer noch deine Schwester!"
"Haha, aber wenn ich mal wieder meine Beine bei Muttern unter den Tisch legen will kennt mich keiner? Aber beruhige dich, es war nicht meine Idee. Das Ganze hat wirklich nur als Aktion des Zolls angefangen. Auf halbem Weg haben sich dann der Verantwortliche und die Zielsetzung geändert. Und da man meine Talente UND Verbindungen kannte...da bin ich!"
Die Freude Jayhawkers hielt sich offenbar in Grenzen: "Und ihr wollt wirklich diesen Psycho anheuern? Der ist doch bekloppter als ein Märzhase auf Speed. Habt ihr euch nicht angesehen, was er abgezogen hat?"
,Senni' zuckte gelassen mit den Schultern: "Zum Gutteil war das natürlich Theaterdonner, schließlich will er, dass seine Gegner sich gleich einscheißen, sowie Blacky...toller Spitzname übrigens, du und deine Bande von Komikfiguren habt es wirklich drauf...auch nur seine maskierte Visage zeigt und seine Sprüche klopft. Natürlich ist er für den Tod von einer ganzen Reihe von Leuten verantwortlich. Und normalerweise würde ich sagen, wir schießen ihm in den Kopf und schmeißen seinen Kadaver aus der Luftschleuse. Aber in der Not...schau dir nur die Konföderierten an. Die speicheln einem Admiral hinterher, der ein paar tausend ihrer Zivilisten abgeschlachtet hat - und ein Völkermörder war er schon lange vor dem Tag. Sag mir nicht, dass ausgerechnet DU nicht weißt, dass man manchmal Deals mit Leuten machen muss, bei denen man sich hinterher die Hand nicht nur waschen, sondern am liebsten ABHACKEN würde. Wir stehen verdammt noch mal mit dem Rücken zur Wand - nicht wir als Republik, oder Terries, wie du immer sagst, sondern wir Menschen als solche! Du magst dir ja einreden, dass du neutral bleiben kannst, aber ich will dich sehen, wie du das einem verschissenen imperialen Gouverneur erklärst, wenn die hier übernehmen! Dann ist Schluss mit euren Freiheiten, das weißt du besser als ich. Also müssen wir nutzen, was wir kriegen können. Die Skrupel sind was für den Himmel, wie auch die Idealisten. Zudem...wer von der Truppe dann letztendlich in den Genuss des Angebots kommt...", sie grinste kalt: "…ist ja noch nicht raus. Eine Amnestie nützt dir nichts, wenn du tot bist. Aber das ist ja nicht DEINE Sache."

Jayhawker lachte bitte: "Oh nein, ist es nicht. MEINE Aufgabe ist es, Kontakt mit einer Band von Killern unter Führer eines Deppen zu knüpfen, der meint es wäre cool wenn er sich kleidet und einen Namen zulegt wie ein verdammter Comic-Bösewicht. Du meinst nicht, dass das in etwa so ist, wie freiwillig in der Bratpfanne Platz zu nehmen und zu bitten, doch mal ein Feuerchen zu machen, es sei ein wenig frostig? Ich hatte ja schon eine Wagenladung Bedenken bei dem ursprünglichen Plan. Aber das jetzt?"
"Gut. Dann werden deine Befürchtungen dafür sorgen, dass wir nicht unvorsichtig werden. Sieh es mal so. Du hast gute Kontakte zu dem Gesindel, das dir weiterhelfen könnte, irgendeine Art von Kommunikation mit den Piraten zu etablieren. Sollte mich doch wundern, wenn deine Crew nicht einen ,best buddy' auf jeder Station auf zehn Sprünge im Umkreis kennt, oder zumindest einen vertrauten Geschäftspartner...dachte ich mir doch. Ich habe eine Liste von Dingen, die Blacky wahrscheinlich braucht, und von anderen, die er vielleicht loswerden will. Wir müssen also nur herumhorchen, wer davon verdächtig viel sucht oder anbietet. Wer wäre besser geeignet als ihr, solche Transporte zu übernehmen? Erzähl mir nicht, dass du noch nicht Geschäfte gemacht hast mit Leuten, die Ware zweifelhafter Herkunft verschieben, und in Gegenzug Ersatzteile liefern, die nicht nur für Landwirtschaftsmaschinen und Zivilshuttles geeignet sind! Ich kenne doch die Geschichtchen der Familie! Du weißt, wen wir schmieren, und bei wem wir..." sie grinste dreckig: "…vielleicht auf innovative Weise nachhelfen müssen. Du kennst jeden Trick. Und dein Frachter fällt hier draußen nicht auf. Und ich...ich bin in der Lage Versprechen auch zu beglaubigen. Und ich habe Mittel. Ich habe Ausrüstung mit der wir deine Rostlaube ein bisschen aufpolieren können, falls die Raiders uns doch an die Kehle wollen. Und ein paar Leute, die keine Fragen stellen und kampferfahren sind."
Die Kapitänin der EMERAL JADE schnaubte. Was das für Leute waren, konnte sie sich vorstellen. Einsatzagenten der Republik vielleicht, aber wahrscheinlich eher Söldner, vermutlich Exmilitärs oder Polizisten. Handverlesene Spezialisten, die die Republik benutzen, nötigenfalls aber auch verleugnen könnte. Manchmal entschied allein der Zufall, auf welcher Seite des Gesetzes jemand landete.
"Bebe hat aber einen Grund, einen echten Hals auf uns zu haben. Ich weiß zwar nicht, was für ein Knallkopf unter der Maske steckt, aber wie jemand mit sonderlich langer Lunte kommt er oder sie mir nicht vor. Glaubst du nicht, dass das etwas merkwürdig aussieht, wenn gerade ICH nach ihm suche? Ein vernünftiger Kapitän würde ja wohl eher in die entgegengesetzte Ecke der Republik abhauen, damit Blacky ihn nicht findet."
"Nur die Ruhe, daran habe ich schon gedacht. Du wärst nicht der erste Frachterkapitän der versucht, sich aus einer Blutschuld freizukaufen. Schließlich musst du hier draußen deine Geschäfte machen. Da gibt es doch genug Geschichten..."
Oh ja, die gab es. Manche Raumfahrerlegenden der größten Coups, manche schmalzige Lovestory, aber eben auch viele der dunkelsten Geschichten von Verrat und Rache fingen GENAU so an.
"Einen Versuch ist es jedenfalls wert. Du weißt, dass du selber halb auf der Fahndungsliste stehst." Ihr Lächeln wurde zu einem gemeinen Feixen: "Und es wäre kein Problem, dich GANZ drauf zu setzen. Zum Schein. Für eine Weile. Hier draußen haben du und deine Crew so einen Ruf...ich sage nur REMORA."

Jayhawker zog einen Flunsch. Das war das Problem wenn man mit der Familie zu tun hatte. Sie kannte jedes schmutzige Geheimnis: "Und deine Tarnidentität ist sicher? Und soll uns was bringen?"
"Na klar. Wobei es jetzt nicht meine Tarnidentität ist, momentan BIN ich Senni Kiffu. Händlerin für Exotika und Altertümer, ausgerüstet mit einem Langstreckenshuttle für den Transport. Eine Frau mit einem gewissen Ruf und Reputation, also eine Fixerin für spinnerte Terries mit mehr Geld als Verstand und durchgeknallte Wissenschaftler, die bei Gewitter die Antennen ausfahren und hoffen, dass Igor diesmal das richtige Gehirn geklaut hat...Tatsächlich habe ich sogar den Auftrag, mir beim Kauf von ein paar Artefakten aus der Gegend hier richtige Mühe zu geben und sehr genau hinzuschauen. Es gibt Gerüchte, Bebe habe auch ein paar Prospektoren abgezogen. Sind ja meistens allein unterwegs und weit draußen. Und ihre Bergeausrüstung ist meistens was wert. Gute Ziele mit wenig Risiko. Also hat er vermutlich auch Artefakte eingesackt, ein Vorwand, zumindest mal vorsichtig die Ohren nach Kontakten zu seinen Hehlern aufzusperren."
Die Kapitänin der EMERALD fluchte unterdrückt, bevor sie mit banger Stimme fragte: "Sag mal, du arbeitest nicht zufällig für einen Agenten des Bureau for unclassified Bullshit namens Tremane?" Das letzte was sie im Moment wollte, war noch einmal unwissentlich in die irren Pläne dieses Terries mit seinem Spleen uralte Relikte betreffend hineingezogen zu werden. ,Bei meinem Glück stellt sich dann am Ende noch heraus, dass Blacky der Wiedergänger irgend eines uralten Alienadmirals oder Schattenlords ist, der die Galaxis ein weiteres Mal in Ketten schmieden will.'
Ihre Schwester grinste nur: "Da kann ich dich beruhigen. Ist zwar alles top secret, aber es geht wohl eher darum zu prüfen ob solche Relikte - echt oder unecht - zur Finanzierung von Terrorgruppen genutzt werden. Du weißt schon, Separatisten am Rand, religiöse Spinner und so. Und perverser Weise geben Universitäten der FRT sogar jetzt noch Geld für solche Stücke aus. Da muss man sichergehen, dass sie auch den echten Kram bekommen." Was nicht so einfach war. Godeka hatte keinen guten Ruf, weil hier etliche Fälschungen, aber auch ,echte' Artefakte aufgetaucht waren, deren Altersbestimmung eigentlich nicht stimmen konnte, da sie viel zu jung waren.
Offenbar hatten die Fragen von Jayhawker ihre Schwester neugierig gemacht: "Das hört sich fast so an, als wenn DU diesmal eine gute Geschichte zum besten geben könntest. Was hast du denn mit dem TIS zu tun, wo du doch die Staatsorgane scheust wie der Teufel das Weihwasser?"
Jayhawker lächelte zuckersüß. Es tat doch gut, den Spieß einmal umzudrehen: "Kein Kommentar, Wissen nur bei Bedarf. Wenn ich dir davon erzählen würde, müsste ich die anschließend erschießen." Yang, der sich im Hintergrund hielt und das Gespräch weitestgehend kommentarlos verfolgt hatte, prustete los.

Senni nahm die Zurechtweisung gelassen hin - entweder es interessierte sie nicht so dringend oder sie baute darauf, dass sie die Details schon noch aus Jayhawker oder ihrer Crew herauskitzeln würde. Womit sie vermutlich Recht hatte.
"Die nächsten Tage werden wir uns jedenfalls erst mal darum kümmern, vorsichtig die Fühler auszustrecken. Ich rechne nicht damit, dass wir sofort Erfolg haben - diesen Fisch muss man sehr, SEHR behutsam anlocken. Aber man weiß ja nie. Und ich verpasse deinem Schiff eine Frischzellenkur was die Bewaffnung angeht. Ist dein Bordmechaniker noch immer der alte Knochen mit dem Händchen fürs Schrauben? Gut. Ich kann auch die eine oder andere helfende Hand entbehren. Ach ja, nur damit das klar ist, kein interstellarer Funkspruch geht raus, ohne dass du mir Bescheid sagst...zieh nicht so eine Miene. Ich helfe dir auch, die Verschlüsselung etwas aufzupeppen, aber wirklich wichtige Sachen laufen über mein Schiff. Wir wissen ja nicht, wer noch mithört. Blacky wäre bescheuert, wenn er nicht massiv Funkaufklärung betreibt. Nicht unbedingt direkt...aber ein paar Knöpfchendrücker auf Orten wie dem hier bezahlen, dass sie Funksprüche auffangen und decodieren? Leichter kommst du nicht an Angaben über gute Ziele oder etwaige Flottenpatrouillen, außer wenn du eine Puffmutter als Informantin hast.
Apropos - du hast nicht zufällig was verlauten lassen, wohin du unterwegs bist, oder?"
"Natürlich NICHT!"
"Gut. Ich mach mir nur ein bisschen Sorgen. Man hat mich vorgewarnt, dass bei Borealis Abstrakta irgend so eine durchgeknallte Hysterikerin namens Carol Davis aufgetaucht ist und es mit ihrem Gekeife doch tatsächlich geschafft hat, dass diese Weichbirnen von der Verwaltung ausgeplaudert haben, dass sie euch auf eine Mission geschickt haben um...RUHIG Jay! Atme...!"
Die Kapitänin der EMERALD brauchte sichtlich Hilfe, da sie einem Erstickungsanfall nahe war. Röchelnd brachte sie heraus: "SIE...haben...WAS?!"
Senni nickte mitfühlend: "Ich wollte es auch nicht glauben. Ich meine, klar, die wissen nicht worum es inzwischen geht, aber selbst die ursprüngliche Mission...Das war immerhin eine wirklich wichtige und wirklich geheime Sache des Zolls. Auch top secret. Eigentlich könnte man sowohl den Vollpfosten von Beamten als auch der Davis-Schnepfe prima den Prozess machen. Ich meine, indem sie das ausplauderten - und meines Wissen haben die Davis' sich auch selber angefangen umzuhören - haben sie euch sauber zum Trocknen rausgehängt, wenn auch nicht vorsätzlich. Aber das macht die Sache nicht besser. Geheimnisverrat beziehungsweise Aufforderung und Beihilfe dazu...eieiei, das ist in Kriegszeiten nichts, womit man spaßt. Und könnte wirklich ins Auge gehen. Ihr Glück, dass unsere Leute lieber leise treten. Hm...es steht fest, dass Blacky aus dem System Informationen bekommen hat. Die Davis haben selber nicht den besten Ruf, kann ja auch sein, dass der oder ein Maulwurf bei IHNEN saß...also da können sie auch gleich unverschlüsselt funken, dass mit euch was nicht koscher ist."
"Und da brechen wir die Mission nicht SOFORT ab?"
"Die Analysten sind es durchgegangen und zum Schluss gekommen, das Risiko ist vertretbar. Sieh es mal so, ich sitze immerhin mit dir in der Patsche. Glaubst du, ich würde das riskieren, wenn ich annehmen müsste, dass wir aufgeflogen sind? Wobei...entgegen der meisten Geschichte wäre das vermutlich das Sicherste für euch, hehe. Bebe wird euch nicht auf die Pelle rücken wenn er fürchtet, dass dein Co-Pilot nicht doch eine Fregatte in der Hosentasche hat. Aber wenn man es recht betrachtet - das ist weit, weit von hier passiert. Wir haben nichts feststellen können, was wie eine gerichtete Kommunikation aussah- Blacky musste nach dem Stunt bei der Delaware-Station seine Zelte erst mal abbrechen und wenn er etwas taugt, hat er seine Agenten abtauchen lassen. Also können wir davon ausgehen, dass er nichts mitgekriegt hat."
"Berühmte letzte Worte..." knurrte die Kapitänin. Jayhawker hatte nicht wirklich etwas gegen Carol Davis gehabt, also zumindest nichts persönlich. Sie hielt sie für übergriffig in geschäftlicher Hinsicht, grundsätzlich für nicht vertrauenswürdig, kurz gesagt ein Inbegriff dessen, was kleinen Unabhängigen wie der EMERALD die Luft zum Atmen nahm. Aber das war eher etwas, was sich gegen das richtete, wofür Carol Davis STAND, nicht was sie persönlich WAR. Jetzt aber...nun, sagen wir, es war gut, dass die ältere Händlerin gerade nicht anwesend war.

Ein letzter Versuch bevor man sich ins Unvermeidliche schickte, konnte aber nie Schaden: "Sag mal, es besteht wohl keine Möglichkeit, dass du uns doch einfach aus der Sache rauslässt? Immerhin bin ich deine Schwester! Ich könnte dir ein paar Namen von Kontaktpersonen nennen und ein gutes Wort einlegen, und..."
Senni lächelte, anscheinend aufrichtig bedauernd. Aber andererseits, genau die Art Miene hatte sie im Verhör aufgesetzt, als sie und Sarah noch gemeinsam Kuchen aus der Bordkombüse gemopst hatten.
"Ungeachtet dessen, was du dir ausmalst, kann ich dich schwerlich zwingen. Und meine Auftraggeber sind eigentlich nicht so drauf, dass sie unschuldige Zivilisten gezielt umbringen, nur weil die nicht tun, was sie wollen." Sie sagte freilich nichts über ,Kollateralschäden', wie Jayhawker sehr wohl auffiel.
"Klar könnt ihr abhauen. Theoretisch. Aber das ändert nichts an der Sache, dass Blacky einen Hals auf euch hat - wofür wir wirklich nichts können. So lange ihr hier an der Peripherie unterwegs seid, habt ihr eine fette Zielscheibe auf der Bordwand. Und sagen wir es so, meine...Meister sind etwas nachtragend, wenn ihre Pläne scheitern. Übrigens die Beamten die die Davis an den Wagen gefahren ist auch. DIE ist vor ihnen sicher, IHR nicht. Nicht, dass sie zu so etwas unzivilisierten wie Gewalt gegen euch greifen...aber es gibt Möglichkeiten, euch eine reinzuwürgen, sobald ihr euch wieder in den Kernwelten blicken lasst. Erst recht bei eurem Geschäftsgebaren und dem Hintergrund deiner Crew. Du weißt, die Terries halten zusammen...Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Die haben einen SEHR langen Arm, und ich bin nicht die einzige Hand, auf die sie zurückgreifen können. So lange ihr aber mit mir zusammenarbeitet, seid ihr vor BEIDEN Gefahren halbwegs geschützt. Ihr verbessert unsere Chancen, die Piraten zu neutralisieren erheblich. Und es wird nicht schlecht bezahlt."
"Jaja, das ,Angebot, das man nicht abschlagen kann'." meckerte Jayhawker. Aber sie wusste selber, dass sie im Grunde nur ein Rückzugsgefecht führte: "Na gut, wenn mir keine andere Möglichkeit bleibt...aber wehe dir, wenn einer meiner Leute dabei draufgeht. Dann schwöre ich dir, Blutsverwandte oder nicht..."
Senni erwiderte den Blick ernst: "Schon klar. Ich weiß, dass deine Crew deine Familie ist. Inzwischen vermutlich mehr als Mutter und Vater - und als ich sowieso..."

Damit war eigentlich alles gesagt, und die beiden Besatzungsmitglieder der EMERALD machten sich bereit zum Aufbruch. Senni würde natürlich erst etwas später aufbrechen, man sollte sie noch nicht zusammen sehen.
"Was ich noch fragen wollte, Jay - hast du eigentlich meine Leute bemerkt?"
"Na klar." flunkerte die Kapitänin, freilich mit begrenztem Erfolg. NOCH ein Nachteil wenn man mit Verwandten zu tun hatte, sie durchschauten dich viel zu leicht.
"Lügnerin. Aber, ehe du dir noch ernsthaft den Kopf zermarterst - ich habe zwei von meiner Crew unten in der Bar, wo sie Barkeeperin belästigen, und zwei hier oben...schau nicht so überrascht. Nur weil meine Leute scheinbar weggetreten am Boden liegen, heißt das ja nicht, dass sie es auch sind...

***

Einige Tage darauf

Die Zeit nach dem denkwürdigen Treffen der beiden Schwestern waren ereignisreich gewesen, freilich eher im Bereich der Vorbereitung, als bezüglich wirklicher Ergebnisse. Die unfreiwilligen Verbündeten hatten sich miteinander bekannt machen können. Sennis Crew, drei Männer und zwei Frauen, hatten sich als eher unauffällig in Auftreten und Aussehen erwiesen. Natürlich, Sixpack-Monster und Jarheads gaben nun einmal schlechte verdeckte Einsatzagenten ab. Jayhawker war sich immer noch nicht sicher, ob es sich bei den Männern und Frauen um Geheimdienstler oder Söldner oder eine Mischung aus beidem handelte. Aber sie waren wenigstens wesentlich pflegeleichter als die TSN-Piloten, Marines und insbesondere dieser durchgeknallte TIS-Spinner auf ihrer letzten Mission. Gemeinsam mit der Crew der EMERALD hatten sie die Ladung des Frachters gelöscht, Jayhawker hatte ihre Schwester bei einigen Verkaufsgesprächen wegen angeblicher Artefakte begleitet, vor allem aber hatten Ghost, Quicksilver, der Rest der EMERALD-Crew und ihre neuen Mitstreiter den Frachter ein wenig ,überholt'. Die EMERALD verfügte jetzt über ein paar Startbehälter für Störkörper, und am Rückengeschützturm war eine kompakte Einweg-Lafette für Phönix-Langstreckenraketen angebracht worden. Raketen waren auf zivilen Schiffen so gut wie nie im Einsatz, und selbst die Händler, die die Erlaubnis hatten Jäger einzusetzen, durften diese oft nicht mit Jägerraketen bestücken - die Weitergabe von atomaren Schiff-Schiff-Raketen schied natürlich erst recht aus. Die TSN war aber auch bei konventionellen Raketen sehr zurückhaltend damit, Material weiterzugeben, das letztlich in der Hand von Terroristen/Rebellen oder Piraten landen konnte. So lange Nationalgarde, Zoll und TSN ein Beinahe-Monopol auf Flugkörper besaßen, hatten ihre Maschinen einen zusätzlichen Vorteil gegenüber ihren Gegnern. Natürlich kamen Piraten letztendlich doch irgendwie an Material. Dank dieser Zusatzbewaffnung war die EMERALD in der Lage, ein Gefecht mit einer vernichtenden Eröffnungssalve zu beginnen. Danach freilich sah die Sache etwas anders aus...

Jayhawker wusste nicht recht, was sie von dem Umbau halten sollte. Es war immer gut, ein Ass im Ärmel zu haben. Aber allein der Gedanke ihr geliebtes Schiff, ihre Heimat, ihr süßes kleines Baby könnte SCHON wieder in ein vollwertiges Gefecht geraten - das dritte in weniger als einem Jahr - war geeignet, ihren Seelenfrieden ernsthaft zu bedrohen. Da hätte sie ja gleich bei der TSN anheuern oder zu den Piraten gehen können. Natürlich, dank der geänderten Ziele ging es jetzt nicht mehr darum, die Freibeuter zu einem Überfall zu verlocken um dann die Falle zuschnappen zu lassen. Aber was, wenn Bebe nicht bereit war, sich an die Vorstellungen der Terries zu halten?
Doch im Moment wälzte sie mal gerade nicht DIESE Sorte von düsteren Gedanken, während sie durch die Gänge von Fort Irresponsible wetzte. Hier, etwas am ,Rand', war die Schwerkraft geringer, was ihr beeindruckende Sprünge erlaubte. Natürlich musste man eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Niedrig-Grav-Umgebungen haben, damit man sich so etwas erlauben konnte, aber die besaß sie.
Als sie die Verbindungsbrücke zum Shuttle ihrer Schwester erreichte - natürlich hatte ,Senni' genug Geld um sich einen teureren Liegeplatz näher an der eigentlichen Station zu leisten - signalisierte sie dem Aufpasser, dass er sie vorbeilassen sollte. Der Mann, ein mittelgroßer Farbiger mit einer kaum sichtbaren Tätowierung im Gesicht, glitt wortlos zur Seite. Er war offenkundig bereit, sofort in Deckung zu gehen und das Feuer zu eröffnen, falls sie verfolgt werden sollte - möglicherweise hätte er auch auf SIE geschossen, wenn er sie als Gefahr eingestuft hätte. Aber diesmal verschwendete die Kapitänin keinen Gedanken an die routinierte und darum um so bedrohlichere Professionalität und Kampfbereitschaft ihrer ,Verbündeten', die ihr ansonsten einiges Sorgen bereitete. Mit wenigen Sätzen hatte sie die Hauptluke erreicht und stürzte ins Shuttle.

Ihre Schwester saß im zentralen Fracht- und Aufenthaltsraum des Schiffes. Das modifizierte S-41 verfügte über vergrößerte Tanks und vier kleine ,Doppelkabinen' sowie eine etwas größere für die Kapitänin, einen gemeinsamen Aufenthaltsraum, Messe/Kombüse und einen Sanitärtrakt. Zweifellos war das Leben hier nicht übertrieben luxuriös, aber wer auch immer das Schiff eingerichtet hatte, verstand sein Handwerk, um ohne Protzerei ein gutes Ergebnis zu erzielen. Antrieb, Kommunikation und Bewaffnung waren todsicher massiv modifiziert worden.
Senni war gerade dabei ihre Ausrüstung zu revidieren. Die grünen Augen leicht zusammengekniffen hantierte sie mit einem zerlegten leichten Laserkarabiner. Und einer Walther P 902 Impulslaserpistole. Und einer P 925 für den verdeckten Einsatz, einem Kampfdolch, einem Teleskopschlagstock...wenn man das Arsenal betrachtete, fragte man sich unwillkürlich, ob sie Blacky eigentlich anheuern, eliminieren oder seinen Platz einnehmen sollte.
Bei Sarahs Eintreten blickte sie auf: "Irgend etwas sagt mir, dass du nicht kommst, weil du eine Überraschungsparty schmeißen möchtest."
Jayhawker atmete tief ein und aus, dann sprudelte sie heraus: "Ich hab es gerade von meinem Kontakt in der Flugleitzentrale erfahren, ein Frachter der DSC, ORANJE FOREVER, ist auf dem Weg hierher. Er ist offenkundig ordentlich bewaffnet."
Senni, sonst die Ruhe selbst, war zweifelsohne geschockt: "Wie zum...kommen die denn ausgerechnet hierher? Und JETZT?"
Jayhawker sah sich genötigt, ihre Unschuld zu beteuern: "He, nicht mich anschauen, ich bin die letzte, die noch jemanden braucht der sie am Gängelband führen will."
Ihre Schwester nickte knapp: "Schon klar. Aber DAS hat mir wirklich zu meinem Glück gefehlt. Wenn ich rauskriege, dass diese Idioten von Provinzialbeamten den Davis auch noch das wahrscheinliche Ziel deiner Rostlaube verraten haben, nagele ich ihre verdammten Ärsche als Zier auf die Nase meines Schiffes!"
Jayhawker ignorierte die Beleidigung ihres kostbaren Zuhauses, was bewies, wie konsterniert sie selber war.
"Es könnte ja ein Zufall sein." schlug sie lahm vor.
"Da glaubst du doch nicht mal selber daran! SO klein ist die Peripherie denn doch nicht, dass einer von den zwei Dutzend Seelenverkäufern der DSC uns hier beinahe über den Haufen fährt, und dann noch einer der was austeilen kann. Hier draußen gibt es nicht so viel zu holen. Ich meine, klar, auch hier kann man Geschäfte machen. Aber die fetten Margen schöpft man im Kriegsgeschäft ab, mit Regierungstransporten. Die Davis' haben nicht umsonst ein halbes Dutzend Offiziere in der erweiterten Familie."
Die Kapitänin der EMERALD kam nicht umhin zu nicken. Sie nickte auch, als ihre Schwester empört weiter schimpfte: "Nicht genug, dass ich mit einem halben Dutzend Leute auf eine Spezialmission geschickt werde ohne ausreichend Rückendeckung - 'tschuldigung, Jay, ich will ja dich und deine Truppe nicht vergessen - jetzt darf ich mich auch noch mit einem Haufen Zivilisten rumschlagen, die vermutlich nicht ansatzweise wissen, was sie zu tun und zu lassen haben? Der Himmel bewahre mich vor kindischen Amateuren, die bei den Erwachsenen mitspielen wollen!"
Ungeachtet ihrer Tirade setzte sie mit fliegenden Fingern und einer beeindruckenden Präzision ihre Waffen eine nach der anderen zusammen, sie schaute kaum hin.
"Na gut, gehen wir es an. Du kriegst raus, wo sie andocken, ob sie an Bord des Schiffes bleiben oder in der Station absteigen wollen. Sowie du das weiß, gibst du mir Bescheid, wir platzieren eine Kamera an dem Verbindungstunnel oder der Landebrücke BEVOR sie ankommen, ebenso bei ihrem Quartier auf der Station, FALLS sie sich eines nehmen. Dann wissen wir wie viele sich im Fort herumtreiben und wie sie aussehen. Drei meiner Leute wechseln sich ab und beschatten sie UNAUFFÄLLIG - am besten, wir heuern ein oder zwei Einheimische an, dass sie sie ein bisschen ablenken. Sie anbetteln, den bekifften Irren spielen, ihnen was - oder sich selbst - anbieten...kommt ja alles auch wirklich vor, fällt also nicht auf, aber kann im richtigen Moment die Aufmerksamkeit fesseln. Du und deine Crew, ihr haltet den Ball flach, sehen wir erst einmal, ob sie euch kontaktieren. Dass ihr hier seid kriegen sie schnell raus, wenn sie nicht NOCH dämlicher sind als ich dachte. Falls sie sich melden, frag sie, was sie wollen. Wenn nicht, wirst DU sie in ein, zwei Tagen kontaktieren. Mach ein Treffen auf der Station aus...und dann werde ich ihnen mal auf den Zahn fühlen. Und wenn er mir nicht gefällt..."
Sie fuhr mit einer einzigen blitzschnellen Bewegung den Teleskopschlagstock aus, fast schneller als man blicken konnte: "Dann ziehen wir diesen Zahn!"
Jayhawker war ein bisschen beunruhigt angesichts soviel zielstrebiger und unterschwellig gewaltbereiter Tatkraft.
"Ähm, könnten sie nicht von Nutzen sein? Ich meine, falls sie überhaupt hier sind um was wegen Blacky zu unternehmen..."
"Was denn sonst? Und ,helfen'? Sie haben weder deine Kontakte noch deine Erfahrung was sagen wir mal zwielichtige Geschäfte angeht. Und schon gar nicht die Erfahrung MEINER Leute was etwas...direktere Aktionen betrifft. Wobei sollen die uns wirklich helfen können?"
"Aber wäre es nicht besser, du würdest erst einmal abwarten und sehen, was sie so treiben? Und dich später mit ihnen befassen?"
Senni wog einen Moment ihren Kompaktlaser in der Hand. Dann verhärtete sich ihr Geschichtsausdruck, verschwand die Waffe im Unterarmholster: "Nein. Nein, ich werde mich JETZT mit ihnen befassen!"

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An Bord der Columbia
Sterntor-System

Mürrisch blickte Donovan „Stuntman“ Cartmell die vier Gestalten vor ihm an und schüttelte den Kopf. „Das nennt ihr Fliegen? Bringt man euch auf der Akademie denn nichts bei?“
„Wir haben alle Flugmuster auf der Akadenie gelernt, Sir!“
Alle Köpfe drehten sich zu Cabbie um und blickten ihn entgeistert an, der erst dann bemerkte, dass die Frage wohl rhetorisch gemeint gewesen war.
Wieder schüttelte Donovan den Kopf und hätte am liebsten die Hände über die Augen verschränkt.
Er bereute es schon jetzt, Sonnyboy versprochen zu haben, dass er den selbst ernannten vier Musketieren der Red Sun Spirit Nachhilfe im Dogfight geben würde. Das war tatsächlich härter als er sich das gedacht hatte. Er ärgerte sich, dass er seine wenige kostbare Freizeit damit vergeudete, diesen Jungspunden etwas beibringen zu wollen, was man einfach nicht lernen konnte.
Aber er hatte sein Wort gegeben und am Ende kam es ja auch ihm selbst zugute, wenn ein knappes Drittel seiner Staffel etwas besser flog und kämpfte. Denn schließlich konnte es ja genauso gut sein, das ihm das mal den Hintern retten konnte, auch wenn er im Moment Schwierigkeiten damit hatte, das auch wirklich zu glauben. Es grenzte schon fast ein Wunder, das alle vier die Schlachten im Sterntor-System überhaupt überlebt hatten. Aber vielleicht war er auch zu streng in seiner Analyse. Immerhin HATTEN alle vier überlebt und sich bis auf Ausnahme von Cabbie jeder sogar einen Abschuss geholt.
Also atmete er durch und versuchte es noch einmal. „Also gut, Dog. Du hattest einen Bogey auf deiner Sechs. Warum zum Henker hast du dir von dem Gegner deine gesamten rückwärtigen Schilde zerpulvern lassen?“
„Ich... Ich wollte...“ Dog zögerte mit der Antwort doch Donovan kannte sie ohnehin bereits.
„Du wolltest dir unbedingt den Abschuss holen, den du glaubtest vor deiner Nase zu haben. Doch dann bleibt der Gegner doch nicht frecherweise einfach mal auf Kurs und lässt sich abschiessen, sondern weicht aus, nicht wahr!?“
„Genau,...“
„Schnauze, ich bin noch nicht fertig!“ Donovan funkelte den jungen, deutschen Piloten an, der sichtbar zusammenzuckte. „Ihr müsst endlich aufhören unbedingt Abschüsse holen zu wollen. Das treibt euch jedes Mal ins Verderben.“
„Sie holen sich doch auch bei jeder Schlacht ein paar Abschüsse, Sir“ kam Kid seinem Kameraden zur Hilfe.
Donovan nickte. „Ja, das stimmt. Aber nicht weil ich die Abschüsse unbedingt machen will. Sondern weil ich lange genug überlebe um sie machen zu können!“ Das war eine der Regeln, die er von Piloten wie Darkness, Skunk und vor allem Lone Wolf gelernt hatte. „Nicht die Draufgänger holen sich die meisten Abschüsse, sondern die Geduldigen.“ Den kurzen Seitenblicken, die sie sich die vier Piloten zu warfen nach zu enthehmen schien ihnen diese Logik einzuleuchten. Endlich!
„Sie meinen also, wir sollen uns bewußt zurückhalten?“ Sonnyboy war sich immer noch nicht sicher, wie er das verstehen sollte.
„Nein, Nein. Nicht zurückhalten. Aggressiv rangehen, zuschlagen, aber immer rechtzeitig im entscheidenden Augenblick an die eigene Sicherheit denken.“
„Aber wann ist dieser entscheidende Augenblick?“ Cabbie wirkte verwirrt, hatte das doch in keinem seiner Schulbücher gestanden.
„Das werdet ihr schon noch lernen. Das ist vor allem Intuition und eine Menge Erfahrung. Aber am wichtigsten ist auch erstmal nur Ausweichmanöver üben.“
Alle vier jammerten gleichzeitig los, ganz besonders The Kid, der Heißsporn. „Aber wir wollten doch lernen wie man angreift und nicht wie man sich verteidigt.“
„Nochmal, erst wenn ihr das Ausweichen gut genug drauf habt, erst dann nehmen wir uns andere Gegenangriffsmanöver und das Von-Bein vor. Und erst dann werden wir Angriffsflüge proben, verstanden?“
Murrend nickten die vier Piloten. „Gut, dann aufsitzen, einen Flug machen wir heute noch.“ Die Piloten kehrten in die Simulationskapseln zurück und Donovan nahm am Kontrollpult Platz um die Simulationsübung zu überwachen.
Als die vier Musketiere mit ihrer Übung begonnen hatten, hörte er ein leichtes Räuspern hinter sich.
„Nimmst du die Jungs nicht ein bisschen zu hart ran?“ Titan stand mit verschränkten Armen am Eingang und grinste amüsiert.
Donovan grinste. „Nein, ich denke nicht. Lone Wolf und Skunk haben mich damals noch viel härter rangenommen und ich würde jetzt wohl nicht mehr hier stehen, wenn sie das nicht getan hätten.“
„Sieh an, sieh an. Und das aus deinem Munde. Hattest du nicht erzählt, dass du die beiden damals dafür gehasst hast!?“
„Naja, stimmt vielleicht. Aber nicht, weil ie mir was beibringen wollten, sondern die Art und Weise war das Problem. Deswegen bin ich mit den vieren da drin ja auch so sanft...“
„Du und sanft...“ Titan prustete los.
„Haha, sehr witzig. Wie meinst du das denn?“
„Naja, als besonders sanftmütig bist du bis dato ja nicht in Erscheinung getreten.“
„Und? Menschen können sich ändern und bei mir setzt so langsam die Altersweisheit ein.“
„Na dann lass mich wissen, wann du deinen Rollator brauchst!“ Donovan grinste schief, doch Titan fuhr schon fort.
„Ich glaube ja eher, dass du andere Motive hast.“
„Welche anderen Motive?“
„Bisher bist du ja nicht durch übermäßigen Fleiß und besonderen Ehrgeiz aufgefallen. Nicht dass du mir die Sektion abnehmen willst...!?“ Titan wirkte auf einmal Ernst und Donovan spürte, dass sie sich tatsächlich Sorgen machte, dass er versuchte sie rechts zu überholen.
Donovan schüttelte den Kopf und erwiderte ernst: „Nein, keine Sorge, dass ist nicht meine Absicht.“
„Ach wirklich nicht? Dann lass das Extra-Training doch einfach sein.“
Donovon schüttelte den Kopf. „Nein, das kann und will ich nicht tun, ich habe Sonnyboy mein Wort gegeben. Und wenn du wirklich Karriere als Sektionsführerin machen willst, dann würdest du mich auch nicht darum bitten.“
Jetzt verengten sich Titans Augen zu Schlitzen und Donovan spürte, dass er etwas Falsches gesagt hatt und das sie sauer wurde.
“Hör zu, Titan. Ich will mich wirklich nicht mit dir streiten. Ich mache das nur, weil diese Jungs Hilfe brauchen und mich darum gebeten haben. Wie kann ich dir beweisen, dass ich das absolut nicht mache, um bei Cowboy und Kali gut dazustehen?“
Titan antwortete nicht sondern verschränkte nur wortlos die Arme.
Doch dann hatte Donovan eine Idee. „Warte mal, wie wäre es denn, wenn du mir einfach dabei hilfst?“
Titan legte den Kopf schief und blickte Donovan skeptisch an. Doch bevor sie antwortete, fuhr er mit seiner Idee schon fort. „Wir könnten uns die Übungen teilen – du bist ohnehin kreativer als ich – und einige übernehme ich, einige Übungen übernimmst einfach du...!? Was meinst du?“
Titan überlegte noch kurz, und nickte dann. „Also gut, dann machen wir das zusammen.“ Sie streckte Donovan die Hand entgegen und er schlug ein, nur um es kurz darauf wieder zu bereuen. Für eine Frau hatte Titan einen unglaublich festen Handschlag.
Titan grinste und setzte sich dann neben ihn an das Kontrollpult. „Dann schauen wir doch mal was wir hier so haben...“
Donovan blickte seine Staffelkameradin kurz von der Seite an und fragte sich wieder, ob er sich wohl neulich geirrt hatte? Vielleicht war Titan doch nicht an ihm interessiert und konnte einfach nur eine gute Freundin sein? Donovan mochte die stämmige muskulöse Frau irgendwie, doch er hatte eindeutig kein anderweitiges Interesse an ihr. Er hoffte inständig, dass dies bei ihr auch so war. Denn mit Jean´s Abwesenheit hatte er ohnehin schon genug weibliches Drama in seinem Leben.
Und da war sie wieder: Jean Davis.
Er konnte die zierliche, hübsche Schwester seines besten Freundes einfach nicht aus seinem Kopf kriegen!
Wie es ihr wohl gerade ging?

***


Marines Ausbildungskaserne Fort Kendrick, In der Nähe von Neu Kapstadt,
Seafort, Sterntor, FRT

Lieutenant Colonel Hue Xha Bao keuchte und schwitzte, als er sich über eines der Hindernisse auf dem Trainingsparcours warf. Jeden Morgen um 0500 – wenn die Sonne noch nicht einmal aufgegangen war, absolvierte er eine Stunde Ausdauertraining um in Form zu bleiben. Er weigerte sich, den Schlendrian einkehren zu lassen, nur weil er jetzt einen Schreibtischposten in der Verwaltung hatte. Obwohl er nicht mehr zu den aktiven Fronteinheiten zählte, sah er es als seine Pflicht an, mit gutem Beispiel voran zu gehen und ein noch strafferes Program als seine Offiziersanwärter durchzuziehen. Und in der Regel war er zu dieser frühen Stunde auch der einzige Verrückte, der sich so ein Programm antat.
Doch an diesem Morgen war es anders gewesen. Gerade als er angekommen war, hatte er noch gesehen, wie eine zierliche Frau in den Parcours eingestiegen und in hohem Tempo losgeprescht war. Er hatte die Verfolgung sehr bald aufgenommen, doch musste er schon nach recht kurzer Zeit feststellen, dass er die Soldatin nicht einholen konnte.
Ganz im Gegenteil: Behende schnell und geschickt kletterte diese über die verschiedenen Übungsgeräte des ovalen Kurses und vergrößerte den Abstand zunehmends. Bao strengte sich an so sehr er konnte, doch es nutzte nichts, er konnte nicht verhindern, dass sie Stück um Stück davon zog. Und kurz vor Ende der Trainingszeit spürte er förmlich ihren Atem in seinem Nacken und gab sich noch einmal einen Push um ja nicht überholt zu werden. Verstohlen blickte er über seine Schulter um Ausschau nach seiner Verfolgerin zu halten. Die blonde Frau war ungefähr in seiner Körpergröße aber deutlich schmaler und drahtiger. Über ihrer Cargohose hatte sie ein enganliegendes Sportoberteil. Ihre schulterlangen Haare waren zum Pferdeschwanz geflochten und er konnte gut erkennen, dass sie zwar nicht muskulös aber dafür sehr drahtig und äußerst sportlich war.
In diesem Augenblick ging der Alarm seines Kommumikators los. Die Stunde Training war abgelaufen und es war 0600. Erleichtert doch nicht überholt worden zu sein, kam er zum Ende, holte seinen Drahtloskopfhöhrer aus seiner Sporthose und baute die Verbindung zu seinem persönlichen Adjudanten – Corporal Sanjeev Argawal auf – während er noch immer nach Atem ringend in die Mitte des ovalen Trainingskurses ging.
Die Soldatin hinter ihm hatte ihr Training auch beendet und folgte ihm zu den Matten, die dort bereitlagen, salutierte einmal zackig korrekt und begann nach Bao´s Salut sich zu dehnen und zu strecken.
Inzwischen hatte sich die Verbindung zu seinem Assistenten aufgebaut und die Stimme seines Adjudanten erklang in der Leitung. „Guten Morgen, Sir“
„Guten Morgen!“ antwortete er gedankenverlore zurück.
„Guten Morgen, Sir!“ Die junge Offiziersanwärterin schnellte hoch und stand stramm vor ihm und salutierte noch einmal zackig. Offenbar hatte sie gedacht, angesprochen worden zu sein.
Bao schüttelte den Kopf, zeigte auf den Kopfhörer in seinm Ohr „Sie meinte ich nicht.“
„Wie bitte, Sir?“ „Oh tut mir leid.“ Jetzt antworten beide gleichzeitig, was etwas störend war.
„Muss ihnen nicht leid tun, konnten sie ja nicht wissen.“
„Sir ich bin verwirrt. Was konnte ich nicht wissen?“ Corporal Argawal klang zu Recht irritiert.
Jetzt musste er lachen, deutete der immer noch vor ihm salutierenden Sergeantin kurz zu warten und wandte sich dann an die Stimme in seinem Ohr. „Sanjeev, ich rufe sie gleich zurück.“
Dann wandte er sich wieder an die schwitzende Soldatin vor ihm. „Stehen sie bequem, Sergeant….?“
„Davis, Sir!“
Bao nickte.kurz „Sergeant Davis! Sie gehören zu McKenna´s Gruppe, nicht wahr?“
„Aye, Sir!“
„Was treibt sie schon zu so früher Stunde auf den Trainingsparcour, Davis?“
„Ich schätze, dasselbe wie sie, Sir!“
„Senile Bettflucht?“
Jetzt musste Sergent Davis tatsächlich auch kurz lachen, wurde dann aber schlagartig wieder ernst. Und Hue Xha Bao ertappte sich dabei, das er das sehr schade fand, aber das war nun mal das Los ein Kommandant zu sein. Seine Untergebenen hatten Respekt vor ihm und das sollte schließlich auch so sein. „Nein, Sir. Ich wollte wie sie noch etwas härter trainieren, Sir.“
„Nun ja, ich muss im Gegensatz zu Ihnen heute nicht nochmal raus, sie haben noch mindestens ein zweistündiges Konditionsprogramm vor sich.“
„Das ist schon o.k., Colonel. Ich bin das gewohnt.“
„Und sie meinen, ich nicht mehr?“
Jetzt sclich sich etwas Panik in Davis Gesicht und sie versteifte sich sofort wieder. „Nein, Sir, das… das meinte ich natürlich nicht, Sir.“
Bao lächelte milde und seufzte leicht. „Keine Sorge, Sergeant. Das war nur ein Witz.“
Und sofort entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder erleichtert. „Ach so. Wenn das so ist, Sir, dann: HaHa!“ Bao musste lächeln, schlagfertig war sie also auch noch. Das gefiel ihm. „Wir sollten uns weiter dehnen, sonst werden die Muskeln wieder kalt.“
„Ja, Sir.“
Es entstand eine kleine Pause, in der sich die beiden dehnten und nach einer kurzen Weile entschloss sich Bao, die Offitiersanwärterin ein wenig auszufragen. „Und wie gefällt ihnen die Ausbildung bisher?“
„Es ist toll, Sir! Viel besser als ich gedacht hatte.“
Bao musste schon wieder seufzen. Wieder das harte Los eines Kommandanten. Man traute sich natürlich nicht, ihm reinen Wein einzuschenken.
„Sergeant Davis, wissen Sie, ich bin noch nicht sehr lange in meiner Position und ich möchte wirklich wissen, wie sie ihre Ausbildung finden. Für mich ist es auch wichtig, eine ehrliche Antwort aus erster Hand zu erhalten. Sie haben also die Erlaubnis frei zu reden!“
Davis schaute ihn ein bisschen zögernd an, doch gab sich dann deutlich sichtbar einen Ruck und entschied sich wohl dafür ihm zu vertrauen. „Es ist sehr viel anstrengender, als ich gedacht habe, Colonel. Aber ich lerne eine Menge und ich hoffe, dass ich den Anforderungen eines Lieutenant gewachsen sein werde.“
“Immer noch eine diplomatische Antwort aber schon besser. Was würden sie sich wünschen, was wir noch verbessern können?“
Davis überlegte ein wenig, bevor sie antwortete. „Sir, ich weiß, dass diese Ausbildungsinhalte noch kommen werden, aber meiner Meinung nach ist eine der Kernfähigkeiten eines Offiziers die Führung von Soldaten in Kampfeinsätzen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre mein Wunsch mehr solche Übungseinsätze zu haben.“
„Was haben sie genau im Sinn?“
„Naja, wir haben hier ja auch einige Rektuten und vielleicht könnten wir einige Squads und Platoons bilden und simulierte Einsätze in verschiedenen Umgebungen durchführen.“
„Umgebungen?“
„Statt nur in Fort Kendrick zu bleiben, könnten wir Einsätze im Orbit haben, an den Polkappen, im Changara-Dschungel, vielleicht auch in einem Stadtgebiet und den Wüstengebieten im Norden, den Plain Lands. Jede dieser Umgebungen birgt seine eigenen Herausforderungen und Probleme. Und das wäre daher sowohl für uns gut, als auch für die Rekruten.“
Hue Xha Bao nickte. „Danke für ihre ehrlichen Antworten, Sergeant. Ich werde das mit meinem Stab besprechen. Und nun, entschuldigen sie mich bitte.“ Davis salutierte vorschriftsgemäß und wandte sich wieder ihrem Dehnprogramm zu, während Bao seinen Kommunikator aktivierte und sich auf den Rückweg machte. „Sanjeev, entschuldigen sie die Unterbrechnung aber hier bin ich wieder.“ Natürlich hätte sich Bao nicht zu entschuldigen brauchen, aber seine Höflichkeit gebot es ihm jeden gleich freundlich zu behandeln, unabhämgig von Rang oder Position. „Sanjeev, bevor wir mit dem Briefing starten, suchen sie mir bitte die Akte von Sergeant Jean Davis aus McKenna´s Gruppe heraus.“
„Aye, Sir. Wird sofort erledigt.“
„Gut dann lassen sie uns mit dem Briefing beginnen.“
Damit begann wieder ein harter Arbeitstag für Lieutenant Colonel Hue Xha Bao. Aber wie nach jedem morgendlichen Frühsport fühlte er sich frisch und voller Energie und freute sich auf alle Herausforderungen, die vor ihm liegen mochten.

***

An Bord der Columbia
Sterntor-System

2nd Lieutenant Sharon Bobcat Rogers war selten lange alleine an Bord der Columbia. Das lag natürlich vor allem an dem strammen und anspruchsvollen Dienstplan, den sie alle hatten. Da waren Übungsflüge, Patrouillienflüge und Simulationsflüge. Da waren Staffelbesprechungen, Geschwaderbesprechungen, Einsatzbesprechungen und Manöverbesprechungen. Da waren medizinische Checks, Pilotenausrüstungschecks und Fliegerchecks. Alleine schon mit diesem Programm waren jeden Tag bis zu 12 von 24 Bordstunden leicht zu füllen. Dann musste man ja noch was essen und auch mal schlafen, wenn es gut lief vielleicht im Schnitt acht Stunden pro Bordtag.
Damit hatte man an normalen Diensteinsatztagen in etwa zwei bis maximal vier Stunden zur freien Verfügung. Viele nutzten diese kurze Zeit für Sport, manche hingen auch nur in ihrer Koje ab, wieder andere mussten ihren Schreibkram machen und ganz wenige nutzten selbst diese Zeit zum Lernen. Und wiederum einige wenige feierten, flirteten und machten auch mal mehr miteinander.
Jeder der Bobcat kannte, wusste natürlich zu welcher Kategorie die hübsche Kalifornierin gehörte.
Und dann gab es noch die freien Tage. Jeden fünften bis sechsten Tag hatten die Piloten wie auch alle anderen Mannschaften an Bord zumindest in der Theorie einen halben Tag zusätzlich frei und damit insgesamt zwölf Stunden extra, nur für einen selbst, zur freien Verfügung.

Für jemanden wie Sharon, mit voller Energie und Hornissen im Hintern war diese Zeit immer extra schwer zu füllen gewesen. Wenn schon 2-4 Stunden Freizeit schwer auszufüllen waren, wie war das erst mit 12 Stunden. Die ersten paar Wochen hatte Bobcat noch versucht, die Zeit mit den verschiedenen losen Liebschaften, die sie jetzt schon an Bord gesammelt hatte, zu verbringen. Aber erstens hatten diese aufgrund von schwankenden Dienstplänen auch nicht immer zur gleichen Zeit frei. Und zweitens waren bisher alle ihre kurzen Romanzen aus guten Gründen so kurz geblieben.
Anders als die meisten von ihr dachten, hatte Bobcat durchaus recht hohe Anforderungen: Gut aussehen, stark im Bett, charmant und intelligent sein und dann auch noch das besondere Etwas haben… Das war nun einmal äußerst rar zu finden. Und selbst beim Flying Circus hatten Bobcats Liebesbeziehungen bisher immer nur maximal zu wenigen Monaten Dauer gereicht.
Nein, Bobcat war relativ schnell langweilig geworden und so hatte sie die Initiative ergriffen. Sie hatte ein paar ihrer neuen Freunde gefragt, ob sie denn an ihren freien Tagen nicht einfach etwas zusammen machen und etwas feiern können um den Stress abzubauen. Und so war das eine zum anderen gekommen.
Irgendjemand hatte eine halbwegs vernünftige Musikanlage, noch jemand hatte ein paar einigermaßen gute Boxen und einer der Maschinenraumer wußte von einem recht unbenutzen Mannschaftsraum, tief im Inneren der riesigen Columbia, der normalerweise Besprechungen für knapp 30 Personen ermöglichte, aber schon seit einiger Zeit nicht mehr wirklich gebraucht wurde. Sie hatten den Raum etwas entrümpeln müssen und die Tische und Stühle entfernt, und konnten nun deutlich mehr Leute unterbringen. Bei ihrer ersten improvisierten Party waren sie noch knapp 10 gewesen, dann 20, dann 30 und jetzt schätzte sie dass sich mindestens 40 oder mehr Personen in dem Raum zusammengedrängt hatten. Ein paar der Jungs hatten eine provisorische Bar gebaut und wenn auch kaum harter Stoff ausgeschenkt wurde, hatte immer irgendjemand etwas mitgebracht. Bier, Wein, ein paar Spirituosen. Nichts Wildes. Selbst wenn man frei hatte, konnte man sich nicht heillos volllaufen lassen, denn der nächste Dienst war ja immer nur einige Stunden entfernt. Aber ein paar Schlücke zur Auflockerung waren schon in Ordnung.
Und auch wenn die Musik nicht sonderlich laut war, war sie in aller Regel mindestens laut genug, dass man sogar ein wenig tanzen konnte, wenn man dazu Lust und genug Platz hatte.
Sie hatte von einem früheren Piloten namens Radio gehört, der wohl ähnliche regelmäßige Parties auf der Redemption, dem Vorgängerschiff der Angry Angels, organisiert hatte. Aber mit dem Untergang der Redemption und dem Tod von Radio war diese Tradition wohl irgendwie untergegangen. Natürlich wusste Sharon, dass sie diese Parties nur fortführen würden, solange sie sich im Sterntorsystem befanden. Denn wenn sie erstmal auf Feindfahrt waren, dann war die freie Zeit noch knapper und noch viel wichtiger würde ihnen der Nachschub an Getränken relativ schnell zur Neige gehen. Zwar hatte so gut wie jeder – vielleicht mit Ausnahme von solchen Fanatikern wie Cabbie – einen eigenen Alkvorrat an Bord und solange immer noch Landgänger von Seafort und Masters zurückkamen, würde es auch noch genügend Nachschub geben. Aber hinter den feindlichen Linien wäre damit natürlich Schluß und die Vorräte würden auch nicht sonderlich lange halten können.

Bobcat musste grinsen, als sie sich im Raum umschaute und ihre kleine geheime Party betrachtete. Diese war wohl nicht mehr so geheim, wie es am Anfang vor ein paar Wochen noch gewesen was, denn sie hatte gehört, dass jetzt fast jeden Tag so um die 40 Leute zusammenkamen, tranken, lachten, tanzten oder sich auch einfach nur unterhielten. Und jedes Mal war jemand anders der „Ausrichter“ und da immer andere Leute zusammen frei hatten, waren auch immer andere Leute mit von der Partie. Von den derzeitigen Teilnehmern zu schliessen hatte sich ihre kleine Partyhöhle bei allen Mannschaftsgraden und auf allen möglichen Stationen und Einheiten wie dem Deckpersonal, den Piloten und Marines herumgesprochen.
Sharon ahnte, dass nicht alle ihre Kollegen ihr Treiben hier gutheissen würden – allen voran Kano, Lilja und auch wohl Kali – auch wenn sich alle Partygäste einigermaßen gesittet verhielten und kaum einer wirklich über die Strenge schlug. So sehr sie Kali mochte, war sie doch in mancher Hinsicht einfach furchtbar steif und förmlich und Sharon konnte sich weder die Inderin, noch ihren Samurai und erst Recht nicht die Eiskönigin in diesem Raum vorstellen. Generell waren die meisten der Kampfpiloten dem Treiben hier unten doch fern geblieben und von den Piloten waren es eher die Bomberpiloten gewesen, die man ab und zu gesehen hatte.
Umso erfreuter war Bobcat als sie ihre Staffelkameraden Kid, Dog und Sonnyboy eintraten sah. Und umso überraschter, dass sie Cabbie und Stuntman im Schlepptau hatten.
Sharon löste sich sofort von ihrem Tanzpartner, ohne auf dessen Protest zu achten und zwängte sich durch die Menge in Richtung Eingang.
„Na wen haben wir denn hier?“ Sie lachte und gab allen Neuankömmlingen Küsschen zur Begrüßung. Während die Jungspunde die Art der Begrüßung sichtlich genossen, wirkte Cabbie vollkommen versteinert und Stuntman schaute sie nur aus kühlen Augen an.
„Jungs, habt ihr etwas zu trinken mitgebracht?“
Dog hielt eine Flasche billigen Gin und Kid eine Flasche noch billigeren Wein hoch. Doch Sharon lächelte trotzdem und bat sie, den Stoff an die Bar zu bringen. Sie schob alle vier Jungspunde in Richtung der Bar, aber hielt Stuntman am Arm fest als dieser den anderen folgen wollte.
„Na, das ist ja mal eine freudige Überraschung. Wie kommt es, dass Du hier bist.“
„Die vier Musketiere wollten eine Eskorte, weil sie sich alleine nicht getraut hätten“ antwortete Stuntman witzig aber dennoch äußerst kühl.
„Also wie lange soll das noch so weiter gehen?“
„Wie bitte?“
„Wie lange willst du noch die beleidigte Leberwurst spielen?“
Der gutaussehende, wenn auch durch einige Schrammen, Abschürfungen und einem leicht geschwollenen Auge relativ stark lädierte Pilot verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. “Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Ach komm schon, tu nicht so, du meidest mich seitdem ich an Bord gekommen bin.“
Stuntman verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was meinst du wohl woran das liegt?“
Sharon grinste und flötete. „Keine Ahnung, wirklich.“ Doch diese Antwort kam bei Stuntman offensichtlich nicht besonders gut an. Seine Miene verdüsterte sich noch mehr und er schien sich schon wieder abwenden zu wollen.
„Ok, ok.“ Sie hielt ihn wieder am Arm fest. „Ich geb‘s ja zu, ich war gemein. Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, ich wollte dich einfach nur ein bisschen aufziehen. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht vor allen anderen bloßstellen.“ Langsam entspannten sich seine Gesichtszüge. “Ich hatte mich ehrlicherweise sogar darauf gefreut dich wieder zu sehen. Aber dann sind bei mir mal wieder alle Gäule durchgegangen. Kannst du mir nicht einfach verzeihen?“
Sie legte den Kopf leicht schief und lächelte das schönste Lächeln dass sie hatte. „Bitte? Bitte, Bitte, Bitte?“
Langsam, ganz langsam stahl sich so etwas Ähnliches wie ein Lächeln in das Gesicht des älteren Piloten. „Ok, Entschuldigung angenommen.“
Sharon lächelte weiter. Klappte doch fast jedes Mal. „Gut, dann hoffe ich, das wir jetzt wieder normal miteinander umgehen können!?“
Er nickte zögerlich, worauf sie sich bei ihm einhakte, ihn zur Tanzfläche führte und ihre Arme um ihn legte.
„Und das ist jetzt normal für dich?“
Sie grinste. „Ist dir das unangenehm? Auf Seafort schien es dir gefallen zu haben.“
„Das war etwas ganz anderes. Seitdem ist viel Zeit vergangen.“
„Die du auch nicht alleine verbracht hast, wie ich gehört habe.“
„Was hast du gehört?“ Sie spürte sofort, wie sich sein Körper wieder versteifte, doch sie behielt ihn einfach weiter im Arm und lehnte sich näher an ihn ran. „Na komm schon, Donovan. Glaubst du wirklich, dass sich ausgerechnet hier an Bord eines Schiffes irgendetwas geheim halten lässt? Glaubst du etwa, ich wüsste nicht von dir und Jean Davis? Glaubst du ich wüsste nicht, woher die Schrammen in deinem Gesicht stammen?“
„Und woher weißt du das alles?“
„Dieses Schiff ist wie ein Dorf, naja vielleicht eher wie eine kleine Stadt. Jedenfalls habe ich so meine Quellen…“ Sie schmiegte sich noch etwas näher an ihn und ihr warmer Atem an seinem Ohr ließ unweigerlich einen kalten Schauer über seinen Rücken wandern. Sofort kehrten Erinnerungen an Seafort zurück und er konnte nicht verhindern, dass sein Körper wie automatisch auf diese Reize reagierte. Es war immerhin schon sehr lange her, dass er das letzte Mal mit einer Frau im Bett war. Und das war auch noch ausgerechnet Bobcat gewesen.
Diese grinste ihn nun ganz breit an, so eng wie sie an ihn angeschmiegt war, konnte ihr das gar nicht entgehen. „Na sowas, also bin ich dir wohl doch nicht egal…? Was meinst du, suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen und lassen alte Erinnerungen an Seafort wieder aufleben?“
Donovan konnte nicht leugnen, dass er Bobcat wirklich sehr reizvoll fand. Doch er musste sofort an Jean denken. Erst hatte sie ihn abgewiesen, dann hatte er dasselbe mit ihr getan. Und er wusste immer noch nicht, wie Jean zu ihm stand. Es war ja nicht so, als ob er fremdgehen würde oder ihr etwas schulden würde. Also auf was wartete er dann noch?
Bobcat merkte sein Zögern und lächelte sanft. „Keine Sorge, ich verstehe schon. Du bist noch nicht über sie hinweg.“
Stuntman blickte in ihre schönen Augen, spürte ihren warmen Körper und entschied sich spontan: „Nein, das ist es nicht! Bring mich einfach hier weg.“ Er grinste schief und Bobcat erwiderte sein Lächeln. Wortlos schnappte sie seine Hand und zog ihn hinter sich her. Auf dem Weg nach draussen fing Donovan die Blicke der vier Jungspunde aus seiner Staffel auf, die ihn mit offenen Mündern und einer Mischung aus Respekt und Neid anblickten. Und noch ein weiteres Gesicht erkannte er in der Menge. Der Marine – Lonsdale – mit dem er vor nicht allzu langer geboxt hatte, blickte ihn kalt lächelnd aus einem ähnlich zerschundenen Gesicht an. Sollte Jean jemals wieder zurückkehren, dann würde ihr diese Geschichte sicher brühwarm und in voller Ausschmückung erzählt werden.
Donovan entschied, das jetzt beiseite zu schieben und die kommende Nacht mit Bobcat zu verbringen. Sollte Jean jemals zurückkehren, dann würde er sich darum kümmern. Doch wer wusste schon ob, wann und unter welchen Umständen er die kleine Davis je wiedersehen würde?

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"

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Truman Davis warf einen abschätzenden Blick auf sein Spiegelbild. Das tat er nicht aus Eitelkeit, sondern einzig und allein aus Notwendigkeit. Als operierender Direktor vertrat er die gesamte Firma auf Fort Irresponsible, und das bedeutete, dass er als ihr Repräsentant den besten Eindruck hinterlassen musste. Die Davis Spacefreight Corporation hatte hier nicht ohne Grund einen sehr guten Ruf, und den galt es zu wahren. Als Spacer wussten sie exzellente Kontakte zu einem unabhängigen Hafen sehr zu schätzen. Spöttisch sah Truman den Inspektor an. „Schwierigkeiten mit Zivilkleidung, Stepan?“
Der Beamte warf Truman einen unsicheren Blick zu. „Ich verstehe nicht, warum wir da in Geschäftsanzügen rüber gehen. Wären leichte Raumanzüge nicht besser für uns?“
„Um im Fort eine mittlere Panik auszulösen, weil sich dann das Gerücht verbreitet, es gäbe ein Strahlungsleck oder ein Loch im Panzer, über das Atemluft abfließt?“ Er klopfte dem kleineren Mann auf die Schulter. „Machen Sie sich um solche Dinge keine Sorgen, Stepan. Bis so ein Riesending wie Fort Irresponsible verstrahlt oder bar jeder Atemluft ist, vergeht eine Menge Zeit. Wir wären in keinem Fall gefährdet.“
„Und wenn es ein Loch ist, das groß genug ist, um uns zu gefährden“, führte Esterhazy den Gedanken weiter, „dann hat, was immer das Loch gerissen hat, uns längst getötet.“
„Na, Sie machen mir ja Mut, Colonel“, murrte der junge Mann.
Milos Esterhazy räusperte sich vernehmlich. „Ich mache niemandem Mut. Ich schätze Risiken ein. Dafür werde ich bezahlt.“
„Truman?“, klang erneut die Stimme von Gwendolyn Fox auf, der Kommandantin der ORANJE FOREVER.
„Was gibt es, Schatz?“
„Wir kennen mehrere der hier vor Anker liegenden Boote. Keines davon passt zum Black Buccaneer.“
„Na, das ist doch immerhin etwas.“
„Eines davon ist die EMERALD JADE.“
Truman verharrte darin, ein letztes Mal über sein Jackettrevers zu streichen. „Die JADE? Hier? Wie überaus interessant.“
Zorik runzelte die Stirn. „Hier? Ausgerechnet hier?“
Truman winkte ab. Er ahnte, welche Gedanken der Inspektor hegte.
„Soll ich sie kontaktieren?“
„Nein, Gwen. Aber habe ein offenes Ohr dafür, falls sie uns anrufen. Sollten sie das tun, leiste ihnen jede Unterstützung, um die dich Jayhawker bittet.“
„Jede?“
„Der Situation angemessen, natürlich. Sollte es drüben auf Leben und Tod gehen, nützt es nichts, wenn du formell beim Direktor protestierst.“
„Verstehe. Viel Spaß drüben.“
„Danke, Gwen. Sag mir Bescheid, wenn sich etwas ändert.“

Vor ihnen öffnete sich das Schott. Begleitet von zwei großen, breitschultrigen Bodyguards, einer schwarzhaarigen Frau und einem kahlrasierten Mann, sie Kaukasierin, er Negride, schritt Truman darauf zu. Der Andockstutzen des Raumhafens würde sie unter der Erde bis ins Fort hinein führen. Als sie den unterirdischen Laufgang betraten, sackte die Schwerkraft merklich ab. Ein paar Meter im Gang verlor sich die restliche Wirkung des Gravitationsgenerator der ORANJE vollständig, und nur noch die Schwerkraft des Asteroiden wirkte auf sie. Truman griff zu, als sich der Inspektor durch eine unbedachte Bewegung fast an die Decke katapultiert hätte. Dabei huschte ein flaches Grinsen über sein Gesicht, als wolle er sagen: Diese Planetarier. Die Bodyguards erwiderten das Grinsen, bevor sie wieder ernst wurden. Ihre Aufgabe begann bald.
„Warum kontaktieren wir die EMERALD JADE nicht? Immerhin hat sie die Diamanten, hust, hust, verloren“, sagte Zorik. Seine Schritte waren nun vorsichtiger, und nach wenigen hundert Metern würden die Grav-Generatoren von Fort Irresponsible greifen, was die nächste Überraschung für den Mann sein würde.
„Weil die JADE zum Aufgabengebiet meiner Frau gehört, Stepan. Sie würde mir schön was husten, noch mehr als Sie, wenn ich ihr das wegnehmen würde. Sicher ist sie nur ein paar Tage hintenan“, erklärte Truman, ohne seine Miene zu verziehen. Tja, Pokerrunden mit zwei Lieutenant Commanders, einem Colonel und mehreren First Lieutenants zahlten sich halt irgendwann doch in einer undurchdringlichen Miene aus. Er hätte dem Mann auch schlecht erzählen können, was er wusste, nämlich, dass der Frachter in den Staatsdienst gepresst worden war. Mehr hatte Carol ihm nicht zu sagen gewagt, gut codiert und mit Hilfe der gängigen Anspielungen, die sie für diese Art der Kommunikation entwickelt hatten, denn im Weltraum schien jeder umher fliegende Asteroid Ohren zu haben und nach Funkfrequenzen zu lauschen. Für Truman bedeutete dies, dass er besser nicht nachfragen sollte; es hätte DSC gefährden können, es hätte Jayhawker, ihr Schiff und ihre Crew gefährden können. Seine Aufgabe waren die verdammten Diamanten. Carol würde, wie immer gut vorbereitet, ihren Teil der Aufgabe erfüllen kommen. Dessen war er sich sicher. Aber wenn das Schiff hier war, wenn es Dienstgepresst war, in einem Bereich, in der der Black Buccaneer sein Unwesen trieb, zumindest seine Beute verkaufen konnte, dann konnte selbst eine Kontaktaufnahme seinerseits ein mächtiger Griff ins Klo für die JADE werden. Und das hieß, dass er auch den übereifrigen Nachwuchsbeamten, die JADE betreffend, fest an die Kandare nehmen musste, und zwar so, dass der Mann den harten Griff nicht bemerkte.

Der Laufgang endete vor einem weiteren Schott. Es war noch nicht geöffnet, aber das hatte Truman auch nicht erwartet. Er trat vor die Kamera und bewegte keinen Gesichtsmuskel. Er wusste, dass er in diesem Moment mehreren Scans unterzogen wurde, darunter biometrische Gesichtserfassung und eine Analyse seiner Retina. Dies nicht unbedingt, weil das Fort explizit supergenaue Sicherheitsvorschriften hatte; es diente der Feststellung seiner Identität, denn eine Person, der es gelang, hier in Fort Irresponsible als Truman Davis akzeptiert zu werden, konnte sowohl dem Fort als auch DSC erhebliche Schäden zufügen.
Das Ganze dauerte nur eine gute Sekunde, dann öffnete sich das Schott. Sie sahen in eine Schleusenkammer, wie sie üblich waren, um den Innenbereich zu schützen.
Davis und seine vier Begleiter traten ein, dann schloss sich hinter ihnen das Schott. Ein kräftiger Windstoß kam aus Luftschlitzen im Boden und wurde durch Vorrichtungen an der Decke abgesaugt. Daraufhin dauerte es weitere zwanzig Sekunden, bevor das Signallicht über dem Innenschott von rot auf grün wechselte.
„Eine biochemische Analyse? So schnell? Hier?“, fragte der Inspektor ungläubig.
„Vor allem eine Schnellanalyse auf Krankheiten, Stepan“, antwortete Truman. „Die Luft wird mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei geleitet und nimmt dabei Schweiß, Hautpartikel und Haare mit sich. Diese werden auf gängige Krankheitserreger gescannt, hauptsächlich hoch ansteckende, leicht übertragbare Krankheiten.“ Der große Davis-Mann konnte seinen Stolz nicht verhehlen, als er sagte: „Ein Geschenk meiner Firma an Fort Irresponsible.“
„Ein mächtig teures Geschenk.“
„Fort Irresponsible ist für uns ein wichtiger Geschäftspartner. Und Bio-Hoheit ist für eine isolierte Kolonie wie das Fort das A und O des Überlebens“, erwiderte er achselzuckend.
Das Innenschott glitt nun auch auf. Für einen Moment zuckte der junge Inspektor zusammen, fand aber schnell zu seiner stoischen Haltung zurück, als er merkte, dass die schrillen Töne kein Angriff, sondern eine Begrüßung sein sollte. Mehrere Dutzend Menschen hatten sich eingefunden, um sie zu empfangen, darunter eine Gruppe von rund zwanzig Kindern im Vorschulalter, die gemeinsam „Herzlich Willkommen“ von den Drasai Beats sangen. Nun, sie versuchten es zumindest, und auf jeden Fall war es schön laut.
Als die Kinder fertig waren, kniete sich der Colonel vor den Kleinen hin und reichte jedem eine kleine Süßigkeit, abgestimmt auf den Metabolismus, denn nicht alle waren Menschen. Zwei Akarii und vier Volten gehörten ebenfalls zur Gruppe.
Derweil machte ein großer, kräftiger Mann mit kahlrasiertem Schädel und jovialem Grinsen den Schritt auf Truman Davis zu, lächelte über sein breites, fleischiges Gesicht und breitete die Arme zu einer Umarmung aus. „Truman, mein alter Freund. Es ist mir eine Freude und ein Vergnügen, dich mal wieder bei uns begrüßen zu dürfen.“ Er schloss den Davis fest in die Arme, und sein Lächeln schien echt zu sein. „Sandy“, sagte er, dem weiblichen Bodyguard zunickend. „Andreas.“ Sein Blick ging zu Esterhazy, der immer noch vor den Kindergartenkindern kniete und mit ihnen redete. „Colonel.“
Truman trat einen halben Schritt zur Seite und deutete neben sich. „Mario, darf ich vorstellen? Stepan Zorik, Bundesinspekteur. Zollwesen.“
„Na, da sind Sie ja an den richtigen Ort gekommen, Mr. Zorik“, sagte der breitschultrige Mann und reichte ihm die Hand, ohne zu zögern. „Direktor Castello, zu Ihren Diensten.“
Der Inspektor schüttelte dem größeren Mann artig die Hand. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich will hier keine Zoll-Außenstelle einrichten.“
„Das habe ich auch nicht wirklich erwartet“, sagte der Direktor. „Und solange das so bleibt, können wir Freunde werden.“ Sein Zwinkern nahm nur wenig vom Ernst seiner Worte. „Darf ich vorstellen, Mr. Zorik? Eleanor Belvik, Subdirektorin eins, Hygiene.“ Er deutete auf eine kleine, schlanke Frau in einem weißen Bodysuit mit einem diskreten Biohazard-Symbol auf der linken Brusttasche. Sie war schlank und schwarzhaarig, und mindestens ein Stammzweig ihrer Vorfahren schien aus Südasien zu stammen. „Angenehm, Mr. Zorik.“ Die beiden schüttelten sich die Hände.
„Subdirektor zwei, Kevin Uchtermann, Technik.“
Zorik gab dem hageren Mann mit dem unsteten Blick die Hand. Seiner Miene nach hätte er lieber einen toten Fisch angefasst, denn das wäre ein netterer Händedruck gewesen. „Angenehm, Subdirektor zwei.“
„Lloyd Huron, Subdirektor drei, Sicherheit“, sagte Castello. Dabei ließ er einen Mann an sich vorbei, der den Vergleich mit Trumans schwarzem Bodyguard nicht zu scheuen brauchte. Allerdings war er Milchkaffeefarben und hatte noch alle seine Haare, diese aber waren streng zurückgeschnitten. Sein Händedruck war das genaue Gegenteil vom toten Fisch des Subdirektor zwei, und er zerquetschte dem armen Stepan Zorik fast die Hand. Ja, so stellte man sich einen Sicherheitschef vor. „Guten Tag, Mr. Zorik. Nur um das gleich klarzustellen: Das Gesetz auf dieser Station vertrete ich. Wenn Sie also in irgendeine Form von Ärger geraten, kommen Sie zu mir oder rufen einen meiner Leute, nicht umgekehrt. Am besten weichen Sie einfach nicht von Trumans Seite.“
„Ich hatte nichts anderes vor“, versicherte der Inspektor. Dabei rieb er sich die schmerzende Hand heimlich.
Es folgte eine weitere Begrüßungswelle durch die anderen Anwesenden, die ebenfalls eine gewisse Relevanz besaßen, darunter die Schulleiterin, der Vertreter der örtlichen Handelsgilde, der Chefbiologe, und, und, und. Truman nahm sich die Zeit, mit jedem einzelnen kurz zu reden, und, wenn notwendig, für den späteren Tag Termine zu vereinbaren. Danach lud der Direktor seine fünf Gäste in sein Büro ein, woraufhin sich die Versammlung auflöste.

Als sie das eigentliche Fort betraten, diesen riesigen Hohlraum unter der hohen Kuppel, aufgebaut auf dem durchlöcherten Berg, stutzte Zorik kurz. Er hatte erwartet, bis zur Kuppeldecke sehen zu können. Stattdessen erwartete ihn eine lichte, mit Beleuchtungskörpern durchsetzte Decke in etwa zwanzig Metern Höhe. Er runzelte fragend die Stirn.
Truman lachte laut. „Mario, wärst du so gut und würdest meinem Gast etwas über das Fort erzählen?“
Das Gesicht des Direktors nahm etwas an, was man fast schon hätte orgiastisch nennen können. Anscheinend erzählte er den Leuten sehr, sehr gerne etwas über Fort Irresponsible. „Aber sicher doch.“ Er deutete an die Decke. „Was Sie hier sehen, Mr. Zorik, ist Subetage eins. Wir haben insgesamt vier Subetagen, von ihnen sind aber nur zwei bewohnt. Die Etagen drei und vier sind Stauräume und dem Maschinenpark vorbehalten. Wie Sie sich denken können, sind sie flächenmäßig unsere größten Etagen, denn nach oben wird es weniger, da wir der Kuppel folgen müssen, beziehungsweise von ihr eingeschränkt werden. Subetage eins hat eine Fläche von sieben Hektar, die kleinste Etage, Suretage fünf, hat in etwa noch vier. Darüber ist noch etwas Platz und wir überlegen, ob wir uns eine weitere Etage leisten können. Aber das würde auch bedeuten, dass wir Schutzschilde installieren und im Dauerbetrieb laufen lassen müssen, weil der latente Strahlungsdruck da oben zu hoch wäre. Bereits jetzt sind unsere ambulanten Ambulanzen gut damit ausgelastet, die Fischer vor Krebsleiden zu bewahren. Äh, die Fischer, sie...“
Eleanor Belvik meldete sich zu Wort. „Das fällt in meinen Bereich, Mario. Nicht nur du erzählst gerne über deine Arbeit.“
Der Direktor schmunzelte. „Ich vergaß. Bitte sehr, Ellie.“
„Sehen Sie, Mr. Zorik, Ihnen ist sicher bekannt, dass wir die Station mit einem Eispanzer umgeben haben.“
Der Inspektor nickte. „Mr. Davis hat mir vieles erklärt.“
„Dann wissen Sie, dass wir den Eispanzer vor allem als Strahlungsschutz verwenden. Je näher das Eis aber der Station kommt, und damit den Wärmequellen, also den Menschen, den Maschinen, den Reaktoren, alles, was Wärme abgibt, desto mehr ändert sich der Zustand des Eises. Es wird Wasser. Und das Wasser nutzen wir in mehrerlei Hinsicht. Unter anderem filtern wir die Atemluft der Station mit Hilfe von genmodifizierten Algen. Es gibt zwei gewichtige Regeln, an die sich alle Bewohner der Station halten müssen. Ja, Mario, ich halte mich aus deinem Bereich raus. Regel Nummer eins: Kinder leben immer oder doch zumindest zwei Drittel des Tages möglichst nahe an einem der vier Schwerkraftgeneratoren, um Komplikationen im Muskel-, und Knochenwachstum vorzubeugen. Natürlich spielen die Kinder gerne im Schwerkraftschwachen Bereich. Aber leben müssen sie unter nahezu normaler Schwerkraft. Das ist gewährleistet von Subebene vier bis Surebene zwei. Surebene drei und vier haben nur noch garantierte sechzig beziehungsweise vierzig Prozent Normgravitation. Direkt an der Kuppel sind dies nur noch zwanzig Prozent, was auch ein Grund dafür ist, dass wir keine Surebene fünf installieren können. Noch nicht. Wir brauchen stärkere Grav-Generatoren. Ich will hier keine Generation von Kindern mit Knochenfehlern großziehen. Unsere Partner wie die DSC würden uns im Nacken sitzen.“
„Das Problem ist nicht, an Grav-Generatoren zu kommen“, mischte sich Mario ein. „Das Problem ist, Grav-Generatoren zu bekommen, die zu unseren Bedürfnissen passen. Würde nämlich volle Schwerkraft auf dem Eis lasten, würde es den Verschleiß der Konstruktion drastisch erhöhen.“
„Andererseits würde eine weitere Ebene für uns bedeuten, weitere Firmen einladen zu können“, sagte Subdirektor Uchtermann. „Das Interesse ist definitiv da.“
„Jedenfalls“, riss Miss Belvik das Wort wieder an sich, „haben wir ein gutes System gefunden, um sowohl jedem Menschen zumindest einige Zeit bei Normschwerkraft zuzugestehen, unabhängig vom Einkommen oder Vermögen, als auch den Fischern ihre Arbeit zu erleichtern. Dort oben am Eis herrschen nur noch zehn Prozent Schwerkraft, und direkt hinter der Kuppel hat das Wasser achtzehn Grad. Bei der Arbeit im Wasser ist die Schwerkraft ohnehin nur nebensächlich. Die Fischer sind dafür zuständig, den Algenwuchs zu regulieren und die Fischarten, die wir kultivieren, zu betreuen. Sowohl die Algen als auch die Fische werden quotiert und entsprechend dieser Quote abgeerntet oder abgefischt, und dann den Menschen zur Verfügung gestellt. Fisch und Algen sind die beiden Grundnahrungsmittel, die wir wahrlich im Überfluss haben. Wir exportieren die Algen auch, denn es hat sich herausgestellt, dass sie als energiereicher und gut vitaminisierter Snack bei Raumfahrern eine gewisse Beliebtheit erlangt haben, aber es ist auch so noch genug über. Was uns zu den Fischern zurückbringt. Durch ihre Arbeit so nahe am Eis und zudem auf der anderen Seite der Kuppel sind sie des kosmischen Strahlung ausgesetzt. Dies fördert die Entwicklung von Krebs. Wir haben generell ein Auge auf dieses Thema, denn der Berg strahlt auch, hauptsächlich durch Argon-Emissionen, Uran und Kobalt. Aber die Fischer sind exponiert. Gut dreißig Prozent unserer medizinischen Dienstleistungen gehen in die Krebsprävention und Krebsbehandlung. Eine weitere Suretage würde nicht nur bedeuten, dass mehr Menschen im Fort leben können, sondern dass auch die Zahl der Behandlungen steigen würde. Ganz zu schweigen von der erhöhten Belastung für die Sauerstoffaufbereitung und die Müllaufbereitung.“
Mario Castello hob abwehrend beide Hände. „Keine Sorge, Ellie, ich halte mein Wort. Eine neue Subetage wird es erst geben, wenn wir die Mittel für eine vollständige Prävention und eine Erweiterung der Bio-Aufbereitung haben.“
Sie schnaubte zufrieden.
„Warum lassen Sie die fünfte Suretage nicht einfach sein?“, fragte Zorik.
Dies löste ein zustimmendes Schnauben der Subdirektorin eins aus, aber der Direktor und Truman Davis tauschten einen amüsierten Blick.
„Das liegt an der Struktur der Station, Mr. Zorik. Wir haben hier theoretisch eine Menge Platz, praktisch aber lässt sich nur ein Bruchteil nutzen, um ihn zu bewohnen. Teilweise liegt das daran, dass die Grundvoraussetzungen für Leben erfüllt werden müssen. Also Wärme, Luftdruck, Wasser, und ihm weiteren Sinne, Strahlungsfreiheit, Lebensmittel, Abfall-, und Fäkalaufbereitung, und ganz banal: Betten und Mobiliar. Hier im Fort leben permanent viertausend Lebewesen. Das Gros sind Menschen, aber wir haben hier auch Akarii, Vorn, einige T'rr, die in Gemeinschaftssymbiose mit den Akarii leben, einige Peshten, aber rein gewerblich. Dazu ein halbes Dutzend Völker, das nicht maßgeblich, oder auch nur rein geschäftlich vertreten ist. Das alles unter einen Hut zu kriegen und die Bio-Prozesse am Laufen zu halten ist eine Mammutaufgabe.“
Mario Castello nickte zustimmend. „Und das Schöne ist, kaum ist ein Problem gelöst, nämlich CO2 dank der Algen in Sauerstoff und Kohlenstoff aufzuspalten, kommt als neues Problem übermäßiger Algenwuchs, bis die Wasserhabitate zuzuwachsen drohen und kippen können. Setzt man dann Fische ein, um die Algen klein zu halten, hat man plötzlich Fische im Überfluss. Eine Sache werden Sie auf Fort Irresponsible nie erleben, Mr. Zorik: Dass jemand hungern muss.“
Subdirektor zwei meldete sich erneut zu Wort. „Nahrungszubereitung ist verboten.“
„Was, bitte?“, fragte der Inspektor erstaunt.
„Lass mich das besser erklären“, sagte Castello. „Wir leben hier auf acht Ebenen unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen Aufgaben. Jede Ebene hat eine lichte Höhe von rund vierzig Metern, in die jedermann, das Material vorausgesetzt und natürlich die Erlaubnis durch die Stationsbetreiber, sein eigenes Geschäft, seinen eigenen Wohnraum errichten kann. Die Zwischendecken sind aus gegossenem Stein und haben eine Stabilitität, die Schiffsstahl gleichkommt, was einiges an Bauarbeiten ermöglicht. Zwei dieser Ebenen, nämlich Surebene zwei und drei, sind für den Besucherverkehr freigegeben, alle anderen Ebenen sind nur für Bewohner zugänglich, die Subebene vier mit dem Maschinenpark zudem nur für das Personal und die Offiziellen der Station. Wir produzieren auf der Station noch weit mehr als Algen und Fisch. Während Algen und Fische aber gratis abgegeben werden, verursachen andere Produkte wie Klonfleisch, Reis, Kartoffeln, Gemüse und Früchte Kosten, die an die Endverbraucher weitergegeben werden. Allerdings portioniert. Das heißt, niemand ist in der Lage, in seinen eigenen vier Wänden zu kochen. Wenn er oder sie Nahrung zu sich nehmen will, muss eine Distributionsstation aufgesucht werden. Man ist als Bürger der Station allerdings ungebunden und kann essen, wo man will. Man kann natürlich auch daheim essen. Zum Beispiel sich selbst aufwärmende Rationen, oder Dinge, die ohnehin kalt gegessen werden. Das hat mehrere Gründe. Unter anderem erlaubt es uns, den Überschwang von den öffentlich zugänglichen Bereichen besser aufzufangen. Sie können sich vorstellen, dass wir jede Menge ungefilterten Müll von dort bekommen. Und das ist nur ein Teil der Sorgen und Nöte, die diese Bereiche uns bereiten.“
„Ja, ja, die ewigen Sorgen der Abteilung Hygiene.“ Castello ließ es spaßhaft klingen, aber ein ernster Blick begleitete seine Worte. „Alles, was mit Hygiene verbunden ist, ist für ein isoliertes Projekt wie das unsere überlebenswichtig. Krankheiten, Fäkalien, Schusswaffen, nennen Sie ein Thema, wir haben es schon erlebt. Dazu gehört eben auch, dass Bürger von Fort Irresponsible viele Freiheiten und verbilligte Nahrungsmittel bekommen, Fisch und Algen sind ohnehin umsonst. Aber eben auch, dass sie zum Gespräch mit der Abteilung Hygiene müssen, wenn sie übermäßig zu-, oder abnehmen. Es ist kein leichtes Thema.“
„Das glaube ich gerne. Das ist ja schon an Bord von Raumschiffen eines der Hauptthemen“, sagte Zorik. „Sie können ja schlecht einen Planeten oder eine größere Raumstation anfliegen, wenn Sie Probleme haben.“
„So ungefähr.“
Die Gruppe musste kurz halten, als ein Hubwagen mehrere Anhänger hinter sich her zog und ihren Weg kreuzte. „Wie ich schon sagte, gehört Subebene eins zu den nicht zugänglichen Bereichen. Normalerweise. Aber Truman Davis und seine bezaubernde Frau Carol sind davon natürlich ausgenommen. Als Ehrenbürger von Fort Irresponsible kann man das ja auch erwarten.“
„Ehrenbürger?“
Truman räusperte sich leicht. „Vor etwa zehn Jahren, einige Zeit vor Ausbruch des Krieges, war das Fort noch nicht unter seiner jetzigen Leitung. Es war erheblich anarchischer strukturiert, und das bedeutete, dass, es war auch nur etwa ein Drittel so groß wie heute, alle Bereiche voll zugänglich waren und niemand die Ankömmlinge auf Waffen oder Krankheiten testete. Was dazu führte, dass eine wirklich aggressive Grippe in der vollkommen überbevölkerten Station über einhundert Tote forderte. Für die damalige Bevölkerung von zweitausend Intelligenzen ein furchtbarer Aderlass.
Eines unserer Schiffe empfing den Notruf der Station. Zufällig war es die CARNEGIE, und Carol kommandierte sie zu diesem Zeitpunkt. Sie entschloss sich, einzugreifen und die Epidemie einzudämmen. Nach der Epidemie mit über eintausend Erkrankten half sie, die jetzige Struktur zu errichten und ein Biomed-Labor aufzubauen, das diesen Namen auch verdiente. Seither unterhalten wir recht enge Handelsbeziehungen und sind damit eigentlich auch recht glücklich.“
„Das klingt nach einer großen Aufgabe.“
„Das Fort wäre ausgelöscht worden, hätten Carol und Truman nicht eingegriffen“, sagte Castello. „Das vorige System war anarchisch und Menschenverachtend, durchgesetzt von einer Elite mit Waffen. Unter ihnen wurde dieser Ort ein El Dorado für Schmuggler, Drogendealer, Menschenhändler und was Ihnen noch an schlechten Menschen einfällt. Krankheiten wurden unkontrolliert eingeschleppt, Waffen wurden gebracht und benutzt, Mord war nicht alltäglich, aber normal. Zum Glück hat es viele aus der Elite als Erste erwischt, sodass ein Neuanfang überhaupt erst möglich wurde.“
Truman nickte zustimmend. „Es hat einige Umbaumaßnahmen erfordert, sowohl gestalterisch als auch personell. Unter anderem gehörte dazu, nur zwei Ebenen für den Besucherverkehr freizugeben, wo sich fortan die Cowboys und die Kriminellen tummeln können. Aber sie lassen wenigstens die Finger von den Lebenserhaltungssystemen und vom Eispanzer.“
„Kriminelle?“, fragte Zorik erstaunt.
„Wer sich hier nichts Zuschulden kommen lässt, darf gerne wiederkommen. Wir sind nicht die Republik, und wir brauchen ein Mindestmaß an Warenverkehr für Luxusgüter wie Medikamente, Technologie, Ausrüstung“, erklärte der Direktor. „Wir werden von keiner offiziellen Stelle unterstützt, also müssen wir sehen, wo wir bleiben. Und das tun wir ganz gut soweit. Dank der Hilfe von DSC.“
„Ein klein wenig Hilfe“, sagte Truman tiefstaplerisch.

Auf ihrem Weg begegneten ihnen hauptsächlich Arbeiter in geringer Zahl, ein paar in Geschäftsanzüge gekleidete Männer und Frauen, einige Wachleute und in etwa der gleichen Zahl die Mitarbeiter der Hygiene-Abteilung mit ihren weißen Overalls. Es waren nicht mehr als fünfzig Menschen, die sie sahen, und alle waren mit irgendetwas beschäftigt.
Sie erreichten einen flachen Bau, der in einer Granitwand zu verschwinden schien. „Die Verwaltung“, stellte Castello vor.
Sie betraten den Trakt, überwanden ein Stockwerk und betraten einen großzügigen Konferenzraum. Auf einem Beistelltisch standen Kaffee, Tee und kleine Snacks bereit. Alles fertig zubereitet, nichts davon war augenscheinlich eingekauft worden.
„Probieren Sie die Algenkekse“, sagte Truman zu Zorik. „Die sind sehr schmackhaft, wenn man sie nicht übergegessen hat.“
Es wurde gelacht, es wurde sich gesetzt, eine Verwaltungsangestellte servierte die Getränke und die Snacks und zog sich danach diskret wieder zurück. Mario Castello, flankiert von seinen drei Subdirektoren und den anderen Abteilungsführern, sah ernst zu Truman Davis herüber. „Also, Mr. Schneider, was kann Fort Irresponsible für dich tun?“
„Schneider?“, rutschte es Stepan Zorik raus.
„Mein Mädchenname“, erklärte Truman. „Mein lieber Mario, du siehst es ganz richtig. Ich bin nicht aus reinem Jux ein halbes Jahr vor meinem nächsten Besuch hier. Und ich habe auch nicht völlig grundlos Mr. Zorik an meiner Seite. Tatsache ist, dass einer unserer Unterkontrakteure vom Black Buccaneer angegriffen wurde. Dabei hat er seine Fracht verloren: Zwei Tonnen Industriediamanten.“
„Sir“, meldete sich Lloyd Huron zu Wort, „bei aller Freundschaft, ich kann Ihnen nicht gestatten, Kampfhandlungen in oder beim Fort durchzuführen.“
„Entspannen Sie sich, Subdirektor“, sagte Truman. „Ich habe nicht vor, dem Black Buccaneer auf den Pelz zu rücken. Im Gegenteil. Ich und der Inspektor wollen versuchen, so viele Industriediamanten wie möglich zurückzubekommen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn der Pirat nicht versuchen würde, zumindest einen Teil der Ware über Fort Irresponsible zu verhehlen.“
„Und mit zurückbekommen meinen Sie...?“, fragte Huron vorsichtig.
„Erwerben, Lloyd. Mit richtigen, harten republikanischen Real.“
Der Sicherheitschef der Station entspannte sich sichtlich und griff nach seinem Kaffee.
„Tatsächlich würde ich mich sehr freuen, wenn wir die ganzen zwei Tonnen über Fort Irresponsible abwickeln könnten. DSC kann sie dann ausliefern, wie es geplant war.“
„War die Fracht nicht versichert?“, fragte Castello.
„Natürlich war sie versichert. Sehr hoch sogar. Und ja, diese Summe müssen wir zurückbezahlen, wenn die Diamanten wieder auftauchen. Aber wir kriegen für das Wiederauffinden einen satten Bonus. Im Endeffekt zahlen wir ein halbes Prozent mehr drauf, als wenn wir die Diamanten einfach abgeschrieben hätten, aber das ist nicht die Geschäftspolitik von DSC. Wir enttäuschen unsere Geschäftspartner nur ungern. Und wenn Fort Irresponsible bei dem Kauf noch etwas verdienen kann, schlagen wir sogar zwei Fliegen mit einer Klappe.“
„Ist das die ganze Wahrheit?“ Der Direktor runzelte die Stirn. „Du weißt, Gerüchte verbreiten sich hier schneller als ein Kurierschiff. Wir wissen natürlich längst, dass der Black Buccaneer wieder aufgetaucht sein soll. Und der eine oder andere unserer Händler könnte sicherlich als Zwischenhändler dienen.Aber macht sich DSC wirklich nur für einen guten Ruf diese Mühe?“
„Die Ware war für eine TSN-Werft bestimmt“, erklärte Truman. „Und die TSN könnte durchaus in die Versuchung geraten, selbst nach den Diamanten zu suchen. Immerhin hat wer immer sich jetzt als Black Buccaneer ausgibt Regierungseigentum attackiert und Regierungsbeamte getötet. Ein offener Kampf hier im System wäre, ja, nicht das, was wir uns für das Fort wünschen. Und auch unsere eigenen Beziehungen zur TSN müssen öfter mal intensiv gepflegt und vertieft werden.“
„Verstehe. Oder reizt das Davis-Duo einfach nur das Abenteuer?“, stichelte Lloyd Huron.
„Ein wenig von allem“, erwiderte er grinsend. „Mr. Zorik ist offiziell bei uns, damit wir einen Augenzeugen haben, der unter Eid bestätigen kann, wie viele Diamanten wir zurückkaufen konnten und was wir damit gemacht haben.“
Castello legte beide Hände zusammen, streckte die Zeigefinger aus und rieb sich mit ihnen das Kinn. Dann klopfte er mit ihnen auf den Konferenztisch. „Fort Irresponsible unterstützt die Davis Spacefreight Corporation. Aber es wird einige Zeit dauern, schätze ich. Zuerst einmal, vielleicht hier existierende Mengen aufzuspüren, dann, um weitere Kontingente der Diamanten zu uns umzuleiten. Ich bin zuversichtlich, dass wir mindestens die Hälfte zusammenbekommen. Aber einen Monat wird das dauern.“
„Nur zu“, sagte Truman Davis. „Ich stehe per Lichtspruch im Kontakt mit meiner Firma und kann sie von hier aus leiten. Und wenn ich schon mal hier bin, können meine Leute Eis im Gürtel ernten.“
„Das würde uns in der Tat helfen“, sagte Eleanor Belvik. „Wir brauchen definitiv mehr Wasser für unseren Kreislauf. Es sind immer die kleinen und banalen Dinge, die, wenn sie vernachlässigt werden, zu den primären Gefahren werden.“
„Das sehe ich ebenso“, sagte Truman nickend.
„Cartman“, platzte es aus Subdirektor drei heraus.
„Cartman?“
„Na, dieser Space Navy-Pilot, der angeblich mehrere Jahre ein Gefangener des Black Buccaneers war. Es gibt ja nur seine Aussage über die Identität des Piraten. Was, wenn er beschlossen hat, das Familiengeschäft wieder aufzumachen?“
„Erstens, Lloyd, heißt der Mann Cartmell, nicht Cartman. Und zweitens tut es mir leid, diese einfache Lösung zu den Akten legen zu müssen, aber First Lieutenant Donovan Cartmell dient seit mehreren Jahren ununterbrochen auf der COLUMBIA und hat das Schiff nicht lange genug verlassen, um als Pirat in einen Jäger zu steigen. Aber ich gebe zu, der Gedanke lag nahe. Colonel Esterhazy hat einiges an Mühe aufgebracht, um diese Option zu einhundert Prozent ausschließen zu können.“
„Aber wenn es nicht Cartman... CARTMELL ist, wer ist es dann?“, fragte der Sicherheitschef.
„An dieser Frage sollten wir nicht rühren. Das Fort wird kein Kampfplatz“, mahnte Castello. „Nicht, solange ich hier etwas zu sagen habe.“
Die Direktoren nickten unisono. Sie und die DSC waren sich in dem Punkt einig. Es war nur noch zu klären, was der Rest des Universums vorhatte, den Black Buccaneer betreffend.

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Marschall Dorias Park
Imperialen Militärakademie
Akarr

Kern Ramal trug nicht seine Admiralsuniform als er über den Platz auf die wartenden Delegationen zuschritt. Er trug die recht aufwendig geschnittene Paradeuniform des Hauses Zuni mit den einfachen Rangabzeichen eines Obersten, wie es seinem Rang als Waffenmeister zustand. Einen Posten, auf den er erst vor zwei Tagen berufen worden war.
Nur ein paar Stunden, nachdem sich die beiden Parteien geeinigt hatten, dass das Haus Zuni als neutrale Instanz das Duell überwachen sollte.
Die Imperiale Militärakademie war natürlich der logische Ort für den Ehrenhändel gewesen. Er war defacto ebenfalls neutrales Gebiet, weder Dero noch Tobarii waren hier ausgebildet worden. Kern selbst Hatte die Marineoffiziersschule Kirash besucht.
Darüber hinaus galt das Heer seit dem Aufbruch zu den Sternen als Stiefkind der Streitkräfte.
Der Himmel hatte einen dunklen Grauton angenommen, wie ein ausgefallener Monitor, monoton und einen depressiven Geist zum Selbstmord einladend.
Tage wie dieser sollten eigentlich entweder blendenden Sonnenschein bieten oder gleich direkt regnen und nicht irgendwie so dazwischen.
Kern ließ seinen Blick schweifen, hier waren sie sicher vor irgendwelcher Überwachung allzu neugieriger Dritter. Das Eindringen in die Militärakademie war zwar nicht mal im Ansatz unmöglich aber die dafür zu erwartenden Strafen würden jeden Journalisten davon abhalten, obwohl eine Berichterstattung über dieses Duell sicherlich die Story das Jahrhunderts werden würde.
Auch alle anderen Adelshäuser würden es sich zweimal überlegen, ob nun auf technischen oder personellen Wege, zu spionieren. Die Akademie war eine militärische Einrichtung und verfügte wie die meisten geschützten Bereiche auf Akarr über ausreichend Gegenmaßnahmen und unterlagen einem generellen Überflugverbot, dass nur von ganz oberster Stelle außer Kraft gesetzt werden konnte.
Und was Spione erwarten würde, nun Kern hatte der zweihundert Mann starken Leibgarde der Großherzogin befohlen scharf zu schießen. Im Gegensatz zu ihm trugen die Männer auch keine Paradeuniformen, sondern Gefechtsmontur und etwas ältere aber effektive Plasmakarabiner. Und das hatten die vor dem Haupteingang der Akademie versammelten Reporter mitbekommen, als die Truppe vor mehreren Stunden vorgefahren war.
Er und seine beiden Begleiter blieben auf halber Strecke zwischen den beiden Kontrahenten stehen. Sowohl Tobarii als auch Dero hatten zwei Sekundanten dabei.
Alle sechs Akarii stammten aus höchsten Adelskreisen und stellten durch ihre Anwesenheit Loyalität und Unterstützung zu den entsprechenden Häusern Jockham und Allecar zur Schau. Loyalität, die den Sekundanten der unterliegenden Partei einige Schwierigkeiten einbringen würde.
Kern nickte erst nach rechts in Richtung Tobarii und dann nach links zu Dero und beide machten sich gefolgt von den Sekundanten auf dem Weg zu ihm.
Beide blieben sie etwa zwei Meter von ihm, also etwa vier Meter voneinander, entfernt stehen. Gut, genügend Platz führ ihn und seine Begleiter einzuschreiten und genügend Platz für beide Parteien ihre Schwerter zu ziehen.
„Lords und Lady“, er blickte in die Runde, „ich nehme nicht an, dass ich fragen muss, ob dieser Ehrenhändel unblutig gelöst werden kann?“
„Nein, müsst Ihr nicht, Lord Admiral“, antwortete Arish Lassat für ihren Cousin Tobarii.
„Wir haben auch keine friedliche Lösung anzubieten“, war Kor Irrish Antwort für Dero.
„Halten denn beide Kontrahenten an der Bedingung bis zum Tod fest?“
Lassats Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln: „Es steht Lord Dero zu, jederzeit aufzugeben.“
„Wir sprechen dem Lord Kriegsminister natürlich gleichfalls diese Möglichkeit zu“, antwortet Irrish mit einer leicht spöttischen Verbeugung.
Kern warf beiden Sprechern einen finsteren Blick zu, dem dieses jedoch ohne zu Zucken stand hielten. Abgesehen von den beiden Kontrahenten selbst hatten alle Anwesenden einen gewissen Ruf mit dem Dreeh umzugehen und mit Orris Yass, der links neben Tobarii stand hatte er selbst schon die Klinge gekreuzt und zum beiderseitigen Glück hatten Orris als auch er damals Duellrüstungen getragen, die Schlimmeres verhindert hatten.
Eine „Unsitte“, die heute keine Anwendung fand.
„Werden die Duellanten alleine Antreten oder gemeinsam mit ihren Sekundanten.“
Ein längeres Schweigen machte sich breit und auch wenn Kern gerne glaubte, dass er diese Frage sofort mit gemeinsam beantwortete hätte, so musste er ehrlich zu sich sein und eingestehen, dass auch er vor solchen Aussagen gerne nachdachte und die Chancen abwegte.
Arish und Kor maßen einander mit prüfenden Blick. War der andere besser? Entschlossener? Bereit sein Leben zu opfern? Hasste man einander genug um einen Waffengang zu wagen? Oder war man gar befreundet?
Konnte man sich bei einem solchen Kampf zurücklehnen? Oder viel wichtiger, durfte bei einer so wichtigen Entscheidung noch mehr Blut vergossen werden als nur das der Duellanten?
Schließlich schienen die Sekundanten zu einer Entscheidung gekommen zu sein und es war Kor der zuerst antwortete: „Lord Dero wird sich alleine stellen.“
Arish nickte: „So soll es sein, Akarii gegen Akarii.“
Dero und Tobari entledigten sich ihrer Mäntel und reichten sie an den jeweils schweigenden Sekundanten weiter. Dann reichten sie ihre Dreehs samt Scheide an ihre Sprecher, welche die Waffen Kern zur Inspektion hin hielten.
Dieser sah sich beide Waffen genau an, keine Versteckten Mechanismen und kein Gift auf der Klinge.
Als die Waffen an die Duellanten zurückgegeben wurden, tasteten erste ihre Sprecher den jeweiligen Kontrahenten ab, dann wiederholten Kerns Assistenten die Prozedur, um sicher zu gehen, dass keiner noch versteckte Waffen mit sich führt.
Mit dem Ritual zufrieden blickte Kern in die Runde und nickte dann den Sekundanten zu, die sich zehn Schritte entfernten.
„Eure Lordschaften, das Feld gehört Euch“, damit zogen sich auch er und seine Assistenten zurück, während Dero und Tobarii sofort Kampfhaltung einnahmen.
Die Bewegungen waren Flüssig und ließen nicht erkennen, dass man unerfahren an der Waffe war.
Dann hieß es warten. Kern hatte in dieser Haltung mal eine halbe Ewigkeit gewartet. Dann hatte sich sein Opponent gerührt und war gestorben. Ein Hieb, ein Toter. Sein schwerster Kampf, hätte er Odea Mosh nicht mit dem ersten Hieb tödlich verwundet, hätte ihn der ältere Akarii in Stücke geschnitten.

Eine ganze Weile standen die beiden Akarii sich still gegenüber, dann machte Dero die erste Bewegung und hätte schon beinahe den Kampf gewonnen.
Nur mit viel Mühe und einer reichlichen Portion Glück konnte Tobarii den Hieb gegen seinen Hals abwehren.
Und sofort ging er zum Gegenangriff über. Stahl schlug auf Stahl und Dero musste zurückweichen, ehe er sich durch eine geschickte Drehung aus dem Weg drehte und Tobariis nächster Hieb ins leere ging.
Jetzt die offene Flanke des Kriegsministers vor sie habend Schlug er sofort zu. Blut spritzte, da Tobarii den Schlag nur noch mit seinem Arm abwehren konnte.
Mit seinem rechten Arm, seiner Führungshand. Jetzt das Dreeh mit links führend versuchte er es seinem Gegner quer durch den Leib zu rammen und nur dessen schnelles Zurückweichen rettete ihn vor dem Treffer und den sicheren Tod.
Doch das Zurückweichen ließ Dero seinen Stand verlieren und ausrutschen.
Mit einer Mordlust, die Tobarii nie für möglich gehalten hatten, stürzte er sich auf den liegenden Gegner und holte zum Schlag aus, einen Schlag, der den liegenden Dero in zwei Teile spalten würde.
Dieser brachte sein eigenes Dreeh gerade rechtzeitig hoch, dass Tobarii den Angriff abbrechen musste oder aufgespießt würde.
Doch Tobarii war zu schnell um den Angriff noch abzubrechen, so versuchte er durch eine Rechtsdrehung des eigenen Körpers dem Stahl seines Feindes zu entgegen.
Etwas was ihm auch fast gelang, doch die scharfe Klinge durchschnitt sein seidenes Hemd und die darunterliegende Haut Haut an der linken Seite seines Körpers.
Das Dreeh war so dermaßen Scharf, dass der Kriegsminister nicht den Hauch von Schmerz spürte und sich dieser Wunde erst durch das Austretende Blut gewahr wurde.
Beide Kämpfer rappelten sich auf und gingen auf Abstand zu einander.

Dero atmete heftig und versuchte die ihn beherrschende Angst unter Kontrolle zu bringen. Zweimal wäre er jetzt fast gestorben. Aber nun sprachen alle Chancen für ihn. Die Zeit sprach führ ihn. Blutung und Schmerz würden Tobarii über kurz oder lang ermüden.
Er hatte nicht mit der Wildheit seines Gegners gerechnet und leider hatten die vergangenen Tage nicht gereicht um ihn wieder zu alter Frische kommen zu lassen. Das Training war schmerzhaft und anstrengend und leider nötig gewesen.
Oh, er war besser als Tobarii, geschickter, berechnender und auch geübter. Aber entschlossener.
Tobarii, der sich gewahr war, dass er einen langen Kampf nicht durchstehen würde, griff erneut an.
Erst bedächtig, dann wilder.

Kern versuchte seine Rolle in diesem Spiel um den Thron zu verdrängen und den Tanz der Waffen von einer akademischen Sicht zu betrachten.
Ja, alle Vorteile waren jetzt wirklich auf Deros Seite, doch wenn man Tobariis Bewegungen genau beobachtete, dann war da etwas, was man nicht erlernen konnte, was einem tausend Stunden Training nicht näher brachten, dann war da pures Talent.
Talent, aus dem man so vieles hätte machen können. Talent, wenn man es gefördert hätte, Dero den ersten Schlag nicht überlebt hätte oder spätestens beim Flankenangriff gestorben wäre. Ein Flankenangriff, der meisterlich gewesen war und in neun von zehn Fällen den Kampf sicherlich entschieden hätten.
Aber dieser ungeübte und ungeschliffene Bürokrat hatte überlebt und nicht nur das, sofort wieder die Initiative ergriffen.
Und Tobarii griff an und griff an und griff an. Was als reiner Schwertkampf begonnen hatte degenerierte nun zu einem Kampf ums überleben. Beide Schlugen sie aufeinander ein, wenn sie die Chance dazu hatten ob jetzt mit dem Dreeh oder der Faust, sie traten und schubsten.
Während Dero deutlich auf Zeit spielte schien Tobarii erst noch Kraft aus seinen Verletzungen zu ziehen.
Und nach einer Weile musste er die Offensive aufgeben und wurde schließlich von Dero in Defensive gedrängt. Beide Kämpfer hatten schon den Punkt überschritten und Erschöpfung machte sich breit.
Jedoch bei Tobarii durch die frühen Verletzungen deutlich schneller. Niemand würde es dem Kriegsminister als Schande auslegen, jetzt aufzugeben.
Doch er versuchte nochmal die Initiative zu erringen, doch Dero wehrte alle seine Schläge ab, obwohl nun auch schon verletzt und deutlich geschwächt.
Dero durchbrach die Verteidigung seines Gegners und hämmerte ihn den Ellenbogen kräftig gegen den Oberkörper, so das Tobarii zwangsläufig zu Boden gehen musste, doch auch Dero strauchelte und konnte die Situation nicht ausnutzen.
Als er sich zu seinem Gegner umdrehte hatte es Tobarii schwer atmend geschafft auf die Knie zu kommen.
Der Kriegsminister war jetzt kaum noch in der Lage seinen Schwertarm hochzubringen.
Dero sammelte kurz Luft und fegte das Dreeh seines Gegenübers mit einem ausholenden Schlag beiseite und setzt Tobarii die Spitze auf die Brust.
Was die beiden Akarii miteinander sprachen konnte Kern nicht hören.
Dann holte Dero aus und durchbohrte den vor ihm knienden mit aller Kraft die er noch aufbringen konnte. Das Dreeh selbst schaffte er nicht mehr aus der erschlaffenden Gestalt herauszuziehen.
Kern setzte sich in Bewegung, auch wenn er es schon wusste, er musste jetzt den Tod des Kriegsministers feststellen.


TRS Columbia
Sterntor-System

„Wir haben die Umlaufbahn verlassen und das Gravitationsfeld von Masters verlassen“, meldete der Rudergänger
„Maschinen ein Drittel voraus“, befahl Commander Charles Stacy, „Kurs zwo-null-acht.“
Der Rudergänger wiederholte die Befehle und führte sie dabei sofort aus.
„Signaloffizier, Funkspruch an Kampfverband: Eskortpositionen einnehmen.“
Auch der Signaloffizier gab den ihm gegebenen Befehl wieder.
Es war eine alte Navytratdition, die Befehle zu wiederholen. Es war wichtig, dass der Offizier der den Befehl ausgegeben hatte wusste, dass er verstanden worden war.
Redundanz beherrschte die Marine im Weltall noch mehr als in den blauen Ozeanen der menschlichen Heimatwelt.
Als Stacy auf den Kartentisch blickte kam er nicht umhin den Mund zu verziehen. Die Eskorte für die Columbia war geradezu schwach. Ein schwerer Kreuzer, dazu ein leichter und zwei Flak-kreuzer. Sechs Zerstörer und vier Fregatten.
Die Schlacht von Sterntor hatte ihren Tribut gefordert und der Einsatz der Columbia hatte nicht die Priorität um eine Battlegroup aus mehreren Schwadronen zu bilden.
Doch auch in seiner Welt als Kreuzerfahrer war ein Flottenträger eigentlich zu wertvoll als dass man bei seiner Verteidigung halbe Sachen machte.
Ihn erreichte die Meldung, dass die FORCAP gestartet worden war und zwei weitere Symbole erschienen auf dem Kartentisch, die als Falcons der grünen Schwadron markiert wurden.
Zumindest war der CAG unter all seinem Gehabe Profi genug, den Dienstbetrieb ordentlich organisiert zu bekommen.
Staffords neueste Eskapade war ihm natürlich auch zu Ohren gekommen. Vor einigen Mannschaften hatte dieser freimütig seine Meinung über Stacy kundgetan. Nicht das Charles Stacy nicht darüber stehen würde, was dieser Provinz-Pilot über ihn dachte aber Kommandooffiziere sollten zumindest einen gewissen Grad an Professionellen Zusammenhalt besitzen. Gut, vielleicht war es wirklich mal an der Zeit etwas aufzutauen und den Stock aus den Arsch zu ziehen, wie Stafford postuliert hatte. Nun vielleicht mit einem kleinen Scherz und Charles Stacy wusste schon ganz genau, auf wessen Kosten dieser gehen würde.

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5th Syrtis Fusiliers - Pillage and looting since first succession war


06.05.2017 04:32 Cunningham ist offline E-Mail an Cunningham senden Homepage von Cunningham Beiträge von Cunningham suchen Nehmen Sie Cunningham in Ihre Freundesliste auf
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Kalte Mutter

TRS Columbia, irgendwo zwischen Sterntor und Gamma Eridon

Es war allgemein bekannt, wenn auch nicht gerade gerne gesehen, dass die Piloten der TSN - und für die Angry Angels als Elitegeschwader galt dies besonders - sich oft für etwas Besonderes hielten. Die Speerspitze des Angriffs, die dünne blaue Linie zwischen der Menschheit und dem Untergang, die Falken oder Adler, die sich mit vernichtender Präzision und Wucht auf ihre Feinde stürzten, und was dergleichen blumige Synonyme mehr waren. Ob das stimmte stand auf einem anderen Blatt, aber Selbstbilder waren nun einmal wichtig. Und insbesondere in Galauniform boten viele Kampfpiloten einen Anblick, bei dem man diese Zuschreibungen fast glauben konnte.
Im Moment freilich waren die Piloten der Fighting Stallions kein sonderlich beeindruckender Anblick. Sie trugen ihre Raumanzüge - allerdings hatten die meisten die Helme abgesetzt - und rannten, beziehungsweise taumelten durch den Hangar ihres Schiffes, von einem Ende zum anderen, wobei sie immer wieder Jägern und Materialstapeln ausweichen mussten. Einige Techniker verfolgten das Schauspiel und genossen zweifellos das Privileg zusehen zu können, wie die Diven der Columbia aus der Puste kamen. Verdächtigerweise hielten sich übrigens sogar einige Leute im Hangar auf, die hier eigentlich nichts zu suchen hatten.
Mit ihren geröteten, verschwitzten Gesichtern sahen die Stallions gewiss nicht wie siegreiche Adler aus, ein Beobachter mochte sich eher an eine abgehetzte Schafherde erinnert fühlen. Vor allem, da unübersehbar und zur mühsam kaschierten Belustigung mancher eine schwarzhaarige ,Hütehündin' unablässig die Schar umkreiste und jeden anbellte und zumindest verbal in die Hacken kniff, der zurückzufallen drohte. Lilja war offenbar mal wieder in ihrem Element. Zwar war auch sie aus der Puste, aber mit der ihr eigenen Verbissenheit und Willenskraft ließ sie sich davon nicht wirklich beeinträchtigen.

Als Lilja schließlich einen Halt signalisierte, japsten etliche ihrer Untergebenen vernehmlich. Natürlich war der Hangar nicht SO groß, aber wenn man in den schweren und wenig atmungsaktiven Anzügen rennen musste, dann ging das ziemlich an die Substanz. Auch wenn die neuen Raumanzüge wahrlich bahnbrechende Konstruktionen waren, für Dauerlauf waren sie nun mal nicht geschaffen. Sogar Knight, der sich einiges auf seine körperliche Verfassung einbildete, stützte sich lieber an Wand ab: "Warum dürfen wir uns noch mal so quälen?" stöhnte er.
Die Staffelchefin grinste ihn und die übrigen Stallions nur niederträchtig an: "Ihr werdet mir noch danken." versicherte sie - ein Versprechen, das sie immer hervorkramte, wenn sie ihre Untergebenen in besonderer Art und Weise kujonierte. ,Ihr werdet mir noch danken.' - für improvisierte Alarmübungen mitten in der Nacht, für endlose Simulatorsitzungen, und so weiter.
"Auf den Gedanken bin ich gekommen weil..." im letzten Moment fing Lilja einen flehenden Blick von einem gewissen Mitglied der Stallion auf, und beendete den Satz in leicht abgewandelter Form: "...ich mich daran erinnert habe, dass wir bereits einige Leute bei Atmosphäreneinsätzen verloren haben. Im Weltraum spielt das keine Rolle - aber was denkt ihr, wie ihr rennen müsst, wenn auf Gamma Eridon die Akarii oder Peshten-Kollaborateure hinter euch her sind? Wollt ihr euer Taxi in die Freiheit verpassen, weil ihr nicht rechtzeitig zum Treffpunkt kommt? Es wird Zeit, dass wir alle unsere Muskeln und Zeigefinger wieder auf Vordermann bringen." Ihr drohender Blick warnte die Stallions, falls einer von ihnen auf die wahnwitzige Idee kommen sollte, ihr die ausgezeichnete Beherrschung des MITTELFINGERS in der universalen Geste zu demonstrieren. "Im Weltraum kann man sich einfach treiben lassen - da kann man schließlich nirgendwohin paddeln. Aber auf einer richtigen Welt, auf der der Gegner Bodentruppen hat, da müsst ihr in der Lage sein zu marschieren. Bis euch die Füße bluten, und dann noch ein Stück weiter! Vielleicht müsst ihr sogar schwimmen. Ihr müsst euch zur Not mit eurer Pistole verteidigen können..." dabei ignorierte sie natürlich, dass in mindestens sieben von zehn Fällen ein Schusswechsel zwischen einem Piloten und einen Soldaten zu Gunsten des letzteren ausging, und schickte gleich noch ein paar statistische Unmöglichkeiten hinterher: "...und wenn es sein muss auch mit einem Messer, einem Stein oder den bloßen Fäusten. Oder meinetwegen auch euren ZÄHNEN."

Die TSN war dafür bekannt, dass sie auf mannigfaltige Art und Weise in das Privatleben ihrer Untergebenen eingriff, ihr Leben und ihre Rechte reglementierte. Freilich war man nach der Grundausbildung weniger strikt, was etwa die körperliche Verfassung von Offizieren betraf. Natürlich konnte die Flotte niemand gebrauchen, der zu schnell schlapp machte oder ohne Nachhilfe nicht mehr in sein Jägercockpit kam. Kurvenkämpfe unter Höchstgeschwindigkeit waren Knochenarbeit, die eine hohe Ausdauer verlangten. Die Bedienung der Armaturen bei mehreren G Beschleunigung erforderte trotz moderner Trägheitsdämpfer einiges an Kraft. Aber ein gut trainierter Mann oder Frau mit deutlichem Übergewicht, die gut flog, doch beim Kurz- oder Langstreckenlauf jämmerlich versagt hätte, war eigentlich kein wirkliches Problem. Sah man davon ab, dass Piloten sehr, SEHR grausam gegenüber Kameraden sein konnten, und nicht selten einen etwas...pubertären Sinn für Humor hatten.

Lilja hingegen hatte während der Reise nach Gamma Eridon jedoch auf einmal andere Vorstellungen und Ansprüche entwickelt. Nicht ganz von allein, denn Marine hatte einen Gutteil Mitschuld daran - doch hatte die Staffelchefin versprochen, dies zu verschweigen. Ihre Untergebene hätte sonst in den nächsten Wochen nichts zu lachen gehabt. Die Russin hatte es mit erstaunlicher Gelassenheit hingenommen, dass ihre Staffel bei dem simulierten Bombenangriffen nicht gut abgeschnitten hatte, tatsächlich rangierten die Stallions sogar unter den schlechtesten Staffeln, etwa gleichauf mit den Blauen. Ihre spurtschnellen Abfangjäger waren für solche Einsätze nicht gedacht, und bei allem Einsatzgeist gehörten Schlachtfliegereinsätze gegen Bodenziele nicht zu dem, was man als Falcon-Pilot normalerweise trainierte. Aber Lilja hatte nur gemeint, voraussichtlich würde es ohnehin Aufgabe ihrer Staffel sein, die Luftüberlegenheit herzustellen und zu verteidigen, damit andere das Bombenschmeißen übernahmen. Sie hatte weitere Übungseinsätze angeordnet, aber ihre Piloten weit weniger zur Schnecke gemacht, als manche erwartet hätten. Aber wer glaubte, die Lilie habe ihre berühmten Dornen verloren, hatte sich getäuscht, wie die Russin soeben wieder unter Beweis gestellt hatte.

"So, genug verschnauft. Auf, auf - IM LAUFSCHRITT MAAAARSCH zu den Trainingsräumen! Wer trödelt, wird mich kennenlernen! Der darf zusammen mit dem schlechtesten Schützen die Waffen der Staffel überprüfen und pflegen. Flight Eins, Zwei und Vier mit mir zum Nahkampfstraining, Imp, du mit Drei, Fünf und Sechs zum Schießen! Ergebnisse gehen an mich - in 045 kurze Pause, dann wechseln wir."
Die verrückte Russin hatte tatsächlich durchgesetzt, dass die Piloten auch die Waffenpflege intensivierten. Auf einem Träger konnte man die Sache etwas laxer angehen - hier gab es wenig Möglichkeiten, dass die Waffe dreckig oder nass wurde, Kratzer und Schläge abbekam. Auch etwas, was am Erdboden eines partiell feindlichen Planeten ganz anders aussah.

***
Fast zwei Stunden später

Der Schießstand der Columbia war mehr als nur eine Halle, in der man auf Scheiben ballerte - Scheiben, die übrigens spätestens seit Anfang des Krieges schrittweise im Zuschnitt und den Trefferzonen variiert worden waren, damit sie reflektierten, dass bei den Akarii Wirktreffer zum Teil in anderen Körperregionen erzielt werden konnten, als bei Menschen. Außerdem legten nicht wenige ,Kunden' Wert darauf, auch auf Scheiben zu schießen, die wie Akarii aussahen. Die Trainingshalle hielt natürlich nicht dem Vergleich mit einem vollwertigen Trainingszentrum des Heeres oder der Marines auf einem Planeten oder auch nur einem großen Truppenlandungsschiff stand, aber der technische Fortschritt kompensierte zumindest einige Nachteile, welche die Platzbeschränkung eines Trägers mit sich brachten. VR-Brillen könnten Ziele wesentlich weiter entfernt erscheinen lassen und teilweise Deckung oder sogar störende Faktoren wie Rauch und Nebel simulieren - um die Windverhältnisse musste man sich mit einer Laserwaffe natürlich im Normalfall keine Sorgen mehr machen.

Im Moment war Liljas Truppe mit dem Schießtraining dran, nachdem sie sich alle beim Nahkampf verausgabt hatten. Es war, wie nicht anders zu erwarten, ziemlich mörderisch gewesen. Die Staffelchefin der Grünen hatte sich nämlich nicht etwa damit begnügt, die Piloten gegeneinander antreten zu lassen - das war nur der Anfang gewesen, das Aufwärmen. Wobei auch das kein Vergnügen war, denn Lilja passte mit Adleraugen auf, dass sich niemand zu sehr zurückhielt. Und sie warf die Trainingspaare immer wieder durcheinander, damit jeder mal gegen einen ebenbürtigen oder überlegenen Gegner antrat. Aber damit nicht genug, sie hatte es vermutlich durch Bestechung oder auf ähnlich verschlagene Weise geschafft, zwei Angehörige der Bordmarines dazu zu bewegen, zumindest für ein paar Runden als Sparringspartner zu fungieren - gut trainierte Cracks, die ungefähr wussten, wie die Akarii und Peshten kämpften. Das Ergebnis war ebenso voraussehbar wie demütigend für die Piloten gewesen. Die Staffelchefin mit eingeschlossen, obwohl sie sich im Staffelvergleich ziemlich gut geschlagen hatte, wenngleich etwas schlechter als Marine. Die war so ziemlich die einzige, die sich gegen ihre ehemaligen Kollegen erfolgreich hatte behaupten können. Lilja hatte abschließend gespottet, die viele körperliche Betätigung würde wenigstens dafür sorgen, dass die Stallions das Essen richtig zu würdigen wüssten, wenn ihr Lieutenant Commander sie schließlich vom Haken ließ. Doch noch war es nicht so weit.
Aber eine aufs Maul zu bekommen war für die Russin natürlich kein Grund, selbiges zu halten, und so hatte sie den Misserfolg ihrer Untergebenen gnadenlos kommentiert. Bei Knight etwa hatte sie gestichelt, dass er vielleicht künftig sein Schwert mitnehmen sollte, damit er wenigstens EINE Chance hätte. Insgeheim freilich war sie recht stolz auf den ehemaligen Bewährungspiloten. Er schien inzwischen zumindest halbwegs über seine persönlichen Probleme hinweggekommen zu sein. Es gab keine Berichte über irgendeine peinliche Szene mit Huntress II. oder Top Gun, und die Chefin der Stallions war recht zufrieden, dass ihr Appell an Knight offenbar gefruchtet hatte.

Die meisten Piloten benutzten beim Schießtraining ihre normalen Dienstpistolen, mit einem durchaus gemischten und selten überragenden Ergebnis. Pistolenschießen war etwas, das geschätzte 75-80 Prozent der Angehörigen des Fliegerkorps nach der Grundausbildung abhakten und später nur in dem Maße betrieben wie es notwendig war, um bei sehr sporadischen Prüfungen der Gesamtdiensttauglichkeit, wo das VIELLEICHT einmal drankommen konnte, nicht vollkommen zu versagen. Man flog mit einem Jäger durchs All und feuerte Kanonen aus hunderten und Raketen aus tausenden Kilometer Entfernung ab. Wer brauchte da eine Handfeuerwaffe? Und dass die Russin eine ganze Palette von Handicaps verordnet hatte, trug nur zu dem eher mäßigen Abschneiden der Mehrzahl ihrer Untergebenen bei. Es überraschte nicht, dass Marine die löbliche Ausnahme bildete. Im Moment traten sie und Lilja in einer besonderen Übungsrunde gegeneinander an, während die anderen Piloten mit teils spöttischen, teils interessierten Mienen zuschauten. Die beiden standen Rücken an Rücken zueinander. Vor jeder Pilotin lag eine Tasche auf dem Boden. Auf ein Zeichen hin gingen sie in die Knie und begannen die Behälter auszupacken. In jedem steckte eine modifizierte Laserpistole - Marines und Liljas Spezialanfertigungen mit Anschlagkolben und Visier. Sie setzten eilig die Waffen zusammen, dann aktivierten sie ihre VR-Brillen und marschierten Seite an Seite zur Schießbahn. Während ihnen die Brille in einem 45-Grad-Winkel ein unübersichtliches Schlachtfeld vorgaukelte, eröffneten sie das Feuer auf die Scheiben. Es war ein Wettstreit, aber einer, bei der die beiden Teilnehmer sich abwechselnd auf mögliche Ziele aufmerksam machten und ihre Feuersektoren tauschten. Ihre Untergebenen begutachteten die Ergebnisse und kommentierten sie boshaft, wohl wissend, dass Lilja im Moment zu beschäftigt war, um jemanden zur Schnecke zu machen: "Fünf auf Marine..."
"Ich halte!"

***

Endlich war die Übung vorüber. Die Stallions hatten sich wieder versammelt. Die ganze Staffel wirkte ziemlich abgekämpft, zum Teil auch etwas ramponiert. Lilja musterte ihre müden Streiter nicht gerade liebevoll: "Wenn ich sage, dass das ein Anfang war, dann wäre das eine sehr positive Einschätzung. Die Ergebnisse in Sachen Nahkampf, Schießleistungen sowie Ausdauer und Geschwindigkeit am Boden sind ausbaufähig. Mit Ausnahme von Lieutenant Taylor haben alle deutlichen Nachholbedarf in mindestens einem und moderaten in wenigstens einem weiteren Bereich." Sie ließ eine eher seltene Selbstkritik folgen: "Auch ich habe noch das eine oder andere nachzubessern - aber das ist für keinen ein Grund, sich auszuruhen." Tatsächlich hatte die Russin im Vergleich zum Staffeldurchschnitt ziemlich gut abgeschnitten, was daran lag, dass sie ohnehin ein rigoroses Trainingsprogramm absolvierte, bei dem Nahkampf und Schießen seit Jahren dazugehörten.
"Mir ist klar, dass wir einen vollen Terminkalender haben." Genauer gesagt hatte die Russin den ohnehin prallen Dienstplan mit ihrem kulturellen Sensibilisierungsprogramm und den Vorbereitungen für Atmosphäreneinsätze noch ein bisschen aufgepumpt.
"Aber auch wenn der eine oder andere von Euch das vielleicht so sehen mag, geht es hier nicht nur darum, gut dazustehen, oder eine Pflichtaufgabe zu erfüllen. Die Fähigkeiten, die wir in den letzten drei Stunden getestet haben - Kämpfen am Boden, Rennen und so weiter - werden wir vielleicht nicht brauchen, wenn wir Glück haben. Aber die Möglichkeit besteht, dass der eine oder andere - Sie selbst, ein Freund, eine Kameradin - schon in wenigen Wochen genau diese Fähigkeiten brauchen wird, um zu überleben. Oder sein oder ihr Überleben hängt davon ab, wie gut SIE diese Fähigkeiten beherrschen, und umgedreht. Deshalb erwarte ich, dass alle ihr Bestes geben - auch wenn das mitunter auf Kosten der Freizeit geht. Sie sind keine Automaten, und Sie sollen ihren Schlaf und Erholungszeiten nicht vernachlässigen. Aber ehe Sie das nächste Mal in ihrer Freizeit zu einer Pokerrunde gehen, oder in die Bar um zu klatschen..." Sie verzog die Lippen zu einem galligen, humorlosen Lächeln, das sich tief in die Seelen ihrer Untergebenen bohrte. In den meisten Fällen waren das freilich nicht gerade tiefe Gewässer, und der eine oder die andere mochte sich etwas unbehaglich fühlen: "...oder was Sie sonst auch immer in der dienstfreien Zeit tun oder lassen - überlegen Sie sich gut, ob Sie diese Zeit nicht besser auf dem Laufband, am Schießstand oder aber am Sandsack verbringen wollen." Ungerührt fuhr die Russin fort: "Ich sehe zu, dass ich weitere Übungseinheiten organisieren kann. Noch etwas - ich werde mit der Krankenstation sprechen, damit unsere Giftschränke für den Fall eines Abschusses in der Atmosphäre erweitert werden."
Damit meinte die Staffelchefin nichts anderes, als das zusätzliche Wachmacher, Aufputschmittel und dergleichen bereitgestellt werden sollten, die einen abgeschossenen Piloten weitermarschieren ließen, der versuchte, sich zu den eigenen Linien durchzuschlagen oder in unwegsamen Gelände Anschluss suchte.
"Das gilt natürlich ebenfalls für die Notfallpakete - Karten, Navigationsmitteln, Wasserreinigungstabletten, Breitbandantibiotika und so weiter. Ich erwarte, dass Sie sich noch einmal mit den Grundlagen des Überlebenstrainings vertraut machen, das wir alle absolvieren durften. In einer Woche gehen wir das wechselseitig durch. Ich werde zusehen, ob ich nicht den einen oder anderen Kameraden, der schon mal im umkämpften Gebiet abgeschossen wurde, zu einem Vortrag über seine Erfahrungen bewegen kann. Wie Sie zweifelsohne wissen, gibt es dazu auch gute Filme - womit ich jetzt nicht die letzten Heldenschnulzen unserer Geschichtenerzähler meine, sondern Dokumentationen und TSN-Lehrmaterial. Es wäre dumm, wenn wir uns das nicht zu Nutze machen würden."
Sie holte tief Luft: "So, das war es erst einmal. Alles wegtreten. Und ich rate Ihnen, erst mal eine Dusche zu nehmen." Und um noch einmal nachzutreten fügte sie mit einer ekelerregenden Überheblichkeit hinzu, als hätte sie selber nicht auch den einen oder anderen Tiefschlag kassiert: "Denn ich rieche hier neben Schweiß auch Versagen und Demütigung..."

Manche mochten meinen, die Selbstverständlichkeit mit der Lilja den Abschuss beziehungsweise die Notlandung eines oder mehrerer ihrer Untergebenen einkalkulierte, wäre psychologisch unklug gewesen. Ihr Herumgetrampel auf dem Selbstwertgefühl ihrer Untergebenen hingegen war so etwas wie ein alter Hut unter Offizieren, schon lange vor der Schaffung der TSN.
Die Russin schwor normalerweise darauf, die Piloten prophylaktisch ins verbale Eiswasser zu schmeißen. Dann war, so O-Ton Lilja, der Schock geringer, wenn sie einmal mehr mit der Realität des Krieges konfrontiert wurden. Immerhin waren die meisten Piloten vergleichsweise erfahren und hatten so manchen Kameraden kommen und gehen sehen. Für einen Neuling wie Kicker freilich mochte sich das alles ziemlich einschüchternd anhören.
Natürlich hätten die wenigsten Piloten gewagt, deshalb Protest anzumelden. Das verbot einmal das eingangs erwähnte Selbstverständnis als eine Elite der Besten, das die TSN-Kampfflieger gerne zelebrierten. Und gegenüber einem Vorgesetzten oder den Kameraden zeigte man ohnehin nur dann Nerven, wenn es nicht mehr ging - insbesondere, wenn es sich bei der Vorgesetzten um jemanden wie Lilja handelte. Die Russin hatte zwar durchaus in der Vergangenheit gegenüber einzelnen Untergebenen so etwas wie Verständnis und Mitgefühl an den Tag gelegt. Aber das geschah doch sehr dosiert und selten, und wenn, dann unter vier Augen. Deutlich öfter gab es von ihr auch nur die Aufforderung, die Zähne zusammenzubeißen und weiterzumachen. ,Alles für die Front, alles für den Sieg!'

Wenige riskierten einmal offene Kritik an den Entscheidungen der Russin. Am häufigsten fungierte Imp als so etwas wie das physische und psychische Gewissen der Staffel. Und es gelang ihr auch immer wieder, der betont hartherzigen Russin die eine oder andere Konzession abzuringen. Aus Erfahrung klug geworden, zeigte sich Lilja wenig überrascht, als nach dem Ende der Übung ihre Vize auf sie wartete. Die beiden Pilotinnen marschierten Seite an Seite in Richtung von Liljas Quartier.
"Lass mich raten, du willst mir sagen, dass ich nicht so ruppig mit unseren Bande Taugenichtsen umspringen soll..." meinte sie, wobei ihre trockene spröde Stimme nicht erkennen ließ, ob sie das resignierend, spöttisch oder gar schuldbewusst meinte.
Imp grinste nur schief: "Du kannst nicht ALLES von ihnen erwarten. Wenn es nach dir ginge, müssten sie nicht nur perfekte Piloten sein, sondern zumindest akzeptable Schlachtflieger, versierte Botschafter der FRT bei unseren nichtmenschlichen Verbündeten UND auch noch Elitekommandos."
Die Russin schnaubte: "Sie sollten es zumindest VERSUCHEN, oder eher bis zum Umfallen bemühen, es zu werden - denn wenn sie das nicht tun, dann bin ICH ihr kleinstes Problem." Sie klang mit einmal aufrichtig besorgt: "Ich habe bei der ganzen Mission kein gutes Gefühl. Es ist schon deutlich was anderes als das, was wir die letzten Jahre gemacht haben. Und du weißt, dass in unserem Spiel kleine Fehler schreckliche Konsequenzen haben können. Außerdem...das bisschen Ruhe hier in Sterntor war die einzige wirklich Erholung die wir nach DREI verdammten Großschlachten bekommen haben, und jetzt schicken sie uns schon wieder los. Ich verstehe, warum sie es tun, und es steht uns nicht zu, darüber zu maulen..." wer die Russin kannte, der wusste, dass sie das aufrichtig meinte: "...aber wenn die Lage vor Ort nicht sehr viel besser ist als erwartet wird es hart. Und außerdem..." Den Rest verschluckte sie. Imp gehörte zu den wenigen, denen gegenüber sie ihre nicht geringen Zweifel betreffs des neuen Geschwaderchefs geäußert hatte. Aber das sprach sie nicht auf den Korridoren der Trägers aus. Also nahm sie den ursprünglichen Faden wieder auf: "Wenn diese Vorbereitungen nur einen kleinen Beitrag dazu leisten können, dass wir unseren Auftrag erfüllen und möglichst viele von uns lebend und darüber hinaus noch halbwegs gesund wiederkommen, ist das ein paar miserable Tage und Nächte - und eine Menge Flüche an meine Adresse - wert." Natürlich sprach die Russin nicht davon, dass sie ALLE halbwegs gesund oder auch nur lebend zurückkehrten. In der Hinsicht war sie mitunter ganz die zynische und erfahrene Veteranin.

"Aber übertreibe es nicht. Sonst pennen uns die Leute noch im Dienst ein - oder ticken aus, weil sie ständig im Hamsterrad ackern. Ich weiß, ich weiß, im Einsatz ist es schlimmer, und du gehst ja immer mit gutem Beispiel voran, aber wir Normalsterblichen haben eben unsere Probleme um mit Lilja der Schrecklichen mitzuhalten."
"Hahaha, du Scherzkeks." meinte die Russin: "Und ich dachte, ich hätte dich inzwischen jenseits deiner typisch westlich-oberflächlichen Allgemeinbildung darüber aufgeklärt, dass der Typ auf den du anspielst nicht der ,Schreckliche' hieß, sondern der ,Gestrenge', oder meinetwegen ,Drohende' oder ,Furchteinflößende'. Was eigentlich alles keine SO schlechten Beinamen sind." Sie kicherte trocken: "Und in der Tat auch zu mir passen würden." Lilja, gebürtig in der Nähe von Kasan, einem Ort des Ruhmes für Zwar Iwan IV., war nicht gerade eine verkappte Monarchistin, wenn es um die Geschichte ihres Mutterlandes ging. Aber manche Sachen nahm sie penibel.

"Aber gut, ich nehme deine Ratschläge zur Kenntnis. Behalt unsere Leute im Auge, falls du meinst, dass jemand ernste Probleme hat, gibst du mir unter der Hand bescheid." beschloss die Staffelchefin. Sie lächelte düster: "Aber...sag mal, Imp, weißt du, was eine ,kalte Mutter' ist?"
"Nö. Klingt aber gruselig. Eine eurer Sagenfiguren?"
"Nicht so ganz. Eine kalte Mutter ist einfach eine Mutter, die zu ihren Kindern keine rechte Verbindung - das was du Wärme, Nähe nennen würdest - aufbauen kann. Nicht aufbauen kann oder nicht aufbauen darf. Sie hat sie zwar geboren, hat ihnen auf den Weg in die Welt und später auf ihrem weiteren Pfad geholfen, aber sie kann sie nicht lieben. Oder diese Liebe zeigen. Nun, wie dem auch sei, bei uns sagt man, ein guter Kommandeur ist eine kalte Mutter."
Imp verzog die Lippen missbilligend. Sie mochte es nicht, wenn Lilja in dieser Stimmung war, auch wenn sie vielleicht ein Stück weit Recht hatte: "Ich denke ja, du halst dir ein bisschen viel auf. Niemand erwartet von dir..."
Die Russin zuckte mit den Schultern: "Es kommt nicht nur darauf an, was andere von mir verlangen, sondern darauf, was ICH von mir erwarte, und was der Krieg von mir VERLANGT. Ich kann meinen Untergebenen nur versuchen den richtigen Weg zu zeigen, und das geht mitunter durch Strenge und Strapazen besser. Ich kann sie nicht lieben..." sie grinste schief und irgendwie traurig: "...sagen wir, nicht alle von ihnen. Sonst könnte ich nicht tun, was getan werden muss. Sie dorthin schicken, wo einige von ihnen ganz bestimmt sterben werden. Vielleicht will ich ja gar nicht so sein. Nicht immer. Aber ich muss es tun, und ich bin dankbar dafür, dass ich dazu in der Lage bin. Und inzwischen, inzwischen kann ich vielleicht auch gar nicht mehr anders..."

Inzwischen waren sie bei Liljas Quartier angekommen. Wie um die etwas morbiden Worte zu überspielen, schaltete die Staffelchefin wieder in den mokanten Tonfall, der viele ihrer Gespräche mit der XO der Stallions prägte: "So, wir sehen uns dann nachher beim Essen, und anschließend müssen wir noch die Übungs- und Patrouillenpläne für die nächste Woche durchackern. Es gibt da noch ein paar Details wegen den Plänen der anderen Staffeln, die wir besser im Voraus ausräumen sollten."
Im wirkte nachdenklich: "Wenn du mal wieder in DER Stimmung bist, möchte ich dich eigentlich ungern allein lassen." meinte sie. Lilja, die die Besorgnis ihrer Untergebenen und engsten Freundin natürlich zu schätzen wusste, bemühte sich, dem Ganzen eine humoreske Note zu geben: "Ich habe jetzt vor allem vor, mich gründlich zu duschen. Und da ich nicht annehme, dass du mir dabei Gesellschaft leisten willst, wirst du mich wohl allein lassen MÜSSEN."
Sie hatte kaum ausgesprochen, als Imp ihr SEHR nah auf die Pelle rückte, so dicht, dass ihre Körper sich beinahe berührten. Sie klimperte mit den Augenlidern und spitzte die Lippen wie zum Kuss: "DAS käme mal auf den Versuch an, Schätzchen."
Lilja warf ihrer Untergebenen einen mörderischen Blick zu, wohl nicht zuletzt aus Sorge, jemand könne sie sehen und es richtig falsch verstehen: "Hahaha, sehr witzig. Wo du doch in festen Händen bist."
Imp feixte dreckig: "Ich könnte ja Sokol dazurufen, weil zu dritt..."
Die Russin kapitulierte: "Ja, schon gut, ich habe verstanden. Lass dich nie auf ein Wortgefecht mit Imp ein, sie ist ohnehin die Überlegene. UND JETZT HAU AB."
Mit einem letzten Liderklimpern und grotesk übertriebenem Hüftschwung entschwand die Staffel-XO den Gang entlang und ließ eine zweifelsfrei besiegte Lilja zurück.
"Ach ja, Imp...die Gelegenheit KONNTEST du dir wohl einfach nicht entgehen lassen, mir eine reinzuwürgen?"
"Nö. Konnte ich nicht."

Ende

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Terra

„Auf keinen Fall. Wissen Sie eigentlich, was Sie da verlangen? Wir stoßen doch nicht eine bereits angelaufene Operation um und schicken das modernste Forschungsschiff der TSN auf eine…Geisterjagd, bloß weil Sie es wünschen!“
„Die Mission der TESLA müsste nur deshalb umdirigiert werden, weil meine Anfragen ignoriert und verschleppt wurden – MEHRMALS. Stattdessen zieht es die Navy vor, an einem Wurmloch herumzuexperimentieren, dessen Stabilisierung weder einen Sinn noch einen Wert hat…“
„Das Jura-Eisfeld-Wurmloch kann unsere Nachschubrouten verkürzen.“
„Und das ist den Einsatz von einem Team wert, das sich aus den besten Wurmloch-Experten der Republik rekrutiert? Und die Verwendung von zwei Schiffen, dessen Bau und Unterhalt uns zusammen ungefähr so viel kostet wie ein Flottenträger? Genauso gut könnten Sie eine Weltuntergangs-Bombe einsetzen, um ein feindliches Munitionsdepot zu sprengen!“ Diese literarische Anspielung blieb natürlich unbemerkt.
„Dieses Wurmloch hat auch noch andere Verwendungsmöglichkeiten…“
„Kommen Sie mir nicht mit diesen bescheuerten Analysen, dass man es als Fluchtroute nutzen könnte, falls das Imperium die Erde bedroht! Wer erzählt jetzt Unsinn?! Das ist fast schon Hochverrat…“
„Jetzt hören Sie mal, Sie…“
„Und zweitens ist es Schwachsinn! SO mächtig ist das Imperium nicht. War es noch nie und wird es niemals sein. Die Imperialen VERLIEREN diesen Krieg. Selbst wenn die Akarii noch mal so eine Selbstmord-Offensive wie gegen die Konföderation starten – die TSN wird nicht so schnell einknicken wie die CC. Und eine Evakuierung der Erde wäre sowieso unmöglich. Wie will man bitteschön MILLIARDEN evakuieren?“
„Ich werde mich jedenfalls nicht noch mal in die Nesseln setzen, indem ich Ihre halbgaren Theorien und Vorschläge weitergebe! Einmal hat gereicht! Außerdem hat das Jura-Eisfeld-Wurmloch den Vorteil, dass wir es von beiden Seiten stabilisieren können, was die Erfolgschancen mehr als verdreifacht. Alle von Ihnen eingereichten Alternativen verlangen, dass wir ein fluktuierendes Wurmloch von nur einer Seite stabilisieren.“
„Das ist schließlich der Sinn bei dem Ganzen! Es geht letztendlich darum, Wurmlochrouten öffnen und stabilisieren zu können, bei denen wir NICHT beide Seiten der Verbindung kontrollieren. Um beispielsweise einen Überraschungsangriff gegen imperiale Welten starten zu können, indem wir die Sprungpunktverteidigung umgehen. Oder darum, in Systeme vorstoßen, die aufgrund instabiler Sprungverbindungen bisher für die Republik unerreichbar waren. Das könnte uns auf einen Schlag zwanzig, dreißig oder mehr Systeme zugänglich machen, die bisher von der interstellaren Raumfahrt abgeschnitten waren. Etliche davon sind für die Gründung neuer Kolonien geeignet, von den Möglichkeiten im Bereich der Rohstoffgewinnung ganz zu schweigen. Oder der Tatsache, dass man so den Kontakt zu Zivilisationen initiieren könnte, die aufgrund instabiler Wurmlochverbindungen bisher isoliert geblieben sind.“ Tremane überlegte kurz und konnte es sich ein bissiges: „Es gibt genug, die gerne mal Columbus spielen würden.“ nicht verkneifen. Allerdings vermutete er, dass sein Gegenüber die kritischen Implikationen dieser Bemerkung nicht erfasste. Viele pflegten zu verdrängen, dass die ‚Entdeckung‘ Amerikas zum größten Massensterben einer indigenen Bevölkerung in der Geschichte der Menschheit geführt hatte, abgesehen vom Erstkontakt mit den Kran. „Und angesichts dieser Möglichkeiten geht unser Ehrgeiz mit der TESLA nicht weiter, als einen interstellaren…Schlauch zu flicken?! Das ist schäbig.“
„Wir müssen lernen zu gehen, bevor wir ins Dunkel springen! Wir riskieren doch nicht alles, bloß weil Sie und ein paar andere Spinner von uralten Superwaffen faseln, die man angeblich am Ende des Regenbogens findet!“
„Witzig. Aber es geht hier um Fakten. FAKT ist, dass mehrere gegenwärtig instabile Wurmlöcher offensichtlich in einer ganz bestimmten Zeitphase aus dem Takt geraten sind. Oder gebracht wurden.
FAKT ist, dass Spuren von Strahlungsemissionen bei mehreren der so von den interstellaren Routen abgetrennten Systeme eine Materie-Antimaterie-Reaktion in genau derselben Zeitphase implizieren. Und wir reden hier von einer Epoche lange bevor die Akarii – oder sonst ein uns bekanntes Volk – ihr eigenes Sonnensystem verlassen konnten. Von der Nutzung von Antimaterie ganz zu schweigen. Ich habe diese Daten nicht ermittelt, sondern sie nur in Korrelation gesetzt. Das in Kombination mit den Artefakten, die unter anderem bei der Medusa-Operation gefunden wurden…“
„Ersparen Sie mir ihre Werbetour! Und hier will KEINER noch mal von der Medusa-Expedition hören! Wir sind immer noch dabei, den Schaden für unser Verhältnis mit dem Sicherheitsdienst und der Flotte zu beseitigen, den Sie mit ihrer unabgestimmten Operation angerichtet haben! Und das alles für einen Haufen Raumfahrergarn und Weltraumschrott bei dem wir noch nicht mal sicher sind, ob er künstlicher Herkunft ist und ob er jemals von IRGENDEINEM Nutzen sein wird!
Von dem potentiellen PR-Desaster abgesehen, das angesichts der zivilen Verluste im Medusa-System und Ihrer halb- und illegalen Eskapaden über uns allen hätte hereinbrechen können.“
„Falls Sie das im Medusa-System verschollene, illegal operierende Bergungsschiff meinen, diese Aasgeier haben sich ihr Schicksal selber zuzuschreiben. Und dieser Vorfall beweist, dass ein schnelles und entschlossenes Vorgehen unumgänglich ist um zivile Verluste zu VERHINDERN. Hätten wir umgehend eine ausreichend finanzierte und ausgerüstete Bergeoperation gestartet und wäre ich nicht gezwungen gewesen, einen Haufen Zivilisten zu mobilisieren…“
„Dann wären Sie jetzt vielleicht vermisst und nicht diese Schmuggler. Und…Oh nein, wir werden diese Diskussion nicht noch mal öffnen! Damit können Sie hier keinen Punkt machen. Die Operation der TESLA läuft weiter wie geplant. WENN dieser Test erfolgreich verläuft, dann können wir vielleicht auch das Stabilisieren eines Wurmlochs von nur einer Seite der Verbindung aus versuchen. Irgendwann…“
„Wenn die Menschen immer einen derartigen…Ehrgeiz und Wagemut gezeigt hätten, hätten wir vermutlich noch nicht mal unseren Planeten verlassen.“ Tremane überlegte kurz und legte dann nach: „Oder die Bäume Afrikas.“
Die Antwort seines Gegenübers war kurz, nonverbal und eindeutig. Er kappte ganz einfach die Verbindung. So verpasste er allerdings auch einige Substantive und Adjektive, für die viele Leute ein Wörterbuch benötigt hätten.

„Ja, du kannst wirklich mit Menschen.“ Die Stimme seiner Stellvertreterin ließ Tremane sich umwenden. Er schnaubte abfällig: „Und was soll ich sonst tun? Ihm einen Kuchen backen oder die Eier kraulen? Wenn diese Idioten in ihrer bornierten Mittelmäßigkeit nicht fähig sind zu erkennen, worauf sie WIRKLICH ihre Aufmerksamkeit richten sollten…“
„Dann lassen sie dich am ausgestreckten Arm verhungern. Oder glaubst du etwa, dass es dich weiterbringt, wenn du die ohnehin beträchtliche Liste deiner ‚Fans‘ weiter verlängerst?“
„Eigentlich wollte ich sagen, dass ich mich dann an eine höhere Instanz wenden sollte.“
„Und wer sollte das sein? Du hast es gehört! Im Augenblick sind wir beschädigte Ware. Nachdem du es dir mit dem Sicherheitsdienst UND der Flotte verscherzt hast und sogar der TIS auf Distanz geht…Kein Karrierebeamter will seine nächste Beförderung riskieren, indem er sich für dich stark machst.“
„Und deine…“ Tremane hielt inne, als Jean Falker ihm mit einer schneidenden Handbewegung unterbrach. Die Tatsache, dass Falkner Kontakte zu einer Gruppe an seinen Ermittlungen…interessierter Personen hatte, die ganz offensichtlich über beste Kontakte in die Wirtschaft, die Politik und die verschiedenen Teilstreitkräfte hatte, war ein sensibles Thema: „An deiner Stelle würde ich nicht in diese Richtung spekulieren, Andrew. Das ist noch jemand, dem deine letzten Aktionen nicht passen. Vor allem, weil das Ergebnis bestenfalls mager war. Jetzt, wo sowohl die im Medusa-System geborgenen Artefakte als auch die Leichen dieser Schmuggler in den Händen der Flotte sind…“
„Deren Vorstellung von einer wissenschaftlichen Untersuchung darin besteht, etwas in die Luft zu jagen…“
„Werde ich ganz bestimmt nicht meinen verbliebenen Kredit für den Versuch opfern, die Expedition der TESLA umzusteuern. Dafür ist es zu spät. Außerdem sind auch meine…Kontakte nicht allmächtig. Du machst einfach zu hohe Wellen Und du tanzt auf zu vielen Hochzeiten. Als du dich auf die COPERNIKUS konzentriert hast, war das etwas anderes. Aber unsere Ermittlungen im Bifröst-Gürtel, die…Investitionen im Godeka-System, die Medusa-Operation, dein Interesse für den MOTRONOS-Zwischenfall bei den Akarii…“

Die COPERNIKUS war ein vor Jahrzehnten unter mysteriösen Umständen verschollener Raumfrachter, dessen rätselhafte Irrfahrt anscheinend zum Verschwinden mehrerer Schiffen geführt hatte, die dem Geisterschiff begegnet waren. Auf einem Opfer der COPERNIKUS, dem Frachter STARDANCER hatte Tremanes Vater gedient. Eines der weiteren Schiffe, denen die COPERNIKUS zum Verhängnis geworden war, war der Akarii-Hilskreuzer MOTRONOS gewesen. Im Bifröst-Asteroidengürtel gab es ähnlich wie im Godeka-System Hinweise auf lange zurück liegende, rätselhafte kosmische Katastrophen. In beiden Systemen waren zudem immer wieder seltsame Trümmer und Relikte entdeckt wurden, die angeblich künstlichen Ursprungs waren. Ähnliches galt auch für das MEDUSA-System – nur hatte hier der Versuch einiger überambitionierter Krimineller, die vermutete Alientech zu bergen, zum Tod mehrerer Menschen und dem Verschwinden eines weiteren Schiffs geführt.

„Ich habe zum Beispiel schon wieder eine Anfrage bekommen, warum wir weiter Gelder auf Fort Irresponsible verschwenden. Mal abgesehen von der fragwürdigen Authentizität der im Godeka-System angeblich gefundenen Artefakte sind die überwiegend viel zu jung für uns. Und haben kaum Ähnlichkeit mit etwa unseren Funden im Medusa-System. Also warum..“
„Du vergisst, dass es um die Überreste einer Zivilisation geht, die Jahrtausende alt sein könnte. Und dass wir selbst bei optimistischer Schätzung von nur ein paar Dutzend bis zweihundert Artefakten sprechen können, von denen die meisten bestenfalls Schrott, Trümmer oder Zivilisationsmüll sein dürften. Kannst du dir vorstellen, was man sich für ein Bild von der irdischen Zivilisation mit so einer dünnen Fundbasis machen könnte? Wir können nicht mal ANSATZWEISE entscheiden, was für Funde ‚passen‘ und welche nicht.“
„Da ist immer noch die Datierung.“
„So etwas kann immer nur eine Schätzung sein. Und außerdem…keine Zivilisation geht ohne Spuren und Nachfolger unter. Jahrzehnte nachdem der letzte Kaiser gestürzt worden war, hielten die Männer in den Grenzforts Rom die Treue und beschworen ihre Loyalität. Die geplünderten Städte des Imperiums waren für Jahrhunderte Wohnung, Steinbruch und Inspiration, auch als das Wissen um die Vergangenheit in Vergessenheit geraten war.“
„Das ist deine Hoffnung? Irgendwelche…Barbaren, die durch die Ruinen der Vorzeit stolpern und wahrscheinlich nicht mal wissen, was ihnen beim Durchwühlen der Trümmer in die Hände fällt?“
Tremane grinste zynisch: „Und wo ist da der Unterschied zu uns? Also ja, ich will nicht ausschließen, dass wir im Müll und den Überresten späterer…Besucher etwas finden, dass uns bei unserer Suche hilft.“
Falkner warf frustriert die Hände in die Luft: „Fein! Also alimentieren wir weiterhin einen Haufen Aasgeier, Spinner und Betrüger in der Hoffnung, dass in der Scheiße die sie uns liefern mal ein Goldstück ist!“
Tremane grinste kurz: „Archäologie funktioniert nach dem Prinzip. Genauso wie Geheimdienstarbeit. Wir sind also in guter Gesellschaft.“
„Du verzettelst unsere Ressourcen! Und die Geduld unserer…Freunde. Wenn du dich jetzt auch noch in die Mission der TESLA hineindrängen willst, Andrew…“
„Begreifst du das nicht? Begreift das hier denn keiner? Das mache ich nur deshalb, weil das alles miteinander zusammenhängt! Die destabilisierten Wurmlöcher und Sonnen, die gesprengten Planeten, die Relikte, die Schiffe…
Wir sind einem Geheimnis auf der Spur, das so viel größer ist als einige verschwundene Frachter und fragwürdige Artefakte! Aber wir werden niemals die Wahrheit erkennen, wenn wir uns immer nur auf einen Aspekt konzentrieren. Wenn wir das tun, bleiben wir das, was die Mannschaft der COPERNIKUS war, die Besatzung der MOTRONOS, der MARY C…und der STARDANCER. Nicht mehr als Kinder, die durch den Nebel irren…“

Falkner schluckte das hinunter, was sie eigentlich hatte sagen – oder vielmehr Tremane an den Kopf knallen wollen. Wenn er auf diesem Trip war, waren weder Logik noch ein verbaler Tritt in den Hintern die geeignete Strategie. Besser war es, das Thema zu wechseln. Auch wenn sie sich fragte, ob sie Tremane mit dem was sie ihm jetzt mitteilen musste, weswegen sie überhaupt den Raum betreten hatte, nicht noch tiefer in das Dunkel führen würde, in das er eingedrungen war, seitdem er seine besessene Jagd auf COPERNIKUS begonnen hatte. ‚Andrews farbige Metaphern färben auf mich ab. Als nächstes werde ich Nitzsche zitieren.‘

„Es gibt Neuigkeiten von der Navy.“
Das wirkte augenblicklich: „Haben sie endlich die im Medusa-System gefundenen Artefakte freigegeben?“
„Leider nein. Die wollen sie offensichtlich noch etwas länger behalten. Immerhin handelt es sich zum Teil um Material, das offenbar die besten terranischen und imperialen Kriegsschiffspanzerungen so veraltet wirken lassen könnte, wie Schmiedeeisen. Wenn die Navy herausbekommen könnte, woraus die Bruchstücke eigentlich bestehen und wie man dieses Ergebnis replizieren könnte…
Nein, es geht um die MARY C.“ Falkner verzog kurz die Lippen. Sie war nicht zimperlich. Im Namen der Republik hatte sie getötet und gefoltert. Dennoch verfolgte sie das, was sie im Medusa-System gesehen hatten, bis in ihre Träume. Und dabei hatten sie nicht einmal die MARY C selber gefunden – nur eine halb besetzte Rettungskapsel und einen bewusstlosen Mann der Besatzung, der in einem Bergungs-Raumanzug durch das All trieb. Die Männer in der Rettungskapsel waren alle tot gewesen. Und ihr Kamerad im Raumanzug war Amok gelaufen und hatte sich die Kehle aufgeschlitzt.
„Verstehe. Da die Überreste des Schmugglerschiffs keinen militärischen Wert haben, ist die Navy bereit zu teilen. Ausnahmsweise dürfen wir also für die bornierte Betriebsblindheit der TSN dankbar sein.“

Falkner schnaubte kurz, gab Tremane allerdings insgeheim Recht: „Da wären zum einen die Daten, die aus der Rettungskapsel geborgen wurden. Wie bei den meisten zivilen Schiffen üblich, hatte der Computer der Rettungskapsel einen Reserve-Datenspeicher mit Verbindung zum Schiffscomputer, über den Aufzeichnungen zu Position, Route und Telemtrie-Daten und so weiter gespeichert wurden. Standardprozedere, damit Bergungsschiffe dem Mutterschiff der Kapsel gegebenenfalls schnell zur Hilfe eilen können.“
„Das hat ihnen ja viel geholfen.“ bemerkte Tremane gallig.
„Tja…aber darum geht es nicht. Jedenfalls haben wir so noch mal eine Bestätigung über den Kurs und Zustand der MARY C bis zu dem Zeitpunkt, als die Kapsel abgetrennt wurde.
Leider keine Video- oder Audio-Aufzeichnungen aus dem Inneren des Schiffes…“, in Wirklichkeit war sich Falkner nicht sicher, ob sie überhaupt sehen und hören WOLLTE, was an Bord der MARY C vorgefallen war, „…aber jetzt haben wir den Beweis, dass die MARY C zuvor offenbar einem Suchkurs flog. Und offensichtlich haben sie dabei auch etwas gefunden, denn sie hatten ihr Shuttle im Einsatz und haben mehrmals gestoppt. Leider verrät uns die Schiffstelemetrie wenig über die von der MARY C geborgenen Artefakte. Vermutlich war das meiste zu klein und zu leicht, unter hundert Kilogramm…“
„Wie viele der Bruchstücke, die wir geborgen haben.“
„Aber da war noch etwas. Etwas Großes. So schwer, dass es bei den Statusanzeigen des Schiffs aufgezeichnet wurde. Wenn dieses Bergegut aus einem Material bestand wie die Bruchstücke, dann…“, Falkner zögerte kurz. ‚Das wird dir gefallen, Andrew. Ach verflucht. Warum mache ich mir eigentlich Sorgen um diesen Idioten? Weil ich seit ein paar Jahren in seinem Narrenschiff mitsegele und ich mit ihm schlafe? Du wirst weich, Mädchen…‘
„…muss es sich um ein Objekt von maximal zwei mal zwei mal drei Metern handeln. Nicht besonders groß.“
Tremane nickte abwesend: „Wir sind schon früher davon ausgegangen, dass was auch immer der MARY C – oder der COPERNIKUS – begegnet ist, sicher kein Raumschiff war. Zwölf Kubikmeter? Das passt. Groß genug.“ ‚Für eine Rettungskapsel. Oder einen Sarg.‘ Aber das sagte er nicht. Diesmal. Die Implikationen einer derartigen Vermutung waren so weitreichend, dass selbst er zögerte, sie auszusprechen. Außerdem hätte Falkner ihn nur wieder für verrückt erklärt. Nach der Art und Weise, wie sie ihn musterte, wusste sie ohnehin Bescheid. Und entschied sich, weiterzumachen: „Außerdem hat die Navy die Untersuchung der geborgenen Leichen beendet. Zumindest die erste Runde.“

„Ich gehe davon aus, dass das heißt, dass wir mit unserer Analyse Recht hatten und unsere unbeweint verstorbenen Schmugglerfreunde weder einer biologischen noch einer chemischen Waffe zum Opfer fielen.“
„Genau das ist das Problem. Sie wissen immer noch nicht so genau, WAS die Männer getötet hat. Die Analysen sind…verwirrend. Da waren zum einen die Verstrahlungen und schweren Hirnschäden, die wir bereits bei den ersten Untersuchungen auf der EMERALD festgestellt haben.
„Sag mir etwas, was ich noch nicht weiß.“
Falkner schnaubte kurz: „Wir sind aber ungeduldig. Wie wäre es damit: Die Strahlungsschäden können auf keinen Fall nur mit der – allerdings sehr hohen, stark fluktuierenden und ziemlich ungewöhnlichen – Strahlung von Medusa erklärt werden. Da muss noch eine andere Quelle gewesen sein. Jetzt wissen wir es sicher.“
Tremane nickte langsam und grimmig, ein beunruhigendes Leuchten in seinen Augen: „Das war dieses Großobjekt, das sie an Bord geholt haben. Ich wusste es.“
„Diese Vermutung ist zumindest naheliegend. Zumal die Quelle der ungewöhnlichen Signale, die von den Jägern der COLUMBIA beim früheren Durchqueren des Systems gemeldet wurde und die diese Schmuggler – und uns – überhaupt erst auf Medusa aufmerksam gemacht haben, zusammen mit der MARY C verschwunden ist.“ Falkner räusperte sich unwillkürlich und ärgerte sich über sich selber. Es brachte nichts, wenn sie das Unvermeidliche hinauszögerte: „Was die Hirnschäden angeht…auch da gibt es einige neue…Details. Sie erinnern an den Mann den wir geborgen haben und der dann plötzlich Amok lief.“
„Du meinst den, den du beinahe über den Haufen geschossen hast, obwohl wir ihn LEBEND brauchten.“
„Musst du schon wieder das Arschloch spielen?! Ich habe dich beschützt! Und außerdem HABE ich ihn nicht erschossen. Der Idiot hat sich die Kehle durchgeschnitten. Schon vergessen?!“
Tremanes Antwort war eine Geste, die man mit etwas Wohlwollen als entschuldigend bezeichnen konnte. Und als Aufforderung, fortzufahren.
„Wir hatten schon festgestellt, dass bei unserem amoklaufenden Freund die Werte derselben Hirnbereiche verrücktspielten, die auch bei den Piloten ungewöhnliche Werte zeigten, die diesem Signal ausgesetzt waren.“
„Reflexsteuerung und Traumzentrum.“
„Genau. Allerdings waren bei ihm die Werte um ein Vielfaches stärker. Vermutlich, weil er der Quelle der…Veränderungen sehr viel näher oder länger ausgesetzt gewesen ist. Das erklärt auch, warum ein dehydrierter, körperlich geschwächter Mann zuschlagen konnte, wie eine Schlange auf Speed. Eine SEHR STARKE Schlange. Und WARUM er ausgerastet ist. Sein Gehirn muss mit Reizen förmlich geflutet gewesen sein. Auch psychisch war er so high wie ein Wettersatellit.“
„Du wirst ja richtig poetisch. Aber all das…“
„Ist nicht wirklich neu. Aber wenn du mich jetzt endlich ausreden lässt…
Bei den Toten in der Rettungskapsel sah es noch schlimmer aus. Ihre Hirnschäden betrafen ebenfalls vor allem diese beiden Bereiche, die regelrecht…gekocht wurden.“
„Pfui Teufel. Ist das die Todesursache, die der Navy am genehmsten ist? Dass sie Amok gelaufen sind und sich gegenseitig massakriert haben oder an den Hirnschäden gestorben sind? So eine ähnliche Theorie hat schon mal jemand für das Verschwinden der COPERNIKUS aufgestellt. Wollen Sie diese Story für die MARY C und das Medusa-System recyceln? Wie erklären sie sich dann, dass das Schiff verschwunden ist?“
„Wenn die Crew einen psychotischen Schub hatte…“
„Der so zielgerichtet und sorgfältig war, dass sie noch zum Sprungpunkt fliegen und aus dem System verschwinden konnten?!“
„Reg dich ab, Andrew. Und lass mich zu Ende reden. Unsere Freunde bei der Navy haben nämlich nicht nur Hirnschäden und Verstrahlungen bei den Toten der MARY C gefunden. Offenbar gab es auch Veränderungen an ihrer DNA.“
Das WAR ganz offensichtlich eine Überraschung für Tremane: „Ist das dein Ernst? Und die Navy gibt diese Information an uns weiter?“
„Vermutlich, weil sie auch da nicht genau wissen, was die Veränderungen verursacht hat. Die Strahlung? Oder etwas anderes?“
„Auf keinen Fall war es ein Virus. Das hätten wir bei unseren ersten Untersuchungen der Toten festgestellt.“
„Wir hatten nicht gerade die beste Ausrüstung.“
„Würde die Navy so etwas vermuten, dann hätte sie uns schon längst wieder unter Quarantäne gestellt.“
„Vermutlich. Was es auch war, es war auf jeden Fall nicht infektiös. Die Veränderungen betrafen unter anderem Gensequenzen, die die Blutbildung, das Zellwachstum und die Gehirnentwicklung beeinflussen – aber letztere sind eigentlich vor allem für Embryonen wichtig. Bei erwachsenen Menschen…Ich weiß nicht. Nach den Prognosen hätten die Auswirkungen eventuell zu Zellwucherungen führen können. Möglicherweise letztendlich auch zu Tumoren oder Krebs.“ Falkner verzog den Mund. Auch wenn die moderne Medizin die meisten Zellerkrankungen inzwischen erfolgreich therapieren konnte, das war kein Thema über das man gerne sprach: „Also vielleicht doch eine Waffe?“
„Auf keinen Fall. Viel zu langwierig und ineffektiv. Das kann nicht das Ziel gewesen sein.“ Tremane trommelte abwesend mit den Fingern gegen seinen Kiefer.
„Wenn es ein Ziel gab…“, warf Falkner ein, was ihr Partner aber nicht hörte oder ganz einfach ignorierte.
„Was auch immer die MARY C an Bord geholt hat, es sollte die Mannschaft nicht einfach nur töten. Und was auch immer mit den Männern passiert ist, die wir geborgen haben, es war noch nicht abgeschlossen.
Denk mal nach! Wo auch immer wir auf Sagen und Legenden von den…Älteren…stoßen, ist ihre Beschreibung niemals gleich – aber ihre Fähigkeiten. Und immer sind sie in der Lage, ihre Gestalt zu ändern. Sie erschaffen Monster und Helden und erheben Sterbliche in ihre Reihen.“
„Weil das ein Wandermythos ist. Eben das, was sich ein Haufen Primitiver zusammenspinnt, wenn er um ein Lagerfeuer sitzt und in die Sterne blickt!“
„Aber was wir im Medusa-System gesehen und gefunden haben, das war nicht nur Spinnerei und Mythos. Genauso wenig wie das, was mit der COPERNIKUS, der STARDANCER, der MARY C, der MOTRONOS und all den anderen Schiffen geschah!
Die Art und Weise, wie der Kontakt mit diesem…Signal oder Fundstück im Medusa-System das Gehirn und offensichtlich langfristig auch das Genom beeinflusst…“
„Andrew…“
„Der Funkspruch der MOTRONOS, in dem von ‚Etwas‘ die Rede war, das an Bord kam und das weder Mensch noch Akarii gewesen sein kann. Die Tatsache, dass jedes Schiff das mit der COPERNIKUS in Kontakt kam ebenfalls verschwunden ist – genauso wie es mit der MARY C im Medusa-System geschah, als sie dieses…Artefakt, diese Kapsel oder was auch immer an Bord holten…“
„Andrew…“
„Und erinnerst du dich an die Berichte von diesem Akarii-Wissenschaftler Tramt, der bei seinen Experimenten mit dem Erbgut von Akarii, T’rr und anderen Rassen davon ausging, dass die verschiedenen Alienrassen miteinander verwandt sind oder in ihrer Entwicklung genetisch beeinflusst wurden…“
„Du hast selber gesagt, dass das Schwachsinn ist!“
„Ja, aber was wenn das nur zu kurz gedacht war? Wenn das, was die COPERNIKUS gefunden hat, was die MARY C an Bord genommen hat, keine uralte, immer noch funktionierende Waffe war? Sondern eine Blaupause. Ein…Bauplan.“
Jean Falkner verdrehte die Augen. Das hatte ja kommen müssen. Ihr Vorgesetzter hatte mal wieder einen seiner Schübe. ‚Und die werden immer schlimmer, je näher wir – anscheinend – der COPERNIKUS kommen. Oder dem, was vielleicht hinter diesem ganzen Wahnsinn steckte.‘ In solchen Augenblicken fragte sie sich, ob nicht schon alleine die Beschäftigung mit diesem Thema dieselbe Wirkung hatte wie der direkte Kontakt mit dem Ziel ihrer Jagd. ‚Vielleicht weniger schnell und offensichtlich. Aber genauso gefährlich.‘ Aber das waren müßige Gedanken. Ihre Aufgabe blieb bestehen. Tremane weiter auf seinem Weg folgen. Und selbst wenn sie es gewagt hätte, sich gegen diejenigen zu stellen, die sie vor einigen Jahren, einer halben Ewigkeit auf Tremane angesetzt hatten…Andrew würde niemals aufgeben.
Sie musterte ihren Vorgesetzten mit einer Mischung aus resignierter Frustration und genervter Zuneigung. ‚Dann also…Hand in Hand zur Hölle…‘
20.05.2017 16:12 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Hoang Duc Hancock zögerte für einen Moment, bevor er seinen Rucksack schulterte und den Laufgang betrat, der ihn nach Fort Irresponsible bringen würde. Er ließ die MOTHER FORTUNE damit hinter sich, und er weinte der Passage, dem Schiff und der Crew – vor allem nicht dem Kapitän – keine Träne nach, obwohl sie zweifellos grandiose Arbeit dabei geleistet hatten, um ihn aus der Republik rauszuschaffen. Dabei war es nicht mal eine geplante Flucht auf einem der Railways gewesen, die ColCon Intelligence nach dem Verrat der Terraner hastig und mäßig erfolgreich aufgebaut hatte, er hatte sie selbst durchgezogen. Nicht geplant, nicht organisiert, niemanden vom Geheimdienst als Hilfe hinzuziehen können, er hatte es einfach nur getan. Und hier und jetzt war er dabei, aus eigener Kraft und aus eigenen Mitteln davonzukommen.
„Und du bist dir da wirklich sicher?“, hielt ihn eine weibliche Stimme zurück.
Hancock wandte sich ihr zu. Gut, einen Grund gab es doch, seinem Transport nachzuweinen. Er würde Molly echt vermissen. Also wandte er sich ihr noch einmal richtig zu, nahm sie in die Arme und drückte sie, wobei er das Fehlen ihres rechten Arms höflich ignorierte, ebenso wie die verwachsene Oberlippe, die sie nicht gerade für die Miss Universe-Wahl qualifizierte. Sie war so geboren worden, etliche Lichtjahre vom zivilisierten Raumgebiet entfernt, weil ihre Mutter an Syphilis im fünften Jahr laboriert hatte, als sie sie bekommen hatte. Die Syphilis konnte dann geheilt werden, im zwölften Jahr, praktisch in letzter Sekunde. Aber die Schiffscrew hatte nie das Geld für eine Behandlung der verwachsenen Tochter und war auch nie an die Töpfe eines der vielen Sozialprojekte gekommen, die in solchen Fällen einzugreifen pflegten. Augenscheinlich deshalb, weil niemand an Bord ihres Schiffs terranischer Bürge gewesen war. Also hatte sich die junge Molly, die eh nichts anderes kannte, mit ihrem Aussehen und dem fehlenden Arm arrangiert und mit einem Schulterzucken abgetan. Letztendlich hatte sie das nicht daran gehindert, Vollmatrose zu werden und selbstständig auf einem anderen Schiff anzuheuern und dort Karriere zu machen. Sie war für das Schiff genau die Person, die sich mitten durch die Öffentlichkeit bewegen konnte, ohne aufzufallen, weil alle Welt sie höflich ignorierte. Damit war ihr Aussehen auch ihr Kapital geworden, und... Aber das führte zu weit. Auf jeden Fall war Molly es gewesen, die ihn aufgelesen hatte, als er dringend aus der Republik raus gewollt hatte, und sie war es auch gewesen, die den Kontrakt mit ihm ausgehandelt und auch eingehalten hatte. Ansonsten schmuggelte die MOTHER FORTUNE nämlich keine Menschen, sondern eher Konterbande. Und ihr Geschäft florierte, seit ColCon und die Republik durch ihren Ehestreit in getrennten Betten schliefen.
„Du bist dir sicher.“ Molly seufzte zum Steine erweichen. „Ich weiß nicht, was du in der ColCon so dringend suchst, aber ich hoffe, du findest es, Em-Hancock.“
„Das hoffe ich auch, Molly.“ Tatsächlich wusste er sehr genau, was er suchte, und das war seine Freiheit. Und die hatte er fast gefunden. Fast. Das Fort war sein Ticket nach Hause.
„Aber bist du sicher?“, hakte sie nach. Ihre hübschen blauen Augen, die um einiges besser gewirkt hätten, wäre die verwachsene Oberlippe nicht gewesen, schimmerten. Tatsächlich hatte sie versucht, ihn zu verführen, mit einem großen Pflaster auf der entstellten Oberlippe. Und das sagte genug darüber aus, was sie bei aller Abgeklärtheit in ihrem Leben durchgemacht haben musste.
„Ob ich...?“ Er starrte sie verständnislos an, bevor er verstand und zu lachen begann. „Oh, DAS! Ja, ich bin sicher, ich sollte sicher sein. Ich habe noch genug Geld, selbst für die überteuerten Preise dieser gottverdammten Schmuggler, und außerdem wartet mein Cousin Giang auf mich. Er wird mir hoffentlich unter die Arme greifen können. Immerhin ist er ein Cousin vierten Grades.“
Molly lachte schnaubend und löste sich von Hancock. „Ihr Siamesen und eure Familien. Ihr seid ja fast so schlimm wie wir Raumfahrer.“ Sie blinzelte ihn an. „Ist er verlässlich?“
„Ich kenne ihn persönlich, keine Sorge. Er ist... Nun, dienstlich hier.“
„Davon will ich nichts wissen“, beteuerte sie und hielt abwehrend die Hände hoch. „Was ich nicht weiß, kann ich nicht verraten. Aber...“ Sie biss auf ihre Unterlippe und begann auf den Fersen zu wippen. „I-ich habe in sechs Stunden Schichtende. Und wenn ich dann auf die Station wechsle, dann... Kennen wir uns dann noch, Em-Hancock?“
Verblüfft sah er sie an. Wie oft hatte sie eine solche Situation schon erlebt? Wie oft war jemand, der mit ihr geschlafen hatte, bei dieser Gelegenheit auf und davon gewesen, um sie fortan nicht mehr zu kennen, sie zu ignorieren, und wenn doch, dann um damit anzugeben, was die Narbenfresse für ein guter F... gewesen war? Nicht, dass er mit ihr geschlafen hatte, aber so hatte er es zumindest Patron Steve erzählen hören, den Maschinenwart, der das Mädchen unter seine väterliche Fittiche genommen hatte. Hancock lächelte. „Du hast meine Kontakternummer. Summ mich an, wenn du rüberkommst. Es wird ja wohl einen verdammten Flecken auf dieser Station geben, wo man sich in Ruhe unterhalten kann, während man ein Bier trinkt.“
Das brachte ihre Augen zum Strahlen. „Du lügst natürlich. Aber schön, dass du es zumindest tust.“
Hancock wollte protestieren, aber dann hielt er inne und fragte sich: Konnte er es sich leisten, sich mit der Spacerin weiterhin abzugeben? Wenn alles gut lief und wenn Giang gut vorgearbeitet hatte, dann konnte es sein, dass er sich entweder verstecken musste, oder aber gleich weiterflog. „Ruf mich einfach an. Dann wirst du schon sehen, ob du Recht hast, Molly.“ Er küsste sie auf die Stirn, wandte sich ab und betrat den Laufgang. Molly würde er in jedem Fall vermissen.

Er ignorierte die beiden Matrosen, die den Dockingkragen und die automatische Verladung überwachten, als sie sich zu anzüglichen Witzen ihn und Molly betreffend herabließen und trat auf das schmale gelbe Band, das für Personenverkehr freigelassen wurde, während in der Mitte und links die Elektrozüge einfuhren, um beladen zu werden, nur um dann durch den Tunnel zur Station zurückzufahren. Der Fußweg dauerte nur drei Minuten, dann hatte er das acht mal vier Meter große Gebilde hinter sich gelassen. Er stand nun vor einem offenen Tor der gleichen Größe. „Das ist also Fort Irresponsible“, sagte er mehr zu sich selbst. Er betrachtete das gähnende Loch, aus dem helle Beleuchtung trat. Energiesorgen hatten die hier schon mal nicht. Zwei Männer in makellos weißen Uniformen, das allgemeingültige Zeichen für Biohazard auf der linken Brust, scannten gerade den ersten eintreffenden Wagen, bevor sie ihn durchwinkten. Einer von ihnen sah Hancock direkt an. „Durch die Schleuse, Bürger.“ Er deutete auf eine Tür, die hinter dem Tor in die Wand eingelassen worden war. Der Mann sah nicht aus wie ein Wächter, aber der junge Mann wollte seinen Einstand im Fort nicht gleich mit einer Gehorsamsverweigerung beginnen. „Natürlich, Sir.“ Er trat durch die Tür und gelangte in eine Schleuse. Die Tür hinter ihm fuhr zu; ein heftiger Luftzug ging vom Boden aus und ließ sein Haar hoch wehen. Bange Sekunden vergingen, in denen Hancock absolut keine Ahnung hatte, was überhaupt vorging, dann leuchteten bislang verborgene Lichtleisten grün auf. „Sicher“, klang die Stimme einer Frau auf. „Bitte treten Sie aus der Analysekabine.“
Vor ihm öffnete sich eine weitere Tür, Hancock trat hindurch und sah sich mit der Besitzerin der Stimme konfrontiert. Sie trug ebenfalls den weißen Overall mit dem Biohazard-Zeichen. Sie musste in ihren Fünfzigern sein, das war hier draußen immer schwer zu schätzen, hatte ihr zweifellos gebleichtes Haar raspelkurz geschnitten und zückte just in diesem Moment eine Stabtaschenlampe. „Meine Analyse zeigt die Rückstände von H1N1-Influenza. Bitte öffnen Sie den Mund und beugen Sie sich etwas vor.“
Verwirrend, fand Hancock. Vor allem aber hatte er das nicht erwartet. Fort Irresponsible war doch rechtsfreier Raum, oder? Was ging hier vor?
Sie leuchtete seinen Rachen aus und nickte zufrieden. „Keine Rötung.“ Ungeniert, aber zumindest mit Einweghandschuhen öffnete sie seine Augen und leuchtete hinein. „Gut.“ Dann griff sie mit ebenjenen behandschuhten Händen an seinen Hals und seine Kehle. „Hm.“ Sie zog einen Einwegstreifen hervor, packte ihn aus und zog ihn über seine Stirn. Anschließend steckte sie den Streifen Papier in ein Analysegerät auf dem nahen Schreibtisch.
„Was, zum Henker...“, fragte Hancock irritiert.
„Sie betreten gleich ein geschlossenes Environment mit über fünftausend Menschen. Glauben Sie wirklich, ich lasse Sie da mit einer hoch ansteckenden Krankheit rein?“
Verblüfft klappte Hancock den Mund wieder zu. „Nicht?“
„Sie dürfen dann nur rein, wenn Sie einen versiegelten Anzug tragen. Die ganze Zeit ihres Aufenthalts“, erklärte die Frau. Das Gerät piepte auf und hocherfreut sah sie ihn an. „Die Grippe haben Sie jedenfalls komplett ausgeheilt und Sie sind auch kein Überträger mehr, Bürger. Na dann einen schönen Aufenthalt auf unserer wunderschönen Station.“ Sie griff auf ihren Schreibtisch und gab ihm eine Handvoll Coupons.
„Was ist das?“
„Essensgutscheine. Damit entfällt für Sie die übliche Zubereitungsgebühr. Sie gelten für alle Alpha-Menus. Das genau fünf Mal. Haben Sie Geld?“
Hancock nickte. Seine Brieftasche war noch immer recht gut gefüllt. Mit zwei Creditchips und ein paar Real-Scheinen unterschiedlichen Werts.
„Gut. Alle anderen Dienstleistungen und alle Speisen, die nicht zur Alpha-Gruppe gehören, müssen bezahlt werden. Die sind leider alle etwas überteuert, aber wer will schon sein Leben lang Algen und Fisch essen? Brauchen Sie eine Einweisung, Bürger?“
Hancock, der immer mehr nur noch Bahnhof verstand, schüttelte den Kopf. „Mein Cousin lebt hier. Er holt mich ab. Zumindest hoffe ich das.“
„Interessant. Heimatdeck oder Diplomatendeck?“
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“
„Ihr Cousin wird es Ihnen erklären, Bürger. Ich lasse Sie passieren. Halten Sie Ihr Geld zusammen. Und ach ja, auf jeder Etage stehen mindestens fünf Terminals, auf denen unter anderem Jobs angeboten werden. Fachkräfte sind immer rar auf Fort Irresponsible. Wenn Sie also etwas können, was nicht so häufig ist, haben Sie glänzende Karriereaussichten.“
„Ich bin eigentlich nur auf der Durchreise“, entgegnete er und hätte sich für die Worte am liebsten auf die Zunge gebissen.
„Na, Ihr Cousin wird Ihnen eh alles zeigen. Einen guten Tag noch, Bürger.“
„Einen guten Tag noch, Bürgerin“, erwiderte er automatisch. Er schritt durch die Tür, die sie ihm wies – und erstarrte.

Das Schott öffnete sich, er trat hinaus, das Schott schloss sich hinter ihm, und er starrte wie ein New Bostoner Tourist, der das erste Mal das Parlamentsviertel in Berlin betrachtete. Wie ein mittelschwerer Vorschlaghammer krachte die Station über ihm zusammen, erschlug ihn fast. Literarisch. Eine Lautstärke nahe eines Rockkonzerts nahm ihn ein, blinkende Lichter, hektisches Treiben und grelle Neonreklamen blendeten ihn. Überall war ein Kommen und Gehen. Ein Mann mit Baseballkappe hielt ein Schild hoch: Biete Arbeit. Genetikfachleute. Sehr gute Bezahlung.
Es dauerte einen Moment, bis Hancock merkte, dass der Mann nur ein Hologramm war.
„Nicht ganz das, was du dir vorgestellt hast, was?“, klang eine spöttische Stimme neben ihm auf.
Hancock fuhr herum. „Anh-Giang! Endlich ein vernünftiges Gesicht!“
Der kleinere, aber ein wenig ältere Mann lachte auf und nahm ihn in die Arme. „Willkommen, kleiner Bruder, willkommen auf Fort Irresponsible. Willkommen in der... Zukunft.“
Sicher hatte er Freiheit sagen wollen. Dass er es nicht getan hatte, bewies nur zu gut, dass Hancock noch lange nicht in Sicherheit war.
„Oh, es tut so gut, ein bekanntes Gesicht zu sehen.“ Hancock drückte den anderen fest an sich. Mit einem Arm. Die linke Hand hielt immer noch den Rucksack. „Weißt du, da war so eine Verrückte in weißer Kleidung, die...“
Giang lachte. „Die Verrückte ist vom Kommando Hygiene. Das ist das Erste, was du hier lernen musst, Em-Hancock: Du kannst hier alles tun und lassen, was du willst, aber lege dich nie mit Kommando Hygiene an.“ Er drückte Hancock von der Tür fort, tiefer in die große Halle, in die sich diverse Gebäude duckten. „Ich gebe dir einen Crashkurs.“
„Warte mal, warte. Das ist nicht das, was ich erwartet habe. Ich wollte eine sichere...“
Giang warf kurz einen Blick zu allen Seiten, dann drückte er den Jüngeren in eine Nische zwischen zwei Gebäuden. „Gleich“, zischte er ihm zu. „Wir reden gleich. Dies ist Niemandsland.“
„O-okay.“ Giang zog ihn wieder auf den Weg und begann, ihm die verschiedenen Gebäude zu erklären, meistens Geschäftsräume oder Kneipen, die sich durchaus über drei oder vier Stockwerke erstrecken konnten, aber natürlich – ha, ha, wie witzig von ihm – keinen Keller hatten. Er stampfte auf den Boden und erklärte: „Spritzgussstein. Darauf kannst du eine Korvette landen.“
Schließlich erreichten sie den Berg. So nannte Giang die Veränderung, als rund um sie Gesteinsadern auftauchten. Damit einher ging eine deutliche Zunahme der Schwerkraft. Hatte sie vorher etwa vier Fünftel betragen, so stieg sie merklich auf ein ganzes Gravo. Ungefähr. Sie betraten einen steinernen Gang, der aus Granit bestand, während Giang fröhlich weiter plapperte.

Fahrstühle kamen in Sicht. Vier Schächte. Zwei waren von roten Dioden umkranzt, die anderen von grünen. Giang trat auf einen roten zu, zog eine Karte aus seiner Hose und legte sie auf eine Scannerfläche. Der Fahrstuhl öffnete sich, und der Ältere zog seinen Cousin mit sich. „Etagenfahrstühle. Diese hier führen zu den Bewohner-Ebenen. Die Grünen führen in die höheren Stockwerke.“ Der Fahrstuhl ruckte an und fuhr nach unten. Eine Etage, zwei. Dann hielt er an. Aber die Tür öffnete sich nicht. Giang räusperte sich und trat an das Tastendisplay. „Mein Begleiter ist Hoang Duc Hancock, mein Cousin. Er ist avisiert und für ihn wurde bereits bezahlt.“
Etwas auf der Platte leuchtete grün und die Tür öffnete sich. „Du wohnst natürlich bei mir.“
„Danke?“, fragte Hancock überrascht.
Der Ältere zog ihn aus dem Fahrstuhl und referierte weiter fröhlich über den Aufbau der Station. Dann erklärte er ihm, wie der Maschinenpark auf den beiden unteren Etagen aussah, und dass er als Ingenieur hier eine gut bezahlte Arbeit bekommen könne. Immerhin waren Fachkräfte rar, und man bekam hier draußen fast alles, was es auch in der Republik gab. Oder in der Confederation, was ein großer Vorteil war. Schließlich und endlich verließen sie hier unten den Steinbereich und traten wieder in eine hallenförmige Sektion. Ein Teil der hier errichteten Gebäude ging bis unter die Decke der oberen Etage, die Front wurde von erleuchteten Fenstern dominiert. In regelmäßigen Abständen waren Eingänge eingelassen. Giang zog ihn zu einem hin; hier war die Schwerkraft wieder ein wenig schwächer. Sie kamen in ein Treppenhaus, und Giang ließ den Cousin bis zum vierten Stock hochklettern, bevor er eine Tür aufschloss und ihn einließ. Das große, gemütlich eingerichtete Appartement aus zwei Zimmern mit Bad und Anrichte mochte siebzig Quadratmeter haben. Mehr als genug Platz für einen einzelnen Mann. „Luxus pur“, kommentierte Hancock.
Giang lachte. „Ja, wir haben seit einigen Jahren etwas mehr Platz, was die Preise sinken ließ. Eine Erweiterung ist im Gespräch, wenn wir genug Eis beschaffen können.“ Er deutete auf das Sofa und gebot ihm, Platz zu nehmen.
„Ist dein Besuch endlich da?“, klang eine helle Frauenstimme auf. Die Besitzerin der Stimme, eine blonde Kaukasierin, mochte kaum älter als sechzehn sein. Sie kam freudestrahlend herein, küsste Giang so unanständig, dass selbst ein abgebrühter Raumfahrer wie Hancock ein wenig schlucken musste, und wandte sich dann dem Gast zu. „Ich bin Carol. Carol siebzehn. Freut mich sehr, Anh-Hancock.“ Sie sah Giang an. „Habe ich den Personalpronomen richtig gesetzt, Schatz?“
„Ja, hast du“, versicherte der Ältere.
Nachdem Hancock den Händedruck erwidert hatte, wandte sie sich lächelnd um. „Ich hole kaltes Bier für euch beide. Ihr habt sicher viel zu bequatschen. Ich muss auch gleich in meine Schicht.“
Hancock zog den Cousin zu sich heran. „Wie alt ist sie?“
Giang sah ihn erstaunt an. „Spielt das eine Rolle?“
„Anh-Giang, hier mag das keine Rolle spielen“, sagte er mit Betonung. „Aber...“
Sie kam wieder herein, in der Hand ein Sixpack. Es trug keinen Werbeaufdruck. Also musste es auf der Station gefertigt worden sein. Das Sixpack bestand auch nicht aus Dosen, sondern aus Polymertüten. „Hier, bestes Pilsener. Zwei sind noch in der Kühleinheit. Ich bringe neue mit, wenn ich wiederkomme. Es ist nur eine Halbschicht.“
„Hancock hat mich gefragt, wie alt du bist“, sagte Giang amüsiert.
„So? Was hast du ihm geantwortet? Dass ich eine vierzehnjährige Nutte bin, die du für fünftausend Real gekauft hast, und die du jede Nacht so richtig...“ Als Hancock bleich wurde, lachte sie. „Keine Sorge, Anh-Hancock, ich bin vierundzwanzig. Nach terranischen Maßstäben, wohlgemerkt. Und ich gehe jetzt auch nicht, um auf den Handelsetagen mein Geld damit zu verdienen, die Beine breit zu machen, sondern um im Büro von Direktor Castello zu arbeiten. Truman Davis ist zu Besuch, und der Direktor möchte, dass er vollen Einblick in die Bücher bekommt.“
„Habe ich schon gehört. Die halbe Station ist deshalb aus dem Häuschen“, kommentierte Giang. „Was die andere Sache angeht, hat sich da schon etwas getan?“
„Du meinst die Diamanten? Clouver hat eine Anzeige für siebzig Kilo geschaltet. Hilft dir das weiter?“
„Clouver der Spanier? Es ist immerhin ein Anfang, Schatz. Bringst du auch was zu essen mit? Ich habe nichts einkaufen können, als ich auf Hancock gewartet habe.“
„Natürlich bringe ich was mit. Die werden Augen machen, wenn ich was für drei Personen kaufe.“ Sie kicherte, drückte dem Älteren einen Kuss auf und gab Hancock die Hand. „Allerdings schlafe ich mit Giang, das sollte dir klar sein, Anh-Hancock.“
„Zu viele Informationen“, brummte er, drückte aber artig die dargebotene Hand.

Kaum hatte die zugegeben gut gebaute Blondine die Wohnung verlassen, legte Giang einen Finger an die Lippen und bedeutete dem Cousin damit, zu schweigen. Dann hängte er das Fenster zu und zog aus einer Kommode ein Gerät hervor, das einen hellen, dissonanten Ton von sich gab, der schnell unhörbar wurde. „Jetzt können wir reden. Die Fensterscheibe ist aus Gussstein und wird eher nicht vibrieren und damit unser Gespräch abhörbar machen.“ Er trat zur Couch zurück, zog unter dem Tisch zwei Becher hervor und platzierte je einen der Beutel in ihnen. Dann schnitt er die Spitzen ein und reichte einen Becher dem Cousin. „Man trinkt eigentlich direkt aus dem Beutel, aber ich denke, damit wärst du noch überfordert. Prost. Dein erstes Bier in relativer Sicherheit.“
„Danke, Cousin.“ Er stieß mit Giang an. „Ich habe viele Fragen. Bin ich hier überhaupt sicher?“
„Sicher hast du viele Fragen. Ich werde sie auch beantworten. Zuerst einmal: Nein, du bist hier nicht sicher. Wir befinden uns im rechtsfreien Raum, sicherlich, aber nehmen wir mal an, der Flottengeheimdienst würde eine Operation durchziehen, um dich zu entführen, würden die Sicherheitskräfte nicht einschreiten. Die sind nur dazu da, die Station und die Bürger zu schützen. Was die Händler, die Schmuggler und die Glücksritter auf ihren Etagen machen, interessiert sie nur, wenn sie dafür bezahlt werden, dass es sie interessiert. Solange du also niemandem auffällst, wird es leicht fallen, dich auf einen Frachter zu schaffen, der nach Hause fliegt.“
„Und der Frachter...?“
„Die EISBLÜTE. Fliegt offiziell nach Hung Bao. Inoffiziell aber bringt sie dich direkt nach Hanover, Commander. Dort ist man sehr interessiert an dem, was du in deinem Kopf hast. Ach, und ich soll dir von Papa ausrichten, dass er sehr stolz auf dich ist. Bevor du fragst: Außerhalb dieses Raums wissen nur vier Leute, wo du bist, wer du bist und was du bist. Geschweige, was du getan hast und was du durchmachen musstest, um hierher zu kommen. Aber es gibt genug Leute, die überhaupt etwas wissen. Der ColNavy bist du jedenfalls genug wert, dass sie, sollte der erste Abflug scheitern, sie mit einer Fregatte rauskommen und dich raushauen. Hoffentlich bevor die Terrys etwas Ähnliches tun.“
„Die Crewleute der EISBLÜTE?“
„Wissen genau das, wofür sie bezahlt werden. Der Alte benutzt sie öfter mal für Botengänge. Sie sind zuverlässig. Im hohen Maße. Für einen Haufen Schmuggler. Glaube aber nicht, dass sie auch nur einen Schuss für dich abfeuern, sollten sie im Weltall von der TSN aufgebracht werden.“
„Gut zu wissen. Damit kann ich leben. Was ist mit dem Rest? Wieso haben diese Hygiene-Leute hier das Sagen? Ich habe was ganz anderes erwartet.“
„Sodom und Gomorrha sicherlich“, sagte Giang amüsiert. „Keine Sorge, das haben wir auch. Du kriegst auf den Ebenen drei und vier alles, was du willst. Die Stationsführung interessiert es nicht, was immer du treibst, außer du erfüllst eines der vier Tabus. Das erste Tabu ist: Schleppe keine Krankheiten ein.“
„Ja, das erklärt die Untersuchung.“
„Du wurdest untersucht?“
„Ich kam aus dieser Kabine, und man hat an mir rumgefingert. Ich hatte Grippe. Lange Geschichte, dadurch konnte ich entkommen und untertauchen.“
Giang nickte verstehend. „Der Luftstoß. Man entnimmt dir Schweiß und Hautzellen. Die Schnellanalyse findet dann fix Viren und Virenreste. Scanner messen deine Vitalwerte. Kranke Menschen fallen durch höhere oder zu niedrige Temperaturen auf. Solche Leute dürfen nicht so ohne weiteres eintreten. Aber meist erfolgt diese Kontrolle nur beim ersten Betreten der Station bei einem Besuch. Die Chance, sich auf dem eigenen Schiff nachträglich anzustecken, ist etwas gering.“
„Verstehe. Was ist das zweite Tabu?“
„Du darfst nichts mitbringen, was die Station gefährdet. Also, ein Loch in der Hülle ist eher unproblematisch. Ich meine, du schießt mit einem Laser ein Loch durch die Außenwand. Dann wird das getaute Eis wieder frieren und die Station vom Vakuum da draußen neu abisolieren. Wasser aus dem Biotop wird dann in die Station fließen, aber das ist ein leicht auffindbares Leck. Es geht um Sprengstoff, ABC-Waffen, so was halt, kranker Scheiß eben. Das darf nicht rein. Und aus diesem Grund hat das Durchgangsvolk auch keinen Zugang zu den Bewohner-Ebenen. Ein nicht wohlmeinender Attentäter könnte im Maschinenpark ein paar üble Dinge anrichten.“
„Okay, das ist logisch. Was ist Tabu drei?“
„Sklavenhandel. Sklavenhandel ist strikt verboten. Wer Menschen als Ware einführt, hat nichts zu lachen. Kein Einkauf, kein Verkauf. Eine klare Vorgabe von Familie Davis, die vor ein paar Jahren genau diese Station davor gerettet hat, an sich selbst zu verrecken. War vor meiner Zeit. Aber keine Sorge, hast du das Geld, kannst du auf Fort Irresponsible jedes Vergnügen finden, das du willst. Leichte Mädchen, leichte Jungs, Drogen, Alkohol, Glücksspiel. Ein großer Teil des Umsatzes zum Stationserhalt kommt aus den Konzessionszahlungen der Kneipen, Spielhallen und Bordelle. Was uns direkt zu Tabu Nummer vier bringt: Nimmst du eine Leistung in Anspruch, verrichte die ausgehandelte Kompensation. Sprich: Kaufst du Musik, bezahle sie auch.“
Giang nahm einen sehr kräftigen Schluck Bier und strich sich dann mit der Rechten über den Mund. „Tolles Zeug.“
Hancock probierte eher vorsichtig, wurde aber angenehm überrascht. „Nett.“
„Danke. Wir produzieren es selbst. Ich bin an der Brauerei beteiligt. Sie ist auf Ebene vier. Äh, das weißt du ja gar nicht. Also, du kannst hier unten zwar Nahrung zubereiten, aber du darfst nicht kochen. Offenes Feuer geht sowieso gar nicht. Das geht nur auf den Ebenen drei und vier. Alle essen dort oder nehmen von da ihr Essen mit. Fertige Rationen in Selbstwärmern sind aber in Ordnung. Wir machen das, um die Zahl möglicher Feuersbrünste auf die Händleretagen zu beschränken.“
„Wie überaus human. Wie das freie Essen. Sehr großzügig. Warum lachst du?“
„Ach, Junge, manchmal bist du so naiv... Ich habe dir doch erklärt, was es mit dem Eispanzer auf sich hat, oder?“
„Sicher. Du hast mir auch gesagt, dass Kinder mindestens achtzehn Stunden des Tages bei voller Erdschwere verbringen sollen. Und?“
„Nun, der flüssige Teil des Eises, Wasser genannt, wird genutzt, um unsere Atemluft mit Hilfe von Algen zu reinigen. CO2 rein, Sauerstoff raus. Du verstehst?“
„Du redest mit einem Wissenschaftler. Also, einem Ingenieur, zugegeben.“
„Die Algen wachsen gut, sehr gut sogar. Sie wachsen so gut, dass man schon sagen kann, sie wuchern alles zu. Also benutzt man Fische, die die Algen, nun, runtergrasen.“
„Macht Sinn.“
„Die Überraschung ist: Das Futter bekommt den Fischen so gut, dass sie sich explosionsartig vermehren.“
„Weshalb ihr Raubfische einsetzt?“, fragte Hancock.
„Fast. Weshalb wir die Fische und die Algen automatisch abernten. Das ist dann leider so viel, dass wir ein Überangebot haben. Ein Überangebot von den beiden Fischsorten, die die Algen fressen, und von den Algen selbst. Und wenn man von etwas mehr hat als der Markt abnehmen will, dann...“
„Fällt der Preis.“
„Ganz recht, Herr Wirtschaftsminister. Ich sollte dich für Fishs Ministerium empfehlen. In unserem Fall fällt der Preis so sehr, dass eine nicht kleine Portion an Fisch und Algen gratis abgegeben wird, nur um es loszuwerden, denn die Exkremente der Menschen, die diese konsumieren, sind wiederum ein wichtiger Rohstoff für die Station.“
„Ich habe hier Coupons, die mich von den Energiekosten fürs Kochen befreien.“
„Ja, damit will man dich dazu bringen, Algen und Fisch zu essen. Solange, bis es dir zum Halse raus hängt und du freiwillig etwas bezahlst, um mal eine Kartoffel oder ein Stück Rindfleisch zu essen. So tickt diese Station.“
„Wie überaus interessant. Und, sehen wir uns die dritte und die vierte Etage mal an? Ich habe da eine Freundin, die mich...“
„Dein Kommunikator.“
Hancock zog das Gerät hervor, reichte es dem älteren Cousin. Der nahm es und zerschlug es auf dem Tisch.
„Was zum...?“
„Kleiner Bruder, du bist aus einem Forschungstrakt der TSN geflohen, als alle anderen ColNavy-Leute verhaftet wurden. Du bist untergetaucht und von Stratfort geflohen. Du hast fünf republikanische Systeme erfolgreich passiert, ohne dass der Geheimdienst dich hat schnappen können. Und jetzt bist du so nahe, so verdammt nahe daran, nach Hause zu kommen, in die Confederation. Du gehst kein Risiko ein und wirst die ganze Zeit in meiner Wohnung bleiben. Das sind neunzig Stunden. Wir haben hier Fernsehen, Radio, diverse Spiele, und wir können genug zu essen für dich holen, keine Sorge. Was du nicht tun wirst, ist, für eine Unbekannte deinen Hals zu riskieren.“
„Sie ist keine...“
„Sie ist keine Bewohnerin. Und damit kann sie alles sein. Zum Beispiel eine Secret Service-Frau. Weiß sie, wer du bist?“
„Nein.“
„Weiß sie, wer du bist, Em-Hancock?“
„Sie kennt nur meinen Namen. Aber es gibt wahrscheinlich eine Million Hancocks meines Alters in der Republik.“
Der Ältere sah ihn böse an. „Das hoffe ich für dich. Wir wollen dich nach Hause schaffen. Keiner will, dass wir auf die letzten Meter straucheln oder gar scheitern. Du am allerwenigsten, denke ich. Also versprich mir, dass du sie von deiner Seite aus nicht kontaktieren wirst.“
Hancock sah seinen Cousin an. „Du hast ja Recht...“
„Und wir gehen auch nicht ohne Not hoch in den Händlerbereich. Vergnügen ist also nicht, okay?“
Als wenn es ihm ums Vergnügen gegangen wäre. „Okay.“
„Dann sind wir uns ja einig. Du bist fast Zuhause, Em-Hancock. Vermasseln wir das, wird sich die halbe Republik über uns kaputt lachen.“
„Verstehe.“ Hancock hielt Giang seinen Becher zum Anstoßen hin. „Kann ich ihr wenigstens eine Nachricht hinterlassen?“
„Ich lasse sie ihr zukommen, sobald du das System verlassen hast. Ich bin vorsichtig, aber kein Unmensch.“
„Du sicher nicht“, sagte Hancock. Er nahm einen tiefen Schluck und leistete in Gedanken Abbitte an Molly. Er würde sie enttäuschen, so tief enttäuschen, wie sie von ihm erwartet hatte. Und das tat ihm weh. „Du nicht, Anh-Giang.“

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Molly Anderson war nicht in der allerbesten Stimmung, als sie im Asbest etwas trank. Man konnte natürlich nie bester Stimmung sein, geschweige denn allerbester. Sie hatte es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, so viel aus ihrem Leben herauszuholen, dass es zumindest die meiste Zeit für „gute Stimmung“ reichte. Aber selbst die verfehlte sie heute. Zu viel war geschehen, wogegen sie dachte, sich emotional gewappnet zu haben. Zu viel hatte sie zugelassen. Verdammt, hätte sie mit dem Bastard doch einfach geschlafen, sich benutzen lassen, dann wäre es einfacher gewesen... Nicht, dass er jemals etwas gesagt oder getan hätte, um sie zu ermutigen, ihr Herz an ihn zu verlieren. Er war einfach nur da gewesen und hatte sie behandelt wie... Wie einen ganz normalen Menschen, der beide Arme hatte, und der verdammt noch mal keine Fresse wie aus einem Horrorfilm hatte.
Frustriert schüttete sie den letzten Rest Bier in sich hinein. Sie hatte es ja gewusst, einfach gewusst. Sie hatte, um es mal ganz deutlich vor sich selbst auszubreiten, gewusst, dass Hancock genau dies tun würde: Kommen und wieder gehen. Und sie hatte wirklich, wirklich keine großen Erwartungen an den hochgewachsenen Asiaten gehabt, eigentlich. Sie hatte gewusst, dass der Mann ein Deserteur sein musste. Oder noch schlimmer, ein verdammter Kolonialer, der versuchte, nach Hause zu kommen. Das hatte sie ihm in Rechnung gestellt, und die MOTHER FORTUNE hatte sehr gut daran verdient. Natürlich nicht ZU gut, denn sie erkannte ihre Schweinchen am Gang. Zu viel Geld, und der Skipper hätte ein Zusatzgeschäft gewittert, das ihr durchaus ihren guten Ruf als Zwischenhändlerin kaputt machen konnte. War erst einmal rum, dass einer ihrer Klienten nicht an seinem Ziel angekommen war, dann konnte das für weitere Geschäfte sehr, sehr verlustträchtig sein. Ganz davon abgesehen, dass es für das Vertrauensverhältnis zum Skipper übel sein würde. Nein, sie hatte ihr Bestes gegeben, einerseits die lukrative menschliche Fracht an Bord zu holen und andererseits vor DuBois' klugen Augen so viel wie möglich zu verstecken, damit er eben nicht auf dumme Gedanken kam. Oh, der Mann war nicht so dumm, seiner besten Mittlerin den Ruf zu versauen, das nicht, aber er war kurz vor dem Ruhestand, und vielleicht, wenn das Geschäft lukrativ genug für ihn war, hätte er die arme Sau an die Terrys verraten. Aus genau diesem Grund war Molly ihrem Gast nicht wirklich von der Seite gewichen, hatte darauf geachtet, was immer er von sich gab, dafür gesorgt, dass die Crewmen ihn nicht zu sehr ausnahmen, wenn sie mit ihm gepokert hatten – und dabei darauf geachtet, was er gesagt hat, um rechtzeitig dazwischen gehen zu können – und schließlich und endlich war sie sogar so weit gegangen, sich ihm anzubieten, mit ihm zu schlafen, nur um ihre Investition, ihren Ruf zu schützen. Denn im Gegensatz zum Skipper würde sie den Job noch einige Jahrzehnte machen müssen, bis sie genug auf der hohen Kante hatte, um an Ruhestand zu denken. Oder an eine teure kosmetische Operation, geschweige denn die Neuzüchtung des rechten Arms, den sie ja nie besessen hatte, und ohne den sie bisher vortrefflich ausgekommen war.

Nun, er hatte nicht mit ihr geschlafen, obwohl Molly ganz sicher wusste, dass ihr Hintern eine glatte Zehn war, und ihr Gesicht sollte eigentlich auch nicht so übel sein, wenn sie die von der Syphilis zerstörte Lippe gut genug abklebte, damit die Spalten und Risse und Verwachsungen nicht mehr zu sehen waren. Etwas, das ansonsten ihr Kapital war, denn entweder erweckte sie damit kollektive Ignoranz, oder aber Aufmerksamkeit, die sie dann zu steuern wusste, je nachdem, was ihr gerade nützte.
Und was hatte Hancock getan? Hatte sie zu sich aufs Bett gezogen, sich neben sie gesetzt und gesagt: „Das willst du doch gar nicht.“ Tja, und dann hatte er etwas geschafft, was niemand mehr geschafft hatte, seit Tommy Mganbe sie entjungfert hatte, eine Woche, bevor er zur Akademie verschwunden war, der glückliche Bastard: Er hatte sie dazu gebracht, über sich selbst zu reden, über ihre Familie, über ihre eigenen Gefühle, über ihr Verhältnis zu ihren Narben und den ganzen großen Mist.
Das musste man sich mal vorstellen. Der Mann war auf der Flucht vor einer der größten Organisationen im von Menschen besiedelten Raum, stand unter enormen Stress und konnte jeden verdammten Augenblick scheitern. Aber er nahm sich Zeit, um mit ihr über alles zu reden, was ihr auf dem Herzen lag. Und das hatte gut getan, das hatte so verdammt gut getan. Deshalb hatte sie ja auch gehofft, dass... Dass der verdammte Siamese sich wenigstens noch ein-, zweimal mit ihr treffen würde, hier im Fort Irresponsible. Vielleicht diesmal mit ihr schlafen würde, damit sie die Erinnerung daran mitnehmen konnte, wohin immer die Sonnenwinde sie auch trieben. Erinnerungen an den einzigen Mann, bei dem sie je gedacht hatte: Also, wenn es einen Mr. Anderson geben konnte, dann wäre der hier ein ganz heißer Kandidat. Für ihn hätte sie sich jederzeit unters Messer gelegt, um normal auszuschauen. Wobei sie nicht mal wusste, was das sein sollte. Patron Steve und andere hatten ihr Simulationen von ihrem Gesicht gezeigt, in denen es nicht zerstört war; jedes Datenpad hatte mindestens ein Programm, das dazu in der Lage war. Aber keines der Bilder hatte ihr gefallen, obwohl sie alle unterschiedliche Ergebnisse gezeigt hatten. Aber für ihn, für Hancock, hätte sie es riskiert. Verdammt, sie hätte es riskiert.

„Noch eins“, zischte sie ärgerlich. Carl war ein guter Barkeeper. Er hatte ihr noch nicht ein Gespräch aufgedrängt, und das lag eher nicht an ihrer Narbe. Das lag daran, dass Carl ein guter Stimmungsleser war und genau wusste, was Molly jetzt am wenigsten brauchte. Daher stellte er das neue Bier auch wortlos vor ihr ab und nahm den leeren Becher mit. Den er übrigens nur abspülte. Er vernichtete ihn nicht und er reinigte ihn auch nicht mit Sterilisationsflüssigkeit. Das war beruhigend für eine Frau, die auf einigen hinterwäldlerischen Planeten als Mutantin beschimpft worden war. Teufel, selbst in Gegenden mit knappen Ressourcen hatten die Leute alles vernichtet, was von ihr berührt worden war, obwohl ihre Narben nicht mutagen, sondern teratogen waren. Sie ließ so etwas nicht an sich heran, irgendwie, aber es klappte nicht immer zu einhundert Prozent. Dann auch mal normal behandelt zu werden war für sie ein Labsal.
Sie seufzte und ergriff das Bier automatisch mit ihrem Armstumpf unter dem Henkel, führte es zum Mund und nahm einen tiefen Schluck. Ja, sie hatte sich damit arrangiert. Sie konnte es sich nicht mal vorstellen, wie es sein musste, zwei Arme, zwei Hände zu haben. Tippen sollte damit wirklich schnell gehen, aber sie war eine flinke Tipperin. Schneller als die meisten Crewmitglieder der MOTHER FORTUNE. Was, zugegeben, keine große Konkurrenz war.
Sie seufzte erneut. Ihr war klar gewesen, dass die Chance, Hancock wiederzusehen, klein war. Ob er wollte oder nicht spielte nicht wirklich eine Rolle. Wenn der nächste Schleuser etwas taugte, dann hatte er Hancock bereits isoliert und gut versteckt, bis seine Mitfahrgelegenheit ankam. Aber er war noch auf der Station. Kein Schiff hatte die Station verlassen, seit sie angekommen waren. So nah, und doch so fern. Und sie, so dumm, so doof, so verliebt...

„Hör mal, Hasi“, klang eine Männerstimme hinter ihr auf, während sich eine Hand auf ihre Schulter legte, „was hältst du davon, wenn ich dir einen Drink spendiere?“
Auch das noch. Ja, ihr Hintern war eine Zehn, und sie hatte eine schmale Taille und immerhin einen Busen mit Körbchengröße B. Dazu kam, das ihr langes, braunes Haar gut gepflegt war. Wenn man nicht viel hatte, was für einen sprach, dann machte man aus dem, was man hatte, was immer man daraus machen konnte. Sie konnte verstehen, dass einige Männer sie ansprachen. Ab und an auch mal Frauen. Aber das hatte sich erledigt, wenn sie... lächelte. Also wandte sich Molly der Stimme zu, lächelte breit und spannte dabei die unansehnliche Wunde an. „Ach, das würdest du tun?“
Der Mann, der sie angesprochen hatte, ein schlanker Kaukasier, zuckte zusammen. Er zog die Hand zurück, als hätte er auf eine heiße Herdplatte gefasst. Molly umfasste die kleine Pistole in ihrer Hosentasche fester mit der Linken, bereit, sie zu benutzen. Sie verzichtete auf sichtbare Waffen, aber sie wusste sich zu verteidigen. Enttäuschte Männer konnten sehr irrational werden.
„Sorry, ich dachte, du wärst eine Bekannte von mir“, sagte er, hob beide Hände und ging langsam ein paar Schritte nach hinten. Dann wandte er sich um und ging.
Molly wandte sich wieder dem Tresen und ihrem Bier zu. „Du bist auch nicht gerade der griechische Held Adonis“, murmelte sie in ihren Becher. Wenn dieses unfreiwillige Geschenk ihrer Mutter für eines gut war, dann dafür, dass es spontane Verehrer wirkungsvoll auf Distanz hielt.
Sie nahm einen neuen Schluck, da aber legte sich wieder eine Hand auf ihre Schulter. Eine Stimme säuselte von hinten: „Frau. Ficken?“
Molly riss die Augen auf und hätte fast das Bier ausgeprustet und den Becher fallen gelassen. Fast. Sie wandte sich erneut um und lächelte ihr schrecklichstes Lächeln, eines, das sie vor dem Spiegel geübt hatte und das garantiert jeden verjagen würde. Was sie allerdings sah, ließ ihr die Gesichtszüge entgleisen. „Oh.“
„Ja, oh.“ Ihr Gegenüber begann zu lachen, und Molly fiel ein.
„Carl, ein Bier für diese Lady. Auf meinen Deckel!“, verkündete sie mit lauter Stimme.
„Oho“, rief die Andere und nahm neben ihr Platz. „Da sage ich doch nicht nein, wenn Trafficker persönlich, die größte aller Knauserinnen, mal was springen lässt.“
„Na, wenn ich ausgerechnet Quicksilver begegne, der zweitbesten Unterhändlerin zwischen hier und Terra, da muss ich doch auch mal großzügig sein.“
„Zweitbeste? Und du bist die beste, oder was?“
„Na, da dachte ich mehr an deine Chefin, Jayhawker.“
Die beiden lachten erneut, dann schlossen sie einander in die Arme. „Schön, dich zu sehen, Molly Anderson. Bist zwar nicht hübscher geworden, aber auch nicht hässlicher.“
„Auch schön, dich zu sehen, Nana Kyprieos. Aber dass du mich daran erinnern musst...“
Carl stellte Quicksilver ein Bier hin, schenkte ihr ein hinreißendes, schnauzbärtiges Lächeln und machte dann, dass er die beiden Damen einander überließ. Er kannte seine Kundschaft. Und beide Damen gehörten zu jenen Kunden, die nur ein-, zweimal vorbei kommen mussten, damit man sich an sie erinnerte. Und an ihre Marotten und Vorlieben.
„Liebelein, hast du geweint?“, fragte Nana unvermittelt. Sie wischte über die Wangen der jungen Frau. „Was ist denn los?“
Molly fühlte ihre Augen feucht werden, aber tapfer hielt sie es zurück. „Ach, mach dir darum keine Gedanken. Nur ein wenig Kleinmädchenliebe für einen Klienten, der supernett gewesen ist und den ich nun nie wieder sehen werde...“
„Definiere supernett“, sagte Nana argwöhnisch.
„Ich saß nackt auf seinem Bett, und er wollte nur reden“, erwiderte sie säuerlich.
„Schwul?“
„Nein, nur einer dieser verdammten weißen Ritter mit höherer Moral und eigener Ethik, einer von diesen Idioten, die du aus der nächsten Luftschleuse werfen möchtest. Aber langsam, damit du vom Druckabfall und von seinen Schreien auch genug hast für ein ganzes Leben. Oder aber...“
Quicksilver schnaubte. „Oder aber du denkst: Wow, das ist einer fürs Leben.“
Molly verdrehte die Augen und sah zu Boden. „Ich sag's ja, nur ein wenig Kleinmädchenliebe.“
Mitfühlend legte Nana ihrer Kollegin eine Hand auf die Schulter. „Das tut mir leid, Trafficker. Was ist denn passiert?“
„Er war die Fracht. Und hier war sein Ziel.“ Sie hob die Schultern. „Ab hier reist er allein weiter. Ich habe nichts für ihn organisiert, daher weiß ich auch nicht...“
„Aber du kannst doch einfach mal ein wenig herumfragen. Ein paar Real-Scheine sind hier gern gesehen, das weißt du doch.“
„Aber ich weiß nicht, ob das klug wäre.“ Sie beugte sich ein Stück vor. „Als ich ihn an Bord geholt habe, habe ich wie es sich gehört nicht weiter nachgefragt, was er will, woher er kommt und wohin er geht, also bis auf Fort Irresponsible. Ich habe den Preis ausgehandelt und dann habe ich ihn hergebracht, so wie es sich gehört, aber...“
„Lass mich raten. Keine Papiere, keine Identität, kein Geld?“
„Oh, Geld hatte er. Den Rest aber nicht.“
„Ein Deserteur?“, schoss Quicksilver ins Blaue.
„Möglich. Hat mich auch nicht interessiert. Aber ich werde jetzt auch nicht die Station wild machen und irgendwelche Idioten aufpeitschen, die dann meinen, sie könnten sich ein paar Real verdienen, indem sie meinem Klienten auf die Pelle rücken.“
„Verstehe. Doppelt schwer. Hast du einen Namen?“
„Schatz“, tadelte Molly die alte Freundin.
„Schon gut, schon gut, ich dachte ja nur, ich könnte vielleicht helfen. Wir waren hier erst ein paarmal, aber ich kenne hier ein paar Leute mit Verantwortung. Fischer und dergleichen.“
„Mit ihm Kontakt aufzunehmen und dabei noch ein paar Leute aufzuscheuchen, die sonst nie von ihm erfahren hätten, ist nicht Teil des Plans.“
„Aber du hast doch deinen Teil des Kontrakts erfüllt“, beharrte Quicksilver.
„Nana, bitte. Ich möchte, dass er sicher weiter kommt.“ Molly sah zur Seite, griff nach ihrem Bier und nahm einen großen Schluck. „Zumindest das.“
„Muss ja einen ziemlichen Eindruck auf dich gemacht haben“, sagte Quicksilver nachdenklich. Dann prustete sie in ihr Bier. „Da kenne ich auch einen von. Also, ich bin nicht verliebt, aber er ist ein solcher verdammter weißer Ritter, er blendet sogar die Sonne.“
Mollys Stimme hellte sich merklich auf. „Erzähl.“
„Also, ich kann dir nicht alles erzählen, weil einiges zu unseren Geschäftgeheimnissen gehört“, sagte die Griechin verschwörerisch leise. „Aber ein paar Anekdoten schaden sicher nicht.“ Sie sah sich an der Bar um, dann erhob sie sich und zog Molly – und die Biere – mit sich in eine abgeschiedene Ecke des Lokals, was die Zahl der heimlichen Mithörer verringerte.
„Junge, Junge, das müssen ja wirklich wichtige Geschäftsgeheimnisse sein“, staunte Molly.
Nana sah die Freundin ernst an. „Liebelein, du hast ja keine Ahnung, wie recht du hast...“

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Palastbezirk von Pan‘chra

Die den ganzen Tag in der Luft liegende Spannung war immer drückender geworden. Ein Gewitter lag in der Luft – und nicht nur ein meteorologisches. Das Areal um den Kaiserlichen Hauptpalast war im Laufe des Tages immer leerer geworden und momentan waren die Prachtstraßen und gepflasterten Gassen fast verwaist. Alles hielt den Atem an, während in der Ferne ein dumpfes Grollen vor dem warnte, was kommen sollte.
Doch obwohl alle auf die Entladung warteten, kam sie überraschend. Ein gleißender Blitz zerteilte das Firmament wie das Schwert eines Gottes oder das Hauptgeschütz eines Kriegsschiffes, und der Himmel öffnete seine Schleusen. Und – ob Zufall, Absicht oder der grausame Spaß eines der Götter, in deren Namen Pan’chra vor Jahrtausenden gegründet worden war – gleichzeitig wurden auch andere Tore aufgestoßen, während sich die Pforten der Unterwelt hinter einem im Zweikampf Gefallen schlossen. Jedenfalls sollte es so später in einer Ballade stehen. Die kaiserliche Garde rückte aus ihren Kasernen aus.

Die Aufgaben der Kaiserlichen Garderegimenter waren scheinbar klar definiert. Sie bewachten die imperialen Residenzen und das Adelsforum, beschützten und eskortierten die Herrscherfamilie. Dass ihr Arsenal und Auftreten dabei auch von repräsentativen und Traditionsgründen bestimmt wurde, ließ manchen vergessen, dass die Garde mit den modernsten Waffen des Imperiums ausgerüstet wurde und ein Teil der Einheiten in rotierendem Wechsel im Fronteinsatz waren. Die Kaisergarde beanspruchte, nur die Besten der Besten für sich auszuwählen. Und obwohl die große Anzahl von Offizieren, die aus den Adelshäusern von Akar kamen, diese Selbstzuschreibung in den Augen einiger Zyniker an Glaubwürdigkeit nahm – durch Beziehungen alleine wurde man nicht Mitglied der Garden. Auf keinen Fall galt das für die fast ausnahmslos aus Veteranen rekrutierten Soldaten und Unteroffiziere, die sich die Aufnahme in das legendäre Ausbildungsprogramm der Garde durch herausragende Leistungen verdient hatten.
Viele von Ihnen kamen aus den Eliteformationen der Armee – Verbänden, die den Zusatz ‚Garde‘ zu ihrem Namen Heldentaten im Kampf verdankten, die vielfach unter dem Kommando eines kaiserlichen Familienangehörigen erworben worden waren. Eine Reihe dieser Einheiten führten ihre Herkunft auch auf Formationen zurück, deren Tradition bis in die Akarii-Antike zurückreichte und hatte im Verlauf ihrer Geschichte nicht selten eine ähnliche Rolle gespielt wie die heute noch aktiven sieben Regimenter der kaiserlichen Palastgarde.

Was allerdings geschichtsbewusste Mitglieder des Kaiserhaus oder der Adelsfamilien auf keinen Fall vergessen konnten war, dass die Palastgarde, wie ähnliche inzwischen aufgelöste oder die regulären Streitkräfte übernommene Eliteeinheiten in der Vergangenheit gelegentlich eine recht…aktive Rolle bei der Bestimmung der Thronfolge gespielt hatte – sei es durch den Einsatz für einen Prätendenten oder ihre…Untätigkeit. Und in einigen Fällen auch dadurch, dass sie kaiserliches Blut vergossen. Und der nach Prinz Jor und Imperator Eliaks Tod ausgebrochene Machtkampf ließ manchen fragen, ob die alten blutigen Zeiten zurückkehren würden.

Es begann damit, dass die für die kaiserlichen Residenzen und das Adelsforum abgestellten Gardesoldaten Straßensperren errichteten. Beim Adelsforum war das nur eine Geste – nach der bereits legendären Herausforderung Tobarii Jockhams durch Haus Allecar, dem darauffolgenden Tumult und dem nicht weniger spektakulären, von Rallis Thelam initiierten Auszug von mehr als einem Drittel der Tagenden war die Versammlung nicht mehr zusammengetreten.
Doch das war nur der erste Schritt. Denn nun wurden die Sperrverbände durch zusätzliche Truppen und gepanzerte Fahrzeuge verstärkt und der Sicherheitskordon blitzartig ausgeweitet. In weniger als einer halben Stunde waren alle wichtigen Zufahrtswege zum Palastbereich unter Kontrolle der Garde, während bewaffnete Schweber und Flieger des Garde-Luftregiments den Himmel über dem Palastviertel sicherten. Weitere Verbände stießen noch weiter vor und gingen entlang der Magnetschwebebahnen und Schnellstraßen der Hauptstadt in Stellung. Der zivile Personentransport blieb unbehelligt, und da Einheiten der Polizei von Pan’chra die Garde begleiteten, lief die Operation mit einer irritierenden Reibungslosigkeit ab.
Obwohl viele der Adelshäuser über eigene Wachverbände und Leibgarden in Kompanie- oder sogar Bataillonsstärke verfügten, gab es in der Hauptstadt niemanden, der es wagen konnte, gegen die Garde anzutreten. Wenn er nicht eine Allianz der meisten in Pan’chra vertretenen Adelsfamilien hinter sich wusste, oder die regulären Streitkräfte. Doch obwohl sich niemand den schwer bewaffneten und durch gepanzerte Transporter und sogar leichte Panzer begleiteten Kolonnen der Garde in den Weg stellte, mussten die Soldaten und Offiziere wissen, dass es diese Frage war, die im Verlauf der nächsten Stunden über ihr Schicksal entscheiden würde.
Nicht, dass man den Gardisten derartige Bedenken ansehen konnte. Sie zeigten der Welt nur die Läufe ihrer Waffen und die geschlossenen und verspiegelten Visiere ihrer Kampfhelme. Die ihnen in Kombination mit dem peitschenden Regen und der von Blitzen immer wieder zerschnittene Dunkelheit in den Augen empfindsamer Gemüter die Aura einer aus Schatten und alten Geschichten von Blut, Verrat und dem Zorn der Götter beschworenen Geisterarmee verliehen.

***

Residenz von Linai Thelam

„Ich verlange, die Prinzessin zu sprechen!“ Obwohl Lord Mukar Nellan nur mittelgroß und sein hagerer Körper durch Alter und einen schweren Unfall verkrümmt war, schaffte es seine kratzige aber schneidende Stimme mühelos, den Domestiken der Prinzessin bis zur Tür des kleinen Saals zurückweichen zu lassen, in dem er und mehr als Dutzend anderer Adliger warteten. Allerdings nicht weiter, wenn auch vielleicht nur, weil die Tür in den Raum geöffnet werden musste: „Die Prinzessin darf nicht gestört werden. Sie…“
„Ihr Ehemann ist tot! TOT! Und wenn sie nicht will, dass sie wie in irgendeinem bescheuerten Historiendrama zu einer Trophäe für die Missgeburt wird, die ihren Gatten erschlagen hat, dann muss sie mehr tun, als die Wände ihrer Residenz anzuschweigen!“
„Das reicht! Ihr redet von einer Prinzessin der kaiserlichen Familie! Zeigt gefälligst Respekt!“
In Lord Eston Bors Stimme schwang eine durch Generationen der Rivalität genährte Abneigung mit, die vor kurzem durch das unter höchst fragwürdigen Umständen geschehene Ableben seines Vaters noch zusätzlich befeuert worden war. Die Herausforderung Haus Jockhams durch Haus Allecar hatte die beiden Familien eine temporäre und höchst brüchige Allianz schließen lassen. Aber nun…
„Dieser Respekt muss VERDIENT werden! Und man muss ihn VERTEIDIGEN! Wer sich wie eine Beute oder ein Opfer behandeln lässt – wie viel Respekt bleibt dem?! Nicht mehr, als man Wasser mit einer geschlossenen Hand schöpfen kann!
Aber ich werde ganz bestimmt nicht als Trophäe enden! Und wenn das nicht die Rolle ist, die sich Linai Thelam erträumt hat, dann muss sie jetzt handeln!“ Mukar Nellans Stimme war immer härter und lauter geworden, während er die kleine Runde der versammelten Adligen verächtlich musterte, die sich ihrer Loyalität zu Haus Jockham oder Linai Thelam folgend versammelt hatten: „Wollen wir in einer Ecke kauern oder panisch hin und her rennen, wie Ungeziefer in einer brennenden Scheune? Wollen wir zulassen, dass Emporkömmlinge und Usurpatoren sich das aneignen, was unser ist?!“
„Worte! Worte sind billig.“ Auch Großherzogin Zuuni gehörte wie Nellan zu einer Generation, die abzutreten begann, und die mit Männern wie Kaiser Eliak und Großadmiral Koo bereits viele ihrer führenden Köpfe verloren hatte. Dennoch war sie es, die dem alten Intriganten Paroli bot, wo Jüngere die Köpfe senkten: „Was schlagt Ihr also vor?“
„In diesem Raum ist mehr Macht und Einfluss versammelt, als das Haus Allecar je aufbieten konnte – selbst, als es noch nicht von Idioten und Verrätern geführt wurde. Aber das kann sich schnell ändern, wenn die Aasvögel und Raubtiere in Pan’chra Schwäche wittern und von der Fahne gehen.“ Ob Absicht oder nicht – vermutlich mit Absicht – bei den letzten Worten blickte Nellan seinen Rivalen von Haus Bors an: „Und deshalb muss gehandelt werden. JETZT! Da die allgemeine Ablehnung von Haus Allecars Unverschämtheit und Anmaßung noch lodert und sich jeder daran erinnert, wie mehr als ein Drittel der Adelskammer ihn als einen Frevler behandelt hat, der es nicht einmal wert ist, sich im selben Gebäude aufzuhalten!
Wir haben unsere Haustruppen und wir haben die Empörung, den Neid oder die Angst all jener Häuser, die noch nicht vor den Allecars auf den Boden kriechen.“
„Wenn sie nicht ihre Hoffnung auf einen anderen Thelam setzen. Wofür wir unter anderem Rallis Thelam danken können…“ schoss Großherzogin Zuuni quer.
„Karrek Thelam ist weit weg. Rallis, Navarr und alle die hinter ihnen stehen, können immer noch gewonnen werden. WENN Linai Thelam bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen, die man von einer kaiserlichen Prinzessin erwarten kann. Die Regentschaft eines – oder mehrerer – ihrer Cousins kann die Allecars immer noch stoppen! Wenn die Garde…“
„Die Kaiserliche Garde wird ihren Auftrag erfüllen, die Sicherheit der kaiserlichen Familie zu gewährleisten. Mit allen Mitteln. Das Duell hat sowohl den Gesetzen des Reiches als auch den von den Traditionen und den lebenden Göttern bestimmten Konventionen entsprochen.“

Diese Worte ließen alle zu der jungen Gardeoffizierin herumfahren, die fast lautlos den Raum betreten hatte. Ein paar Sekunden herrschte Stille, während einige der Versammelten zu verstehen versuchten, was die Gardistin meinte. Die nun mit bemüht tonloser Stimme fortfuhr: „Um möglichen Unruhen vorzubeugen, steht das Palastviertel für vorerst achtundvierzig Stunden unter Militärkontrolle. Die Admiralität und der Generalsstab wurden über diese Maßnahmen informiert und billigen sie angesichts der Kriegssituation. Ruhe und Ordnung müssen und werden gewahrt werden. Jede unautorisierte Bewegung bewaffneter Einheiten in Richtung des Palastes – was auch die Hausgarden der Adelsfamilien einschließt – wird deshalb bis auf weiteres als ein Angriff auf die kaiserliche Familie und das Imperium angesehen und angemessen vergolten.“

Großherzogin Zuuni schloss die Augen und murmelte einige Worte – unmöglich zu sagen, ob es eine Verwünschung oder ein Dankesgebet war. Mukar Nellans Reaktion war eindeutiger, auch wenn unklar war, wem genau der zwischen den Zähnen hervorgezischte Fluch galt. Jedenfalls ging es um die Sexualgewohnheiten der Mutter des Adressaten. Und Eston Bors…er tastete Halt suchend nach der Kante des neben ihm stehenden Stelltischs. Versehentlich stieß er eine antike Schale um. Das helle Bersten von Porzellan ließ die Versammelten zusammenzucken: „Die Prinzessin…“
„Die Prinzessin ist in Trauer. Sie empfängt niemanden und bittet alle Versammelten, ihre Gefühle zu respektieren, denen sie gleichzeitig für ihre aufrichtige Sorge und Treue dankt.“ Offenbar hatte sich der eben noch vor Nellan zurückgewichene Domestik inzwischen genug gefasst, um seine Botschaft loszuwerden.
„Das ist alles?! Sollen das die Schlussworte sein, mit der die Dynastie der Thelams untergeht?! Mit einem erbärmlichen Wimmern und der Weigerung, die Realität anzuerkennen?!“
„Ihr vergesst euch, Lord!“ Großherzogin Zuunis Stimme klang scharf wie eine gezogene Klinge: „Was Ihr auch von den Allecars haltet, sie erkennen den Thronanspruch von Linais Sohn an. Dessen Anspruch auf den Thron sich ALLEINE von der Mutter herleitet. Er ist ein Thelam.“
„Ihr seid nicht wirklich so naiv, dass Ihr das glaubt. Wenn den Allecars nicht JETZT Einhalt geboten wird, dann wird dieser…Embryo den wir einen Thronfolger nennen sollen nur die Herrschaft erreichen, weil er ein halber Allecar ist. Wenn er oder seine Mutter überhaupt so lange LEBEN.“ Die kalten, alten Augen Nellans wanderten zu der Gardeoffizierin und den übrigen Anwesenden: „Und IHR ALLE werdet euch dann daran erinnern, dass ihr das möglich gemacht habt!
Also nur zu, spielt eure Rolle in einem Spiel, in dem ihr nur noch Figuren sein werdet! Ich werde nicht bei euch bleiben! Ich werde nicht das Publikum bilden, wenn die Allecars sich die Belohnung für Ihren Coup holen!“

Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte die Gardeoffizierin den alten Mann zurückhalten. Aber dann trat sie beiseite: „Ihr könnt gehen wohin Ihr wollt. Solange Ihr keine bewaffneten Truppen anführt.“
Der Lord schnaubte abfällig: „Und du kannst dir einreden, dass du heute im Interesse der kaiserlichen Familie handelst. Wenn das alles nicht so erbärmlich wäre, dann wäre es zum Lachen!“
Und damit ging er und hinterließ betretendes Schweigen. Sogar die Großherzogin wirkte kurz verunsichert. Aber nur ganz kurz: „In einem hat Lord Nellan Recht. Die Allecars werden bald ihre Aufwartung machen.“ Sie richtete ihre alten Augen auf die Gardeoffizierin: „Aber das wird euch nur langweilen, Kind. Ich schlage vor, dass Ihr auf euren Posten zurückkehrt. Wir haben die Botschaft der Garde verstanden und werden Sie im Herzen behalten. Doch nun…“


***

Akar, nördliche Armee-Manöverzone Gorlan-Vier

Navarr Thelam hatte geglaubt, dass die Ausbilder ihn und die anderen Kadetten und jungen Offiziere in den letzten Tagen hart rangenommen hatten. Aber nach Marschall Parins Ankunft wurde ihm klar, dass immer noch eine Steigerung möglich war. In den letzten Tagen hatte man den jungen Prinzen und seine Kameraden bis an die Grenzen der psychischen und physischen Belastbarkeit getrieben – und noch ein Stückchen weiter. Simulierte Kommandoaufgaben, Planspiele und Tests wechselten sich mit erschöpfenden Märschen, Nachtübungen, Survivaltraining und brutalen Nahkampfübungen ab. Im gewissen Sinne war Navarr sogar dankbar dafür. Immerhin blieb ihm so wenig Zeit, sich den Kopf über die Zukunft zu zerbrechen. Und darüber, was sie für das Haus Thelam bereithalten mochte und was SEINE Rolle dabei sein würde.
Noch immer war aus der Hauptstadt keine Nachricht gekommen. Wie einer der Kadetten bissig – und offenbar mit Absicht so laut, dass Navarr es hören konnte – angemerkt hatte, wollten der Kriegsminister und ‚das Spielzeug‘ offensichtlich warten, bis ein natürlicher Tod an Altersschwäche das ausstehende Duell entschied. Das war einer der Gründe, warum Navarr die Verachtung seines Cousins Rallis Thelam für die Allecars mehr und mehr zu teilen begonnen hatte. Nicht so sehr wegen der Tatsache, dass Dero Allecar mit seiner Cousine geschlafen und sie möglicherweise geschwängert hatte. Und noch nicht einmal, weil er Linais Ehemann zum Duell gefordert hatte. Sondern wegen dem Schaden, den er damit dem Ansehen des Hauses Thelam zugefügt hatte. Die Thelams führten ihre Abstammung auf die ältesten Familien des Imperiums zurück. Natürlich hatten sie im Laufe der Zeit Schande und Spott ertragen müssen – aber das machte die Demütigung nicht weniger schmerzhaft. ‚Warum musste ausgerechnet Tobarii als erster sein Schwert in das Kampfrund legen? Sogar ICH habe bessere Chancen, Dero zu besiegen…‘
Navarrs Gedanken waren mal wieder an diesem Punkt angekommen, als das inzwischen vertraut durchdringende Schrillen des Bereitschaftsalarms durch seine Gedanken schnitt und ihn und seine Kameraden hochtrieb. Ob die Kadetten, Soldaten und Offiziere gerade den Schlaf der restlos Erschöpften schliefen, hastig ihre Feldrationen herunterschlangen, gnadenlos geschliffen wurden oder in einer der Taktik-Zentralen eine simulierte Division aus einem Hinterhalt zu befreien versuchten, jetzt erhielten sie neue Befehle, ob von ihren Offizieren oder – wesentlich leiser aber genauso drängend – über ihre Handgelenk-Komms.

Der potentielle Thronfolger warf einen Blick auf das Display seines Komms und runzelte die Stirn. Offenbar wollte Parin, dass er zu einer der sekundären Kommunikationszentralen des Manöverlagers kam. Dabei war das nächste Planspiel erst in zwei Stunden angesagt und eigentlich hatte er frei. ‚Sklaventreiber. Entweder er glaubt nicht, dass ich Imperator werden könnte und hält es deshalb für gefahrlos, mich zu schikanieren…‘ Die Alternativen waren für Navarr sogar noch beunruhigender. ‚Oder er will mich mit einem Crashkurs auf meine Rolle vorbereiten. Die eines Kommandanten – oder vielleicht auch die eines Putschisten.‘ Und wenn es das nicht war…
Flüchtig überprüfte der junge Akarii den Sitz seiner Dienstuniform – im Manöver legte man größeren Wert auf prompte Pflichterfüllung und Eigeninitiative als auf makelloses Aussehen – und machte sich auf den Weg.

Zu seiner Überraschung fand er das Kommunikationszelt fast verlassen vor. Der alte Marschall war alleine, sah man von zwei Soldaten und einen hochgewachsenen Lieutenant in Navarrs Alters ab – die offensichtlich zur Kaiserlichen Garde gehörten...
Das ungute Gefühl in Navarrs Magengrube schwoll an und drohte ihm die Luft abzuschnüren, als der Offizier auf ihn zutrat und knapp salutierte: „Hoheit, es gibt Neuigkeiten aus der Hauptstadt.“
‚Das Duell.‘ Der junge Thelam schloss kurz die Augen, bevor er, seine Schwäche verfluchend, das Offensichtliche feststellte: „Dero hat gewonnen.“
„Natürlich.“ Der Garde-Lieutenant schien von der Gegenwart eines imperialen Marschalls und eines Thelam-Prinzen wenig eingeschüchtert: „Nur ein Narr hätte erwartet, dass sich ausgerechnet TOBARII als der bessere Fechter erweist. Aber für den Kriegsminister war das offensichtliche eine Frage der Ehre. Nun, er hat es jetzt hinter sich. Und wir müssen mit den Folgen leben.“
Navarrs Kopf fuhr hoch. Insgeheim war er froh, dass seine Erschütterung und seine Unsicherheit ein Ventil finden konnten: „Wie können Sie es wagen…“
„Ich würde vorschlagen, dass wir uns nicht gegenseitig zerfleischen. Lieutenant Renik ist nicht der Feind...“
„Und wer IST der Feind?“ fragte Navarr bissig, erwartete aber keine Antwort. Die kannte er nämlich.
„…im Gegenteil, Renik ist hierhergekommen um uns zu warnen, bevor das Ergebnis des Duells offiziell bekannt gegeben wird. Oder…andere Parteien aktiv werden. Er hat uns außerdem geholfen sicherzustellen, dass wir keine unnötigen Zaungäste bei unserem Gespräch haben. Er hat uns damit wertvolle Zeit verschafft.“
‚Angesichts seines Verhaltens ist Renik entweder Rallis Mann…oder ein Überlebender der Offiziersfronde. Ich habe schon gehört, dass Parin und mein lieber Cousin da Beziehungen haben.‘ Dann registrierte er, wie Renik ihn und Parin mit einer Mischung aus Nervosität und resignierter Hoffnung musterte und ein furchtbarer Verdacht beschlich ihn: „Zeit wofür, Marschall?“
Flüchtig huschte ein bitteres Lächeln über Parins Lippen: „Jedenfalls nicht das, was Sie vielleicht denken. Die Admiralität und das Oberkommando der Armee wollen Frieden und Stabilität. Jeder Versuch, beides zu gefährden – etwa indem man einige hundert Bewaffnete in Richtung Hauptstadt in Marsch setzt – würde durch den Einsatz regulärer Armeeeinheiten und der Flotte gestoppt werden. Und…auch der Garde.“
Renik sah so aus, als wollte er etwas sagen, doch Parin ließ ihn nicht zu Wort kommen: „Das ist die Wahrheit. Und deshalb ist jetzt nicht die Zeit für ein Abenteuer. Jede…überstürzte Handlung würde nur zu einem sinnlosen Blutvergießen führen.“
„Aber könnten nicht…“, warf Renik mit einem seltsamen, fast flehenden Unterton ein.
Parin schüttelte den Kopf: „Im Augenblick gibt es keine geschlossene Front gegen Haus Allecar. Ganz einfach, weil es niemanden gibt, hinter dem sich der Widerstand formieren kann. Oder zu viele Kandidaten. Oder die Falschen.
Euer Cousin Karrek wäre der Wunschkandidat der Expansionisten und Jor-Nostalgiker.
Aber Karreks…Ähnlichkeit mit Jor machte ihn gleichzeitig für viele Reformer und Teile des Militärs inakzeptabel.“ Parin warf Renik einen spöttischen Blick zu, den dieser mit einer steinernen Miene quittierte. „Und die…progressiveren Elemente im Adel und Militär haben leider zu viel Zeit damit verbracht, sich gegenseitig zu zerfleischen. Bis zu diesem idiotischen Duell schienen Dero und Tobarii mit Billigung von Prinzessin Linai praktisch in ein und demselben Lager zu stehen und ein neues, reformbereites Imperium zu verkörpern. Auch wenn ihr Anbiedern bei den Glatthäuten selbst vielen Reformern zu weit ging.“
Damit war wohl auch Renik gemeint, der die Lippen verächtlich schürzte. ‚Also vermutlich ein Frondeur…‘
„Der Bruch kam zu plötzlich. Und Rallis hat es bei all seinem Talent nicht geschafft, genug Häuser oder hochrangige Offiziere hinter sich zu vereinen. Man traut ihm nicht. Weiß nicht so genau, WOFÜR er eigentlich steht. Sein Eintreten für gemäßigte Reformen, und dass er sich offen gegen die Allecars stellt, ist nicht genug. Der Nachteil, wenn man ein Gibbit-Kind ist.“

Der Gibbit war eine Art Kobold vieler Akarii-Sagen. Sehr mächtig – manchmal mit fast gottgleichen Fähigkeiten – aber absolut unzuverlässig.

Der Gardeoffizier schnaubte: „Das alles ist nichts Neues. Das haben wir schon gehört! Ihr verschwendet Zeit, die wir nicht haben, Marschall! Wenn meine Kameraden, die eigentlich für die Sicherheit des Prinzen verantwortlich sind, begreifen, dass die Befehle für ihre Ablösung nicht über die korrekten Kanäle gegangen sind…“
„Ruhig, ruhig. Das wurde alles schon bedacht. Ich habe nicht nur auf Ihre Unterstützung gesetzt, Renik. Was Sie und ihre…Freunde zu oft vergessen – es gibt auch andere, die eine bessere Zukunft für das Imperium wollen.“ Der Marschall zuckte mit den Schultern: „Patriotismus ist kein Vorrecht der Jugend. Und nicht immer reicht der Glaube an die eigene Rechtschaffenheit. Manchmal ist es notwendig, eine unhaltbare Position aufzugeben, um sich neu zu formieren.“
„Wir haben JAHRE damit zugebracht, uns ‚neu zu formieren‘. Es wurde nichts besser!“
„Und wem nützt es, wenn man sich zusammenschießen lässt? Und dabei vielleicht auch noch eine der wenigen Hoffnungen aufs Spiel setzt, die dem Haus Thelam und dem Imperium noch verblieben sind?“
„Ich bin hier, Marschall!“ schaltete sich Navarr ein: „Ihr solltet nicht über mich reden, als wäre ich nicht anwesend.“
„Verzeiht, Hoheit. Aber wie Ihr wisst, war ich von Anfang an gegen diesen Krieg. Und auf jeden Fall dagegen, wie er geführt wurde. Das hat mich viel gekostet. Renik und seine enthusiastischen Freunde müssen endlich erwachsen werden. Und zwar schnell, bevor noch jemand eine Dummheit begeht. Es sind neue Befehle vom Armeeoberkommando eingegangen.“
„Ihr sagtet doch, das Oberkommando will nicht…“
„Ich habe einen Marschbefehl erhalten und das kann alles ändern. Also hört zu. Und ganz besonders auch ihr, Hoheit. Denn das betrifft auch euch…“

Als Leutnant Renik eine knappe halbe Stunde später dem startenden Shuttle hinterher sah, wusste er nicht, was er fühlen sollte. Da war zum einen Wut und Enttäuschung. Das alles hätte anders ausgehen sollen. Er hatte gehofft, seinen Kameraden zu melden, dass sie einen imperialen Marschall, eine komplette Streitmacht und einen kaiserlichen Prinzen auf ihrer Seite hätten. Einen, der sich nicht nur auf Worten und politische Winkelzüge beschränkte.
Doch diese Hoffnungen waren vergeblich gewesen. All jene, die davor gewarnt hatten, dass Parin zu alt und zu vorsichtig sei um ein Risiko einzugehen, hatten Recht behalten. ‚Aber wenn die alten Männer versagen, dann müssen eben die Jungen handeln.‘ Parin wusste nicht, wie weit ihre Planungen und Vorbereitungen bereits gediehen waren. Die Allecars mochten meinen, dass sie bereits gewonnen hatten. Rallis und Parin und all diese anderen kleinmütigen Bedenkenträger dachten vielleicht, dass diese Partie bereits verloren war und ihnen nur noch blieb, ihre Verluste zu begrenzen und das nächste Spiel vorzubereiten. Aber noch war die Situation in Bewegung – und ein klug gewählter Schlag an der richtigen Stelle konnte das ganze wacklige Gebäude aus Intrigen und Selbstüberschätzung zum Einsturz bringen, auf die die Allecars sich stützten.
‚Und alles, was dafür nötig ist, ist der Tod eines Verräters…‘

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