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Zum Ende der Seite springen Full Metal Panic!: Nordatlantik
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Full Metal Panic!: Nordatlantik Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Folge eins

Prolog:
In einer unsicheren Welt, in der die Technologie aus dem Stand einen Sprung über Jahrhunderte gemacht hat, in der alte Reiche zerbrachen und neue Konflikte entstanden, in der das Faustrecht an manchen Orten über die Gerechtigkeit triumphiert, in der die großen Staaten der Erde für ihr eigenes Wohl, aber nicht das der Staatengemeinschaft arbeiten, entstand durch die Initiative von Militärs und Privatleuten eine geheime Organisation, die tun wollte, was die Welt nicht konnte. Eingreifen wo es nötig war. Bekämpfen, wo es niemand sonst konnte. Initiative ergreifen, wo ein regulärer Staat vor dem Blick der Weltöffentlichkeit paralysiert wäre.
Mithril, benannt nach dem legendären Silbermetall aus der Tolkienschen Erzählung dem man Wundereigenschaften andichtete, entstand.
Mithril war lange geplant worden und hatte schnell weltweite Strukturen erhalten. Mithril tat das, was einem regulärem Staat verboten war: In fremden Staaten intervenieren, Terroristencamps vernichten, Giftgasfabriken sabotieren, Sklavenhandel unterbinden, Waffenhandelsstrukturen zerstören und die geheimnisvollen Whispered beschützen, jene Handvoll Menschen, deren geheimen Wissen der Technologiesprung zu verdanken war.
Dafür standen Mithril gut bezahlte Soldaten zur Verfügung, Söldner zwar, aber mit Chuzpe und hoher Moral. Sie kämpften zu Wasser, an Land und in der Luft, mit der Infanteriewaffe, dem Kampfjet oder Arm Slaves.
Schnell erhob Mithril den Anspruch, die Weltpolizei zu sein.
Natürlich war allen Beteiligten von vorne herein klar, dass dieser enorme Anspruch schnell ein zweischneidiges Schwert werden würde, wenn die Organisation unterwandert wurde und mit den vielfältigen Möglichkeiten das Gegenteil von dem tun würde, was ihre eigentlichen Ziele waren.
Dagegen konnten sie nur eines setzen: Ihre Ideale.

1.
„ Vordere Tanks anblasen, Aufwärtswinkel sieben Grad.“
„Aye, Sir, vordere Tanks anblasen, Aufwärtswinkel sieben Grad.“
Captain Sander betrachtete mit einer gewissen Anspannung, wie das gewaltige U-Boot die zweihundert Meter bis zur Wasseroberfläche zurücklegte. Sein Blick ging über die zwanzig Offiziere und Mannschaften, die in der Zentrale versammelt waren. Hundert Meter, fünfzig, zwanzig, zehn…
„Touchdown. Das Schiff ist an der Wasseroberfläche.“
„Ms. Allister, geben Sie Signal für das Schiff.“
„Aye, Skipper. Signal für das Schiff.“
„Hier spricht der Captain. Hiermit möchte ich mich bei der Crew bedanken für die erstklassige Arbeit, die hohe Einsatzbereitschaft und den Enthusiasmus, mit dem Ihr alle die letzten beiden Wochen verbracht habt, um der FEANOR die letzten Kinderlaunen auszutreiben. Ich bin sehr stolz auf diese Crew. Und ich bin sehr sicher, dass die Admiralität die FEANOR, das zweite Schiff der Dannan-Klasse ohne Bedenken in Dienst stellen wird.“
In der Zentrale brach spontaner Applaus aus.
Sander gestattete sich ein dünnes Lächeln. Seine Crew hatte sich wirklich gut gemacht, von der Bootsbesatzung über die Arm Slave-Piloten bis hin zu den Hubschrauber-Crews.
Es gab keinen ernsthaften Grund, dieses Schiff nicht in den Dienst zu stellen. Sie mussten höchstens noch eine oder zwei übereifrige Inspektionen über sich ergehen lassen, dann würde Mithril auch im Mittelmeer und Nordatlantik über eine mobile Basis verfügen. Bei den vielen Brennpunkten in Afrika, dem mittleren Osten und Mittelamerika eine Notwendigkeit, die jedem Betrachter ins Auge springen musste.
„Ms. Allister, bringen Sie die FEANOR nach Hause. Der letzte Tauchgang hat alle meine Zweifel ausgeräumt. Gehen Sie auf zwanzig Meter und dann auf volle Kraft.“
„Aye, Sir. Tauchen auf zwanzig Meter, dann volle Kraft. Kurs Ägäis.“

Sander erhob sich. Wieder ging sein Blick durch die Zentrale, über seine Crew. Es waren gute Leute, das Beste was man für Geld kriegen konnte. Oder für ein paar hochtrabende Ideale.
Für einen Moment musste der Captain mit sich ringen, um nicht gehässig aufzulachen. Diesen Idealen war er doch selbst zum Opfer gefallen. Den Idealen und den Zielen.
„Ich bin in meiner Kabine, Ms. Allister. Sie haben die Brücke.“
Die steife Irin nahm Haltung an. „Sir!“
Sander winkte ab. Dankbar nahm er zur Kenntnis, dass Sharon Allister darauf verzichtete, die Brückencrew darüber zu informieren, dass der Captain die Brücke verließ. Anfangs hatte die ehemalige Offizierin der Royal Navy mit dem festhalten an strikten Normen ganz schön seine Geduld strapaziert. Dies war ihre lang erhoffte Chance, endlich auf einem Unterseeboot in leitender Funktion zu dienen, weit abseits der manchmal etwas chauvinistisch eingestellten Admiralität der Navy, und sie hatte von Anfang an alles doppelt und dreifach richtig machen müssen.
Aber nachdem Sharon und er sich aneinander abgerieben hatten, ergänzten sie sich überraschend gut. Ein Gedanke, der ihn schmunzeln ließ.

In seiner Kabine angekommen zog Johann Sander als erstes die Bordschuhe aus. Dann fläzte er sich auf dem bequemen Sofa und dankte zum wiederholten mal Tai-sa Testarossa, die ja die Schiffsklasse der Dannan entwickelt hatte, dass sie damals in so großzügigen Bahnen gedacht hatte. Was bedeutete, dass seine Kabine groß war – wirklich groß. Und damit wirklich gemütlich. Was ihm als Captain ja auch zustand, fand er.
Dann zog er seine Dienstmütze ins Gesicht und war beinahe sofort weg genickt.
Im Laufe seines Dienstes für Amerika, die NATO und Deutschland hatte Sander nämlich eines festgestellt: Wenn man im Einsatz die Gelegenheit zum schlafen nicht nutzte, wirkte sich das immer gegen einen selbst aus.
Während er langsam in den Halbschlaf rüberdämmerte murmelte er: „Sie sind ein verdammtes Genie, Teresa Testarossa. Ich würde Sie zu gerne mal kennen lernen…“
**
„Yehaaa!“ Mit geröteten Wangen stellte Lieutenant Samantha Rogers ihre Bierdose auf dem Tisch im Bereitschaftsraum ab. Nachdem der Bereitschaftsalarm aufgehoben worden war und sich das Schiff mit einfacher Bereitschaft auf Heimatkurs befand, war Alkohol während der dienstfreien Zeit erlaubt. Timothy Scott, der englische Hubschrauberpilot bezweifelte jedoch ernsthaft, dass die Verfasser der Vorschriften Sams exorbitanten Missbrauch von Ethanol in Bierdosen damit hatten absegnen wollen. „Sammy, vielleicht solltest du langsam Schluss machen“, sagte er ernst und deutete auf die kleine, aus acht null Komma drei drei Literdosen bestehende Pyramide. „Du hattest schon mehr als genug.“
Die blonde Amerikanerin grinste ihn wölfisch an. „Was ist, Tim, bricht bei dir der blanke Neid aus, weil ich mehr vertrage als du?“
„Das nicht, aber wenn Kramer dich erwischt, dann…“
„Ach, der liebe Thomas. Der ist doch schon in den Federn, weil, Morgen ist doch so ein langer, mit Dienst erfüllter Tag. Dafür muß er doch Kraft schöpfen.“ Sie winkte ab. „Alles in Ordnung, alles in Ordnung, ich erkenne meine Schweine am Gang. Außerdem sind es ja nur noch zwei Dosen bis die Pyramide fertig ist, oder?“
Timothy Scott sah die Frau skeptisch an. „Und du bist sicher, dass du M9-Pilotin bist? Die Infanterie käme mit dir vielleicht besser klar.“
„Und du bist sicher, dass du Hubschrauberpilot bist?“ Misstrauisch beäugte sie den Engländer. „Du bist so trocken und freudlos, als hättest du dein Leben bei den Soviets verbracht, jenseits jeder Lebensfreude.“
„Verwechseln Sie bitte einen weichen Engländer nicht mit einem richtigen Mann“, erklang vom Nachbartisch eine harte Stimme. Sergej Ivanowitsch Karasov, Chef der Infanterie im Rang eines Captains (wenngleich er an Bord ehrenhalber Major genannt wurde, denn an Bord eines Schiffes konnte es nur einen Captain geben), sah missmutig zu den beiden herüber, bevor er seinen fünften Wodka kippte. Der Mann machte nach außen hin den Eindruck, er wäre aus Eis geformt worden. Er verzog sein Gesicht selten, und wenn doch, dann nur um seinen Missmut über die Welt zum Ausdruck zu bringen, im speziellen über Timothy und die anderen Westeuropäer an Bord, die es natürlich viel leichter hatten als ein Mann aus der Sovietunion. Sie tolerierten Karasovs Spleen, solange es beim jammern blieb. Was ziemlich oft geschah. Dennoch waren seine fünf Teams sehr gut trainiert und niemand an Bord zweifelte daran, dass sich die gut vierzig Infanteristen auch im Einsatz bewähren würden.
Timothy fuhr auf. „Wen nennen Sie hier weich? Ist es eine Auszeichnung, in einer Planwirtschaft jenseits aller Freuden aufzuwachsen? Macht Sie das härter?“
Der Russe setzte zu einer spöttischen Antwort an, brachte sie aber nicht hervor. Stattdessen senkte er den Blick und starrte in sein Wodka-Glas.
Tim wandte sich alarmiert um, halb erwartete er den Skipper hinter sich zu sehen, aber es war glücklicherweise nur Miguel Santos, der Chief of Operations im Range eines Lieutenant Colonels. Ein sehr freundlicher, kumpelhafter Typ, der selten aufbrausend wurde. Er war streng und gerecht. Und er hatte nicht das manchmal doch recht cholerische Temperament des Skippers.

Santos setze sich zu Tim und Sam an den Tisch. „Wir sind alle nicht weich. Wir wurden alle aus dem besten aufgeboten, was Mithril aufzubieten hatte. Besser als wir ist höchstens die Einsatztruppe der TUATHA DE DANNAN.“
Tim trank hastig einen Schluck von seinem Bier, um sich seinen Kommentar verkneifen zu können. Die DANNAN war so etwas wie Santos´ heilige Kuh. Die DANNAN und ihr Skipper Teresa Testarossa waren für ihn gottgleich. Und er betete jeden Bericht an, den die Pazifikdivision über die DANNAN veröffentlichte. Im Hintergrund stöhnten ein paar Soldaten und Techniker gequält auf. Fing die Litanei wieder an wie gut die Crew der DANNAN war und wie gut die Crew der FEANOR noch werden musste?
Doch Santons schien anderes im Sinn zu haben. Prüfend sah er sich im Aufenthaltsraum um. „Kramer ist…?“
„Der heilige Thomas sollte gerade in seiner Kabine sein. Wie immer, wenn er sich auf das Ende der Welt vorbereitet“, spöttelte Samantha und riss die neunte Dose Bier auf.
Miguel riss sie ihr aus den Händen und trank einen Schluck. „Zuviel ist ungesund, Lieutenant, das wissen Sie doch.“
„Hey“, protestierte sie, fand aber kein Gehör.
„In seiner Kabine?“ Santos dachte nach. „Wenn Rogers ihn in seiner Kabine vermutet, ist er bestimmt bei seinem M9 Gernsback.“
Samantha spürte wie sie rot wurde. Santos erhob sich, die Dose Bier in der Hand, nickte in den Raum und ging.
Die junge M9-Pilotin spürte die Blicke der Anwesenden auf sich ruhen. „WAS? Ich wette, er liegt in seiner Kabine und pennt!“
„Ich halte dagegen!“, rief Timothy spontan.
„Ich dagegen!“ „Ich auch dagegen!“ „Ich setzte fünf dafür!“ Nach wenigen Minuten hatte sich ein stattlicher Wettpool gebildet.
**
Miguel Santos war tief in seinem Herzen ein unsicherer Mann. Zwar hatte er in seiner Heimatarmee gedient – gut gedient – aber er hatte nie wirklich verstanden, warum Mithril ihn so hoch einschätzte, so weit befördert hatte. Er selbst schätzte seine Fähigkeiten als Offizier und Menschenführer weit geringer ein als das die Dachorganisation tat. Bisher hatte er gute Arbeit geleistet, aber er fürchtete den Tag, an dem sein Versagen den ersten Blutzoll für die Organisation bedeuten würde. Blut, das an seinen Händen kleben würde.
Wie Santos erwartet hatte, fand er Thomas Kramer an seinem persönlichen Arm Slave, einem Modell M9. Der Mann, dem das achtköpfige Team an Bord unterstand, widmete sich wieder mal seiner Lieblingsbeschäftigung. Er steckte bis zur Hüfte in den Eingeweiden seines Mechas und versuchte irgendetwas zu verbessern oder zu reparieren. Die humanoide Gestalt des Arm Slaves wirkte wie ein riesiger Mann, der in einer schlanken Rüstung mit klobigem Helm und eckigen Schultern steckte. Aber er verfügte im Gegensatz zum Vorgänger M6, einem eher gedrungenen, humanoiden Arm Slave, über enorme Agilität, Sprungkraft und Geschwindigkeit. Und natürlich verfügte er über die Partikeltarnung, die jeden Arm Slave von Mithril unsichtbar werden lassen konnte. Solange ein Sandsturm oder Regenschauer die Partikeltarnung nicht aufhob.

Santos war ein kleiner Mann mittleren Alters, aber sehr kompakt gebaut, stabil und durch seinen Ringersport sehr kräftig. Außerdem glomm ihm der Lausbubenschalk geradezu in den Augen. Deshalb schlich er sich an den Untergebenen heran, umfasste sein Klemmbrett und gab dem anderen Offizier einen heftigen Klaps auf den Allerwertesten.
Erwartungsgemäß fuhr dieser erschrocken auf und raste mit dem Schädel gegen das Innenleben seines Mechas.
„AUTSCH!“ Wütend und mühselig arbeitete sich der Chef der Arm Slaves aus seinem M9 hervor. „War ja wieder klar! War ja wieder klar! Wann wirst du Kindskopf endlich erwachsen, hä? Und wie viele Beulen werde ich mir bis dahin holen?“
Belustigt musterte Santos den zweiten deutschen Offizier an Bord. „Ist ja nicht so als wäre es nicht wichtig. Ich habe was für dich.“ Er hielt dem Captain sein Klemmbrett hin.
Der nahm es mit mürrischer Miene entgegen und begann sich in die Dokumente einzulesen.
Seine Miene hellte sich bei jeder Seite ein klein wenig mehr auf. „Das… Das… Das gibt es doch gar nicht! Mensch, Miguel, wie bist du denn an diese Info gekommen?“
Der Spanier lächelte. „Nun, Commander Mardukas hat mir noch einen Gefallen geschuldet, von unserer gemeinsamen Zeit auf der INDEPENDANT. Das Ergebnis siehst du ja.“
Kramer strahlte den Mann an. „Ich… Ich kann es kaum glauben! Die Abschlussinspektion werden Tai-sa Testarossa und So-sho Mao vornehmen! Die Frau, die unsere FEANOR überhaupt erst entwickelt hat und eine der Koryphäen für den Kampf mit Arm Slaves überhaupt! Ich kann es kaum erwarten, in unsere Heimatbasis zu kommen!“
„Auf welche der beiden freust du dich denn am meisten?“, murmelte Santos grinsend.
„Was, bitte?“
Der Spanier hob abwehrend die Arme. „Nichts, nichts, schon gut. Bastle du lieber deinen M9 wieder zusammen, damit er die Inspektion übersteht.“
„Stimmt auch wieder.“ Mit glänzenden Augen verschwand der Arm Slave-Pilot wieder im Wartungsschacht.
„Kleine Geister sind mit sowenig glücklich zu stellen“, seufzte Miguel.
„DAS HABE ICH GEHÖRT!“
Der Chief of Operations schluckte hart. „Ach, so spät schon? Ich muß ja auf die Brücke. Na, dann bastle noch schön, ja? Ahaha. Hahahaha. Hahahaha.“

2.
Die mehr oder weniger freiwillig von den Griechen zur Verfügung gestellte Ägäis-Insel mit dem Codenamen Styx existierte offiziell nicht. Inoffiziell mieden die Einheimischen den Flecken Erde. Grund hierfür waren Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg. Während des letzten großen Krieges hatten die Deutschen versucht, die nautische Herrschaft der Royal Navy im Mittelmeer zu brechen – aus eigenen Kräften, denn der Verbündete Italien hatte sich durch innenpolitischen Widerstand als ineffektiv gegen die Briten erwiesen.
Also hatten die Deutschen eigene Pläne entwickelt. Teil davon war Styx gewesen, ein fertig gebauter Unterseeboothafen, der jedoch niemals in Dienst gestellt worden war, da das Afrikacorps Nordafrika aufgeben musste und die Invasionen der Allianztruppen in Italien und Südfrankreich zu schnell erfolgten.
Die Insel selbst galt als hochgradig vermint, weshalb sie auch nicht bewohnt war.
Die Regierung sah keinen Sinn darin, die Minen für einen uralten Bunker, den sie eh nicht benutzen wollte und konnte, zu räumen. Somit war es ein Leichtes für Mithril gewesen, sowohl die Insel als auch das Wissen über ihre Existenz aufzukaufen. Heute diente Styx der FEANOR, dem Oberkommando Mittelmeer und zwei amerikanischen Atom-U-Booten der Los Angeles-Klasse als Unterschlupf.
Von hier aus brach Mithril zu geheimen Kommandounternehmen auf – die mit dem offiziellen Indienststellen der FEANOR aber endlich etwas größer ausfallen würden.
Zu vielfältig waren die Aufgaben, zu groß die Kämpfe, als das es ewig damit getan war, Spezialtruppen an der Ozeanküste abzusetzen oder abzuholen. Allein die anwachsenden Unruhen in Zentralafrika hätten den Einsatz von ganz Mithril gerechtfertigt.
Die Erfolge der TUATHA DE DANNAN hatten ganz klar gezeigt, dass mobile Einheiten wie Arm Slaves vielseitig einsetzbar waren, das es sich lohnte sie aufwändig ins Ziel zu bringen. Oder zumindest so nahe wie möglich, denn die DANNAN-Einsatzdoktrin erlaubte auch Landmissionen bis zu dreitausend Kilometer vom Mutterschiff entfernt.

Captain Sander seufzte schwer. Wann hatte er nur angefangen, sich derart ernsthaft mit Mithril zu identifizieren? Seine Dienstwaffe schien heute besonders schwer an seiner rechten Hüfte zu wiegen und ihn zu Boden ziehen zu wollen. Würde er wirklich für die Ideale der Organisation sterben können, wenn er vor die Wahl gestellt werden würde?
„Brücke hier. Skipper, wir haben angelandet.“
Johann Sander erhob sich. „Sander hier. Gut, dann lassen Sie die Mannschaft auf dem Kai antreten, Eins O. Ich komme sofort.“
Er schnappte sich seine Mütze, zählte in Gedanken bis dreihundert. Dann erst war er sich sicher, dass bis auf die Deckwache, die permanent an Bord vertreten sein musste, jedes Mitglied entweder auf dem Weg nach draußen war oder bereits in Formation stand.
Schnell noch ging sein Blick über die Reflexion des großen Spiegels, er strich ein letztes Mal über seine Khaki-Uniform und über die wenigen Gefechtsabzeichen, die er im Dienste Mithrils erworben hatte. War er wirklich das Beste, was die Dachorganisation für dieses Schiff bekommen konnte?
Überhaupt schien es, als würde der Pazifik bevorzugt behandelt, während die anderen Zweige der Organisation mehr von der Hand im Mund leben mussten, so dachte er manchmal. Erst neulich hatte sich der Bereichsleiter Südeuropa bei ihm ausgeheult, weil das Oberkommando ihm seinen besten Arm Slave-Piloten weggenommen und auf die DANNAN versetzt hatte.
Was sagte das also über ihn aus? Er hatte zumindest die Dannan-Klasse weder erdacht noch erbaut. Nicht so wie Tai-sa Testarossa, das eingetragene absolute Genie bei Mithril.
„Wird schon werden, alter Junge“, machte er sich selbst Mut und verließ seine Kabine. Ein Soldat diente dort, wo er hingestellt wurde. So war es schon immer gewesen. Und so würde es wohl immer sein, bis der Soldat aufgab oder starb.

Die großzügigen Gänge des Unterseebootes lagen ungewöhnlich still vor ihm, während er sie durchschritt. Das war er gar nicht gewohnt. Während der vierwöchigen letzten Testfahrt hatte es hier immer vor Leben gebrodelt. Immer.
Das Schiff jetzt so still zu sehen, versetzte ihm einen Stich durchs Herz. Würde es vielleicht so bleiben? Würde Mithril die FEANOR nicht abnehmen? Würde das Boot damit das teuerste Wrack aller Zeiten werden, sein Kommando zerschlagen und seine Leute über die halbe Welt aufgeteilt werden? Er unterdrückte diesen Gedanken. Okay, er war wirklich nicht Tai-sa Testarossa. Aber immerhin gab er sein Bestes. Und das musste doch für irgendetwas nütze sein. Zumindest hoffte er das.
„Verdammte Zweifel“, murmelte er ärgerlich und schlug gegen die Stahlwand rechts von ihm.
Das tat ihm überraschend gut und mit neuem Elan schritt er durch das Schiff.

Wie er erwartet hatte, waren die Mitglieder seiner Crew bereits geschlossen angetreten.
Vorneweg standen der Eins O und die Crew der Zentrale. Dann kamen die Leute vom Ingenieursstab, Lazarettbereich und Kantine. Ihnen folgten die Hangarmannschaft und die Wartungs- und Bedienungscrews für die Waffen.
Danach waren die Infanterie angetreten, die Piloten der Jets und Hubschrauber und ganz zuletzt die letzte Teileinheit: Die Piloten der Arm Slaves.
„ACHTUNG!“, gellte der scharfe Ruf von Lieutenant Commander Allister auf.
Die Crew der FEANOR nahm Haltung an. „STILLGESTANDEN!“
Ein deutlicher Ruck ging durch die khakifarbenen, grünen und schwarzen Uniformen.
„SALUTIERT!“ Die Arme der Crew ruckten zum Gruß zu ihm hoch.
Allister wandte sich um neunzig Grad und salutierte ihm ebenfalls zu. „Sir, die Crew ist wie befohlen angetreten.“
Sander salutierte ebenfalls, nahm den Arm aber schnell wieder ab. „Lassen Sie“, sagte er laut, aber mit Bedacht, „zum achtundvierzigstündigen Sonderurlaub wegtreten!“
Ein leises Raunen ging durch die Reihen der Crew. Sonderurlaub. Das war eine völlig neue Information für sie.
„Disziplin!“, zischte Miguel Santos in die Reihen.
Das Raunen verstummte übergangslos.
Allister tat so als hätte sie nichts bemerkt. „Aye, Sir.“ Sie wandte sich wieder um neunzig Grad um. „Arm ab und rührt euch!“
Die Soldaten von Mithril senkten den rechten Arm und nahmen eine bequemere Haltung mit leicht gespreizten Beinen und den Händen auf dem Rücken ein.
„Zum achtundvierzigstündigen Sonderurlaub – weggetreten!“
Nun ging lauter Jubel durch die Reihen der Anwesenden. Die ehemals strenge Formation löste sich in Chaos auf. Sander schmunzelte dazu.

„Auf ein Wort, Sir“, sagt Sharon Allister und trat leise zum Skipper. „Halten Sie es für klug, die Disziplin so kurzfristig vor der letzten Inspektion derart schleifen zu lassen? Die meisten Leute der Crew werden rüber nach Rhodos fliegen und sich die nächsten beiden Tage sinnlos vollaufen lassen. Oder die Nacht zum Tag machen. Oder beides.“
„Davon gehe ich aus“, murmelte er amüsiert.
„Und dennoch…“
„Ja. Und dennoch sollen sie meinetwegen ein Fass aufmachen. Erstens haben sie es sich verdient und zweitens werden sie wissen, wie weit sie gehen dürfen.“
„Wenn Sie es so sehen…“
„Ach, tun Sie mir doch bitte einen Gefallen. Schnappen Sie sich Kramer und sagen Sie ihm, er möchte noch mal in meinem Büro vorbei schauen bevor er seinen Urlaub antritt. Ich habe da noch was mit ihm zu besprechen.“
„Aye, Sir. Ziehen Sie dann in Ihr Büro auf Styx um?“
„Zumindest vorerst. Ich werde noch etwas Büroarbeit für die Styx-Basis erledigen, bevor ich mir meine Sachen schnappe und an den Strand gehe. Ich hoffe, es hat sich nicht so viel angehäuft.“ Sander seufzte schwer. Er war nicht nur Skipper der FEANOR, er war auch Stützpunktkommandant. Was bedeutete, dass er auch die Verantwortung für die hier stationierten Arm Slaves, Jagdflieger, Infanteristen und Unterseeboote trug. Was eine Menge Papierkrieg mit sich brachte.
„Danach gehen Sie auch in Urlaub, Sharon. Das ist ein Befehl, verstanden?“
„Aye, Sir.“
**
Thomas Kramer hatte keine Mühe, sich seine sieben Arm Slave-Piloten noch einmal zu schnappen, bevor sie aus dem Dock entkommen konnten. Sein erstes Opfer war Samantha Rogers, seine Stellvertreterin. Die half ihm dann gezwungenermaßen, die anderen Wölfe im Schafskleid zusammen zu treiben.
In einer ruhigen Ecke versammelte Thomas seine Leute noch mal und ging die letzten Übungen mit ihnen durch. „Ich weiß, Ihr wollt alle in den Urlaub. Aber der kann auch noch eine halbe Stunde warten. Vorher will ich, dass Ihr einseht, ja, einseht, was Ihr alles für Mist gebaut habt. Sergeant Sandra Ciavati, Corporal Ken Ibuto, bei den Abschussübungen mit dem Jetaufsatz wärt Ihr beide zweimal fast kollidiert. Ich will dass das besser wird. Wir arbeiten hier mit M9 und nicht mit Savages, ist das klar?“
Schuldbewusst sahen die beiden zu Boden. „Ja, Sir.“
„Sergeant Yussuf Ben Brahim, Corporal Jasmin Smith, die Schießergebnisse bei euch beiden waren unter dem Schnitt der Einheit. Ihr seid damit immer noch über dem, was Mithril von euch fordert. Aber mir ist die Lücke zwischen euch zwei Trantüten und den beiden Nächstschlechten zu groß. Schließt das in Eigenregie, oder ich lege gerne eine Übungseinheit mit euch hin. Das könnt Ihr euch aussuchen.“
„Ja, Sir.“
„Second Lieutenant Samantha Rogers und Corporal Jennifer Carthy. Ladies, eure Einstellung ist mir zu lax. Der Funkverkehr im Einsatz muß kurz und prägnant sein. Das kann einmal über Tod oder Leben entscheiden. Ihr aber haltet da per Funk einen Kaffeeklatsch ab. Wollt Ihr euch in einem Einsatz vielleicht gewaltsam umbringen?“
„Sir!“, begehrte Sam auf.
„Je kürzer, desto besser. Auf ein Minimum an Silben aber ein Maximum an Aussage geraffte Worte, das wünsche ich mir. Also geht die nächsten beiden Tage in euch und denkt mal drüber nach.“
Sam Rogers seufzte schwer. „Ja, Sir.“
„Und die letzten beiden sind meine Wenigkeit und Sergeant Cyrus Doherty. Ja, hier kriegt jeder sein Fett weg. Ich muß mich und den Sergeant ermahnen, nicht immer so weit vorzupreschen und so ein unerreichbares Vorbild für die anderen abzugeben. Wir beide müssen in Zukunft die Distanz, die uns unser Können euch gegenüber verschafft künstlich klein halten – nicht dass Ihr die Lust verliert, uns doch noch irgendwann mal zu schlagen.“
Die Arm Slave-Piloten murrten leise, allerdings mit einem Schmunzeln.
„So, genug geschimpft. Ab in den Sonderurlaub mit euch. Und wehe, Ihr amüsiert euch nicht nach besten Kräften.“
„Ist das ein Befehl, Captain?“, hakte Corporal Carthy nach.
„Natürlich ist er das. Also los, fort mit euch.“
Die Piloten murmelten wild durcheinander und verließen die stille Ecke wieder.

Thomas sah ihnen einen Moment lang nach. „Na dann viel Spaß. Und das mir keine Klagen kommen. Nein – ein oder zwei Klagen sind in Ordnung. Dann weiß ich wenigstens, dass sie sich amüsiert haben.“
„Und wie wollen Sie sich amüsieren, Captain?“, erklang hinter ihm eine unterkühlte Frauenstimme.
Kramer wandte sich um. „Commander Allister. Nun, ich muß an meinem M9 arbeiten. Die Beinahebruchlandung hat die Knie stärker geschädigt als ich angenommen habe. Diverse Verschleißteile müssen ausgetauscht werden.“
„Na, das nenne ich doch mal einen spannenden Urlaub“, spottete sie. „Aber bevor ich Sie diesem ausschweifendem Vergnügen überlasse, melden Sie sich noch mal beim Skipper.“
„Jetzt sofort?“
„Machen Sie es besser gleich, bevor er den Papierkrieg verliert und schlechte Laune kriegt.“
„Das ist ein guter Tipp, Commander“, bestätigte Thomas grinsend.
„Ach, und ziehen Sie sich was anderes an. Wenn Ihr Körper schon nicht im Urlaub ist, vielleicht schafft es dann wenigstens Ihre Phantasie.“
„Das war Ironie, oder, Ma´am?“
Die Irin musterte ihn skeptisch. „Das müssen Sie schon selbst herausfinden, Captain.“
Seufzend ergab sich der Arm Slave-Pilot seinem Schicksal.
**
Nach einem Wechsel in den weniger förmlichen Overall, in dem er an seinem Arm Slave herumzubasteln pflegte meldete er sich bei seinem Vorgesetzten im Büro.
Ihn erwartete zu seiner Überraschung nicht nur Sander, sondern auch Pierre Duchemin, der Skipper der HOUSTON, einem der beiden Boote der Los Angeles-Klasse, die hier ebenfalls ihren Heimathafen hatten.
„Ah, Kramer, kommen Sie rein. Eigentlich wollte ich etwas anderes mit Ihnen besprechen, aber vielleicht können Sie hierzu etwas sagen.“
Der Deutsche deutete auf einen Stapel Aufnahmen auf seinem Schreibtisch, die eindeutig aus geringer Höhe gefertigt worden waren.
„Fotodrohne?“, hakte Kramer nach und griff nach dem ersten Foto. Am Rand war in weißen Lettern der Name der Drohne, das Datum und die Uhrzeit eingeprägt worden. Thomas rechnete die Längen- und Breitenangaben grob im Kopf um und pfiff erstaunt. „Wo haben Sie sich denn rum getrieben? Ist es in der Zentralsahara nicht etwas trocken für ein Unterseeboot?“
„Es ist nicht exakt die Zentralsahara. Es ist die Westsahara, zweitausend Kilometer landeinwärts“, warf Duchemin ein. „Genauer gesagt…“
„Genauer gesagt sind das hier Aufnahmen aus dem Kingdom Sahara, richtig? Einem neu gegründeten Staat, der sich auf Kosten der Territorien seiner Nachbarn aus dem Nichts gebildet hat, mitten in einer Geröllzone, in der nicht einmal Ziegen etwas zum weiden finden. Ich habe mich immer gefragt, wie sich ein Staat halten kann, der weder über Wasser noch über Bodenschätze verfügt.“
„Jetzt wissen wir es. Wenn man einen florierenden Waffenhandel mit Altbeständen der Sovietunion betreibt, kommen eben einige Devisen ins Land“, brummte Sander und schob ihm weitere Aufnahmen zu.
„Eindeutig Savages. Verschiedene Modelle, nicht nur die ganz alten Dinger, die in Helmajistan und Irak verkauft werden.“ Thomas griff zu weiteren Aufnahmen. „Waffen für M9? Wie kommen sie denn da dran?“
„Das würde uns auch interessieren. Anscheinend ist jemand auf den Gedanken gekommen, dass man nicht unbedingt einen M9 braucht, um die besser entwickelten Feuerwaffen und Messer für diesen Typ zu benutzen. Ein Savage reicht in der Tat aus – und verbessert seine Kampfkraft enorm. In dieser strukturschwachen Region, in der Savages schon extrem selten sind, ist so ein Super-Savage eine Bedrohung“, schloss Captain Duchemin.
„Vorausgesetzt, der Munitionsnachschub versiegt nicht. Wir benutzen andere Kaliber als die Russen.“
„An Nachschub kann es keinen Mangel geben“, murmelte Sander und rieb sich müde die Augen. „Denn das wäre eine Erklärung für die Unruhen und Rebellionen in Zentralafrika, die schon über zwei Monate andauern. Gäbe es Nachschubprobleme, wären die Kämpfe längst eingestellt worden. Und wir haben uns gefragt, wie sich diese relativ kleinen Truppen halten können.“
„Hm, wenn ich das richtig sehe, ist hier das Nadelöhr, über das der halbe Kontinent rebellisch gemacht wird. Kingdom Sahara lebt also vom Waffenhandel. Wenn wir hier einen schnellen, chirurgischen Schnitt ansetzen, sollten auch die anderen Konflikte in sich zusammen fallen.“
„Nur leider können wir das nicht“, gab Duchemin zu bedenken. „Wir haben keine Hubschrauber, die ein Einsatzteam zweitausend Kilometer plus die Distanz zur nächsten unserer Basen tragen können. Und ein Infanterieteam an Land auszuschleusen und dorthin zu bringen ist illusorisch.“
„Die FEANOR könnte vor der Westsahara kreuzen und Jäger und Arm Slaves rüber schicken. Oder wir werfen die Arm Slaves mit Hilfe von Langstreckenbombern ab. Wenn sie sich anschließend bis auf tausend Kilometer an die Küste zurück gearbeitet haben, dann können Hubschrauber der FEANOR sie wieder aufnehmen.“
„Sie wollen eintausend Kilometer mit ihrem Arm Slave durch die Wüste marschieren? Können Sie sich auch nur annähernd vorstellen, was das für Strapazen bedeutet?“, wandte Duchemin ein.
„Auf jeden Fall weniger Strapazen als für ein Infanteriekommando, selbst wenn es mit Fahrzeugen unterwegs ist“, konterte Kramer.
Die beiden Kapitäne wechselten einen langen Blick.

„Es gäbe noch eine Möglichkeit. Zwei Cruise Missiles können den ganzen Stützpunkt zerstören. Ach nein, jetzt sehe ich es. Die Lagerhallen wurden taktisch klug aufgestellt. Wir bräuchten vier oder fünf, um das ganze Gelände abzudecken. Und dann gibt es vielleicht noch versteckte Hangars und andere Schweinereien. Wir bräuchten zumindest ein paar Mann vor Ort, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Soll ich mich fertig machen, Skipper?“
„Nun mal langsam mit den jungen Pferden, Thomas. Pierre, danke für die Information. Stellen Sie einen ordentlichen Bericht zusammen, den wir sofort zum Oberkommando weiterleiten. Ich werde währenddessen eine Anfrage weiterleiten, damit man einen unserer Spionagesatelliten über Kingdom Sahara postiert.“
„Das erscheint mir vernünftig. Trotzdem werde ich die Zahl meiner Cruise Missiles aufstocken, mit Ihrer Erlaubnis, Johann.“
„Genehmigt.
Thomas, deshalb habe ich Sie nicht herrufen lassen. Diese Entwicklung hat mich selbst überrascht. Ich wollte von Ihnen eigentlich eines wissen: Sind Ihre M9 bereit? Sind Ihre Piloten bereit?“
„Der Gernsback ist ein feiner Arm Slave, Sir. Wir setzen zu Recht auf dieses Modell. Und meine Piloten sind auch gute Leute. Sicher, wir brauchen noch Übung. Und wir müssen noch mehr zusammen arbeiten. Aber ja, ich würde mit ihnen sofort in die Schlacht ziehen.“
Wieder wechselte der Skipper der FEANOR einen Blick mit seinem Kollegen von der HOUSTON, bevor er unter die Fotos griff und ein Dossier hervor zog. „Hier, arbeiten Sie sich darin ein, Thomas. Es beinhaltet alle uns bekannten Informationen zum so genannten Lambda Driver und die weitaus spärlicheren Informationen eine Organisation namens Amalgam betreffend. Ich will, dass Sie das Dokument auswendig kennen, wenn Tai-sa Testarossa und So-sho Mao hier eintreffen.“
Gierig griff der Captain nach der Mappe. Über den Lambda Driver hatte er schon viel gehört. Vor allem, dass ganz Mithril nur einen einzigem Arm Slave hatte, der über diese als unschlagbar geltende Technologie verfügte. Der jetzt schon legendäre Arbalest, der - natürlich – auf der TUATHA DE DANNAN diente. „Ich mache mich sofort an die Arbeit, Sir.“ Thomas salutierte knapp und war schon halb auf dem Gang.

Dort schlug er das Dossier auf und las Inhaltsverzeichnis und Vorwort. Bevor er sich versah hatte er fünf Seiten des Dokuments und zwei Meter Gang geschafft.
Völlig darin versunken trottete er durch den Flur, fasziniert von den Einträgen und den Fußnoten. Verdammt, der Lambda Driver war heiß. Warum hatten sie nicht noch mehr Exemplare davon in der Einheit? Vor allem da diese Amalgam-Truppe anscheinend wesentlich mehr davon einsetzen konnte als Mithril.
Und das konnte, das war das Zauberwort. Amalgam benutzte Bewusstseinzerstörende Drogen, um seine Piloten zu befähigen, ihre Version des Drivers funktionsfähig zu bekommen.
Etwas, was für Mithril niemals in Frage kommen würde. Was automatisch ausschloss, dass sie über Mittelsmänner ein paar Arm Slaves mit Lambda Driver von Amalgam kauften, um sie selbst einsetzen zu können.
Alles in allem hatte das Dossier eher von einem spannenden Roman denn von einem nüchternen Dokument und Thomas genoss die Lektüre sichtlich.

An einem Automaten mit Erfrischungsgetränken hielt er an. Was zu trinken war definitiv nicht verkehrt.
Er sah auf, sah dass jemand vor ihm Geld in den Automaten warf und versenkte sich wieder in den Bericht. Wartete er eben einen Augenblick.
Als er fünf Seiten später wieder aufsah, war der Automat noch immer unter Beschlag.
Stirn runzelnd sah er richtig hin und erkannte ein junges Mädchen in Freizeitkleidung mit langem, hellem Zopf, das sich anscheinend nicht entscheiden konnte.
Wieder vertiefte er sich in den Bericht, schaffte aber nur zwei Seiten, bevor er wieder aufsah. Sie stand tatsächlich noch immer da und starrte mit stumpfem Gesichtsausdruck auf die verschiedenen Flaschen.
Nun wurde es Thomas doch zu bunt. Er griff an der jungen Frau vorbei und drückte auf seinen Lieblingsdrink.
Dies ließ sie aus der Starre erwachen. Erstaunt sah sie ihn an.
Doch der Arm Slave-Pilot winkte ab, griff nach der Flasche im Auffangschacht und warf neues Geld ein. „So, jetzt kannst du meinetwegen den ganzen Tag vor dem Automaten stehen und dich entscheiden.“
„Fies“, kam es über ihre Lippen.
Thomas öffnete den Drehverschluss seiner Flasche und nahm einen kräftigen Schluck. „Fies? Hör mal, soll ich verdursten, nur weil du dich nicht entscheiden kannst?“
„Das ist es doch nicht. Als Gentleman hätten Sie warten sollen, bis ich mich entschieden habe“, murrte sie.
Thomas stieß einen spöttischen Laut aus. „Hör mal, Mädchen, erstens bin ich kein Gentleman. Und zweitens habe ich nur achtundvierzig Stunden Urlaub. Die will ich nicht in der Reihe hinter dir verbringen.“
Die junge Frau wurde rot. „Wie können Sie nur so was Gemeines sagen? Und warum duzen Sie mich überhaupt?“
„Weil ich volljährig bin und du noch nicht. Oder sehe ich das falsch?“
Erschrocken sah sie zu Boden. „N-nein, aber…“
Thomas erstarrte. Hatte er es zu weit getrieben. War er gemein geworden?
„Wenn du dich nicht entscheiden kannst, warum fragst du mich nicht einfach? Ich habe den Automaten einmal von vorne bis hinten durch. Vielleicht kann ich dir helfen? So als Ausgleich, weil ich so bissig war?“
Das Mädchen sah auf. „Es sind alles andere Sorten als bei uns. Ich meine, ich kenne die hier nicht und…“
„Als bei euch? Bist du von einem anderen Kommando?“
Sie nickte. „Pazifik.“
Thomas klappte sein Dokument zu und schob es unter den linken Arm. Er hatte es definitiv zu weit getrieben, wenn die junge Frau vor ihm nicht nur neu auf der Basis, sondern vielleicht sogar zum ersten Mal in Europa war. „Was trinkst du denn gerne? Ist Kaffee was für dich? Oder lieber Tee? Ich mag die Cola, aber ich weiß nicht, ob das was für dich ist.“
„Tee wäre nett. Grüner Tee vielleicht.“
Thomas dachte kurz nach, dann berührte er eine der Tasten. „Gibt leider nur schwarzen Tee, schmeckt aber ganz gut. Dafür ist es aber auch hoffnungslos überzuckert.“
Er nahm die gekühlte Flasche aus dem Automaten und hielt sie der jungen Frau hin.
„Danke“, murmelte sie und griff danach.
„So, du kommst also aus dem Pazifik, hm? Sidney?“
„Nein, die DANNAN.“
Anerkennend pfiff Thomas leise. „Da dient nur die Elite. Dagegen kommen nicht mal wir mit unserer schönen FEANOR an. Du musst ganz schön was auf dem Kasten haben, wenn du in der Ersten Mannschaft spielst.“
„E-erste Mannschaft? So seht Ihr uns hier? Nein, so ist es ja nun nicht. Nur weil die DANNAN das erste Schiff seiner Klasse ist, bedeutet das doch noch nicht, dass wir…“
„Hm“, unterbrach Thomas sie und legte überlegend einen Finger an den Mund. „Ihr habt mit Sagara den einzigen Arm Slave-Piloten im Team, der den Lambda Driver bedienen kann. Ihr habt neulich das Topaß der Arm Slave-Piloten Südeuropas bekommen. Ihr habt Kalinin und Mardukas, den besten Taktiker und den besten Tauchoffizier, über die Mithril verfügt. Und mit Tai-sa Testarossa den Skipper, der die ganze Schiffsklasse entworfen und gebaut habt. Und dann willst du mir erzählen, Ihr wärt nicht die Erste Mannschaft?“
Wieder wurde sie rot und sah fort. „Ich…“
„Aber keine Sorge, wir sind euch dicht hintenan“, fuhr Thomas fort und tätschelte der jungen Dame den Kopf. „Sobald die FEANOR in den Einsatz geht, bekommt Ihr einen scharfen Rivalen, der euch nichts schenkt und nicht eher zufrieden ist, bis die Leistungen der DANNAN übertroffen werden.“

„Was, bitte, glaubst du, machst du da?“, fragte eine eisige Frauenstimme neben ihm. „Nimm sofort deine Hand da weg, sonst breche ich sie dir.“
Thomas sah zur Seite. Wie war die schwarzhaarige, schlanke Frau nur so schnell – und vor allem so leise – neben ihm aufgetaucht? Er hatte sie nicht bemerkt, bis sie sich zu Wort gemeldet hatte. „Äh…“ Er nahm seine Hand zurück. Mann, wenn Blicke töten könnten, dann würde diese Frau von ihm nicht einmal die Stiefel übrig lassen.
„Entspann dich. Wir trinken nur zusammen Saft und reden über Mithril.“
„So? Entspannen? Saft trinken? Ich glaube, aus einer Schnabeltasse trinkt es sich am leichtesten. Die wirst du auch bald brauchen, wenn du so weitermachst!“
„Ruhig, ruhig… Master Sergeant. Ich beiße nicht und habe es auch nicht vor.“
„Es heißt So-sho und es ist mir reichlich egal, wen du beißt. Aber wenn es die Falsche ist, werde ich selbst bissig. Tessa, was machst du hier überhaupt?“
„Ich weiß nicht so recht“, brummte Thomas. „Hunde die bellen beißen normalerweise nicht So-sho.“
Entgeistert starrte die Frau, die offensichtlich ebenfalls zum Pazifikkontingent von Mithril gehörte, den Captain an. „Wie… war… das… bitte?“
„Melissa, du siehst das falsch. Er hat nichts Schlimmes getan und…“
Der Schlag kam aus dem Nichts, scheiterte aber an dem Block des Deutschen, der schon geahnt hatte, was die So-sho als nächstes versuchen würde.
„Nicht schlecht“, sagte sie amüsiert. „Ein guter Block.“
„Und ein deftiger Schlag. Belassen wir es dabei oder muß ich Sie erst übers Knie legen?“
„Du kannst es ja gerne versuchen. Wenn du nicht Angst davor hast es statt mit einem Kind mit einer Erwachsenen aufzunehmen.“
„Ich denke, jetzt gehen Sie zu weit, So-sho. Viel zu weit. Das ist mir gegenüber nicht fair und der Kleinen gegenüber erst recht nicht.“
Die Unteroffizierin japste nach Atem. „Kleine? Habe… habe ich das richtig gehört? Tessa, er hat dich die Kleine genannt. Das ist… Der schreit ja geradezu nach Prügel.“
„Ich sagte genug, So-sho!“, blaffte Thomas scharf. „Wir haben genug gespielt. Ich werde mir jetzt mein Dossier und mein Getränk schnappen, und Sie nehmen sich unseres Kadetten an. Und dann gehen wir getrennte Wege.“
Für einen Moment wurde die Frau unschlüssig. Langsam nahm sie den Druck von Kramers Block.
„Melissa! Hör auf ihn!“, rief das Mädchen.
Das gab den Ausschlag. Sie nahm den Arm ab und winkte zwischen sich und dem Mädchen hindurch. „Geh. Für dieses Mal lasse ich dich vom Haken.“
„Danke sehr, zu liebenswürdig“, brummte Kramer. Er nickte der Kleinen noch mal freundlich zu und ging.

Ungefähr hundert Meter weiter, schon halb im Dock der FEANOR und erneut in die Lektüre des Dossiers vertieft, blieb Thomas stehen, als hätte ihn ein Schlaganfall getroffen. Irgendetwas stimmte definitiv nicht an dem, was er gerade erlebt hatte. Wenn die Schwarzhaarige So-sho war, also Master Sergeant, dann kam sie bestimmt aus dem Pazifik.
Wie hatte der So-sho die junge Frau genannt? Tessa? Thomas atmete erschrocken aus. Tessa… Teresa? Teresa Testarossa? Richtig, sie wollte zur Inspektion herüber kommen, zusammen mit So-sho Mao. Es hieß, sie sollte noch sehr jung sein. Genaueres unterlag der Geheimhaltung. Teresa Testarossa also. Und sie hatte die So-sho Melissa genannt. Melissa Mao? Na toll, da hatten die beiden ja gleich den richtigen Eindruck von ihm bekommen. „Warum passiert so was immer nur mir? Warum?“
Ob ein Lambda Driver auch die Zeit zurückdrehen konnte? Ein schöner Gedanke.

2.
Stunden später steckte Thomas Kramer wieder mal bis zur Hüfte in seinem Arm Slave. Diesmal jedoch mit einem Pad um die Elektronik zu überprüfen. Das war der einigermaßen saubere Part seiner Arbeit, einfach hier und da die Elektroden anschließen und die Ist-Werte mit den Soll-Werten vergleichen. Obwohl er sich ein zweites Paar Hände wünschte, um zumindest die Ergebnisse zu notieren, auch wenn sich alles im grünen Bereich einpendelte.
Aber Notizen wären für einen späteren Vergleich hilfreich gewesen.
Langsam arbeitete er sich aus dem Torso zurück. Anscheinend nahm der Gernsback die neuen Elemente in den Knien gut an. Ein Belastungstest würde zeigen wie gut. Eine hilfreiche Hand hielt ihm ein Handtuch hin, mit dem er sein schweißbedecktes Gesicht abwischen konnte.
„Danke.“ Gut, der Austausch war gelungen, auch wenn es alleine schwierig geworden war. Er dankte den Konstrukteuren des M9 für die Umsicht, das Monster so zu konzipieren, dass der Pilot die meisten Reparaturen nötigenfalls alleine verrichten konnte, denn da der Skipper auch den Technikern freigegeben hatte, hatte er sich alleine um die Reparatur kümmern müssen.
Alleine? Wer hatte ihm dann das Handtuch gegeben?
Thomas sah auf.
„Gerne geschehen“, sagte So-sho Mao lächelnd und bot ihm eine Hand zum aufstehen.
Thomas griff zu und ließ sich auf die Beine ziehen. „Danke.“
„Wieder gerne geschehen.“
Er musterte die trainierte Frau. Was wollte sie von ihm? War Falschheit in ihrem Lächeln? Bedeutete die Verlagerung ihres Gewichts auf den linken Fuß, dass sie einen Angriff plante?
„Schwieriges Problem?“, fragte sie plötzlich.
Thomas, der plötzlich merkte, dass er geschwiegen und sie angestarrt hatte, zuckte zusammen. „Was? Nein, ich habe nur ein paar Verschleißteile gewechselt. Nichts ernstes, nur alleine eine Heidenarbeit und Zeitaufwändig.“
„Verstehe.“
„Hören Sie, So-sho, wegen vorhin mit Tai-sa Testarossa, ich…“
„Ach, das hast du mittlerweile raus gefunden, hm?“, spottete sie. „Schon gut, ich glaube nicht mehr, dass du Tessa anbaggern wolltest. Um ehrlich zu sein bin ich hier um mich zu entschuldigen. Ich habe wohl etwas überreagiert.“
Thomas dachte an seinen schmerzenden linken Arm, mit dem er ihren Schlag abgefangen hatte. „Etwas“, pflichtete er bei.
„Wie wäre es wenn wir von vorne anfangen? Ich bin So-sho Melissa Mao von der TUAHTA DE DANNAN.“ Sie bot ihm ihre Rechte an.
„Ich weiß nicht, So-sho. Immerhin sind Sie der Feind.“
„Hä?“ Mao zwinkerte verblüfft.
„Na, Sie und Tai-sa Testarossa sind doch hier, um die FEANOR und ihre Crew auf Herz und Nieren zu prüfen, oder?“
„Ja, schon, aber wir entscheiden doch nicht über Leben oder Tod. Wir geben nur eine Bewertung eurer Einsatzbereitschaft ab. Immerhin sind wir euch anderthalb Jahre voraus.“
Thomas gab sich einen Ruck und ergriff die dargebotene Hand. „Thomas Kramer, FEANOR. Sie haben Recht, So-sho, es geht nicht um Leben und Tod.“
Mao erwiderte den Händedruck fest. „Hat Thomas Kramer, FEANOR, auch einen Dienstgrad?“
„Sicher hat er den. Captain und Chef der Arm Slaves.“
„Oh.“ Melissa Maos Lächeln erstarb. „OH! Kramer, natürlich. Ich habe Ihr Dossier gelesen.“
In Kramers Ohren klangen ihre Worte aber eher nach: Wir spielen in verschiedenen Ligen.
„Merkwürdig. Sie wirken eigentlich nicht auf mich wie jemand, der vor Rängen kuscht, So-sho“, bemerkte Kramer enttäuscht.
„Das ist es nicht!“, brauste sie auf und zog ihre Hand zurück. „Ihren Rang können Sie sich sonst wohin stecken und…“ Resignierend sah sie zu Boden. „Es ist nur so, dass mir aufgetragen wurde, besonders Sie zu testen. Sie gelten als Risikofaktor für die FEANOR.“
Thomas erstarrte. „Was… bitte? Ich gelte als Risiko?“
Mao nickte. „Entschuldigen Sie mich jetzt, Captain.“
Sie wandte sich um und ging. Zurück blieb ein sichtlich irritierter Arm Slave-Pilot, der nicht so recht wusste, was er sagen sollte. Wenn das Oberkommando ihm nicht traute oder seine Fähigkeiten anzweifelte, so sehr dass er sogar als Gefahr für das Schiff angesehen wurde, warum löste man ihn dann nicht ab? Oder war das hier so etwas wie eine Art letzter Chance?
Ein leises Krachen erklang, als das Pad seinen Fingern entglitt und auf dem Boden aufschlug. Doch Thomas achtete nicht darauf. Alle Selbstzweifel, die nagenden Fragen, jede jemals über ihm abgegebene schlechte Bewertung schlugen auf einmal über ihm zusammen. „Ich weiß selbst, dass ich nicht der Beste bin“, sagte er leise und ballte die Hände zu Fäusten. „Aber solange man mich lässt, mache ich auch meinen Dienst.“
Langsam ging er in die Hocke, klaubte das Pad wieder auf. Er brauchte jetzt einen Drink. Eine Dusche. Und Ruhe. In der Reihenfolge, aber unterschiedlich lange.
**
Johann Sander kam sich vor wie ein Idiot, als er kerzengerade aufgerichtet in seinem Sessel saß und an den Lippen des kleinen, weißblonden Mädchens hing, das im Besuchersessel saß. Das war sie also. Teresa Testarossa, die geheimnisvolle Konstrukteurin der TUATHA DE DANNAN. Das Genie. Manche gingen sogar so weit und gaben ihr den Beinamen die Heilige.
„Kurz und gut, ich war von vorne herein dagegen, dass ein zweites Schiff dieser Klasse gebaut wurde“, schloss sie.
Sander sah ihr in die Augen, was dazu führte, dass ihre ohnehin schon dünne Stimme ganz verklang. Irgendetwas schien die junge Dame einzuschüchtern, denn der Skipper eines Unterseebootes musste eigentlich über mehr Selbstvertrauen verfügen. Wenngleich ihre Intelligenz und die Schärfe ihrer Aussagen außer Frage standen.
„Und ich antworte Ihnen das, was die Admiralität Ihnen ebenfalls geantwortet hat. Wenn sich die DANNAN bewährt, wenn das Konzept erfolgreich ist, werden wir noch sehr dankbar dafür sein, ein zweites, ein drittes oder sogar ein viertes Boot dieser Klasse zu besitzen, um an den vielen Brennpunkten in dieser Welt eingreifen zu können.“
Teresa strich sich eine widerspenstige Strähne aus ihrer Stirn. „Zwei Boote, drei, vier, das erhöht vor allem das Risiko, dass eines dieser Boote zerstört wird, dass man es entert. Oder das man es nachbaut. Dazu die immens hohen Kosten von Wartung und Unterhaltung.“
„Sicherlich ein gutes Beispiel, wenn ich daran denke, dass die DANNAN vor einem halben Jahr selbst kurz davor stand, entführt zu werden“, sagte Sander nickend.
Tai-sa Testarossa wurde rot.
„Nein, so habe ich das doch nicht gemeint, Tai-sa. Ich wollte damit nur Ihre Aussage unterstützen. Es ist ja so, wenn schon das beste Schiff mit der besten Crew seiner Klasse kurz davor steht gekapert zu werden, wie soll es erst dann den anderen gehen?
Dann aber sehe ich mir diese Welt an, sehe mir an, was die DANNAN bisher erreicht hat. Und dann frage ich mich, was zwei Schiffe dieser Klasse, drei oder vier erreichen könnten.
Selbst wenn sie gegen einen Nachbau der eigenen Klasse antreten müssten, bis dahin würden unsere Schiffe über trainierte Besatzungen verfügen. Und Training, Erfahrung, gleicht vieles aus.“ Sander sah der jungen Frau direkt in die Augen. „Wie Sie bewiesen haben, sogar sehr viel, Tai-sa Testarossa.“
„S-so habe ich das nicht gemeint. Ich denke nur daran, dass die Gefahr, dass diese Hochtechnologie ungefiltert in der Welt verbreitet werden könnte…“
„Verhindern können wir es nicht wirklich. Irgendwann wird es geschehen. Wir sollten dann nur zusehen, mit der Technologie bereits genügend Erfahrungen gesammelt zu haben, um im Vorteil zu sein. Verdammt, alles was ich will ist doch nur eine Chance für meine Crew und dieses Schiff, Tai-sa!“
Testarossa zuckte zusammen. Aber schließlich nickte sie. „Gut, Captain Sander. Ich bin aus genau diesem Grund hier. Ich habe dieses Schiff erdacht und konstruiert. Ich war bei jedem wichtigen Bauabschnitt beteiligt. Wenn jemand bewerten kann, wie gut Ihre Crew damit umgehen kann, dann wohl ich.“ Sie sah auf. „Sie kriegen Ihre Chance, Captain.“
**
Kingdom Sahara war wirklich ein unangenehmer Ort. Heiß am Tag, eiskalt in der Nacht und staubig. Nicht der Platz, an dem man gerne Zeit verbrachte.
Dieser Gedanke ging Robert Hausen durch den Kopf, während er sich in seiner extragroßen Wanne in eiskaltem Wasser ausstreckte und mit der Rechten nach seinem ebenfalls eiskalten Cuba Libre angelte. Nun gut, in seinen privaten Räumen war es ganz angenehm, vollklimatisiert und mit einem annehmbaren Luxus ausgestattet. Nur der Staub war auch hier ein Problem.
„Interessant“, erklang eine Stimme neben ihm. Robert sah auf und erkannte Vicomte Vogel, einen seiner wichtigsten Geschäftspartner. „Ich hätte erwartet, dass Ihnen hier ein kleiner Harem zu Willen ist, Robert.“
Hausen grinste matt. „Projizieren Sie ihre niederen Empfindungen bitte nicht auf mich. Ich bin glücklich verheiratet. Und wenn Kingdom Sahara endlich alleine laufen kann, kehre ich nach Brasilien zurück.“
Vogel setzte sich neben die große Wanne und grinste anzüglich. „Und dort haben Sie dann Ihren Harem, Hausen?“
Missmutig verzog der das Gesicht. Der Vicomte, angeblich Nachfahre eines desertierten adligen Franzosen und seiner kambodschanischen Frau, war ein wirkliches Ärgernis. Sicher, es waren vor allem die Altbestände gewesen, die der Vicomte aufgetrieben hatte, die ihr Projekt hier mitten in der Wüste, auf der Fläche so groß wie Belgien überhaupt erst ermöglicht hatte. Überhaupt erst ein einigermaßen angenehmes Leben erlaubt hatte. Und später war es die Zubehörtechnik und die Munition für die Gernsback-Waffen gewesen, die ihn so wichtig gemacht hatten. Zumindest solange, bis er die Kontakte nach Amerika selbst übernommen hatte.
Hausen war sicher kein undankbarer Mensch und vergaß nie einen Gefallen – und der Vicomte hatte ihm Dutzende erwiesen. Sicher, dafür war er sehr gut bezahlt worden, er und seine Organisation. Aber Hausen stand nicht gerne in der Schuld eines anderen. Auch wenn es eine derart sexuell verklemmte, paranoide und von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Figur wie der Vicomte war.
Hausen winkte ab, um zu bedeuten, dass er auf die letzte Frage Vogels nicht mehr antworten würde. „Was machen die einhundert Kampfmesser, die Sie mir versprochen haben? Kongo und Zaire haben bereits erhebliche Vorauszahlungen geleistet.“
„Die Ware wird wie vereinbart eintreffen. Ich halte meine Lieferzusagen“, stellte der Vicomte pikiert fest. Weil Hausen das Thema gewechselt hatte oder weil er es gewagt hatte, am Termin zu zweifeln, konnte Robert nicht auf Anhieb sagen. Bei dem Psychopathen wohl ein wenig von beidem.
„Gut. Und was macht Ihre heiß geliebte Toybox?“
Vogels Miene verkrampfte sich. Ein gieriger Zug bildete sich darauf. Toybox war der Codename für eine neuartige Technologie, in die Hausen oberflächlich eingeweiht worden war. Eine experimentelle Unterseeboot-Klasse, die als Träger für Jäger und Arm Slaves fungieren konnte. Ein interessanter Gedanke.
„Die Toybox Nordatlantik befindet sich soweit ich weiß kurz vor ihrem letzten Test. Es wird nicht mehr lange dauern und sie wird auf Kingdom Sahara aufmerksam werden. Der Überflug der Drohne von der HOUSTON ist ein eindeutiges Zeichen.“
Hausen nickte knapp und stellte sein leeres Glas auf den Wannenrand. So ganz gefiel ihm die Geschichte nicht. Er und seine Leute, allen voran General Feysal, der als Schattenpräsident ihres fiktiven Staates agierte, verdienten hier gutes Geld. Und würden auch in Zukunft gut an der Gier nach modernen Waffen in Afrika und später in Asien verdienen. Das sie der Toybox hier quasi eine Falle stellten, ihre Waffen offen präsentierten und darauf warteten, dass ihre Arm Slaves hier zuschlugen und sie ihrerseits zupacken und die Angreifer enthaupten konnten, war ein zweischneidiges Schwert. Die Verteidigung der Basis bestand aus automatischen Raketenbatterien, T72-Panzern sovietischer Bauart sowie Infanterie und RK-72 Savages. Nicht den neuesten Modellen der sovietischen Arm Slaves, aber auch nicht den Ältesten.
„Wir rechnen in etwa einer Woche mit ihnen“, setzte Vogel seinen Bericht fort. „Deshalb schicken meine Auftraggeber einen Venom rüber, der uns bei der Verteidigung helfen wird. Keine Angst, wir rechnen nur mit vier, maximal sechs Gernsback. Das ist nichts, was wir nicht schaffen können.“
Hausen dachte da anders, sagte aber nichts. Genauso gut konnte die Toybox auch einfach ein paar Cruise Missiles schicken und das Gelände großflächig bombardieren. Zwar waren die meisten Anlagen unterirdisch angelegt, aber ein geschickter Treffer während einer Verladeaktion konnte erhebliche Verwüstungen anrichten.
„Zeitgleich werden unsere gemieteten Verbündeten die Toybox im Atlantik aufbringen und entweder zerstören oder entern. Ohne diesen Support sitzen die Arm Slaves sowieso auf dem Trockenen. Es ist an alles gedacht.“ Vogel lächelte gewinnend. In dem von Paranoia zerfressenen Gesicht des Asiaten wirkte es beängstigend.
„Keine Planung übersteht den Kontakt mit dem Feind“, schloss Hausen und ließ sich tiefer in die Wanne sinken.
„Wir haben an alles gedacht“, wiederholte Vogel. Deshalb wurde es aber nicht mehr glaubwürdig.

3.
„Und? Was hast du so gemacht, Sam?“
„Garantiert mehr als du, Tim. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dass es einen Aufruhr in der Altstadt von Rhodos gegeben hätte“, spottete die Arm Slave-Pilotin. „Und auf jeden Fall war es spannender als das, was unser lieber Thomas der Heilige unter Freizeit versteht.“
„Verstehe. Du warst golfen“, neckte der Hubschrauberpilot die Kameradin.
Ein scharfes Achtung enthob sie einer Antwort. Die Offiziere und Mannschaften im Besprechungsraum sprangen auf. Der Skipper und Colonel Santos betraten den Raum, gefolgt von einer fremden Arm Slave-Pilotin und einer jungen – sehr jungen – Offizierin.
„Du, wer ist das denn?“, hauchte Sam und deutete auf das Mädchen mit dem langen Zopf.
„Nun, wenn die Abzeichen stimmen, dann ist das wahrscheinlich Tai-sa Teresa Testarossa, die Kapitänin der TUATHA DE DANNAN.“
„Kapitänin? Sie sieht so jung aus.“
„Sie ist auch jung“, raunte Timothy zurück. „Angeblich noch nicht einmal volljährig. Aber sie ist DAS Genie bei Mithril, habe ich gehört.“
„Was?“ Erschrocken war Samantha Rogers herum gefahren.
„Ruhe!“, zischte Kramer von vorne scharf.
Betreten senkte Rogers den Kopf.

„Ladies und Gentlemen, wir haben einen Auftrag.“
Stille folgte der Ankündigung des Skippers, wurde aber schnell ersetzt von Jubel. Endlich ging es für die FEANOR los. Endlich durften sie zeigen, dass sie ihren Sold nicht umsonst bekamen.
„Tai-sa Testarossa, bitte erweisen Sie uns die Ehre und leiten diese Besprechung.“
Die junge Frau nickte. Hinter ihr erwachte die Leinwand zum Leben. Satellitenaufnahmen und Schrägaufnahmen einer Drohne erschienen, wechselten einander ab und wurden von computeranimierten Bildern abgelöst. „Was Sie hier sehen ist der Hauptumschlagplatz für Waffen des Kingdom Sahara. Mithril vermutet, dass von hier aus zwei Drittel des Waffenhandels mit dem schwarzen Kontinent erfolgen. Vor allem mit Verbesserungspacks für M9 Gernsback, mit denen Savages aufgerüstet werden können.“
Ein erschrockenes Raunen ging durch den Saal.
„Kingdom Sahara ist schwach befestigt, das gilt aber nicht für die Verteidigung des Hauptumschlagplatzes. Wir rechnen mit automatischen Raketenbatterien, hoch gerüsteten Savages und T 72-Kampfpanzern. Eine bisherige Zählung ergab zehn Savages und etwa zwanzig Panzer. Dazu kommt eine Kompanie Infanterie.“
Tai-sa Testarossa sah in die Runde. „Wir werden diesen Waffenhandel unterbinden.“
Spontaner Applaus erklang. Das war Mithril. Dafür waren sie alle eingetreten. Nun, die meisten zumindest.
„Der Plan sieht wie folgt aus“, übernahm Kramer die Besprechung. „Wir werfen die acht M9 mit Langstreckentransportern vom Typ Airbus über der Basis ab. Danach vernichten wir alles, was sich uns entgegen stellt. Anschließend ziehen wir uns Richtung Ozean zurück. Wir müssen für den Rückweg knapp eintausend Kilometer zurücklegen, dies durch teils unwegsames Gelände, bevor uns das Hubschrauberteam der FEANOR aufnehmen kann. Zu diesem Zeitpunkt kreuzt die FEANOR bereits dicht vor der afrikanischen Küste und nimmt uns auf. Dies ist der Idealablauf der Operation.“
Hinter Thomas wechselten die Bilder und zeigten einen simulierten Schlag mit Harpoon-Raketen. „Sollte der Widerstand heftiger sein als wir erwartet haben oder sollten wir unsere Ziele nicht erreichen können, werden sich die M9 zurückziehen und der ranghöchste Offizier wird ausgewählte Ziele für einen Luftschlag markieren. Wir haben Befehl, dies auch zu tun falls die Situation es erfordert. Selbst wenn sich noch Piloten oder Arm Slaves in der zu beschießenden Region befinden.“
Wieder ging ein Raunen durch den Saal. Diesmal erschrocken.
„Und für den allergrößten Notfall stehen uns noch Lieutenant Valeri und seine Super Harriers zur Verfügung, die ab ungefähr eintausendzweihundert Kilometern vor der Küste unseren Rückzug decken können. Noch Fragen?“

Als sich niemand zu Wort meldete, nickte Tai-sa Testarossa und übernahm ihrerseits wieder. „Dies wird die Feuertaufe für die FEANOR. Nein, das ist falsch formuliert. Mit diesem Auftrag steht und fällt die Entscheidung, ob dieses Schiff und seine Crew einsatzbereit sind. Wir haben hier die Chance, einen erheblichen Teil des illegalen Waffenhandels in Afrika zu unterbinden. Aber vielleicht nur diese eine Chance. Wir müssen sie nutzen. Zeigen Sie mir und So-sho Mao Ihre Professionalität. Danke.“
Spontan wurde wieder applaudiert.
Johann Sander trat vor. Er musterte die Anwesenden. „Sie alle haben Tai-sa Testarossa gehört. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dem Kommando Nordatlantik keine Schande machen. Die FEANOR bricht in zwei Stunden auf. Bis dahin werden die M9 entladen und auf das Flugfeld der Styx-Basis geschafft worden sein. Sie brechen zehn Stunden nach uns auf. Besprechung beendet.“
Geschäftige Hektik brach aus und kurz darauf leerte sich der Besprechungsraum bis auf fünf Leute.
Miguel Santos klopfte Kramer aufmunternd auf den Rücken. „Keine Sorge, Thomas. Wir werden die ganze Zeit einen Satelliten über euch parken und quasi live mitkriegen, was Ihr so anstellt. Wir können jederzeit eingreifen, wenn es sein muß.“
„Das beruhigt mich jetzt“, brummte der Arm Slave-Pilot amüsiert. „Ich denke, wir schaffen das schon.“
Verwundert registrierte er den sorgenvollen Seitenblick von So-sho Mao. Und übergangslos schlugen die Selbstzweifel wieder über ihm zusammen. Nur mit Mühe konnte er sie an den Rand seines Bewusstseins drängen. „Entschuldigen Sie mich, Colonel, Skipper, Tai-sa, So-sho, aber ich muß meinen Gernsback von Bord bringen.“

„Ich sage es nicht gerne“, erklang Maos Stimme, nachdem Kramer den Raum verlassen hatte, „aber ich habe das Gefühl, wir sehen ihn nicht wieder.“
Teresa Testarossa sah betreten zu Boden. „Ich habe auch ein schlechtes Gefühl bei dem Einsatz.“
Johann Sander räusperte sich. „Nun, meine Damen, ich denke, die nächsten beiden Tage werden Sie von zwei Dingen überzeugen. Erstens von der Einsatzbereitschaft von Schiff und Crew. Und zweitens von Thomas Kramer. Ich habe vollstes Vertrauen zu ihm. Er wurde von mir persönlich für dieses Kommando ausgesucht.“
„Und?“, hakte Mao nach. „Vertrauen Sie Ihrer Entscheidung?“
Ein spöttischer Zug spielte um Sanders Lippen. „Ich stehe zu jeder meiner Entscheidungen, So-sho.“
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Das Airbustransporter-Pärchen war von Styx gestartet, an Bord befanden sich jeweils vier Arm Slaves. Der Flug würde fünf Stunden dauern, dann begann der Abwurf.
Sie würden getarnt abspringen, sofern nicht gerade ein Sandsturm über diesem Teil der Sahara tobte und unangreifbar sein, solange sie nicht kämpften. Aber Tai-sa Testarossa hatte nicht ohne Grund darauf hingewiesen, dass einer der mit der Partikeltarnung ausgerüsteten Hubschrauber geortet und abgeschossen worden war. Wenn die geheimnisvolle Terrororganisation Amalgam auch hier ihre Hände im Spiel hatte, war ihre Tarnung vielleicht nicht so wertvoll, wie er hoffte.
Thomas streckte sich aus und versuchte ein wenig Schlaf zu finden. Ein Kunststück bei dem Fluglärm. Militärische Maschinen waren grundsätzlich aus Kostengründen nicht schallisoliert, somit dran der Krach der Turbinen ungedämmt bis zu ihm und den anderen drei Piloten durch. Thomas hatte sich schon Oropax in die Ohren gestopft. Aber das half nicht wirklich viel.
Eigentlich wäre es seine Pflicht gewesen zu schlafen, jede Minute der fünf Stunden zu nutzen, um im entscheidenden Moment fit zu sein, aber abgesehen vom Höllenlärm der Turbinen gab es auch noch eine Menge Krach in seinem Innern, der ihn ablenkte. Der letzte Blick von Melissa Mao gab ihm zu kauen, den sie ihm zugeworfen hatte, kurz bevor die FEANOR ausgelaufen war.
„Beruhige dich, Junge. Sieh es mal nicht als Prophezeiung für die Zukunft. Sieh es lieber als das besorgte Interesse einer schönen Frau.“
„Welche schöne Frau, Captain?“, fragte Corporal Yasmin Smith nach, die einzige Frau in seinem Vierertrupp.
Scheiße, hatte er etwa laut gesprochen? „Geht Sie nichts an“, brummte er kurz angebunden.
Leider hatte er damit Öl ins Feuer gegossen, denn die braunhaarige Arm Slave-Pilotin sah sich nun mit glänzenden Augen zu ihren Kameraden um. „Hey, der Alte ist verknallt!“
Yussuf Ben Brahim, ihr Flügelleader, rutschte erschrocken von seinem Sitz. „Was, bitte?“
Sergeant Cyrus Doherty, sein eigener Flügelmann, starrte ihn mit offenem Entsetzen an. „Ihr lieben Götter, bitte lasst es nicht Sam Rogers sein. Bitte, bitte, Thomas, versprich mir, dass es nicht Sam Rogers ist!“
„Es ist NICHT Sam Rogers!“, blaffte Thomas wütend und hätte sich am liebsten dafür selbst in den Arsch gebissen. Na toll, noch mehr Öl ins Feuer!
„Und ich bin NICHT verknallt“, fügte er halbherzig hinzu.
„Hm. Schade. Wenn es nicht Sam ist, wer kommt dann noch in Frage?“, begann Jasmin zu spekulieren und hatte in den anderen beiden Piloten willige Gehilfen.
„Wie wäre es mit Allister? Sie ist zwar reichlich unterkühlt, aber es gibt Männer, die stehen auf so eine Frau“, half Yussuf aus.
„Nein, ich denke da eher unsere Bordärztin. Immer, wenn der gute Thomas verletzt ist, braucht sie ziemlich lange, um ihn wieder zusammen zu flicken“, brummte Cyrus.
„Nein, nein, nein, ich schätze eher, es ist eine von unseren Gästen. Aber welche? Die liebliche Tai-sa Testarossa vielleicht?“
„S-seit wann stehe ich auf Kinder?“, rief Kramer entsetzt.
Jasmin winkte gönnerhaft ab. „Ach, diese acht oder neun Jahre Altersunterschied sind doch in Ordnung. Außerdem hat die liebe Tessa schon soviel erlebt, dass sie längst erwachsen ist. Und sie ist ja auch niedlich, oder?“
Thomas spürte wie er rot wurde und sah zur Seite.
„Hm, nein, wie wäre es mit So-sho Mao?“, warf Cyrus ein. „Sie ist gewalttätig, habe ich mir sagen lassen. Regelt Konflikte bei ihren Leuten gerne mit den Fäusten und so. Abgesehen davon dass sie bildhübsch ist – manche Männer stehen auf die dominante Art.“
Thomas faltete die Hände und begann zu beten.
„Betest du für Liebesglück, Chef?“, fragte Jasmin grinsend.
„Nein, für Raketenbeschuss. Dann hört Ihr vielleicht endlich auf!“
Die anderen Piloten lachten.
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„Falke eins an alle Falken: Bereitschaftsmeldungen zu mir.“ „Falke zwo bereit.“ „Falke drei bereit.“ „Falke vier bereit.“ „Falke fünf bereit.“ „Falke sechs bereit.“ „Falke sieben bereit.“
„Falke acht bereit.“
„Bestätigt. Lademeister, lasst die Falken fliegen.“
„Bestätigt, Falke eins. Erreichen Zielgebiet in zehn… neun… acht…“
Unwillkürlich krampften Thomas Kramers Hände um die Steuerung seines Arm Slaves. Das war der Moment kurz bevor ein Einsatz begann. Kurz bevor geschossen wurde, bevor er entschied, wann er welche Waffe wie und wo einsetzte. Kurz bevor er sein eigenes Leben und das seiner Leute riskierte.
„Zwo… eins… Abwurf!“
Ein Ruck ging durch seinen Arm Slave, als die Airbus ihn abwarf. Auf einem Hilfsmonitor verfolgte er den gleichen Vorgang beim Schwesterflugzeug. Falke fünf alias Lieutenant Rogers wurde als Erste abgeworfen. Der Arm Slave verschwand von der optischen Erfassung, als sie die Tarnung aktivierte.
Danach kamen die anderen sechs Arm Slaves des Kommandos und absolvierten das gleiche Spiel.
Sie fielen bis auf etwa dreihundert Meter Tiefe, bevor die Computer die Gleitschirme auslösten. Zu diesem Zeitpunkt suchten die hochempfindlichen Kameras schon nach bereits identifizierten und neuen Zielen. Sein Arm Slave markierte auf Anhieb zehn Raketenstellungen, fünf Savages sowie drei T 72. Der Computer gab ihnen automatisch Codebezeichnungen und kommunizierte mit den Computern der anderen Einheiten. Danach erschienen weitere acht Savages auf dem Bildschirm, wurden elf weitere Raketenstellungen eingezeichnet.
Ein Alarmsignal erklang. Kramer wurde von aktiver Ortung getroffen. Also doch! Amalgam!
„Wir sind aufgeflogen, Falken. Angreifen nach Plan!“
Yussuf Ben Brahim, Falke drei, begann sofort mit dem Snipergewehr auf die Raketenstellungen zu feuern. In der Gruppe von Falke fünf war die sieben, Sandra Ciavati, die Sniperin.
Mit präzisen Schüssen hatten sie bald die meisten Raketenstellungen ausradiert, bevor diese ihrerseits feuern konnten.
Denn nur sie und die Savages konnten auf diese Bedrohung reagieren. Die T 72 hingegen konnten erst feuern, wenn sie im Neigungswinkel ihrer Bordwaffen auftauchten.
Nun war es auch an der Zeit für Kramer, sein Gewehr einzusetzen. Links und rechts von ihm zog das Waffenfeuer von zwei Savages vorbei, traf aber nicht. Er erwiderte den Gruß und zerschoss den ersten Savage auf Anhieb. Danach löste er den Fallschirm, fiel über fünf Meter zu Boden, brachte sich aus der Reichweite des zweiten Savage. Die Modelle benutzten Gewehre für den Gernsback, konnten ihm also gefährlich werden.
Allerdings auch die veralteten Panzerfäuste, die von den Savages verschossen wurden. Über ihm explodierte eines dieser Dinger, ungefähr an der Stelle, wo er sich noch befunden hätte, wenn er die Knie seines M9 nicht einem harschen Belastungstest unterzogen hätte. Die Tarnung flackerte unter dem aufgewirbelten Staub und der Arm Slave-Pilot deaktivierte sie ganz.
Thomas wirbelte herum, feuerte seine Waffe erneut ab, durchlöcherte den Savage. Zum Glück waren die Waffen, aber nicht die Panzerung hochgerüstet.
Ein Bodenfahrzeug, einem amerikanischen Humvee ähnlich, fuhr ausgerechnet neben ihm in Stellung. Es richtete zwei Raketen auf Ben Brahim aus.
Die am Kopf montierten MGs bellten mehrfach auf, perforierten Fahrzeug und Raketen. Kurz darauf verging es in einer Explosion.
„Die großen Jungs sollte man eben nicht ignorieren!“, raunte er wütend und rief sich einen Bericht über die Lage auf. Keiner seiner Leute war ernsthaft beschädigt. Im Gegenzug hatten sie aber schon fünf Savages, fünfzehn Raketenstellungen und acht Panzer ausgeschaltet. Zudem führte Falke fünf seinen Trupp schon zu den Lagerhallen, um dem Waffenhandel ein effektives Ende zu setzen. Es machte Thomas stutzig. So leicht konnten die Waffenhändler es den Söldnern von Mithril doch nicht machen. Oder doch?

„Vorsicht!“, gellte ein scharfer Ruf über die Funkleitung auf. Obwohl das Codewort Falke eins nicht fiel, wusste Thomas mit sicherem Instinkt, den man nur über Jahre harten Trainings erwerben konnte, dass er gemeint war. Er warf seinen Arm Slave herum und entging damit einem Messerangriff eines Savage.
Die gedrungen wirkende, an einen altertümlichen Taucheranzug erinnernde Gestalt verfehlte ihr Ziel, glitt an seinem M9 vorbei und stolperte ein paar unsichere Schritte.
Thomas Kramer grinste schief, zog sein eigenes Kampfmesser und rammte es dem hilflosen Arm Slave in den Rücken. Aus der Bresche schlagende Funken verkündeten vom Ende des Gegners.
„Danke, Falke fünf“, sagte Thomas erleichtert.
„Jederzeit wieder, Heiliger.“
Er grinste freudlos. Nur weil er nicht so viel von Partys, Kneipen und Saufen hielt, war er doch noch kein Heiliger. Wie Sam da nur immer drauf kam, war ihm rätselhaft.
„Falke eins an alle Falken. Zwischenbericht.“
„Falke zwei, Gefechtsziele erreicht. Arbeite mich auf die unterirdische Lagerhalle zu.“
„Falke drei, bekämpfe Savage.“
„Falke vier, vernichte gerade die letzte zugewiesene Raketenstellung.“
„Falke fünf, verwüste gerade unterirdische Lagerhalle.“
„Falke sechs unterstützt Falke fünf.“
„Falke sieben unterstützt Falke fünf.“
„Falke acht, im Clinch mit zwei T 72.“ Eine Explosion erklang. „Korrigiere, mit einem T 72.“
„Nicht übermütig werden, Falken. Wir sind hier draußen ohne Unterstützung. Wenn etwas schief läuft, kann es uns allen das Leben kosten.“
„Was sollte hier denn noch schief laufen?“, beschwerte sich Sam Rogers. „Wir haben fast alle Gegner ausgeschaltet und die Gefechtsziele erreicht. In drei Minuten sind wir hier raus.“
Thomas wollte etwas darauf erwidern. Die Erfahrung zeigte nur zu oft, dass unbegründete Selbstsicherheiten zu Fehlern führten, die ansonsten vermieden worden wären. Und diese Fehler summierten sich, führten zu Ausfällen und letztendlich zu Verlusten.
„Trotzdem die Augen offen halten, Falken. Dass mir niemand in ein Minenfeld stolpert. Falke zwei, pass auf den Himmel auf. Ich habe keine Lust, plötzlich mit MiG spielen zu müssen.“
„Verstanden, Falke eins. Und da habe ich auch schon was. In achthundert Metern Höhe passiert uns eine Transportmaschine, eine deutsche TransAll.“
„Aktivitäten?“ „Keine erkennbar. Ich würde mir auch keine Sorgen machen. Seit die Luftwaffe die neuen Airbustransporter bekommen hat, wurden die alten Transporter für nen Appel und ein Ei in die halbe Welt verscheuert.“ Dohertys Worte sollten ihn beruhigen, aber stattdessen meldete sich ein sehr negatives Grummeln in seinem Magen.

Thomas führte seinen aktuellen Angriff fort, vernichtete eine Raketenstellung und überzeugte anschließend mit Hilfe der beiden Schnellfeuerkanonen am Kopf einen Zug Infanterie davon, nicht in den Kampf einzugreifen. Es war eher Zufall, dass er gerade in dem Augenblick in Richtung eines aufflackernden Großbrandes sah, als eine riesenhafte Gestalt die Flammen und den Rauch durchbrach.
Hastig spulte er die automatische Aufzeichnung des Arm Slave zurück und ließ sie verlangsamt ablaufen. Für einen Moment fühlte er sich, als würde eine eiskalte Hand nach seinem Herzen greifen. „ABBRUCH! ABBRUCH! SAMMELN AUF NAV OSCAR!“
„Falke zwei bestätigt!“ „Falke drei und vier bestätigt.“ „Falke fünf und sechs bestätigt. Was ist passiert, Falke eins?“
„Falke sieben und acht bestätigt.“
„Neuer Spieler auf dem Platz, ich wiederhole, neuer Spieler auf dem Platz! Wir ziehen uns sofort zurück! Aktiviert die Tarnung und dann Laufschritt hier raus!“
Thomas checkte seine Anzeigen und sah dass sein Flügelmann bereits die Partikeltarnung aktiviert hatte. Für die normale Optik verschwand er spurlos.
Thomas bewegte seinen M9 rückwärts, die Waffe im Anschlag.
„Du sollst mich nicht sichern, Falke zwei! Schließ zu Falke fünf auf und verschwinde mit den anderen!“, blaffte er seinen Flügelmann an.
Zögernd gab der M9-Pilot seine Feuerschutzstellung auf und lief zu den anderen sechs Arm Slaves, die sich bei einem brennenden Depot sammelten.
„Falke eins, wer ist der neue Spieler? Müssen wir wirklich vor dem kuschen?“
„Der Befehl wird nicht diskutiert!“, blaffte Thomas. „Sobald die Schäfchen alle beisammen sind, verschwinden Sie, Falke fünf! Ich folge nach, sichere aber nach hinten!“
„Nur die Ruhe, wir setzen uns bereits langsam ab, damit Falke zwei aufholen kann. Ich kann aber nichts orten.“
„Der neue Spieler verfügt über die Tarnung!“, sagte Thomas ungewöhnlich scharf. Er starrte auf den Hilfsmonitor, auf dem eine Momentaufnahme eingefroren war. Die Asche des Feuers hatte die Tarnung des neuen Spielers aufgehoben und ihn partiell sichtbar werden lassen. Der Arm Slave war nur wenig kleiner aus die Gernsbacks, jedoch noch schlanker, graziler. Sein Hauptaugenmerk aber war der mehrere Meter lange Zopf, den der Arm Slave am Hinterkopf trug. Wie Thomas wusste, eine besondere Vorrichtung für Ortungsaufgaben und ein paar Feinheiten, die noch nicht vollkommen erfasst waren. Wahrscheinlich war er auch Teil der Vorrichtung zur Aktivierung eines Lambda Drivers.
„Der neue Spieler ist höchstwahrscheinlich ein Venom“, nannte Thomas die Codebezeichnung des brandgefährlichen Arm Slaves, „und verfügt über einen Lambda Driver! Damit ist er uns haushoch überlegen.“
„Lambda Driver und Tarnung? Wir sitzen in der Tinte!“
„Funkdisziplin, Falke sieben! Okay, Falke eins, du glaubst doch nicht, dass wir dich mit so einem Monster alleine lassen? Wir geben dir Feuerschutz!“
„Habt Ihr es denn noch immer nicht kapiert? Ihr könnt ihn nicht beschädigen! Ihr seid nur Kanonenfutter für solch eine Bestie!“
„Und was macht dich zu einem besseren Kanonenfutter?“, blaffte Sam Rogers zurück.
In diesem Moment gab Thomas seine Position auf, sprintete zur Gruppe der anderen Arm Slaves, als er meinte lange genug die Aufmerksamkeit des getarnten Gegners auf sich gezogen zu haben.
Wie sehr er sich irrte erkannte er, als sich der Venom hinter Falke zwei enttarnte und mit seiner Armwaffe einen Schuss durch dessen Eingeweide jagte.
„ARH!“
„CYRUS! Verdammt, der Venom ist hier!“
Versagt, hämmerte es hinter seiner Stirn. Anstatt den Venom auf sich zu ziehen hatte er dem Gegner erlaubt, sich seinen Leuten zu nähern.
„Du Arsch!“, blaffte Sam Rogers, hob ihr Gewehr und gab einen gezielten Schuss ab.
„NICHT!“ Fassungslos sah Thomas dabei zu, wie die Kugel des riesigen Arm Slave-Gewehrs in der Luft gestoppt wurde, als wäre die Zeit eingefroren worden. Rund um die Kugel begann sich die Luft zu verfärben, Wellen zu werfen. Und dann… Dann jagte die Kugel mit einem Vielfachen ihrer Geschwindigkeit zurück zu Sam.
Der Arm Slave verschwand in einer Eruption aus Staub und Licht.
„SAM!“, brüllte jemand. Thomas konnte nicht erkennen wer es gewesen war, vielleicht sogar er selbst.
Automatisch feuerte er eine Serie von fünf Schuss ab, alle wurden auf die gleiche Art gestoppt wie die Schüsse von Rogers. Aber Thomas hielt seinen Arm Slave in Bewegung, führte ihn schräg am Venom vorbei. Dadurch wurde er von den reflektierten Kugeln nicht getroffen.

„Sieh an, sieh an. War doch ne gute Idee, dass ich heute schon hergekommen bin“, erklang eine kalte Stimme über Funk. „Sonst wäre mir ja glatt die Party hier durch die Lappen gegangen.“
Der Venom wandte sich Thomas zu, was dieser zufrieden zur Kenntnis nahm. Zwei seiner Arm Slaves waren ausgefallen, er wusste nicht wie es um die Piloten stand. Seine oberste Pflicht war es nun, den anderen zu ermöglichen, nach Navigationspunkt Oscar zu entkommen.
Selbst wenn er dafür starb, Mithril bezahlte ihn deswegen.
Thomas fühlte sich vom Venom fixiert. Er hielt dem Gernsback an, zog das Kampfmesser vom Rücken. Dabei dachte er fieberhaft nach.
„Falke eins, hier Falke drei. Ich habe Falke fünf aus dem Cockpit geholt. Sie ist bewusstlos und wahrscheinlich verletzt.“
„Sofort zurückziehen.“ „Was ist mit Falke zwei?“
Thomas betrachtete den zerfetzten Trümmerhaufen, der einmal Cyrus gehört hatte. Unmöglich, dass jemand daraus entkommen war. „Sie haben Ihre Befehle, Sergeant!“
Nun geht endlich, geht!, hämmerte es in seinen Gedanken.
„Interessant. Willst du spielen?“, erklang wieder die Stimme des Venom-Piloten. Er zog sein eigenes Kampfmesser und wog es nachdenklich. Dann ging der Venom auf Thomas zu. „Warum nicht?“
Seine Leute setzten sich endlich ab. In der linken Hand von Falke drei, Yussuf Ben Brahims Arm Slave, lag die bewusstlose Amerikanerin.
„Viel Glück“, knurrte Thomas. Vor seinen Leuten lag ein weiter Weg über tausend Kilometer bis zum Pickup-Point über Geröll, durch Sandwüste und ohne Vorräte, was über die Notausrüstung hinausging. Wenn sie verfolgt wurden konnte diese Strecke schnell unendlich werden.
Der Venom rückte vor, griff frontal mit seinem Messer an. Thomas blockte und registrierte erleichtert, dass der Lambda Driver im Moment nicht aktiv war. Das war wohl auch der einzige Grund dafür, dass er noch stand. Beziehungsweise sein Arm Slave noch existierte.
Ein Lambda Driver wurde durch die Emotionen des Piloten gesteuert. Die Emotionen und der Wille. Wenn der Wille stark genug war, konnte nichts und niemand einen Lambda Driver überwinden. Wenn der Hass oder die Wut groß genug war, konnte eine Kugel, die mit Hilfe eines Lambda Drivers aufgeladen und abgeschossen wurde, so gut wie alles vernichten.
Thomas gab dem Druck des Venom nach, ließ ihn an sich vorbei laufen und wandte sich um, rannte zu einer brennenden Lagerhalle.
Der Venom fing sich, verfolgte ihn. „Oi, Kleiner. Du machst es aber spannend. Ins Feuer willst du, damit meine Tarnung nicht funktioniert? Wer hat dir denn erzählt dass ich für dich die Tarnung brauche?“
Thomas steuerte den M9 direkt in die Flammenhölle hinein. Es wurde Munition gelagert. Stellenweise ging sie bereits hoch und entzündete weitere Kisten. Ein ungeschützter Mensch wäre hier regelrecht zersiebt worden.
Der Venom folgte ihm ohne zu zögern.

In der Mitte der Halle stellte sich Thomas erneut mit dem Kampfmesser. Der Venom nahm an und einen Augenblick später musste sich der Deutsche wieder in seinen Block stemmen, damit er nicht zusammen fiel.
„Langweilig. Hast du nichts Besseres zu bieten?“, fragte der Venom-Pilot.
Thomas sah den langen Schweif aufleuchten. Sein Gegner wollte den Lambda Driver einsetzen. Er grinste kalt. „Eins vielleicht.“
Er brachte den linken Arm hoch, in dem er die Hauptwaffe gehalten hatte. Dann richtete er sie auf den Boden und feuerte mehrere volle Salven ab.
Als der Boden unter ihnen merklich nachgab, sprang Thomas mit seinem Gernsback zurück. Der Venom brach durch den Boden in den darunter liegenden getarnten Schacht zum unteren Teil des Lagerhauses.
Dann jagte er eine weitere Salve in die brennenden Munitionskisten, woraufhin auch die Kisten, die noch nicht brannten, explodierten.
Bevor er durch die Rückwand brach, feuerte er eine letzte Salve in die Decke. Das malträtierte Stahlgebilde gab knirschend nach und krachte schließlich in sich zusammen, während die Munition explodierte.

Er warf den Gernsback herum, lief auf die Position zu, an der Falke zwei lag.
Aber auf den ersten Blick erkannte er, dass seine Einschätzung richtig gewesen war. Er konnte Cyrus nicht mehr helfen. Also vernichtete er die Überreste des zerstörten Gernsback mit einer gezielten Salve. Ebenso verfuhr er mit den traurigen Resten von Samanthas M9.
Thomas wusste nicht, wie lange er den Venom gestoppt hatte, deshalb musste alles Weitere nun schnell gehen. Die voll modellierten Hände seines M9 durchbrachen die Wand einer weiteren Halle. „Jackpot“, knurrte er grimmig, als die Kisten mit Rotkreuz-Aufdruck in Sicht kamen. Daneben lagerten fertig gepackte Ausrüstungen. Und schließlich und endlich stieß er auch noch auf Notrationen. Mit vier der Kisten in den Händen des M9 aktivierte er seine eigene Tarnung und setzte sich ab.
„Verdammt, der Skipper reißt mir den Kopf ab“, fluchte er unbeherrscht und dankte der Wüste dafür, dass sie die tolle Eigenschaft hatte, dass es in ihr so selten regnete. Regen konnte seine Tarnung aufheben.

4.
„Skipper!“ Miguel Santos stürmte auf die Brücke der FEANOR. In seiner Hand hielt er einen Packen Ausdrucke. „Die Satellitenbilder sind da!“
Die Köpfe der Anwesenden ruckten herum. Und erst jetzt schien Colonel Santos zu bemerken, dass nicht nur das reguläre Personal anwesend war.
„Oh, Tai-sa Testarossa. So-sho Mao.“
Johann Sander hielt fordernd die Hand auf. „Bringen Sie gute Nachrichten, Colonel?“
„Ich bringe gute und schlechte. Die gute zuerst. Offenbar wurden neunzig Prozent der Gefechtsziele erreicht.“
„Na, das ist ja immerhin was“, brummte der Skipper und besah sich die Bilder.
„Die schlechte ist, dass ein Arm Slave vom Typ Venom während der Operation über dem Gelände abgeworfen wurde. Wir… Wir haben zwei verifizierte Verluste. Des Weiteren wissen wir nichts über den Verbleib von Captain Kramer. Die Rauchentwicklung über dem Gelände war zu stark, um sie mit Radar, Optik oder Infrarot zu durchdringen.“
„Ein Venom?“ Tai-sa Testarossa sah die beiden Männer erschrocken an.
„Und dann nur zwei, maximal drei Verluste? Kramer muß seine Hausaufgaben gemacht haben“, stellte So-sho Mao fest. „Wenn ich daran denke, wie oft die Arm Slaves mit Lambda Driver mit uns normalen Piloten den Boden aufgewischt haben…“
Sander hob fragend eine Augenbraue.
„Ihr Mann hat anscheinend die richtigen Entscheidungen getroffen und seine Einheit raus gebracht, bevor der Venom ein wirkliches Gemetzel anrichten konnte. Außerdem wurde der Großteil der Anlage vernichtet“, erklärte Melissa Mao ihre Bemerkung.
Sander nickte bedächtig. „Position, Ms. Allister?“
„Wir passieren gerade Casablanca, Skipper.“
Sander erhob sich von seiner Position. „Ich nehme an, wir wissen nichts über den Verbleib des Venoms.“
Santos schüttelte bestimmt den Kopf.
„Also gehen wir davon aus, dass wir die restlichen Arm Slaves aus einer heißen Zone rausholen müssen.“ Er ging zur Front. „Karte, bitte.“
Auf dem Hauptschirm wechselte die Ansicht zu einer Karte von Westafrika. Die Position der Einsatzgruppe, die Grenzen von Kingdom Sahara sowie die anderen angrenzenden Staaten waren eingezeichnet, ebenso der bereits absolvierte Kurs sowie die noch abzufahrende Strecke für die FEANOR.
„Wie lange noch bis zu unserem Auftauchpunkt? Wie lange noch, bis wir die Hubschrauber bis zum Pickup schicken können?“
„Sir, achtzehn Stunden. Danach brauchen die Piloten je nach Wetterlage acht bis zehn Stunden bis zum Pickup.“
Johann Sander musterte die Karte angestrengt. „Wir haben den Punkt vor der Marokkanischen Küste deshalb ausgewählt, weil es die kürzeste Strecke für unsere Hubschrauber ist. Die Arm Slaves bewegen sich auch auf einer gedachten geraden Linie auf Fluchtkurs auf diese Position zu, sodass, falls sie langsamer sind, notfalls leicht gefunden werden können. Früher zu starten bedeutet nur Treibstoff zu verschwenden. Ms. Allister, wir beschleunigen.“
„Aye, Skipper. Ruder, volle Kraft voraus.“
„Aye, Aye, volle Kraft voraus.“
Sander warf Tai-sa Testarossa einen versteckten Blick zu. Wie nahm sie seine Entscheidung auf? Wertete sie sie als gut oder schlecht? Wertete sie den Einsatz als misslungen?
Sander fühlte sich unwohl dabei, dass ausgerechnet diese Frau ihn bewerten sollte. Dabei machte ihm weniger ihre Jugend zu schaffen als die Tatsache, dass sie die TUATHA DE DANNAN bereits seit über einem Jahr äußerst erfolgreich kommandierte. Abgesehen davon, dass sie die DANNAN-Klasse entwickelt und den Bau betreut hatte. Vor ihr fühlte er sich gläsern und seine Entscheidungen auf dem Seziertisch.
Er seufzte schwer. „Sie haben die Brücke, Ms. Allister. Lieutenant Colonel Santos, wir sollten über die Ausweichpläne sprechen, am besten beim Abendessen. Tai-sa, So-sho, wollen Sie uns Gesellschaft leisten?“
Achtzehn Stunden, durch die Beschleunigung holten sie maximal eine Stunde auf. Bis dahin musste das Einsatzteam auf sich gestellt überleben. Dieser Gedanke gefiel ihm noch weniger als die Erkenntnis, dass er gerade mindestens zwei Arm Slaves, womöglich mitsamt Piloten verloren hatte.
**
Der Schmerzensschrei von Samantha Rogers ging Thomas durch Mark und Bein. Sandra Ciavati, Falke sieben, sah ihn mit tiefer Verzweiflung an, während sie die Arme der Frau festhielt. Ken Ibuti fixierte die Beine, soweit das bei der um sich schlagenden, halb bewusstlosen Frau möglich war.
Währenddessen zog Ben Brahim eine Spritze mit Beruhigungsmittel auf. Er musste es intramuskulär verabreichen, weshalb es nur langsam wirkte.
Als die Frau aufhörte zu strampeln, sanken die Kameraden erschöpft zu Boden.
Seit dem Angriff im Licht der Morgendämmerung waren bereits zehn Stunden vergangen. Zehn Stunden, in denen sie soviel Distanz wie möglich zwischen sich und den Umschlagplatz von Kingdom Sahara gebracht hatten. Es war ein Wunder, dass Sam so lange durchgehalten hatte und nur natürlich, dass sie nun vor Schmerzen halb wahnsinnig war. Für einen kurzen Moment dankte Thomas Gott, dass sie nicht verfolgt wurden. Das erlaubte ihnen endlich, die Verletzte zu versorgen. Noch nicht verfolgt, fügte ein zynischer Gedanke in seinem Kopf hinzu. Der Venom war von dem Sturz in die unterirdische Lagerhalle gebremst aber sicher nicht gestoppt worden. Und wenn er die Fährte wieder aufnahm, wenn er die fünf M9 fand…

„Wie geht es ihr?“, erklang Jennifer Carthys Stimme über die Außenlautsprecher ihres M9 auf. Die Sorge um ihre Flügelleaderin ließ sie schrill klingen.
Zusammen mit Jasmin Smith bewachten sie den provisorischen Lagerplatz der Truppe, inmitten einer kleinen Geröllwüste, durch die der eiskalte Wind pfiff.
„Sie hat Verbrennungen“, stellte Thomas erschöpft fest. „Das linke Bein hat es übel erwischt. Außerdem ist es gebrochen. Dazu ein paar Rippen, soweit ich das feststellen konnte. Außerdem scheint sie innere Verletzungen zu haben. Aber auf jeden Fall hat sie sich richtig kräftig den Kopf angeschlagen. Erbrechen, Schwindel und Orientierungslosigkeit lassen auf eine deftige Gehirnerschütterung schließen.“
„Gehirnerschütterung?“
„Das Gehirn liegt nicht fest im Schädel“, erklärte Thomas ernst. „Es schwimmt quasi im Schädel und hat zu allen Seiten ein wenig Spiel. Wenn nun etwas Hartes den Schädel trifft, dann ditscht es gegen die Innenseite des Schädels. Vorne, hinten, vorne, hinten… Gewebe hat dabei die Angewohnheit, gestaucht zu werden. Im Falle des Gehirns füllt Flüssigkeit die Stauchungen an, es kommt zu Schwellungen. Schwellungen, die auf Nerven und dergleichen drücken. Die Motorik ist beeinträchtigt, das normale denken, manchmal sogar die Fähigkeit, seine Umgebung wahrzunehmen. Wir können froh sein, dass sie sich nicht den Schädel gebrochen hat. Die Schädelbasis könnte gebrochen sein, aber das können wir nicht feststellen. Das merken wir frühestens, wenn sie Fieber kriegt.“
„Schädelbasis? Ihr Kopf ist grün und blau, aber intakt“, sagte Ben Brahim ernst.
„Die Schädelbasis verläuft etwa hier, über dem Genick auf der Innenseite des Kopfes. Eine dünne Knochenplatte, die das Gehirn vom Rest des Körpers trennt. Ironischerweise schützt diese Platte das Gehirn vor vielfältigen Infektionen. Ist die Schädelbasis gebrochen, können eigentlich harmlose Keime im Körper bis zum Gehirn vordringen und… Ach Scheiße, es wäre ein Wunder wenn sie bei den Verbrennungen keine Infektion kriegen würde.“
„Was machen wir denn jetzt?“ Ciavati sah Thomas aus erschrockenen Augen an. „So ist sie doch nicht transportfähig.“
„Wir müssen sie aber transportieren. Zum Glück hat sie kein Blut verloren. Wenn wir sie stabilisieren und vor Wärmeverlust schützen, sie einwickeln und in eine Arm Slave-Hand legen, müssten wir sie transportieren können.“
„Aber was ist wenn sie das nicht überlebt?“
„Die Alternative wäre sie dem Kingdom Sahara zu überlassen oder ihr den Gnadenschuss zu geben!“, blaffte Thomas ernst. „Wollen Sie das, Sarge?“
Die junge Frau zuckte erschrocken zusammen. „N-nein, Sir.“
Thomas Kramer nickte müde. „Wir machen es wie folgt. Erst einmal versorgen wir Sams Wunden, so gut es geht. Dann essen wir und schlafen ein paar Stunden bis zum Einbruch der Nacht. Dann setzen wir uns auf der Fluchtroute zum Pickup-Punkt ab.
Ich übernehme die erste Wache.“
Thomas griff zu seinem Kampfmesser und schnitt den Pilotenanzug von Sam Rogers am verbrannten linken Bein auf. „Haben wir Brandsalbe und Verband in den Kisten?“
„Wir haben alles in den Kisten.“ Ben Brahim grinste schief. „Das einzige gute an der Situation. Die Sachen, die du geklaut hast, reichen aus um eine Kompanie zu verarzten.“
„Gut.“ Thomas schnitt das Bein frei und versuchte ein Stück Kleidung vom Bein zu lösen. Es ging schwer, riss aber die Haut nicht mit ab. Darunter war die Haut knallrot und sehr feucht.
Zuerst legte er großzügig Salbe auf, danach umwickelte er das Bein mit dem Verband. „Hätte ich beim letzten Erste Hilfe-Kurs nur besser aufgepasst“, murmelte er leise.
**
Hausen betrachtete die Verlustrechnung. Kalte Wut stieg in ihm auf. Als er aufsah, fixierte er Vicomte Vogel mit einem eiskalten Blick. „Neunzig Prozent der Arm Slaves vernichtet, der Rest schwer angeschlagen oder nahezu schrottreif. Siebzehn Piloten tot, fünf schwer verletzt. Alle zwanzig T 72 zerstört, dazu sämtliche Raketenstellungen. Verluste bei der Infanterie erfreuliche siebzehn Prozent, aber das auch nur weil sie nicht direkt zwischen die Fronten geraten sind.
Achtzig Prozent der Waren vernichtet, Landefeld zwei, drei und fünf bis auf Weiteres nicht benutzbar.“ Robert Hausen warf dem Adligen die Papiere zu. Vor dem kleinen Halbfranzosen fächerten sie auseinander, trafen ihn und gingen dort zu Boden.
„Beruhigen Sie sich, Mr. Hausen“, sagte Vogel lächelnd. „Ich sehe ja, dass Kingdom Sahara einen herben Schlag erlitten hat. Alleine die zerstörten Waren und Waffen hatten einen Wert von dreihundert Millionen Dollar. Dazu kommen die Konventionalstrafen für das Nichteinhalten der Lieferverträge mit noch einmal vierzig Millionen Dollar. Aber ich verspreche Ihnen, in zwei Monaten läuft der Laden hier wieder.“
„Von welchem Geld?“, blaffte Hausen gereizt. „Von welchem Geld, hä? Was wir bisher als Gewinn erwirtschaftet haben, reicht gerade aus, um allen Vertragspartnern die schriftlich festgelegten Abfindungen zu zahlen! Selbst wenn ich auf meine zwei Millionen verzichte, ist nicht genügend Geld da, um neue Waffen einzukaufen. Oder liefern Sie auf Kredit, Vicomte Vogel?“
Das Lächeln des Asiaten erstarb. „Nein, das tun wir nicht.“
Hausen grunzte wütend. „Ich denke, ich sollte mich mit General Feysal besprechen.“
Vogel schoss vor und legte eine Hand auf das Telefon, bevor der Waffenhändler es benutzen konnte. „Sie scheinen zu vergessen, warum wir diese Operation aufgezogen haben.“
„Und Sie scheinen zu vergessen, warum ich zugestimmt habe hier mitzumachen!“, blaffte Hausen wütend. „Ihre Toybox ist mir egal! Entern Sie das Superunterseeboot doch, nur lassen Sie meine Geschäfte dafür nicht bluten! Geschweige denn von meinem Leuten!“
„Die Toybox Nordatlantik“, begann Vogel dozierend wie ein Lehrer, „hat einen Wert von vier Milliarden Dollar. Wenn wir dieses Schiff entern und in unsere Hand bringen können, werden wir Kingdom Sahara großzügig abfinden. Sehr großzügig.“
„Sie bräuchten uns nicht abzufinden, wenn der da einen Tag früher aufgetaucht wäre!“, blaffte Hausen und deutete auf den schweigend in einer Ecke stehenden Arm Slave-Piloten.
Der Mann hatte den typischen Blick eines Verrückten, fand Hausen. Deshalb mochte er den Mann nicht. Er selbst umgab sich lieber mit Realisten.
„Seien Sie froh, dass ich heute schon eingetroffen bin, sonst hätten die acht Arm Slaves nicht achtzig sondern hundert Prozent der Anlage zerstört“, schloss der Venom-Pilot trocken und wie Hausen fand, arrogant.
„Sehen Sie“, begann Vogel erneut in einschmeichelndem Tonfall, „wir haben zwar die meisten Waren und einen Großteil der Anlage verloren, aber das Arm Slave-Team der Toybox hat zwei Maschinen verloren. Es befindet sich auf der Flucht und hat vielleicht sogar Verletzte dabei. Sie müssen bis zur Küste zweitausend Kilometer zurücklegen, ein Umstand, der mit Verletzten unmöglich ist.
udem sind sie für einen Rückmarsch unter Gefechtsbedingungen nicht ausgerüstet gewesen. Sie haben nicht mit einem unserer Venoms gerechnet, sonst hätten sie den Arbalest eingesetzt, ihren einzigen Arm Slave, der über den Lambda Driver verfügt. Wir haben sie bei den Eiern, und wenn wir den Druck darauf etwas erhöhen, dann wird die Toybox das mitkriegen. Sie wird zum Rendezvous-Punkt eilen, wo bereits unsere Falle wartet. Dann kriegen wir die Toybox, Sie die Arm Slaves, und alle sind zufrieden.“
„Und wie wollen Sie den Druck auf die Eier der Arm Slave-Piloten von Mithril erhöhen?“
Der Venom-Pilot lachte. „Überlassen Sie das mir. Geben Sie mir drei, vier Ihrer Savages als Späher mit und ich radiere sie einen nach dem anderen aus. Ich lasse ihnen immer gerade genügend Hoffnung, dass sie mir entkommen können. Gerade genug, dass die Toybox glaubt ihnen noch zu Hilfe kommen zu können.“
Hausen dachte einen Augenblick darüber nach. Über die Situation, in der sich Kingdom Sahara befand, er selbst und natürlich Feysal und seine Leute. Nun, ob sie die Operation jetzt oder Morgen auflösten und alle Beteiligten auszahlten, machte nun wirklich keinen Unterschied. Außerdem winkte immer noch die Chance, dass Vogel und seine Verbündeten tatsächlich Erfolg hatten und die Toybox kaperten.
Missmutig sah Hausen auf. „Probieren wir es. Wann wird Ihr Mann zur Jagd aufbrechen?“
Der groß gewachsene Venom-Pilot verschränkte die Finger ineinander und ließ die Knöchel knacken. „Ich warte, bis die Savages aufgerüstet sind. Das wird drei bis vier Stunden brauchen. Macht aber nichts, denn wir wissen ja auf welcher Route sie sich zurückziehen werden. Sie zu finden ist also nicht das Problem.“
„Einverstanden“, sagt Hausen ernst. Wie war noch mal die Nummer seines Schweizer Kontos?

5.
Es war etwas riskant, in Sichtweite der marokkanischen Föderation aufzutauchen. Die Nacht war nicht dunkel genug, um die FEANOR verschwinden zu lassen, solange der Mond am Himmel stand, aber Sander war nicht gewillt, auch nur noch eine einzige Stunde Verzögerung hinzunehmen, um seinen Leuten zu Hilfe zu kommen.
Der Plan war schlicht und einfach: Zuerst würde das Flugfeld der FEANOR geöffnet werden. Sechs Transporthubschrauber, flankiert von Kampfhubschraubern würden aufbrechen um die überlebenden Einheiten aufzunehmen. Sander hatte noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, dass Kramer irgendwie überlebt hatte.
Sobald sie zwei Stunden unterwegs waren und in etwa achthundert Kilometer geschafft hatten, würden vier Super Harrier starten und hoffentlich zeitgleich mit den Hubschraubern am Rendezvous-Punkt eintreffen und ihnen Feuerschutz geben. Danach würden die Einheiten zurückkehren, auf der FEANOR landen. Anschließend würden sie das Landedeck schließen und in internationale Gewässer abtauchen. Übrig blieb dann nur noch der erfolgreiche Heimweg nach Styx.
Das war der Plan, wenn alles gut ging.
„Skipper, wir haben die Zielkoordinaten erreicht“, meldete Commander Allister.
„Gut. Wir tauchen auf. Gefechtsalarm für das Schiff.“
„Aye, wir tauchen auf, Gefechtsalarm für das Schiff.“
„Aye, wir tauchen auf“, kam es von Lieutenant Tarkin Agedi, dem Rudergänger.
„Aye, Gefechtsalarm für das Schiff“, wiederholte der Signalmaat den Befehl.
Während die FEANOR aufstieg und die Wasseroberfläche durchbrach, gellte der Alarm durch die Zellen des Unterseebootes und rief die Leute in ihre Verfügungen.
Besonders bei den Hubschrauberpiloten unter Lieutenant Scott würde es nun drunter und drüber gehen.
„Touchdown. Wir sind oben“, meldete das Ruder.
„Skipper, Touchdown.“
„Gut, Ms. Allister. Öffnen Sie jetzt das Flugdeck.“
„Aye, Flugdeck öffnen.“
Der Signalmaat bestätigte. „Aye. Flugdeck öffnen.“
Sander hatte es Dutzende Male gesehen, aber es war immer wieder ein erhebender Anblick, wenn im vorderen Drittel des Bootes die Außenhülle hoch klappte und das Landedeck mit den beiden Dampfkatapulten freigab. Die riesigen Segmente klappten zu den Seiten hoch und bildeten damit einen effektiven Flankenschutz. Kurz sah er zu Sho-sa Testarossa. Sogar daran hatte sie gedacht. Eine bemerkenswerte Frau.
„Flugdeck ist offen.“ „Aye. Skipper, Flugdeck ist offen.“
„Gut. Mr. Santos, beginnen Sie mit der Operation.“
„Aye, Skipper. Lieutenant Colonel Santos hier, wir beginnen mit Operation Weißes Kaninchen.“
Über diesen Operationsnamen musste Sander kurz schmunzeln. Er war Santos´ Idee gewesen und angelehnt an eine Figur aus der Erzählung Alice im Wunderland. Ein weißes Kaninchen, dass die ganze Zeit jammerte: Ich komme zu spät, ich komme zu spät. Die Eindringlichkeit, mit der diese Operation ausgeführt werden musste, nachdem es laut der Satellitenaufnahmen bereits zwei Verluste gegeben hatte, sollte damit deutlich werden.

Auf den Anzeigen sah man, wie sich die Schotts der Lifte zum Hangardeck öffneten. Dies war der verwundbarste Moment für das Schiff. Offen gegen eindringendes Wasser, die Hubschrauber noch nicht auf den Hebeplattformen, das Flugdeck aufgeklappt. Wenn Sander ein Feind von Mithril wäre, würde er jetzt zuschlagen.
„Skipper, wir werden gepingt!“, rief Lieutenant Wilson vom Sonar aufgeregt.
„Aktives Sonar? Identifizieren!“, rief Allister.
„Es sind drei verschiedene Pings! Sie hämmern da draußen herum als gelte es einen Preis zu gewinnen! Wir sind beinahe eingekreist.
Wir kriegen Emissionen herein. Skipper, der eine Kontakt klingt nach der NOVOSIBIRSK! Da irre ich mich bestimmt nicht.“
„Die NOVOSIBIRSK wurde doch auf dem Weltmarkt verkauft“, meldete sich Tai-sa Testarossa zu Wort. Mithril selbst hatte versucht, das Dieselbetriebene Jagdunterseeboot der Kilo-Klasse zu erwerben, hatte aber keine Gelegenheit bekommen, ein Gebot abzugeben.
Sander warf der jungen Frau einen Seitenblick zu. Das hatte er nicht gewusst. Oder schon wieder vergessen. Deutlich spürte er eine Lücke zwischen sich und Testarossa klaffen. Dieses Mädchen war ein Genie. Er war es nicht.
„Wir werden offen angefunkt. Es ist die Küstenwache der marokkanischen Föderation.“ Erschrocken sah Second Lieutenant Sarah Steinfeld zum Skipper herüber. „Sie sagen wir befinden uns illegal in ihrem Territorium und verlangen, dass wir eine Prisenmannschaft an Bord lassen! Es sind bereits Hubschrauber hierher unterwegs!“
„Die anderen beiden Kontakte sind Foxtrott“, meldete das Sonar.
Damit waren sie von drei Jagdunterseebooten eingeschlossen.
Bis sie das Flugdeck wieder geschlossen hatten, konnten die russischen Diesel ihre Torpedos abfeuern. Beschädigt verbot sich das tauchen von selbst, je nachdem wie schwer die Schäden waren. Schlossen sie das Landedeck nicht, war dies gleichbedeutend mit einer Einladung, das Schiff zu entern. So oder so, Sander war zu zwei Dingen nicht bereit: Dieses Schiff aufzugeben und seine Arm Slave-Piloten in der Wüste alleine zu lassen.
„Tja, da sind wir wohl in eine hübsche Falle getappt“, schloss Sander ernst. Natürlich war es ein Leichtes gewesen, sich auszurechnen, an welcher Stelle die FEANOR auftauchen würde, um die Flugzeit für ihre Hubschrauber so weit wie möglich zu verkürzen. Und anscheinend hatte der Gegner die Marokkaner besser bezahlt als Mithril, sonst wären sie in deren Hoheitsgewässern sicher gewesen.
„Eindringlingsalarm. Hangardeck räumen. Allgemeine Bewaffnung“, sagte Sander ernst.
„Aye. Signalmaat, Eindringlingsalarm. Colonel Santos, lassen Sie den Hangar räumen. Wir teilen Waffen an die Besatzung aus.“
„Aye, Ma´am!“, gellte es Allister mehrfach entgegen.
Sander sah zu Teresa Testarossa herüber. „Ich bin offen für Vorschläge, Tai-sa.“
Teresa Testarossa senkte den Kopf. „Ich wusste, es war eine dumme Idee, ein zweites Schiff zu bauen.“
„Hören Sie“, fuhr Sander auf, „ich kapituliere nicht und ich gebe auch meine Leute nicht auf. Und erst Recht gebe ich die FEANOR nicht her. Aber wenn jemand weiß, was dieses Schiff leisten kann, wenn mir jemand sagen kann, wie sehr ich das Schiff ausreizen kann, dann die Frau, die dieses Schiff erdacht hat. Ich bin jederzeit bereit, von einem Besseren zu lernen.“
„Lernen?“ Teresa sah den Captain aus großen Augen an. „Eine Idee hätte ich schon…“
**
Aus der Not eine Tugend machen war ein sehr beliebter Wahlspruch bei Offizieren. Wie man das umzusetzen hatte, verrieten sie leider nicht.
Nun, Johann Sander war bereit aus seiner ganz eigenen Not eine Tugend zu machen, eingekreist von Dieselunterseebooten, mit offenem Hangardeck, Hubschraubern mit einer Kapermannschaft im Anflug und beim Versuch unterbrochen worden, seinen Leuten Hilfe zu schicken.
Der Gegner wollte die FEANOR, das war Sander bewusst, sonst hätten sie die Torpedos abgeschossen, kaum dass das Schiff in die Falle gerast war. So aber schickte der Feind Infanterie. Doch so leicht war ein Schiff von Mithril nicht zu erobern, und Überraschungen pflegten halt nur für den Überraschungsmoment von Vorteil zu sein.
„Ms. Allister, lassen Sie die Fahrstühle für das Hangardeck aktiviert. Wir wollen doch nicht, dass… unsere Gäste sich eigene Wege ins Innere suchen, oder?“
Das letzte was sie nun brauchen konnten waren aufgesprengte Schotts, was mit einer Schwächung der Hülle gleichzusetzen war.
„Aye, Skipper.“ Die Irin war nervös. Für ihre Verhältnisse bedeutete das schon eine mittlere Panik. Schweiß rann ihr von der Stirn, aber sie machte ihren Job.
Das alte Sprichwort, dass man Menschen dann am ehesten in ihre Seele blicken konnte, wenn sie unter enormen Druck standen, hatte wohl Recht. Und irgendwie war Sander dankbar für die Chance, seine Crew unter Belastung zu erleben. In ihre Seelen zu blicken. Sie zu erkennen wie sie wirklich waren jenseits der Uniformen, der strengen Regeln im Militär.
„Der erste Hubschrauber ist auf dem Flugdeck gelandet“, meldete Commander Allister. „Ungefähr zwanzig Mann verlassen seine Ladefläche, bewaffnet mit halbautomatischen Schnellfeuergewehren und Pistolen. Des Weiteren trägt jeder einen Ausrüstungsrucksack mit sich. Panzerwesten sind nicht zu erkennen.
Der zweite von vier Hubschraubern landet gerade.“
„Verstanden. Lassen Sie die Infanterie auf das Hangardeck vordringen. Alarm deaktivieren. Nicht kämpfende Besatzungsmitglieder sollen sich einen festen Halt suchen.“
„Aye, Skipper. Alarm deaktivieren, nicht kämpfende Besatzungsmitglieder suchen sich einen festen Halt.“
Der Alarm verstummte, während der Signalmaat den Befehl gab, nach etwas stabilem, festen zu greifen.
Auf einem der Hilfsmonitore war zu sehen, wie die ersten Truppen über die Hebebühnen in den Hangar kamen. Sofort eröffneten sie das Feuer auf alles, was sich bewegte.
Sander grinste schief. Auf dem Notsitz hinter ihm hatte sich gerade Tai-sa Testarossa festgeschnallt. „Na, dann wollen wir Ihnen doch mal eine gute Vorstellung liefern, Teresa.“
**
Die Nacht in der Wüste war kalt, lang und staubig. Während des anstrengenden Rückmarschs schweiften die Gedanken von Thomas Kramer immer wieder zu der verletzten Sam Rogers ab, die in Decken eingewickelt und betäubt, von Ciavati in der Hand ihres Arm Slaves transportiert wurde.
Solange die Giganten nur gingen war es nicht so schlimm. Aber Thomas fürchtete sich vor einer Kampfsituation, in der die Arm Slaves rennen oder sogar springen mussten. Was dann in Samanthas lädiertem Körper passieren würde, stellte er sich besser nicht vor.
Während er die Nachhut bildete und besonderes Augenmerk auf die Außenmikrophone richtete – ein Venom konnte unsichtbar werden, aber nicht lautlos – überlegte er sich, wo seine Fehler gelegen hatten. Okay, sie hatten fast die gesamte Anlage zerstört und nahezu alle Verteidiger eliminiert. Aber der Knackpunkt der Geschichte war der Venom gewesen. Dieser verdammte Teufels-Arm Slave mit dem Lambda Driver.
Waren hier Defizite? Hatte er seine Leute nicht gut genug über die Gefahr eines Lambda Driver aufgeklärt? Hatte er schlechte Anweisungen gegeben? Hätte er Cyrus mit den richtigen Befehlen retten können? Oder hätte er sich selbst opfern müssen? Aber hätte das seinen Leuten den Weg erkauft, oder nur etwas Zeit?
„Langsamer“, meldete sich Sergeant Ciavati zu Wort. „Wenn wir weiter so hetzen, dann macht es Sam nicht mehr lange. Außerdem müssen wir anhalten und die Verbände wechseln.“
Thomas erwachte aus seinen Gedanken. „Wenn wir uns nicht beeilen, dann machen wir es alle nicht mehr lange. Haben Sie das verstanden, Sarge?“
„Aber…“
„Kein aber, Ciavati. Sam ist eine Kameradin, Freundin und gute Vorgesetzte für Sie. Und genau deshalb würde sie nicht wollen, dass sich sechs gute Arm Slave-Piloten bei dem Versuch opfern, ihr Leben zu retten, nur um festzustellen, dann doch alle draufgehen.“
„Sir, was ich meine ist…“
„Ich tue für Sam was ich kann. Aber sie ist nicht mein einziger Soldat. Ihr alle seid mein Team. Euch muß ich nach Hause bringen. Und wenn ich Sam dafür hier zurücklassen muß, dann werde ich es tun.“
Ciavati suchte nach Worten. Ihr hektischer Atem, die stoßweise angefangenen Worte, die sie wieder abbrach, sprachen Bände. „K-können wir nicht wenigstens etwas langsamer?“
Der Bordcomputer gab Alarm. Er hatte einen Savage auf Verfolgungskurs entdeckt. Weit außerhalb der Reichweite seiner Möglichkeiten, die M9 zu orten, aber auf ziemlich eindeutiger Route. „Können wir nicht“, zischte er. „Wir kriegen Gesellschaft. Passt auf die Flanken auf und vor allem auf die Front. Ein Venom kann frontal angreifen. Mit einem Lambda Driver unter dem Arsch würde ich das auch tun.“
Was war die logische Option in diesem Fall? Mit einem überlegenen Feind irgendwo in der Nähe? Fliehen. „Herr, schick mir einen Lambda Driver“, hauchte Thomas.
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Über elf Kameras verfolgte Captain Sander zusammen mit der Besatzung der Brücke, wie die Infanteristen aus den Hubschraubern das Hangardeck stürmten.
Sie erwartete provisorische Stellungen der Infanterie unter Sergej Karasov an den fünf Wegen tiefer in das U-Boot hinein.
Noch hatten die Infanteristen der FEANOR das Feuer nicht eröffnet; die Eindringlinge deckten sie schon mit Feuer ein, zwangen sie in Deckung.
„Siebzig sind jetzt drin, Skipper. Der Rest sichert das Flugdeck“, meldete Sharon Allister.
„Gut. Beginnen Sie mit der zweiten Phase der Operation Weißes Kaninchen.“
„Aye. Wir beginnen zweite Phase von Weißes Kaninchen. Colonel Santos?“
Der leicht übergewichtige Spanier nickte. Er ergriff ein Headset, rückte das Mikrofon zurecht und rief: „Ich komm zu spät! Ich komm zu spät!“
Seine Worte hallten durch das ganze Schiff. Das Ergebnis war sofort zu sehen.
Major Karasov brüllte Befehle und zog sich mit seinen Leuten in die Gänge zurück. Dies war der kritische Part der Operation. Wenn der Gegner zu schnell nachsetzte, hatten sie Ratten im Schiff. Ein paar würden es sicherlich schaffen und sich irgendwo festsetzen, aber bitte nicht zu viele. Ihre eigene Infanteriegruppe war nur vierzig Mann stark.
Dies war der Augenblick, in dem die Bordwaffen von Turmfalke eins, gesteuert von Lieutenant Timothy Scott, bellend zum Leben erwachten und Tod und Verderben spieen. Die Kugeln, zum Einsatz gegen gepanzerte Ziele gedacht, mähten durch die Reihen der Infanteristen. Der zweite Kampfhubschrauber, Turmfalke zwei, erwachte nun ebenfalls zum Leben.
Die überlebenden Eindringlinge spritzten durcheinander, suchten Deckung oder versuchten in die Gänge zu entkommen.
Scott, sein Begleiter und sechs der Transporthubschrauber ließen ihre Rotoren anlaufen. Nun kam es darauf an, schnell zu sein, präzise zu steuern und das Überraschungsmoment zu nutzen, das nur ein paar Sekunden anhalten würde.
Scotts Kampfhubschrauber hob als erster ab, stieg in der großen Halle ein wenig und steuerte dann zu der Öffnung in der Decke, durch die sie normalerweise der Aufzug brachte. Aber dafür war keine Zeit. Die beiden Kampfhubschrauber und die sechs Transporthelis mussten im Hangar manövrieren und durch die kleine Öffnung fliegen. Und das unter enormen Zeitdruck, ohne Rücksicht auf eigene Verluste.
Nun würde sich zeigen, wie gut seine Leute wirklich waren.

Turmfalke eins verließ als erster das Hangardeck. Sofort ging er auf sichernde Stellung, schoss auf den ersten feindlichen Hubschrauber, dessen Bewaffnung auf die Öffnung des Fahrstuhls zeigte, ließ ihn in Flammen aufgehen, bevor Pilot und Bordschütze reagieren konnten. Turmfalke zwei folgte nach, beschoss einen anderen Hubschrauber und die Infanterie, die nun wild durcheinander spritzte, während Turmfalke eins über das Flugdeck zog und in Richtung Bug flog. Dort warf er einen Torpedo ab, der sofort unter der Kontrolle der FEANOR war.
„Freundlicher Boogie ist im Wasser“, meldete das Sonar. „Freundlicher Boogie erfasst Kilo! Kilo, Foxtrott eins und Foxtrott zwei fluten Torpedorohre!“
Sander warf nur einen kurzen Blick zur Seite, diesen kleinen Moment hatten Wanderfalke drei und vier genutzt, um sich den beiden Kollegen und den Kampfhubschraubern anzuschließen. Nummer fünf folgte problemlos, darauf die Nummer sechs.
Sander atmete auf. Sie hatten es alle geschafft. Trotz der neuen Situation. Trotz der kurzfristigen Vorbereitung. Trotz allem, was hatte schief gehen können.
„Hangardeck schließen“, sagte er ernst, während der letzte feindliche Hubschrauber in Flammen aufging.
„Aye. Hangardeck schließen!“
„Hangardeck schließen, Aye!“
„Sie haben sehr gute Piloten“, stellte Tai-sa Testarossa fest.
Sander merkte, dass dieses Lob gut tat, und das anscheinend nicht nur ihm.
„Nottauchen!“
„Aye, Skipper.“ Commander Allister lächelte dünn. „Nottauchen! Nottauchen!“
Alarm gellte durch das Schiff. Sander hoffte, dass sein Befehl ausgeführt worden war und jeder nun einen festen Halt hatte. Denn was nun folgte würde sie allesamt heftig durchschütteln. Dazu kam, dass die Schutzklappen des Landedecks noch immer ausgefahren waren. Abgesehen davon dass die Katapulte definitiv gewartet werden mussten erhöhten die beiden riesigen Paneele den Widerstand im Wasser und liefen sogar Gefahr, abgerissen zu werden, vor allem in höheren Wassertiefen, wo der Druck größer war und damit die Punktbelastung. „Es wird schon gehen“, murmelte er leise zu sich selbst. Tessa hatte es versprochen.
„Boogies im Wasser! Zwei von Kilo, zwei von Foxtrott eins und zwei von Foxtrott zwei!“, meldete das Sonar.
„Tiefe zwanzig Meter, Tauchwinkel acht Grad“, meldete das Ruder.
„Bei dreißig stabilisieren, volle Fahrt voraus. Was macht unser Torpedo?“
„Freundlicher Boogie homed auf Kilo. Distanz sechshundert Meter. Aye, Skipper, bei dreißig stabilisieren, volle Fahrt voraus.“
„Bei dreißig stabil! Volle Fahrt voraus.“
Der Skipper der FEANOR sah zu Tai-sa Testarossa und So-sho Mao herüber. „Wenn das klappt, gebe ich einen aus.“
„Wenn das nicht klappt, gebe ich Ihnen einen aus – auf der anderen Seite“, erwiderte die junge Frau flapsig. Ihr stand Schweiß auf der Stirn, doch sie verbarg ihre Angst hinter einem niedlichen, aber aufgesetzten, eisernen Lächeln.

„Boogies kommen näher. Vierhundert, vierhundert, dreihundertneunzig, dreihundertneunzig, dreihundertvierzig, dreihundertvierzig.“
Ein Ächzen ging durch das Schiff, und für einen Moment befürchtete Sander, dass die Klappen des Flugdecks doch noch abreißen und die FEANOR leck schlagen würden, aber Testarossa schüttelte trotzig den Kopf.
Wenn er die Positionen der U-Boote richtig im Kopf hatte, wenn er die Winkel richtig einschätzte, aus denen die Torpedos auf sein Schiff zurasten, dann…
„Abwehrmaßnahmen auf meinem Befehl.“
„Aye, Skipper.“
„Zweihundertachtzig. Zweihundertsiebzig. Zweihundertsechzig.“
„Abwehrmaßnahmen! Was macht unser Torpedo?“
„Freundlicher Boogie reagiert auf Abwehrmaßnahmen.“
„Torpedorohre eins bis vier laden.“
„Aye, Rohre eins bis vier laden.“
„ Zwei Torpedos erfassen Abwehrmaßnahmen. Skipper, da kommen immer noch zwei Aale frontal auf uns zu!“
„Ruhig, Mr. Wilson. Auf mein Kommando Notauftauchen. Wie ist die Situation im Hangar?“
„Aye, auf Kommando voll anblasen. Major Karasov meldet Ratten im Schiff, ungefähr zwanzig. Er drückt sie aber mit seinen Leuten vom Hangar fort.“
„Hundertzwanzig! Hundertzehn! Einhundert!“
„Anblasen!“
„Aye! Notaufstieg! Luftkammern fluten!“
„Aye, Aye, Luftkammern fluten!“
Ein heftiger Ruck ging durch das Schiff, als es vom Auftrieb hart nach oben gerissen wurde.
Die Torpedos, die ihnen folgten, beziehungsweise auf sie zukamen, konnten in dem Geräuschchaos, das nun entstand, bestenfalls die Täuschkörper orten. Darauf setzte Sander. Darauf setzte Tai-sa Testarossa.
„Vierzig Meter. Dreißig Meter. Zwanzig Meter. Zehn Meter!“, meldete der Tauchoffizier.
„Boogies erfassen Abwehrmaßnahmen. Dreißig! Zwanzig! Zehn!“
Wie ein Donnerschlag hallten die Explosionen der Torpedos durch das Schiff.
„Beide Boogies von Kilo vernichtet! Beide Torpedos von Foxtrott eins vernichtet! Beide Torpedos von Foxtrott zwei vernichtet!“
„Touchdown! Wir sind oben, Skipper.“
„Wir haben die Wasseroberfläche durchbrochen, Sir.“
„Gut. Feuern Sie Rohre eins bis vier auf den verdammten Kilo ab. Danach alle acht Rohre laden. Und geben Sie Lieutenant Valeri grünes Licht!“
„Aye. Rohre eins bis vier Feuer auf Kilo! Danach alle acht Rohre laden.“
„Aye, Rohre eins bis vier Feuer! Ladebefehl für alle Rohre!“
„Jagdfalke eins bis vier! Sie haben grünes Licht und gute Jagd!“
Im Hangar brach übergangslos wieder Geschäftigkeit aus. Da Karasov die eingedrungenen Gegner beschäftigt hielt, konnte nun reguläre Besatzung ins Hangardeck und mit gröbsten Aufräumarbeiten beginnen, damit die vier Super Harrier so schnell wie möglich auf das Flugdeck gebracht werden konnten.
Der erste Super Harrier rollte bereits auf den Fahrstuhl zu. „Verstanden. Wir halten die Foxtrott beschäftigt, Colonel.“
„Sie haben gute Leute“, stellte Tai-sa Testarossa erneut fest. Irgendwie klang es zufrieden.

6.
Durch den Notaufstieg hatte die FEANOR schnell dreißig Meter Höhenunterschied überwunden. Normalerweise hätte das Unterseeboot diesen Trick nicht überleben können, nicht überleben dürfen. Denn ein wichtiger Aspekt von Explosionen im Wasser war, dass durch sie Wasser verdrängt wurde. Verdrängtes Wasser bedeutete weniger oder gar kein Auftrieb. Schiffe und Unterseeboote, die nicht direkt von der Explosion betroffen waren, konnten nun durch den fehlenden Auftrieb zerbrechen, beschädigt werden, und sinken.
Das Prinzip der Wasserminen beruhte darauf, den Auftrieb zu unterbinden.
„Schäden, Ms. Allister?“
Die Erste Offizierin der FEANOR hielt kurz Rücksprache mit den Leckkommandos. „Keine gravierenden Schäden, Skipper. Die Hülle hält.“
Sander atmete erleichtert auf. Er sah zu Tai-sa Testarossa herüber und konnte nur mit Mühe den Wunsch unterdrücken, aufzustehen und dem Mädchen den Kopf zu tätscheln. Die Frau lächelte freundlich, aber er sah sehr wohl den feinen Schweißtropfen auf ihrer Wange herab laufen. „Sehen Sie, Skipper, ich habe es doch gesagt. Die DANNAN-Klasse hat nicht nur einen breiten Rumpf, weil die Hangars und das Startdeck dies erfordern. Ich habe mich ein wenig von Minenräumern inspirieren lassen, weil deren Rumpf mich an den von Blauwalen erinnert hat. Minenräumer haben im Gegensatz zu normalen Schiffen keinen möglichst schmalen, sondern einen sehr flachen Kiel. Damit gewährleisten sie, dass sie bei fehlendem Auftrieb nicht zerbrechen. Die Gesamtauflage ist einfach höher.“
Sander ließ die junge Frau reden. All das hatte sie schon einmal erklärt, und der Deutsche gestand Tessa einfach zu, dass sie nervös war, vielleicht nervöser als sie alle, weil es ihre Idee gewesen war, den Torpedos mit Hilfe des Notaufstiegs zu entkommen und zu riskieren, dass sie unter dem Rumpf der FEANOR explodierten.
Nun, es hatte geklappt.
„Katapult meldet Jagdfalke eins und zwei bereit zum Start.“
„Start frei nach eigenem Ermessen, Ms. Allister.“
„Aye, Skipper. Katapult eins und zwei: GO!“
Ein leises Raunen ging durch das Schiff, als die beiden Super Harrier hart beschleunigt wurden und von dem Schiff starteten. Sie hätten auch mit Hilfe ihrer schwenkbaren Düsen starten können, aber möglichst schnell möglichst viel Geschwindigkeit aufzubauen erschien Sander nun essentiell wichtig. Sie standen immerhin bereits mitten im Kampf.
Allister sah zu ihrem Skipper herüber, meldete mit einem Nicken auf den entsprechenden Bildschirm, dass Super Harrier drei und vier einsatzbereit waren und der nickte zurück, unformell. Vielleicht lernte sie es ja doch noch, dass sie nicht für jeden Befehl bei ihm nachfragen musste.
„Katapult eins und zwei: GO!“

Das zweite Paar Harrier jagte in die Nacht und begann zu kreisen. Sie hatten drei Unterseeboote als Gegner, flinke und leise Dieselboote, die ihnen sehr gefährlich geworden waren. Doch nun hatte die FEANOR zwei Kampfhubschrauber und vier Super Harrier hoch gebracht, um die Chancen etwas auszugleichen.
Sander lächelte matt und warf den wirklichen Trumpf ins Spiel: Sein eigenes Schiff. „Startdeck schließen, Ms. Allister.“
„Aye, Skipper. Startdeck schließen.“
„Aye, Aye, Startdeck schließen.“
Auf einem Bildschirm war zu sehen, wie die beiden gewaltigen Flügel langsam ineinander griffen und die Katapultanlage verdeckten. Bald schon würde die FEANOR wieder ein vollwertiges Unterseeboot sein – bis an die Zähne bewaffnet.
„Mark XIV eins bis vier homen auf Kilo!“, rief Lieutenant Wilson.
„Lassen Sie sie nicht entkommen. Was machen die Foxtrott?“
„Foxtrott tauchen unter die Thermalschicht, um unseren Flugzeugen zu entkommen. Thermalschicht liegt bei achtzig Metern.“
Sander überschlug die Daten. Thermalschicht nannte man die Trennschicht zwischen Oberflächenwasser und Tiefseewasser. Gerade in tieferen Gewässern oder bei großen Temperaturunterschieden war die Thermalschicht sehr ausgeprägt.
Das ärgerliche an ihr war, dass sie teilweise das Sonar reflektierte. Ein Unterseeboot, das sich in oder unter ihr verbarg, konnte zwar selbst kaum etwas erkennen, aber es war nur schwer zu erfassen. Hier in Küstennähe lag die Thermalschicht höher.
Auch Sander hatte mit dem Gedanken gespielt, unter die Schicht zu tauchen, aber es dann wieder verworfen. Solch ein Manöver hätten die Kapitäne der russischen Dieselboote sicher als erstes vermutet, nicht aber das er wieder auftaucht.
„Unser Ziel ist der Kilo. Feuern Sie wenn bereit, Ms. Allister.“
„Aye, Skipper. Feuern wenn bereit.“ Die Irin grinste, was Sander verwundert feststellte. Die Situation schien ihr Spaß zu machen. Zumindest genug, um ihre übliche Steifheit auszuhebeln.
Er sah kurz zur Uhr, fünf Uhr Morgens Ortszeit, anderthalb Stunden bis Sonnenaufgang. Dann zu den beiden Offizierinnen von der TUATHA DE DANNAN.
So-sho Maos Hände vibrierten leicht, sicher wünschte sie sich etwas tun zu können oder wenigstens in einem M9 zu stecken.
Tai-sa Testarossa lächelte verschmitzt. Aber aus den Schweißtropfen war mittlerweile ein dicker Film geworden. Dennoch hielt sie sich hervorragend und der Respekt für die sehr junge Frau, den Sander empfand, vertiefte sich noch mehr.
„Rohre vier bis acht, Feuer“, sagte Sharon Allister mit lauter, zufriedener Stimme. „Euch werde ich lehren, Mithril eine Falle stellen zu wollen.“
„Das nenne ich gut gesagt!“, stellte Sander fest und löste damit polternde Zustimmung auf der Brücke aus, die Allister für einen Moment verlegen hinnahm.
Dann blaffte sie: „Disziplin! Es ist noch lange nicht vorbei!“
**
Thomas Kramer warf den M9 herum, ging stark in die Hocke und stieß sich kraftvoll vom Boden ab. Er sprang über zwanzig Meter weit, fing sich mit einem Arm des M9 ab und kam so in die Seite des Savage, der ihn mit seinem Gewehr gejagt hatte. Thomas zog den Kampfdolch hervor, die Titanbeschichtete Säge lief an und zerteilte Sekunden darauf den Rumpf der klobigen Maschine.
Als Rauch aufstieg und die Sensoren des sovietischen Arm Slave erloschen, riss er den Dolch hervor, sprang mehrere Meter zurück und lief seinen Leuten hinterher. Verdammt, verdammt, verdammt, er hatte es gewusst! Einen festen Rückmarschkorridor einzuhalten hatte sicherlich Vorteile, aber auch frappierende Nachteile, wenn der Feind diesen Korridor kannte.
„Wieder zurück, Chef?“, fragte Yussuf Ben Brahim, der für ihn die Rückendeckung übernommen hatte.
Thomas nahm seine Position wieder ein. „Es war nur ein Savage. Aber haltet die Augen offen. Wo diese Dinger sind, ist der Venom sicher nicht weit. Sergeant Ciavati, geht es nicht etwas schneller? Ich will nicht, dass uns der Venom in der Flanke nimmt.“
„Ich tue was ich kann, aber ich will Lieutenant Rogers in einem Stück auf die FEANOR schaffen.“
Das wollte Thomas auch, aber er sagte es nicht. Stattdessen überlegte er schon die ganze Zeit, ob er Sam nicht für das Wohl von fünf seiner Untergebenen besser zurückließ, auch wenn er sich dafür schämte.
Der Gegner war im Vorteil, weil er das Gelände kannte. Mit seiner Ausrüstung konnte er nicht punkten, das war der einzige Vorteil. Aber das brauchte er auch nicht. Die Savages mussten schließlich nur den Venom an sein Ziel bringen: Mithrils M9.
„Versuchen Sie es wenigstens.“
„Verstanden, Sir“, kam es frustriert zurück.

Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich. Seit einiger Zeit machte ihm einer besonders zu schaffen, ein Gedanke, der so brisant war, dass er ihn seinen Leuten bisher noch nicht mitgeteilt hatte. Die Savages und damit auch der Venom verfolgten sie auf der direkten Fluchtlinie bis ans Meer. Auf der Fluchtlinie, die seine Leute einhielten, um notfalls von den Hubschraubern leichter gefunden werden zu können, falls sie Funkstille einhalten mussten.
Der Gedanke, erschreckend und grausam, lag nahe, dass der Gegner wusste, wo die FEANOR auf sie wartete. Und das bedeutete, dass sie nicht nur die Arm Slave-Gruppe erwartet hatten – der Venom sprach Bände – sondern auch das Unterseeboot.
Thomas hatte Vertrauen in seine Kameraden von Mithril, er kannte sie und wusste, dass sie fähige Leute waren, Kapitän Sander, Colonel Santos, Commander Allister, Captain Karasov, Lieutenant Valeri, Lieutenant Scott, sie waren das beste, was Europa und Nordamerika zu bieten hatten. Aber auch ihnen waren Grenzen gesetzt, auch für sie dauerte Unmögliches fünf Minuten, bis sie es vollbrachten.
Thomas schmunzelte. Wenigstens seinen Galgenhumor hatte diese ernste Situation ihm nicht nehmen können.
Neben ihm schlugen mehrere Geschosse ein. Einer der Savages hatte ihn wieder ins Visier genommen. Er schätzte, dass der Venom noch drei oder vier von ihnen vorweg schickte, als Scout und damit die Mithril-Piloten nicht zur Ruhe kamen.
Der Venom würde dann angreifen, wenn sie am verwundbarsten waren.
Thomas ließ den M9 nach hinten springen, wich den Schüssen aus. Dann riss er seine eigene Waffe hoch und gab eine Serie von Schüssen ab, um den Savage daran zu erinnern, welcher Pilot die bessere Mühle unter dem Hintern hatte.
„Noch eine Stunde bis Sonnenaufgang“, murmelte er ernst. „Und dann noch einmal eine Stunde bis zum Pickup-Termin.“
Und sie waren noch vierhundert Kilometer vom Treffpunkt entfernt, obwohl sie die ganze Nacht erbarmungslos durchmarschiert waren.
Thomas Kramer nutzte die Gunst der Stunde und lief seinen Leuten hinterher. Schnell hatte er den kleinen Konvoi eingeholt, der Ciavati mit ihrer verletzten Last zu allen Seiten abdeckte.
„Ciavati, ich brauche Ihre Gewehrmunition.“
Ohne anzuhalten warf die Pilotin ihr Gewehr nach hinten. Dem folgten zwei Magazine. Thomas fing es geschickt auf, entlud das Gewehr und warf es zurück.
Die Italienerin fing es selbst hinter ihrem Rücken ohne Mühe.
Thomas füllte seine Waffe auf und verstaute die Reservemagazine. Wann erfand Mithril endlich Laserwaffen? Das ständige nachladen nervte.
Vor ihnen schlug eine Panzerfaust ein, aber nicht ohne eine gute Handbreit über den Kopf von Ben Brahim hinweg gesaust zu sein.
Der Araber wandte sich um und feuerte, ohne seinen Posten zu verlassen. Dieser Posten hieß, Ciavati und Sam mit seinem M9 zu beschützen. Mit den Schüssen zwang er den Savage in die Deckung des Geröllfeldes.
Der Deutsche löste sich von der Gruppe, zog sein Kampfmesser und sprang. „Ich kümmere mich um den. Haltet Ausschau nach dem Venom und den anderen Savages. Brecht die Formation nicht auf und gebt Fersengeld, wenn Ihr den Venom entdeckt.“
„Was hast du vor, Chef? Willst du dich mit dem Monster etwa alleine anlegen?“
Thomas sackte für einen Moment in sich zusammen. Es gab zwei Erfahrungen, die jeder Vorgesetzte fürchtete, ja, hasste. Und dennoch musste er sie treffen, wenn es Zeit war. Nichts schützte davor. Und nur die eigene Integrität entschied dann, was passieren würde. Die erste Entscheidung war einen der eigenen Leute, oder sogar mehrere bewusst in den Tod zu schicken. Die andere war, seinen Leuten mit dem eigenen Leben Zeit zu erkaufen.
Doch soweit waren sie noch nicht. Noch lange nicht. Außerdem war das Gelände noch nicht so, wie Thomas es brauchte. Wenn der Venom-Pilot dieses Spiel nur genoss, wenn er ihnen noch etwas Zeit ließ, damit sie das kleine Gebirge und die Felsschluchten erreichen konnten, dann waren die Karten neu gemischt.
**
Von dem Unterwasserkampf bekam Captain Karasov nicht viel mit. Er war vollkommen damit beschäftigt, die eingedrungenen Infanteristen zu werfen. Ob sie nun marokkanische Soldaten oder von Amalgam angeworbene Söldner waren, interessierte ihn herzlich wenig. Die Fakten auf die es ihm ankam waren Ausbildungsstand, Teamwork und Bewaffnung. Das war es, was ihm bei seinem Kampf weiterhalf.
Gut zwanzig Infanteristen hatten das Massaker überlebt, das Timothy Scott mit seinen Bordwaffen im Hangar angerichtet hatte. Seine Aufgabe war es dafür zu sorgen, dass sie nicht doch noch zur Gefahr für die FEANOR wurden.
Sergej Karasov lächelte kalt. Doch das waren nicht alle Gedanken, die ihn beschäftigten. Bereits in seinen Tagen in der Spetznatz, als er geglaubt hatte, einen eigenen Weg durch die Wirren der osteuropäischen Aufstände gefunden zu haben, hatte er sich durch eine ungewöhnliche Eigenart ausgezeichnet: Er dachte mit. Das war auch der Grund, warum Mithril auf ihn aufmerksam geworden war. Zusammen mit seiner beinahe schon antiquiert ritterlichen Einstellung war er ein idealer Rekrut gewesen. Und mit seinen Fähigkeiten schnell vom Ensign zum Captain aufgestiegen.
Im Moment beschäftigten ihn ein paar Fragen, die nur indirekt mit seinem Kampf zu tun hatten. Eine davon war, wie die drei Unterseeboote der FEANOR hier hatten auflauern können. Eine andere war, wie viele seiner Leute loyal waren. Im Endeffekt waren alle Soldaten bei Mithril Söldner, und um gute Leute zu bekommen, nahm selbst diese altruistische Organisation manchmal Mängel in der Persönlichkeit in Kauf und lockte mit Geld. Sergej war da ein Fall bekannt über einen Jungen, der im Krisengebiet Helmajistan aufgewachsen war. Der Bengel hatte dort zum Untergrund gehört, war ein Kindersoldat im Kampf gegen die Soviets geworden, streng genommen damals sein Feind.
Der Junge hatte nie etwas anderes als Krieg kennen gelernt. Aber weil er überragende Fähigkeiten in Taktik, Nahkampf und in der Handhabung eines Arm Slaves besaß, hatte Mithril ihn angeworben. Gerüchte erzählten auch etwas von einem Weißen, wie die Soviets Landsleute nannten, die gegen das regierende System kämpften, der ihn mit nach Mithril genommen hatte und nun protégierte.
Defacto war der Junge Soziopath, zumindest wenn es nach Sergej ging. Dennoch bediente er einen Arm Slave und diente auf der TUATHA DE DANNAN.
Es bestand also ohne weiteres die Möglichkeit, dass es an Bord ein paar Verräter gab.
Was einiges erklären würde.

Über Sergej tauchte ein Schatten auf. Ohne nachzudenken stemmte er sich in den Leib und warf ihn über sich. Schnell wirbelte er herum und ließ seinen Fuß hart zu Boden fahren, genau dort, wo wenige Sekunden zuvor noch der Kopf seines Angreifers gewesen war.
Sergej Karasov griff nach seiner Waffe, richtete sie aus.
„Das reicht jetzt, Sir“, erklang eine Stimme neben ihm. Übergangslos fühlte er die Mündung eines Sturmgewehrs in seiner Seite. Nicht unmöglich, neben ihm stand einer seiner Leute. Und was hatte er gerade gedacht?
Der Mann, Corporal William Sumner, schnarrte ernst: „Waffe fallen lassen, Kommunist.“
Langsam senkte Karasov die Hand, ließ den Griff aber noch nicht los.
Sein Angreifer erhob sich langsam, nestelte an der Maske. Erleichtert sah er Sumner an. „Du bist einer unserer Schläfer?“
„Solange der Preis stimmt, bin ich alles.“
Der Mann nahm seine Waffe auf, überprüfte den Munitionsstand. „Erschieß ihn. Dann bring uns zur Brücke.“
„Das ist eine schlechte Idee. Mit Major Karasov als Geisel können wir uns den Weg bis zur Brücke erzwingen. Die Mithril-Leute sind nicht dumm. Ja, sehr erfindungsreich. Aber sie sind bis zur Selbstzerstörung so kameradschaftlich.“ Sumner spuckte aus. „Das kotzt mich an. Wir sind doch alle gleich und wollen alle nur Geld.“
Der Kommandosoldat grinste zufrieden. Dann winkte er den Gang hinab. Dort kamen vier Leute aus der Deckung hervor, gingen zu ihnen.
Nun bereute Karasov es, den letzten Befehl von der Brücke nicht verweigert zu haben, der seine Linie eindeutig ausdünnte. Wenngleich er einsah, dass das Hangardeck schnell hatte vorbereitet werden müssen. Aber so, nur mit der Hälfte seiner Leute, wurden die Linien hoffnungslos überdehnt. Er hatte eigentlich jede Sekunde mit einer Geiselnahme gerechnet. Nur nicht damit, dass er selbst diese Geisel sein würde.
Sumner zählte die Ankömmlinge. „Vier? Mehr seid Ihr nicht mehr?“
Der Anführer der Gruppe sah ihn wütend an. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass Mithril die Bordwaffen eines Hubschraubers einsetzt. Außerdem habe ich noch elf Mann, die sich auf dem Parallelgang voran arbeiten. Unser Ziel ist die Brücke der FEANOR.
Warum lebt der Mann hier noch? Captain Karasov ist gefährlich.“
Sumner drückte die Mündung wieder fester auf den Russen. „Wenn ich so tun könnte wie ich wollte, hätte ich dem Kommunisten längst die Nieren perforiert und ihn hier verbluten lassen. Aber er gibt ein gutes Schild ab, falls unser Verbündeter auf der Brücke uns nicht helfen kann.“
„Der Rudergänger? Er wird dafür bezahlt, dass er uns die Tür aufmacht, wenn wir davor stehen.“
Sumners Waffenmündung rutschte von Karasovs Rücken, richtete sich auf die Vierergruppe Kommandos und ihren Anführer. Sergej selbst glitt zur Seite, riss seine eigene Waffe wieder hoch und gab einen bellenden ersten Schuss auf seinen ersten Spielkameraden ab, traf ihn im Hals. Er wirbelte herum, als das Sturmgewehr von Sumner aufbellte und Tod und Verderben auf die vier anderen Kommandos rotzte. Sergej beteiligte sich so gut es ging und schoss auf den vierten Mann, der versuchte sich in Deckung zu bringen.
Dann wurde es still. Es war vorbei.
Karasov warf seinem Mann einen langen Blick zu. Sumner wurde rot und hob abwehrend eine Hand, die andere mit der Waffe zu Boden gerichtet. „Sir, ich…“
„Schon gut. Auf zur Brücke. Wir müssen da eine Ratte ausräuchern. Sobald Sie einen unserer Leute sehen, lassen Sie unsere anderen Infanteristen per Kurier informieren, dass auf dem Parallelgang noch elf von unseren Gegnern unterwegs sind.“
„Aye, Sir“, antwortete Sumner verdutzt. Karasov stockte seine Munitionsvorräte an den Toten auf und Sumner tat es ihm nach. „Sie haben gewusst, dass ich bluffe?“
Karasov grinste zynisch. „Ich habe es nicht gewusst. Aber es war meine einzige Hoffnung in dieser Situation, oder? Kommen Sie, Sergeant. Wenn Sie weiter so geniale Einfälle haben, sind Sie bald Lieutenant.“
Die beiden Männer liefen den Gang entlang, Richtung Brücke der FEANOR. Ihr eigener Teil des Kampfes ging in die entscheidende Runde.
**
Valeri und seine vier Harriers kreisten seit gut einer Stunde über dem Seegebiet in dem die FEANOR unterwegs war. Mit Jägern konnten sie nicht viel gegen Unterseeboote ausrichten, vor allem nicht mit der offensiven Raketenbewaffnung. Aber sie nützten wenigstens als Augen und als Schutzschild für Scott und seine Hubschrauber, indem sie immer wieder mit Flares aushalfen, wenn die Foxtrott ihre Luftabwehr-Spezialtorpedos auf die Kampfhubschrauber abschossen.
Die Hubschrauber hatten eigene Flares, aber drei waren immer besser als eine, fand Valeri.
Achthundert Meter voraus auf elf Uhr wurde eine große Wärmeentwicklung angezeigt. Zugleich verschwand das Zeichen für eines der Unterseeboote, das Kilo.
Vitali grinste matt. „Falkennest, ich melde starke Hitzeentwicklung und brennenden Diesel an der Wasseroberfläche. Sieht so aus, als hättet Ihr die NOVOSIBIRSK erwischt.“
„Bestätigt. Da waren es nur noch zwei. Machen Sie sich jetzt auf den Weg, damit die Transporter Deckung haben, wenn sie unsere Leute einladen“, erklang Colonel Santos´ Stimme.
„Verstanden, Falkennest. Ihr habt es gehört, Jagdfalken. Die Falken brauchen unsere Hilfe.“
Valeri zog den Jäger herum und beschleunigte hart. Sie würden eineinhalb Stunden bis an ihr Ziel brauchen, wenn sie dicht am Boden blieben.
Valeri verließ das Schlachtfeld ungern, auch wenn er mit seinen Super Harrier nicht wirklich viel hatte ausrichten können. Aber nun würden vier Ziele für die Abwehr der Foxtrott fehlen, ebenso seine Flares. Der Gedanke machte ihm Angst. „Viel Glück“, murmelte er, als der Harrier Land erreichte. Das Bodenwellenradar hielt ihn auf exakt zwanzig Meter. Hinter ihm formierten sich seine Leute zur Raute.
**
Scott sah den davonjagenden Harrier nach, nur für einen Moment. Gerade hatte er Valeri noch viel Glück wünschen wollen, da gellte der Alarm auf. Ein Luftabwehr-Spezialtorpedos hatte ihn erfasst. Scott warf Abwehrmaßnahmen, aber es war zu spät. Er war direkt über einen Foxtrott gedriftet, ohne es zu merken. Das Ergebnis war eine Explosion in seinem Heck. Der Nebenrotor, zuständig für die Flugstabilität, explodierte. Das Ergebnis war, dass sein Flieger um die eigene Achse zu taumeln begann und dem Wasser entgegen fiel.
„Hier Turmfalke eins. Bin getroffen und gehe runter.“
„Turmfalke zwei hier. Ich komme.“
„Negativ. Ein Foxtrott lauert hier. Bleib auf deiner Position. Ich komme schon klar.“
„Aber…“ „Das ist ein Befehl!“ Scott hörte die Antwort seines Flügelmanns nicht mehr, zu sehr hatte er mit der Steuerung zu kämpfen. Immerhin war es kein Rotortreffer, das hätte ihn direkt aus dem Himmel gepflückt.
Scott schoss die restlichen Raketen ins Blaue ab, damit die Waffen nicht beim Aufschlag auf dem Wasser losgingen und seine Maschine in Fetzen rissen. Für den Fall, dass er den Absturz überlebte.
Sein Training verlangte von ihm, den internationalen Hilferuf Mayday zu geben, aber seine Kameraden hatten nun genügend eigene Sorgen. Sie würden sich schon um ihn kümmern, sobald sie Zeit dazu hatten. Also tat er das, was ihm am sinnvollsten erschien. Vorsichtig drückte er den taumelnden Hubschrauber in Richtung Festland. Wenn es sein musste, würde er bis an die Küste schwimmen.

7.
„Perfektes Gelände“, murmelte Thomas Kramer mehr zu sich selbst, als sie die Geröllwüste hinter sich ließen und in das kleine Gebirge eindrangen. Es hatte Ähnlichkeit mit dem Harz, fand er. Von außen sah es nach nichts aus, und wenn man drin steckte, merkte man erst, wie groß dieses nichts war.
Sie folgten einem ausgewaschenen Flussbett in gerader Linie auf ihrer Fluchtroute. Thomas hatte wieder die Rückendeckung übernommen. Im Moment feuerte er auf die nachrückenden beiden Savages und zwang sie so in Deckung. „Auf die Flanken achten!“, blaffte er seine Leute an, zum vierten oder fünften Mal schon. Aber wenn der Venom kam, wenn dieses Monster sie ausgerechnet in der Flanke packte, war es das für sie.
Da! Thomas warf seinen M9 herum, zielte auf die Anhöhe zur Rechten. Dort tauchte der Venom auf, ohne seine Tarnung, aber das konnte der arrogante Hund sich auch leisten!
Der Deutsche feuerte seine Waffe ab, sprang beiseite.
Wie er erwartet hatte, aktivierte der Venom seinen Lambda Driver und sandte die Kugel des M9 als explosives Paket direkt an den Absender zurück. Verdammt, wenn ihm so ein Ding nicht den Garaus machte, dann würde es der Lambda Driver selbst sein.
Seine Leute hatten begriffen worum es ging und gaben Fersengeld. Nun, mit der verletzten Sam Rogers liefen sie nicht gerade, aber der Rückzug erfolgte schnell und geordnet.

„Danke für das Feuerwerk, Falke eins. Ohne hätten wir ewig gebraucht um euch zu finden!“, erklang eine fröhliche Stimme mit hartem russischen Akzent in Kramers Cockpit auf. Sofort fügte der Computer den neuen Funkkontakt ein. Wenn Jagdfalke eins alias Alexi Valeri die Funkstille brach, dann musste er in der Nähe sein. „Gegnerischen Arm Slave erfasst. Feure Sidewinder! Fox two! Fox two!“
„Stop! Der Arm Slave hat…“ Thomas sah nach oben, bekam noch mit, wie der Super Harrier, begleitet von seinem Flügelmann, über das Wadi hinweg rauschte. Gleichzeitig schlugen die beiden Raketen auf den aktivierten Lambda Driver. Thomas warf seinen M9 herum, wollte laufen, aber es war zu spät. Der Venom reagierte mit der vollen Kraft des Lambda Driver, reflektierte und verstärkte den Explosionsdruck der Raketen nur noch. Sein Arm Slave wurde angehoben und wie welkes Laub davon gewirbelt. Hart schlug der M9 auf. Thomas verlor das Bewusstsein.
**
„NEIN!“, rief Yussuf Ben Brahim wütend, als die harte Explosion hinter ihnen erfolgte.
„Jagdfalke eins an alle Falken. Was war das? Haben wir ein Munitionsdepot getroffen?“
„Jagdfalke eins, der gegnerischen Arm Slave gehört zur Venom-Klasse. Venoms sind mit Lambda Drivers ausgestattet. Du hast wahrscheinlich gerade Falke eins geröstet!“, blaffte der Sergeant und warf seinen Arm Slave herum.
„Von einem Venom stand nichts im Dossier“, erwiderte Valeri erschrocken. „Wie ist Ihr Status, Falken? Wer hat das Kommando?“
„Das hatte bis eben Falke eins!“, rief Ciavati laut. „Falls Ihr ihn nicht gerade getötet habt!“
„Dann übernimmt jetzt Falke fünf.“
„Falke fünf ist schwer verletzt. Falke sieben transportiert ihn.“
„Gut. Falke drei übernimmt das Kommando!“
Ben Brahim stoppte seinen Arm Slave. „Was?“
„Sie haben mich schon verstanden. Jagdfalke drei und vier eskortieren euch von hier ab zum Rendezvous-Punkt mit Wanderfalke eins bis sechs. Dort werdet Ihr evakuiert.“
„Aber Falke eins ist…“
„Keine Diskussion, Sergeant!“, erwiderte Valeri scharf. „Ich habe einen Fehler gemacht, und ich bleibe mit Jagdfalke zwei hier, um Falke eins zu helfen, wenn es uns möglich ist. Aber Sie bringen jetzt Ihr Kommando und Falke fünf hier raus, verstanden?“
Wütend schlug Ben Brahim auf die Konsole seines Cockpits ein. „Habe verstanden, Jagdfalke eins.“
Er wandte seinen Arm Slave wieder um und nahm seinen alten Platz in der Geleitschutzformation neben Sergeant Sandra Ciavati ein.
„Los jetzt, Falken. Bringen wir nach Hause, was noch übrig ist.“ Er wusste, das klang zynisch. Er wusste, es war ungerecht seinen Leuten gegenüber, ungerecht Sam gegenüber und erst Recht ungerecht Valeri und Kramer gegenüber. Aber hätte er es nicht ausgesprochen, dann hätte es ihn zerrissen.
**
Den entscheidenden Unterschied zwischen einem Lageplan und tatsächlichen Ortskenntnissen machte die Infanterie der FEANOR den letzten Eindringlingen klar, als nur fünf Mann den zahlenmäßig überlegenen Feind einkesselten und in die Kantine drückten.
Dort hielten die fünf Spezialisten die Enterer fest, während Karasov mit seinem Begleiter die Brücke betrat. Wie der Skipper befohlen hatte, waren alle bewaffnet. Und genau das wurde nun zum Problem. Karasov hatte sein halbautomatisches Heckler&Koch am Riemen über die Schulter gehängt, griffbereit, sodass er nur zugreifen brauchte, um den Abzug zu erreichen. Die Mündung zeigte in den Raum.
„Skipper, wir haben die Entertruppen geworfen. Die letzten acht Mann wurden in der Kantine festgenagelt.“
Eine Erschütterung ging durch das Schiff, als ein Torpedo auf die Abwehrmaßnahmen der FEANOR hereinfiel, aber nahe dem Schiff explodierte. Sander verzog das Gesicht zu einem entschlossenen Grinsen. Sie hatten immer noch zwei Foxtrott als Gegner, die krampfhaft versuchten, den Koloss in die Enge zu treiben. Aber das würde und durfte ihnen nicht gelingen. Nicht solange er das Kommando führte. „Hart Steuerbord. Unter die Thermalschicht tauchen.“
„Aye, Skipper. Hart Steuerbord, unter die Thermalschicht tauchen.“
„Hart Steuerbord, unter die Thermalschicht tauchen, Aye.“
Sander schmunzelte dünn. „Die HOUSTON sollte nun bereits in der Nähe sein und auf ihren Einsatz warten. Geben Sie Duchemin die Erlaubnis, in den Kampf einzugreifen.“
Teresa Testarossa japste erschrocken auf. Sharon Allister sah nicht einen Deut besser aus. „Skipper… Die HOUSTON?“
„Unsere unbekannten Angreifer sind nicht die einzigen, die für eine Überraschung gut sind“, erwiderte Sander.
„Aye!“, rief die Irin erleichtert. „Lieutenant Steinfeld, Nachricht an die HOUSTON!“
„Aye, Aye, Ma´am!“
Der Rudergänger nestelte an seinem Waffenholster. Seine Miene zierte ein grimmiger Gesichtsausdruck.
„Wenn ich du wäre, Tarkan“, erklang die eiskalte Stimme von Sergej Karasov in seinem Nacken, „würde ich mir jetzt drei Fragen stellen. Erstens, wer bezahlt das bessere Geld, Amalgam oder Mithril? Zweitens, willst du wirklich die Menschen, mit denen du ein halbes Jahr trainiert hast, dem Feind ausliefern? Und drittens: Ist es das wert?“
Agedi erstarrte. Er nahm die Hand vom Waffenholster und rief: „Wir sind unter der Thermalschicht, Ma´am.“
„Gute Entscheidung“, lobte Karasov und trat zurück. Aber die locker über die Schulter gehängte Waffe sagte genug.

„Antwort von der HOUSTON. Sie haben schon auf die Freigabe gewartet.“
„Boogies im Wasser, zwei von der HOUSTON. Sie visieren Foxtrott zwei an.“
„Guter Schachzug, Skipper“, sagte Tai-sa Testarossa anerkennend.
„Tut gut, das zu hören“, murmelte Sander leise.
**
Als Thomas wieder erwachte, wusste er nicht so Recht, ob es das wert gewesen war. Ein schneller Tod im Vergessen wäre eventuell gnädiger gewesen als das, was der Venom-Pilot vor ihm nun plante.
Der riesige Mecha mit dem Pferdeschwanz beugte sich zu ihm vor. „Du bist doch der Bastard, der mich in der Halle durch den Fußboden geschickt hat. Kommst dir deswegen sicher mächtig schlau vor, was? Hm, wer ist jetzt der Schlaue von uns beiden, häh?“
Verzweifelt analysierte Thomas seine Lage. Er lag bäuchlings mit seinem Arm Slave auf dem Grund des Wadis, links und rechts von ihm die Ausläufer des Gebirges. Über ihnen kreisten Jagdfalke eins und zwei, beobachteten die Situation, konnten aber wegen dem Lambda Driver nicht eingreifen.
Wenn er doch nur selbst einen Lambda Driver gehabt hätte…
Thomas schob diesen fruchtlosen Gedanken beiseite. Im Gefecht musste man oft genug improvisieren, und dann musste man mit dem auskommen, was man zur Verfügung hatte.
In diesem Fall war es der M9, der leicht beschädigt langsam wieder zum Leben erwachte, ein Wadi in einem Mittelgebirge und zwei Super Harrier, die über ihnen kreisten.
Mühsam drehte Thomas den Arm Slave auf den Rücken und bewegte ihn mit strampelnden Bewegungen weiter das Wadi hinab.
„Was denn, was denn? Dein Schrotthaufen funktioniert noch? Na, das wollen wir doch ändern, oder?“
Der rechte Arm des Venoms sauste herab, in der Hand ein Anti-Arm Slave-Messer. Thomas blockte mit seiner Klinge, richtete den M9 dafür auf.
Wie er erwartet hatte, setzte der Pilot des gegnerischen Arm Slaves den Lambda Driver ein.
Das Ergebnis war, dass er meterweit davon geschleudert wurde, sich mit dem M9 mehrfach überschlug und dann liegen blieb.
Thomas stieß einen derben Fluch aus und richtete die Maschine wieder auf. Langsam zog er sich vor dem nachrückenden Venom zurück.
„Was denn, was denn? Zögerst du das Unvermeidliche hinaus? Warum? Willst du deinen Leuten Zeit erkaufen? Die kommen nach dir dran, glaub mir.“
Thomas aktivierte den Funk. „Jagdfalke eins von Falke eins.“
„Jagdfalke eins hier“, erklang die erleichterte Stimme von Alexi Valeri. „Dir geht es gut, verdammt. Was kann dich eigentlich töten? Eine Atombombe vielleicht?“
„Halt die Klappe und hör zu, Alexi. Du kannst deinen Fehler von vorhin wieder gut machen und Geschichte schreiben. Greif den Venom noch einmal mit Raketen an.“
„Aber du weißt doch selbst am besten, was dann passiert. Ich meine…“
„Ich sagte halt die Klappe. Greif dafür in genau einer Minute aus der Richtung hundertfünfzig Grad an, komm steil über den Bergkamm und gib mir einen fünfsekündigen Countdown, bevor du die Raketen abfeuerst.“
„Verstanden. Du bist verrückt, weißt du das?“
Thomas grinste dünn. „Ist nichts neues, oder?“
Nun wich er wesentlich langsamer zurück, zog mehr auf die Südseite des Wadis. Wie er erwartet hatte, folgte der Venom wie ein treuer Hund. Oder vielmehr wie eine Hyäne auf der Spur der sich dahin schleppender Beute. Ja, der Vergleich war gut.
Thomas ließ das Gewehr fallen, hob die eigene Klinge.
„Du willst schon wieder spielen?“, erklang die Stimme seines Gegners. „Du stehst aber nicht gerade vor einem verborgenen Schacht oder so?“
Thomas wich schnell drei Schritte zurück.
„Hey, abhauen gilt nicht!“ Der Venom sprang, landete knapp vor ihm. „Das fehlte noch, dass du mir das Vergnügen des Tages nehmen willst!“
„Das Vergnügen des Tages kommt erst noch!“, antwortete Thomas gepresst.
In diesem Moment stieg die Sonne hinter dem Venom auf, erhellte das Wadi. Vor ihm wurde der gegnerische Arm Slave zu einem schattenhaften Schemen.
„Und jetzt bist du auch noch geblendet. Ist wohl echt nicht dein Tag“, spottete der Arm Venom-Pilot.
„Fünf!“, gellte Valeris harte Stimme im Funk auf.
„Deiner aber auch nicht!“, blaffte Thomas, warf den M9 herum und lief los.
„Drei!“
„Nicht abhauen!“
„EINS!“
Die beiden Harriers kamen über den Südhang herüber, feuerten vier Raketen ab und zogen sofort hoch. Die Sidewinder hielten auf den Venom zu. „Nett“, murmelte der Venom-Pilot amüsiert.
Thomas versuchte Distanz zwischen sich und den Venom zu bringen, viel Distanz.
Der Gegner hingegen vertraute völlig auf den Lambda Driver, um die vier Raketen abzuwehren. Die vier Geschosse schlugen in dem Schutz ein, wurden reflektiert und enorm verstärkt. Und rasten direkt in den steilen Abhang hinein. Diesen Gewaltakt nahm die Bergflanke nicht wirklich freundlich auf. Während die Gewalt der Reflektion den M9 erfasste und davon trug, löste sich in dem Berghang tonnenweise Geröll und Erde, nun, wo in der Flanke des Wadi fast zwanzig Meter fehlten. Wie eine Lawine flutete es in das alte Flussbett.
Wieder reagierte der Lambda Driver, wieder wurde der M9 von Thomas erfasst und davon gewirbelt. Und wieder griff die Dunkelheit nach ihm.
**
Als Thomas Kramer erwachte, fuhr er reflexartig auf. Nur um zu merken, dass das eine ganz dumme Idee gewesen war. Haltlos fiel er wieder zurück und musste schwer kämpfen, um die Schwärze vor seinen Augen zu vertreiben.
„Ruhig, Major, lassen Sie es langsam angehen“, riet eine sanfte Frauenstimme. Lydia Henrik, die Chefärztin? Dann war er auf der FEANOR. Dass sie ihn ehrenhalber mit Major angesprochen hatte, sprach dafür. Aber wenn er auf der FEANOR war, dann…
Wieder wollte er hochfahren, wurde diesmal aber von zwei Händen zurück gedrückt. „Ich sagte ruhig. Sehen Sie das als Befehl, Thomas.“
„Meine… Meine Leute. Das Team! Die FEANOR! Ich…“
„Vielleicht sollte ich das übernehmen, Doktor Henrik.“
„Natürlich, Tai-sa.“
Mühsam öffnete Thomas Kramer erneut die Augen. Neben der Ärztin stand nun Teresa Testarossa.
„Tai-sa?“
„Du kannst mich ruhig Tessa nennen“, erwiderte sie. „Ich bin doch immer noch jünger als du.“
Thomas wollte lachen, stellte fest, dass ihm das Kopfschmerzen verursachte und ließ es. „Mist. Was ist passiert?“
„Du hast den Venom besiegt. Das war die kurze Version.“
„Logisch. Sonst würde ich hier ja nicht liegen. Geht es etwas länger?“ Leise fügte er hinzu: „Bitte, Tessa.“
Die junge Frau nickte und gab dem Arm Slave-Piloten einen ausführlichen Bericht, angefangen bei dem Angriff auf die FEANOR über das Eingreifen der HOUSTON bis letztendlich zu seiner Rettung, nachdem seine Leute evakuiert worden waren.
„Du hast eine leichte Gehirnerschütterung. Wenn du noch ein paar Stunden liegen bleibst, darfst du aber wieder leichten Dienst aufnehmen. Lieutenant Rogers ist versorgt und außer Gefahr. Aber ich habe mir sagen lassen, dass sie stinksauer auf dich ist, weil du für ihre Rettung die ganze Einheit gefährdet hast.“
„Egal wie man es dreht“, kommentierte Thomas und ließ sich auf sein Kissen sinken, „Sam ist und bleibt die Prinzessin auf der Erbse. Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen sollte?“
„Nur noch, dass wir Foxtrott eins haben ziehen lassen, nachdem die HOUSTON Foxtrott zwei versenkt hat. Im Moment kreuzen wir vor der marokkanischen Küste.“
„Warum vor der Küste? Wir könnten doch längst auf dem Heimweg sein. Die Mission war doch mehr oder weniger ein Erfolg.“
„Nicht ganz. Etwas gibt es da noch, was wir tun müssen“, klang die Stimme von Melissa Mao von der anderen Seite seines Bettes auf.
Erschrocken fuhr Thomas herum. „Wie lange stehst du da schon?“
„Die ganze Zeit“, erwiderte sie schmunzelnd.
„Ich muß echt was abgekriegt haben, wenn ich dich nicht bemerkt habe“, murmelte Thomas verzweifelt. „Und was müssen wir hier noch tun?“
Melissa Mao kniff lächelnd die Augen zusammen und fragte: „Kriege ich deinen Arm Slave und deine Leute für eine Stunde, Thomas?“

8.
Timothy Scott hockte in einer dunklen, nassen Zelle. Er trug noch immer seinen Pilotenoverall, der noch immer vollkommen durchnässt war. Aber er würde lieber verrecken, als sich in der klammen kalten Zelle auszuziehen und zu hoffen, dass die Kleidung trocknete. Mist, Mist, Mist, konnte es schlimmer kommen? Als illegaler Einwanderer in einer Hinterhof-Polizeistation eingesperrt zu sein, dazu in Isolationshaft, fern von jedem Telefon und jedem Anwalt. Konnte die Welt nicht ungerecht sein?
Das wenige Geld, das er bei sich getragen hatte, war ihm ebenso abgenommen worden wie seine Steyr-Handfeuerwaffe. Ein paar Stunden Prügel und der Entzug von Wärme und Nahrung hatten ein Übriges getan. Außerdem fehlten sanitäre Einrichtungen in diesem Loch.
Wenn er so drüber nachdachte, dann war die Idee, nach dem Absturz aufs nahe Festland zu zu schwimmen eine dumme Idee gewesen. Vielleicht hätte er es bis zu den Kanaren versuchen sollen. Oder gleich nach Hause. Er hatte mal eine Geschichte über einen Piloten gelesen, der hatte es von Süditalien nur mit einem Rettungsfloß bis nach Schweden geschafft. Da war die Distanz von hier bis Styx doch ein Pappenstiel, oder?
Tim machte sich keine Illusionen. Die örtlichen Behörden waren von Amalgam geschmiert worden. Und er war der Trostpreis der misslungenen Mission geworden. Ein Offizier von Mithril, bitte einmal durch alle Teileinheiten durch reichen. Was dann noch übrig blieb, konnte man mit einem Arm Slave zertreten. Lausig war für seine Situation noch zu optimistisch.

Das war eine Sekunde, bevor das typische Geräusch eines arbeitenden Arm Slave-Messers erklang. Bevor Tim es sich versah, fiel das Licht des vergehenden Tages auf sein Gesicht. Jemand hatte tatsächlich das Dach von diesem Loch aufgeschnitten und abgehoben.
Die Polizisten gaben Fersengeld. Sie wussten nur zu gut, dass sie mit ihren Handfeuerwaffen gegen einen Arm Slave keine Chance hatten.
Über ihm stand ein M9. Der Gigant streckte eine Hand aus. „Thomas schickt mich. Er sagte, er braucht noch einen dritten Mann zum Skat. Wenn Sie Lust haben, Timothy, steigen Sie auf.“
„Ich hoffe, das mit dem Skat ist ein Scherz“, erwiderte Timothy schmunzelnd und kletterte in die Arm Slave-Hand. Er beherrschte das deutsche Spiel zwar leidlich, aber er gewann zu selten. Bridge war da schon eher was für ihn, aber das mochten die anderen ja wieder nicht.
„Ich habe Befehl Sie zurückzulassen, wenn Sie nicht mitspielen“, drohte die Arm Slave-Pilotin amüsiert.
Tim zuckte mit den Achseln. „Was soll´s, schlimmer als hier kann es auch nicht sein.“
Er lachte und die Frau fiel ein.
Rings um die Anlage enttarnten sich fünf weitere M9, sicherten zu allen Seiten.
Ein wahres Hochgefühl griff nach Tim. Eine so große Operation, um nur einen einzigen Offizier zu retten, der zudem seinen Hubschrauber verloren hatte… Jetzt mehr denn je war er sich sicher, dass Mithril der richtige Ort für ihn war.
**
„Yehaaa!“ Mit einem breiten, hoch zufriedenen Grinsen stellte Samantha Rogers die fünfte Bierdose auf den Tisch.
„Solltest du die Dinge nicht etwas langsamer angehen lassen, Sam?“, tadelte Tim Scott. „Du wurdest gestern erst entlassen und sollst dich noch schonen.“
„Tu ich doch, tu ich doch. Hier, lies selbst. Es ist Diät-Bier.“
Über soviel Ignoranz konnte Tim nur den Kopf schütteln.
„Lassen Sie sie einfach“, meldete sich Sergej Karasov zu Wort. „Das ist ihre Art, mit der Sache umzugehen.“
Sam Rogers erstarrte für einen Moment. Ihre Augen wurden kurz wehmütig.
Dann riss sie sich die nächste Bierdose auf und trank einen kräftigen Schluck.
„Ich kann es kaum glauben“, murmelte sie leise. „Ich werde vom Lambda Driver fast getötet, nur weil ich auf den Venom schieße. Und was macht der Heilige Thomas? Lässt einfach einen Berghang auf den Venom rutschen in der Hoffnung, dass selbst der Lambda Driver ein Limit hat. Und dann hat er auch noch die Frechheit, Recht zu haben! Wo steckt der Knabe überhaupt?“
„Nun, sie haben ihn heute Morgen entlassen. Seitdem hing er einige Zeit mit Valeri zusammen, der hat immer noch diese miese Laune, weil er den Venom nicht erkannt und Thomas fast umgebracht hat. Was er jetzt macht, weiß ich aber nicht.“ Tim griff selbst zu einer der Dosen, öffnete sie und nahm einen kurzen Schluck. „Diätbier schmeckt nicht.“
„Ach. Und das sagt ausgerechnet ein englischer Dünnbiertrinker“, spottete Sam. Sie erhob sich, schnappte sich die angebrochene Bierdose und winkte in die Runde. „Na, dann gehe ich den Heiligen doch mal suchen.“
„Er ist bestimmt bei seinem Arm Slave“, sagte Tim grinsend. Diese Feststellung hatte ihm neulich dreißig Dollar beschert.
„Danke für den Tipp.“
**
„Da kriegst du für eine einzige Stunde meinen Arm Slave“, tadelte Thomas die Frau, die ihm das Werkzeug reichte, „und schon muß ich die Knieaktivatoren wieder warten. Ich habe die meisten Teile erst neulich ausgetauscht.“
„Ich habe doch schon gesagt, es tut mir Leid. Dein M9 ist eben auf dich geeicht, und beim Sprung habe ich die Distanz nicht richtig geschätzt. Deshalb bin ich so hart aufgekommen.“
„Jetzt erzähl mir noch, dass ich größere Schritte als du mache, Melissa, und der Tag ist komplett.“
„So ist es aber in der Tat. Lassen Sie es nur einen halben Meter sein, der zwischen So-sho Maos Fortbewegung des M9 und ihrer Art liegt, Thomas. Es ist eine Frage der Gewohnheit.“
Der Captain zog den Kopf aus dem Wartungsschacht hervor. „Skipper. Was verschafft mir die Ehre?“
Sander war nicht alleine gekommen. Neben ihm stand Tessa, den Blick gesenkt, dahinter Miguel Santos.
„Wir müssen uns mal mit Ihnen unterhalten, Major. Nein, bleiben Sie ruhig, So-sho. Ihre Meinung dürfte wichtig sein.“
Unwillkürlich straffte sich Thomas. Kam jetzt der Moment, den er erwartete, seit der verdammte Venom in den Flammen aufgetaucht war?
„Major Kramer. Ihr Verhalten und Ihre Befehle bei der Operation Kingdom Sahara haben einem ihrer Piloten das Leben gekostet. Ich bin sicher, Sie sind sich dessen bewusst.“
„Ja, Skipper.“
„Moment“, begehrte Melissa Mao auf. „Aber er hat…“
Sander brachte die Arm Slave-Pilotin mit einem Blick zum schweigen.
„Und unter Ihrem Kommando gingen zwei Arm Slaves vom Typ M9 verloren.“
„Ja, Skipper.“
Sander tauschte einen langen Blick mit Teresa Testarossa aus.
„Nun, ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass…“
„Wenn Sie glauben, dass Sie es so einfach haben, dann irren Sie sich!“ Wütend stapfte Second Lieutenant Samantha Rogers in den Hangar und stellte sich vor ihren Vorgesetzten. „Okay, er hat zwei M9 verloren. Okay, Cyrus ist tot. Aber ich wäre jetzt auch tot, wenn er nicht gewesen wäre. Und ich bin mir verdammt sicher, von den anderen Arm Slave-Piloten hätten auch nicht besonders viele überlebt!“ Die Hände der jungen Frau zuckten unkontrolliert. „Thomas Kramer ist nicht nur mein vorgesetzter Offizier, er ist auch ein guter Freund. Abgesehen davon der beste Arm Slave-Pilot und Offizier, den ich je kennen gelernt habe. Wenn Sie für die FEANOR einen Arm Slave-Kommandeur brauchen, dann ist er Ihr Mann und niemand sonst. Wenn Sie ihn aber nicht brauchen…“ Ernst sah sie Sander in die Augen. „Dann trete ich ebenfalls aus.“
Wieder wechselten Sander und Tessa einen langen Blick. Nur diesmal schmunzelten die beiden.
Sam, deren Wut nun verraucht war, begann leicht zu zittern, als ihr bewusst wurde wen sie da angeschrieen hatte.
„Lieutenant Rogers, Ihren Enthusiasmus und Ihre Loyalität sind ein gutes Beispiel für das, was ich sagen wollte.“ Sander bedeutete ihr, an Kramers Seite zu treten.
Melissa sah erstaunt in die Runde.
„Wie ich gerade sagen wollte, Major Kramer, brauche ich nicht erst zu erwähnen, dass Ihre Leute Ihnen vorbehaltlos vertrauen… Was wir übrigens gerade erleben durften.“
Sam wurde rot und fand plötzlich ihre Bordschuhe höchst interessant.
„Und das waren ja auch nur die Soll-Posten in der Missionsbilanz. Auf der Haben-Seite sind ein erfüllter Auftrag, achtzehn abgeschossene Savages, etliche Raketenstellungen, Waren im Wert von schätzungsweise zweihundert Millionen Dollar und fast zwei Dutzend T 72-Kampfpanzer. Nicht zuletzt ein vernichteter Venom. Bisher gingen wir davon aus, dass ein Arm Slave mit Lambda Driver nur mit Hilfe eines anderen Arm Slave vernichtet werden kann, der ebenfalls über den Lambda Driver verfügt. Was Sie vielleicht wissen sollten, Major Kramer, ist…“
„Was du wissen solltest, Thomas“, übernahm Tessa das Wort, „ist, dass der Lambda Driver direkt mit deinen Emotionen, deinem Willen zusammen arbeitet. Wenn Du also restlos von dir überzeugt bist, dann kann der Driver alles von dir abhalten – bis auf einen anderen Lambda Driver. Wenn du es aber nicht bist, wenn dein Selbstvertrauen erschüttert wird, einen Knacks kriegt, dann versagt der Lambda Driver.
Du hast den gegnerischen Piloten im Kingdom Sahara schwer erschüttert, als du ihm den Boden unter den Füßen fortgezogen hast. Damit hatte er nicht gerechnet. Er fühlte sich plötzlich wieder verwundbar.
Als dann im Wadi der Berghang ins rutschen kam, kochten seine Zweifel hoch, er verlor die Kontrolle über den Driver und wurde mitsamt seinem Arm Slave zertrümmert.
Was ich damit sagen will ist, dass du Glück gehabt hast. Ein zweites Mal klappt das vielleicht nicht.“
„Oder erst recht, wenn man die Sache richtig anpackt“, schmunzelte Melissa amüsiert. „In meinem Bericht an das Oberkommando wird jedenfalls stehen, dass Thomas Kramer der richtige Mann am richtigen Ort ist.“
„Ihr Team hat sich bewährt, und das unter katastrophalen Zufallsbedingungen. Ich gratuliere Ihnen. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie auch bald außerhalb dieses Schiffes Major genannt werden, Thomas.“
„Ich danke Ihnen, Sir. Ich danke dir, Melissa. Danke, Tessa.
Und Sam, ich hätte nie erwartet, dass du so energisch für mich Partei ergreifst. Danke.“
„Muss am Bier liegen“, brummte sie unwillig. „Es schwächt meine Abwehrhaltung.“
Thomas grinste.
„Und, Sir, was ist mit der FEANOR? Haben wir die Überprüfung bestanden?“
„Das werde ich wissen, wenn wir Morgen Styx anlaufen, Major.“
„Morgen also.“
Tessa ließ den Kopf hängen. „Wenn es nur nach mir ginge, dann… Schon gut.“

Die Stille, die sich ausbreitete, hatte etwas Bedrückendes. So bedrückend, dass Thomas Kramer schließlich die Arme hochwarf und rief: „Das hält man ja nicht aus! Ihr tut ja alle so, als würde es wirklich in Frage stehen, dass die FEANOR in Dienst gestellt wird! Kommt, ich gebe in der Kantine einen aus.“
„Das ich das noch erleben darf…“, murmelte Sam nachdenklich.
„Was? Das er einen ausgibt?“ Melissa trat neben die junge Frau und sah Santos, Kramer, Sander und Tessa nach, die vorgingen.
„Nein, das er selbst mal etwas trinkt. Ansonsten lebt er nur für seinen Job, sieht in jedem Schatten eine Bedrohung und…“
„Ja, ich weiß. Und hat nicht den Hauch einer Ahnung, was ein Privatleben ist, richtig?“
Sam nickte überrascht.
„Schon gut, ich kenne diesen Typ Mensch. Einer meiner Arm Slave-Piloten ist auch so einer. Im Arbalest nicht zu schlagen, aber lass ihn mal alleine in einem Restaurant etwas bestellen.“
Sam lachte. „Sie gefallen mir, So-sho Mao.“
„Sagen Sie Melissa zu mir, okay?“ Die beiden Frauen folgten der Gruppe.
„Dann sagen Sie aber Sam zu mir. Wie wäre es? Wollen wir uns über unsere beiden Problemkinder austauschen?“
„Sie meinen, ihre Probleme offen breittreten und weitertratschen? Klingt gut.“
**
„Das war es also“, murmelte Robert Hausen leise. Kingdom Sahara war Geschichte. Unten begannen seine überlebenden Leute mit dem Abbau aller transportablen Sachwerte. Die meisten würden froh sein, dass es endlich zu Ende ging. Die wenigsten hatten so luxuriös gelebt wie ihr Boss Hausen und waren froh, endlich in ein freundlicheres Klima wechseln zu können. Und das als reiche Leute. Keiner würde mit weniger als fünfzigtausend Dollar Abfindung von dieser Basis verschwinden.
General Feysal hatte bereits Transporter geschickt, um all das von den Waren zu verladen, was nach dem Angriff Mithrils übrig geblieben war. Damit würde er für sich und seine Truppen einen netten Posten bei der Marokkanischen Föderation einkaufen und fortan im Luxus leben. Ein Jahr früher als geplant und nicht ganz so reich wie erhofft.
„So, so“, murmelte Robert, mehr für Vicomte Vogel als für sich selbst. „Der Venom wurde also zerquetscht.“
In der spiegelnden Glasfläche konnte Hausen sehen wie der Halbasiat zusammen zuckte. Er hatte einen Lambda Driver verloren. Hausen konnte sich nicht vorstellen, dass Amalgam das wirklich positiv aufnahm. Letztendlich gab es weder Piloten noch Maschinen dieses Typs in unendlicher Zahl.
„Der Pilot hat versagt. Wenn er mehr Selbstvertrauen in sich und seinen Lambda Driver gehabt hätte, dann…“
Auf dem Landeplatz ging gerade eine Militärmaschine nieder. Ein schwitzender Anzugträger kam zum Vorschein, eskortiert von acht schwer bewaffneten Kommandosoldaten.
„Ich glaube nicht, dass ich der richtige Ansprechpartner bin, um sich zu rechtfertigen, Vicomte. Für mich war Kingdom Sahara von vorne herein eine temporäre Angelegenheit, die nun etwas früher als gedacht zu Ende geht. Wenn Ihre Organisation wieder meine Hilfe will, wird sie schon von selbst an mich heran treten. Sie aber müssen sich wohl für Ihre Niederlage verantworten müssen.“
Hausen sah in der Reflexion, wie Vogels Kopf hin und her ruckte. Der Vicomte wirkte auf ihn wie ein scheues Kaninchen, das verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit suchte. Was für ein Vergleich. Vom Wolf zum Kaninchen, wie schnell ging das doch, wenn ein Raubtier dazu kam, dass noch um etliches größer als man selbst war.
Und dieses Raubtier bahnte sich gerade seinen Weg vom Landeplatz ins Gebäude, durch die Gänge, bis an sein Büro.
„Wo wir gerade von Verantwortung sprechen. Braucht General Feysal nicht noch einen Mann mit guten Waffenkontakten?“
Hausen wandte sich um. „Sicher braucht er den. Aber leider werden Sie das nicht sein, mein lieber Vicomte.“
Als es an seiner Bürotür klopfte, fuhr Vogel erschrocken herum. Hausen drückte einen Knopf auf seinem Schreibtisch und entriegelte die Tür.
Sofort kamen zwei Kommandosoldaten herein, die Waffen im Anschlag und auf Vogel gerichtet.
Danach kamen die anderen Soldaten und der schwitzende Geschäftsmann.
„Ein unmögliches Klima. Wie kann man nur freiwillig hier leben? Aber damit ist es jetzt ja für Sie vorbei, oder, Mr. Hausen?“
„Sicher, Mr. Conrad. Ich gehe nach Hause.“
„Schön für Sie. Ich wurde ermächtigt, Ihnen als Entschädigung einen Bonus von fünf Prozent zu versprechen. Aber dafür halten Sie sich bitte bereit, falls wir ein neues Projekt planen.“
„Nun, den Bonus in allen Ehren. Aber ob ich mit Ihnen wieder zusammen arbeite, werde ich entscheiden. Vor allem in welchen Projekten, Mr. Conrad.“
„Stur wie immer, mein lieber Hausen. Leider sind Sie es wert, dass man Sie am Leben lässt.“
Der Mann wischte sich die Stirn trocken, doch sofort bildeten sich neue Schweißperlen. Er sah Vogel an. „So, wir müssen dann gehen. Kommen Sie, Vicomte?“
Wortlos, überrascht und überzeugt von zwei Waffenmündungen, die permanent auf ihn zeigten, folgte Vogel Mr. Conrad aus dem Büro.
Hausen erwartete nicht, den Vicomte jemals wieder zu sehen. Letztendlich war er eben doch nur ein kleiner Fisch gewesen, der irgendwann von den Größeren gefressen wurde.
Und er selbst, Robert Hausen, war der größere Fisch in der Geschichte.
„Mithril, hm? Klingt interessant genug, um sich mehr damit zu beschäftigen“, murmelte Hausen und wandte sich wieder dem Fenster zu.

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8.
Es war ein Ritual, das sich in den Jahren seit der Gründung Mithrils etabliert hatte. Nach einer Mission schritt der kommandierende Offizier seine Leute ab. Dabei war es üblich, einzelne Leute, die gut gearbeitet hatten, aufzurufen. Dazu die Teileinheitsführer.
Für Johann Sander war dieser Gang immer schwer, vor allem wenn es Verluste gegeben hatte.
„Lieutenant Commander Allister.“ „Sir.“
„Lieutenant Colonel Santos.“ „Sir.“
„Second Lieutenant Scott.“ „Sir.“
„Captain Valeri.“ „Sir.“
„Captain Kramer.“
Thomas salutierte und meldete: „Sir, Sergeant Doherty ist auf Patrouille.“
Sander zögerte kurz. Ein Mitglied von Mithril verließ nie den Dienst. Und wenn es starb, dann ging es für die Kameraden auf die Patrouille…
„Master Chief Kuyper.“ „Sir, Techniker First Class Kenneth Lyman ist auf Patrouille.“
Wieder zögerte Johann Sander. „Stabsarzt Dr. Henrik.“ „Sir.“
„Captain Karasov.“ „Sir, Private Johnston und Corporal Nasahati sind auf Patrouille.“
Vor ihnen standen vier Särge, bedeckt mit Mithrils Flagge. Einer nur symbolisch weil von Cyrus Doherty nichts mehr gefunden werden konnte, was für eine Sargfüllung ausgereicht hätte. Wieder stockte Sander.
„Eins O, lassen Sie wegtreten.“ „Aye, Sir.“
Johann Sander ging zu den beiden wartenden Frauen herüber, die der Zeremonie schweigend beigewohnt hatten. Mit ihnen zusammen und seinen beiden wichtigsten Offizieren würde er auf den schwersten seiner Wege gehen. Vor die Hauptversammlung.
**
Diesen Konferenzraum gab es auf allen Stützpunkten Mithrils. Eine auf der Black Technologie, dem fortgeschrittenen Technologieschub der Whispered basierende Hologrammtechnik ermöglichte es, in Nullzeit und mit Sichtkontakt mit den wichtigsten Offizieren und Vorgesetzten zu kommunizieren. Sie wurden per Hologramm einfach hinzugeschaltet, während sie selbst, Captain Sander und Tai-sa Testarossa sowie die Umstehenden ihrerseits in die Konferenzräume der anderen Stützpunkte und Büros übertragen wurden.
Diese Konferenz hatte schon einige Zeit hinter sich und näherte sich der kritischen Phase. Die hinter ihnen stehenden Offiziere, Lieutenant Colonel Santos, So-sho Mao und Lieutenant Commander Allister verfolgten den Verlauf besorgt.
„Die Gesamtverluste der Operation belaufen sich auf zwei M9 Gernsback, einen Kampfhubschrauber Werewolf NX, einen Arm Slave-Piloten, zwei Infanteristen und ein Techniker der FEANOR. Im Gegenzug erreichte Operation Kingdom Sahara neunzig Prozent aller Gefechtsziele und vernichtete einen Venom mit Lambda Driver.
Der FEANOR und der HOUSTON gelangen der Abschuss eines feindlichen Kilo und eines Foxtrott. Ein zweites Foxtrott hat sich beschädigt zurückgezogen.
An dieser Stelle möchte ich noch mal anmerken, dass die FEANOR in eine Falle gelaufen ist. Sie hat sich aus eigener Kraft daraus befreit, mit Erfindungsreichtum, Hingabe und Leistungsbereitschaft. Nicht zuletzt die Initiative von Captain Sander hat die Situation entschieden. Ich empfehle deshalb nachdrücklich, die FEANOR mit der jetzigen Crew in Dienst zu stellen.“
Teresa Testarossa warf Sander einen aufmunternden Blick zu. Der Kommandant der FEANOR und Stützpunktkommandeur von Styx erwiderte den Blick mit einem Lächeln.
„Es gab Einwände bezüglich des Kommandeurs der Arm Slaves, Captain Thomas Kramer“, wandte der Bereichsleiter Logistik ein, während er in seinen Unterlagen blätterte.
„So-sho Mao?“
Die ehemalige Marine trat vor. „Von meinem Standpunkt aus gibt es keine Einwände gegenüber Captain Sander. Der Mann ist sehr gut ausgebildet, hat das Vertrauen seiner Leute und macht keine Fehler. Ich empfehle nachdrücklich, ihn auf seinem Posten zu belassen.“
„Das ist es nicht. Es gibt Bedenken gegen ihn, weil er dazu neigt, sein Material als… Material zu betrachten. Er ist verschwenderisch.“
„Was? Deshalb sollte ich ihn beobachten? Wegen übermäßigen Materialverlusten?“
„Was erstaunt Sie so daran, So-sho Mao? Eine militärische Einheit steht und fällt mit ihrem Material. Wir können nicht alles sofort ersetzen, manches wie den Arbalest vielleicht nie. Ein guter Kommandeur kümmert sich immer auch um sein Material. Und wie wir wissen, liegen die Hauptverluste bei den Arm Slaves, richtig?“
„Schon, aber in diesem Fall müssen die Verluste als moderat angesehen werden“, wandte Tai-sa Testarossa ein. „Die Falken wurden ohne Vorwarnung mit einem Venom konfrontiert. Normalerweise hätte das bedeutet, dass die gesamte Truppe ausgelöscht worden wäre. Mit nur zwei Verlusten und lediglich einem Toten können wir ganz zufrieden sein. Sofern das bei dem Verlust von Menschenleben überhaupt möglich ist.“
„Das ist ein Argument. Nun, ich denke, wir haben zuviel Zeit, Geld und Personal in die FEANOR investiert und es sprechen sehr viel mehr Argumente dafür als gegen das Schiff. Ich denke, wir stellen sie in Dienst.“
Die anderen anwesenden Bereichsleiter murmelten zustimmend.
Sander stand auf. Kurz sah er hinter sich, wo Lieutenant Colonel Santos und Lieutenant Commander Allister standen. Er nickte zufrieden und sah in die Runde. „Ich danke Ihnen, meine Herren. Die FEANOR und die Besatzung des Styx-Stützpunktes werden Ihnen keine Schande machen.“
„Das erwarten wir auch, Captain Sander.“
Nach und nach gingen die Hologramme off.

Johann Sander reckte beide Arme nach oben. „JAAAA! Wir sind im Rennen!“
Übermütig ergriff er Tessas Hände und schüttelte sie. „Ich danke Ihnen, Tessa, oh, ich danke Ihnen! Ihnen auch, So-sho Mao!“
Sander schüttelte auch ihr übermütig die Hand und lief nach draußen, Colonel Santos und Commander Allister dicht auf den Fersen.
„Ich habe Johann immer für einen der Stillen gehalten“, murmelte Tessa und betrachtete nachdenklich ihre Hände. „Aber die Seite an ihm mag ich auch.“ Sie lächelte Melissa an.
„Die FEANOR ist offiziell in Dienst gestellt!“, klang Sanders aufgeregte Stimme aus dem Flur herüber. Mehrstimmiger Jubel antwortete ihm. Es verwunderte die Kommandantin doch, dass die Stimme von Allister so klar über dem Jubel zu hören war. So hatte sie den Eins O nicht eingeschätzt. Der Jubel von Santos aber passte wiederum zu seiner Persönlichkeit, fand sie.
Tessa erhob sich und ging mit Melissa ebenfalls in den Flur.
„Es tut eben ab und zu gut, aus seiner eigenen Rolle auszubrechen, Tessa. Merk dir das als Lektion fürs Leben.“ Sie zwinkerte ihrer Vorgesetzten zu.
Der Jubel wurde immer lauter, je mehr Leute von der guten Nachricht erfuhren.

„Unten am Strand läuft nachher eine Feier“, erklang hinter ihnen die Stimme von Thomas Kramer. „Ihr kommt doch auch, oder?“
„Ihr habt die Feier schon organisiert?“
Thomas stieß sich von der Wand ab und schloss zu den beiden auf. „Entweder hätten wir die Indienststellung gefeiert, oder aber das Ende.“ Er zuckte mit den Schultern. „Irgendwas gibt es immer zu feiern.“
Thomas legte Tessa eine Hand auf die Schulter. „Ich habe deine Fürsprache gehört. Ich danke dir, Tessa. Das hat wirklich gut getan. Das hat wirklich, richtig gut getan.“
Die Tai-sa wurde rot. „Thomas…“
„Und dir danke ich besonders, Melissa. Von Arm Slave-Pilot zu Arm Slave-Pilot, dein Kommentar war ein riesiges Lob für mich.“ Er schüttelte ihre Hand und legte die Linke auf ihre Schulter. „Ich kann dich nicht zufällig abwerben? Da ist ein Posten für einen Sergeant in meiner Einheit frei.“
„Keine Chance“, erwiderte Melissa lächelnd. „Da wo ich bin habe ich zuviel Spaß. Aber das heißt ja nicht, dass wir nicht mal zusammen arbeiten werden.“
„Das würde mich freuen. Dann kann ich dich wieder sehen.“
„H-hör mal, Thomas, du…“
„Rein dienstlich, versteht sich“, sagte Kramer hastig und trat einen schnellen Schritt zurück.
So-sho Mao runzelte die Stirn. „So?“
„Wie dem auch sei, kommt Ihr? Die Party hat schon angefangen, wie es scheint.“
„Klar!“ Tessa lächelte verschmitzt und ging neben Kramer den Gang hinab.
Melissa Mao betrachtete die beiden einen Moment lang. Dann schüttelte sie den Kopf. „Bin ich denn nicht mit Kurtz schon geschlagen genug? Ich frage mich, ob die beiden sich mögen würden. Oder gibt es Überschlagsblitze, wenn sie sich die Hand geben?“
Melissa Mao lachte kurz und folgte den beiden. Für eine Party war sie immer zu haben. Und ehrlich gesagt gefiel ihr der Gedanke, mal wieder mit dem Arm Slave-Team der FEANOR zusammen arbeiten zu können.

Ende

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Full Metal Panic: Nordatlantik-Flotte
Whispered

Prolog:
Osteuropa kam auch nach Jahren des Bürgerkriegs nicht zur Ruhe. Weder russische Panzerdivisionen noch Arm Slaves konnten das ändern.
In einem Hexenkessel aus Gewalt und Chaos entstanden Reiche und vergingen wieder, während die Welt atemlos zusah.
Wenigstens konnte der Bürgerkrieg eingegrenzt werden, bevor er sich wie ein Flächenbrand ausbreitete. Der Nachteil waren Dutzende schutzlose Flüchtlingslager an den Grenzen zu den friedlichen Staaten, die jene Unglücklichen nicht betreten durften, weil sie den falschen Pass hatten. Nicht selten ging eines dieser Lager in Flammen auf.
Allein betreut durch das Internationale Rote Kreuz und so gut wie gar nicht geschützt waren sie ein Brutkessel für Verzweiflung, Extremisten und Krankheiten.
Und sie bildeten Schwarzmärkte, auf denen so gut wie alles zu verkaufen war.

1.
Richtig wohl fühlte sich Thomas Kramer nicht, und das lag nicht an der schmutzigen, zerrissenen Militäruniform ohne Rangabzeichen, die mal einem polnischen Gefreiten gehört hatte. Nein, der Anblick war es, der ihm zu schaffen machte. Ohne Strom, ohne fließendes Wasser und mit mangelnden sanitären Einrichtungen, in engen, niedrigen Zelten vegetierten dreitausend Menschen an der Grenze zur Tschechoslowakei vor sich hin, unfähig ihr Schicksal zu ändern.
In der UN lief seit Jahren eine Debatte über eine Intervention mit Truppen, um die neun Länder, die noch immer vom Bürgerkrieg erschüttert wurden, zu befrieden.
Aber die Soviets blockten jeglichen Vorstoß, sei es mit NATO- oder Blauhelm-Truppen rigoros ab. Tatsächlich betrachteten sie dieses Gebiet als ihr persönliches Einzugsgebiet. Was dazu führte, dass es jedes Jahr schlimmer wurde. Rotes Kreuz und Amnesty International legten jedes Jahr noch schrecklichere Berichte über die Situation in den Lagern vor.
Der letzte Bericht von Amnesty International war mit einem zynischen Schlusswort unterschrieben worden, wie sich Thomas erinnerte. Das Problem würde sich binnen von drei Jahren von selbst erledigen, weil die Menschen in den Lagern dann an Seuchen, Unterernährung und Gewalt längst umgekommen sein würden.
Und wenn Thomas all das Elend sah, musste er zustimmen. Wenn es hier noch schlimmer wurde, dann waren die Menschen verloren.
Nach außen hin verzog er keine Miene, wirkte kalt, unnahbar und zielstrebig. Aber innerlich fragte er sich verzweifelt, was er selbst, was Mithril hier tun konnte. Doch dieses Lager war nur eines von hunderten. Und beinahe täglich entstanden neue. Die Situation war verfahren.

„Pjotr?“
Kramer fuhr herum. Ein Mann, der die gleiche Uniform trug wie er selbst, hatte ihn angesprochen. „Dimitri?“
Russische Namen für Männer in polnischen Uniformen. Wie ironisch.
Der Mann nickte. „Richtig. Wo hast du so lange gesteckt?“
„Ich hatte zu tun“, schloss Kramer barsch.
Der Andere nickte nur und ging vor. Der Captain von Mithril folgte.
Sie kamen zu einem großen Zelt, an dessen Wänden das Rote Kreuz prangte. Im Innenraum versuchten die wenigen Hilfskräfte, so gut sie es konnten um die Gesundheit der Menschen zu kämpfen. Aber es mangelte an allem: Medikamenten, Personal und Ausrüstung.
Einzig Patienten gab es im Überfluss.
Sie gingen an zwei erschöpften Ärzten vorbei und verließen das Zelt durch den Hinterausgang. Dort schloss sich ein weiteres Zelt an, das als Lagerraum diente.
Dimitri öffnete eine Bodenklappe und stieg in die Tiefen hinab, Kramer folgte ohne zu zögern.
Ihn erwartete eine handfeste Überraschung. Nach ein paar hundert Metern in einem Kriechgang gelangten sie in einen Hangar. Dessen Ausmaße waren, nun, gigantisch.
„Willkommen, Captain Kramer“, begrüßte ihn ein großer bärtiger Mann in der Uniform eines Obersten der polnischen Armee. In Gedanken verglich Kramer das Bild mit dem Dossier, das er erhalten hatte und kam zu dem Schluss, dass er an der richtigen Adresse war. „Oberst Schultz.“
„Kommen Sie, kommen Sie, hier redet es sich schlecht.“ Der Bärtige ging voran, Thomas´ bisheriger Begleiter, der ihn abgeholt hatte, verließ sie und ging auf eine Gruppe Männer zu, die zwischen zwei Arm Slaves der Savage-Klasse um einen Kocher saßen.
Schultz führte ihn in ein Büro und bedeutete ihm, sich zu setzen.
„Kaffee?“ Thomas schüttelte den Kopf. Es erschien ihm nicht richtig, sich hier einen Luxus wie Kaffee zu gönnen, während er erst durch das Elend da oben gegangen war.
„Jaja“, meinte der Mann, der zu den besten Auslandsagenten des Bundesnachrichtendiensts gehörte und nickte verstehend, „beim ersten Mal ist es ein Anblick, der einen aus den Latschen haut.“
Der Oberst schenkte Thomas einen Kaffee ein und stellte ihm den Becher hin.
Automatisch griff er danach.
„Der Punkt, warum ich Sie kommen ließ, Kramer, ist, dass der BND alleine die Situation nicht handhaben kann. Nach zwei Jahren intensiver Nachforschung können wir endlich belegen, wer zumindest zum Teil die Unruhen und den Bürgerkrieg schürt. Ich habe diese Informationen an mein Hauptquartier weitergereicht, aber die Antwort war simpel: Wir sind zum beobachten hier, nicht zum kämpfen.“
„Was ist das hier für ein Ort, wenn ich fragen darf?“
„Eine ehemalige Kaserne der Soviets, als sie noch glaubten, Bulgarien wäre fest in ihrer Hand. So kann man sich irren, was? Sie sollte als Anlaufstelle für Elitetruppen dienen um in einem Schwenk in der Türkei, Griechenland und Italien einfallen zu können, wenn der große Krieg beginnt. Tja, nun haben sie ihren Krieg, nur ein wenig anders als sie vielleicht gedacht haben.“
„Verstehe. Ist dieser Ort sicher?“
„Er war geheim und ist es immer noch. Dennoch haben wir zwei Ausweichverstecke und können notfalls die Arm Slaves da draußen bemannen. Außerdem haben wir ein gut funktionierendes Kamerasystem unter permanenter Überwachung.“
„Gut.“ Thomas trank einen Schluck Kaffee. Er schmeckte wie dieser Ort: Leer und fade.
„Wie ich schon sagte“, nahm der Oberst den Faden wieder auf, „darf ich nicht aktiv werden. Aber Mithril kann es.“
„Deswegen bin ich hier, nicht wahr?“
„Deswegen sind Sie hier, Captain.“
Die beiden Männer musterten sich einen kurzen Augenblick. Dann nickte der Oberst. „Gut. Das Problem ist, dass es… Interessenten in Deutschland gibt, die wollen, dass der Bürgerkrieg weitergeht.“
„Interessenten? Aber wer hat ein Interesse daran, dass Europa weiterhin destabilisiert wird? Ein Interesse daran, dass dieser Flächenbrand das eigene Land erreichen könnte?“
„Die Waffenlobby. Deutsche, französische, britische und amerikanische Firmen testen hier ihr experimentelles Equipment unter realen Bedingungen. Das ist ein Markt, den wir nicht unterschätzen dürfen.
Deshalb kann ich hier nicht eingreifen, weil Menschen mit Macht auf meine Vorgesetzten einwirken.
Übrigens testen auch die Soviets hier ihre Waffen, und das mit Erfolg. Meine Leute haben in diesem Jahr schon zwei neue Savage-Modelle beobachten können. Sie sehen aus wie die alten Modelle, sind aber sehr viel kampfstärker. Mit einem M6 können sie problemlos mithalten.“
Kramer lachte rau auf. Die Waffenlobby also. Einer seiner Gründe für den Beitritt zu Mithril waren diese Machenschaften gewesen. Sie wollte er unterbinden, um den Menschen in den Lagern ihre Heimat wiedergeben zu können.
„Also“, sagte Thomas ernst, „was haben Sie für mich?“
Der deutsche Oberst in der polnischen Uniform griff unter seinen Schreibtisch und holte eine dicke Akte hervor. „Vasili Vassilijewitsch Kumanow. Waffenhändler und Kommunalpolitiker. Und nach allem was wir wissen der hiesige Verbindungsmann einer geheimnisvollen Organisation namens Amalgam.“
Kramer fühlte wie ihm ein kalter Schauder über den Rücken ging. „Von denen habe ich schon was gehört“, sagte er leise.
„Aus Deutschland höre ich kaum etwas über sie. Es ist als gäbe es diese Truppe gar nicht. Meine Hinweise auf sie werden abgetan. Und genau deshalb interessiere ich mich für sie.“
Thomas nahm die Akte auf und begann darin zu blättern. „Er verkauft Waffen.“
„Richtig, und das zu einem verdammt günstigen Preis. Er füttert den Waffenmarkt regelrecht. Andere Waffenhändler haben bereits versucht gegen ihn vorzugehen. Aber seine Leibwache ist zu stark. Sogar eine ehemalige reguläre Regierungseinheit wurde von denen vernichtet. An dem Punkt bin ich auch auf Karasow aufmerksam geworden und habe mich gefragt, wie dieser Mann seinen Umsatz macht. Oder ist er gar nicht am Waffenhandel an sich interessiert?
Weitere Nachforschungen haben das hier hervor gebracht. Studieren Sie die Akte aufmerksam. Sie wird dieses Büro niemals verlassen.“
Kramer nickte automatisch. Blaupausen von Karasows Villa, Verteidigungsparameter. Stärke seiner persönlichen Garde, sein Besitz, seine Lagerhäuser, Namen wichtiger Mitarbeiter sowie der vier Arm Slave-Piloten, die für ihn arbeiteten. Eine Menge Informationen.
„Irgendwie glaube ich, dass Sie hier nicht mehr auf diesem Posten sitzen würden, wenn Sie das hier nach Bonn weitergeleitet hätten“, murmelte Thomas leise.
„Ich sehe, wir verstehen uns.“ Der Oberst sah zufrieden aus. „Hören Sie, Captain, vielleicht erweise ich der eigenen Wirtschaft einen schlechten Dienst. Vielleicht verstoße ich gegen Befehle. Aber ich bin schon viel zu lange hier um noch länger nur zusehen zu können. Die Menschen da oben können zwei Dinge gebrauchen: Ein Dach über den Kopf und Frieden. Beides erreichen wir nur, wenn hier jemand die Ordnung wiederherstellt. Bulgarien ist groß und die Grenzen sind verwischt, seit der Bürgerkrieg von Aserbaidschan herüber geschwappt kam. Die Clans bekämpfen sich ebenso wie die verschiedenen Fraktionen der zerbrochenen Nationalarmee, die verschiedenen Parteien bis hinunter zu den unterschiedlichen Volksgruppen. Bei der letzten Zählung sind wir auf neunzehn ernst zu nehmende Fraktionen gekommen, und das ohne Polen und die Gruppen anderer Nachbarländer zu zählen, die teilweise auf bulgarischem Gebiet aktiv sind.“
Thomas Kramer kannte die Geschichte. Als relativ friedliches und Moskau verbundenes Land war Polen bisher vom Krieg verschont geblieben. Aber nach fünf Jahren Horror und Elend hatte Polen es seinen Soldaten und Offizieren freigestellt, freiwillig in den Bürgerkrieg einzugreifen.
Viel hatten sie nicht erreicht, aber wenigstens tauchten hier und da polnische Uniformen in den Lagern auf und sorgten für eine gewisse Ruhe und Ordnung.
Thomas verstand mit einem Mal die Symbolik der Uniformen, welche Oberst Schultz und seine Leute trugen. Erstens fielen sie als Fremde nicht in dem Maße auf und zweitens brachten sie ihre Gesinnung zum Ausdruck.
„Das Lager und die Ärzte da oben“, begann Thomas.
Der Oberst nickte. „Ja, wir zweigen einen Teil unseres Budgets ab, um diese Versorgung zu finanzieren. Wir haben das Lager ursprünglich über dem Hangar errichtet, um unser Versteck zu tarnen, aber Sie sehen ja, was draus geworden ist.“
„Ich verstehe.“
Kramer schloss die Akte wieder und schob sie zurück. „Und was genau erwarten Sie von Mithril, Oberst Schultz?“
„Was kann Mithril tun?“
Thomas Kramer lächelte dünn. „Mithril könnte ein paar Arm Slaves ausschicken, um diesem Kumanov auf den Zahn zu fühlen. Wenn er wirklich Verbindungen zu Amalgam hat, dürfte das interessant werden. Und wenn wir so ein paar Kampfeinheiten von der Grenze und damit von den Lagern fortziehen können, würde Ihnen das auch helfen, oder?“
„Ich sehe, wir verstehen uns. Den Rest lege ich in Ihre Hände, Captain Kramer.“
Die beiden erhoben sich.
„Ich wünsche Ihnen viel Glück, Captain Kramer.“
„Ich wünsche Ihnen Erfolg auf der ganzen Linie, Oberst Schultz.“

2.
Als Thomas Kramer die Aufnahmen aus den Akten und aus dem Lager vorführte, erlebte er ein merkwürdiges Phänomen: Seine Leute hielten bei einer Besprechung ausnahmslos die Klappe.
Das Leid, das Elend der Menschen, die katastrophalen Bedingungen unter denen sie lebten, ließ sie verstummen.
„Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen, Sir“, meldete sich Lieutenant Rogers zu Wort.
Thomas nickte der großen Blonden zu. „Erteilt.“
„Was tun wir dagegen? Was tut Mithril dagegen?“
„Nichts“, antwortete Thomas.
Captain Sergej Karasov, Chef der Bordinanterie, zog bei diesen Worten die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts.
„Nichts? Aber…“
„Es ist wie folgt“, dozierte Thomas ernst, „die Unruhen umfassen neun ehemalige Ostblockstaaten. In ihnen werden regelmäßig rund fünftausend Arm Slaves eingesetzt, dazu kämpfen zwei Millionen Soldaten und Paramilitärs wie Nationalgarden, Polizei und Guerillas.
Durch die andauernden Kämpfe liegen die Industrien der beteiligten Länder am Boden. Es gibt keine Arbeit mehr. Sichere Regionen, in denen nicht gekämpft wird, sind auch eher selten.
Es gibt ländliche Bereiche, die ohne Interesse für die kämpfenden Parteien sind – oder die wohlwollend geschont werden, weil in ihnen Nahrungsmittel angebaut werden. Tatsächlich könnten diese neun Nationen achtzig Prozent Selbstversorgung garantieren, wenn nicht ein Großteil der Ernten von den Armeen und Milizen konfisziert werden würde.
Das Ergebnis sehen Sie alle. Flüchtlingsströme zu den Grenzen der friedlichen Länder, wo sie in Lagern auf eigenem Staatsgebiet gesammelt und anschließend mit Hilfslieferungen versorgt werden.
Das ist den westeuropäischen Staaten lieber, als ein, zwei Millionen Menschen in ihre Länder zu lassen.“
„Aber das ist nicht…“
„Das ist nicht unsere Entscheidung. Selbst Mithril kann keine zweihundert Millionen Menschen versorgen. Geschweige denn beschützen. Das ist die traurige Wahrheit, Lieutenant Rogers.“

Captain Kramer ließ den Film weiter vorspulen. „Kommen wir zu Dingen, die wir tun können. Was Sie hier sehen, sind Aktenauszüge über den Aufbau der Wohnanlage des Waffenhändlers Vasili Vassilijewitsch Kumanow, einem der größten Anbieter vor Ort.
Unser BND-Kontakt hat die berechtigte Vermutung geäußert, dass Kumanow Kontakte zu Amalgam hat.“
Thomas wartete das erschrockene Raunen seiner Leute ab, bevor er fort fuhr. „Und selbst wenn sich das nicht bewahrheiten sollte, bleibt er immer noch der größte Waffenhändler in der Region. Wir haben die Erlaubnis bekommen, das Anwesen anzugreifen und Kumanow zu fangen. Des Weiteren sollen wir sämtliche Daten sichern, um die Kontakte zu Amalgam zu verifizieren und mehr über diese Organisation zu erfahren.“
Neue Bilder erschienen hinter Kramer. „Wie Sie sehen, Ladies und Gentlemen, haben wir es mit einer gut ausgebildeten Kompanie Infanterie zu tun, die in befestigten Stellungen hockt. Raketenwerfer, MG-Nester, Minenfelder.
Dazu kommen vier M6 aus amerikanischer Fertigung. Wir wissen einiges über die Piloten, über ihr Verhalten im Kampf und dergleichen. Es wird definitiv schwer, aber nicht unmöglich.“
„Eine Frage, Sir“, meldete sich Yussuf Ben Brahim zu Wort, „gehen wir mit allen Maschinen rein? Ich frage ja nur, weil wir noch keinen Ersatz für Cyrus haben.“
Thomas Schneider erstarrte. Er hatte den Tod seines Flügelmanns in der Westsahara noch immer nicht verdaut. Das Soldatenleben war leider so, dass man am Morgen noch zusammen frühstückte und den Kameraden abends dann zu Grabe trug. Falls noch was übrig war, was man begraben konnte. Für Cyrus hatte es nur einen symbolischen Sarg gegeben, denn sein Mörder, ein Venom-Pilot, hatte mit Hilfe des Lambda Drivers nicht genug übrig gelassen, um wenigstens eine Urne zu füllen.
„Wir kriegen einen Ersatz für die Mission, Sergeant. Wir haben zwei Tage für die Vorbereitung. Wir gehen Samstag raus, lassen uns von Hubschraubern hinbringen. Danach vernichten wir die Abwehrstellungen, um Karasovs Jungs zu erlauben, in die Villa einzudringen. Die raffen alles an sich, was für uns relevant erscheint, mit etwas Glück sogar Kumanov. Anschließend gehen wir wieder raus. Die Aktion sollte ohne An - und Abflug nicht länger als dreißig Minuten dauern. Wir überwachen die Umgebung mit einem Satelliten, um über die Bewegungen von möglicherweise mit Kumanov verbündeten Einheiten in der Region informiert zu sein. Aber Ihr wisst ja, unsere Stärke ist die Improvisation.“
„Mit anderen Worten“, meldete sich Samantha Rogers zu Wort, „kein Plan überlebt den Kontakt mit der Realität.“
„So in etwa.“
„Sir, eine Frage: Warum greifen wir so kurzfristig an? Warum auf einem Samstag?“, meldete sich Jasmin Smith zu Wort.
„Nun, Corporal, wir beginnen diese Mission etwas überhastet, weil der Pilot leider nur Samstag für uns Zeit hat. Sonntag hat er ein Schulfest.“
„Was, bitte?“, rief Sergeant Ciavati erstaunt. „Was hat man uns jetzt wieder aufs Auge gedrückt?“
Lieutenant Colonel Santos, der die Besprechung bis dato wortlos verfolgt hatte, nickte Thomas Kramer zu und ging zu ihm. Die Bilder an der Leinwand wechselten und zeigten nun einen Arm Slave und den dazu gehörigen Piloten. „Den hat man uns aufs Auge gedrückt. Gun-so Sousuke Sagara, der Pilot des Arbalests. Ich hoffe, er wird Sie nicht allzu sehr behindern, Sergeant Ciavati.“
Die Italienerin schluckte trocken. „Wie gefährlich, sagten Sie, soll diese Mission gleich noch mal werden?“

3.
Es war später Vormittag, die FEANOR passierte gerade den Bosporus-Isthmus, um in Position für den Start der Hubschrauber zu gelangen. Thomas brütete über diversen Dokumenten und Anforderungsbescheiden. Papierkrieg. Oh, er hasste Papierkrieg. Lieber legte er sich mit einem Venom an, als… Na, vielleicht war der Papierkrieg doch nicht so übel.
Es klopfte, und Kramer bat automatisch herein. Er sah erst auf, als sich jemand in grüner Felduniform vor seinem Schreibtisch aufbaute und den rechten Arm zum Salut hochriss.
„Sergeant Sousuke Sagara, ich melde mich zum Dienst, Captain!“
Kramer war beeindruckt. Erstens vom ernsten Gesicht, das Sousuke Sagara machte, zweitens von dem sehr exakten Salut und drittens von der Tatsache, dass Sagara sich selbst Sergeant genannt hatte, anstatt Gun-so, wie sein Rang auf japanisch lautete.
„Stehen Sie bequem, Sergeant Sagara.“
„Sir.“ Die Haltung, die der junge Mann als bequem bezeichnete, hätte in manchen Armeen als vorbildliches Strammstehen gegolten.
Kurz rief sich Thomas Kramer wieder ins Gedächtnis, was er über den jungen Mann wusste. Vor seiner Zeit bei Mithril war er aus Gründen, die nicht näher beschrieben wurden, in Helmajistan gelandet, wo er seine Eltern verlor und zum Kindersoldaten gegen die sovietischen Besatzer ausgebildet worden war. In diesem Gebiet war er ziemlich erfolgreich gewesen, hatte sogar ein natürliches Talent für Arm Slaves bewiesen und war in jungen Jahren dank seiner überragenden Reflexe einer der besten Arm Slave-Piloten der gesamten Bewegung geworden. Danach kam sein Wechsel zu Mithril, seine viel versprechende Karriere in Tai-sa Testarossas Truppe, etliche spektakuläre Erfolge, und, und, und…
Was nicht in der Akte stand, das war gewesen, was für ein Mensch Sousuke Sagara, Sergeant, eigentlich war. Himmel, er war achtzehn, aber hatte schon so lange wie Kramer selbst im Militär gedient, wenn man seine Guerilla-Zeit hinzurechnete.
Irgendwie brachte Thomas den Mann aus der Akte und den zornig dreinblickenden Jungen mit der Narbe auf dem linken Wangenknochen nicht miteinander im Einklang. Bei allen Erfolgen, was für ein armseliges Leben hatte dieser junge Mensch bisher geführt?
Okay, aber das war nicht sein Problem.
„Bitte setzen Sie sich, Sergeant Sagara“, sagte Thomas schließlich resignierend, als sich Sagaras wilde Entschlossenheit zeigte, seine unbequeme Haltung nicht aufzugeben.
Der Mann aus dem Pazifik-Kommando nickte und nahm Platz. Doch selbst auf dem Stuhl wirkte er steif.
„Sergeant Sagara, hat man Sie über die Hintergründe und Details der Operation Russischer Bär informiert?“
„Sir! Ein Überraschungsangriff auf den Besitz des Waffenhändler Kumanov, eine großzügig ausgelegte Villa mit großen Lagerhallen, patrouillierenden Arm Slaves vom Typ M6 sowie befestigten Stellungen für eine Kompanie gut ausgebildeter Infanterie! Der Plan sieht vor die Stellungen der Infanterie auszuradieren, die M6 in Einzelduellen zu erledigen und der Infanterie unter Captain Karasov zu erlauben, in die Villa sowie die unterirdischen Bunkeranlagen einzudringen. Ziel ist zu beweisen, dass Kumanov mit Amalgam zusammenarbeitet. Boni der Aktion sind die Gefangennahme des Waffenhändlers, die Zerstörung seiner Handelswaren auf dem Villengelände sowie die Unterlagen, auf die unsere Infanterie treffen wird! Aktionsfenster für den Angriff sind dreißig Minuten, plus minus fünf Minuten Toleranz! Die beteiligten Einheiten sind…“
„Gut, Sergeant Sagara“, unterbrach Thomas den Wortschwall des eifrigen jungen Mannes. „Wie ich sehe, sind Sie bestens informiert. Da Sie Sergeant Doherty ersetzen müssen, meinen ehemaligen Flügelmann, erlaube ich mir, Sie an meine Seite zu holen. Wir gehen da als Team ran.“
„Es ist mir eine Ehre, Sir.“
„Übertreiben Sie nicht so, Sagara. Der Pilot des Arbalests sollte sich eher der Tatsache bewusst sein, dass es für uns eine Ehre ist, dass er die FEANOR und dieses Team mit seiner Mitarbeit erfreut.“
„Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen, Sir.“
Thomas Kramer runzelte die Stirn. Da war sie wieder, seine alte Befürchtung, seit sie mit aller Kraft versucht hatten, die FEANOR in Dienst stellen zu dürfen. Die Angst, doch nicht gut genug zu sein. Die Angst, zweitklassig zu sein. Die Angst, genau das ins Gesicht gesagt zu bekommen. „Erlaubnis erteilt, Sagara.“
„Sir. Ich empfinde den allergrößten Respekt für Sie persönlich und Ihre Einheit. Dies war einer der Gründe aus denen ich bei dieser Operation zugesagt habe. Ich hätte nie gedacht, dass es jemand schaffen würde, einen Lambda Driver ohne eigenen Lambda Driver zu besiegen! Sie haben es geschafft! Außerdem hat sich diese Arm Slave-Einheit in allergrößter Not geordnet und professionell zurückgezogen, anstatt in Panik und Konfusion zu zerfallen! Und das, ohne Ihre Verwundete zurückzulassen! Sir!“
„Das war nur Glück, Sagara“, wiegelte Thomas ab, während er gleichzeitig mit aufkeimendem Stolz kämpfen musste, der ihm einreden wollte, besser zu sein als er sich selbst sah.
„Es ist dumm, sich im Gefecht auf sein Glück zu verlassen, aber es ist gut, es zu haben! Sir!“
Thomas winkte ab. „Schon gut. Falls wir diesmal auf Venoms treffen, haben wir ja Sie dabei, Sagara. Ich überlasse Ihnen die Lambda Driver ohne mit der Wimper zu zucken.“
Kurz huschte eine Emotion über das wütende Gesicht des Sergeants. Thomas Kramer blinzelte. Hatte der junge Mann gerade… Kurz gelächelt?
„Keine Einwände, Sir!“
„Gut. Treten Sie weg und suchen Sie Ihre Koje auf. Wir brechen in zwei Stunden auf. Der Flug selbst wird eine Stunde dauern, der Rückflug ebenfalls eine Stunde. Wir sollten also vor Sonnenuntergang wieder hier sein. Und Sie sollten um Mitternacht bereits wieder in einem Learjet sitzen, der Sie nach Hause fliegt. Die Zeitverschiebung eingerechnet sollten Sie es zu Ihrem Schulfest schaffen, Sagara.“
„Danke, Sir.“
„Also schlafen Sie etwas. Sie werden jede ruhige Minute bitter brauchen können. Aber gestatten Sie mir eine persönliche Frage, Sergeant Sagara Sousuke: Was ist an diesem Schulfest so wichtig für Sie?“
Für eine Sekunde wirkte Sagara verlegen. Die starre Miene brach auf und beinahe hätte Thomas erwartet, der junge Mann würde entschuldigend lächelnd.
Doch anscheinend betrachtete der junge Sergeant dies als Entgleisung, denn er setzte sich wieder aufrecht auf seinen Stuhl und rief: „SIR! Als Mitglied des Schülerrats habe ich wichtige Pflichten auf diesem Schulfest!“
Kurz dachte Thomas Kramer darüber nach, ob sich eine Diskussion über Sinn und Zweck eines Schulfestes im Vergleich zu Sinn und Zweck ihrer Aktion lohnte, aber dieser junge Mann hatte seit seiner Kindheit in einem Guerillakampf gedient. Er kannte herunter gekommene Flüchtlingslager. Er kannte Hunger, Elend, Durst, Soldatenwillkür und Hass. Er kannte wahrscheinlich sogar Dinge, die er selbst, Thomas Kramer, aufgewachsen im weitestgehend friedlichen Westeuropa, niemals machen wollte, geschweige denn davon hören.
Darum rieb er sich nur nachdenklich am Kinn. Ein einigermaßen friedfertiges Leben war diesem jungen Mann eindeutig zu gönnen, vor allem bei der Extrabelastung als Pilot des Arbalests. Wenn er denn ein Privatleben hatte, entgegen Kramers erstem Eindruck, dann nahm sich der Deutsche vor, es ihm auch zu gönnen.
„Nun, Sergeant, seine Pflichten zu kennen und sie wahrzunehmen ist wichtig. Egal ob dies bei Mithril ist oder in Ihrem Privatleben.“ Thomas klatschte in die Hände. „Na, dann wollen wir mal dafür sorgen, dass Sie nicht wortbrüchig werden. Ab in die Koje mit Ihnen, Sergeant!“
Der junge Mann sprang auf und salutierte. „Jawohl, Sir!“
„Sie können gehen, Sergeant Sagara.“

Der junge Mann legte eine perfekte Wende hin, ging zur Tür. Dort verharrte er.
„Ist noch etwas, Sagara?“, fragte Thomas.
„Sir, es ist… Spielen Sie Fußball?“
„Wie kommen Sie jetzt darauf, Sagara?“
Der Sergeant wandte sich halb um; er hatte die Stirn gerunzelt. „Nun, So-sho Mao hat mir aufgetragen dafür zu sorgen, dass Sie diesmal den Ball flach halten, darum frage ich mich, ob Sie Fußball spielen oder die FEANOR eine eigene Mannschaft hat.“
Thomas, der gerade einen Schluck Kaffee genommen hatte, prustete los. Mit dem Ergebnis, dass ihm die schwarze Brühe durch die Nase schoss und seine Dokumente ruinierte.
Thomas befreite den Rachen mit einem verlegenen Husten. „Ich denke, ich weiß, was Melissa gemeint hat, Sagara. Und nein, die FEANOR hat keine eigene Fußballmannschaft. Sie hat drei. Auf dem gesamten Styx-Stützpunkt gibt es zehn, genügend für eine eigene Liga. Aber darüber können wir während des Flugs reden. Gehen Sie jetzt schlafen, Sagara.“
„Sir.“ Der junge Mann nickte und verließ den Raum.

Thomas Kramer sah ihm lange nach. Er verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln. Und er bedauerte es, dass er nur in einen einzigen Einsatz mit dem Piloten des Arbalests gehen konnte.
Kurz entschlossen erhob er sich und verließ sein Büro. Auch er hatte noch zwei Stunden Zeit, bevor der Einsatz begann.
**
Äußerlich unterschied sich der M9 Gernsback nicht von den Modellen, die Thomas und sein Leute benutzten, zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber die unauffällige Metalltafel unter dem Cockpit, auf dem Sagaras Name stand, sprach Bände.
„Du bist also der Arbalest“, sagte der Captain und legte eine Hand auf das kalte Metall.
„Positiv, Captain Kramer.“
Thomas sah hoch zum Sensorkopf, der kurz rot aufleuchtete. „Deine KI ist aktiv?“
„Positiv, Captain Kramer. Ich fahre im Moment Selbstdiagnosen. Letzten Monat kam es partiell zu Ausfällen des Lambda Drivers. Ich versuche, die Ursache zu finden.“
„Ausfälle? Lambda Driver? Ich dachte, diese Dinger sind unbesiegbar.“
„Positiv. Wenn sie funktionieren.“
Thomas runzelte die Stirn. „Hat dir dein Programmierer eine Subroutine für Humor einprogrammiert, Arbalest?“
„Mein Name ist Al, Captain. Nein, ich habe keine Subroutine für Humor.“
„Dann hat er eine Menge Ironie besessen“, bemerkte Thomas sarkastisch.
„Positiv, Captain Kramer.“
Überrascht sah er zu dem Sensorkopf auf. „Für eine künstliche Intelligenz bist du bemerkenswert, Al.“
„Ich gleiche nur die Defizite meines Partners aus, Captain.“
Thomas runzelte die Stirn. „Witziger als Sagara zu sein ist nicht besonders schwer.“
„Positiv, Captain.“
„Du weißt schon, dass Offizieren im Rang eines Captains an Bord von Schiffen eine Beförderung ehrenhalber zugestanden wird, solange sie auf dem Boot sind? Damit es nur einen Captain gibt?“
„Ich erfasse gerade keinen Captain, den ich damit beleidigen könnte, Captain.“
Misstrauisch sah der Deutsche zu dem Sensorkopf hoch. „Du verarschst mich gerade, oder?“
Stille antwortete ihm.
Als er den Blick gerade abwendete, sagte Al verspätet: „Positiv, Captain.“
Thomas Kramer schmunzelte, verschränkte die Arme ineinander und lehnte sich gegen das Knie des Arbalests. „Mehr Humor als Sagara hast du schon mal. Schlagfertiger bist du auch. Wie sieht es mit deinem Wissensschatz aus? Was hast du da drauf?“
„Möchten Sie etwas Konkretes wissen, Captain?“
„Hm, ja, du bist mit dem Lambda Driver ausgerüstet, richtig?“
„Positiv, Captain.“
„Wie funktioniert der Lambda Driver eigentlich? Ich habe zwar schon einem Arm Slave mit dem Driver gegenüber gestanden, aber ich habe nie so richtig begriffen, was ihn so mächtig macht. Und warum.“
Thomas legte den Kopf in den Nacken und sah aus seiner unbequemen Haltung dem Arm Slave hinauf. „Tschuldigung. Du darfst sicher nicht über solche Informationen reden, weil sie geheim sind.“
„Da Sie Offizier sind, ist es mir erlaubt, Ihnen diese Daten zukommen zu lassen. Sie sind nicht besonders geschützt.“
Überrascht sackte Thomas einen halben Meter ab, bevor er seine Füße fest auf den Boden stemmen konnte. „Was? Nicht besonders geschützt? Aber dann kann sich ja jeder Trottel einen Offiziersrang bei Mithril erschleichen und dich ausquetschen.“
„Das Problem ist nicht ein Trottel im Offiziersrang bei Mithril zu sein, Captain“, sagte der Arbalest, und erneut fühlte sich Thomas von der KI tüchtig hochgenommen. „Das Problem ist, das weltweit nur fünf, vielleicht sechs Menschen das Funktionsprinzip verstehen und erklären können. Es ist komplex und interdisziplinär.“
„Autsch“, brummte der Deutsche. „Ich würde es also nicht verstehen?“
„Das weiß ich nicht, Captain. Wie fit sind Sie in Quantenmechanik, höherer Physik und Quigong?“
„Quigong?“
„Quigong“, bestätigte Al.
„Da ich auf keinem der Gebiete einen Doktortitel habe, nicht so gut. Also verstehe ich es nicht.“
„Negativ, Captain. Sie werden sicherlich nicht die Formel verstehen, nach denen ein Lambda Driver in Resonanz mit einem Piloten arbeitet. Aber eine Definition verstehen Sie sicherlich.“
Abwehrend hob Thomas eine Hand. „Auszeit, Al. Einiges kann ich mir jetzt selbst zusammenreimen. Du hast Quigong gesagt, also geht es um körpereigene Energie, deren Steuerung und Produktion, vielleicht sogar deren Projektion. In Bezug auf den Driver könnte auch Aura eine Rolle spielen.“
„Das ist simpel ausgedrückt, aber korrekt, Captain.“
„Dann erwähntest du höhere Physik. Ich denke nicht, dass wir schwache und starke atomare Kraft zusammenführen müssen, um einen Lambda Driver zu erklären. Außerdem Quantenmechanik, also schätze ich mal, wir gehen hier richtig ins Detail – nämlich zu Wellen und Teilchen.“
„Das ist ebenfalls simpel ausgedrückt und korrekt, Captain.“
„Ich fasse mal auf meine simple Art zusammen. Es geht um Teilchen und Auras, richtig?“
„Ich bestätige die simple Art und einen Teilaspekt, Captain.“
„Na, besser als nichts.“ Zufrieden sah er wieder den Arm Slave hoch. „Dann erklär es mir mal. Wie also arbeitet ein Lambda Driver? Wie kann er ein so umfassender Schutz werden? Wieso kann ihm nichts anhaben? Wenn der Wille des Piloten stark genug ist?“
„Ich denke, Sie wissen selbst schon recht gut, wie der Lambda Driver theoretisch funktioniert, Captain.“
Thomas nickte bestätigend. „Dann will ich mal meine Theorie ausbreiten. Der Lambda Driver ist eine Art Verstärker. Verstärker für den Willen des Piloten. Nur was verstärkt er? Schön, wenn wir bereits energetische Schutzschirme erfunden hätten, aber das ist wohl Science Fiction. Was bleibt übrig? Auras. Die des Piloten und die des Arm Slaves. Ich schätze mal, es geht uns um die Aura des Arm Slaves, oder? Die ist größer und damit sicher leichter zu manipulieren.“
„Alles mit einem elektromagnetischen Feld etabliert eine Aura, Captain. So weit liegen Sie richtig.“
„Gut. Ich habe den Driver mit eigenen Augen gesehen, wie er aufgeglüht hat, als er Waffenfeuer abwehrte. Wie er Kugeln reflektierte und deren Explosionskraft enorm verstärkte. Es war beeindruckend und gespenstisch. Bei meinem Kampf gegen den Venom musste ich permanent in Bewegung bleiben, um nicht von meiner eigenen Munition zerstört zu werden. Wie aber kann eine Aura Kugeln aufhalten? Wie reflektieren?“
„Ich bin gespannt auf die Antwort, Captain.“
Entschlossen trat Thomas gegen das Bein des Arm Slaves. „Hör auf mich hochzunehmen, Al. Ich bringe es mal auf den Punkt. Die Aura kann das nicht. Die Aura darf das wohl auch gar nicht können. Das ist ja Physik für Anfänger. Aber was benutzt man, um massehaltige Objekte zu stoppen?“
Applaus heischend sah der Deutsche hoch.
„Massehaltige Objekte!“ Irritiert registrierte Thomas, dass er und Al zur selben Zeit die gleichen Worte ausgesprochen hatten.
„Im Prinzip“, setzte er seinen Monolog fort, „sieht es so aus, als wäre die Aura des Arbalestes nur eine Art Suchraster für den Driver. Genauer gesagt, sie ermöglicht die Manipulation von Materie. Und diese manipulierte Materie ist es, die dann die massehaltigen Objekte stoppt, von der Rakete bis zum Gewehrschuss.“
„Vergessen Sie bei Ihrer Aufzählung nicht Kampfmesser, stumpfe Waffen und Laserfeuer, Captain.“
„Laserfeuer?“
„Laserfeuer besteht aus Teilchen, genau wie Sonnenlicht. Sonnenlicht dringt in Wasser nur wenige hundert Meter ein, bevor die Teilchen des Lichts komplett reflektiert wurden. Ebenso verhält es sich mit Laserfeuer.“
„Womit wir wieder beim Thema wären. Wir schmeißen dem Waffenfeuer – meinetwegen Laser – also Teilchen entgegen. Der Witz ist jetzt einfach, dass der Lambda Driver nicht eben mal eine Schutzwand aufbaut, was wohl auch viel zu energielastig und verlangsamend wäre. Nein, er benutzt kleine und kleinste Teilchen, um einen viel genaueren Schutz aufzubauen.“
Thomas atmete tief durch. „Er konstruiert innerhalb der Aura aus ihm zur Verfügung stehenden Atomen eine Abwehrkette, welche die angreifenden Waffen auf dieser Ebene stoppt, absorbiert oder reflektiert.“
„Das erklärt, warum eine reflektierte Waffe ein vielfaches des alten Vernichtungspotential aufweist“, fügte Al hinzu. „Eine auf submolekularer Ebene zerstörte Kugel setzt wesentlich mehr Energie frei als sie durch Sprengkraft und Masse erreichen könnte. Trifft sie dann auf ein Ziel, ist die Wirkung fatal.“
Thomas dachte an Cyrus, dessen Asche wohl genau in diesem Moment dreitausend Kilometer von ihm entfernt durch die unendliche Sahara wanderte und biss sich auf die Unterlippe. Da hatte er die Erklärung, warum von ihm und seinem M9 kaum etwas übrig geblieben war, nachdem der Venom den Schuss von Sergeant Doherty reflektiert hatte.
„Im Prinzip muss man eine verdammte Kugel gar nicht mit einer Wand stoppen, oder? Auch so ein vermeintlich massives Ding besteht letztendlich aus Molekülen mit einer Menge Zwischenräumen. Man braucht einfach überall da, wo ein Molekül ist ein anderes, das es stoppt… Oder mehrere, bis es reflektiert wird.“
Nachdenklich klopfte Thomas auf den lackierten Stahl des Arbalests. „Auch die Rolle des Piloten wird mir langsam klar. Von wegen, es hängt von seinem Willen ab, was? Es ist eher seine Konzentrationsfähigkeit. Je wütender, je konzentrierter er ist, desto stärker ist der Lambda Driver. Weißt du was ich glaube, Al? Der Driver macht sich die größte Rechenmaschine des bekannten Universums zunutze, um die atomare Verteilung der Abwehr zu berechnen – das menschliche Gehirn. Deshalb ist ein Driver, der von einem angsterfüllten Piloten benutzt wird, vergebens. Das Gehirn ist gelähmt, die Denkprozesse sind verlangsamt, anstatt fokussiert und unerschütterlich zu sein. Das hat meinem Gegner bei dem Erdrutsch das Leben gekostet. Unser Freund Sagara ist ein ganz besonders gutes Exemplar, wenn es darum geht, konzentriert zu sein. Seit seiner Kindheit Soldat, kann er stundenlang auf eine Aufgabe konzentriert sein, ignoriert alles andere um sich herum, was nicht zu dieser Aufgabe gehört. Wenn dann noch ein kleiner mentaler Pusch dazukommt, eine Emotion, die diese Konzentration noch erhöht, ihn noch mehr fokussiert, dann entfaltet der Driver seine wahre Macht.
Das erklärt auch, warum die Piloten von Amalgam Drogen nehmen müssen, um ihre Lambda Driver zu aktivieren. Ihre Fähigkeiten zur absoluten Konzentration sind bei weitem nicht so ausgeprägt, wie es die Driver bräuchten.
Na, wie nahe dran an der Wirklichkeit bin ich, Al?“
„Gut genug, dass ich Sie jetzt sofort eliminieren werde, weil Sie ein Geheimnis entdeckt haben, dass Mithril zerstören könnte, Captain.“
Entsetzt sackte Thomas auf den Fußboden, wo sein Hintern schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Hangar der FEANOR machte.
„Das war nur ein Scherz, Captain.“
„Behauptest du“, brummte der Deutsche und stand langsam wieder auf.
Als er sich einigermaßen von dem Scherz erholt hatte, fragte er: „Was denkst du, Al, könnte ich einen Lambda Driver aktivieren?“
„Diese Frage ist müßig, Captain, da Mithril nur über einen einzigen Lambda Driver verfügt.“
„Hm. Und was wenn uns einer in die Hände fällt?“
„Dann bekommen Sie vielleicht schneller als Ihnen lieb ist eine Antwort auf Ihre Frage, Captain.“
„Deinen Programmierer würde ich zu gerne mal kennen lernen, Al.“
„Ich rate davon ab, Captain. Man sagt ihm Humorlosigkeit nach.“
Kopfschüttelnd wandte sich Thomas ab. „Ich glaube es nicht. Im Rededuell von einer Blechkiste besiegt. Da hat das Oberkommando ja ein tolles Team zusammen gespannt.“
„Das habe ich gehört, Captain.“
„Das solltest du auch hören, Al“, rief Thomas, als er den Hangar verließ. Ohne sich umzusehen winkte er dem Arbalest. „Bis in zwei Stunden.“
„Punkt für Sie, Captain.“
Der Arm Slave-Pilot schmunzelte.
**
Sie war gefangen. Schlicht und einfach gefangen. Ihre Welt bestand aus Lichtgewittern, crescendoartigem Lärm, der entnervendem Kreischen wich, wiederum abgelöst von ängstigender Stille, untermalt von einer wahren Flut wechselnder Motive. Bilder, dreidimensionale Gebilde, Bewegungsabläufe, Falschfarben, Negativaufnahmen.
All das wechselte sich so schnell ab, dass sie schon seit Minuten nur noch japste, ihre Herz bis zum Hals rasen fühlte.
Warum hatten DIE sie hier eingesperrt? Was hatten DIE mit ihr vor? Warum wurde sie so gefoltert? Was versprachen sie sich davon, sie in den Wahnsinn zu treiben?
Ihr Körper schwelgte im Fieber, ihr Verstand bröckelte unter dem Bombardement der Farben, der Geräusche und der Informationen, die sie erlangte, die sie verließen.
Und in einem lichten Moment fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn DIE sie körperlich missbrauchen würden und nicht geistig.
Die Schmerzen, die Abscheu, die widerlichen Bewegungen, diesen Ekel vor sich selbst, all dem hätte sie vielleicht ausweichen können, es ignorieren können, in eine Traumwelt flüchten können, welche nur ihr alleine gehörte, und in die ihre Peiniger ihr nicht folgen konnten, egal was sie mit ihrem Körper anstellten. Auch wenn sie körperlich zerstört oder gar getötet worden wäre, dies wäre ihr eigenes Reich gewesen. Ihr letztes, katatonisches Refugium.
Aber das hier… Das was DIE ihr antaten, in ihrem Geist, in ihrem Verstand, davor gab es keine Flucht, gab es keine eigene Welt. Sie konnte sich nicht einmal auf diese kleine, eigene Art wehren, sich verschließen, denn dies war ja schon die Welt ihrer Gedanken. Sie spürte einfach, wie das, was sie ihren Verstand nannte, nach und nach weg bröckelte, wie ihr Körper zu Höchstleistungen getrieben wurde und darin zu versagen drohte. Sie sehnte den Kollaps herbei, das Vergessen, den Tod. Warum kam er nicht? Nichts und niemand würde sie retten, es gab nur diese eine, letzte Flucht. Aber würde sie diese Flucht antreten, bevor ihr Geist vollkommen zerrüttet war? Sie fühlte, wie ihr Leib sich aufbäumte, das Crescendo einen Höhepunkt erreichte, die Farben zu einem Kaleidoskop wurden, wie die Fesseln an den Gelenken sich gierig in ihre Haut fraßen. Wie ihr Herz stotternd den Kampf verloren gab. Wie die Schwärze kam…

4.
Die FEANOR lag gut gesichert auf dem Grund des schwarzen Meeres, knapp außerhalb des Seegebietes, das vormals von Rumänien als Staatsgebiet angesehen worden war. Dort hatte man die acht M9 Gernsback, die Transporthubschrauber und die sie begleitenden Kampfhelikopter starten lassen, um das Kampfgebiet zu erreichen.
Dies war nun schon fast eine Stunde her, unwillkürlich spannte sich Thomas Kramer im Sitz seines Gernsback an. Die Transporthubschrauber würden sie einen Kilometer vor dem Anwesen absetzen. Sobald sie das Gelände freigekämpft hatten, würden sie nachkommen und die Infanterie der FEANOR ins Ziel bringen. Und dann würde der Ärger erst losgehen. Wer würde schneller sein? Mithril beim Versuch, einen Waffenhändler zu schnappen und Beweise für eine Verstrickung der geheimnisvollen Organisation Amalgam im Bürgerkrieg zu finden? Oder die vielen militärischen und paramilitärischen Streitkräfte in dieser Region, denen die Ideale Mithrils in etwa so viel bedeuteten wie die Flüchtlinge in den Lagern?

Seufzend öffnete Thomas einen Funkkanal. „Falke eins an Urzu sieben.“
„Urzu sieben hier. Ich höre, Falke eins.“
„Sagara, für die Dauer der Operation übernehmen Sie das Rufzeichen Falke zwei.“
„Verstanden, Captain. Urzu sieben heißt ab sofort Falke zwei.“
Thomas nickte zufrieden. „Tragen Sie das Rufzeichen mit Stolz. Der Mann, der es vorher trug, starb für die Ideale Mithrils.“
„Ich kenne die Akte von Sergeant Doherty, Sir“, erwiderte der junge Mann aus Japan. „Es ist mir eine Ehre, sein Rufzeichen zu tragen.“
„Aawwww, so wie das klingt, meinst du das wirklich ernst, was, Sousuke?“, rief Samantha Rogers.
„Funkdisziplin, Falke fünf“, tadelte Thomas grinsend.
„Was denn, was denn? Noch sind wir über den Laserrichtfunk verbunden, da kann uns sowieso niemand abhören. Diszipliniert kann ich später werden.“
„Darauf warten wir seit Jahren, Lieutenant“, warf Sergeant Ben Brahim lachend ein.
„Klappe“, brummte Sam zurück.
„Lassen Sie sich nicht irritieren, Falke zwei. Diese kleinlichen Streitigkeiten sind nur temporär. Ab und an sind meine Leute auch mal vernünftig“, murmelte Thomas schmunzelnd.
„Selbstverständlich. Keine halbherzige Einheit überlebt die Attacke eines Arm Slave mit Lambda Driver. Es ist mir eine Ehre, mit ihnen zu dienen.“
„Der meint das wirklich ernst“, rief Sergeant Ciavati erstaunt.
Natürlich meinte Sagara es ernst. Es entsprach genau seinem Wesen, genau zu sagen, was er dachte. Meistens.

„Falke eins an Wanderfalke eins. Wie weit noch.“
„Fünf Minuten, Falke eins. Machen Sie sich besser fertig.“
„Verstanden. Also, Falken, macht euch bereit. Gleich geht der Spaß wieder los. Und das beste ist, Ihr werdet auch noch dafür bezahlt.“
„Äh, Captain, diesmal lauert hoffentlich kein Venom auf uns, oder?“ Yasmin Smiths Stimme, die Flügelfrau von Ben Brahim, klang genervt, aber nicht ängstlich.
„Keine Sorge, Corporal. Diesmal haben wir ja unseren eigenen Lambda Driver dabei.“
„Drei Minuten, Falke eins.“
„Sagara, wie würden Sie eine Partikeltarnung aufdecken, wenn Sie keine Hightech haben?“
„Wie meinen Sie das, Falke eins?“
„Wie würden Sie, Sagara?“
„Fußspuren und Wasser.“
Thomas nickte zustimmend. Daran hatte er auch gedacht. Den ersten Angriff würden sie getarnt durchführen. Wie aber verriet man einen getarnten Arm Slave? Entweder an seinen Fußspuren, oder durch einen Wasservorhang, in dem sich die Umrisse der großen Gernsbacks wunderbar abzeichnen würden.
„Womit würden Sie unsichtbare Arm Slaves abwehren?“
„Minen und überlappende Schussfelder.“
Auch dazu nickte Thomas. „Haben das alle mitgekriegt? Ich gehe davon aus, dass ein Teil des Anwesens vermint ist. Wahrscheinlich mit Panzerminen, damit die Infanterie Kumanovs sich nicht durch eigene Dummheit selbst reduziert. Und ich rechne damit, dass ein Teil der Waffen auf bestimmte Abschnitte ausgerichtet ist, um einen erkannten Gegner mit mehreren Geschützen einzudecken.
Was tun wir dagegen, Sagara?“
„Wir setzen auf zwei Vorteile. Die Überraschung und unsere Geschwindigkeit.“
„Eine Minute, Falke eins.“
„Und: Unsere überlegene Waffentechnik sowie unser hervorragendes Training, Sagara.“
„Bestätigt.“
Thomas grinste. „Na, dann wollen wir mal, Falken. Der erste, der auf eine Mine tritt, bezahlt die erste Kiste Bier!“
**

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Die Helikopter setzte die acht M9 auf einer Waldlichtung ab. Mit aktivierter Tarnung begannen die Falken ihre Jagd.
„Sam, Sie sitzen da in einer brandneuen Mühle. Schrotten Sie die bitte nicht auch“, brummte Thomas und drehte vorsichtshalber die Lautstärke runter, um der harschen Antwort seiner Stellvertreterin zu entgehen.
In der Sahara hatte sie auf einen Venom geschossen. Dessen Lambda Driver hatte ihren Schuss reflektiert und dessen Zerstörungskraft um ein vielfaches potenziert. Es war reines Glück, dass sie überlebt hatte.
Sam Rogers reagierte wie erwartet und entlud einen derben und lauten Fluch über den Funk.
Thomas grinste knapp, bevor er die Lautstärke wieder hochfuhr. „Funkdisziplin, Falken. Vorgehen wie geplant.“
„Verstanden!“
Seine Gruppe verhielt sich professionell, nahm sofort die geübten Positionen ein, während sie die weiten Waldwege entlang hetzten.
Thomas hatte sich für einen schnellen – einen verdammt schnellen – Anmarsch entschieden und setzte voll auf das Überraschungsmoment. Selbst wenn sie erwartet wurden, die Schrecksekunde gehörte ihnen und niemandem sonst.
Kurz sah er zur Seite, auf einen Hilfsmonitor und erkannte dort den Arbalest. Er war direkt hinter ihm. Merkwürdigerweise beruhigte ihn das.

Schnell ließen sie den Wald hinter sich, kamen in Sichtweite des großzügigen Anwesens, ohne zu stoppen. Thomas zoomte heran und sah, dass die Erde vor dem Grundstück vor Nässe triefte. Reifen hatten matschige Rillen gezogen und zeigten, dass das Umfeld der Villa regelmäßig patrouilliert wurde.
„Wir brechen direkt durch, Falken. Erwartet keine Gnade und gewährt auch keine.“
Die Antwort war ein gebrülltes Jawohl und Dauerfeuer aus acht Arm Slave-Waffen auf alles, was als feindlich eingestuft werden konnte.
Thomas Kramer sah dabei zu, wie eine MG-Stellung regelrecht umgegraben wurde, während Ciavati darauf zuhielt.
Er selbst feuerte auf kein Ziel, noch nicht. Stattdessen benutzte er die MGs am Kopf, um den Boden vor sich umzupflügen. Schnell rauschten seine Salven bis zur Mauer, die das Grundstück umzäunte. Ein sicherer Weg ohne Minen. Vielleicht war das Gelände auch gar nicht vermint.
Ohne zu zögern rannte er den Weg hinauf, den seine Schüsse markiert hatten, den Arbalest dicht hinter sich. Dreihundert Meter neben ihm trat Ben Brahim auf eine Mine und musste schwer darum kämpfen, damit der Arm Slave nicht das Gleichgewicht verlor.
In der gleichen Sekunde setzten im Gras verborgene Wassersprenkler ein und zogen meterhohe Bögen.
Drei seiner Kameraden wurden durch den Wassernebel sichtbar.
„Tarnung aufheben. Bleibt vorsichtig, aber in Bewegung“, rief er seinen Leuten zu.

„Falke zwei, sind Sie hinter mir?“
„Bestätigt, Falke eins.“
Thomas führte seinen Gernsback bis an die hohe Mauer heran, beugte sich über sie und jagte eine Salve seines Gewehrs in ein wartendes gepanzertes Fahrzeug. „Ich springe jetzt über die Mauer. Geben Sie mir Deckung. Falke drei, Falke fünf, beginnt damit, die Abwehrstellungen auszuradieren. Falke sieben, gib uns Deckung und halte nach den Arm Slaves des Gegners Ausschau.“
„Verstanden.“
„Wir versuchen, eine sichere Landezone einzurichten, Falke zwei. Achten Sie dabei auf Fahrzeuge, die das Gelände verlassen.“
Sagara antwortete nicht, aber drei Schüsse seiner Hauptwaffe zuckten knapp über die Schulter von Kramers Gernsback hinweg. Ein klobiger, feindlicher M6 sackte geköpft und perforiert in sich zusammen. Thomas hatte ihn noch nicht in der Ortung gehabt, weil der Gegner im toten Winkel auf zweihundertsiebzig Grad gewesen war. „Danke, Falke zwei.“
„Gern geschehen.“

Thomas wirbelte herum, ließ seinen M9 feuern, ein Panzerfahrzeug vernichten. Danach zog er mit den MGs am Kopf eine Spur über die Fenster der Villa, aus denen nun vereinzelt Infanterieraketen aufstiegen.
„Falke sieben hier. Habe einen M6 ausgeschaltet.“
„Gute Arbeit, Falke sieben.“
„Falke drei hier. Ebenso.“
„Wie, noch keine zwei?“
„Sehr witzig, Falke eins.“
Thomas schmunzelte. „Wanderfalke, Wanderfalke, macht euch langsam auf den Weg. Das Gelände ist fast gesichert.“
„Hier Wanderfalke. Verstanden, Falke eins. Sie verstehen aber hoffentlich, dass wir in sicherer Entfernung warten, bis die endgültige Bestätigung kommt?“
„Wer rennt schon gerne wissentlich mitten ins Feuer?“, kommentierte Thomas trocken.
„Arm Slave-Piloten“, erwiderte der Hubschrauberpilot noch trockener.
„Punkt für Sie.“ Thomas riss seinen Arm Slave herum und feuerte auf kürzeste Distanz auf einen gedrungenen Savage, der eine hohe Halle auf dem Gelände verließ.
„Verdammt, es sollten doch nur M6 hier sein!“
Neben ihm jagte eine Garbe von Sagara in die Halle und warf einen zweiten Savage nach hinten. Auch nachdem der russische Arm Slave gefallen war, feuerte der Japaner weiter. Kramer riskierte einen Blick und sah einen M6 in der Halle, der unter den Einschlägen zuckte wie eine Puppe an den Fäden eines Puppenspielers mit epileptischem Anfall.
Als Sagara das Feuer einstellte, sackte der Arm Slave in sich zusammen.
„Hier Falke zwei. Habe einen M6 vernichtet.“
„Ich habe es gesehen, Falke zwei. Wir nehmen uns jetzt die Raketen und die Infanteriestellungen vor.“
„Verstanden.“
Thomas sah auf die Uhr. Der Einsatz dauerte erst drei Minuten, und drei der vier M6 waren bereits vernichtet. Es waren zwar Savages auf dem Gelände, aber die konnten den M9 nicht gefährlich werden. Den Hubschraubern schon.
„Hier Falke eins an alle Falken. Sagt Bescheid, wenn Ihr den letzten M6 gesichtet habt. Und achtet auf weitere Savages.“
Neben ihm feuerte Sagara die MGs am Kopf seines Arm Slaves ab, radierte eine MG-Stellung aus und trieb die Besatzung ins Freie.
Thomas selbst griff zu seiner Klinge und stieß sie in einen Humvee, der ihn gerade passieren wollte.
„Falke acht hier! Habe den letzten M6 entdeckt! Ich nehme ihn mit Falke sieben in die Zange!“
„Gute Arbeit. Hat jemand weitere Savages gesehen?“ Thomas trieb mit seinen MGs weitere Infanteristen aus ihren getarnten Stellungen.
„Negativ.“ „Negativ.“ „Wird wohl Verkaufsware gewesen sein, die bemannt wurde“, warf Falke fünf ein.
„Wir sehen trotzdem mal nach“, sagte der Captain und winkte Sagara in die Halle, aus der die drei Arm Slaves gekommen waren.

„M6 vernichtet, Falke eins.“
„Gut gemacht, Falke acht. Dafür kriegen Sie auf der Basis von mir ein Eis am Stiel.“
Allgemeines Gelächter erklang auf der Ruffrequenz.
„Aber nicht vergessen, ja?“, warf Ken Ibuto, Falke acht, lachend ein.
„Bestimmt nicht. Wanderfalken, Ihr könnt jetzt kommen! Gelände ist gesichert.“
„Neuer Rekord, Falke eins. Nicht mal vier Minuten. So macht der Job wirklich Spaß.“
„Ja, uns auch und… Falke zwei, haben Sie was gesagt?“
„Sir, dieser Lastwagen hier in der Halle, das… Können Sie mich sichern? Wenn das stimmt, was ich vermute, können wir nicht auf die Infanterie warten!“
„Was ist mit dem Laster?“
„Sir, wenn ich mich nicht irre, ist dies einer der Laster, mit denen die Ausrüstung transportiert wird, um das Wissen eines Whispered zu testen!“
Thomas Kramer wurde heiß und kalt zugleich. „Falke fünf, Position verlassen und zu Falke eins und zwei aufrücken. Sam, decke uns den Rücken. Wir verlassen die Arm Slaves.“
„Habe verstanden, Falke eins. Gibt es auch einen Grund dafür, dass du nicht auf die Schlammstampfer warten kannst?“
„Hey, das haben wir gehört!“, beschwerte sich Sergeant Sumner, der Chef des zwanzigköpfigen Infanterieteams.
„Falke zwei vermutet, tja, einen Whispered auf dem Gelände. Wir müssen schnell reagieren, sonst töten sie sie vielleicht. Stellen Sie Ihre Strategie entsprechend um und unterstützen Sie uns, Sarge.“
„Verstanden, Falke eins.“
Hastig öffnete Thomas die Luke seines Cockpits. Sagara stand bereits auf dem Hangarboden, seine bevorzugte Handfeuerwaffe im Anschlag. Er pirschte sich an den Lastwagen heran.
Deutlich erkannte Thomas Kramer armdicke Kabelstränge, die zu ihm hinführten.
Er griff nach seinem Heckler&Koch Sturmgewehr und kletterte zum Hallenboden hinab.
Hinter ihm bewiesen die schweren Schritte eines Arm Slaves, dass Sam angekommen war.

Geduckt hetzte Thomas durch die Halle, nutzte die gestapelten Kisten als Deckung und erreichte den Laster schließlich. Er duckte sich neben Sagara. Sie wechselten einen kurzen Blick und jeder wusste, was er zu tun hatte.
Thomas wechselte auf die andere Seite, immer darauf bedacht, nicht durch die Fenster im Heck gesehen zu werden.
Sagara zählte stumm mit drei Fingern an. Als er nur noch einen Finger hob, legte Thomas das Sturmgewehr an und drückte den Abzug halb durch.
Sagara riss die Tür auf, sprang wieder zur Seite. Die befürchtete Feuersalve blieb aus.
Kramer sah blitzschnell in den Laster und zog seinen Kopf wieder ein.
„Falke eins hier, der Laster ist leer. Falke zwei und ich folgen den Kabeln!“
„Falke eins, warten Sie auf die Infanterie!“, rief Sam beschwörend.
„Negativ, Falke fünf. Wir sind nun schon fünf Minuten hier. Vielleicht ist der Whispered schon tot. Aber wenn nicht, dann will ich nicht rumtrödeln.“
Hart stieß er mit der Schulter auf die Wand rechts von der kleinen Tür, die direkt in die Villa führte. Sagara landete auf der anderen Seite. Wieder zählte der zähe Japaner an und riss die Tür auf. Nur gab Thomas diesmal einen Feuerstoß in die Öffnung ab, zog sich zurück und wartete zwei Sekunden eine Antwort ab.
Als diese nicht erfolgte, sah er schnell in den Gang.
Sagara bestätigte nickend. Geduckt und dicht an der Wand folgten sie dem Gang, ihre Waffen im Anschlag.

Die Tür auf der anderen Seite des Gangs war nicht gepanzert. Die Salve von Thomas hatte sie durchschlagen. Wieder vollführten sie das gleiche Spiel, nur das Sagara diesmal die Tür nicht öffnen konnte. Sie ging nach außen auf, die Klinke ließ sich herunter drücken, aber die Tür rührte sich nicht.
Thomas sah zu Boden und erkannte eine dünne Lache Blut, die sich langsam von der Tür ausgehend ausbreitete.
Er deutete auf seine Augen und dann zu Boden.
Sagara folgte der Geste, nickte verstehend und stemmte sich hart gegen die Tür.
Plötzlich gab sie nach, Sagara stürzte in den Raum auf der anderen Seite, fing sich ab und riss wieder seine Waffe hoch. Dann nickte er Thomas zu.
Der Captain kam ebenfalls herein, stieg über die Leiche des Mannes weg, der die Tür blockiert hatte, dabei seine Waffe immer im Anschlag.
Sagara deutete auf die Wand, aus der die dicken Kabel aus dem Laster hervortraten und in einem Raum zur Linken führten. Sie blockierten eine Tür, die deshalb einen Spalt weit offen stand.
Wieder nickten die beiden sich zu und Sagara übernahm erneut die Rolle des Türöffners.
Weil die Gefahr bestand, den Whispered zu treffen, verzichtete Thomas auf einen Feuerstoß, sah aber blitzschnell hinein, als der Japaner die Tür aufriss.
Ein paar Kugeln zischten zwischen ihm und Sagara durch die Öffnung.
Beide duckten sich zu Boden, falls jemand auf die Idee kam, die Wand zu durchschießen.
Thomas hob zwei Finger, Sagara nickte bestätigend. Er machte das Zeichen für Waffen. Der Deutsche nickte und hob wieder zwei Finger.
Wieder nickte der Sergeant. Er deutete auf sich und dann auf den Raum.
Der Captain nickte erneut. Ja, er würde ihn von der Tür aus sichern, während der junge Mann in den Raum rollte.
Wieder zählte Sagara stumm an, warf sich durch die Tür und rollte sich ab. Er kam auf einem Knie hoch, riss seine Waffe herum und feuerte einen bellenden Schuss ab.
Thomas erschien in der Tür, suchte nach seinem Opfer, das nun auf Sagara angelegt hatte und beendete sein Leben mit einem gezielten Schuss in den Kopf.
Er trat in den Raum, die Waffe noch immer im Anschlag, als Sagara an ihm schräg vorbei zielte und den Hahn seiner Pistole spannte.
Thomas ging in die Hocke, um eine kleinere Angriffsfläche zu bieten und wirbelte herum.
Dort stand eine kaukasische Frau mittleren Alters mit Brille und Laborkittel. Ihr Haar war zu einem Zopf gebunden und fiel auf den Rücken. Langsam hob sie die Rechte, in der eine Pistole lag.
„Oh nein, machen Sie das nicht. Bitte machen Sie das nicht“, bat Thomas und richtete sein Visier auf ihren Kopf, zielte zwischen die Augen.
„Du schon wieder“, blaffte die Frau den Sergeant an.
„Lassen Sie die Waffe fallen!“, erwiderte Sagara wütend.
„Du schon wieder? Da steckt bestimmt eine interessante Story hinter“, witzelte Thomas, ließ die Frau aber nicht aus seinem Blick. „Ich zähle bis drei, dann schieße ich. Eins!“
Die Hand der Frau zögerte. „Zwei!“
Klappernd fiel die schlanke Beretta der Frau zu Boden. Zögernd hob sie die Hände. „Ich ergebe mich.“
Ohne zu zögern trat Sagara heran, wirbelte sie gegen die Wand und drückte ihr die Hände auf den Rücken. Mit einem Kabelbinder fesselte er die Arme aneinander.
„Junge, Junge, Sarge. Das sieht aus als wäre das was Persönliches.“
Sagara warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. „Ich bin ihr schon einmal begegnet. Bei der gleichen Gelegenheit. Und auch mit dem Ding da.“ Der Japaner deutete auf das sargähnliche Gebilde, in dem eine junge Frau lag.
Thomas schätzte ihr Alter auf siebzehn, höchstens achtzehn. Über ihren Augen lag eine Art Ring, ihr Gesicht war schmerzverzerrt und ihre Hände krampften unkontrolliert.
„Scheiße!“, rief Thomas, trat an die Kontrollkonsole heran und schaltete alles aus. Was die junge Frau mit einem schrecklichen Schrei beantwortete.
„Die Tür, Sarge!“, befahl Thomas, von Entsetzen geschüttelt. Nie hatte er einen Menschen so schreien gehört.
Sagara nickte und trat in den Türrahmen.
Thomas´ Hände begannen zu zittern, als er den Tank entsiegelte. Verdammt, hatte er sie getötet? War das, was eigentlich gut gemeint war, ihr Tod geworden? Er sah über das kurze, blonde Haar und die jungen, schmerzverzerrten Gesichtszüge.
In den Dossiers, die er regelmäßig bekam hatte jedenfalls gestanden, dass man so ein Gerät ohne Gefährdung der Probandin sofort abschalten konnte, ohne sie zu gefährden. Ja, es wurde sogar eindringlich dazu geraten, da manche Probanden unter der Belastung wahnsinnig wurden.

Endlich hatte der Deutsche den richtigen Schalter gefunden. Der Tank fuhr aus der Waagerechten auf und öffnete sich. Zuerst suchte er nach einem Puls am Hals der jungen Frau. Die zuckte zusammen, als er sie berührte, was dazu führte, dass er entsetzt zurück sprang.
Sie richtete sich auf, riss die futuristische Brille von den Augen und sah… Direkt Sagara an, der ebenfalls zu ihr herüber sah.
Die junge Frau blinzelte, sah zu Thomas herüber.
Ihre Augen schimmerten feucht, dann brach sie in Tränen aus. Sie lehnte sich über den Tank hinaus, drohte zu fallen. Thomas trat wieder heran, fing sie auf. „Nicht so hastig, junge Dame“, scherzte er.
Hemmungslos begann sie zu schluchzen, klammerte sich in Kramers Pilotenanzug. „Ich hatte solche Angst. Ich dachte, ich muß sterben!“
„Was für ein Quatsch! Bei mir ist noch niemand gestorben!“, rief die gefesselte Wissenschaftlerin wütend.
„Halt besser die Klappe, wenn du hier lebend raus kommen willst!“, blaffte der Deutsche wütend.
Er sah das blonde Mädchen an. „Kannst du gehen?“
„I-ich weiß nicht.“
„Falke eins hier. Haben potentielle Whispered gefunden. Wie weit sind Ihre Schlammstampfer, Sumner?“
„Ich habe Ihnen fünf Mann in den Hangar geschickt, die müssten gleich bei ihnen sein. Foxtrott und Ruby, Falke eins.“
„Verstanden.“ Er sah Sagara an. „Du auch, Sousuke?“
Der Japaner nickte.

Vorsichtig half Thomas der jungen Frau aus dem Tank. Sie belastete ihre Beine, knickte aber haltlos ein.
Zugleich brüllte jemand draußen: „Foxtrott!“
„Ruby!“, erwiderte Sagara. Erleichtert trat er einen Schritt zurück, um drei der fünf Infanteristen in den Raum zu lassen, während die anderen den Gang sicherten.
Einer kam auf Thomas zu. „Corporal Spencer, Captain. Ihre Befehle?“
„Decken Sie unseren Rückzug. Wir bringen die Whispered…“ Bei diesem Wort verkrallten sich die Hände des blonden Mädchens erneut in seinem Anzug. Thomas schluckte hart. „Wie bringen die Gefangene und die Brillenschlange da zu Wanderfalke eins und evakuieren sie. Vernichten Sie die Einrichtung hier mit Handgranaten.“
„Die Anlage ist achthundert Millionen Yen wert!“, begehrte die Wissenschaftlerin auf.
„Verklagen Sie mich doch“, konterte Thomas. Er griff zu und nahm das Mädchen auf die Arme.
„Sir, soll nicht einer von uns vielleicht…“
„Negativ, Spence. Sie sind die Infanteristen, ich bin Arm Slave-Pilot. Wenn Ihre Finger an den Abzügen Ihrer Waffen sind, sind Sie nützlicher als ich.“
„Verstanden. Antonelli, Handgranaten her. Garcia übernimmt die Wissenschaftlerin. Ich sprenge die Sachen hier und komme nach. Falke zwei, übernehmen Sie die Vorhut?“
Sagara nickte knapp und trat zu den beiden Wächtern auf den Gang hinaus.
Wieder krallten sich die Hände der jungen Frau in den Anzug des Deutschen. „Ruhig. Wir bringen dich hier raus. Nicht mehr lange, und du bist in Sicherheit.“
Angstvoll sah sie zu ihm auf. „I-ich… Diese Bilder… Ich habe sie nicht verstanden. Ich hatte solche Angst…“ Übergangslos sackte ihr Kopf gegen seine Schulter. Sie war bewusstlos geworden. Na, das war in dieser Situation recht nützlich.

„Falke fünf hier. Falke eins, wo steckst du?“
Hinter ihm röhrten die MPs der Nachhut auf. „Sind fast im Hangar, aber wir werden verfolgt. Was gibt es?“
„Wir haben hier in ein echtes Wespennest gestochen. Auf dem Gelände sind gut einhundert Soldaten, zum Teil ausgerüstet mit Anti Arm Slave-Bewaffnung! Außerdem meldet Turmfalke anrückende Kampfverbände! Panzer und Infanterie, GAZ dreißig Minuten.“
„Wir haben erst elf Minuten verbraucht, Falke fünf.“
„Schon, aber wenn wir uns festsetzen lassen, dann sind die Kampfverbände da.“
„In Ordnung. Wir haben unseren Beweis für die Verbindung mit Amalgam ja schon.“ Hinter ihm lief der Corporal auf den Gang, kurz bevor mehrere Detonationen ertönten.
„Und einen Haufen Scherben.“
Vorsichtig rückten sie weiter vor, Thomas drückte sich seitlich an die Wand, um der jungen Frau soviel Schutz wie möglich zu geben.
„Hangar ist sauber.“
„Dann aber schnell. Wanderfalke eins, holen Sie uns bei der Halle ab. Wir brechen ab.“
„Abbrechen? Aber wir haben Komanov noch nicht gefunden! Okay, wir räumen gerade ihr Computersystem aus, aber…“
„Nehmt mit, was Ihr kriegen könnt, aber wir brechen ab. In fünf Minuten ist Abflug! Kommen Sie endlich zum Hangar, Wanderfalke eins?“
„Schon unterwegs.“
„Sousuke, in deinen Arbalest. Unterstütze Falke fünf da draußen.“
„Verstanden.“
Der junge Mann steckte seine Waffe weg und erklomm den M9. Noch bevor Kramer mit seinen Begleitern und der Gefangenen das Hangartor erreicht hatte, stapfte er an ihnen vorbei. Kurz darauf senkte sich der Transporthubschrauber vor der Halle herab.
Drei Mann sicherten, während die Infanteristen an Bord gingen. Thomas übergab die junge Frau einer Sanitäterin. „Seien Sie vorsichtig mit ihr! Sie ist eine Whispered!“
„Verstanden, Sir.“ Die Maschine startete durch und hob vom Boden ab.

„Geben Sie mir noch mal Deckung, Falke zwei!“, rief der Deutsche, während er wieder in die Halle lief. Die richtige Idee, erkannte er, als ihm die Kugeln um die Ohren flogen.
Sagaras MGs bellten auf und verwüsteten den Hintergrund der Halle. Thomas nutzte die Gelegenheit, um seinen M9 zu erreichen.
Hastig kletterte er hinein, bewegte die Maschine aus dem Hangar hinaus. Dann feuerte er auf die Dachkonstruktion, bis die ganze Halle in sich zusammen sackte.
„Ist die Infanterie raus aus dem Gebäude?“
„Der letzte Mann verlässt es gerade. Wir haben drei Terabyte Daten mitgenommen, Falke eins.“
„Das freut mich zu hören, Sumner. Gehen Sie an Bord Ihrer Hubschrauber, die Falken geben Deckung.
Falken, Status!“
„Falke zwei hier, kein Feindkontakt, Munition wird knapp.“
„Falke drei hier, kein Feindkontakt. Munition halb verbraucht.“
„Falke vier hier, kein Feindkontakt. Munition wird knapp.“
„Falke fünf hier, kein Feindkontakt. Munition aufgebraucht.“
„Falke sechs hier, kein Feindkontakt. Munition wird knapp.“
„Falke sieben hier. Scharmützel mit Infanterie. Ziehe mich langsam zurück. Munition wird knapp.“
„Falke acht hier. Gebe Falke sieben Deckung. Munition ein Drittel verbraucht.“
„Ich sage es ja immer, Ihr ballert zuviel. Das ist ja schlimmer als damals in der Sahara“, witzelte Thomas, während er den Gernsback auf die Villa zusteuerte. Sagara folgte ihm wie selbstverständlich. „Hie Status Falke eins. Kein Feindkontakt. Munition…“
Er lud das letzte Magazin in seine Waffe, die Kopf-MGs spuckten die letzten Runden raus. Danach entlud er das volle Magazin auf die Villa, zerschoss zwei Seitenwände und ließ das halbe Dach einstürzen. „Warnung. Munition wird knapp. Warnung. Munition verbraucht.“
„Munition ist alle. Sumner, wie sieht es aus?“
„Sind alle an Bord, Falke eins.“
„Okay, dann holt uns hier auch raus. Wanderfalke eins.“
„Sind schon unterwegs, Falke eins.“

Hinter ihm erschien der Transporter wie aus dem Nichts, hielt sich knapp über dem Boden, während ein Transportgestell zu Boden fuhr. „Du zuerst, Sousuke.“
„Verstanden.“ Der Arbalest trat auf das Gestell. Sich rückwärts zurückziehend kam nun auch Thomas zum Gestell.
„Falke drei und vier sicher.“
„Falke fünf und sechs sicher.“
„Falke sieben und acht sicher.“
Thomas zog das zweite Bein seines Gernsback vom Boden und stellte ihn ebenfalls auf das Transportgerüst. Sofort setzte die Automatik ein und holte beide M9 an Bord.
„Falke eins und zwei sicher. Wanderfalken, bringt uns raus.“
„Das brauchen Sie uns nicht zweimal sagen, Falke eins.“

5.
Johann Sander sah den Offizier vor seinem Schreibtisch lange an, bevor er das Wort ergriff.
„Major Kramer, Sie haben ein Problem.“
„Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen, Skipper!“
Sander winkte ab. „Wenn wir alleine in diesem Raum sind, dürfen Sie immer und alles sagen.“ Kurz ging sein Seitenblick zu seinem ersten Offizier, Lieutenant Commander Sharon Allister. „Auch wenn Commander Allister anwesend ist.“
„Danke, Sir. Zu meiner Verteidigung kann ich anführen, dass ich diesmal alle Arm Slaves nach Hause gebracht habe und die Infanterie nur leichte Verwundungen davon getragen hat und…“
„Das meine ich nicht. Sie haben vorbildlich reagiert, als Sergeant Sagara erkannt hat, was in dem Gebäude vor sich ging. Den Einsatz an dieser Stelle abzubrechen war ebenfalls richtig. Die erbeuteten Computerdaten werden bereits analysiert, aber wir können diesen Teil des Einsatzes wohl als Erfolg werten. Die Daten sind nicht virenverseucht und unverschlüsselt. Wir haben Kumanov wohl auf dem falschen Fuß erwischt. Ihn selbst zu fangen war von vorne herein nur ein Bonus gewesen.“
Kramer runzelte die Stirn. „Wo ist dann das Problem? Sitzt Ihnen das Oberkommando im Nacken?“
„Mit mir hat das nichts zu tun, Major. Sie und nur Sie sitzen in der Scheiße.“
„Na danke. Und wieso?“
„Nun, die junge Frau, die Sie gerettet haben, ist sehr wahrscheinlich eine Whispered. Das Kommando Pazifik verfügt über eine Einrichtung, mit der sie Zugriff auf das Wissen von Whispered nehmen können. Nicht so ein primitives Gerät wie das, welches Sie in der Villa zerstören ließen. Sehr effektvoller und vor allem sanfter. Tai-sa Testarossa half maßgeblich bei der Entwicklung.“
„Aha.“
„Wir wollen die junge Dame dort hinschaffen. Und das so schnell wie möglich. Wir können dort auch feststellen, ob der primitive Tank, dem sie ausgesetzt hat, Schäden in ihrem Gehirn verursacht hat. Es ist also auch noch dringend. Sergeant Sagara wurde bereits informiert, dass er die Whispered mitnehmen wird. Das Safe House, in dem die Anlage steht, befindet sich in Tokio.“
„Soweit so gut. Und wo ist mein Problem bei der Geschichte?“
„Nach der ersten Untersuchung auf eventuelle Gehirnschäden bei der Whispered werden die weiteren Analysen und Tests zwei bis drei Wochen dauern. Sie werden beide begleiten, Sergeant Sagara und Jane Doe.“
Nachdenklich kratzte sich Thomas am Schädelansatz. Jane Doe, das bedeutete, dass die Identität der jungen Frau nicht hatte festgestellt werden können. „Gibt es einen besonderen Grund, warum gerade ich die beiden begleiten soll?“
Sander schmunzelte. Auch die ansonsten eher ausdruckslose Miene von Allister verzog sich zu etwas, was man mit viel Phantasie als humorvolles Lächeln deuten konnte.
„Wo kommen Sie gerade her, Major?“
„Aus dem Krankentrakt. Unser Gast ist dort die Wände hochgegangen und hat sich erst beruhigt, als ich… Oh…“
„Sehen Sie, schon haben Sie Ihre Antwort. Leider haben Sie versäumt, sie zu betäuben, als Sie die junge Dame befreit haben. Jetzt ist sie auf Sie fixiert, Major Kramer.
Und da wir sie in einen ähnlichen Tank stecken wollen, in dem sie Höllenqualen erlitten hat, müssen wir versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen.“
„Verstehe.“
„Das ist noch nicht alles. Das Oberkommando hat auch… Nun. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das beibringen soll. Aber da Miss Doe offensichtlich das Gedächtnis verloren hat, sind die Oberen der Ansicht, dass man ihr so etwas wie ein normales Leben gönnen sollte, während die Untersuchungen laufen.“
„Äh, normales Leben?“
Sander reichte dem Arm Slave-Piloten eine Akte. „Was Sie hier sehen ist Top geheim. Die Person, die in dieser Akte beschrieben wird, ist ebenfalls eine Whispered. Sie war in dem Vorfall vom letzten Jahr im Südpazifik und am Vorfall in Hong Kong maßgeblich beteiligt. Sie wird bereits von Sergeant Sagara und einem Backup-Team beschützt. Es ist also sinnvoll, dass wir Miss Doe in ihrer Nähe positionieren, solange sie sich in Japan aufhält. Was übrigens auch bedeutet, dass Sie den Schutz für beide Whispered übernehmen, Major Kramer. Eine Anfrage an die junge Dame, unserer Schutzbefohlenen Obdach zu gewähren, ist bereits raus.
Wir sind sehr sicher, dass Miss Chidori positiv darauf reagieren wird, denn sie hat selbst mal in so einem Tank gelegen.
Alle weiteren wichtigen Parameter Ihres Auftrags sind ebenfalls in der Akte enthalten. Sie fliegen in einer Stunde mit Sergeant Sagara und Jane Doe. Ein Helikopter bringt Sie drei nach Istanbul, von wo ein Lear Jet Sie nach Japan bringen wird. Ab dort unterstehen Sie dem Kommando von Commander Kalinin.“
Kramer räusperte sich verärgert. „Ich nehme nicht an, dass ich meinen M9 mitnehmen kann?“
„Falls Sie bei diesem simplen Überwachungsauftrag einen M9 benötigen, bin ich sicher, das Arm Slave-Team der TUATHA DE DANNAN wird Ihnen mit einem aushelfen. Übrigens, das hätte ich fast vergessen. Ein dreiköpfiges Team wird Sie unterstützen. Die Namen stehen auch in der Akte. Und jetzt gehen Sie packen, Major.“
Thomas salutierte vorbildlich, nickte in Richtung von Commander Allister und verließ das Büro.

Allister stieß sich von ihrem Platz an der Wand ab. „Er ist kein Bodyguard.“
„Deshalb schicken die vom Pazifik ja auch drei Profis, um ihn zu unterstützen.“ Sander dachte an die drei Namen in der Akte und korrigierte sich selbst. „Zwei Profis und Tai-sa Testarossa.“
Allister runzelte die Stirn. „Was soll das denn nützen? Außerdem, ist es nicht gefährlich, gleich drei Whispered auf so engem Raum zu konzentrieren?“
„Tai-sa Testarossa kann am ehesten beurteilen, über welches Wissen Jane Doe verfügt. Wie Sie wissen, überlappen sich die Informationen der Whispered in vielen Bereichen. Die Kunst im Umgang mit ihnen ist, einen Whispered zu finden, dessen Informationen absolut neu sind. Oder so ähnlich. Tai-sa Testarossa wird das sehr schnell herausfinden. Ich denke, das ist das Risiko wert.“
„Das mag sein“, murmelte Allister und schlug ihr Exemplar der Akte auf. „Dennoch halte ich es für ein Risiko. Und dann diese Tarnidentität, muß das sein? Der heilige Thomas wird uns an die Kehle gehen, wenn er von dem Einsatz zurückkehrt.“
Sander winkte ab. „Er schafft das schon.“
„Aushilfslehrer? Sein japanisch ist miserabel.“
„Aushilfslehrer?“ Sander riss die Augen auf. „Ich habe nur bis zu dem Part gelesen, in dem steht, dass sich Thomas als Verwandten von Sergeant Sagara ausgeben soll.“
Die beiden Führungsoffiziere sahen sich an und seufzten simultan.
„Er wird uns umbringen.“ „Stimmt.“
**
Der Flug von der FEANOR zum Flughafen Istanbul, dem Atatürk Havalaani, verging relativ schnell und unspektakulär. Die junge Whispered, die sie aus den Klauen des Waffenhändlers gerettet hatten, schlief die ganze Zeit. Was ganz nett gewesen wäre, wenn sie dabei nicht den Arm von Thomas umklammert halten würde.
Der deutsche Arm Slave-Pilot hielt das mit der Fixierung für einen Witz. Wenn sie auf den ersten Menschen fixiert war, den sie nach ihrer Befreiung gesehen hatte, dann musste das ja wohl Sagara sein, und nicht er. Andererseits hing sie hier an seinem Arm und ließ ihn nicht los.

Für das umsteigen in den Jet mussten sie Jane Doe wecken, aber wenn Thomas gehofft hatte, sie würde ihn loslassen, hatte er sich getäuscht.
Er fragte sich, was Sagara wohl darüber dachte, aber seine ansonsten starre Miene zeigte eine Spur von Mitgefühl.
Als sie im Jet saßen und bereits in zwölftausend Kilometern Höhe schwebten, ließ sie ihn endlich los. Aber das auch nur, um das bereitstehende verspätete Abendessen anzunehmen.
Thomas nutzte die Gelegenheit, um sich einen Kaffee zu holen.
Als er wiederkam, hatte die blonde Frau bereits die zweite Portion am Wickel.
„Ich habe mir was überlegt“, sagte Thomas auf englisch, obwohl er auch russisch oder deutsch mit der Whispered hätte sprechen können. Sie beherrschte alle drei Sprachen gleich gut. Was irritierend war. „Wenn du nach Tokio kommst, können wir dich nicht Jane Doe nennen. Und wir können dich auch nicht so einschulen.“
Ein entsetzter Blick traf ihn. „Sie… sie haben gesagt, ich muß wieder in diesen Sarg! Ich… Es war so… Ich…“
Thomas trat vor und legte der jungen Frau eine Hand auf die Schulter. „Beruhige dich. Ich habe mir sagen lassen, dass unsere Analysemethoden sanfter sind. Vielleicht finden wir ja auch auf diese Weise einen Hinweis auf deine Vergangenheit. Und außerdem bin ich dabei. Wenn ich merke, dass es dir wehtut, hole ich dich da raus.“
„Versprochen?“
„Du hast mein Wort als Offizier.“
Sie runzelte die Stirn. „Ist das was wert?“
Entrüstet schnappte Thomas nach Luft. „Ob das was wert ist?“ Theatralisch griff er sich an die Brust. „Ah, das tut weh. Das tut wirklich weh. Ich habe noch nie mein Wort gebrochen.“
„So? Wie oft hast du es denn schon verpfändet?“
Verblüfft sah der Deutsche das blonde Mädchen an. „Das ist eine gute Frage. Ein paar mal vielleicht.“
„Ein paar mal? Hm, dann muß das als Referenz wohl reichen. Du gibst mir also dein Wort, dass du auf mich aufpasst?“
„Ich gebe dir mein Wort, dass ich dich beschütze“, korrigierte Thomas. „Sousuke, du bist Zeuge.“
Der Japaner nickte bestätigend.
„Reicht dir das?“
„Okay.“
„Gut. Dann überleg dir mal einen schönen Namen. Jane Doe klingt wirklich nicht so gut.“
„Kim“, sagte sie spontan.
„Kim, was ist Kim? Wer willst du sein? Eine Amerikanerin?“
„Warum nicht?“, warf Sagara ein. „Wenn wir sagen, dass sie Amerikanerin ist, dann werden ihr viele ihrer Fehler leichter verziehen. Sagen wir, sie ist Europäerin, kommt zudem noch das Problem dazu, dass die Leute sie ausfragen würden, aus welchem Land sie kommt, was in diesem Land gerade passiert, und so weiter.“
„Hm. Meinetwegen Kim. Und wie weiter?“ Nachdenklich kratzte sich Thomas an der Schläfe. „Wie wäre es mit Kramer. Wir könnten sagen, du wärst meine…“
Röte schoss in ihre Wangen. „Frau?“
„Kleine Schwester“, korrigierte Thomas.
„Nein.“
„Nein, wieso? Wäre doch eine gute Erklärung.“
„Kim Kramer, wie klingt das denn? Außerdem, wie soll ich die Schwester eines Deutschen sein, wenn ich selbst aus Amerika komme?“
„Wie wäre es mit Sander? Oder der anglikanisierten Form Sanders?“, half Sagara aus.
„Das klingt doch gut. Was denkst du, Kim? Kim?“
„Äh… Schon gut. Ich war nur etwas überrascht, weil du mich schon mit meinem neuen Namen angesprochen hast. Ja, Kim Sanders klingt doch gut.“
„Also ist es beschlossen, oder?“
Ein leichtes Lächeln huschte über Sagaras Züge. „Kim Sanders. Gut.“
„So, nachdem das geklärt ist, sollten wir alle versuchen, etwas zu schlafen. Aber, Sousuke…“
„Captain?“
„Nenn mich Thomas. Wenn ich dich schon frech beim Vornamen nenne, darfst du das auch.“
Entsetzen stand in Sagaras Augen. „W-was? C-captain, ich…“
„Thomas.“
„C-captain…“ „Thomas!“
Ergeben ließ der Japaner die Schultern. „Thomas.“
„Das ist doch schon viel besser.“ Der Deutsche knuffte mit der Faust gegen Sousukes Schulter und tätschelte Kim anschließend den blonden Haarschopf.
„So, ich gehe jetzt schlafen. Es war ein langer Tag und wir müssen früh raus.“
Thomas gähnte und sah sich sicherheitshalber nach einem Sitz weiter vorne um. Nicht, das Kims Fixierung auf ihn etwas zu weit ging…
**
Der Arm Slave-Pilot erwachte, als jemand auf japanisch fluchte. Verschlafen blinzelte er mit den Augen, sah auf. Und war eine Sekunde später hellwach. Drei Reihen hinter ihm saßen Sagara und Kim beieinander und das schlanke Mädchen fluchte auf japanisch wie ein Rohrspatz mit Zahnschmerzen.
Thomas sprang auf, eilte nach hinten.
Die beiden sahen zu ihm herüber. „Ah, Thomas, haben wir dich geweckt?“, fragte Sagara ernst. „Du warst doch zu laut.“
„Tut mir Leid. Aber Sousuke war so nett und hat mir etwas japanisch beigebracht. Die wichtigsten Phrasen, damit ich den Schulalltag durchstehe.“ Zweifelnd sah sie ihn an. „Denkst du, es ist wirklich die richtige Strategie, einfach stur zu lächeln, wenn ich etwas nicht verstehe?“
„Ich bezweifle, dass du etwas nicht verstehen wirst.“ Sagara warf dem Deutschen einen merkwürdigen Blick zu. „Wir sind seit etwa einer Stunde wach. Also habe ich ihr ein wenig Sprachunterricht gegeben. Allgemeines von Bitte und Danke bis zu Guten Morgen und Guten Abend. Aber mittlerweile hat sie soviel gelernt, dass wir schon bei den wichtigsten Flüchen sind. Sie saugt das Wissen auf wie ein Schwamm. Wenn wir in Japan sind, wird sie die Sprache…“
„Perfekt beherrschen?“, half Thomas aus.
„Nein, aber ausreichend beherrschen, um sich zu orientieren. Ich frage mich, wie es mit dem lesen ist.“
„Was für eine Überraschung.“ Thomas holte das längst überfällige Gähnen nach dem Aufwachen nach. „Wo sind wir eigentlich?“
„Südchinesisches Meer. Noch eine halbe Stunde bis Narita.“
„Danke, Sousuke. Dann dauert es ja nicht mehr lange bis zu einem ordentlichen Frühstück. Ist noch was?“
Sagara nickte. „Ja. Eines noch. Man wird uns abholen.“
„Wie nett. Und wer?“
Für einen Moment begann Sagaras rechte Augenbraue zu zucken. „So-sho Mao, Gun-so Weber, Tai-sa Testarossa und Kaname Chidori.“
„Hm, Tessa und Melissa? Das sind gute Nachrichten. Kaname Chidori ist die Whispered, die du beschützt, richtig? Sie wird es doch nicht missverstehen, wenn du mit einem jungen, hübschen Mädchen aus dem Flieger kletterst, oder? Ich meine, man hat sie doch informiert, oder?“
Auf Sagaras Stirn bildete sich eine feine Schweißschicht. „Ich hoffe es.“
„Wird schon schief gehen. Ich gehe mir einen Kaffee holen. Noch jemand? Nein?“
Während sich Thomas in der kleinen Küche einen Kaffee einschenkte, hörte er Kim fragen: „Sousuke, wer sind diese Tessa und diese Melissa genau?“
Er seufzte entsagungsvoll.
„Und wer ist diese Kaname Chidori?“
Mist, der Tag hatte schon schlecht angefangen. Als er mit seinem Kaffee zurückkehrte, meinte er genau diese Feststellung auch in Sagaras Gesicht zu lesen.
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Indigniert betrachtete Robert Hausen die Trümmer der Villa und die zusammen geschossenen Lagerhallen. Bergungsmannschaften waren bereits dabei, sich zu den Tiefenbunkern durchzuarbeiten. Ein Dutzend Leichen mit frischen Schusswunden zeigte allerdings, das nicht jeder Gerettete automatisch am Leben bleiben würde. Kumanov war ebenso darunter wie die beiden Arm Slave-Piloten, welche die Attacke Mithrils überlebt hatten.
Lediglich einfache Infanteristen, Unteroffiziere, Wissenschafter und Techniker wurden geschont.
Der dicke, pausbäckige Conrad wischte sich die Stirn ab, auf der eine dicke Schweißschicht glänzte. „Eine eklige Sache, das hier, mein lieber Robert.“
„Erzählen Sie mir mehr.“ Er ging in die Hocke und legte seine Handfläche in den Fußabdruck eines M9.
„Nun, der Angriff von Mithril kam für uns nicht wirklich überraschend. Ich meine, jetzt wo die FEANOR in Dienst gestellt wurde und Vogel beim Versuch versagt hat, sie zu entern, mussten wir damit rechnen. Aber da es Dutzende exponiertere und zum Teil auch wichtigere Ziele in der Mittelmeerregion gibt… Unsere Aufklärung war sehr nachlässig, mein lieber Robert.“
Conrad beugte sich schnaufend vor und hob ein Metallstück auf. Es war von einem Savage abgesprungen. „Die Aktion wurde gut und schnell durchgeführt. Acht Arm Slave vom Typ M9 Gernsback sind im Sturmangriff herangekommen, haben die Minenbarriere umgangen, die M6 auf Wache gezielt vernichtet und sämtliche Infanteriestellungen ausgeschaltet.
Danach hat Mithril Infanterie nachgezogen, um in den Bunker einzudringen. Hier wurden sie gestoppt, und eine Einheit, die bei uns im Lohn steht, war bereits angefordert und auf dem Weg hierher, um den Gegner aus der Villa zu werfen. Nach insgesamt siebzehn Minuten zog Mithril wieder ab.“
„Hm.“ Hausen nickte in Richtung Kumanovs, dessen Leiche merkwürdig verkrümmt am Boden lag. „Und warum dann das da? Selbst wenn er überrascht worden ist, hat er vorbildlich und schnell reagiert. Er konnte sogar eine Gefangennahme vermeiden.“
„Dafür haben wir ihn ja auch nicht erschossen.“ Angewidert, als hätte er etwas Totes in der Hand, warf Conrad den Metallspan fort. „Dieser Trottel hat in der Tat einigermaßen folgerichtig gehandelt. Trotzdem hat er uns Millionen gekostet. Er hatte eine potentielle Whispered hier. Wir haben ihm die Ausrüstung geschickt, um das zu überprüfen. Außerdem eine unserer besten Wissenschaftlerinnen in diesem Fachgebiet. Nun, die Anlage ist nur noch Schrott, die Wissenschaftlerin nicht unter den Toten und die Whispered verschwunden. Was das alles wieder kosten wird.“
„Wollen Sie mir sagen, dass Mithril eine weitere Whispered sowie einen Ihrer wichtigsten Wissenschaftler in der Hand hat?“
„Ja, mein lieber Robert.“
„Verstehe.“ Robert Hausen schüttelte sich. Kumanov konnte mit seinem schnellen Tod eigentlich ganz zufrieden sein.
„Und als wenn das noch nicht alles wäre, Mithril konnte mehrere tausend Gigabyte unverschlüsselter Daten aus dem Computersystem der Villa extrahieren. Damit können sie einen Großteil der eigentlichen Historie des Bürgerkrieges rekonstruieren.“
„Spuren zu Amalgam werden sie nicht finden?“
„Nicht mehr als ein paar Bankverbindungen. Und die wechseln aus Sicherheitsgründen alle paar Wochen.“ Schnaufend setzte sich der dicke Mann in Bewegung. „Aber deswegen ließ ich Sie nicht kommen, mein lieber Hausen. Ich habe einen neuen Auftrag für Sie.“
„Ich habe Ihnen schon mal gesagt, dass ich selbst entscheide, wann ich Aufträge annehme und welche das sind.“
„Und ich habe Ihnen gesagt, dass Sie es leider wert sind, am Leben gelassen zu werden, mein lieber Robert. Wollen Sie sich den Auftrag nicht wenigstens anhören?“
„Es geht um die Whispered, oder?“
„Richtig. Wir müssen unbedingt einen Überblick über ihr Wissen erhalten. Besorgen Sie uns das. Üblicher Sold, übliche Unterstützung.“
„Nur den Überblick über ihr Wissen?“
„Nur den Überblick über ihr Wissen.“
„Und wenn was dabei ist, was Amalgam interessiert?“
„Dann hätten wir gerne die Whispered. Um jeden Preis.“
„Wissen Sie, wohin Mithril sie bringen wird?“ Hausen strich sich nachdenklich über sein Kinn.
„In der Tat. Es gibt nur eine Anlage, die in Frage kommt, um das Wissen der Whispered abzufragen. Diese Anlage steht in Japan. Genauer gesagt in Tokio.“ Conrad griff in seine Jacke und zog eine Akte hervor. „Hier, das wird Ihnen helfen.“
„Was ist das?“
„Kumanov war so dumm oder so umsichtig, die Whispered zu amnesieren. In der Akte steht alles Wissenswerte über sie drin. Quasi ihr ganzes Leben. Es könnte Ihnen nützlich sein, mein lieber Robert.“
Kurz ging der Söldner über die Schriftstücke in der Akte und pfiff anerkennend. „Das hätte ich jetzt nicht erwartet, Mr. Conrad.“
„Heißt das, Sie nehmen an?“, fragte der Mann von Amalgam hoffnungsvoll.
„Ich stelle mein eigenes Team zusammen. Anderthalbfache Bezahlung. Und ich will eine Sektion Arm Slaves auf Abruf bereit haben.“
„In Tokio?“
„In Tokio.“
„Ich leite alles in die Wege. Viel Erfolg, mein lieber Robert.“
„Danke. Zugegeben, es reizt mich, gegen Mithril anzutreten.“ Er wandte sich um und ging auf den wartenden Helikopter zu. „Diesmal würde ich eine Niederlage persönlich nehmen.“
**
Es war früher Morgen, sehr früher Morgen, als die drei aus dem Lear Jet stiegen. Der Pilot hatte die Jet bis auf wenige Dutzend Meter an einen Terminal heran gebracht; deutlich konnte man vier wartende Personen erkennen.
Thomas Kramer ging zuerst. Danach kletterte Kim die kleine Treppe hinab.
„Hey…“, sagte sie staunend, als sie stolperte und Thomas direkt in die Arme stürzte.
Doch Sagara hatte schnell genug reagiert und sie rechtzeitig an der Schulter ergriffen. Mit Nachdruck zog er sie zurück, bis sie ihr Gleichgewicht wieder fand.
„Danke“, sagte sie säuerlich.
Thomas runzelte die Stirn und hielt ihr seine Hand hin. „Du hast wer weiß wie lange in diesem Tank gelegen. Übertreibe es nicht gleich, Kim.“
Sie griff nach der Hand, ließ sich die Treppe hinab helfen.
Hinter ihr folgte Sagara.

Als sie der Halle näher kamen, erkannte Thomas unter den vier Personen Melissa Mao und Tessa. Der große Mann mit den langen blonden Haaren musste dieser Weber sein. Die junge Frau in der Schuluniform daneben konnte demnach nur Kaname Chidori sein.
Seltsam, dass sie so merkwürdig drein sah.
„Ist das Chidori?“, fragte er Sagara. „Warum ist sie so verbissen?“
Der Pilot des Arbalest antwortete nicht.
Thomas sah herüber, in sein angsterfülltes Gesicht.
„Sousuke? Sousuke!“ Der junge Mann reagierte nicht, starrte die Schülerin an wie ein Kaninchen eine Schlange.
Kramer seufzte. Der Tag hatte schon schlecht angefangen.

„Danke, dass du uns unseren Sagara heile zurück gebracht hast, Thomas“, empfing ihn Tessa mit einem Augenzwinkern. „Er hat euch doch nicht behindert?“
„Natürlich bringe ich ihn heile zurück, Tessa. Schön, dich wieder zu sehen. Sousuke war uns übrigens eine große Hilfe. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass wir eine Whispered befreien konnten.“
Er deutete auf die blonde Frau neben sich. „Darf ich vorstellen? Kim Sanders. Dies sind Tai-sa Theresa Testarossa, So-sho Melissa Mao, der freundliche junge Mann links daneben dürfte Gun-so Kurtz Weber sein und die junge Dame daneben sicherlich Miss Kaname Chidori. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Gun-so, Miss Chidori.“
„Ich freue mich ebenfalls, Sie kennen zu lernen.“ Kim verbeugte sich steif in der Hüfte. „Chidori-san, Tai-sa, bitte kümmern Sie sich gut um mich.“
Übergangslos verschwand die finstere Miene von Chidoris Gesicht. Sie lächelte auf eine herzerfrischende Art, die einen glauben ließ, die finstere Miene von eben könnte von solch einem Gesicht niemals gebildet werden.
„Guten Morgen, Sanders-san. Ich freue mich ebenfalls, Sie kennen zu lernen. Wenn jemand weiß, was Sie durchmachen mussten, als man Sie in diesen Tank gesteckt hat, dann ich. Ach, und Sie hatten ja auch den gleichen Schutzengel wie ich, um da wieder raus zu kommen. Nicht wahr, Sousuke?“
„Ch-chidori…“
„Ich bin ebenfalls hoch erfreut, Sie kennen zu lernen, Captain Kramer. Und Miss Sanders“, Kurtz Weber sprach akzentfreies deutsch, als er sich der jungen Whispered zuwandte, „verfügen Sie über mich. Ich werde alles was in meiner Macht steht tun, um Sie zu beschützen.“
„Das ist sehr freundlich, Gun-so Weber, aber ich habe bereits einen hervorragenden Beschützer“, erwiderte sie auf englisch.
Chidoris Augenlider entwickelten ein Eigenleben. Sagara begann übergangslos zu schwitzen.
„Captain Kramer hat mir bereits sein Wort als Offizier gegeben, dass er mich sogar aus dem Tank von Mithril rausholen wird.“
„So, hat er das?“, warf nun Mao ein. Sie musterte Kramer aufmerksam. „Du hast deine glänzende Rüstung vergessen, strahlender Ritter.“
„Die ist zusammen mit meinem Heiligenschein in der Wartung“, konterte Thomas. Er reichte ihr die Hand. „Schön dich wieder zu sehen, Melissa.“
„Ich freue mich auch. Ich hätte nicht gedacht, dass das so bald passiert.“
„Tessa? Melissa? Ihr duzt euch?“ Irritiert sah Kim von Kramer zu Mao und von dort zu Tai-sa Testarossa.
„Ach!“ Kaname Chidori lächelte wieder. „Sanders-san, ich weiß, es ist sehr früh am Morgen, aber wir müssen uns jetzt ein wenig beeilen. Sousuke und ich müssen noch auf unser Schulfest. Und wenn Sie und Tessa mit wollen, solltet Ihr euch bei mir noch umziehen.
Kramer-san, ich nehme an, Sie wollen die Gelegenheit nutzen, um sich vorzustellen, oder?“
„Ich verstehe nicht ganz, Miss Chidori.“
„Aber… Tessa, hast du nicht gesagt, er soll an unserer Jindai High School als Aushilfslehrer für englisch anfangen, solange Sanders-san hier in Tokio ist?“
„Ja. So steht es zumindest in der Missionsakte. Thomas, hast du sie etwa nicht gelesen?“
Übergangslos brach dem Deutschen der kalte Schweiß aus. „Aushilfslehrer? In Japan? Ich? I-ich bin nur bis zu der Stelle gekommen, an der steht, dass ich mich als entfernter Verwandter von Sousuke ausgeben soll.“
Theresa seufzte viel sagend. „Du solltest deine Einsatzbefehle gründlicher studieren.“
„Das glaube ich auch, denn wenn ich das gewusst hätte, dann…“
„Heißt das, Thomas ist die ganze Zeit in meiner Nähe? Nicht nur im Safe House?“, fragte Kim mit strahlenden Augen.
„Ich frage mich, ob der Lear Jet zurück zur Türkei fliegt…“
„So, jetzt müssen wir uns aber wirklich beeilen. Tessa, Melissa, Sanders-san, wir müssen ja noch in meine Wohnung. Sousuke!“
„J-jawohl!“
„Du wirst mit Kurtz und Kramer-san bei dir vorbei schauen. Sie haben doch einen Anzug in Ihrem Gepäck, Kramer-san? Sich im Anzug vorzustellen ist für einen Lehrer immer besser.“
Der große Deutsche schluckte hart. „Sollten wir nicht erst mal ins Safe House fahren?“, spielte er seinen letzten Trumpf aus.
„Nein, mit denen ist alles geregelt. Die Sitzungen fangen erst morgen Abend an.“ Melissa zwinkerte ihm zu. „Wir haben den ganzen Tag frei, um uns zu amüsieren.“
Misstrauisch beäugte Kim die Arm Slave-Piloten. „Amüsieren?“
„Auf dem Schulfest.“
„Wenn das mal gut geht…“ Kramer seufzte schwer.
**
„Ähemm!“ Etwas unsicher trat Thomas Kramer aus dem Gang in das Wohnzimmer. Er war seit Jahren nur seine Uniformen gewohnt. Einen Anzug trug er eigentlich äußerst selten. Dementsprechend fühlte er sich auch. „Ich nehme an, ich werde mich nicht allzu sehr blamieren, wenn ich so auftrete, oder?“
Kurtz Weber grinste breit. „Das geht in Ordnung“, sagte er auf deutsch. „Hach, ich beneide dich, Kumpel. Zusammen mit Kaname-chan und Kim-chan auf einer Schule zu sein, das ist doch das Paradies.“
Kramer sah zu Sagara herüber. „Er steht wohl auf jüngere Frauen, was?“
„Er hat in dem Punkt keine konkreten Prioritäten“, antwortete Sagara, ohne mit der Wimper zu zucken.
Kramer zog die Stirn kraus. „Was?“
„Er steht auf alle Frauen“, erklärte Sagara.
Weber quittierte den Einwand mit einem Gesicht, als hätte man ihn von seinem Arm Slave abgezogen.
„Das heißt, auch auf Melissa?“
„Gerade auf Melissa.“
Thomas schenkte dem Blondschopf ein grimmiges Lächeln. „Mein lieber Kurtz, du bist doch nicht ihr Freund, hm?“
„Hm, weiß nicht. Welche Antwort würdest du gerne hören?“
Die beiden starrten sich an, keiner gab einen Zollbreit nach.
„Wir müssen uns beeilen. Die Damen sind bereits fertig und warten auf der Straße auf uns“, sagte Sagara, ging zwischen den beiden hindurch und unterbrach so den Blickkontakt.
Nervös nestelte Kramer am Kragen seines Anzughemdes. „Ich weiß nicht.“
„Du wirst dich schon vor den Damen nicht blamieren“, meinte Kurtz, lächelte freundlich – etwas zu freundlich – und schob den Captain vor sich her.
Sagara indes überprüfte ein letztes Mal seine Schuluniform und steckte zufrieden seine Pistole weg.
„Das ist nicht dein Ernst, Sousuke“, platzte es aus Thomas heraus. „Du nimmst eine scharfe Waffe mit?“
„Wir haben eine Bodyguard-Mission. Wie willst du Kim-san beschützen, wenn du nicht zurückschießen kannst?“
Unwillkürlich zuckte die Hand Kramers zu seiner linken Achselhöhle, wo in einem Holster seine Glock19 steckte. „Ja, aber du als Schüler, gibt das nicht eine Menge Ärger?“
Prustend begann Kurtz zu lachen. „Du beschreibst gerade seinen Alltag, Kumpel.“
Für einen Moment wusste Kramer nicht, ob er ebenfalls lachen oder den armen Burschen bedauern sollte. „Gehen wir runter“, sagte er mit einem Seufzer.
**
„Wow, das steht dir aber“, stellte Tessa neidisch fest. „Die Schuluniform der Jindai sieht ja schon sehr gut aus, aber an dir kommt sie fast so gut zur Geltung wie damals an mir.“
Kaname runzelte die Stirn, als sie das hörte, nein, es sah eher so aus, als wollte sich ein ärgerliches Äderchen durch die Haut drücken. „Wo wir gerade davon sprechen, du willst wirklich nicht mit zur Schule gehen? Die anderen werden sich bestimmt freuen, wenn du sie wieder besuchst.“
Tessa winkte ab. „Diesmal habe ich leider keinen Urlaub. Ich bin dienstlich hier. Ich werde einiges abarbeiten müssen, da bleibt einfach keine Zeit für die Schule.“ Seufzend sah sie Kim an, die noch immer neugierig ihre Schuluniform betrachtete. „So gern ich auch würde.“
„Ist vielleicht den ganzen Ärger nicht wert“, murmelte Kaname leise. Sie griff nach den Sachen, die Kim getragen hatte. „Ich nehme das mal an mich.“
„Was willst du damit machen?“, fragte die blonde Whispered ängstlich.
„Ich packe es nur weg. Wieso?“
Kim sah zu Boden. „Weil… Weil, ich brauche die Klamotten bestimmt noch.“
Die Augen der jungen Frau begannen zu schwimmen, kurz darauf fielen die ersten Tränen zu Boden. Sie wandte sich abrupt ab und dabei wäre es wohl auch geblieben, wenn nicht Tessa und Kaname sie zugleich berührten, und dies mit dem Blick Wissender, die einfach verstanden, welche Schmerzen in den Seelen der Menschen wüten konnten.
Kim schluchzte laut, aber diese Berührungen waren wie ein Riegel, der ihre aufgestauten Gefühle entließ. „Ich… Ich habe doch nichts anderes als ihn.“
„Ihn?“, argwöhnte Kaname, gefangen zwischen Sorge und Vorsicht.
„Thomas.“ Tränen flossen Kims Augen herab und tropften auf den Boden. „Nicht Sousuke, keine Angst.“
Chidori und Tessa atmeten erleichtert auf, und erröteten, als sie die Reaktion der anderen sahen.
„Alles was ich weiß, das ist dieser Tank, diese Welt, die Farben, die Befehle, die Muster und Zeichnungen, die Abermilliarden Worte, die auf mich einstürmten, einprügelten. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, ich dachte es würde zerspringen. Ich wusste nicht wo ich war, ich wusste nicht einmal wer ich war. Ich dachte, ich sterbe gleich. Dann war das vorbei, ich spürte wie ich mich bewegte, sah wie die Bilderflut endete.
Ich riss mir diese Brille vom Kopf und sah Sousuke an der Tür stehen.“
Kaname und Tessa tauschten einen entsetzten Blick aus.
„Aber ich wusste, er konnte mich nicht aus dieser Hölle befreit haben. Er war zu weit weg. Ich sah nach rechts, und dort stand Thomas. Er half mir aus dem Tank, nahm mich auf seine Arme und trug mich den ganzen Weg zurück, weil meine Beine noch zu schwach waren.
Er hat mich mit seinem Körper geschützt, als uns die Kugeln um die Ohren pfiffen. Er war bei mir, als ich auf dem U-Boot untersucht wurde. Und er hat mich getröstet, als all das schreckliche wieder über mich hereinbrach.“
Fahrig wischte sich die junge Frau die Tränen aus den Augen. „Tut mir Leid. Aber ich weiß doch nicht, wer ich bin. Ich weiß doch nicht, wo ich herkomme. Ich weiß nur, dass ich eine Whispered sein soll, und das so jemand wertvoll sein muß. Wertvoll genug, um mich nach Japan bringen zu lassen. Was wird danach kommen? Werde ich es überleben? Kann ich mich irgendwann erinnern? Ich habe nur das Versprechen von Thomas, mich notfalls auch aus dem Tank von Mithril zu holen. Größer ist mein Leben nicht…“
„Kim…“, hauchte Kaname ergriffen.
„Natürlich wirst du überleben. Natürlich hast du auch nach den Untersuchungen ein Leben. Und vielleicht können wir sogar deine Amnesie beheben“, sagte Tessa ernst. „Ich werde jedenfalls tun was ich kann. Und in der Schule und deiner Freizeit kümmert sich Kaname Chidori um dich.“
Die Frau mit den langen, dunklen Haaren setzte ein Lächeln auf und nickte. „Großes Ehrenwort.“
„Ich will euch nicht zur Last fallen“, erwiderte Kim schüchtern.
„Ich glaube nicht, dass man meine Last noch wesentlich vergrößern kann“, murmelte Kaname ärgerlich.
„Ich leite ein Unterseeboot und einen Mithril-Stützpunkt. Das Wort Last kenne ich gar nicht“, behauptete Tessa lächelnd und kniff dabei die Augen zusammen.
Kim wischte sich die Tränen von den Wangen und lächelte schüchtern. „Danke. Danke, ihr beiden.“
„Ähemm“, machte Melissa Mao vom Eingang her. „Nur falls Ihr vergessen habt, dass ich auch noch da bin. Wir sollten jetzt runter gehen. Sonst beschweren sich die Männer noch, weil sie wieder auf die Frauen warten müssen. Übrigens, Kim, du sprichst gutes japanisch.“
„Sousuke hat es mir während des Fluges beigebracht. Er hat extra auf zwei Stunden Schlaf verzichtet“, berichtete die blonde Frau. „Er ist sehr nett.“
„Zwei Stunden?“, fragte Melissa erstaunt. „Das ist schnell.“

6.
„Der Empfang ist etwas frostig.“ Indigniert sah Robert Hausen auf den kleineren japanischen Zollbeamten herab. „Und ich dachte immer, das Land der aufgehenden Sonne wäre ein Land der Herzlichkeit.“
Der Zollbeamte lächelte, aber nicht mit den Augen. „Bitte gedulden Sie sich noch einen Moment, Mr. Hausen. Da Sie aus einem Bürgerkriegsland mit einem irregulären Flug einreisen, müssen wir Ihr Flugzeug und Ihr Gepäck intensiv durchsuchen. So sind die Vorschriften.“
„Sie könnten mir wenigstens einen Kaffee anbieten“, brummte der Deutsche verstimmt. Sinnlose Warterei, wie er das hasste. Sein Vogel war sauber, er selbst hatte es angeordnet. Er trug keine belastenden Papiere bei sich und war in Japan ein absolut unbeschriebenes Blatt.
Die Zöllner würden absolut nichts finden und sich anschließend mit nichts sagender Lächelei von ihm verabschieden. Und er hatte fünf Stunden oder mehr verloren. Bereits jetzt war er einen halben Tag zurück. Sein einziger Trost war, dass die verdammten Mithril-Wissenschaftler auf einem Sonntag nicht arbeiteten. Er konnte also aufholen und die junge Frau wieder einfangen, auf die er angesetzt worden war. Vorausgesetzt, das Wissen in ihrem Kopf war interessant für Amalgam.
„Natürlich, Mr. Hausen. Ich lasse Ihnen einen Kaffee bringen. Wenn wir hier fertig sind.“
Ergeben seufzte der Deutsche. Seit zwei Stunden fragte ihn der Zöllner aus. Seit zwei Stunden waren es immer dieselben Fragen. Seit zwei Stunden pochten seine Schläfen in unterdrücktem Zorn auf diese übereifrigen Beamten. Sicher, mit einem pedantischen deutschen Beamten konnten sie es nicht aufnehmen. Aber ihre Geduld und Gelassenheit konnte einen gesunden Verstand zermalmen.
„Der Grund Ihrer Einreise, Mr. Hausen?“
„Geschäftlich. Ich muß eine illegale Söldnerorganisation infiltrieren und gegebenenfalls auslöschen.“
„Mr. Hausen. Bitte bleiben Sie ernst. Seit dieser riesige Arm Slave im Hafen von Tokio aufgetaucht ist, sind die Fragen für Menschen aus Risikoländern etwas… Direkter. Also, können wir wieder?“
Robert seufzte. „Wir können. Ich bin geschäftlich hier. Ich plane eine feindliche Übernahme des wichtigsten Geschäftskapitals eines mit meinem Konzern verfeindeten Unternehmens.“
„Mr. Hausen, geschäftlich hätte als Antwort vollkommen gereicht. Sie kommen aus Rumänien, einem Bürgerkriegsland. Was ist der Grund Ihrer dortigen Anwesenheit?“
„Meine Firma leistet Entwicklungshilfe. Ich habe dort in meiner Aufgabe als Controller ein fehlgeschlagenes Projekt analysiert und bewertet.“
„Entwicklungshilfe.“
„Ja. Waffen. Arm Slaves und Munition.“
„Mr. Hausen, bitte.“
„Nun gut. Hochklassige Technik, Verbrauchsgegenstände und Gebrauchsgegenstände gewisser Aspekte des öffentlichen Lebens.“
„Schon besser. Haben Sie an Bord Ihres Jets etwas zu verzollen?“
„Nein“, antwortete Hausen. Endlich mal eine einfache Antwort. Aber ob sich der Beamte damit zufrieden geben würde? Die Wahrheit interessierte ihn ja anscheinend nicht.
„Kommen wir zu… Moment, entschuldigen Sie mich, bitte.“

Der Zollbeamte erhob sich, als es diskret an der Tür klopfte. Er ging kurz hinaus. Durch die halb angelehnte Tür hörte Robert zwei Männerstimmen miteinander wispern. Er spitzte die Ohren, verstand aber kein Wort.
Der Zöllner kam wieder herein und verbeugte sich vor Hausen. „Mr. Hausen, die Untersuchung Ihres Flugzeugs wird noch andauern. Aber da wir keine Verdachtsmomente gegen Sie haben und zudem Ihr Fahrer angekommen ist, hat mein Chef entschieden, Sie zu entlassen. Aber bitte halten Sie sich vorerst nur in Tokio auf, falls wir weitere Fragen haben.“
„So, so“, schmunzelte der Deutsche und erhob sich. Er trat an dem Zöllner vorbei, der sich noch immer verbeugte und ging auf den Flur hinaus.
„Yo, Robert.“
Hausen wandte sich zu der Stimme um und erstarrte. „Lin.“
Die asiatische Frau grinste ihn frech an. Im Gegensatz zu ihrer Angewohnheit trug sie keine traditionelle chinesische Kleidung, sondern eine saloppe Kombination aus Jeanshose und weiter Bluse, die bemerkenswert tief aufgeknöpft war. Ihr schwarzes Haar trug sie zum Zopf gebunden und nach vorne drapiert, wahrscheinlich um den grauen Kurzhaarschnitt des Deutschen zu karikieren.
„Bist du nicht schon zu alt, um so herum zu laufen?“
Das freundliche Grinsen verschwand. Sie blaffte: „Wer ist hier alt, hä? Habe ich graue Haare oder du?“
„Schon gut, schon gut, Lin. Ich entschuldige mich. Können wir?“
„Ha!“ Abrupt wandte sie sich um. „Und du glaubst damit ist es getan? Hmpf!“
Hausen seufzte schwer und ging an der Jüngeren vorbei. Nach einigen Metern hörte er sie empört aufschreien und hinter ihm herlaufen.
„Na, du bist mir ja ein Gentleman. Lässt mich da einfach stehen, nachdem ich dich da rausgeboxt habe. Ist das die Höflichkeit der Deutschen?“
„Die Engländer sind für ihre Höflichkeit bekannt. Die Deutschen für ihre Genauigkeit“, tadelte Robert.
„Hm. Dir helfe ich noch mal.“ Verärgert stapfte die Asiatin neben ihm her.
„Was machst du hier überhaupt, Lin? Ich habe dich nicht angefordert.“
„Doppelt undankbar. Wenn das so ist, kann ich ja wieder gehen und du kannst laufen.“
Hausen blieb abrupt stehen und ergriff die Frau an der Schulter und an der Hüfte. Er zog sie zu sich heran und bevor sie sich versah hatte er sie schon geküsst.
Als er sie wieder los ließ, hielt sie sich den Kopf. „Woah. Mir ist schwindlig. Wofür war das?“
„Muss ich einen Grund haben, wenn ich dich küssen will?“
Misstrauisch beäugte sie den großen Mann. „Du – ja.“
„Wieso? War er nicht gut?“
„Das mit der Zunge musst du noch ein wenig üben, aber ansonsten kann ich mich nicht beklagen und – Hey, habe gar nicht gemerkt, dass wir schon draußen sind.“
„Das war ja auch der Sinn der Aktion. Wo steht der Wagen?“
„Hier lang, Robert.“

Eine schwarze Limousine mit Chauffeur erwartete sie bereits. „Sie gehört nicht zur Organisation. Ich habe sie angemietet und persönlich geprüft. Der Fahrer gehört zu meinen Leuten“, sagte sie, als der Chauffeur ihnen die Tür zum Fonds aufhielt.
Robert setzte sich, Lin nahm ihm gegenüber Platz.
„Wir fahren zu meinem Stadthaus. Bis auf meinen Bruder Andrew und elf Mann seines Gefolges dürften wir dort alleine sein. Wir können in aller Ruhe unsere nächsten Schritte planen.“
„Was mich wieder zu meiner Frage bringt. Wer hat dich angefordert?“
Lin wechselte auf seine Seite und kuschelte sich an ihn. „Was denn? Brauche ich einen Grund um dir zu helfen?“
„Das ist es nicht. Es wundert mich, dass die alten Männer dir Ressourcen freigegeben haben, um deinem Bastard-Mann zu helfen. Das wäre das erste Mal seit fünf Jahren, dass die alten Männer mich nicht tot sehen wollen.“
Lin zuckte die Achseln. „Was soll´s, solange du Vater auf deiner Seite hast, haben wir auch die gelegentlichen Triadenkiller im Griff, die die alten Knacker ab und an auf dich hetzen.“
Sie rieb ihre Wange an seiner Schulter. „Wann kommst du endlich mal wieder nach Hause, wenn ich auch da bin? Immer verpassen wir uns.“
Gedankenverloren streichelte Hausen über ihre andere Wange. „Tut mir leid, die Sache mit dem Kingdom Sahara ging schneller zu Ende als ich dachte. Dann kam mir ein neuer Auftrag dazwischen. Du weißt, ich kann das Geld gebrauchen.“
Lin seufzte schwer. „Ich weiß ja, ich weiß. Die Unterhaltung und die Sicherheit der Villa kosten ein Vermögen. Und dann fühlt man sich auch noch so gefangen und eingesperrt. Wie in einem goldenen Käfig. Wenn du nicht da bist, ist es so unerträglich…“
Hausen nickte schwer und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich weiß, mein Schatz. Ohne dich ist das Haus so unendlich groß. Aber es ist unser Haus, unsere Zuflucht.“
„Eine Zuflucht vor der halben Welt.“ Wieder seufzte die Asiatin. „Wir werden nie unsere Ruhe haben. Oder einfach an einem schönen Ort in Frieden leben können. Vor zehn Jahren fand ich dieses Leben noch so interessant, so aufregend. Ständig in Bewegung, ständig am Puls der Welt, immer in Gefahr, Spannung pulsiert wie Starkstrom durch unsere Adern… Aber das kann nicht immer so weitergehen, Robert.“
Hausen lachte auf. „Wir haben uns da wohl die falschen Berufe ausgesucht. Ich als internationaler Spion und du als illegale Arm Slave-Pilotin der Triaden. Einmal ganz davon abgesehen, dass wir uns ein paar Yakuza-Gruppen, einige Mafia-Clans und sonstige illegale Gruppen zum Feind gemacht haben. Ohne den Schutz durch deinen Vater und deine Brüder hätte es längst einen von uns beiden erwischt.“
„Sag so was nicht. Das bringt Unglück“, tadelte sie ihn ernst. „Ich will so was auch gar nicht hören. Verstanden, Robert?“
Hausen lachte leise. „Ich sehe den Tag kommen, an dem unser Schutz für deine Triadenfamilie zu teuer wird und wir ganz alleine da stehen.“
„Auch so was solltest du nicht sagen. Vater wird uns immer beschützen.“
„Auch er kann das nicht ewig.“ Robert Hausen runzelte die Stirn. „Andererseits hätten wir uns nie kennen gelernt, wenn wir nicht diese Berufe hätten, was?“
„Richtig.“ Sie drängte sich noch etwas enger an den Deutschen heran.
„Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du hier machst. Außer die Einreiseformalitäten zu beschleunigen.“
„Amalgam hat mich angeheuert. Vier Arm Slaves, zu deiner Verfügung. Mistral II, französische Fabrikation auf dem neuesten Stand. Wofür brauchst du sie?“
„Hm? Hat dir dein Auftraggeber nicht gesagt, was ich hier tun soll?“
„Für mich reicht es, wenn du den Auftrag durchführst. Ich habe sofort zugesagt. Also, was sollen wir machen?“
Hausen atmete geräuschvoll aus. „Wir legen uns mit Mithril an.“
„MITHRIL?“ Erschrocken fuhr die junge Frau zusammen. „Hast du wirklich Mithril gesagt? Die sind dir doch schon in der Sahara in die Quere gekommen, oder? Ist es Rache? Wenn ja, dann eine brandgefährliche. Unterschätze sie lieber nicht.“
„Rache? Nein, darum geht es nicht, Schatz. Es ist ein normaler Auftrag, der gutes Geld bringt. Wäre es persönlich, würde ich mir meinen Gegner im Mittelmeer suchen und nicht hier in Japan. Dieser Arm Slave-Pilot… Schon gut. Mit etwas Glück kommst du gar nicht zum Einsatz. Es wird wohl eine Kommandomission.“
„Hat das was mit den Leuten von Mithril zu tun, die heute Morgen am Narita gelandet sind? Ich frage nur, weil ein paar Yakuza an ihnen dran sind. Meine Agenten haben davon berichtet.“
„Yakuza? Vielleicht nehmen sie uns etwas Arbeit ab.“
**
„Hatschi!“ „Haben Sie sich erkältet, Kramer-sensei?“
Thomas warf seiner Gesprächspartnerin einen beruhigenden Blick zu. „Bestimmt nicht, Kagurazaka-sensei. Es hat wohl nur jemand intensiv an mich gedacht.“
„Ach, das alte Sprichwort.“ Die Japanerin lächelte den großen Deutschen an. „Dann hoffe ich doch, dass er etwas Gutes gedacht hat.“
Wohl eher nicht, ging es Thomas durch den Kopf. Laut sagte er: „Apropos gut. Sie haben sicherlich viel Mühe mit Sousuke in der Klasse, nicht wahr?“
Ihre Miene veränderte sich dramatisch. Das Lächeln verschwand vollkommen und machte einem depressiven Gesichtsausdruck Platz. „Sagara-kun ist… Nun, etwas schwierig. Eine Zeitlang dachte ich, es wird besser mit ihm, aber… Oh, er ist so ein verdammter Waffennarr. Können Sie nicht, als lebender Verwandter…?“
Abwehrend hob Thomas die Arme. „Ich bin vielleicht sein letzter lebender Verwandter, das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, Kagurazaka-sensei. Ich kenne die Verwandschaft seines Vaters nicht. Aber wir haben uns in den letzten siebzehn Jahren nur zweimal gesehen. Ich weiß nicht, ob ich Einfluss auf ihn habe. Oder ihm sogar seine Waffen verbieten kann. Aber auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass er es gut meint.“
Die Miene der Japanerin wechselte erneut. Über ihrem rechten Auge trat eine Ader stark hervor, während das Lied unkontrolliert zu zucken begann. Ihr Mund verzog sich zu einem bitterbösen Lächeln. „Ja… Gewiss… Er meint es gut… Er meint es IMMER gut…“

Übergangslos verschwand die Miene wieder und machte dem Lächeln Platz. „Aber das ist ja jetzt egal. Endlich hat Sagara-kun jemanden, an dem er sich orientieren kann. Ein großes, stattliches männliches Vorbild. Das wird ihm Halt geben.“
Verdutzt sah Thomas auf. „Sie meinen doch nicht mich, Kagurazaka-sensei?“
Er, ein Vorbild? Er war Offizier, das war es auch schon.
„Sie sind sehr charismatisch. Sagara-kun hört auf Sie, Kramer-sensei. Das ist ein gutes Zeichen.“
„Er hört auf meine Befehle“, murmelte Thomas leise. „Charismatisch? Ich?“
„Vielleicht liegt das an Ihrer Arbeit, ich meine Ihrer richtigen Arbeit. Eine eigene Abteilung in einem Konzern zu führen ist sicher sehr anstrengend. Vor allem wenn es die Sicherheitsabteilung ist. Das Sie Ihren Urlaub opfern, um Ihrem Cousin Zeit zu widmen und Sanders-kun zu begleiten, die Tochter Ihres Chefs, ist sehr anständig von Ihnen.“
Thomas runzelte die Stirn. Mithrils Pazifik-Kommando hatte verdammt schnell und gründlich gearbeitet. Es erklärte einiges, auch von dem was die nächsten Tage und Wochen an Widersprüchlichkeiten entstehen würde.
„Ach das. Da haben sich nur zwei Gelegenheiten ergeben. Die dritte Möglichkeit, mein japanisch zu verbessern und gleichzeitig an Ihrer Schule englisch und deutsch zu unterrichten ist auch ein wichtiger Grund. Es ist sehr lange her, dass ich jungen Schülern etwas beigebracht habe. Ich vermisse diese Zeiten. Manchmal… Manchmal frage ich mich, ob ich den falschen Beruf habe und ob ich nicht lieber Lehrer hätte werden sollen. Ich stand kurz davor, es wirklich zu tun, aber dann wurde mir meine aktuelle Aufgabe angeboten.“
Das war nicht ganz wahr und nicht ganz gelogen und verflocht sich zu einem feinen Gespinst aus Halbwahrheiten und Tatsachen. Thomas runzelte die Stirn. Er hätte das Dossier besser lesen sollen.
„Nun, dann betrachten Sie diese zwei Wochen an unserer Schule doch als Orientierung. Man sagt, es ist selten zu früh und nie zu spät, um etwas Neues zu beginnen, Kramer-sensei.“
Verblüfft sah der Deutsche die Lehrerin an. „Sie müssen eine gute Lehrerin sein, Kagurazaka-sensei.“
„So, finden Sie, Kramer-sensei?“, fragte die Frau verlegen und strich sich mit der Rechten ihre Haare zurück.

„THOMAS!“ Übergangslos hing ihm Kim am linken Arm. „Thomas, du hast versprochen, mit mir und Kaname-chan über das Schulfest zu gehen. Oder ist das nicht mehr so wichtig für dich?“
Bei der finsteren Miene des jungen blonden Mädchens schluckte der Arm Slave-Pilot hart. „Ach ja, sind Chidori-kun und Sousuke schon so weit? Dann sollten wir aufbrechen. Kagurazaka-sensei, falls wir uns heute nicht mehr über den Weg laufen sollten, sehen wir uns morgen.“
„Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, Kramer-sensei.“
Thomas deutete eine Verbeugung an, die von der Lehrerin mit einem Nicken erwidert wurde. Derweil zerrte Kim mächtig an seinem Arm und zog in aus dem Lehrerzimmer.
Auf dem Flur empfing ihn der Lärm von tausenden Schülern und Besuchern – und eine lautstarke Standpauke, die Kaname Chidori gerade für Sousuke Sagara hielt.
„Wie oft muß ich es dir denn noch sagen! Sousuke! Ich rede mit dir!“
„Thomas! Wir müssen reden. Entschuldigt uns, Kaname, Kim.“
„Sousuke, ich rede mit dir! Sonst haut er nie ab, wenn ich mit ihm meckere.“

Der Sergeant von Mithril zog seinen Vorgesetzten um die nächste Ecke. „Melissa meldet verdächtige Personen unter den Besuchern. Wir sollten Kaname und Kim nichts davon sagen, aber…“
„Amalgam?“, hakte Thomas nach.
„Schwer zu sagen. Auf jeden Fall sollten wir die Augen offen halten.“
Thomas seufzte schwer. „Du weißt, was das bedeutet, Sousuke? Hat sich was mit ruhigem Schulfest. Ab jetzt müssen wir arbeiten.“
„Willkommen in meinem Schulalltag, Thomas.“
„Nanu, war das etwa sanfte Ironie in deiner Stimme, Sousuke Sagara?“
Für einen Moment schien der Söldner zu schmunzeln. „Ich habe meinen Humor nicht abgegeben, als Mithril mich anheuerte.“ Er dachte einen Augenblick nach. „Zumindest nicht das wenige, was ich hatte.“
Thomas runzelte die Stirn. „Daran können wir die nächsten Tage ja arbeiten. Gehen wir zurück zu den Mädchen.“
„Verstanden.“

Als sie auf den Gang zurückkamen, empfing die zwei ein doppelter eisiger Blick. Sousuke schluckte hart. Aber der Blick galt nicht ihm. Er galt Thomas.
„Mann, womit habe ich denn Kaname verärgert?“
„Wo wart Ihr solange? Wir warten hier und warten hier und es wird immer später. Vergesst nicht, wir haben nur wenig Pause. Und wir wollten noch was essen“, empfing sie Kaname wütend.
„Na, na, wie redest du denn mit deinem Lehrer?“, tadelte Thomas schmunzelnd.
„Apropos Lehrer“, fiel Kim ein, „hast dich ja gut mit ihr verstanden, was?“
„Mit Kagurazaka-sensei? Es geht so. Warum?“
„Nichts.“ Wütend wandte sich Kim um und stapfte davon.
„Kana-chan! Ist das unsere Neue? Ist sie… Warum ist sie denn so sauer?“
„Nicht jetzt, Kyoko. Komm einfach mit. Kim, nun warte doch. Kim!“
Verzweifelt breitete Thomas die Arme aus. „Was habe ich denn gemacht?“
Wortlos reichte Sousuke dem Deutschen einen Kommunikator, bestehend aus einem fast unsichtbaren Ohrstecker und einem hauchdünnen Bügelmikrofon.
Automatisch legte der Captain das Equipment an und verstaute noch den dazu gehörenden Transmitter in seinem Anzug.
„Was du gemacht hast, willst du wissen?“, klang Melissa Maos Stimme auf. „Frag dich lieber, was du nicht gemacht hast.“
„Irgendwie hasse ich die Richtung, in die deine Gedanken führen, Melissa.“
„Du bist ja auch selber Schuld, Thomas“, hörte er Kurtz auf deutsch sagen, eine Sprache, die Melissa und Sousuke nicht beherrschten, „du hast sie viel zu nahe an dich heran gelassen. Nun musst du mit der Situation fertig werden. Also flirte nicht soviel mit der Lehrerin.“
„Ich habe nicht mit…“ „Aber Kim hat es gedacht. Komm schon, erzähl mir nicht, dass du so blöde bist, Junge.“
„Könnt ihr entweder auf eine Sprache wechseln, die wir alle verstehen oder euch privat weiter unterhalten?“, blaffte Melissa dazwischen.
„Schon gut“, brummte Thomas auf englisch. „Was erwartet sie von mir? Ich bin hier um sie zu beschützen, nicht um sie…“
„Frag mal Sousuke wie es ist, eine störrische Person zu beschützen. Das gibt der ganzen Sache erst den Pepp“, unterbrach ihn Kurtz erneut.
Da er diesmal japanisch gesprochen hatte, konnte der Gun-so ihn auch verstehen.
Unbewusst nickte Sousuke. „Ich habe es befürchtet. Los, Sousuke, hinterher.“

Die beiden setzten sich in Bewegung, die Waffe in Thomas´ Schulterholster erschien ihm plötzlich sehr schwer zu sein. „Okay, Melissa, was hast du für uns?“
„Es sind ein paar Männer auf dem Gelände, sehr leger gekleidet, zu leger, einzeln oder in Zweiergruppen unterwegs. Ich glaube nicht, dass sie Angehörige unter den Schülern haben. Es sieht so aus als würden sie sich durchfragen.“
„Alt oder jung?“ „Was?“ „Alt oder jung? Ich will nicht in den Streit zwischen zwei rivalisierenden Jugendbanden geraten, Melissa.“
„Alt. Mitte zwanzig aufwärts.“
„Gut. Wie viele sind es bisher?“
„Ich habe sieben gezählt. Drei mit Sakko, zwei mit Shirt, einer mit Weste und der mit dem Tattoo trägt ein offenes Hemd.“
„Melissa, hast du gerade Tattoo gesagt?“
„Ups.“ „Ja, Ups. Yakuza?“ Er sah zu Sousuke herüber, während sie unwillkürlich im Treppenhaus beschleunigten.
„Was könnten Yakuza von Kim oder Kaname wollen?“, erwiderte Melissa.
Sousuke blieb abrupt stehen. Er wurde bleich, auf seiner Stirn bildete sich ein leichter Schweißfilm. „Mist!“
„Hat Sousuke gerade geflucht? Thomas, war das gerade Sousuke? Wenn ja, sollten wir den Tag rot im Kalender anstreichen und nächstes Jahr ganz groß feiern. Okay, Sousuke, was ist los?“
„Die Yakuza sind hinter Kaname her. Eine alte Geschichte von neulich.“
Thomas dachte einen Moment nach. Durch seine Anwesenheit und seinen Rang hatte er in Tessas Abwesenheit automatisch das Kommando. Damit aber automatisch die Verantwortung für den Schutz aller Whispered, also auch für Kaname Chidori, nicht nur für Kim Sanders.
„Okay, Melissa, Kurtz, Sousuke. Wir neutralisieren sie.“
„Wird das nicht eine Riesenschweinerei? Außerdem habe ich mein Scharfschützengewehr nicht dabei“, scherzte Kurtz Weber.
„Ich sagte neutralisieren, nicht töten.“
„Mein Nahkampfskill ist nicht wirklich hoch, Thomas. Sowas machen eigentlich Sousuke und Melissa-nee-chan für mich.“
„Keine Bange, du kriegst die leichten Gegner. Also, wir neutralisieren sie einen nach dem anderen, sperren sie in einen Abstellraum, fragen sie kurz aus und lassen sie nach dem Schulfest abholen. Und danach würde mich die Geschichte interessieren, warum Yakuza hinter Kaname her sind, Sousuke.“
Der Gun-so wurde noch eine kleine Spur bleicher. „J-ja, Sir.“
„So schlimm?“ Thomas runzelte die Stirn. „Holen wir die Mädchen besser schnell ein.“
„V-verstanden, Sir!“
**
„Morgen.“ Gähnend betrat Second Lieutenant Rogers die Messe der FEANOR. „Diese Einsätze bringen mich irgendwann noch mal um.“
„Morgen. Wenn du immer so wenig schläfst, hast du sogar Recht“, tadelte Timothy Scott die Amerikanerin.
„Hm?“ Sam hob eine Augenbraue und betrachtete den Hubschrauberpiloten. „Hast du was gesagt, Tim?“
„Nur über deinen ungesunden Lebenswandel. Wie viele Biere hast du dir gestern Abend nach dem Einsatz gegönnt? Ein Dutzend? Mehr?“
Sam streckte sich und gähnte dabei noch einmal herzhaft. „Es war eine harte Schlacht, aber letztendlich habe ich gewonnen. Ich hatte ja auch tolle Hilfe.“
„Welchen armen Mann hast du denn diesmal unter den Tisch gesoffen, hm?“ Desinteressiert stocherte der Hubschrauberpilot in seinem Essen herum.
„Sandra Ciavati.“
„Hm? Hast du das Feindbild gewechselt? Oder warum bestrafst du die arme Sandra so hart?“
„Was meinst du mit bestrafen, Timmie?“ Sie beugte sich auf die Tischplatte herab und sah den Engländer mit funkelnden Augen an.
„Ich kann dir ins Dekolleté sehen, Sam“, konterte Scott mit kühler Stimme.
Die Amerikanerin errötete. Aber es brachte sie nicht wirklich aus dem Konzept. „Ist ja nicht so als würdest du so etwas zum ersten Mal sehen, oder?“
„Du solltest wirklich einen BH tragen, Mädchen.“
Ihr heftiger Schlag mit der geballten Faust auf seine Stirn ließ ihn zusammen zucken.
„Man kann mit dir nicht ernsthaft reden. Man kann sich nicht richtig mit dir unterhalten! Männer!“
„Deshalb brauchst du mich nicht gleich zu hauen! Ich bin ranghöher als du, vergiss das nicht“, sagte Timothy brummig und rieb sich die schmerzende Stelle auf der Stirn.
„Willst du als Offizier vielleicht die besondere Behandlung? Doppelte Ration für Vorgesetzte?“, knurrte sie wütend.
„Schon gut, schon gut. Wir waren bei Sandra. Du hast sie also unter den Tisch gesoffen?“
„Nein, nicht unter den Tisch gesoffen. Sie hat mittendrin aufgegeben. Es scheint so, als würden die Italiener nicht viel vertragen, wenn es Bier statt Wein gibt. Was gibt es zum Frühstück?“
„Toller Themawechsel“, brummte Tim. „Wir haben amerikanische Woche. Also Omelette, Bratwürstchen, Eier, Speck und so.
Sag mal, hast du die arme Sandra wenigstens beurlaubt? Oder ist sie jetzt auf der Krankenstation? Heute habe ich sie jedenfalls noch nicht gesehen. Ich meine, solange Thomas nicht da ist, hast du ja… Au! Wofür war der denn? Ich habe doch gar nichts Schlimmes gesagt, Sam!“
„So! Du vermisst also Thomas, ja? Der Heilige ist nicht hier und die ganze Arbeit bricht zusammen, hä? Unter mir nimmt die Leistungsfähigkeit des Teams gleich auf die Hälfte ab, oder was?“
„S-sieh mich nicht so grimmig an, Sam“, erwiderte Tim mit dünner Stimme. „A-außerdem kann ich dir schon wieder ins Dekolleté sehen.“
„Du lernst es wohl nicht, du kleiner, perverser…“
„Ähemm!“, erklang hinter der Arm Slave-Pilotin eine laute Stimme.
„WAS?“ Sie fuhr herum – und erstarrte.
Lieutenant Colonel Santos weidete sich einen Augenblick lang an ihrem Entsetzen, bevor er sich räusperte. „Lieutenant, das misshandeln von Vorgesetzten wird vom Kriegsbericht bestraft, das wissen Sie doch hoffentlich.“
„I-ich… Ich meine, wir… Timmie und ich, wir…“, haspelte sie hervor und gestikulierte mit beiden Armen zwischen sich und dem Hubschrauberpiloten hin und her.
„Wie dem auch sei“, unterbrach der Spanier die Amerikanerin. „Nachbesprechung um Eins Einhundert. Ich erwarte, dass alle Beteiligten anwesend sind. Sie können wegtreten, Lieutenant Rogers.“
Sam wurde rot. Doch sie riss sich zusammen und salutierte. Es wirkte etwas lächerlich, als sie sich anschließend ein Tablett schnappte, um sich bei der Essensausgabe anzustellen.

„Sir, das war nicht nötig“, sagte Tim leise. „Sie hat das nicht ernst gemeint und sie hat auch nicht richtig zugeschlagen. Sie…“
„Sie hat Angst, First Lieutenant, einfach nur Angst. Es ist noch nicht lange her, da hat ihr ein Arm Slave fast das Lebenslicht ausgelöscht. Das hat sie immer noch nicht verdaut. Thomas hat sie damals raus gehauen. Jetzt ist der heilige Thomas weg und sie hat auch noch das Kommando. Ich würde mir wirklich Sorgen um sie machen, wenn sie keine Angst hätte.“
„Das ist es nicht, Sir. Ich meine, nicht nur“, warf Timothy Scott ein.
Interessiert hob der Spanier die Augenbrauen. „So? Was kommt denn noch dazu, Mr. Scott?“
„Sie vermisst ihn, Sir. Schlicht und einfach, sie vermisst ihn.“
„Ach, und das ärgert Sie, was?“
Lieutenant Scott wollte aufspringen, losbrüllen, sich rechtfertigen oder sonst etwas tun, aber er brachte es nur zustande, geräuschvoll auszuatmen. „Egal ob Thomas da ist oder nicht, irgendwie spielt man neben ihm immer die zweite Geige. Das nervt, Sir. Das nervt wirklich.“
„So? Dann habe ich gute Nachrichten für Sie, Mr. Scott.“ Colonel Santos sah zu der Arm Slave-Pilotin hinüber, die mit einigen Leuten in der Essensschlange zu scherzen begonnen hatte. „Da wo Thomas Kramer jetzt ist, kann er froh sein, überhaupt noch im Orchester zu sein. In der Pazifik-Division wimmelt es von charismatischen, erfahrenen Anführern, die ihn locker in die Tasche stecken. “
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Ein langer und harter Nachmittag ging zu Ende, das Schulfest war fast vorbei.
Sagara und Mao waren gerade dabei, ihren letzten Fang zu verhören. Während dessen suchte Weber von seiner erhöhten Position nach weiteren potentiellen Gegnern.
„Das scheint es gewesen zu sein“, klang seine Stimme auf. „Außerhalb des Gebäudes kann ich jedenfalls keine Verdächtigen mehr erkennen.“
„Dann sehen wir drin noch mal nach“, bestimmte Thomas. „Melissa, Sousuke, knebelt mir den letzten gut. Und, Sousuke, ich bin wirklich sehr gespannt auf die Geschichte.“
„Ja, Sir“, sagte der Arm Slave-Pilot und wirkte dabei zerknirscht.
So oft, wie der Gun-so ihn schon Sir genannt hatte, musste Thomas misstrauisch werden. Und neugierig. Er brannte wirklich darauf, die ganze Geschichte zu hören.
Aber erstmal musste er die Sicherheit seiner beiden Schutzbefohlenen gewährleisten, die Schule musste sicher sein.
Also verließ er den Abstellraum und begann sich systematisch durch das Stockwerk zu arbeiten.

Als ihn jemand anrempelte biss der Deutsche die Zähne zusammen, um nicht laut aufzustöhnen. Na toll, ausgerechnet diese Stelle musste der verirrte Ellenbogen treffen. Ausgerechnet diese Stelle.
Thomas lehnte sich an die nächste Wand und war dankbar dafür, dass dieses Stockwerk schon so leer war. Er griff unter seine Anzugjacke und berührte die schmerzende Stelle. Als er die Hand wieder einzog, war die Innenseite von Blut bedeckt.
„Melissa, die Wunde ist wieder aufgegangen.“
„Was hast du gemacht, einen Dauerlauf?“, tadelte die Pilotin ernst.
„Ein spitzer Ellenbogen am richtigen Ort zur falschen Zeit. Der Verband ist verrutscht. Ist aber nicht weiter schlimm. So stark blutet es nicht.“
„Okay, mach deine Runde zu ende und komm dann zurück. Ich verarzte dich noch mal.“
Thomas grinste dünn. „War das ein Versprechen, Sho-so?“
„Aber, aber, ich kann doch meinen Lieblingscaptain nicht verbluten lassen“, spottete sie.
„Verarztet von einer schönen Frau. Da heilt es gleich doppelt so gut.“
„Das hast du beim ersten Mal auch schon gesagt.“
„Mir gehen wohl die Sprüche aus, was?“ Thomas stieß sich von der Wand ab. „Bis gleich.“

„Ah, ich habe Sie schon überall gesucht, Kramer-sensei!“
„Kagurazaka-sensei!“ Erschrocken blieb Thomas stehen, als er die Stimme der Lehrerin hinter sich hörte. Langsam drehte er sich um und legte die Hand wieder auf die Wunde. Nun, sie war nicht tief und nicht gefährlich, nur ein eher oberflächlicher Schnitt mit einem schlecht geschärften Messer, aber sie hatte ordentlich geblutet und tat es schon wieder. Das Hemd war in jedem Fall hinüber. Und der Anzug musste zumindest in die Reinigung.
„Kramer-sensei, ich kann Sagara-kun nirgends finden und ich befürchte, er stellt wieder irgendeine… Geht es Ihnen nicht gut? Sie halten sich den Magen.“
„Nicht so wild“, haspelte Thomas hervor und dankte allen Göttern, dass die Lehrerin das nahe liegendste angenommen hatte, nämlich einen verdorbenen Magen und keine Schnittwunde. „Ich vertrage wohl keinen Tintenfisch.“
„Wenn Sie sich hinlegen wollen, ich kann Sie zum Krankenrevier bringen.“
Nun war sie erst recht besorgt. Verzweifelt suchte Thomas nach einem Ausweg. „Ich denke nicht, dass ich die Beine hochlegen muß, um den Magen auch noch mit Blut aus den Beinen zu belasten.
Ich denke, ich werde einfach in Bewegung bleiben und so meinen Magen wieder auf Vordermann bringen. Dabei halte ich ein Auge nach Sousuke auf. Versprochen.“
„Danke. Wenn ihn jemand zur Vernunft bringen kann, dann sind das Chidori-kun und hoffentlich Sie als sein Cousin. Und ich soll Sie wirklich nicht…“
Mit der Linken wehrte er sanft aber bestimmt die helfende Hand der Lehrerin ab. „Nein, es geht, es geht wirklich. Aber haben Sie vielleicht die Tochter von meinem Chef gesehen, Kagurazaka-sensei? Ich habe sie und Chidori-kun aus den Augen verloren, irgendwo zwischen dem Geisterhaus und dem amerikanischen Lokal.“
„Wenn ich sie sehe, werde ich ihnen ausrichten, dass Sie sie suchen, Kramer-sensei.“
„Vielen Dank, Kagurazaka-sensei.“
Sie nickten sich knapp zu, dann verschwand die Japanerin im Gang.

Wieder ließ sich Thomas gegen die Wand sinken. Verdammt, das war knapp gewesen. „Kurtz, wie sieht es bei dir aus?“
„Bin jetzt im zweiten Stock und arbeite mich zu dir vor. Du müsstest jetzt eigentlich Kaname-chan und Kim-chan sehen können. Sie sind vor mir in dein Stockwerk gegangen und…“
„Ähemm!“
Thomas zuckte heftig zusammen, als er das lautstarke Räuspern hörte. Er rutschte fast die Wand hinab, die ihm als Stütze diente.
Nachdem er sich etwas gefangen hatte, sah er böse zur Seite. „WAS?“
Kim war von dieser verbalen Attacke unbeeindruckt. „Hm. Du verstehst dich ja mittlerweile ganz gut mit dieser Lehrerin, was? Nicht, dass mich das was angeht.“
Erst wollte Thomas erleichtert aufatmen, aber dann erinnerte er sich an seine Regel Nummer fünf im Umgang mit Frauen: Verneinungen bedeuteten immer das Gegenteil, solange es sich nicht um militärische Angelegenheiten handelte. In diesem Fall hieß es geht mich nichts an frei übersetzt: Was hast du ausgefressen? Er versuchte es rational.
„Es hat nichts zu bedeuten, wenn ich mich mit ihr unterhalte. Ich habe sie weder zum Karaoke eingeladen, noch werden wir nach der Arbeit in einer Bar einen trinken gehen. Zufrieden?“
Misstrauisch sah die junge Frau an ihm hoch.
Kaname verabschiedete sich gerade von dem dritten Mädchen, Kyoko oder so, und gesellte sich dazu. Ihre Miene wechselte unentschlossen zwischen was habe ich nicht mitgekriegt und was hast du angestellt?
„Hm. Was hat sie dir gegeben, Thomas?“
„Gegeben?“ Der Offizier von Mithril zwinkerte verblüfft. „Gegeben?“
„Na, was du da unter deinem Anzug versteckst.“ Mit übertriebener Fröhlichkeit griff Kim nach seiner rechten Hand. Thomas war zu verblüfft um sich zu wehren. Also zerrte sie die Rechte hervor. Sie erstarrte. Und sackte auf die Knie herab. „B-blut…“ Zitternd starrte sie auf die Hand, die sie immer noch umklammert hielt. Dann sah sie zu Thomas hoch, der dadurch in eine sehr unangenehme Haltung gezwungen wurde. „Blut.“
„Es ist nichts schlimmes, nur ein kleiner Schnitt“, versuchte Thomas die Frau zu beruhigen.
„Wie kommt man an dieser Schule zu einem kleinen Schnitt?“, mischte sich Kaname ein.
„Nun, indem man auf Yakuza trifft, die nach einer gewissen Kaname Chidori suchen“, erwiderte Thomas trocken. „Sagt dir das irgendwas?“
„Ach, Yakuza? Und sie haben nach mir gesucht? Ahaha. Ahahahahaha. Das kann ich mir gar nicht erklären.“ Ihr Gesichtsausdruck wechselte von unschuldig auf wütend. „Aber ich kenne da jemanden, der es kann!“
„Wir haben die Lage unter Kontrolle. Und wir haben alle eingesammelt, die wir finden konnten.“ Thomas ging vor Kim in die Hocke. „Hörst du? Alles ist gut. Wir haben sie. Es wird nichts passieren.“

Der Arm Slave-Pilot sah in die Augen des blonden Mädchens und erschauderte. In diesen tiefen Abgründen sammelte sich Verzweiflung, Angst, Erinnerungsfetzen und Fragmente des Wissen der Whispered. Sie schien vor ihrem inneren Auge eine sehr traumatisierende Szene zu erleben, denn sie schluchzte erschrocken. Dann wurden ihre Augen wieder klar.
Sie fiel dem Deutschen um den Hals und umklammerte ihn wie eine Ertrinkende in Panik ihren Lebensretter. „Nicht sterben. Bitte nicht sterben. Nicht du auch noch.“
Vorsichtig legte Thomas ihr die linke Hand auf den Rücken und drückte sie sanft an sich. Die junge Frau zitterte wie Espenlaub. Der Erinnerungsschub, den sie gerade gehabt hatte, musste furchtbar gewesen sein.
„Ich sterbe doch nicht“, erwiderte Thomas. „Darauf hast du mein Wort.“
Als Antwort schluchzte die junge Frau und begann zu weinen.

7.
„Lass bitte den Fahrer halten, Schatz.“ Robert Hausen beugte sich interessiert vor.
Lin zögerte nicht lange. Kurz darauf verließ Hausen den Wagen, seine Frau an der Seite.
„Was willst du hier, Robert? Hast du noch nie ein japanisches Schulfest gesehen?“
Der Deutsche lächelte dünn. „Dies hier ist die Jindai High School. Schön, dass wir an ihr vorbei kommen. Ich hätte sie sowieso aufsuchen wollen.“
„Jindai, Jindai… Keine schlechte, aber auch keine besondere Schule. Was interessiert dich an ihr?“ Zögernd folgte sie dem größeren Hausen auf das Gelände. Viele Besucher gingen gerade, und so standen sie in einem Strom Menschen.
„Amalgam hatte einige Zeit Interesse an dieser Schule. Hier gibt es eine Whispered.“
„Hm? Und dann haben sie noch nicht versucht, sie zu entführen? Nicht gerade typisch.“
Hausen schmunzelte. „Sie haben es versucht. Mit zwei großen und mehreren kleinen Aktionen. Sie endeten alle im Fiasko. Diese Whispered hat einen hervorragenden Personenschutz. Und es wird wohl noch etwas dauern, bevor sich Amalgam erneut an dieses Projekt heran trauen wird.“
Er dachte kurz nach, während sich der Innenhof mehr und mehr leerte. „Das wäre eine Aufgabe nach meinem Herzen, weißt du?“
Lin drückte sich an den großen Mann. „Stimmt. Das ist eine Aufgabe nach deinem Geschmack. Unmögliches zu vollbringen, zu schaffen woran alle anderen gescheitert sind.“
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Das ist mein Robert.“
Hausen lächelte bei der Berührung durch ihre Lippen. Viel war passiert in seinem Leben. Vieles hatte er getan und gelassen. Vieles bereute er. Doch sich mit der Triadenprinzessin einzulassen, sie sogar zu heiraten, hatte er nie bereut.

Dies war der Moment, als ihm eine Gruppe aus drei Frauen und drei Männern auffiel, die fast auf der anderen Seite des Innenhofs zum Ausgang strebten. Zwei der Männer und eine der Frauen – sie trug eine Schuluniform – schienen Ausländer zu sein.
Die zweite Frau in Schuluniform war Japanerin. Und zudem…
Ein dünnes Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Er hatte das Dossier dieser Frau gelesen, wieder und wieder. Die Whispered Kaname Chidori. Amalgam hatte Gelegenheit gehabt, einen Großteil ihres geheimen Wissen zu testen, war aber zu dem Ergebnis gekommen, dass sie keine neuen Erkenntnisse in sich trug. Den Rest zu testen war aufwändig und dem Risiko nicht angemessen gewesen, deshalb genoss das Projekt keine Priorität. Die Whispered aus Rumänien hingegen hatte diese Priorität.
Erschrocken zuckte Robert zusammen, als er die blonde Frau in der Gruppe wieder erkannte. Wenn Gott Ironie mochte, dann hatte er gerade richtig zugeschlagen.
Der Junge in Schuluniform bemerkte seinen Blick. Automatisch glitt seine Hand unter die Uniformjacke. Hausen wusste sofort, dass sich dort eine Handfeuerwaffe verbarg.
Aber hier würde der junge Mann sie nicht ziehen. Nicht solange noch Zeugen anwesend waren, egal wie verdächtig ein Deutscher und eine Chinesin ohne Bezug zu dieser Schule auf dem Pausenhof waren.
Nun wandte sich der Mann im dunklen Anzug um. Ihre Blicke begegneten sich und er blieb stehen, während der andere Ausländer mit den langen blonden Haaren schwatzend die Damen weiter schob. Der Junge in Schuluniform blieb an der linken Flanke und behielt sie im Auge.
Hausen interessierte das nicht. Nicht in diesem Moment. Er fixierte den Mann im Anzug und bekam von ihm nichts geschenkt.
Sie tauschten einen Blick voller Intensität aus. Hausen kannte dieses Gesicht nicht, aber in den Augen dieses Mannes las er, dass er es gewohnt war Schmerzen zu ertragen, hart zu arbeiten und nicht aufzugeben.
Er war von dem Schlag Männer, die sich Hausen als Untergebene wünschte.
Zudem bewies der harte Blick eines: Dieser Mann war nicht zu seinem Vergnügen hier.
Um das zu erkennen hätte es nicht die Gesellschaft der Whispered gebraucht.

„Thomas, kommst du?“
Der Blickkontakt brach ab. Der andere sah zu der Gruppe, die gerade den Hof verließ. Eine der Frauen, die in der Zivilkleidung, hatte gerufen. Dabei hatte sie eine Hand auf die Schulter der blonden gelegt.
Hausen schmunzelte. Bingo.
„Bin schon unterwegs.“ Der Mann namens Thomas taxierte ihn noch einmal mit einem scharfen Blick, bevor er seinen Weg fortsetzte.

Hausen sah seine Frau an. „Wir sollten jetzt auch besser gehen. Ich glaube, Mithril hat genügend Bilder von uns geschossen.“
„Mithril?“
Der Deutsche ging zurück zur Limousine und seine Frau folgte ohne zu zögern.
„Nachher verlange ich eine richtig gute Erklärung“, murrte sie.
**
„Also, Herrschaften, zuallererst will ich euch zu der gelungenen Operation gestern Morgen gratulieren.“
Die Anwesenden, Hubschraubercrews, Arm Slave-Piloten und Techniker sowie Infanteristen, begannen je nach Charakter zu klatschen oder zu jubeln.
Santos lächelte dazu. Dieser Enthusiasmus tat richtig gut.
„Ohne eigene Verluste ist es uns gelungen, das Waffenlager zu vernichten, das gesamte Datenmaterial aus den Computern zu bergen und eine Whispered zu retten. In diesem Zusammenhang werde ich nun eine Nachricht verlesen:
Von strategisches Oberkommando, Mithril, Admiral Jerome Porter. An die Besatzung der TDD-2 FEANOR.
Offiziere und Mannschaften der FEANOR. Noch vor einem halben Jahr war die Indienststellung des zweiten Schiffes der Dannan-Klasse fraglich. Aber in dem Dienst der letzten Monate hat die Crew bewiesen, dass nicht nur auf sie Verlass ist, sondern dass sie auch in der Lage ist über ihre Pflicht hinaus zu leisten.
Aus diesem Grund belobige ich hiermit Kapitän Johann Sander stellvertretend für Schiff und Mannschaft im Namen der gesamten Organisation.
Gezeichnet, Admiral Jerome Porter, XO strategisches Oberkommando.“
Eine Zeitlang herrschte Stille im Raum. Dann schlug der Jubel über Miguel Santos zusammen.

Als sich die Söldner wieder beruhigt hatten, nickte der Colonel Captain Karasov zu, dem Chef der Infanterie.
„Soweit so gut. Kommen wir zur Einsatznachbesprechung. Da Captain Kramer gerade mit Spezialauftrag in Japan weilt, werde ich es übernehmen, auch die Arm Slave-Piloten zu besprechen. Beginnen wir mit dem Anflug…“
Was nun folgte war eine Abfolge des gesamten Einsatzes aus drei verschiedenen Sichtwinkeln. Mal aus der ihrer Infanteristen beim Versuch, die Villa zu stürmen oder die Whispered zu eskortieren, mal aus Sicht der Arm Slaves und deren harten, kurzen Kampf gegen die gegnerischen M6, mal aus Sicht der Helikopterbesatzungen.
Nach einer guten Stunde fand der Captain schließlich ein Ende. „Rückwirkend kann ich sagen, dass die eingesetzten Mannschaften auf die ungewohnte Situation, eine Whispered zu finden, mit Bravour und vorbildlich reagiert haben.“
Wieder wurde gejubelt, wenn auch schleppender, da ein Großteil der Anwesenden schon ab der Hälfte des Monologs die Ohren auf Durchgang gestellt hatten und erst spät merkten, dass Karasovs Hölle, wie die Einsatzbesprechungen intern genannt wurden, zu ende war.
Wieder wechselte der Sprecher.

Commander Allister trat nun vor die Mannschaft. „Freuen Sie sich. Freuen Sie sich alle. Ihre exzellente Arbeit hat dazu geführt, dass Mithril in die Lage versetzt wurde, einen Schlag gegen ein zentrales Nachschubdepot von Amalgam zu führen. Freuen Sie sich doppelt, denn es wurde uns die Chance gegeben, in einem neuen Seegebiet zu operieren. Das Ziel liegt auf Sri Lanka im Indischen Ozean. Wenn wir dort gut arbeiten, können wir das Gebiet als unseren Vorhof betrachten. Und freuen Sie sich dreifach. Für den Schlag gegen den Stützpunkt werden wir nicht nur durch den Suezkanal übersetzen, sondern mit der TUATHA DE DANNAN zusammenarbeiten.“
Auf diese Eröffnung erfolgte kein Jubel. Im Gegenteil. Die Offiziere und Mannschaften wirkten plötzlich verbissen.
Zufrieden registrierte Allister die Spannung, die sich aufgebaut hatte. Die DANNAN war der Rivale dieses Schiffes. Sie war der Maßstab gewesen, an dem sich die FEANOR hatte beweisen müssen. Nun würde die DANNAN bald merken, wie sehr sie alle aufgeholt hatten.
Bei dieser Mission würde der Atlantik dem Pazifik schon zeigen, wer bald an wem gemessen werden würde.
Als Allister in die entschlossenen Augen sah wusste sie, die Mannschaft der FEANOR dachte dasselbe wie sie.

8.
„Guten Morgen, Klasse.“ „Guten Morgen, Sensei.“
Irritiert starrte Thomas Kramer in die jungen Gesichter vor sich, als könne er nicht glauben, dass sie wirklich ihn gemeint hatten. Aber er fing sich und lächelte. „Wie Kagurazaka-sensei bereits erzählt hat, ist mein Aufenthalt in Japan auf zwei Wochen beschränkt. Aber in dieser Zeit will ich mein Bestes geben, um Sie alle so gut es geht in Englisch zu unterrichten.“
Kramer ließ seinen Blick über die Runde schweifen. „Mein Name ist Thomas Kramer. Ich bin Deutscher und arbeite normalerweise als Abteilungsleiter in der Sicherheitssparte eines großen Unternehmens. Ich bin hier mit Kim Sanders, der Tochter meines Vorgesetzten, die hier in Japan ein Orientierungsstudium machen wird.“ Thomas deutete mit einem Kopfnicken zu der jungen, blonden Frau, die sich unter lautem Hallo bereits vorgestellt hatte und nun auf einem Platz neben Sousuke Sagara in der letzten Reihe saß.
„Vermittelt wurde das ganze durch meinen Cousin Sousuke Sagara aus eurer Klasse. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich das Angebot als Hilfslehrer in eurer Klasse angenommen habe. Wir zwei kennen uns nicht wirklich gut, und ich hoffe, so ein wenig Zeit mit ihm verbringen zu können. Soweit, so gut. Habt Ihr vielleicht Fragen?“
„Sensei, Mizuki Inaba. Was für Hobbies haben Sie?“
Erwartungsvoll und mit strahlenden Augen sah ein rotblondes Mädchen zu ihm herüber.
„Hobbies? Ich bin eine Leseratte, ein Bastler und ansonsten ein ziemlich begabter Sportschütze. Ich liebe Ausflüge und gehe sportlich gerne mal bis an meine Grenzen. Sie bitte, junger Mann.“
„Sensei, Shinji Kazama. Wenn Sie ein Verwandter von Sagara-kun sind, warum sind Sie dann Deutscher?“
Thomas schmunzelte bei dieser Frage. „Nun, Kazama-kun, das sollten Sie nicht mich fragen, sondern meine Tante und Sousukes Onkel.“
Der junge Mann wurde rot. „Äh, so habe ich das nicht gemeint! Ich wollte fragen… Ich wollte wissen… Entschuldigung.“
„Entschuldigung wofür? Ich denke, das war eine sehr sinnvolle Frage. Du bitte, Kyoko-chan.“
„Ja, Sensei!“ Thomas sah seine erste Einschätzung vom gestrigen Schulfest bestätigt. Das kleine Mädchen mit den Zöpfen war ein quirliges Energiebündel. Wahrscheinlich musste man ihr doppelte Fußketten anlegen, um sie wenigstens etwas zu bremsen.
„Sensei, was sind Ihre Lieblingsspeisen? Mögen Sie japanisches Essen?“
„Oh, so viel habe ich davon noch nicht probiert. Aber zuhause esse ich gerne mal einen Becher Instantnudeln. Ich gehe auch gerne mal frisches Sushi essen.“
Für einen winzigen Moment schienen die Gesichter einiger Mädchen in diesem Raum unter dunklen Schatten zu verschwinden, in denen nur die Augen als rot glühende Kohlen aufleuchteten. Unwillkürlich fragte sich der Mithril-Offizier, ob er gerade einen riesigen Fehler begangen hatte.

„So, das reicht jetzt aber. Mit Fragen könnt Ihr Kramer-sensei später noch löchern.
Hier ist die Namensliste, Kramer-sensei. Chidori-kun kennen Sie ja schon. Als Klassensprecherin wird sie Ihnen helfen.“
„Gut. Kaname-chan kann mir zeigen, wie weit die Klasse mit dem Unterrichtsstoff ist.“
„Zum Beispiel. Ich verlasse Sie jetzt, Kramer-sensei. Und viel Glück mit dieser Klasse.“ Sie warf einen viel sagenden Blick in Richtung von Sagara, als sie viel Glück sagte, was dieser beantwortete, indem er sich noch etwas steifer aufrichtete.
„Das ist also meine erste Stunde“, murmelte Thomas mehr zu sich selbst. Für einen Augenblick wünschte er sich einen Kommunikator im Ohr und eine direkte Leitung zu Mao, damit sie ihm heimlich Tipps geben konnte.
**
Nach der Unterrichtseinheit schloss sich eine lange Pause an. Danach würde Thomas in eine andere Klasse wechseln. Alles was Recht war, die Jindai ließ sich die Chance, einen im englischen erfahrenen Aushilfslehrer mit ganzer Kraft einzusetzen, jedenfalls nicht entgehen.
Also nutzte er die Pause, um noch ein paar Dinge mit Sagara abzusprechen. Außerdem würde er Kurtz auf einen Beobachtungsposten scheuchen, von dem aus der Gun-so das Klassenzimmer einsehen konnte.
Der Raum hatte sich merklich geleert, bis auf zwei, drei Gruppen Mädchen, die beieinander saßen und kicherten. Und bis auf Sagara, Kaname-chan, Kim und drei weitere japanische Schüler.
Thomas trat an die Gruppe heran. „Und, Kim, hat dir deine erste Unterrichtsstunde gefallen?“
Die junge Whispered nickte mit glühenden Wangen, während sie zu ihm hoch lächelte. „Ich habe so viel gelernt, Kramer-sensei.“
Thomas runzelte die Stirn. Kramer-sensei? Entweder hatte die junge Frau, die sie in Rumänien aus den Fängen eines Waffenhändlers gerettet hatten, wirklich Spaß am Unterricht gehabt, oder sie wollte ihm in Frauensprache irgendetwas mitteilen, was er nicht verstand.
„Apropos gelernt“, sagte der Deutsche deshalb hastig, „Sousuke, hast du Zeit für mich?“
„Sir!“
Der Deutsche unterdrückte den Drang, sich die Rechte vor den Kopf zu schlagen. Es wurde eher schlimmer als besser mit dem jungen Gun-so. Seit gestern war er wie ausgewechselt, versteifte sich vollkommen auf sein militärisches Gehabe, sobald er mit Thomas zu tun hatte.
Kurtz Weber hatte es so erklärt: Ihn plagte das schlechte Gewissen, deshalb wollte Sagara wenigstens emotional auf der sicheren Seite bleiben.
Kim blies über diese eindeutige Abfuhr die Wangen auf, sagte aber nichts.

Die beiden gingen vor die Tür, wanderten ein Stück den Gang hinab. Thomas sah aus einem Fenster und fragte Sousuke, ohne sich umzudrehen: „Also, was ist mit den Yakuza? Und warum sind sie hinter Kaname her? Keine Ausflüchte mehr. Du bist wach, wir sind alleine und ich bin dein Vorgesetzter. Verstanden?“
„Sir! Die Yakuza sind wahrscheinlich hinter Kamane her, weil wir neulich eine Gruppe ausgelöscht haben.“
„Was bitte?“ Entgeistert wirbelte Thomas herum und starrte den Japaner an. „Ihr habt was?“
„S-s-s-s-sir! Es ist so…“
Die folgende Erklärung war nicht dazu angetan, die Situation entscheidend zu erklären. Sie bot eine Menge neuer Informationen und offenbarte Interpretationsmöglichkeiten. Nicht mehr und nicht weniger.
„Also, nachdem du mit der Mizuhara-Gruppe die anderen Yakuza vernichtet hast, war die Sache nicht erledigt? Wieso nicht?“
Sagara begann zu schwitzen. „SIR! Ich kann es mir nur so erklären, dass andere Yakuza-Gruppen in der Vernichtung der Gruppe eine Gefahr für sich selbst sahen und nun versuchen zu enthüllen, wer sie ausgelöscht hat. Als Hinweis gibt es nur die Mizuhara-Gruppe und Kaname!“
„Richtig. Du und die anderen Kobun der Mizuhara-Gruppe habt ja diese mobilen Kampfrüstungen getragen.“ Thomas widerstand der Versuchung, sich die Hand vor die Stirn zu schlagen, aber nur knapp. Diese Kampfrüstungen, auch wenn sie mit dem allerneuesten Equipment ausgestattet waren, mussten ein Bild für die Götter gewesen sein. Allerdings ein psychologischer Effekt, den man nicht unterschätzen sollte.
„Also wollten sie Kaname entführen, um mehr über die Hintergründe der Aktion zu erfahren. Oder um die Mizuhara-Gruppe zu erpressen. Ich sage jetzt nicht, dass du einen Fehler begangen hast, Sousuke. Ich sage jetzt auch nicht, dass du dich töricht verhalten hast.“
„Sir!“ Der Japaner versteifte sich. Die Botschaft war eindeutig angekommen.
„Aber wir können Kaname nicht in diesem Schwebezustand lassen. Entweder radieren wir die andere Yakuza-Gruppe aus oder wir sorgen irgendwie dafür, dass sie das Interesse an ihr verlieren. Komm, Sousuke.“
„Sir?“
„Wir besuchen jetzt Fräulein Mizuhara.“

„Guten Morgen, Kramer-sensei.“ Es wunderte Thomas nicht, dass die zerbrechlich wirkende junge Frau seinen Namen kannte, obwohl er in einer Nacht und Nebel-Aktion eingestellt worden war. Immerhin war sie stellvertretende Schülersprecherin.
„Guten Morgen, Mizuhara-kun.“
„Guten Morgen, Sagara-san.“
„Guten Morgen, Mizuhara. Hayashimizu-san ist nicht da?“
„Der Schulsprecher hat eine wichtige Angelegenheit zu erledigen. Wir sind ungestört.“
Die junge Frau verbeugte sich leicht. „Danke, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben, Kramer-sensei. Ich wollte mich sowieso bei Ihnen bedanken, dass Sie gestern zusammen mit Sagara-kun so schnell und umsichtig reagiert haben. Ich hatte leider keinerlei Gelegenheit, in das Geschehen einzugreifen. Ich bin sehr froh, dass das Schulfest nicht gestört wurde.“
„Sie waren auch hinter Ihnen her?“, schoss Thomas ins Blaue.
„Oh nein, nein. So weit würden sie sicherlich nicht gehen. Nicht nachdem meine… Familie den letzten Übernahmeversuch abgewehrt hat, ohne an Stärke zu verlieren.
Aber Chidori-san, nun, es kam etwas plötzlich.“
Wieder machte es klick, und diesmal laut und vernehmlich genug, um den Hals des Deutschen in Bewegung zu setzen. „SOUSUKE!“
„Was? Nein, nein! Nein, ich glaube nicht! Das heißt, ich gehe nicht davon aus, dass Mizuhara irgendetwas weiß.“
Wieder verbeugte sich die hübsche junge Frau. „Entschuldigen Sie bitte, Kramer-sensei. Sagara-kun hat nichts verraten. Aber wenn man ein paar Fakten zusammenrechnet und ein wenig nachdenkt, dann kommt man schnell zu ein paar Erkenntnissen. Aber seien Sie unbesorgt. Die meisten dieser Fakten sind nur mir und Chidori-san bekannt.
„SOUSUKE!“, grollte Thomas.
Der Arm Slave-Pilot begann zu schwitzen.
Thomas wandte sich der stellvertretenden Schulsprecherin zu. „Sie brauchen mir nicht zu danken, Mizuhara-kun. Es gehört zu meinen Aufgaben, auf Kaname-chan zu achten. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihr Wissen… Ah, für sich behalten würden. Und versuchen Sie bitte nicht… Ah, Ihr Wissen zu vergrößern.“
„Selbstverständlich, Kramer-sensei.“ Wieder verbeugte sich die junge Dame. Wie sagte man zu Frauen wie ihr? Natürliche japanische Schönheit? Zumindest das mit der Schönheit stimmte, fand Thomas.
„Was die Yakuza anging, die versucht haben, Kaname-chan… Nun, was auch immer. Was muß ich tun, damit das aufhört? Haben Sie einen Rat für mich, Mizuhara-kun?“
„Nun, nach dem gestrigen Debakel habe ich… Ein paar unserer Mitarbeiter gebeten, ein paar Gefallen einzufordern. Das Ergebnis wurde mir gerade bekannt gegeben.“ Sie sah auf und dem Deutschen direkt in die Augen. „Kramer-sensei, zumindest in nächster Zeit ist keine solche Aktion zu erwarten. Chidori-san und Sanders-san sind für den Moment sicher.“
„Für den Moment, hm?“ Thomas stieß wütend die Luft aus. „Warnen Sie mich vor, falls sich das ändert.“
„Selbstverständlich, Kramer-sensei.“
Der Arm Slave-Pilot nickte zufrieden. „Sousuke.“
„Sir.“
„Ich möchte, dass du jetzt ganz genau zuhörst. Haben wir uns verstanden?“ Thomas warf dem Piloten des Arbalest einen ernsten Blick zu.
„S-sir!“ Sagara richtete sich so steif auf, wie es ihm möglich war.
„Mizuhara-kun. Bitte beantworten Sie mir eine Frage: Was haben Sie sich über Sousuke und Kaname… Nun, zusammengereimt?“
Die junge Frau lächelte. „Es ist offensichtlich, dass Sagara-san eine militärische Ausbildung erhalten hat. Es ist ebenso offensichtlich, dass er nicht der regulären Armee angehört.
Chidori-san hingegen gehört weder dem Militär an, noch hat sie irgendeine Ausbildung in dieser Richtung erhalten. Sie hat keine Verbindungen in dieser Beziehung. Dennoch beschützt Sagara-san Chidori-san sehr resolut. Sie muß also für die Auftraggeber von Sagara-san sehr wichtig sein. Warum, konnte ich leider nicht herausfinden.“
Sie lächelte den Arbalest-Piloten freundlich an. „Aber dafür habe ich herausgefunden, dass Sagara-san Chidori-san nicht nur deswegen so resolut beschützt.“
„Sousuke, wirst du etwa rot?“, spöttelte Thomas abgelenkt.
Verlegen sah Sagara zur Seite.
„Ich danke Ihnen für diese Information, Mizuhara-kun. Es ist nicht üblich, unser Wissen mit Oberstufenschülern zu teilen, aber Sie sind ein besonderer Fall. Deshalb will ich Ihnen etwas anvertrauen. Sousuke und ich, wir sind die Guten in diesem Spiel.“
„Ich weiß, Kramer-sensei.“ Wieder verbeugte sich die junge Frau.
„Dann danke ich Ihnen.“ Thomas deutete eine Verbeugung an und wandte sich um. „Sousuke.“
„Äh, Kramer-sensei?“
„Ja, Mizuhara-kun?“
„Nun, es… Ich weiß nicht, ob es für Sie interessant oder wichtig ist. Aber die… Mitarbeiter meines Vaters haben… Wie soll ich es sagen, ein merkwürdiges Interesse einer unbekannten Gruppe an Informationen über Chidori-san und Sanders-san festgestellt.“
Thomas erstarrte. War Amalgam etwa schon an ihnen dran? Er wandte sich wieder um. „Ich… danke Ihnen, Mizuhara-kun. Und wenn Sie mehr in dieser Richtung erfahren, bitte zögern Sie nicht, mich zu informieren. Ich werde dafür sorgen, dass Sie jede Hilfe doppelt vergelten bekommen.“
„Aber, aber“, sagte die junge Frau und wedelte mit einer Hand. „Ich bin in Ihrer Schuld, Kramer-sensei, nicht umgekehrt.“
Thomas schmunzelte und nickte noch einmal zum Abschied.

Auf dem Gang stieß er Sagara in die Seite. „Sousuke?“
„Sir?“
„Du hast gerade verdammt viel Schwein gehabt. Ich hoffe du weißt das zu schätzen.“
Sagara atmete schnaubend aus. Es war das erste Mal, dass Thomas eine derartig heftige Reaktion bei dem Gun-so beobachtete. Anscheinend wusste er es wirklich zu schätzen.
**
Der Abend kam viel zu schnell und für den Geschmack des Deutschen kam die Dunkelheit auch viel zu früh. Zusammen mit Kurtz Weber begleitete er Kim, die aufgeregt von ihrem Tag erzählte, zum Safe House. Weber erwies sich nicht nur als guter Zuhörer, sondern auch als guter Plauderer.
Thomas tat es richtig leid, die Unterhaltung unterbrechen zu müssen, als sie am Safe House, einer staatlichen Anlage, ankamen. Er identifizierte sich und seine Begleiter und bekam die Erlaubnis, seinen Wagen im Parkhaus abzustellen.

Zwei Wachen empfingen sie und geleiteten sie in den nächsten Fahrstuhl. Im ersten Obergeschoss wurden sie in den Westflügel geführt.
Kim plapperte immer noch aufgeregt mit Kurtz Weber, aber ihre Hände bewegten sich fahrig.

Thomas stoppte, ergriff die nervösen Hände und sah der jungen Frau direkt in die Augen. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin hier und passe auf dich auf.“
„Angst? Wer hat denn Angst? Ahahaha!“
Thomas ließ ihre Hände fahren und ging weiter.
„Warte!“ Übergangslos hängte sich die junge Frau an seinen linken Arm. „Angst habe ich keine, aber ich weiß es zu schätzen, was du gesagt hast, Thomas.“
Der Arm Slave-Pilot lächelte wissend.

Im eigentlichen Labor angekommen hatten Thomas und Kurtz eine längere Unterhaltung darüber, ob Kim auch beim umziehen in der kleinen Kabine überwacht werden musste, in der sie einen Patientenkittel anziehen sollte.
„Wir müssen immerhin für ihre volle Sicherheit sorgen, oder, Captain?“, argumentierte Weber.
„Kurtz, ich werde gleich was für ihre Sicherheit tun und dich…“
„Ist in Ordnung“, erklang Kims Stimme aus dem abgetrennten Bereich. „Solange es Thomas ist, der mich überwacht…“
Konsterniert starrte Thomas auf die Kabine. „Was, bitte?“
Die junge Frau lugte durch den Vorhang hervor und zog das linke Augenlid herab. „War nur Spaß. Oder hast du dich schon gefreut, Thomas?“
Der Deutsche räusperte sich laut und vernehmlich. „Ein Spruch, Kurtz Weber, und es setzt was.“
„Ich wollte üüüüüüberhaupt nichts sagen, ehrlich, Captain“, stellte der Gun-so grinsend fest.

Unter Anleitung des Chefwissenschaftlers kletterte Kim Sanders in den Tank, setzte die Brille, auf, die als Schnittstelle zwischen ihrem Wissen als Whispered und dem Computer fungierte, seufzte ein letztes Mal und ließ sich dann zurücksinken.
Der Tank begann zu arbeiten. Er senkte sich aus der vertikalen in die Horizontalen.
Thomas ertappte sich dabei, wie er bei jeder Bewegung der jungen Frau zusammenzuckte, jederzeit bereit, den großen roten Aus-Knopf auf der Konsole neben sich zu drücken.
„So, das wird jetzt eine Stunde oder noch etwas länger dauern. Wollen die Herren vielleicht erstmal einen Kaffee trinken?“, bot der Chefwissenschaftler an. „Hier passiert sowieso nichts in nächster Zeit.“
„Nein, danke.“ Thomas lehnte sich gegen die nächste Wand und fixierte den Tank.
„Hast du was dagegen, wenn ich mir nen Kaffee hole, Thomas?“
„Geh ruhig, Kurtz. Wenn ich mehr Vertrauen in das Mithril-Verfahren habe, werde ich mir wohl auch einen holen gehen.“
„Also vielleicht nie“, spottete der langhaarige Deutsche und verließ den Raum.
Mit diesen Worten hatte Kurtz sogar ins Schwarze getroffen.
In diesem Moment fühlte Thomas Kramer sein Versprechen an Kim schwer auf seinen Schultern lasten. Sehr schwer.

9.
Bereits am zweiten Tag fühlte sich Thomas Kramer sicher im neuen Terrain, der Schule. Da er englisch unterrichtete, musste er sich erfreulich wenig mit den Schriftarten Kanji, Hiragana und Katakana auseinander setzen. Seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet waren eh begrenzt, aber immerhin kam er dazu, sein Wissen vorsichtig auszubauen. In den Englisch-Stunden jedenfalls wurde nur englisch gesprochen und geschrieben, was der Deutsche als große Erleichterung hinnahm.
Ja, der Unterricht machte ihm sogar großen Spaß. Und zum ersten Mal in seinem Leben fragte sich der Arm Slave-Pilot, ob er den Beruf verfehlt hatte.
Die letzte Stunde vor der Mittagspause hatte er in Sousukes Klasse. Alle arbeiteten gut mit, fand der Deutsche, sogar Sagara, der mit diesem Verhalten wohl irgendetwas kompensieren wollte. Thomas beschloss, Melissa darüber zu informieren. Nicht das der Junge einen Komplex aufbaute. Mehr als er ohnehin schon mit sich herumschleppte.

Mit dem Schlussgong begann Thomas seine Unterlagen zu ordnen und zusammen zu räumen.
So bemerkte er erst relativ spät, dass er am Schreibtisch umzingelt war.
Er sah auf. „Ja, meine Damen? Was kann ich für euch tun?“
Die Umstehenden, Mädchen aus der Klasse, lächelten schüchtern. „Sensei“, sagte Inaba verlegen, „was essen Sie denn zum Mittag? Gehen Sie ins Lehrerzimmer oder bleiben Sie hier bei uns?“
Nachdenklich kratzte sich der Deutsche an der Schläfe. „Was ich zum… Zum Mittag esse? Ich habe mir belegtes Brot mitgebracht. Wenn Ihr wollt, dass ich hier esse, kann ich es holen.“
„Belegtes Brot? Das macht doch einen ausgewachsenen Mann nicht satt!“ Lächelnd zog sie ihre Hände hinter dem Rücken hervor und präsentierte eine Lunchbox. „Hier, Sensei. Ich habe ein Bento für Sie gemacht. Sie haben doch gestern gesagt, Sie mögen Sushi und…“
„Ich habe auch eins gemacht.“ „Ich auch!“ „Ich habe auch Sushi gemacht!“
Irritiert starrte Thomas auf die neun Boxen, die sich nun vor ihm beinahe stapelten.
„Danke, das ist sehr nett von euch, aber das schaffe ich doch nie alles. Und vor allem nicht in der Pause.“
Enttäuscht raunten die Mädchen.
„Aber wenn Ihr mir helft?“
Die Mädchen holten Stühle und setzten sich um das Lehrerpult herum. Thomas wusste zwar nicht, womit er soviel Aufmerksamkeit verdient hatte und warum auch Kyoko unter den Bento-Produzentinnen war, aber er wusste, dass er diese Aufmerksamkeit genoss.
Was er nicht so sehr genoss war der wütende Blick, den Kim und Kaname ihm zuwarfen.
**
Abends im Safe House hatte Kim noch immer kein Wort mit ihm gesprochen. Sie schwatzte auffallend fröhlich mit Kurtz, aber ihn würdigte sie nicht einmal eines Blickes.
Also verließ er resignierend das Labor, nicht ohne Kurtz an seiner Statt vor dem Tank platziert zu haben.
Während er das Labor verließ, fragte sich der Deutsche, warum ihm die junge Frau diesen wehmütigen Blick zugeworfen hatte. Wenn sie doch auf ihn sauer war – weswegen auch immer.

„Frauen!“, stieß Thomas hervor, machte einen ausholenden Schritt in den Gang, und stieß etwas um. Genauer gesagt jemanden.
„Autsch!“
Erschrocken sah Thomas auf und dann auf den Boden. Vor ihm saß Theresa auf dem Boden und umklammerte ein Bündel Akten.
„Oh, Tessa. Tut mir Leid, ich habe dich nicht gesehen.“ Er reichte ihr eine Hand zum aufstehen.
„Das wundert mich nicht. Du hast vieles nicht gesehen. Warum sollte es jetzt besser sein?“
Er zog die Kapitänin der TUATHA DE DANNAN auf die Beine. „Muss ich das verstehen?“
Theresa klopfte sich imaginären Staub vom Rock und musterte den Deutschen aufmerksam. „Du weißt schon, was du heute getan hast?“
„Ich kann mich nicht dran erinnern, mit meinem M9 Amok gelaufen zu sein oder irgendetwas anderes, was diesen Blick von dir rechtfertigen würde, Tessa“, tadelte der Deutsche.
„Männer“, erwiderte sie. „Kaname hat es mir erzählt. Was hast du dir dabei gedacht, die Bentos der Mädchen zu essen?“
„Sushi ist nicht so lange haltbar?“
Entsetzt starrte die Italienerin den großen Mann an. Sie legte eine Hand vor den Mund und begann zu kichern. Schließlich brach sie in – für ihre Begriffe – lautstarkes Gelächter aus und legte die Linke auf Kramers breite Brust. „Du hast dir da wirklich nichts bei gedacht, oder, Thomas?“
„Kannst du bitte aufhören, in Rätseln zu sprechen, Tessa?“
„Ja, schon gut. Ich verstehe.“ Sie zwinkerte ihm zu, bevor sie das Labor betrat. „Du bist eben ein Mann.“

Kurtz kam etwas irritiert auf den Gang raus. „Tessa-chan hat gesagt, ich soll mit dir einen Kaffee trinken gehen. Und wir sollen uns Zeit lassen.“
Thomas runzelte die Stirn. „Bin ich der einzige, der sich gerade einen Kampf gegen einen Venom wünscht? Das wäre um einiges einfacher als die Situation hier zu verstehen.“
„Willkommen in meiner Welt, Captain Kramer“, sagte Kurtz grinsend und klopfte dem Landsmann kräftig auf die Schulter.
**
Den nächsten Mittag erwartete Thomas mit Grausen. Wieder versammelten sich die Mädchen um ihn – warum musste er nur wieder diese Stunde in Sousukes Klasse haben – und wieder hielten sie Bento-Boxen hinter ihren Rücken versteckt.
Thomas begriff, dass er sich mit zwei Dingen abfinden musste. Die erste war, dass er anscheinend recht beliebt war. Die zweite war, dass er den Damen eine sehr heftige Abfuhr erteilen musste, wenn er nicht wollte, dass Kim ihn zu hassen begann.
„Sensei“, begann Kyoko, „Kaname-chan meinte, du solltest nicht nur Sushi essen, deshalb haben wir…“
„Es tut mir leid, Kyoko-chan, Ihr alle, aber heute muß ich im…“
Eine Bento-Box wurde ihm direkt unter die Nase gehalten. „Ach. Habe ich den Morgen dann umsonst in der Küche verbracht, Omelette gebraten und Fleischbällchen gemacht?“
Thomas sah zur Seite. „Kim?“
Die Whispered lächelte. „Kramer-sensei soll uns ja nicht vom Fleisch fallen.“
„Na, unter diesem Umständen bleibe ich natürlich“, stellte Thomas hüstelnd fest.
Sollte mal einer aus den Frauen schlau werden. Er tat es nicht.
Trotzdem hatte er selten so vielseitig und gut gegessen wie in dieser Pause. Und selten hatte er so viele fröhliche Mädchen gesehen.
**
Als sich Kim in den Tank legte, schien die Welt wieder in Ordnung. Ihr letzter Blick galt – wie auch sonst in den letzten beiden Tagen – Thomas, der neben dem leitenden Wissenschaftler stand. Sie kannte die Prozedur mittlerweile, aber dran gewöhnt hatte sie sich nicht.
Der Deutsche nickte ihr aufmunternd zu. Sie lächelte, setzte die Brille auf und lehnte sich entspannt zurück. Ja, die Welt war definitiv wieder in Ordnung. Aber Thomas wusste nicht einmal ansatzweise, wie er das geschafft hatte. Oder war es der kleine Disput mit Tessa gewesen? Er beschloss, mit der Kapitänin der DANNAN bei einer Tasse Tee darüber zu reden.

„Ich beginne jetzt“, sagte der Chefwissenschaftler ernst. Er betätigte ein paar Tasten, einige der Konsolen erwachten zum leben und der Tank senkte sich aus der Schräglage in die Horizontale.
Melissa, die ihn heute begleitete, stand schweigend im Raum, sah zu Kramer herüber und seufzte. „Gehen wir einen Kaffee trinken oder soll ich dir einen holen?“
„Du kennst die Antwort“, erwiderte Thomas ruhig.
„Ach, komm schon. Du musst nicht hier im Raum bleiben. Es reicht vollkommen, wenn du vom Flur aus auf sie aufpasst“, tadelte Melissa. Sein Versprechen als Offizier in allen Ehren, auf Kim zu achten, aber ihrer Meinung nach übertrieb er es schlimmer als Sousuke bei seinem Versuch, Kaname zu bewachen.
Thomas schenkte ihr einen mürrischen Blick. Dann zuckte er die Achseln. „Eine Stunde auf den Tank starren macht nicht wirklich Spaß. Gehen wir.“
„Nanu? Mit welchen Worten habe ich das denn geschafft?“ Verwundert folgte die Arm Slave-Pilotin dem Offizier.
„Nicht unbedingt mit Worten. Aber mit dir einen Kaffee trinken zu können ist einfach zu verlockend, Melissa“, erwiderte der Deutsche.
Melissa Mao schmunzelte.

10.
Robert Hausen marschierte nachdenklich auf und ab. Was für eine Chance, was für eine Gelegenheit. Das Safe House wurde nicht von Mithril direkt betrieben, sondern von einer staatlichen Einrichtung, die insgeheim immer wieder mit der Organisation kooperierte. Das machte es wesentlich leichter, die Anlage zu infiltrieren.
Söldner aus Mithril hervor zu brechen oder zu erpressen war wesentlich schwieriger, fand Hausen.
Vor etwas über einem Jahr hatte Amalgam bei einer fehlgeschlagenen Operation leider alle Schläfer, die sie auf der DANNAN hatte, verbrannt. Der Fehlschlag war spektakulär gewesen, spektakulär und teuer. Gebracht hatte er nichts, außer ein paar Toten, unter denen auch die Verräter gewesen waren.
Aber in einer staatlichen Einrichtung war vieles einfacher. Irgendwo gab es immer einen unzufriedenen Laborarbeiter, einen Doktoranden, der sich übergangen fühlte oder einfach jemand, der für etwas Geld zusammenhanglose Beobachtungen verriet, die sich dann in Hausens Händen zu einem Gesamtbild vereinigten.
Robert hatte erschreckend schnell Zugriff auf das Safe House nehmen können. Ein Doktor in der Forschungsabteilung war bis über beide Ohren bei den Yakuza verschuldet, Pech beim würfeln. Robert hatte die Schulden nur aufkaufen müssen, um ihn in seine Hand zu kriegen. Ein anderer war ein kleiner, schmutziger Perversling, der viel Geld für Prostituierte ausgab, die sich nach seinen Angaben kleideten und entsprechend verhielten – ein verdammter Lolicon, der aber zumindest wusste, wie weit er gehen durfte. Noch.
Robert hatte ihm die Tür zum richtigen Club aufgestoßen und verfügte nun über eine sehr genaue Aufstellung der Nahrungsmittel, die im Gebäude verbraucht wurden. Einschließlich der Menus, die gekocht wurden.
Aus diesen beiden Quellen hatte Robert einiges erfahren können. Innerer Aufbau des Gebäudes, Sicherheitsvorkehrungen Anzahl und Stärke des Personals, Nationalität der Benutzer und noch einiges mehr.
Mit Hilfe des spielsüchtigen Doktors hatte er sogar drei wichtige Entdeckungen machen können. Tatsächlich kam die junge Whispered, die nun den Namen Kim Sanders trug, bereits den dritten Abend in Folge ins Safe House. Tatsächlich schien ein Teil ihres Wissens als Whispered Amalgam unbekannt zu sein, das schloss er aus Conrads begeisterten Reaktionen, nachdem er die wenigen Brocken, über die er verfügte, weitergeleitet hatte.
Und zu guter letzt wusste er nun, dass innerhalb des Gebäudes eine Frau gefangen gehalten wurde, die dort normale Schichten in der Forschung absolvierte.
Die verlorene Doktorin aus Rumänien.
Hausen lächelte bitter. Mit all diesen Informationen hatte er eine Entscheidung zu treffen gehabt. Und er hatte sie getroffen.
**
Alexi Valeri zog seine Super Harrier kurz vor der Küste hoch. Bisher hatte er mit seinem Schwarm aus fünf Maschinen eine strikte Flughöhe von fünf Meter über dem Meeresspiegel eingehalten. Das war praktisch flach wie ne Briefmarke und garantierte, dass die vier Vielseitigkeitsjets nicht auf dem Radar der staatlichen Luftüberwachung auftauchten. Obwohl es sowieso fraglich war, ob hier im von den rebellischen Tamilen kontrollierten Nordwesten überhaupt eine ausreichende Luftüberwachung existierte.
Nun passten sie sich dem Niveau des ansteigenden Landes an, blieben aber dennoch beachtlich flach am Boden kleben. Auf der linken Flanke tauchten vier glitzernde Punkte auf und passten sich an den Kurs der Jagdfalken der FEANOR an. Das waren die Terwaz-Harrier der DANNAN. Sie würden einen gemeinsamen Anflugkorridor benutzen, kurz vor dem Ziel splitten und es dann aus zwei verschiedenen Richtungen angreifen. Nach einem Bombardement der Luftabwehreinrichtungen würden die Arm Slaves folgen. Die meisten Piloten der DANNAN waren mit externen Aufträgen beschäftigt, deshalb würden die insgesamt sechs Maschinen der FEANOR die Hauptarbeit beim niederkämpfen des Widerstandes machen.
Danach würden die Wanderfalken der FEANOR und die Terwaz-Transporthubschrauber Infanterie von beiden U-Booten ins Ziel bringen und dem gegnerischen Stützpunkt den Todesstoß versetzen.
Für einen Moment dachte Valeri an eine Falle, an einen leckeren Köder, der ihnen im Datenmüll aus Kumanovs Computer absichtlich vorgelegt worden war. Dann würde die ganze Operation in einem gewaltigen Chaos enden.
Verdammt, und sie mussten auf Kramer verzichten, einen verdammt kompetenten Bodencommander.

Die Super Harrier der DANNAN wackelten kurz mit ihren Flügeln, als sie eine tiefe Schlucht zur Linken nutzten, um sich von den FEANOR-Fliegern zu trennen.
Alexi wackelte ebenfalls. Und begann im Geiste den Countdown bis zum Angriff herunter zu zählen. Zehn. Neun. Acht. Sieben. Sechs. Fünf.
**
Vier. Drei. Zwei. Eins. Null.
Robert Hausen sah, wie Team eins den Eingang stürmte. Die Wachleute wurden mit präzisen Schüssen ausgeschaltet. Hausen hatte darauf verzichtet, die Wachmänner töten zu lassen. Kampfunfähig reichte völlig. Selbst wenn einer der Verwundeten genügend Kraft und Mumm hatte, um Alarm zu geben, spielte das absolut keine Rolle für seinen Plan. Schnell rein und schnell raus war die Devise.
Wie erwartet war die Fronttür blockiert. Aber ein stattlicher Block an C4 würde die Tür schon überreden, doch noch aufzugehen.
**
Drei Sekunden nach dem Abwurf der Hellfire-Bombe verging eine SAM-Stellung. Zusätzlich versperrte die Hellfire die Landebahn optisch vom Rest des Geländes mit einer auflodernden Flammenwand, die fünf Minuten Bestand haben würde.
Alexi wagte es nicht, die Harrier noch höher zu ziehen, um für eventuell noch vorhandene Luftabwehr kein besseres Ziel zu bieten. Aber ehrlich gesagt fand er keine Einträge auf der virtuellen Karte seiner Maschine.
„Jagdfalke an Falkennest“, sagte er mit ruhiger, sonorer Stimme, die seine wirkliche Aufregung Lüge strafte, „der Hausputz ist vorüber.“
„Falkennest, hier Falkennest. Die Turmfalken, die Wanderfalken und die Falken rücken aus. Gehen Sie auf hohe Sicherung.“
„Verstanden, Falkennest.“
Nun erst zog Alexi Valeri die Maschine hoch, ließ sie über die Berge steigen. Schnell rein, schnell raus war die Devise.
Kurz darauf schwebten die ersten Arm Slaves an ihren nachtschwarzen Fallschirmen vom Himmel und begannen ihr tödliches Handwerk.
**
Die Teams gingen rein, stießen auf wenig Widerstand. Robert hatte die Operation unter mehreren verschiedenen Aspekten betrachtet und war immer wieder zum gleichen Schluss gekommen. Gezielt reingehen und permanent An- und Abmarschwege sichern war hier der Schlüssel zum Erfolg. Seine Teams verhielten sich verdammt diszipliniert, was er dieser zusammengestoppelten Truppe nicht wirklich zugetraut hatte. Seine örtlichen Kontakte hatten ihm wirklich die bessere Qualität an mietbaren Soldaten besorgt, die in Tokio verfügbar waren.
Zudem kamen sie mit dem modernen Equipment, mit dem er sie ausgestattet hatte, gut zurecht.
Über die in den Helmen integrierten Kameras konnte Robert ihr Vorgehen sehr gut mitverfolgen. Das Erdgeschoss und der Treppenaufgang waren relativ schnell gesichert. Und im ersten Stock wartete eins ihrer Ziele.
Noch stießen sie auf keinen Widerstand, aber die Alarmsirenen waren ebenso wenig zu überhören, wie es der Einsatz des C4 gewesen war. Die klugen Leute versteckten sich in ihren Büros und Labors, die weniger klugen liefen auf den Gängen umher und behinderten so eventuelle Bewaffnete.

Es kam schneller als er erwartet hatte zum ersten Feindkontakt. Ein einzelner Wachmann feuerte auf die vorrückende Truppe, suchte aber keinen Schutz. Er wurde von zwei schnellen Schüssen zu Boden geschickt.
Wieder fühlte Robert einen gewissen Respekt für seine Einsatzgruppe. Er hätte eher damit gerechnet, dass sie den Mann durchsiebten. Aber nein, diese Leute gingen zielstrebig, exakt und gründlich vor. Und sie verschwendeten keine Munition. Das imponierte ihm.
Der Mann hatte vor einer Labortür Wache geschoben. In dieses Labor drangen nun zwei seiner Leute ein. Sie verglichen die anwesende Person kurz mit den Fotos, die Robert zur Verfügung gestellt hatte und erkannten, dass die Frau mit der Brille Teil eins ihres Auftrags war. Soweit so gut.

Nun wurde die Gruppe doch ernsthaft angegriffen, auf der Treppe in die Zange genommen. Aber die Männer blieben besonnen und konzentriert.
Dies war vielleicht auch der Grund, warum sie die vollkommen überraschte junge Frau, die aus einem Fahrstuhl kam, nicht niederschossen sondern lediglich mit einem schnell gezielten Hieb zu Boden streckten.
Robert Hausen glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die weißblonde Frau war niemand anderes als Theresa Testarossa.
„Mitnehmen“, befahl er leise über sein Komm. Dieser Fang war besser als ein Sechser im Lotto.
Er wechselte auf eine andere Kameraansicht, begleitete den Vorstoß in den Westflügel des ersten Stocks. Zwei Viererteams gaben sich gegenseitig Deckung und hielten gemeinsam zwei Pistolenschützen nieder, die versuchten, in den Gang zu kommen. Es waren keine Wächter, sie trugen zivile Kleidung. Ein europäischer Mann und eine asiatische Frau, wenn Hausen das richtig erkannte. Er schaltete auf Standbild und zoomte die Gesichter heran, während sie die beiden Teams tiefer in den Gang vorarbeiteten. Dauerfeuer auf die Korridormündung hielt die zwei zurück.
Hm, der Mann aus der Schule. Und die Frau… Ja, sie hatte ihn zusammen mit Kim Sanders begleitet.
Nun fehlte zu seinem Glück nur noch, dass die dritte Whispered, das Mädchen mit den langen dunklen Haaren auftauchte und ihnen in die Hände fiel.
Aber Hausen wollte nicht undankbar und gierig sein.
Das eine Team hielt die beiden Zivilisten – oder Söldner von Mithril, was wahrscheinlicher war – mit ihrem Feuer nieder, während das andere in ein bestimmtes Labor eindrang. Kurz darauf kamen sie mit einem leblosen Bündel Mensch wieder hervor. Wieder machte Hausen ein Standbild. Ja. Das war ihre Beute. Die blonde Whispered, die Kumarov hatte entkommen lassen.
„Rückzug“, befahl er ernst.
**
Nach den Harriers kamen die Arm Slaves. Den Giganten hatten die Verteidiger nicht wirklich viel entgegenzusetzen. Die M9 Gernsback machten kurzen Prozess mit den verteidigenden Arm Slaves, obwohl die M6 in der Überzahl waren und von sehr guten Piloten gesteuert wurden. Die beiden Venom-Einheiten, die sie außerdem angriffen, verfügten nicht über den Lambda-Driver, was sie zu einer bevorzugten Beute der Gernsbacks machte.
Der Kampf gegen Panzer, gegen Arm Slaves ausgerüstete Infanteristen und Waffenstellungen dauerte nur ein paar Minuten, dann hatten sie das Gelände gesichert.
Danach flogen die Transporthubschrauber mit den Infanteristen der DANNAN und der FEANOR ein.
Die Truppen sprangen aus geringer Höhe ab, während die Helikopter lediglich knapp über dem Boden langsamer flogen. Sofort formierten sich die Trupps und gingen tiefer auf das Gelände vor. Vereinzelt flackerte Widerstand auf, aber was die Infanterie nicht im Griff hatte, wurde von den M9 gehandhabt.
Siebzehn Minuten nach dem ersten Bombenabwurf galt die Anlage als gesichert.
**
Fasziniert beobachtete Robert Hausen seine angemieteten Truppen, wie sie sich sehr präzise aus dem Gebäude zurückzogen. Sie gaben sich gegenseitig Deckung und achteten vor allem darauf, dass die drei Frauen nicht in die Schusslinie gerieten.
Robert Hausen sprang auf, öffnete die Hecktür des großen Lasters, in dem er seine Kommandozentrale eingerichtet hatte und winkte die Männer mit den drei Frauen heran.
Währenddessen setzten sich die anderen Söldner noch weiter ab, zu Positionen, an denen sie von anderen Fahrzeugen bereits erwartet wurden.
Hausen half dabei, die beiden bewusstlosen Mädchen hoch zu schaffen. Dann reichte er der Wissenschaftlerin die Hand und zog sie in die Höhe.
Neben Hausens Kopf prallte eine Kugel gegen die Seitenwand des Lasters und sauste anschließend als gefährlicher Irrläufer durch den Innenraum, bevor sie von einem Monitor gestoppt wurde. Auf Kosten des Monitors.
Der Deutsche sah auf und begegnete wieder dem Blick dieses Mannes. Ihn begleitete die asiatische Frau, die sich neben das Wachhaus geduckt hatte und auf die sich zurückziehenden Söldner feuerte. Aber der Mann stand aufrecht da, als hätte er keinerlei Angst getroffen zu werden. Sein brennender Blick war selbst über die fünfhundert Meter, die sie beide trennten, zu spüren. Ein Lächeln huschte über Hausens Züge. Hier hatte er sich wohl gerade einen Todfeind geschaffen. „Versuch es doch“, murmelte er spöttisch.
Der Andere lief los, feuerte wieder seine Waffe ab.
„Schatz, hast du kurz Zeit?“, fragte Hausen unbeeindruckt.
„Aber für dich doch immer.“
Zwischen dem Laster und dem Gebäude entstand aus dem Nichts ein Mistral II Arm Slave. Der Gigant französischer Fertigung hob seine Armwaffe und feuerte eine Salve in den Asphalt. „Soll ich ihn töten?“
Der Laster ruckte an und einen winzigen Sekundenbruchteil spielte der Deutsche wirklich mit dem Gedanken… „Nein, Lin, lass ihn leben. Diese Runde geht an mich, und das weiß er ganz genau.“
Er zog die Hecktüren zu und konnte gerade noch sehen, wie sich seine Frau rückwärts zurückzog, die Waffe drohend auf den Mann namens Thomas gerichtet.
Er folgte dem Lastwagen nicht. Noch nicht.
**
„Die Basis ist in unserer Hand“, meldete Captain Karasov und salutierte vor Sho-sa Kalinin. Der bärtige Riese salutierte ebenfalls und betrachtete das Werk der gemischten Truppe. „Danke, Sergej Ivanowitsch.“ Wenn sich der Landsmann über den vertraulichen Ton freute, zeigte er es nicht. Er machte eine einladende Geste zu einem einigermaßen intakt gebliebenen Hangar und setzte sich in Bewegung.
„Wir hatten keine Verluste. Die Arm Slaves und die Super Harrier haben gut vorgearbeitet. Dennoch wurden ein paar Infanteristen verletzt, teilweise schwer. Wanderfalke zwei fliegt sie gerade aus.“
Sie betraten die Halle. In einer langen Reihe knieten über fünfzig Männer in grünem Fleckentarn auf dem Boden, die Hände mit Kabelbinder auf den Rücken gefesselt.
„Dreiundfünfzig Gefangene, einhundertvierzehn Tote. Zumindest soweit wir es bisher entdeckt haben. Dazu Waren im Wert von einhundert Millionen US-Dollar. Ihre Anweisungen, Sho-sa?“
„Lassen Sie die Gefangenen fort bringen. Wir übergeben sie so schnell es geht den örtlichen Behörden. Danach brennen Sie den ganzen Stützpunkt nieder. Mithril braucht nicht eine Schraube von diesem Abschaum.“
„Verstanden, Sho-sa.“
Der Captain blaffte ein paar Befehle und brachte Bewegung in seine Soldaten. Die wiederum trieben die Gefangenen auf die Beine und begannen, sie geordnet hinaus zu führen. Karasov gab weitere Befehle und kurz darauf feuerten zwei Arm Slaves auf eine bereits durchsuchte Halle. Noch während sie einbrach, ging sie in Flammen auf.
„Von diesem Schlag wird sich Amalgam nicht so schnell erholen“, murmelte Kalinin zufrieden.

10.
„NUN HALT STILL!“, brüllte Melissa Mao wütend. Wütend und laut genug, sodass Captain Thomas Kramer tatsächlich stehen blieb. „Durch nervöses Herumlaufen kriegst du die zwei jedenfalls nicht zurück.“
Bei diesen Worten wollte Kramer seine nervöse Wanderung wieder aufnehmen, aber Mao hielt ihn fest. „Stillhalten, habe ich gesagt.“
Thomas gab auf. Stattdessen ließ er Melissa die erneut aufgebrochene Wunde sowie den Streifschuss an rechten Oberarm behandeln. Aber auch wenn er sich nicht bewegte, in seinem Innern tobte es. Als diese Söldner angriffen, hatten sie ihn vollkommen überrascht. Ihn und alle anderen im Safe House. Es hatte Tote gegeben, Tote und jede Menge Verwundete. Dagegen machten sich seine Schussverletzung und die erneut blutende Wunde wie Schrammen aus.
„Danke“, sagte er widerstrebend. Doch die Antwort der Arm Slave-Pilotin hörte er schon nicht mehr. Verdammt, Tessa, Kim! Wie hatte das passieren können? Es hätte gar nicht erst passieren dürfen. Vielleicht, wenn er im Labor geblieben wäre, wenn er die Eindringlinge hätte abwehren können… Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Verdammt, verdammt, verdammt!
„Sieh es ein! Sie haben uns kalt erwischt und das war es. Wir können dankbar dafür sein, dass dich der Mistral draußen auf dem Hof nicht einfach zertreten hat. Und wir können sicher sein, dass es Kim und Tessa gut geht. Sie wollten sie lebend, das ist sicher.“
„Aber dabei belassen wir es nicht“, stellte Thomas zornig fest.
„Natürlich belassen wir es nicht dabei. Tessa ist mehr als meine Vorgesetzte! Sie ist meine Freundin und…“ Übergangslos standen der erfahrenen Soldatin Tränen in den Augen. „Verdammt, verdammt, verdammt!“
Zögernd streckte Thomas eine Hand nach ihr aus, zog sie wieder zurück und berührte dann ihre Schultern. Als hätte er damit ein Signal gegeben senkte sie den Kopf und ließ ihn gegen seine Schulter sinken. „Ich habe versagt. Verdammt, ich habe versagt. Ich war dazu da, um Tessa zu beschützen.“
Thomas legte auch den anderen Arm um ihre Schulter, obwohl das den Streifschuss heftig schmerzen ließ, und drückte sie an sich. „Wir holen sie zurück. Wir holen sie beide zurück, versprochen.“
Alles, was sich Thomas Kramer in diesem Augenblick wünschte, waren ein Arm Slave und eine handfeste Spur. Irgendetwas, was ihn zu diesem europäischen Bastard bringen würde. „Wir holen sie beide zurück“, murmelte er erneut und kämpfte mit seinen eigenen Tränen.

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Whispered II

1.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten eine geheime Versammlung zu sprengen. Sicherlich hatte jeder der Yakuza sie ein- oder zweimal in seinem bewegten Leben hinter sich gebracht, angefangen beim unerwarteten, plötzlichen Tod, weil einer der Kameraden an galoppierender Illoyalität litt, der Oyabun sein Misstrauensvirus mit Blut und Fingergliedern seiner Untergebenen zu beruhigen versuchte… Oder eine Horde Bewaffneter mit unheimlich präziser Planung einfiel, bevor auch nur einer von ihnen einen Finger rühren konnte.
Und eine bei weitem subtilere Art.
Es befanden sich siebzehn Leute in dem etwas abgelegenen Raum der Gaststätte, über vierzig Wachleute standen auf Posten, um dieses wichtige Treffen abzuschirmen. Es war eine Art Gipfeltreffen zwischen einer sehr bedeutenden Tokioter Gruppe und ihrem Gegenstück in Kyoto. Anders ausgedrückt, es ballte sich hier eine Macht, wie sie die meisten Landespolitiker nicht aufzubieten verstanden.
Und es ging auch um Geschäfte und Summen, die eben jene Landespolitiker nachhaltig eingeschüchtert hätten.

In diese Atmosphäre platzte einer der Wächter, stürzte neben seinem Oyabun zu Boden und flüsterte leise mit ihm. Danach legte er drei kleine Barren Feingold neben ihn auf den Tisch. Die Barren, deutlich mit den 24 Karat-Stempel versehen, wogen pro Stück fünf Unzen und hatten damit einen Marktwert von zweitausend amerikanischen Dollar.
Der alte Mann hob interessiert die Augenbrauen. Wer wollte sich hier für viel Geld den Weg an den Tisch erkaufen?
„Entschuldige bitte, Kurusu-tono“, sagte er zu seinem Kyotoer Kollegen, „es kommt gerade was dazwischen.“
Der andere Mann lachte bärbeißig. „Natürlich, Kawamura-tono. Das Geschäft geht vor. Das Geschäft geht immer vor.“
Der Yakuza-Lord nickte seinem Untergebenen zu, der sich sofort wieder erhob und den Raum verließ. Kurz darauf erschien er wieder an der Schiebetür, verneigte sich tief vor den Versammelten im Raum und anschließend in Richtung des Gastes.
Der kam in die Tür, zog seine Schuhe aus und trat in den Raum. Für einen Moment ließ er den Anwesenden Zeit, ihn zu mustern. Europäer, dunkelblondes Haar, gekleidet in einem modischen schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte, weißes Hemd.
Wussten die Yakuza, dass der Europäer nur den Kragen umklappen und einen zusätzlichen Druckknopf schließen musste, um aus dem Anzug ein schwarzes Etwas zu machen, was ihn mit der Finsternis verschmelzen lassen konnte?
Dann verbeugte sich der Mann leicht in Richtung des Oyabun.
Der nickte als Antwort und deutete auf die leere Matte neben sich.

Der Europäer nahm die Aufforderung an und setzte sich neben den Yakuza.
„Entschuldigen Sie die Störung, Tono. Ich hätte Sie gerne zu einer besseren Zeit aufgesucht, aber mein Anliegen ist sehr dringend.“
„Es ist unhöflich, sich nicht vorzustellen“, tadelte der alte Japaner. „Aber was kann man anderes von einem Gaijin erwarten?“
„Mein Name ist Thomas Kramer. Ich arbeite für eine freie Interessengruppe mit internationalen Kontakten.“ Er verneigte sich vor dem Japaner.
„Und diese Interessengruppe heißt?“
„Der Name tut nichts zur Sache.“ Thomas beobachtete die Reaktionen der Anwesenden, die wie er erwartet hatte, durch diese kesse Antwort unruhig wurden.
„Ich bin hier, weil mir gesagt wurde, dass Ihr für meine Fragen die beste Quelle in ganz Tokio seid, Kawamura-tono.“
„Hm? Die beste Quelle wofür, junger Mann?“
„Ich interessiere mich für… Elitesoldaten, Tono. Elitesoldaten mit erstklassiger Infanterieausbildung ohne den Hang wahllos zu töten.“ Thomas kniff die Lippen zusammen.
„So? Und was will Thomas-san mit diesen Elitesoldaten mit erstklassiger Ausbildung und ohne den Hang, wahllos zu töten?“
„Ich will sie aufspüren.“
Ein leises Raunen ging durch den Raum.
Ungerührt griff der Europäer in die Innenseite seines Jacketts, langsam, um seiner Nase nicht ein zusätzliches Atemloch im Hinterkopf zu verschaffen, und zog zwei weitere kleine Barren Gold hervor. „Bitte, Kawamura-tono. Ich bin mir sicher, wenn sich eine solche Truppe in Tokio aufhält, wenn eine solche Truppe in Tokio aktiv wird, dann wird Kawamura-tono wissen, wer sie sind, wo sie sich befinden und wer sie angeworben hat.“
Thomas Kramer schmunzelte. „Oder es herausfinden können.“
„Was würdest du tun, Thomas-san, wenn es meine Leute waren?“, fragte der Oyabun geradeheraus.
„Dann würde ich fragen, wie teuer die Information ist, wo sie sich jetzt gerade befinden.“
Die beiden Männer maßen sich mit ihren Blicken ab.
Schließlich beugte sich der Oyabun vor und strich die beiden Platten ein. „Hinterlass deine Handy-Nummer bei meinen Untergebenen, Thomas-kun. Ich werde dich so schnell wie ich die Information bekomme anrufen lassen.“
Der Europäer nickte, verbeugte sich leicht und erhob sich schließlich. „Bitte entschuldigen Sie mein Eindringen.“
Er ging zur Tür, zog seine Schuhe wieder an und schob sie zu.
„Das war ein amüsantes Zwischenspiel, Kawamura-tono!“, rief Oyabun Kurusu erfreut. „Und so einträglich für dich.
Das Lächeln auf dem Gesicht des Yakuza aus Tokio verschwand. „Sakai!“
„Tono!“
„Prüfe das! Und gib mir so schnell wie möglich Nachricht! Eine Elite-Einheit, die in Tokio ihrem Geschäft nachgeht, ohne unsere Familie zu informieren ist eine Gefahr!“
„Tono!“ Der Yakuza erhob sich und verließ ebenfalls den Raum.
Der Yakuza aus Kyoto wurde blass. „Du nimmst die Worte des Gaijin ernst, Kawamura-tono?“
Der Oyabun aus Tokio sah auf die Goldbarren hinab. „Es wäre leichtsinnig, ihn nur für einen Spinner zu halten, der sich für hunderttausend Yen den besonderen Kick holt, Kurusu-tono.“
**
„Was sollte das, Sousuke?“, blaffte Thomas in seinen Kommunikator, kaum das er die Gaststätte verlassen hatte. „Wenn einer der Yakuza den Lichtpunkt deines Laserzielsuchgerätes auf der Stirn des Oyabun gesehen hätte, wäre ich da drinnen Fleischwurst gewesen!“
Schwer atmend lehnte er sich gegen die nächste Wand, während fünf schwarz gekleidete Gestalten über die Mauer des Gartens der Gaststätte kletterten und sich geordnet zu einem wartenden Truck zurückzogen. Aus einem Baum sprang ein anderer herab, in der Hand ein wuchtiges Snipergewehr.
Vom Dach des gegenüberliegenden Hauses kam ein weiterer Mann herab.
„Willst du eine rauchen?“ Sho-so Mao hielt dem Deutschen eine Zigarettenschachtel unter die Nase.
„Danke, ich rauche nicht. Aber ein Schnaps wäre jetzt nicht schlecht.“
„Das war ich nicht, Thomas.“
„Schnaps habe ich leider nicht. Aber ich halte Weber für dich fest, wenn dir das hilft.“
Der Angesprochene hob abwehrend eine Hand, während sie nebeneinander ebenfalls zum Truck gingen. „Nur ein Versehen. Ich hatte Infrarot eingestellt, um die Entfernung zu messen. Als der Opa dann fragte, was passiert wenn es seine Leute sind, die wir suchen… Ich dachte, ich müsste vielleicht schnell handeln.“
Wütend sah der Captain den anderen Deutschen an. „Akzeptiert. Hauen wir hier ab, bevor doch noch ein Unglück geschieht. Melissa, lass die anderen drei Gruppen ebenfalls abrücken.“
„Verstanden.“

Fünf Minuten später rumpelte der Truck über die Straßen der nächtlichen Gigantmetropole Tokio.
„Und was jetzt?“, fragte Melissa leise.
„Was, jetzt? Wir lassen die Yakuza bei unserer Arbeit helfen. Nachdem Sousuke neulich eine ganze Gruppe hoch genommen hat, wird ihnen jeder Infanterietrupp in ihrem Revier vorkommen wie Süßes auf einen blank liegenden Zahnnerv. Das heißt aber nicht, dass wir uns auf die faule Haut legen können. Nicht, dass das auch nur einer von uns will, solange Kim und Tessa irgendwo da draußen sind.“
Ein lauter Knall erklang, als Sousuke mit geballter Faust gegen das Blech des Containers schlug.
„Andererseits sollte einige von uns ruhiger werden.“
„Du hast gut reden!“, blaffte der Arm Slave-Pilot. „Du hast sie ja Tessa entführen lassen! Wenn ich da gewesen wäre, dann…“
„Halt die Klappe, Sousuke! Ich war dabei, ich habe Seite an Seite mit Thomas gekämpft! Wir hatten nicht den Hauch einer Chance und konnten uns bestenfalls abknallen lassen! Hätte dich das glücklich gemacht? Wäre das so besser gewesen?“
Mühsam entkrampfte der Gun-so seine Hände. „Nein. Natürlich nicht. Entschuldigt, bitte. Aber…“
„Schon klar. Dir macht es zu schaffen, dass Tessa schon wieder entführt wurde“, warf Kurtz Weber ein. „Denkst du, uns geht das weniger an die Nieren?“
„Von Kim mal ganz zu schweigen!“, blaffte Thomas wütend. „Oder habt ihr sie schon vergessen?“
„Niemand hat Kim vergessen. Aber wir kennen sie erst wenige Tage, und Tessa ist unsere Freundin, also machen wir uns mehr Sorgen um sie, das ist doch nur natürlich“, sagte Melissa sanft.
„Ich kenne sie auch nur ein paar Tage, und trotzdem mache ich mir um sie nicht weniger Sorgen als um Tessa“, hielt Thomas dagegen. „Verdammt, ich habe ihr mein Wort gegeben, das ihr nichts passiert. Ich habe ihr mein Wort gegeben, das ich auf sie aufpasse.
Eine Spur. Lieber Himmel, ich will doch nur eine winzige Spur.“
„Mehr wollen wir alle nicht, Thomas“, wandte Melissa ein.

2.
„Aua.“ Theresa Testarossa fuhr hoch und hielt sich den schmerzenden Schädel. „Was ist passiert?“ Ihr Blick ging durch den kahlen, schmucklosen Raum mit der Stahltür. Eine einsame Neonröhre verbreitete schummriges Licht und entriss ein zweites Bett der Dunkelheit. Fenster gab es keine.
„Sie haben uns entführt“, sagte die junge Frau, die auf dem zweiten Bett hockte. Sie hatte die Beine an den Körper gezogen und umklammerte sie mit beiden Armen.
„Sie? Wer ist sie?“
„Weiß nicht“, hauchte die junge Frau zurück.
„Kim? Geht es dir gut?“
„Wie soll es mir gut gehen?“, fauchte die blonde Frau. „Ich wurde entführt! Wir wurden entführt! Wer weiß, was sie noch mit uns machen werden? Das letzte Mal als mir das passiert ist, lag ich später in einem Tank und war dem Wahnsinn nahe! Ich…“ Sie schluckte heftig, begann kurz zu hyperventilieren und stark zu schwitzen.
„KIM!“ Tessa schwang sich aus dem Bett und kam zu der anderen Frau herüber. „Kim, was ist mit dir?“
„Sch… Schon gut. Für einen winzigen Moment habe ich… Habe ich etwas gesehen, was… Was vor der Zeit im Tank spielt. Es war so verwirrend, so…“ Wieder schluckte die junge Frau heftig, die vor nicht einmal einer Woche aus den Händen eines Waffenschiebers gerettet worden war. „Thomas, warum hast du dein Versprechen nicht gehalten? Warum hast du mich nicht beschützt?“ Übergangslos brach sie in Tränen aus.
Theresa zögerte einen Moment, dann setzte sie sich auf das Bett und zog die junge Frau zu sich heran. Sie umarmte die andere und flüsterte: „Ruhig, Kim. Ich bin mir sicher, er und die anderen stellen gerade ganz Tokio auf den Kopf um uns zu finden.“

Eine Zeitlang verbrachten sie so, Kim leise schluchzend und Tessa mit der tröstenden Umarmung und aufmunternden Worten. Endlich hatte sich die junge Frau wieder etwas gefangen. Sie sah aus verheulten Augen zu der Kommandantin der DANNAN herüber. „Danke, Tessa.“
„Keine Ursache. Bis Thomas und die anderen uns hier rausgeholt hat, passe ich eben auf dich auf.“ Theresa kniff lächelnd die Augen zusammen.
„Danke, das ist nett, Tessa. Aber sag mal… Mich haben sie direkt aus dem Labor entführt. Aber wie haben sie dich erwischt?“
Verlegen legte die weißblonde Italienerin eine Hand an den Hinterkopf und lächelte verschmitzt. „Das war ein dummes Versehen. Als der Alarm losging wollte ich in den Keller runter zu dem Personenschutzbunker. Aber dann ging die Fahrstuhltür ausgerechnet auf dem Stockwerk auf, in dem die Angreifer waren. Ich glaube, ich kann froh sein, dass sie mir nur eine mächtige Beule verpasst haben, und keine Kugel.“
Erschrocken sah Kim die andere an. „Das nenne ich wirklich Pech. Aber wenigstens hast du es jetzt hinter dir. So ein großes Pech hat man nur einmal im Leben.“
„Äh…“ Verlegen sah Tessa zur Seite. „Vermutlich hast du Recht.“ Etwas leiser fügte sie hinzu: „Schön wäre es jedenfalls.“

Die Tür öffnete sich und die Neonröhre flammte zu voller Leistung auf. Geblendet schlossen die Mädchen ihre Augen.
„Na? Seid ihr zwei endlich wach?“
Theresa blinzelte, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Vor dem Bett stand eine große, asiatische Frau mit langem schwarzen, zu einem schweren Zopf gebundenem Haar und lächelte zu ihnen herab. Sie trug ein traditionelles chinesisches Kleid, hoch geschlitzt und bedeckt mit goldenen Drachen auf hellrotem Grund. „Geht es euch beiden gut?“
Verwirrt sahen sich die beiden Mädchen an. „Wir brauchen nichts außer unserer Freiheit.“
Die Asiatin runzelte die Stirn. „Ausgerechnet damit kann ich nicht dienen. Aber wie wäre es mit etwas zu essen, einem Bad, Kaffee?“
Die Aussicht auf feste Nahrung ließ Kims Magen aufknurren. Tessa aber starrte die Fremde ärgerlich an. „Nein, danke. Wir brauchen nichts von alldem.“
Die große Frau verdrehte die Augen. „Meinetwegen. Wie wäre es dann, wenn Ihr dieses Loch verlasst und mit rauskommt?“
Der Blick zwischen Tessa und Kim war mehr als irritiert. Sie sahen sich überrascht an. „Ich dachte“, begann Kim, „ich dachte, dies hier ist unsere Zelle.“
„Nein, hier haben wir euch nur her verfrachtet, bis ihr beide aufgewacht seid.“ Sie seufzte viel sagend. „Wenn man in Panik ist, entwickelt man gespenstische Kräfte. Und ehrlich gesagt hatte ich nicht vor, das Gästezimmer später wieder aufräumen zu müssen. Also, kommt ihr zwei?“
„Was erwartest du? Ihr habt uns entführt und… Und… Und…“
„Und?“ Sie lächelte Tessa freundlich an.
„Und… Und jetzt erwartest du, dass wir mitgehen? Das wir was essen? Das wir baden?“
„Ja, ich weiß, ich bin eine wirklich üble und durchtriebene Person, dass ich all diese schrecklichen Dinge von euch verlange. Alleine der Kaffee ist ja schon von Menschenrechtsorganisationen geächtet“, antwortete sie mit spöttischem Lächeln.
Tessa wurde rot. „D-du weißt genau, was ich meine! Sei gefälligst nicht so nett zu uns!“
Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn ihr zwei es wirklich wollt, könnt ihr auch hier drin bleiben. Ich sperre einfach ab und wir warten, bis unsere Auftraggeber euch einsammeln. Aber ich versichere euch, draußen ist es viel angenehmer.“
Sie wandte sich um und ging voran. „Also, es liegt an euch, Theresa Testarossa und Kim Sanders.“

Die beiden Mädchen wechselten einen langen Blick. Kim sprang schließlich auf. „Wir kommen mit. Schlechter als hier kann es draußen auch nicht sein.“
Tessa sprang ebenfalls auf, soweit das ihr enger Rock zuließ und eilte der anderen Whispered hinterher. Sie kamen in einen engen, schlecht beleuchteten Gang.
Die Unbekannte führte sie hindurch, eine Treppe hinauf, mitten hinein in Tageslicht.
„Dies ist ein Landgut meiner Familie“, sagte die Asiatin ernst. „Im Haus patrouillieren zwei meiner Leute. Das Gelände ist videoüberwacht und es werden permanent zwei Arm Slaves bereitgehalten, um auf Notfälle zu reagieren. Draußen gehen noch mal vier Mann Streife.“ Sie sah die beiden Mädchen an. „Ihr dürft euch innerhalb des Hauses ungestört bewegen. Meine Männer sagen euch schon, in welche Räume ihr nicht dürft.
Es ist gerade zwanzig nach acht, Frühstück gibt es immer gegen halb neun. Mittag pünktlich um zwölf. Wer mag, ich habe immer Kuchen im Haus, Tee und Kaffee stehen nachmittags immer bereit. Abendessen ist auf achtzehn Uhr angesetzt.“
Die beiden Mädchen folgten staunend durch einen Korridor, der mit Gemälden, kostbaren Statuen und anderen Antiquitäten gefüllt war. Sie kamen in ein großzügig eingerichtetes Wohnzimmer, dessen riesige Fensterfront dem Sonnenstand nach zu urteilen nach Süden ging.
Ein großer Mann mit grauen Schläfen erwartete sie. In der Hand hielt er einen Becher mit dampfendem Kaffee. „Ah, Lin. Sind unsere Schätzchen also schon wach. Und, wie geht es ihnen?“
„Das kannst du sie auch selbst fragen, Robert.“ Die Frau namens Lin schmunzelte und deutete auf die Couchecke, die einen wirklich wundervollen Blick auf den Garten mit einem riesigen Teich bot. Der Mann namens Robert hatte in einem Sessel Platz genommen, die Fenster im Rücken und deutete ebenfalls auf die Couch. „Bitte, Kim, Theresa, setzt euch.“
Zögernd folgten die beiden jungen Frauen der Aufforderung. Es machte wenig Sinn, Lin aus dem Keller zu folgen und nun störrisch zu sein.
„Ich gehe dann das Frühstück vorbereiten. Soll ich vorher Tee oder Kaffee bringen?“
„Haben Sie Fruchtsaft?“, fragte Theresa zaghaft.
„Natürlich. Und du, Kim?“
„Kaffee ist in Ordnung. Thomas trinkt auch immer…“ Sie schluckte hart, um diese Erinnerung zu verdrängen.
Lin lächelte, vergewisserte sich, dass die Mädchen wirklich Platz genommen hatten und verließ den großen Raum durch eine andere Tür.

„Und was kommt jetzt?“, fragte Theresa leise. „Fragen Sie uns, ob wir uns schon eingelebt haben? Ob uns der Garten gefällt? Sagen Sie so was wie fühlt euch doch bitte hier wohl?“
„Ich gebe zu, ihr zwei habt allen Grund, ärgerlich zu sein. Teufel, wenn mich jemand entführt hätte, wäre ich wahrscheinlich stinksauer. Oder zu Tode geängstigt. Oder beides.
Aber die Sache war ein Auftrag. Und niemand bezahlt mich nun dafür, dass ich euch verhungern, verwahrlosen oder verdursten lasse.
Ich kann euch nicht sagen was mit euch geschieht, wenn mein Auftraggeber euch abholt. Aber zumindest hier habt ihr nichts zu befürchten.“
„Wie nett“, merkte Kim an. „Die Hölle ist also nur aufgeschoben.“
„So ist das Geschäft“, entgegnete Robert ernst.
„Und? Wann wird der Auftraggeber uns abholen?“, hakte Theresa nach.
„Ich habe noch keine Antwort auf meine Nachricht erhalten. Und ich erwarte auch so schnell keine. Mein Auftrag hatte ein Zeitfenster von zwei Wochen. Davon sind erst vier Tage vergangen. Es kann durchaus noch ein paar Tage dauern, bis eine Entscheidung getroffen wird. Und noch einige Tage, bis man euch wegholt.“
Theresa unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Statisch an einem Ort zu bleiben bedeutete, Möglichkeiten auszukundschaften, Pläne zu schmieden und zu fliehen. Sie war darin sicher nicht so gut wie Sousuke oder Melissa, aber es war eine Chance. Es war besser, als schwer bewacht wie ein Stück Transportgut von Ort zu Ort verfrachtet zu werden, niemals zu wissen wo man war, nicht die Möglichkeiten einschätzen zu können, die vielleicht zur Verfügung standen.
„Wie nett. Ihr Auftrag lautet uns zu entführen. Und bis Sie Ihre Beute abgeben können, sind Sie nett zu uns. Wirklich wundervoll, Robert. Das war doch der Name, oder?“, stellte Kim mit Bitterkeit in der Stimme fest.
„Wie ich schon sagte, es ist ein Geschäft.“
Tessa straffte sich merklich. „Nun gut, wenn es ein Geschäft ist, vielleicht kann ich dann etwas mit einer feindlichen Übernahme erreichen. Wie viel würde es kosten, Ihren Vertrag zu übernehmen?“

Für einen Moment wirkte der Söldner irritiert. Dann schüttelte er den Kopf. „Tut mir Leid, Theresa, aber ich kann es mir mit diesen Leuten nicht verderben. So mächtig bin ich nicht, dass ich mitten in einem Auftrag abspringen könnte. Vor allem nicht mit der Beute in der Hand.“
„Mithril zahlt das Doppelte!“ Ihr Blick wurde hart und fixierte den des großen Mannes mit den grauen Schläfen. „Und einen Bonus obendrauf, wenn Sie und Lin uns zurückbringen, bevor meine Leute richtig sauer werden!“
Sie dachte an Sousuke, und für einen winzigen Moment war sie sich sicher, absolut sicher, dass der Junge die ganze Stadt nach ihr auf den Kopf stellte. Nicht weil sie seine Vorgesetzte war, nicht weil er ihr etwas schuldete, sondern weil sie Freunde waren. Dieser Gedanke beruhigte, aber sie unterdrückte ihn, bevor er ihr Pokerface ruinieren konnte. „Also?“
Robert sah zu der Asiatin herüber, die mit einem Tablett zurückkam. „Was meinst du, Schatz?“
„Denkst du nicht, du hast bereits genügend Feinde? Musst du Amalgam nun mit Gewalt aufnehmen?“ tadelte sie ihn, während sie die Getränke servierte. „Andererseits warst du mit der Verbindung zu Amalgam nie wirklich glücklich. Und du weißt, ich folge dir überall hin.“
Robert griff nach seinem Kaffee und trank nachdenklich einen Schluck.
„Der Kaffee ist noch kochend heiß!“, rief Lin entsetzt.
„So? Dann sollte ich langsamer trinken.“
„Manchmal frage ich mich, ob es etwas in dieser Welt gibt, was dich aus der Ruhe bringen kann, Schatz.“
Robert lächelte nachdenklich. „Ich habe mir die Zunge verbrannt.“
„Und Sie verbrennen sich auch noch die Finger, je länger Sie uns hier festhalten“, fügte Theresa ernst hinzu.
„Es scheint, vollkommen unbeschadet wird niemand aus diesem Auftrag herauskommen“, murmelte Robert und zog die Augenbrauen zusammen. „Vielleicht kann ich für dich eine Sonderregelung treffen, Theresa. Du standest nicht auf der Auftragsliste.“
Tessa verstand, mit der Gewissheit einer Person, die einen Vorschlaghammer auf sich zurasen sah. Dennoch ergriff sie ohne zu zögern Kims Hände, bevor sich Entsetzen auf dem Gesicht der jungen Frau zeigen konnte und drückte sie fest. „Der Deal gilt für uns beide oder für keinen.“

Robert nickte schwer. „Es tut mir Leid, aber Amalgam hat mich bisher nie betrogen. Ich weiß nicht, ob ich tief genug sinken kann, um den Rest meiner Ehre fort zu werfen.“
Tessa griff nach ihrem Saft und packte das Glas mit beiden Händen, um das zittern zu verbergen. „Denken Sie schnell nach, Robert. Vielleicht lohnt es sich, diese Ehre fortzuwerfen. Vielleicht gibt es eine neue Ehre für Sie.“
„Vielleicht verbrenne ich mich auch daran“, erwiderte er barsch.
„Apropos verbrennen, irgendwas riecht angebrannt, finde ich“, meldete sich Kim zu Wort.
„DER TOASTER! Robert, ich habe dir so oft gesagt, dass die Arretierung klemmt! Du wolltest dich drum kümmern. Aber nein, jetzt hat er wieder Holzkohle produziert.“ Lin sprang auf und eilte in die Küche. „Das wird übrigens eine von deinen Scheiben!“
„Schatz, warum bist du so grausam zu mir?“
„Für seine eigenen Handlungen muß man ebenso die Verantwortung übernehmen wie für seine Unterlassungen“, spöttelte sie.

3.
„Sie haben was?“
Unwillkürlich duckte sich Thomas unter der wütenden Miene seines Gegenübers, auch wenn es nur eine Videoverbindung war.
„Hören Sie, Commander, ich habe das alles schon mit der Flottenzentrale Südpazifik durchgekaut. Es besteht überhaupt kein Grund, so spät in der Geschichte derart ausfallend zu werden!“
Commander Mardukas rückte seine Brille zurecht und starrte auf den Deutschen nieder. „Lassen Sie mich mal zusammen zählen. Sie haben Ihre Schutzbefohlene an ein Infanteriekommando verloren, ein Safe House der japanischen Regierung wurde verwüstet, ein französischer Arm Slave läuft frei durch Tokios Straßen, und zu allem Überfluss wurde mein kommandierender Offizier entführt! Und Sie erwarten von mir, dass ich nicht ausfallend werde?“
Wieder duckte sich Thomas. Diesmal tat es aber wirklich weh, denn all diese Vorwürfe hatte er sich schon selbst gemacht.
„Ich kann nichts anderes tun als mich dafür zu entschuldigen, Commander Mardukas. Und Ihnen versichern, dass ich bereits alles menschenmögliche tue, um die beiden wieder zu finden. Ihre sichere Rückkehr hat oberste Priorität für mich.“
„So, so. Was zum Teufel haben Sie denn bisher erreicht?“ Der Blick tat schon weh, aber die Stimmlage des erfahrenen Unterseebootfahrers war eine Strafe für sich.
„Ich habe diverse Kontakte zur hiesigen japanischen Mafia geknüpft und sie geschmiert, damit sie mir mehr über dieses Überfallkommando herausfindet. Außerdem habe ich bei den Selbstverteidigungsstreitkräften eine Untersuchung angeregt. Falls eine Elite-Einheit der Japaner im Einsatz war, oder ein befreundetes Land eine solche Truppe in Japan hat, werde ich es erfahren. Dazu habe ich dem Geheimdienst auf die Füße getreten. War es ein neutrales oder feindlich gesonnenes Land, werde ich es auch erfahren.“
„Mein lieber Captain Kramer“, begann Mardukas in seinem gefährlich leisen Tonfall, „Sie gehen also davon aus, dass es sich um reguläre Truppen gehandelt hat und nicht um Söldner.“
„Ja, Sir.“
„Abgesehen davon, dass diese Truppe bereits in alle Winde zerstreut sein kann, haben Sie dran gedacht, dass Miss Sanders und mein Captain bereits außer Landes sein können? Außerhalb Ihrer Reichweite?“
„Ich weiß“, knirschte Thomas und ballte die Hände zu Fäusten.
In einer sehr erschöpften Geste legte der Commander eine Hand an die Stirn und sah zu Boden. „Lassen Sie es gut sein, Captain Kramer. Ich bin sicher, Sie tun alles, was in Ihrer Macht steht. Lassen Sie mich nun mit Sho-so Mao reden.“
„Sir!“ Thomas salutierte und verließ den Raum, der ihnen in Sousukes Wohnung als Kommunikationsraum diente.

Auf dem Flur sah er Melissa an. Sie rauchte immer noch. Oder schon wieder. Auf jeden Fall war sie nervös, aufgeregt und hatte die Nacht nicht geschlafen. Wie sie alle. „Mardukas will dich sprechen.“
Übertrieben dramatisch zog sie an ihrer Zigarette und reichte das Röllchen dann Thomas. „Bin gleich wieder da. Den Anschiss hast du ja schon abgekriegt, hoffe ich.“
Thomas nahm die Zigarette an und nickte. „Aber kräftig.“
Sie nickte ernst, viel zu ernst, und ging zur Videoverbindung im Wohnzimmer.
Thomas ließ sich gegen die Wand sinken und rutschte daran herunter. Die Kippe hatte er sich zwischen die Lippen geklemmt.
„Nanu? Ich dachte, du rauchst nicht.“ Kurtz Weber reichte ihm einen Becher mit heißem Kaffee, ihrem bevorzugten Getränk in der verdammten, langen Nacht.
Dankbar nahm Thomas das Getränk von seinem Landsmann entgegen. „Ich rauche ja auch nicht. Aber die Gelegenheit war zu verlockend, ein wenig auf dem Filter herum zu beißen, den Melissa im Mund gehabt hat.“
„Indirekter Kuss, eh? Du bist ein wenig kindisch, mein Freund. Aber auf die Idee hätte ich auch mal kommen sollen.“
Thomas antwortete nicht. Er hielt in der Rechten den heißen Becher und sah gedankenverloren dem blauen Rauch nach, der an die Decke stieg.

„Hat Sousuke sich schon gemeldet?“
„Hat er. Vor fünf Minuten. Er hat dich und Kim krank gemeldet. Übrigens ist er nicht sehr erfreut darüber, dass er bei der Suche nicht mithelfen kann. Das wird wahrscheinlich der längste Schultag seines Lebens.“
„Daran kann man nichts ändern“, murmelte Thomas leise. „Wir haben jeden Baum in Reichweite geschüttelt. Nun müssen wir warten, bis etwas herunter fällt.“
Müde rieb er sich die Augen mit der linken Hand. „Außerdem muß einer von uns auf Kana-chan aufpassen, oder? Und wer ist dazu besser geeignet als ihr Freund.“
„Das würde ich Sousuke gegenüber besser nicht erwähnen. Bei dieser Geschichte ist er etwas empfindlich“, murmelte Kurtz und grinste breit. „Abgesehen davon, dass er der einzige ist der denkt, seine Zuneigung für sie wäre noch geheim, glaube ich, er würde im Boden versinken, wenn ihm jemand ins Gesicht sagt, was er für unseren Engel empfindet.“
„Jugend. Ist doch eigentlich ne tolle Zeit, was?“
„Du benimmst dich auch gerade nicht besonders erwachsen“, tadelte Kurtz den Landsmann. „Für einen Außenstehenden sieht es gerade so aus, als könntest du dich nicht zwischen Kim und Melissa entscheiden und das ist für beide eine unfaire Situation. Nicht dass ich glaube, Melisse würde etwas anderes mit dir machen als dir den Arsch aufzureißen.“
Thomas lachte dazu. Leider geriet dabei etwas von dem Rauch in seine Lunge, was wiederum einen heftigen Hustenreiz auslöste.
„Wer´s nicht verträgt, soll es lassen“, sagte Melissa müde und nahm dem Captain die Zigarette aus dem Mund. Nachdenklich nahm sie einen tiefen Zug. „Danke fürs aufheben, Thomas.“
„Da nicht für“, erwiderte der Deutsche. „Und was sagt der Eisenfresser?“
„Sie kommen rüber.“
„Wer? Mardukas und Kalinin?“
„Du verstehst mich falsch, Thomas. Sie, das sind die DANNAN und die FEANOR. In dreißig Stunden sind sie im chinesischen Meer.“ Melissa zog an der Zigarette und blies den Rauch in den Flur. „Wir sollten die Söldner bis dahin aufgespürt haben. Wenn ich meinen Arm Slave unter dem Hintern habe, brauche ich ein Ziel, sonst drehe ich durch.“
„Nicht nur du“, murmelte Thomas. „Scheiße, dann muß ich also dem Alten unter die Augen treten.“
Resigniert rieb er sich wieder die Augen. „Und den anderen.“
**
Den kräftigen Nieser ihres Skippers beantwortete die Crew der FEANOR mit einem kollektiven „Gesundheit“.
Johann Sander griff nach seinen Taschentuch, schnäuzte sich und murmelte: „Danke.“
Captain Sergej Karasov, Anführer der Infanterie, reichte dem Skipper einen Tee. „Vorsichtshalber“, murmelte er. „Wir können uns den Ausfall des Kapitäns nicht leisten.“
„Sie übertreiben, mein lieber Sergej“, erwiderte Sander amüsiert. „Erstens würde Sharon einen sehr guten Job als Skipper machen, und zweitens bin ich nicht erkältet. Ich schätze, da hat nur jemand an mich gedacht.“
Lieutenant Commander Allister registrierte den Wortwechsel des Skippers mit dem Schlammstampfer mit einem Stirnrunzeln. Beim Vornamen nannte Sander sie sonst nur unter vier Augen, oder wenn er ein bedeutsames Lob aussprach. „Sir?“
„Schon gut, Commander. Konzentrieren Sie sich auf die Durchfahrt durch die Straße von Malakka.“
„Aye, Skipper.“

Die Straße von Malakka, eine enge Meerespassage zwischen dem Festland von Malaysia und der Insel Sumatra, war eine der befahrensten Passagen der Welt. Wer nicht einen Umweg von zweitausend Kilometern um Sumatra in Kauf nehmen wollte, musste sie nehmen und anschließend ins enge Gewühl der Straße von Singapur eintauchen, einer ebenfalls hoch frequentierten Route, was nicht zuletzt an dem gewaltigen Umschlagshafen des Stadtstaates lag.
Johann machte sich nicht so sehr Sorgen um das Militär oder die Piraterie in dieser Region, als Unterseeboot hatten sie und die DANNAN da eindeutig Vorteile.
Aber im Gewühl der engen Passagen, eingeklemmt zwischen Dutzenden Frachtern, konnte eine Unaufmerksamkeit schnell zu Problemen führen.
Commander Mardukas, der die DANNAN zur Zeit führte, war nicht müde geworden, Sander auf die besonderen Feinheiten der Straße von Malakka hinzuweisen, Untiefen, Riffe, Schiffswracks, Patrouillenwege und dergleichen.
Der Engländer hatte es gut gemeint, aber Johann hatte schwer mit sich ringen müssen, um nicht dem Wunsch nachzugeben, den arroganten Tommy zu erwürgen.
Karasov hob fragend eine Augenbraue, aber der Skipper winkte ab. „Schon gut, Sergej. Nichts, was Sie tangieren würde.“
„Wenn das alles war“, erwiderte der Russe und raffte die Unterlagen zusammen, die er dem Skipper unterbreitet hatte, „dann finden Sie mich in der Verfügung.“
„Ich lasse Sie rufen, wenn es notwendig wird.“
Karasov nickte und wandte sich zum gehen.
„Ach, eines noch, Sergej. Wie macht sich Sam denn so bisher?“
„Nun, von dem, was ich bisher mitgekriegt habe, steht Second Lieutenant Samantha Rogers jederzeit vor einem cholerischen Anfall, und das Lazarett hält wohl schon Infusionen und einen Defibrilator für sie bereit… Aber ansonsten geht es ihr gut.“
„Hm? Freut mich zu hören. Und ich dachte schon, ohne unseren heiligen Thomas würde sie zusammenklappen und nicht wieder hochkommen.“
„Das wohl weniger. Aber neunzig Prozent ihrer Flüche beziehen Captain Kramer und seine Vorfahren mit ein.“
Sander musste lachen. Dabei klopfte er sich vor Vergnügen auf die Schenkel. „Wir sollten aufpassen, dass sie unseren guten Thomas am Leben lässt.“
„Vielleicht sollten wir die beiden auch aufeinander treffen lassen und abwarten was passiert“, erwiderte Sergej mit dem feinen Grinsen, welches schon gestandene Männer dazu gebracht hatte, etliche großen und kleinen Verfehlungen im Dienst zu beichten – ob ein Verdacht gegen sie bestand oder nicht.
„Auch keine schlechte Idee.“
Karasov grinste, tippte an seine Mütze und verließ die Brücke.

Die DANNAN lag gerade eine gute Seemeile vor ihnen. Commander Mardukas hatte darauf bestanden, die Führung zu übernehmen und die FEANOR durchzulotsen. Auf dem Abstand von einer Meile hatte er bestanden, weil die Boote in Verbandsfahrt leichter zu orten waren. Bei der Stealth-Technologie, welche für die Schiffe der DANNAN-Klasse angewandt worden war das nicht wirklich ein Problem. Aber man musste es dem Gegner – wer immer es gerade war – nicht aus Prinzip leicht machen.
„Ah, Major Karasov“, hörte der Russe die vertraute Stimme von Lieutenant Colonel Santos. Er blieb stehen und wartete auf den dicklichen Spanier.
Der recht große Mann hielt sich verbissen an die Tradition der Navy, dass es an Bord eines Schiffes nur einen Captain gab – und das alle anderen Dienstränge in ihrer Zeit an Bord ehrenhalber mit dem nächst höherem Rang angesprochen wurden.
Lächelnd wischte sich Miguel Santos den Schweiß von der Stirn. „Es scheint so, als würden wir in ein wirklich nettes Klima fahren, nicht wahr? Ich habe mir sagen lassen, das Wasser da draußen hat fünfundzwanzig Grad. Ich hätte wirklich Lust, den Skipper zu bitten die FEANOR auftauchen zu lassen und uns ein paar Stunden Badeurlaub zu gönnen.“
Als der Spanier die saure Miene des Infanteristen sah, murmelte er: „Nur ein Witz, Major.“
„Was? Nein, das ist es nicht, Colonel. Aber die allgemeine angefressene Laune an Bord macht mir zu schaffen. Der Skipper hat Commander Mardukas gefressen, Commander Allister kaut die Besatzung der Brücke das dritte Mal in Folge durch, Lieutenant Rogers jammert rum, dass man ihr am liebsten den Ruhestand bescheren möchte, und vom Rest will ich gar nicht erst anfangen. Unter diesen Umständen wäre ein Badeurlaub keine schlechte Idee.“
„Sie sollten noch den taktischen Offizier einfügen“, sagte Santos mit plötzlich ernster Miene, „der gerade die Analyse sämtlicher Aufzeichnungen über den Überfall auf das Safe House beendet hat.“

Die beiden Männer wechselten einen stummen Blick. „Was haben Sie herausgefunden?“
„Ich werde empfehlen, Captain Kramer nachhaltig zu rügen. Seinen Sold zu kürzen, wenn nötig, und wenn er uneinsichtig ist, ihn zu degradieren.“
Karasov hob fragend beide Brauen hoch.
„Nein, deswegen nicht. Der heilige Thomas hat weder gekniffen noch gravierende Fehler gemacht. Aber auf einer Außenaufnahme ist leider sehr deutlich zu sehen, dass dieser deutsche Betonschädel ohne Deckung auf dem Vorplatz stand und für jeden Scharfschützen ein mehr als deutliches Ziel war. Vom Mistral II, der kurz darauf auftauchte und ihn mit einem beiläufigen Ausfallschritt in einen großen Haufen Mett verwandeln konnte, ganz zu schweigen. Dafür, dass er einfach nur stehen blieb, um seinen Gegnern dramatisch hinterher zu schauen, braucht der Junge dringend eine Tracht Prügel. Dies hier ist kein schlechter Film und er ist auch nicht der Held, dem nichts passieren kann, bis er dem Endgegner gegenüber steht.“
„Verstehe.“ Karasov rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Aber ansonsten kann ich ihm nichts vorwerfen. Weder von taktischer Seite, noch von seinem Engagement her. Ich habe mich bereits mit Major Kalinin unterhalten, der die Videodaten ebenfalls analysiert hat. Er hat zwar was davon geflucht, dass verdammte Arm Slave-Piloten es nicht vergessen sollten, wenn sie nicht in ihren Wannen sitzen, aber im Großen und Ganzen stimmt er mir zu.“

Die beiden setzten sich wieder in Bewegung, Richtung Hangar der FEANOR.
„Es ist gut zu wissen. Und es wird Sam beruhigen. Als ich sie zuletzt gesehen habe, hat sie bereits Fingernägel gekaut.“ Der Russe hob die Rechte und zeigte eine Stelle am zweiten Knöchel seines Zeigefingers. „Bis hier.“
Der Spanier verkniff sich ein grinsen.
Sie betraten den Gang, der direkt zum Hangar führte.
Schon von weitem hallte ihnen die Stimme von Timothy Scott entgegen.
Die beiden Männer sahen sich verwundert an. Eher hätten sie Sam erwartet, die übernervös ihre Leute zusammenbrüllte.
Danach klang die Stimme von Captain Valeri auf, dem Chef der Super Harrier-Staffel. Nach seiner Leistung in der Kingdom Sahara-Sache war er befördert worden, aber anscheinend nicht einen Deut leiser oder umsichtiger.
Darauf antwortete wieder First Lieutenant Scotts Stimme auf.
Stirn runzelnd sah Karasov dem Colonel an, der ratlos die Schultern hob.

Als sie den Hangar betraten, offenbarte sich ihnen eine mehr als merkwürdige Szene. Scott und Valeri standen sich gegenüber, umringt von ihren Leuten, Technikern und Arm Slave-Piloten und brüllten sich abwechselnd an.
Sam Rogers stand daneben und versuchte mit dünner Stimme zu schlichten.
„Also, DAS hätte ich nicht erwartet“, stellte Karasov fest. Er lächelte schmal, und wer ihn kannte, der wusste, dass dieses Lächeln nichts Gutes verhieß. Nicht für jene, die es sehen mussten.
Doch es war Santos, der zuerst handelte.
„ACHTUNG!“
„Können Sie mich nicht vorwarnen, Colonel?“, beschwerte sich der Russe und bohrte sich demonstrativ mit dem rechten Zeigefinger im Ohr. „Ich werde noch taub, wenn Sie das öfters mit mir machen!“
Über die ernste, ja, böse Miene des Spaniers huschte ein unauffälliges Lächeln. Zugleich erwachten die Protagonisten im Hangar aus ihrer erschrockenen Starre, erkannten den Colonel und den Captain und nahmen Haltung an.
Santos lächelte nun offener. Genauer gesagt auf eine brillant fiese Art, die man an ihm nicht kannte. Und das Schlimme war, dieses Lächeln schien ihm auch noch Spaß zu bereiten.
„Ich frage das nur ein einziges Mal. Was ist hier los?“
„Es ist Scotts Schuld, Sir! Er…“
„ANSTÄNDIGE MELDUNG!“
„Sir! First Lieutenant Scott und ich reflektieren über den letzten Einsatz gegen Amalgam auf Sri Lanka und analysieren gegenseitig unsere Leistungen. Dabei traten diverse Kritikpunkte auf, die wir nun diskutieren!“
„Müssen Sie dafür die Aufmerksamkeit den ganzen Hangars einnehmen?“, blaffte der Colonel scharf. Unwillkürlich wichen die Anwesenden mit schwächeren Nerven einen Schritt zurück.
Der russische Harrier-Pilot schluckte hart. „Nein, Sir. Wir… Wir sind wohl etwas laut geworden, als es um die Luft/Boden-Koordination ging!“
„Sir, wenn ich etwas dazu sagen darf. Der Fehler liegt bei mir und meinen Gernsback. Die Einweisung war ohne Captain Kramer nicht optimal, also kam es zu Fehlschüssen“, mischte sich Rogers kleinlaut ein. „Und…“
„Aber das ist doch gar nicht wahr! Dieser verrückte Jet-Pilot kann eben einfach nicht zielen!“, blaffte Timothy Scott aufgeregt.
„Aber du hast besser ausgesehen, ja? Du könntest ja ohne Einweisung nicht mal ein Scheunentor mit einer Pistole treffen, wenn du mit der Nase gegen pappst!“, hielt der Russe dagegen.
„ACHTUNG!“, blaffte der Spanier wieder.
Karasov schmunzelte dünn. Er kannte Miguel jetzt mitterweile drei Jahre und war sehr gespannt, welche Lösung der Mann ausgearbeitet hatte.
Wieder nahmen die Männer und Frauen Haltung an.
„Major Valeri. Kartoffeln schälen.“
„Aber Sir…“
„First Lieutenant Scott. Gemüse waschen.“
„Ich habe doch gar nichts…“
„RUHE! Second Lieutenant Rogers. Zwiebeln schälen.“
„Aber sie hat doch überhaupt nichts damit…“, begehrte Scott auf.
„Soll ich sie auslassen, weil sie in diesem Streit die leiseste war?“, fragte Santos ernst. „Ich glaube nicht. Und jetzt Ausführung. Ich erwarte, dass das Mittagessen pünktlich auf dem Tisch steht. LOS! LOS! LOS!“
Die beiden Männer und die junge Frau zögerten einen winzigen Sekundenbruchteil, dann sprinteten sie los.
„Der Rest geht wieder an die Arbeit! LOS! LOS! LOS!“

„Junge, Junge“, schmunzelte Karasov, während er dabei zusah wie die Leute wieder an ihre Arbeit stürzten, „sollte ich mal wieder Probleme mit Rekruten haben, helfen Sie mir dann mal aus, Colonel? Beeindruckend, beeindruckend.“
Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Also, was war los?“
„Sam hat Fehler gemacht. Beim Angriff auf Sri Lanka. Nichts gravierendes, aber sie hat ihren Job nicht so gut gemacht wie Thomas es getan hätte. Es ist kaum der Rede wert. Aber sie macht sich deswegen Vorwürfe. Vor allem weil sie sich Sorgen um Thomas macht, Sorgen um Tai-sa Testarossa und Sorgen um unsere Jane Doe.
Die anderen haben darauf reagiert, auf ihre ganz eigene Art und mit einer dümmlichen Form von Beschützerinstinkt.
Aber es ist ein Zeichen ihres Zusammenhalts, mit dem sie zu ihrer Kameradin stehen. Deshalb habe ich sie alle drei zusammen bestraft.“ Santos grinste schief. „Stärkt auch den Zusammenhalt.“
„Und der Preis ist der Mittagstisch. Ich glaube, ich danke Gott für die Mikrowelle in meiner Kabine und die Erfindung der Fertigpizza.“
„So schlimm wird es schon nicht werden“, wiegelte der Colonel ab. „Sie schälen und schneiden ja nur, sie kochen nicht.“
„Schlimm genug“, konterte der Russe.
Die beiden Männer schmunzelten sich an.
**
„Ne, Kana-chan, weißt du was mit Kramer-sensei los ist? Ich meine, er ist nicht da, und Kim-chan ist nicht da…“
„Kyoko!“
„Aber der Gedanke drängt sich doch auf. Er ist doch hier um auf sie aufzupassen. Und jetzt fehlen beide entschuldigt, und da muß man doch drüber nachdenken, ob die beiden nicht… Yaaa, ich kann gar nicht dran denken!“
„Kyoko!“
„Ach komm, Kana-chan, du hast da doch auch schon dran gedacht. Und diese Variante bietet sich ja auch an, nicht, Sousuke-kun? Sousuke?“
Die kleine Schülerin mit der Brille äugte zu Sagara herüber, der von der Konversation anscheinend nichts mitbekommen hatte. Stattdessen hing er mehr als er saß in auf seinem Stuhl und döste.
„SOUSUKE!“
„ICH BIN VOLL DA!“, rief der Arm Slave-Pilot, sprang auf und stieß dabei unglücklich mit dem linken Knie unter seinen Tisch. Mit einem lauten Schmerzenslaut landete er wieder auf dem Stuhl. Trotzdem ging der Blick des Gun-so suchend durch den Raum, um die Gefahr zu finden, die ihn aus seinem Dämmerschlaf gerissen hatte.
„E-entschuldige, Sousuke-kun, ich wollte dich nicht erschrecken.“
Erleichtert sackte Sagara in sich zusammen. „Ach. Du bist das nur.“ Er umklammerte sein Knie und brummte enttäuscht.
Für einen Moment wirkte die zierliche Kyoko wütend, erleichtert und sauer, aber sie fing sich schnell wieder und packte erneut ihr sonniges Gemüt aus. „Wir haben uns gerade darüber unterhalten, dass sowohl Kramer-sensei als auch Kim-chan fehlen. Und einige hier in der Klasse glauben…“
„Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!“, blaffte Sagara hart. „Kramer-sensei ist in einer langwierigen Besprechung mit seinem Arbeitgeber und hat sich dafür freistellen lassen. Und Sanders ist mit Theresa unterwegs. Die beiden sind befreundet und haben sich verabredet. Ich wusste vorher nichts davon und…“
„Sousuke…“ Kaname stand auf und kam zu Sagara herüber. „Sousuke, ist das die ganze Wahrheit?“ Sie musterte den Arm Slave-Piloten mit ihrem düstersten Blick, ein Blick, der ihm normalerweise Schweißausbrüche bescherte.
„Mehr habe ich nicht dazu zu sagen“, konterte er ruhig.

Kaname schluckte hart. „Du hast es gehört, Kyoko. Ahaha. Ha, ha. So sieht es aus und nicht anders. Jetzt geh wieder auf deinen Platz, die nächste Stunde beginnt gleich.“
„Ich finde es trotzdem auffällig“, murmelte die Brillenträgerin ärgerlich, fügte sich aber.
„Sousuke. Als Theresa und Kim gestern nicht nach Hause gekommen sind… Wie schlimm ist es?“
„Richtig schlimm. Aber Thomas ist dran. Melissa und Kurtz auch.“
Betroffen schielte sie zu Sagara herüber. „So schlimm also? Kann ich helfen?“
„Ja, sorge dafür, dass ich früher gehen kann.“
„Kein Problem!“ Ihre Faust zuckte vor und traf den unvorbereiteten Sagara genau in der Magengrube. Seine Reflexe griffen nicht, also wurde er voll erwischt. Er schlug so laut auf der Tischplatte auf, dass das Geräusch die ganze Klasse herumfahren ließ.
„Sousuke geht es nicht gut. Ich bringe ihn auf die Krankenstation. Kyoko, sag bitte Kagurazaka-sensei Bescheid.“
„Ist gut, Kana-chan. Ist es ernst?“
Kaname winkte beruhigend ab. „Ach, das wird schon wieder, Sousuke ist so zäh.“
„S-soll ich vielleicht helfen?“, bot Kazama unsicher an.
„Lass nur, Shinji, dieses Fliegengewicht schaffe ich alleine.“
Kaname stemmte sich unter Sagaras Arm und hob ihn hoch. Mit ihrer Last verließ sie den Klassenraum durch die hintere Tür.

„Musstest du so hart zuschlagen?“
„Was willst du denn? Du bist doch auf dem Weg zur Krankenstation. Und von dort ist es nur ein kleiner Schritt, bis du aus der Schule raus bist und Thomas helfen kannst. Das wolltest du doch, oder?“
„Aber musstest du dafür so hart zuschlagen?“
Kanames Miene verzog sich zu einem düsteren Lächeln. „Ach, den hattest du verdient. Dafür, dass du mich so lange im Unklaren gelassen hast. Denkst du ich mache mir keine Sorgen um Kim und Tessa?“
Sagara schwieg, während er sich langsam von ihr löste, um alleine neben ihr durch den Korridor zu gehen.
„Tut mir Leid“, murmelte er schließlich. „Und vielen Dank.“
Kaname musste schmunzeln. „Gerne geschehen. Du hältst mich auf dem Laufenden?“
„Versprochen.“
„Okay, dann wollen wir doch mal eine gute Vorstellung liefern, damit die Krankenschwester dich nach Hause gehen lässt, was?“

4.
Gegen eine Wand zu laufen war eine Sache. Gegen eine Wand zu laufen, die einem auch noch einen Schwinger ans Kinn setzte eine andere. Die Wand entpuppte sich als riesiger Ausländer mit Fäusten wie Dampfhämmer und eine wütenden Miene, mit der man ganze Grundschulen hätte disziplinieren können.
Der Japaner, der sowohl in die Erfahrung der Faust als auch der düsteren Miene kam, fand sich auf dem Boden wieder. Ängstlich sah er hoch und hatte auch allen Grund dazu.
Als zwei kräftige Hände in seinen Kragen griffen und ihn hoch zerrten, quiekte er erschrocken auf.
„Also“, knurrte der Große wütend, „ich frage das jetzt nur ein einziges Mal. Der Angriff in der Innenstadt gestern, Infanteriekommando und mindestens ein Arm Slave vom Typ Mistral II!“
„I-ich weiß von nichts!“, jammerte der Mann.
„Kerl, ich sollte dich…“
„Nicht doch, Kramer-san“, sagte eine amüsierte Stimme hinter dem Großen. Ein nicht minder großer, glatzköpfiger Mann mit zwei wirklich fiesen Begleitern kam heran geschlendert. Mit einem Lächeln voller sadistischer Vorfreude zog der Mann ein Messer. „Auf diese Art erreichen Sie nichts. Lassen Sie es uns auf die Art der Mizuhara-Gumi probieren. Ein, zwei Finger werden ihn gesprächig machen.“
„So? Nun, es schadet nichts, Ihre Methode zu probieren.“ Thomas Kramer stieß den Gefangenen den drei Yakuza in die Arme.
„DER HAFEN!“, rief der Mann in höchster Not. „Eine Lagerhalle am Hafen! Mehr weiß ich nicht! Die Infanterie verbirgt sich dort, bis sich die Aufregung gelegt hat. Unsere Gruppe hat sie angeworben, die Halle besorgt und An- und Abfahrt übernommen!“
Wieder griff Thomas zu und zerrte den Mann hoch. „Die beiden Mädchen! Sind die Mädchen da?“
„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der Arm Slave abtransportiert wurde!“
Thomas sah dem Mann lange in die Augen, bevor er sicher war, dass der nicht log und keine Informationen zurückhielt. „Welche Halle?“
„Ich schreibe die genaue Adresse auf.“

„Wir nehmen den Mann erst einmal in unsere Obhut“, sagte der Anführer der Mizuhara-Yakuza. „Für den Fall, dass er gelogen hat. Wir werden uns dann angemessen um ihn kümmern.“
Der Gefangene quiekte wieder auf, diesmal entsetzt.
„Ich danke Ihnen, Tono. Ich muß mich jetzt um diese Lagerhalle kümmern. Und im Moment wäre ich sehr dankbar für ein eigenes Eingreifteam. Irgendwo in der Halle sind die Mädchen entweder gefangen oder ich finde einen Hinweis auf sie.“
„Eingreifteam?“ Die drei Yakuza schienen plötzlich sehr amüsiert zu sein.
**
„Ich glaube das nicht“, stöhnte Melissa.
„Genug ist genug! Das hören wir uns schon seit über einer halben Stunde an!“, blaffte Thomas ärgerlich.
„Aber… Aber…“ Hilflos deutete die Chinesin auf die Bildschirmreihe, die sechzehn Männer in Armor Suits zeigte. Zumindest in gepanzerten, hoch mobilen Einheiten, die zudem über Waffenunterstützung und neueste Sensortechnologie verfügten. Im Prinzip waren dies hier extrem verkleinerte Arm Slaves mit verkleinertem Potential. Aber im Einsatz gegen Infanterie sollten sie sich als sehr effektiv erweisen können.
Was Melissa Mao dabei belastete, das war das Äußere der Armor Suits. „Ich bitte dich, Thomas. Bonta-kuns? Bonta-kuns? Wir werden die Söldner überwältigen, weil sie sich tot lachen!“
„Der Weg ist mir egal! Hauptsache wir kommen voran!“ Thomas sah zu Sousuke Sagara herüber. „Wie gut sind sie trainiert?“
„Sie können es schaffen. Ich werde sie koordinieren.“
„Okay. Wir versuchen es. Kurtz, auf deine Position. Melissa und Sousuke, ihr bleibt bei mir, als Eingreifreserve.
Sousuke, gib das Angriffssignal. Und schärfe ihnen noch mal ein, dass wir Überlebende brauchen. Und sie sollen die Computer in einem Stück lassen.“
„Verstanden.“

Die Armor Suits, die wirkten wie gepanzerte Riesenteddybären bekamen ihr Go und stürmten vor. Nebelgranaten deckten ihren Angriff und bevor Thomas etwas einwenden konnte, hatten sie bereits das Haupttor aufgesprengt. Zügig, sich gegenseitig Deckung gebend, drangen die Bontas in das Gebäude ein. Helmkameras vermittelten von jedem einzelnen Angreifer den Standort und das, was er sah.
Sousuke saß ruhig da und gab den einzelnen Zweierteams Anweisungen.
Ihnen schlug beinahe sofort schweres Abwehrfeuer entgegen, aber die Suits fingen das ab.
Raum um Raum, Halle um Halle stürmten die Bontas, und dabei gingen sie sehr ziel gerichtet vor.
„Die sind wirklich gut trainiert.“ Misstrauisch sah Thomas zu Sagara herüber. „Warst du das, Großer?“
„Mit welcher Antwort kann ich gewinnen?“, erwiderte der Gun-so.
Für einen Moment tauschten die beiden einen Blick aus. Kurz huschte ein spöttisches Grinsen über Sagaras Mundwinkel.
„Weitermachen“, entschied Thomas. Es klang das erste Mal an diesem Tag amüsiert.

„Kurtz, wie sieht es bei dir aus? Versucht jemand zu fliehen?“
„Die Rückseite ist ruhig, Thomas. Aber die Bontas sind ja auch erst zwei Minuten drin. Ich bleibe wachsam.“
„Drei Minuten“, korrigierte Sousuke. Er sah auf, in Richtung von Thomas. „Alle Räume sind gesichert. Keine Spur vom Tai-sa und von Kim Sanders.“
„Okay. Melissa und ich gehen jetzt rein. Je schneller wir hier Antworten finden, desto besser.“ Thomas nickte der jungen Frau zu, die diese Geste entschlossen erwiderte. Sie lud ihre Pistole durch und steckte sie entsichert zurück ins Hüftholster.
Thomas verfuhr ebenso. Dann klopfte er Sousuke auf die Schulter. „Gute Arbeit, Soldat. Wenn ich darin etwas finde, dann wirst du es als erster erfahren.“

Mit gezogenen Waffen arbeiteten sich Melissa und Thomas zu den ersten Bontas vor. Der Yakuza in der Kampfrüstung nahm Haltung an, als er sie erkannte. „Fumo.“
„Er sagt, das Gelände ist gesichert“, erklang Sagaras Stimme über den Funkempfänger in Kramers Ohr.
„So was habe ich mir schon gedacht“, brummte der Deutsche ernst.
In der Tat hatten die großen Teddys mit der martialischen Ausrüstung alles unter Kontrolle. Im größten Raum der Halle trieben sie die Überlebenden zusammen. Thomas bemerkte erfrischend wenig Tote und herzlich viele Infanteristen, die noch in der Lage sein sollten zu sprechen.
„Haben wir Computersysteme gefunden?“, wandte sich Thomas an den erstbesten Bonta.
„Fumo. Fumomo. Fu.“
„Er sagt, sie suchen noch. Aber sicherheitshalber haben sie die Halle von Elektrizität und Telefonleitungen abgetrennt, damit niemand auf vorhandene Systeme zugreifen und sie löschen kann.“
„Danke“, brummte der Deutsche. „Aber es wäre einfacher, wenn du mir nicht immer erst alles übersetzen müsstest, Sousuke.“
„Du hättest ja auch eine Rüstung tragen können“, tadelte der Gun-so. „Dann würden ihre Worte nicht chiffriert werden.“
„Nichts in der ganzen verdammten Welt kriegt mich jemals in so eine läch… Ist nicht persönlich gemeint, Junge. Die Rüstung ist effektiv, aber definitiv nicht martialisch genug für meinen Geschmack“, meinte Thomas und klopfte dem Bonta auf den Rücken, der sich bei den Worten des Deutschen ärgerlich vorgebeugt hatte.
„Fumomo. Fumoffu. Fu. Fumomoffu.“
„Er sagt, dass es nicht auf das aussehen eines Soldaten ankommt, sondern auf seine Leistungsfähigkeit auf dem Schlachtfeld.“
„Irgendwie klingt da deine Stimme durch, Sousuke“, tadelte Thomas. „Darüber reden wir noch – wenn wir die Mädchen endlich gerettet haben.“

Thomas winkte dem ärgerlichen Bonta noch einmal beschwichtigend zu und trat dann vor die ansprechbaren Infanteristen. „Also, meine Herren. Redet jemand freiwillig, oder muß ich erst ein paar von euch umlegen lassen?“
„D-das würdet ihr Spinner von Mithril doch niemals machen!“
„Hm, da hat er eigentlich Recht. Was meinst du, Melissa?“
„Stimmt. Mithril würde so etwas niemals gutheißen.“
Melissa zwinkerte ihm zu und der Deutsche lächelte dünn.
„Danke für den Einwand, junger Mann. Also ist leider nichts damit, ein paar von euch zur Warnung zu töten.“
Ein leises raunen ging durch die Reihen der Söldner.
Mit düsterer Miene steckte Thomas seine Waffe fort und zog ein kurzes Messer hervor.
„Versuchen wir etwas anderes. Jeder von euch hat zehnmal die Gelegenheit zu reden. Für jede Gelegenheit, die er verstreichen lässt, schneide ich ihm einen Finger ab.“
„D-das würdet ihr Spinner von Mithril auch nie machen!“
Thomas grinste wölfisch. „Wie kommst du nur darauf, dass wir von Mithril sind? Die Herren in den Kampfrüstungen zum Beispiel sind Yakuza, für die ist Finger abschneiden ein Freizeitsport.“
Der Mann, den Thomas sich ausgesucht hatte, wurde kreidebleich, während die Bontas im Raum ihre Zustimmung gaben.
„Also, fangen wir mit dem Zeigefinger der Rechten an, dem Abzugsfinger? Oder arbeiten wir uns vom kleinen Finger die Hand hoch?“
„Thomas, wir haben ein Computersystem gefunden. Zweiter Raum hinten rechts.“
„Melissa und ich sind auf dem Weg.“
Die Infanteristen atmeten auf.
Thomas warf sein Messer einem der Bontas zu. „Macht hier weiter. Und ihr wisst was zu tun ist, wenn sie nicht reden wollen!“
Der Bonta fing das Messer und beugte sich mit düsterer Mimik zum Gefangenen vor. Genauso düster sagte er: „Fumoffuuuuuu…“
**
Als die beiden wieder in den Einsatzwagen zurückkehrten, war die örtliche Polizei mit paramilitärischen Spezialeinheiten dabei, die Gefangenen abzutransportieren. Für die Chance, die Männer einzusacken die ein Regierungsgebäude angegriffen hatten, drückten die Polizisten schon mal ein Auge zu und ignorierten den Abgang der Bonta-kuns und der Mitarbeiter von Mithril.
Genauer gesagt schienen die Polizisten gehörigen Respekt vor den großen Teddys zu haben.
Erschöpft ließen sich die beiden Arm Slave-Piloten in ihre Sessel sinken.
„Unser kleiner Bluff hat also geklappt, hm? Und wir mussten nicht mal einen Finger abschneiden. Wir brauchten nur einen zu Tode ängstigen, und alle redeten wie ein Wasserfall.“ Thomas lachte freudlos.
„Viel gebracht hat es aber nicht. Wenigstens wissen wir jetzt, wer diese Soldaten sind, wer sie ausgeliehen hat und was ihr genauer Auftrag war.“ Melissa seufzte. „Kaffee, bitte.“
Sousuke stand auf und goss den beiden je einen Becher ein. „Hier, bitte. Ich habe den Inhalt der Festplatten von hier aus kopiert und gleich weiter gereicht. Die Analyse dauert noch, aber ich bin auf einen weiteren wichtigen Hinweis gestoßen. Die Scheinfirma, die diese Halle angemietet hat, hat eine aktive Adresse. Die Adresse existiert wirklich und hat einen Telefonanschluss. Das ist interessant, denn zu Telefonanschluss gehört ein Konto, von dem die Gebühren monatlich abgezogen werden. Dieses Konto gehört einem Ausländer, der auf einem Landgut in der Nähe von Tokio lebt.“
„Ist das nicht zu einfach?“, murrte Thomas. „Da steht doch dick und breit Falle drauf geschrieben.“
„Aber bis die Auswertung der Festplatten fertig ist oder die Tokioter Polizei bei ihren Untersuchungen weitere Hinweise entdeckt, ist das unsere beste Spur.“
„Ich bin dafür, Thomas“, meldete sich Kurtz zu Wort und nahm dem Captain den Kaffeebecher aus der Hand. „Nachschauen können wir ja mal, oder?“
„Hey, das ist mein Kaffee.“
„Jetzt ist es meine Tasse. Außerdem ist zuviel Kaffee schlecht für den Kreislauf, Kumpel.“
„Kaffee weg, Spur da. Okay, sehen wir uns dieses Landgut an. Melissa?“
Die Unteroffizierin schreckte hoch. „Ja?“
„Was meinst du, ob uns jemand auf dieser Insel ein paar M9 oder wenigstens M6 leihen kann?“
„Von anklopfen und fragen hältst du wohl nicht viel, was, Thomas?“
„Anklopfen will ich ja. In einem gewissen Sinne“, erwiderte der Deutsche grinsend. Mit ein wenig Glück hatten sie entweder die Mädchen gefunden, oder einen ernsthaften Hinweis.

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5.
Es war keine Schwierigkeit gewesen, zwei Arm Slaves „auszuleihen“. Leider waren es nur M6 von einer amerikanischen Nachschubeinheit, aber die Mechas waren erstklassig gewartet und super in Schuss.
Die Schwierigkeit war es gewesen, die beiden Arm Slaves auf ihren bulligen Transportern zum Ziel zu schaffen, ohne einen Massenauflauf zu verursachen.
Wieder waren die Yakuza der Mikihara-Gruppe sehr hilfreich gewesen. Sie hatten auf Kanames Bitte einige Freunde in der Region verständigt, und so hatten die zwei Transportwagen einige erstaunliche Schleichwege in der Region nehmen können, die ansonsten für illegale Tätigkeiten verwendet wurden.
Thomas stellte keine eindeutigen Fragen, solange die Mission voran ging.

Mithril hatte zwar schon ein Spezialistenteam für die Ermittlungen zugesagt, die Fachleute in Sidney waren überdies schon dabei, die Festplatten zu analysieren. Aber das Argument des deutschen Captains, dass es in diesem Fall um Geschwindigkeit ging, hatte das Oberkommando schließlich dazu bewegt, dem provisorischen Kommando von der FEANOR und der DANNAN freie Hand zu lassen.
Aber im Moment steckte der Deutsche in einem wesentlich herausfordernderem Kampf als mit dem der Admiralität Pazifik.
„Warum sollte ich nicht einen der M6 nehmen? Nenn mir einen guten Grund, Thomas. Nur einen.“
„Sousuke kommt auf Maschine eins, ich gehe auf Maschine zwei. Basta.“
„Das ist kein Grund, das ist reine Willkür!“
„Das ist mir doch egal! Du wirst mit Kurtz hier im Überwachungswagen bleiben und unseren Einsatz koordinieren! Haben wir uns verstanden So-sho?“
Wütend schnaubend sah die Amerikanerin den Deutschen an. „Du brauchst mich nicht zu beschützen! Ich werde dafür bezahlt, dass ich meinen Hals riskiere!“
„Wer redet denn hier von beschützen? Erstens glaube ich, dass du hier an den Kameras die größere Hilfe bist, und zweitens bin ich der bessere Arm Slave-Pilot!“
„Sagt wer?“
„Sage ich!“
„Nee-chan, Thomas, vielleicht sollte ich ja…“
„Halte dich da raus, Kurtz! Schnapp dir dein Scharfschützengewehr und überwache das Gelände! Du hast eine halbe Stunde Zeit, um in Position zu kommen!“
Der deutsche Unteroffizier verzog sein Gesicht wie unter Schmerzen. „Ich bin immer noch der Meinung, dass Sousuke und ich im Zweierteam am erfolgreichsten wäre.“
„Kurtz“, blaffte Melissa, „du hast deine Befehle! Raus!“
„Okay, okay!“ Wütend schnappte sich der Unteroffizier Tarnausrüstung und Scharfschützengewehr. „Aber tut mir einen Gefallen und bringt euch nicht vorher gegenseitig um, ja?“

Die gepanzerte Tür des Wagens schlug hinter Weber zu und die beiden Streithähne widmeten sich wieder ihrem Lieblingsthema.
„Hör mal, Thomas. Wenn auf der anderen Seite des Berges etwas schief geht, wie soll ich das deinem Kapitän erklären? Entschuldigung, ich habe Ihren Chef der Arm Slaves verloren? Hallo, geht es noch?“
„Das ist mir egal! Du musst dich dann damit rumärgern, nicht ich!“
Wieder tauschten die zwei wütende Blicke aus.
„Falls ihr euch nicht einig werden könnt, ich kann den Angriff auch alleine ausführen“, murmelte Sagara, schnappte sich seinen Helm und ging zur Tür. „Ich checke meinen M6 durch.“
„Tu das“, erwiderte Melissa. „Ich komme auch gleich.“
„ICH komme gleich“, konterte Thomas.
„Ich dachte, das haben wir schon geklärt! Du bist Captain, und ich bin nur eine kleine So-sho! Wir haben keine Zeit zu erkunden, was uns da unten auf der anderen Seite erwartet und wir sollten das Risiko so klein wie möglich halten! Verdammt, ich will nicht schon wieder meinen kommandierenden Offizier verlieren. Nach McCarron und Tessa wäre das schon Nummer drei in diesem Jahr!“
„Und ich will dich nicht verlieren!“, blaffte Thomas zurück. „Tessa ist fort, Kim ist fort! Meinst du ich könnte es ertragen, wenn du auch noch verschwindest?“
Wütend starrte er die Asiatin an. „Geht das in deinen Kopf rein?“
„Aha! Du darfst so etwas sagen, so selbstsüchtig sein! Und ich darf es nicht?“
„NEIN!“
Wütend starrten sie sich an. Schließlich bracht Thomas das Schweigen. „So-sho, da Sie mir temporär unterstellt sind, erteile ich Ihnen hiermit den Befehl, hier zu bleiben und den Einsatz zu koordinieren, während Gun-so Sagara und ich mit M6 den Angriff führen werden. Gun-so Weber wird Sie als Sniper dabei unterstützen. Haben Sie verstanden, So-sho?“
„Ja, Sir“, erwiderte sie zähneknirschend.
Thomas grunzte zufrieden und schnappte sich seinen eigenen Helm.
„Es war gemein von dir, den Vorgesetzten hervor zu kehren“, murmelte sie leise.
„Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen“, erwiderte Thomas ebenso leise.
Wieder schwiegen sie und der Deutsche spürte jede verstreichende Sekunde wie einen Schlag in seine Integrität. Schließlich raffte er sich auf und ging zur Panzertür.
„Thomas.“
Der Deutsche wandte sich noch einmal um.
„Pass auf dich auf. Und bring uns die Mädchen wieder.“
„Versprochen“, erwiderte Thomas und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Melissa Mao erschrak bei dem metallischen Schlag, der dabei entstand und durch den Kommandowagen hallte.
**
„Also, wollen wir das doch mal zusammenzählen“, sagte Robert Hausen amüsiert. „Ihr seid jetzt nicht ganz zwei Tage hier und habt versucht… Moment, aha, zweimal in mein Computersystem einzubrechen, einmal über die Nordseite des Gartens zu entkommen, einmal über die Südseite und einmal habt ihr versucht, einen Wagen zu stehlen.“
Robert sah von seiner Lektüre auf. „Beachtlich, beachtlich. Ihr zwei entwickelt einen gespenstischen Einfallsreichtum. Liegt das vielleicht an eurem Talent als Whispered?“
Kim Sanders und Theresa Testarossa, die gerade gescholten wurden, starrten trotzig auf den Couchtisch. Beide waren nass bis auf die Knochen, die Sache mit dem Wagen hatte im kleinen See hinter dem Haus ihr Ende gefunden.
„Robert. Sei nicht so streng mit ihnen und lass sie sich erstmal abtrocknen.“ Lin reichte jedem der Mädchen ein Handtuch. „Ich habe frische Sachen für euch rausgelegt. Kim hätte steuern sollen, dann hättet ihr vielleicht die Grundstücksgrenze erreicht.“
„Ich kann doch kein Auto fahren“, rechtfertigte sich das blonde Mädchen grimmig.
„Sie bestrafen uns nicht?“, fragte Tessa misstrauisch.
„Ach, woher denn? Das ist mal ein ganz gutes Training für meine Leute. Hier draußen auf dem Land ist immer so wenig los, da rosten sie mir etwas ein.“ Lin lächelte freundlich.
„Letztendlich sitzen wir hier zwar gut behütet, aber immer auf dem Präsentierteller“, fügte Hausen hinzu. „Eine überlegene Einheit mit drei, vier Arm Slaves und gut ausgebildeten Piloten könnte sich durch die Abwehranlagen kämpfen und uns niederkämpfen. Dann bleibt uns nur die Flucht oder die Aufgabe.“
„Und? Was würden Sie wählen, wenn es soweit ist, Robert?“, fragte Theresa scharf.
„Na was wohl? Ich würde aufgeben. Außer Lin habe ich auf dieser Welt noch nichts getroffen was es wert wäre freiwillig in den Tod zu gehen.“
„Oh, ich fühle mich geehrt“, erwiderte die Chinesin und lächelte zu ihrem Mann herüber.
„Also, wenn es diesmal auch keine Strafe gibt“, sagte Kim und stand auf, „dann sollten wir uns jetzt umziehen gehen.“
„Tut das, Mädchen. Es ist bald Zeit fürs Abendessen.“

„Was machen wir denn jetzt? Diese Hausens, die machen sich einen Witz daraus, uns ihre Sicherheitsvorkehrungen austesten zu lassen“, stöhnte Kim. „Und wir spielen auch noch eifrig mit.“
„Ich fände es auch besser, wenn einer unserer Pläne geklappt hätte“, erwiderte Theresa. „Tut mir Leid. Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen.“
„Mir doch auch nicht.“ Kim nahm Tessa bei den Händen. „Aber ich bin sicher, wenn die Hausens uns weiter spielen lassen und wenn wir zwei uns anstrengen, dann klappt es irgendwann.“
„So wie du es sagst ist es eine Schande, auch nur eine Sekunde dran zu zweifeln, Kim.“ Tessa lächelte die andere mit zusammengekniffenen Augen an. „Komm, wir haben noch die ganze Nacht, um etwas auszutüfteln. Mittlerweile kennen wir ja die Sicherheitsvorkehrungen ganz gut. Aber erst Mal sollten wir die Sachen wechseln und…“
Tessa verstummte mitten im Wort. Sie machte eine scharfe Geste, um Kim davon abzuhalten etwas zu sagen. Nur ihre Augen bewegten sich, während sie lauschte. „Irgendetwas kommt da.“
**
„Falke eins an Urzu sieben. Funkstille, bis du Angriffsbefehl kriegst.“
„Copy, Falke eins. Ich empfehle, dass ich zuerst rein gehe und Sie mir Deckung geben, Captain. Ihre Fernkampffähigkeiten sind besser als meine.“
„Und deine Nahkampffähigkeiten stellen meine in den Schatten. Einverstanden.“ Thomas lächelte dünn. Eine knappe, gute und sichere Analyse des Japaners. Sousuke Sagara war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Und dank Kanames sanftem Einfluss kam er sogar im Zivilleben mehr und mehr zurecht.
Thomas ließ den M6 sich vom Transporter wuchten, Sousukes Arm Slave stand bereits.
Nachdem auch Thomas sicher stand, begann Sousuke sich den Berg hochzuarbeiten. Sie hätten auch die Straße um den Berg herum nehmen können, aber Thomas war dagegen gewesen. Über den Berg durch den Wald, das bot ihnen Deckung.
Sousuke hatte seinen Vorsprung etwas aufgebaut, aber das entsprach dem Plan. Kurz vor dem Berghang aber ließ sich der Gun-so einholen.
Thomas atmete aus, versuchte seine Hände zu beruhigen. Dann umschloss er die Kontrollen des Arm Slaves noch fester. „GO!“
Sagara reagierte sofort, wie ein von der Leine gelassener Kettenhund.
Er schoss mit seinem M6 über den Felsgrat, schlitterte auf der anderen Seite in die Tiefe und in den Wald hinein. Dort begann er zu laufen, wich den größeren Bäumen aus und schob die schwächeren zur Seite.
Thomas folgte auf dem Fuß, nahm aber eine seitlich versetzte Route. Auch er wich den größeren Bäumen respektvoll aus, ging mit den kleinen aber auch nicht zimperlich um.
Wieder erarbeitete sich Sagara einen großen Vorsprung, hielt direkt auf den Landsitz unter ihnen zu.
„Automatische Waffen“, klang Webers Stimme kurz über Funk auf.
Thomas zoomte an das Haus heran und erkannte fünf Waffenstellungen, die aus dem Boden fuhren. Schnell rotierende Gatlings, wahrscheinlich mit panzerbrechender Munition bestückt. Geeignet, Hubschrauber vom Himmel zu holen und schwächere Panzerungen zu durchschlagen. Genügend Kugeln würden sich auch durch die etwas schwächere M6-Panzerung nagen können.
Thomas gab sofort mit dem Scharfschützengewehr gezielte Schüsse ab, eines der Geschütze verging, bevor es Feuer aufnehmen konnte.
Die anderen eröffneten das Feuer, leuchtende Bögen zogen ihre Bahnen in den Wald und zeichneten mit Rauchfahnen und zersplitterndem Holz ihre Einschlagspuren nach.
Alle vier Geschütze zielten auf Sagaras M6, und Thomas bemühte sich, diesen Vorteil auszunutzen, indem er ein zweites Geschütz vernichtete.
„Wenn das so einfach weiter geht“, rief Thomas fröhlich, „lade ich euch alle nachher zum Eis ein.“
**
„Was ist das nur für ein Lärm da draußen?“, fragte Kim ängstlich.
Tessa wirkte wie ausgewechselt. Sie bedeutete der anderen, einen Moment zu schweigen. Dann schlich sie zur Tür. Auf dem Flur war niemand. Sie winkte Kim, die gerade mit wechseln fertig war, ihr zu folgen.
Wieder begegneten sie niemand, schafften es bis zur Vordertür.
„Das wäre jetzt der Witz des Jahres, wenn wir hier einfach vorne raus spazieren könnten“, flüsterte Kim, obwohl das bei dem Lärm, der gerade noch einmal beträchtlich zugenommen hatte, vollkommen unnötig gewesen wäre.
Hastig riss Tessa die Tür auf und… erstarrte.
**
Thomas Kramer musste ehrlich zugeben, dass Sousuke Sagara ein wahrer Virtuose auf seiner Maschine war. Der Japaner brachte auf dem M6 eine Leistung, die manchen Gernsback-Piloten hätte erstarren lassen.
Sousuke eröffnete das Feuer auf die restlichen drei Waffenstellungen aus kurzer Distanz und hatte auch noch die Frechheit zu treffen. Zwei der Schnellfeuerwaffen vergingen, um die dritte kümmerte sich Thomas.
„Keine Bewegungen im Komplex“, meldete Kurtz Weber.
Thomas rutschte mit seinem M6 weiter den Berg hinab und dachte dabei nach. Das große, alte Herrenhaus im europäischen Stil, der verwilderte Park, die beiden großen Scheunen, irgendwie fehlte nur noch die hohe Steinmauer gegen Arm Slave-Angriffe, und er würde sich wieder zurückversetzt fühlen, beim Angriff auf den Waffenschieber Kumanov.
Bei diesem Gedanken traten unwillkommenerweise die Flüchtlingslager wieder vor sein geistiges Auge. Er drückte diese Bilder mit Schuldbewusstsein und Ärger beiseite. Jetzt, gerade jetzt sollte er sich nicht ablenken lassen.

Sousuke hatte das Gebäude erreicht, umrundete es. „Ich scanne, erkenne aber keine Bewegungen im Gebäude.“
„Bewegungen bei der linken Scheune. Präzisiere, zwei Mann schieben ein Tor auf.“
„Okay, sagt den drei Greiftrupps Bescheid. Sie sollen runter kommen, wenn wir das Gelände gesichert haben. Kurtz, du sorgst dafür, dass keiner entkommt.“
„Wofür liege ich wohl sonst hier im Dreck?“, erwiderte der Scharfschütze bissig.
Thomas grinste grimmig. „Sousuke, wenn du um das Haus herumkommst, achte auf weitere automatische Waffenplattformen.“
„Habe schon zwei entdeckt, aber anscheinend können sie sich nicht in Richtung des Hauses drehen.
Wartet mal, ich erkenne einen Wagen, der die Scheune verlässt. Ein amerikanischer Humvee mit Bordschützen am Dach-MG. Das MG feuert auf mich.
Zweiter Humvee taucht auf, eröffnet ebenfalls das Feuer.“
„Ausschalten, Sousuke“, befahl Thomas ernst.
„Negativ. Ich glaube, wir sind hier falsch. Ich möchte den Besatzungen noch Fragen stellen können, Captain.“
Thomas erreichte seinerseits nun das Haus, wollte es umrunden.
Warum flohen die Humvees nicht? Warum eröffneten sie stattdessen das Feuer auf den M6, obwohl sie doch wissen mussten, dass es viel zu lange dauern würde, sich durch dessen Panzerung zu nagen? Warum… Moment, wenn sie hier wirklich falsch waren, dann…
„SOUSUKE! ABBRUCH! ABBRUCH!“
**
Der riesige Schatten entpuppte sich als großer, grimmig dreinschauender Leibwächter. Auf der linken Seite gab es noch einen von der Sorte. Zwischen ihnen aber stand ein dicklicher, kleiner Mann, der mit einem Taschentuch affektiert über seine schweißbedeckte Stirn strich. „Ein scheußliches Wetter. Und ich dachte, in der Zentralsahara wäre es warm gewesen.“
Tessa übersah die Lage sofort. Mehrere Hubschrauber waren auf dem Gelände gelandet, gut zwanzig schwer bewaffnete Soldaten sicherten das Terrain zusätzlich ab. Amalgam!

Hinter ihnen räusperte sich jemand. „Danke, dass ihr zwei Mr. Conrad die Tür geöffnet habt.“
Robert Hausen trat vor, musterte seinen Vorgarten. „Mr. Conrad, hm, übertreiben Sie es nicht etwas?“
„Übertreiben? Junger Mann, Sie haben hier zwei Whispered im Haus. Es wundert mich, dass die Anlage nicht einer Festung gleicht. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, welchen Wert Sie mit den beiden in Händen halten? Sagen Sie, ist das Haus klimatisiert? Ich schwitze mich hier noch tot.“
Robert legte den beiden Mädchen je eine Hand auf die Schulter und zog sie leicht zurück. Dann dirigierte er sie vor sich her bis in Wohnzimmer.
Ächzend nahm Conrad Platz und akzeptierte dankbar den Eistee von Lin. „Sie sind wie immer ein liebenswürdiger Engel, meine Liebe. Es wundert mich, wie Ihr Gatte es so lange in der heißen Wüste ohne Sie aushalten konnte.“
Lin lächelte höflich, sagte aber nichts. Stattdessen setzte sie sich an Roberts Seite.
Die beiden Leibwächter stellten sich in die Tür, Tessa und „Sie sind wie immer ein liebenswürdiger Engel, meine Liebe. Es wundert mich, wie Ihr Gatte es so lange in der heißen Wüste ohne Sie aushalten konnte.“
Lin lächelte höflich, sagte aber nichts. Stattdessen setzte sie sich an Roberts Seite.
Die beiden Leibwächter stellten sich in die Tür, Tessa und Kim hatten im Sofa neben den Hausens Platz genommen.

„Um gleich zum Geschäft zu kommen, mein alter Freund, ich bin hier um Ihnen den vollen Betrag auszuzahlen. Darüber hinaus bekommen Sie noch zehn Prozent Bonus für die Schnelligkeit, mit der Sie agiert haben, mein lieber Robert.
Ach, und Sie bekommen die gleiche Summe noch einmal für Tai-sa Testarossa.“
„Ich bedaure, aber Tessa steht hier nicht zur Disposition.“
Kim warf dem Ehepaar einen Blick zu, erschrocken weil sie von Tessa getrennt werden würde, erleichtert weil es nun nur sie sein würde, die auf Nimmerwiedersehen verschwand. Aber sie kam ja ohnehin aus dem Nichts.
„Hm. So. Ja. Verstehe. Sie wollen den Preis ein wenig hochtreiben. Gut. Für Tai-sa Testarossa erhalten Sie zwanzig Prozent Bonus.“
„Es geht nicht um das Geld. Ich habe keinen Auftrag bekommen, Tessa zu entführen. Also ist es im Prinzip meine Sache, was ich mit ihr mache.“
Conrad starrte den Deutschen an, als würde der gerade mit scharfen Handgranaten jonglieren.
Einer der Leibwächter knurrte und langte unter seine Jacke, aber Conrad hielt ihn mit einer Kopfbewegung zurück.
„Mein lieber Robert. Ich hoffe Sie wissen eines: Mit Amalgam macht man keine Spielchen. Nicht wenn man überleben will.“
„Mein lieber Mr. Conrad, und Sie wissen hoffentlich eines: Ich habe meine Verträge mit Amalgam bisher immer zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erfüllt. Nicht nur das, ich habe sie buchstabengetreu erfüllt. Wollen Sie mir das nun vorwerfen?“
Nun knurrte auch der andere Leibwächter, aber Conrad schwieg beeindruckt.
„Robert, Robert, Robert. Also gut. Uns ist beiden klar, dass ich ohne Tai-sa Testarossa nicht gehen werde. Und Ihnen ist klar, dass Ihr Wert für Amalgam immens ist, aber nicht unbegrenzt. Wie sieht Ihr, ah, Kompromiss aus?“
Lin sah kurz zu ihrem Mann herüber, der tätschelte unmerklich ihre Hand.
„Es gibt, hm, eine Möglichkeit. Was ist für Sie an Kim Sanders das Wichtigste, Mr. Conrad?“
„Ist das nicht offensichtlich? Ihr Wissen als Whispered natürlich.“
„Hm. Ich nehme an, bei Tessa ist es ähnlich, aber da kommt noch ihr Wert als Kapitän der TUATHA DE DANNAN hinzu.“
„Die Person wäre ein grandioses Druckmittel, aber ihr Wissen über die Black Technologie hat eindeutig Vorrang.“
„Dann ist es abgemacht. Geben Sie mir eine Viertelstunde zum packen, danach können wir los.“
Mr. Conrad wirkte reichlich überfahren. „Was ist abgemacht, mein lieber Robert?“
„Unser Handel ist abgemacht. Sie erhalten Tessas Wissen als Whispered. Sehen Sie das als persönlichen Bonus für Amalgam, quasi mein Geschenk an Sie für die langjährige, gute Zusammenarbeit.“
„Mir gefällt nicht, dass Sie so leicht einbrechen, Robert. Und mir gefällt nicht, dass Sie packen wollen.“
„Nun, das muss ich wohl, wenn ich mitkommen werde, oder? Immerhin muß ja einer auf mein Eigentum aufpassen, wenn Amalgams Wissenschaftler daran herumfuhrwerken.“
„Ihr Eigentum?“ Conrads Augen blitzten auf. „Ich verstehe. Sie wollen die beiden zurück haben, sobald wir das Wissen extrahiert haben.“
Robert Hausen lächelte dünn. „Ich denke, das ist nicht zuviel verlangt, oder?“
„Würde ein anderer als der legendäre Robert Hausen dieses Angebot machen, wäre er bereits getötet worden“, erwiderte Conrad streng.
Sein Gesicht wurde weicher. „Aber Sie sind nun mal Robert Hausen. Einverstanden. Fünfzehn Minuten, sagten Sie? Lassen Sie sich ruhig ein wenig mehr Zeit. Wir sind nicht in Eile.“
Die beiden Mädchen wirkten unschlüssig, konnten die neue Entwicklung noch nicht einschätzen, aber immerhin gab es bei dieser Geschichte eine Chance, irgendwie wieder lebend raus zu kommen. Oder einen Verbündeten zu gewinnen.
Robert nickte den beiden zu, dann seiner Frau. „Wir packen, Schatz.“
„Einverstanden.“
**
Thomas warf seinen M6 herum, aber es war schon zu spät. Im Haus ging wer weiß wie viel Sprengstoff hoch, zerfetzte den alten Backsteinbau und bombardierte die Rückenpanzerung seines Arm Slaves mit einem Schrapnell aus hoch beschleunigten Steinen.
Der Arm Slave wurde heftig durchgeschüttelt.
Staub wirbelte auf, Flammen schlugen über ihm zusammen, der Mecha wurde von den Beinen gehoben. Als er wieder Bodenkontakt erlangte, rutschte der Arm Slave meterweit über den Boden.
„Verdammter Mist“, fluchte Thomas unbeherrscht. Er versuchte den M6 umzudrehen. „Sousuke, bist du da? Sousuke?“
Das letzte was er vom M6 des jungen Söldners gesehen hatte, das war das linke Bein gewesen, wie es hinter dem Haus verschwunden war.
Verdammt, Sousuke. Sie alle hatten mit eine Falle gerechnet, aber nicht gerade mit einer so gewaltigen Mine!
Wieder wurde sein M6 erschüttert. Thomas warf den Arm Slave endlich herum, sah auf… Und erkannte nur noch das riesige Trümmerstück, dass auf ihn herab fuhr.
**
Eine gut Stunde später, Conrad hatte sich mit der Zeit mehr als großzügig erwiesen, verließen die Hausens zusammen mit den Mädchen das Landhaus.
Mr. Conrad bedachte sie mit einem eigentümlichen Lächeln, bevor er sich ihrem Tross anschloss.
Gemeinsam gingen sie auf einen der Transporthubschrauber zu.
Kim zitterte, aber Tessa ergriff ihre Hand und drückte fest zu.
Die Zukunft sah nun nicht mehr so schlimm aus wie noch eine Stunde zuvor.
Beide glaubten nicht daran, dass Robert Hausen sie so einfach wieder würde mit nach Japan nehmen können. Aber wenn Amalgam seinen freien Mitarbeiter betrog, dann hatten sie vielleicht die Möglichkeit, ihn zu ihrem Verbündeten zu machen, wenn auch nur auf Zeit.

Sie hatten die Strecke fast geschafft, als einer der Leibwächter der Anlage – ausgerechnet der, der sie aus dem umgestürzten Auto an ihren Krägen herausgezerrt hatte – zu Lin kam und leise mit ihr sprach.
Sie nickte. „Okay, bereitet euch darauf vor. Es könnte sein, dass sie auch auf dieses Gelände stoßen. Gebt es notfalls auf, verstanden?“
Der Mann bestätigte und ging wieder.
„Stimmt etwas nicht, meine Liebe?“, fragte Conrad von hinten.
„Die Infanterie, die wir für den Angriff auf das Safe House angeworben haben, wurde heute ausgehoben. Ein paar Stunden später wurde eine Scheinadresse von Arm Slaves angegriffen. Meine Leute vor Ort mussten die Anlage sprengen. Dabei haben sie zwei M6 zerstört.“
Kim Sanders und Theresa Testarossa keuchten erschrocken auf. Jemand, der hinter ihren Entführern her war, der zudem Arm Slaves steuerte…
„Wie geht es den Piloten?“, fragte Kim aufgebracht.
„Darüber liegen mir noch keine Informationen vor“, wich Lin aus.
Robert trat hinter die beiden jungen Frauen und schob sie mit leichtem Druck die Rampe des Hubschraubers hoch. „Darüber reden wir, wenn die Zeit gekommen ist. Jetzt lasst uns erstmal an Bord gehen.“
Wieder wechselten die Mädchen ängstliche Blicke. Jeder hatte an Bord der Arm Slaves sein können: Kurtz, Melissa, Thomas, Sousuke. Und zwei zerstörte M6 konnten das Schlimmste für die Piloten bedeuten!

6.
Als Thomas Kramer aufschreckte, sank er sofort wieder zurück auf seine Kissen. Ihm wurde schwarz vor Augen und er musste hart mit sich kämpfen, um nicht sofort wieder bewusstlos zu werden.
Eine Hand legte sich auf seine Stirn. „Ruhig, Thomas. Du bist noch lange nicht bei Kräften.“
„M-melissa?“, hauchte der Deutsche.
„Ich bin hier. Es war eine Falle, Thomas, eine riesige Falle. Dich hat es ordentlich erwischt. Du hast dir den linken Unterarm gebrochen, Speiche und Elle, dazu ein paar Rippen, Dutzende blaue Flecken und dazu das linke Bein. Außerdem hast du ne Menge Blut verloren.“
„Mist.“
„Falls es dich interessiert“, klang die Stimme Webers auf, „ich bin auch noch hier, Nii-chan.“
„Kurtz. Was ist passiert?“
„Nachdem die Humvees auf Sousuke gefeuert haben, ging der Ärger erst los. Ich habe im Haus eine kleine Explosion gesehen, danach kam die große Explosion. Ich tippe auf einen Staubzünder pro Raum, die das ganze Gebäude zu einem einzigen Schrapnell gemacht haben.“
„Was ist mit Sousuke?“
„Er war zwischen dem Haus und mir, als es hoch ging. Ich konnte nichts sehen. Die Experten haben zwei Tage nach den Resten seines M6 gesucht, ihn aber nicht gefunden.“
„Ich war also mindestens zwei Tage bewusstlos. Und? Wird Sousuke als gefallen oder vermisst geführt?“
„Es sind mittlerweile drei Tage. Du bist auf Melina Island, dem Stützpunkt der DANNAN. Die DANNAN und die FEANOR sind seit gestern hier und… Sousuke wird als vermisst geführt. Wir konnten nichts vom Cockpit finden, also besteht noch Hoffnung.“
„Außerdem hat der Bursche ein verteufeltes Glück“, fügte Kurtz hinzu. „Ich muss mal dringend mit ihm nach Vegas fliegen.“
Thomas winkte schwach ab. Im Hintergrund hörte er leise die Geräte piepsen. Er hing zumindest an Überwachungsanlagen für seine Vitalfunktionen.
„Ich kann nichts sehen.“
„Du hast dir eine kräftige Gehirnerschütterung zugezogen. Dein Gehirn ist angeschwollen und das Gewebe drückt auf die Sehnerven. Es wird noch ein oder zwei Tage dauern, bis du wieder was sehen kannst. Die CT fiel jedenfalls positiv aus, sagen die Ärzte. Ein paar Tage musst du also noch liegen bleiben.“
„Drei Tage“, murmelte Thomas erschüttert. „Verdammt. Haben wir eine neue Spur? Irgendeine Ahnung, wo sie hin sind? Irgendetwas?“

„Lassen Sie mich das beantworten“, erklang eine ruhige, ältere Stimme.
„Sir!“
„Thomas, wie geht es Ihnen?“
„Ich habe Tai-sa Testarossa, Kim Sanders und nun auch noch Sousuke Sagara verloren. Mir geht es natürlich blendend, Skipper.“
Thomas spürte eine Hand schwer auf seiner Schulter ruhen. „Ich gebe zu, im Moment sieht es schlecht für uns aus. Aber Ihre gute Vorarbeit zeitigt nun Früchte.“
„Wie soll ich das verstehen?“
„Ihre Zusammenarbeit mit den Yakuza hat…“
„Die Mizuhara-Gruppe hat das Lagerhaus für uns gestürmt.“
„Das meinte ich nicht. Die Bestechung des Oyabuns, Sie erinnern sich, Thomas? Diese Spesenabrechnung hat die Zentrale in Sidney in helle Aufregung versetzt.“
Beinahe glaubte Thomas, seinen Kapitän schmunzeln zu sehen.
„Ich habe vorhin Kawamura-san telefoniert. Wir haben jetzt ein paar Namen und Adressen. Und was noch viel wichtiger ist, wir haben eine Spur nach Süd-China.“
„Namen?“, echote Thomas.
„Ein freier Agent. Wir wollten ihn schon selbst anwerben, konnten aber nie die richtigen Kontakte etablieren. Robert Hausen, Deutscher. Sehr fähiger Mann.“
„Hm. Der arbeitet also gerade für unsere Gegner?“
Melissa Mao nahm ihre Hand von seiner Stirn. „Und höchstwahrscheinlich verantwortlich für den Angriff auf das Save House, als Kim und Tessa entführt wurden.“
„Er ist vor einer Woche nach Japan eingereist. Ein Team der Polizei hat ihn beobachtet“, führte Sander aus. „Sein erstes Ziel in Tokio war die Jindai High School.“
Erschrocken fuhr Thomas hoch. Diesmal wurde ihm nicht schwindlig. Diesmal setzte er sich auf. „Dieser verdammte Bastard! Ich wusste, mit dem stimmt was nicht! Wir haben ihn gesehen, damals, als wir mit den Kids die Schule verlassen haben!“
„Was?“, kam ein erschrockener Zwischenruf von Kurtz.
„Der Typ? Verdammt!“ Melissa Mao klang schockiert und wütend.
„Wie dem auch sei, Captain. Wenn Sie sich an der Jagd beteiligen wollen, werden Sie erst einmal wieder gesund.“
Die große, kräftige Hand drückte ihn wieder auf das Bett zurück, nachdrücklich aber nicht grob.
Der Kopf des Deutschen hatte kaum sein Kissen berührt, als er schon merkte wie er weg sackte. Verdammt, er hätte sich gerne noch mit den anderen unterhalten, mehr über diese Spur nach Süd-China erfahren. Irgendwie, auf irgendeine Weise geholfen. Das war viel besser, als in diesem Bett gefangen zu sein. Eigentlich.
**
Sander scheuchte die beiden Soldaten der DANNAN vor sich her auf den Gang.
„Es tut mir weh, einen guten Offizier so zu sehen“, seufzte Johann Sander.
„So schlimm, Sir?“
Die Stimme, die gefragt hatte, gehörte einer ziemlich besorgten Second Lieutenant Samantha Rogers. Die Augen, die ihn fragend ansahen, mindestens zehn weiteren Leuten seiner Crew.
„Es wird langsam. Der Bruch verheilt gut, die CT ergab keinen negativen Befund. Und wenn er sich zwei Tage Ruhe gönnt, wird er bald wieder aufstehen können.“
Erleichtert raunten die Besatzungsmitglieder der FEANOR auf.
„Aber es wird mindestens ein Vierteljahr vergehen, bevor er wieder in den Dienst kann“, schränkte Sander ein. „Allein der Armbruch wird eine sehr langwierige Sache. Was aber nicht heißt, dass er nicht bald einen Schreibtisch steuern kann.“
Timothy Scott, Chef der Kampfhubschrauber, hob eine Hand. „Sir, eine Frage. Was bedeutet bald im Fall vom Heiligen?“
„Mindestens zwei Wochen.“
Wieder wurde geraunt.
Schuldbewusst sah Captain Valeri, Chef der Super Harriers, zu Boden. „Muss an den Verletzungen liegen, die er im Kingdom Sahara einstecken musste. Wenn ich etwas besser…“
„Captain, halten Sie die Klappe. Seine jetzigen Verletzungen sind dadurch entstanden, weil ihm eine halbe Hauswand das Cockpit zertrümmert hat. Im Prinzip ist es wieder mal sein unglaubliches Glück, dass er nicht zu einem unförmigen Haufen organische Masse zerstampft wurde“, tadelte Sander. „Er wird wieder gesund werden, das verspreche ich ihnen. Ihnen allen.
Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe eine Besprechung mit Chu-sa Mardukas und der Admiralität.“ Er nickte kurz So-sho Mao zu, setzte seine Schirmmütze auf und ging.

Die Offiziere und Mannschaften der FEANOR machten ihrem Skipper respektvoll Platz und wünschten ihm viel Erfolg bei der Besprechung. Was sie nicht taten, war den Gang vor Kramers Zimmer zu verlassen.
Sander seufzte leise.
Als er um die nächste Ecke bog, blieb er abrupt stehen. Mehr oder weniger lässig an die Wand gelehnt erwarteten ihn drei Offiziere seines Schiffs. Captain Karasov kniff kurz die Augen zusammen. „Es geht ihm einigermaßen?“
Lieutenant Commander Allister winkte ab. „Was reden Sie nur, Sergej Ivanowitsch, natürlich geht es ihm gut. Wir reden hier immerhin über den heiligen Thomas. Nicht, Skipper?“
Die letzten Worte hatten viel zu sehr als betroffene Frage geklungen, um als Rhetorik durchzugehen. Sander unterdrückte ein schmunzeln. „Keine Sorge. Der Tag, an dem eine Hauswand Thomas Kramer stoppen kann, ist noch lange nicht gekommen.“
Er wandte sich dem dritten Anwesenden zu, der wie ein Häuflein Elend auf einer Bank saß und betreten zu Boden sah. „Colonel Santos, würden Sie mich bitte begleiten?“
„Was? Sir, ich würde gerne… Natürlich, Skipper.“ Der Spanier erhob sich und folgte seinem Vorgesetzten.

„Nun, Miguel, ist noch jemand an Bord auf seinem Posten, oder stoßen wir auf den Korridoren auf weitere Besatzungsmitglieder?“
„Verstehen Sie das nicht falsch, Skipper. Es gibt genügend Leute an Bord, denen es herzlich egal ist, wie es dem Heiligen geht, solange es sie nicht direkt betrifft. Und der Rest ist keinesfalls geschlossen hier versammelt. Und ja, wir haben eine Bordwache auf der FEANOR. Minimale Besetzung.“
„Hm. Dafür war die Palette an Personen aber recht eindrucksvoll, finden Sie nicht, Miguel?“
„Ich persönlich hätte nicht mit Sharon Allister gerechnet, Skipper, sie hat sich immer am meisten mit Thomas und seinem Kommandostil gerieben. Aber sie scheinen sich zusammengerauft zu haben. Ich bin sicher, wenn sie in diesem Zimmer liegen würde, dann würde Thomas auch vor ihrer Tür stehen und auf gute Nachrichten warten.“
„Wahrscheinlich. Miguel, sorgen Sie dafür, dass die Leute da weg kommen. Erstens behindern sie die Arbeit des Krankenreviers und zweitens steht es nicht kritisch um Thomas. Außerdem wirft das ein schlechtes Bild auf unsere Professionalität.“
„Ich werde etwas Entsprechendes veranlassen, Skipper.“
Sander schüttelte amüsiert den Kopf. „Die wichtigsten Offiziere. Das sollte ich Thomas beim nächsten Besuch mal erzählen. Dieser Zuspruch wird ihn freuen.“
„Eher wird er uns schelten, weil wir die Zeit vor seiner Tür auch zur Vorbereitung für den nächsten Einsatz hätten verwenden können“, erwiderte der Lieutenant Colonel mit saurer Miene.
„Oder das.“ Sander schmunzelte. „Oder das.“

„…hat der Gegner für die Falle zwei Sprengsätze verwendet. Zuerst eine Bombe in jedem Zimmer, um vorbereitete Portionen Staub in der Raumluft so dicht und gleichmäßig zu verbreiten“, klang ihnen die Stimme Mardukas´ entgegen, als sie den Besprechungsraum betraten. „Danach detonierten Feinstaubzünder. Selbst wenn in jedem Zimmer zwei dieser Sprengsätze standen, war es für die Scanner der M6 unmöglich, sie aufzuspüren. Diese Falle war extrem trickreich, gut durchdacht und leider auch erfolgreich.“
„Was wollen Sie uns sagen, Commander. Waren wir zu dumm oder war der Feind zu schlau?“
„Gewöhnen wir uns an den Gedanken, dass es von beidem etwas war, Admiral.“
Sander nahm auf einem freien Stuhl Platz, Santos postierte sich hinter ihm.
Sofort aktivierte sich ein holographischer Aufzeichner, der Sanders Bild zu allen anderen Konferenztischen sandte, die rund um die Welt verteilt waren. „Entschuldigen Sie die Verspätung, meine Herren. Ich war noch bei meinem Offizier. Er ist gerade aufgewacht.“
„Ah, Kapitän Sander. Wir versuchen gerade herausfinden, wie umsichtig Captain Kramer gehandelt hat. Immerhin haben wir zwei M6 und einen exzellenten Piloten verloren. Genauer gesagt, den einzigen Piloten, der den Arbalest steuern kann.“
„Das Cockpit von Gun-so Sagaras Arm Slave wurde bisher nicht gefunden“, gab Sander zu bedenken.
„Deshalb führen wir ihn ja auch nur als vermisst und nicht als gefallen“, erwiderte Admiral Jerome Porter. „Aber Sie haben Glück. Sogar Commander Mardukas sagt, dass diese Falle in der Form nicht hatte entdeckt werden können. Wir haben einen trickreichen Gegner in diesem Fall.“
„Amalgam“, warf Sander ein. „Wir haben es mit Amalgam zu tun. Keine Organisation hat außer Mithril von Kim Sanders gewusst. Nun, es hätte zumindest keine andere Organisation in dieser kurzen Zeit einen Versuch unternehmen können, diese Whispered zu entführen. Einmal ganz davon abgesehen, dass es nur eine Handvoll Organisationen und eine ebenso kleine Handvoll Staaten gibt, die mit einem Whispered arbeiten können.“
„Zugegeben“, erwiderte der Admiral.
„Einigen wir uns darauf, dass der Einsatz ein Fiasko war. Allerdings, wenn man die Dringlichkeit der Situation bedenkt, ein Fiasko, das noch viel schlimmer hätte ausgehen können. Ich ziehe deshalb eine Degradierung von Captain Kramer als mögliche Maßregelung in Betracht“, meldete sich der Chef der Soldstelle zu Wort. „Möglich wäre auch eine Reduzierung der Bezüge.“
„Meine Herren, gehen wir da nicht etwas zu weit?“, fragte Sander aufgeregt.
„Er hat einen Mann und zwei Arm Slaves verloren. Ich denke, mit solch einer Strafe kommt er relativ glimpflich weg. Vergessen Sie nicht, Kapitän Sander, letztendlich…“
„Ja. Letztendlich muß einer die Verantwortung übernehmen.“
„Korrekt. Und Captain Sander war der ranghöchste Offizier in der Aktion.“ Admiral Porter machte eine abweisende Handbewegung. „Aber schieben wir das ein wenig auf. Wichtiger ist, was wir mit dem Hinweis machen, den uns die Yakuza zugespielt haben. Können wir diesem Hinweis überhaupt trauen?“
„Sho-sa Kalinin ist bereits dabei, die angegebene Region untersuchen zu lassen“, meldete sich Mardukas zu Wort. „Die Topographie der Umgebung ist bekannt. Es handelt sich um eine verlassene Bunkeranlage an der vietnamesischen Grenze. Vietnam und Süd-China sind seit der Teilung engste Verbündete. Es erschien damals also logisch, einen Teil der Stellungen aufzugeben.“
„Sie rechnen also damit, dass sich Amalgam in einem dieser Bunker eingenistet hat.“
Mardukas nickte. „Ich und Sho-sa Kalinin sind der Meinung, dass wir dort auf einem mittleren Stützpunkt Amalgams treffen können. Größer jedenfalls als den, den wir auf Sri Lanka ausgehoben haben.“
„Hm. Haben wir Karten?“
„Selbstverständlich, Admiral Porter.“
Auf dem Tisch entstand das Abbild einer subtropischen, bergigen Landschaft.
„Wie Sie sehen können, ist das Gelände unwirtlich in Richtung Vietnam, in Richtung China jedoch gut ausgebaut. Jetzt im Nachhinein nehmen wir an, dass die Venoms, die vor ein paar Monaten in Hong Kong aktiv waren, von diesem Stützpunkt gekommen sind. Was einiges, was vieles erklären würde. Ein Angriff von Süden wäre fatal, allerdings sollten wir auch hier neuere Daten der Investigationen von Sho-sa Kalinin abwarten. Norden oder Osten sollte eine ordentliche Zangenbewegung begünstigen, aber nach Captain Kramers Erkenntnisse in der Falle auf dem Landgut müssen wir zumindest mit automatischen Waffenplattformen rechnen.“
„Können diese Waffenplattformen Partikeltarnungen erkennen? Die M6, die Kramer eingesetzt hatte, verfügten nicht über diese Tarnung, richtig?“
„Richtig, Mr. Secretary. Aber in diesem Punkt sind wir auf Spekulationen angewiesen. Was wesentlich schwieriger ist und was für uns das eigentliche Problem darstellt ist: Befinden sich Venom-Einheiten mit dem Lambda Driver in der Region, und wenn ja, wie zahlreich sind sie?
Und wie können wir sie aus dem Stützpunkt extrahieren?“
„Ich entnehme Ihren Worten, mein lieber Mardukas, dass Sie in jedem Fall angreifen wollen.“
„Natürlich, Admiral. Mein Captain ist wahrscheinlich in dieser Anlage, und mein Captain kann sich darauf verlassen, dass ich ihn holen komme.“
Die Anwesenden raunten leise.
„Nun gut, beenden wir die Besprechung hier. Ich erteile Marschbefehl für die TDD-1 TUATHA DE DANNAN. Die TDD-2 FEANOR erhält hiermit den Befehl, ihr Schwesterschiff mit Personal und Material sowie Kampfeinheiten zu unterstützen. Heben Sie mir diesen Stützpunkt aus. Wir kommen nach dem Einsatz wieder zusammen.“
Mardukas und Sander bestätigten mit einem Nicken.

Nach und nach erloschen die Hologramme, die Worte Link disabled leuchteten über jedem Sessel auf.
Sander sah zu Mardukas herüber, Mardukas zu Sander.
„Es ist Ihr Hinterhof, Chu-sa. Bitte übernehmen Sie das Oberkommando.“
„Ich nehme dankend an Captain Sander. Selbstverständlich übernehmen Sie den Posten als Stellvertretender Kommandeur der Einsatzgruppe.“
„Ich habe nichts anderes erwartet, Chu-sa. Wann beginnen wir mit den Planungen?“
„Sho-sa Kalinin hat uns die ersten Ergebnisse der Satellitenauswertung für Morgen früh zugesagt. Gleich nach der Besprechung brechen wir auf.“
Mardukas starrte auf die Tischplatte. „Elitetrupps der DANNAN werden die Anlage observieren und uns weitere Informationen übermitteln. Dann sollten wir über alle Informationen verfügen, die wir für den Angriff brauchen. Und vielleicht wissen wir dann auch schon, ob sich Tai-sa Testarossa und Miss Sanders in dieser Anlage befinden.“
„Ich werde Kramer mitnehmen“, sagte Sander mit Nachdruck.
„Gönnen Sie dem Jungen lieber seine Genesung. Er hat gute Arbeit geleistet, egal was die Soldstelle sagt.“
„Das ist es nicht. Aber jetzt wo Gun-so Sagara vermisst wird, werden wir ihn brauchen – er ist der einzige Mensch bei Mithril, der den Kampf gegen einen Lambda Driver gewonnen hat.“
„Mit Hilfe von zwei Super Harrier.“
„Unter seiner Koordination, unter Zeitdruck und erfolgreich.“
Mardukas lachte rau. „Einverstanden. Nehmen Sie ihn mit.“

7.
Es kam eher selten vor, dass die Schiffe der Dannan-Klasse auftauchten. Die Gefahr, von Satelliten fotografiert zu werden oder Oberflächenschiffen ein erstklassiges Ortungsbild zu liefern war zu hoch.
In diesem Fall aber, bei bewölktem Himmel und ruhiger Abendsee, fuhren beide Schiffe im lockeren Verband an der Oberfläche Richtung chinesisches Festland. Oberflächenschiffe, Flugzeuge und Unterseeboote waren nicht in der Ortung, Satelliten konnten nicht durch die dichte Wolkenschicht fotografieren.
Diese und ähnliche Gedanken gingen Thomas Kramer durch den Kopf, während er mit einer Krücke bewaffnet über das Landedeck humpelte.
Grund für das auftauchen war eine Umladeaktion. Vier Gernsback der FEANOR wurde mit ihren Piloten auf die DANNAN verbracht, von wo aus sie in den Einsatz gehen würden.
Thomas hatte die beiden Zweierteams selbst ausgesucht. Falke drei, Yussuf Ben Brahim und seine Flügelfrau Falke vier, Jasmin Smith sowie Falke fünf, Samantha Rogers mit ihrer Flügelfrau Falke sechs, Jennifer Carthy würden am direkten Angriff der DANNAN auf den vermuteten Stützpunkt Amalgams teilnehmen, während Falke sieben, Sandra Ciavati mit ihrem Flügelmann Falke acht, Ken Ibuto, die Absicherung des Unterseebootes übernehmen würden.
Die FEANOR würde Unterstützungsfeuer geben und einen eventuellen Fluchtkorridor offen halten, während die DANNAN verdammt nahe an die Küste heran rücken würde.
Ein riskanter Plan, aber die DANNAN war ein gutes Schiff und auch ohne das Genie Theresa Testarossa konnte die Crew der DANNAN Wunder vollbringen.
Mardukas war ein viel zu erfahrener Unterseeboot-Fahrer, um nicht selbst ein paar Tricks im Ärmel zu haben.

Gerade starteten Falke drei und vier mit Hilfe der Dampfkatapulte. Sie würden eine enge Schleife ziehen und anschließend auf der DANNAN landen. Falke fünf und sechs machten sich gerade bereit, während das Katapult neu gespannt wurde.
Falke fünf wandte sich um, beugte sich in die Richtung von Thomas. „Sir“, klang die Stimme von Sam Rogers auf.
Ungläubig bohrte sich der Deutsche mit dem kleinen Finger im Ohr. „Ich glaube, ich stehe noch unter Drogen. Hast du mich gerade Sir genannt, Sam?“
„Nun werde nicht frech!“, blaffte die Amerikanerin wütend. „Sonst steige ich dir mit meinem M9 auf die Zehen!“
Etwas leiser fügte sie hinzu: „Sir.“
Misstrauisch sah Thomas hoch. „Was willst du, Sam? Soll ich mich für eine Solderhöhung einsetzen?“
„Ja, das könntest du wirklich mal für deine beste Pilotin tun, Thomas“, erwiderte sie spöttisch. „Wäre ja auch dringend an der Zeit.“
„Aber?“
„Kein Aber. Ich wollte dir nur sagen, dass… Dass wir unser Bestes geben um Tai-sa Testarossa und Kim Sanders zurück zu holen.“
Der Arm Slave wandte sich um, ging auf das Dampfkatapult zu, wurde zusammen mit Falke sechs verlinkt.
Kurz vor dem Countdown wandte sich der Gernsback noch einmal halb um und Rogers rief über die Lautsprecher: „Wir wetzen deinen Fehler schon wieder aus, Thomas!“
Drei Sekunden später wurden die Arm Slaves gestartet, was Sam die reichlich harsche und blumenreiche Erwiderung des Captains ersparte.

Fünf Minuten später war das Flugdeck noch immer nicht geschlossen worden und niemand traf Anstalten das Deck zu räumen.
„Chief, worauf warten wir noch? Sollte nicht längst der Tauchbefehl kommen?“
„Mit vier zusätzlichen Arm Slaves wird es etwas eng auf der DANNAN. Deshalb übernehmen wir einen Teil ihrer Infanterie, ein paar Hubschrauber und verstauen einen M9 für sie.“
„Hm. Das müsste dann die Maschine von Sousuke sein.“ Erschrocken suchte er den Himmel ab. Tatsächlich, eine kleine Flotte Hubschrauber startete von der DANNAN und setzte zu ihnen über.
Und unter einem hing… „Der Arbalest.“
„Richtig. Da die FEANOR den Türstopper spielt, hielt es Chu-sa Mardukas für besser, ihn bei uns zu verstauen. Für alle Fälle.“
Thomas pfiff anerkennend.
„Sir, wenn es das gewesen ist, verlassen Sie bitte das Landedeck. Wenn hier vier Helikopter reinkommen, haben wir verdammt wenig Platz.“
„Ist in Ordnung, Chief.“
Schmunzelnd machte sich der Captain auf dem Weg zum nächsten Verladefahrstuhl.

Zehn Minuten später kam der Befehl zum tauchen bei langsamer Fahrt. Die Crew des Hangars war noch damit beschäftigt, die Hubschrauber auf dem frei gewordenen Platz festzuzurren und den Arbalest neben dem M9 von Thomas zu fixieren, während das Schiff bereits mit leichtem Neigungswinkel in die Tiefe steuerte. Auch die DANNAN würde nun wieder tauchen.
Langsam humpelte der Arm Slave-Pilot zum Arbalest herüber.
Nachdem die Verladearbeiten beendet waren und die Infanterie der DANNAN aus dem Hangar geführt worden war, ging Thomas direkt an den Arm Slave heran. Äußerlich sah er einem regulären M9 Gernsback sehr ähnlich, aber der Captain kannte die Leistungsunterschiede nur zu genau.
„Junge, Junge. Erst verschwindet Sousuke, und nun nehmen sie auch dich aus dem Rennen. Drüben kann dich wohl keiner steuern, was, Großer?“
„Negativ, Sir. Jeder autorisierte Pilot ist in der Lage, mich zu steuern“, antwortete die Künstliche Intelligenz des Arbalest. „Aber Chu-sa Mardukas sieht keinen Sinn darin, meine Existenz aufs Spiel zu setzen, wenn der Pilot den Lambda Driver nicht einsetzen kann.“
„Du bist aktiviert?“, staunte der Deutsche.
„Ich nutze die Gelegenheit für ein paar Selbstdiagnosen, Sir. Vor allem der Lambda Driver bedarf genauester Beobachtung.“
„Ich erinnere mich. Es gibt ein paar Störungen in dem Ding. Die Frage ist halt, sind sie technischer oder menschlicher Natur?“
„Sie sind wie immer sehr scharfsinnig, Sir. Diese Frage haben sich die Techniker auf der DANNAN ebenfalls schon gestellt. Vor allem deshalb, weil die Fehlfunktionen des Lambda Drivers beständig zurück gehen, seit, Gun-so Sagara die Leibwächtertätigkeit für Kaname Chidori priorisiert hat.“
Thomas runzelte die Stirn. „War das eine Information, die ich erhalten darf, Al?“
„Da Sie die letzten Tage mit Kaname Chidori verbracht haben, sehe ich da kein Problem. Andererseits sollte ich Sho-sa Kalinin zu diesem Thema befragen können. Oder Kaname Chidori selbst.“
„Moment Mal, Moment. So wie du das sagst, klingt es als wäre Sho-sa Kalinin hier an Bord.“
„Das ist er auch, Major Kramer!“

Der deutsche Captain fuhr herum, wobei er fast über seine Krücke gestolpert wäre. Aber zwei kleine, aber kräftige Hände, die sofort zugriffen, bewahrten ihn vor dem Schlimmsten.
„Danke“, ächzte er der kleinen Gestalt in der grünen Infanterie-Uniform von Mithril zu.
Kaname Chidori sah hoch und lächelte mit zusammen gekniffenen Augen. „Kein Problem, Thomas.“
„Kaname? Wie bist du denn an Bord gekommen?“
„Mit mir, Major Kramer.“ Der große, weißbärtige Mann neben ihr benutzte den nächsthöheren Rang, um den Deutschen anzusprechen, da es an Bord nur einen Captain geben konnte, und streckte Kramer die Rechte entgegen. „Sho-sa Andrej Kalinin.“
Thomas ergriff die Hand des Russen. „Captain Thomas Kramer. Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Sho-sa.“
„Und es ist mir eine Ehre, Sie zu treffen. Man sieht sehr selten einen Piloten, der den Kontakt mit einem Lambda Driver überlebt hat. Personen, die einen Arm Slave mit Lambda Driver besiegt haben kann man an zwei Fingern abzählen.“
„Ich hatte Hilfe“, wiegelte Thomas ab.
„Nonsens. Außer Ihnen und Gun-so Sagara gibt es niemanden, der das je geschafft hat. Und Sagara hatte auch Hilfe.“ Der Russe deutete auf Kaname Chidori neben ihm, die verlegen einen Arm hinter den Kopf legte. „Ach, das bisschen. Sousuke hat doch alles alleine gemacht. Die paar Ratschläge.“
„Du hast Sousuke geholfen, Kaname?“
„Sie ist eine Whispered, vergessen Sie das nicht, Major Kramer. Im Einsatz kann das Wissen über die Black Technologie sehr hilfreich sein. Das ist auch der Grund dafür, dass ich sie mitgebracht habe. Nachdem Tai-sa Testarossa und Kim Sanders verschollen sind, ist Kaname Chidori die derzeit einige Whispered, die wir in so einen Einsatz mitnehmen können.“
„Sie wollen Kaname mitnehmen?“, rief Thomas entsetzt.
„Schon gut, schon gut“, winkte Chidori ab. „Ich werde nur auf der Brücke eingesetzt, vielleicht im Dom. Äh. Brücke! Auf der Brücke! Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass ich an der Front stehe.“
Kalinin legte der jungen Frau eine Hand auf die Schulter. „Wenn man es genau nimmt, hat Kaname Chidori mehr Kampferfahrung als mancher erfahrene Soldat. Und sie hat die Nerven, diese Gefahren immer durch zu stehen. Und in einer Notlage wie dieser…“
„Verstehe. Du willst also Tessa und Kim helfen?“, hakte Thomas nach.
„Ja, natürlich. Jetzt wo Sousuke wieder auf einer Extratour ist, muß ich ja wohl.“
„Extratour?“
„Dieser Waffenfreak steckt irgendwo da draußen und macht irgendeinen Quatsch, das weiß ich!“ Wütend ballte sie die Hände. „Er würde es nicht wagen, ohne meine Erlaubnis zu sterben!“
„Verstehen Sie jetzt, Sir?“, klang Als Stimme auf.
„Keine weiteren Fragen“, erwiderte Thomas leidlich amüsiert. „Kaname, wenn ich dir mit irgendetwas helfen kann, sage nur Bescheid. Ich bin zwar auf leichten Dienst beschränkt, aber ich habe immer noch Offiziersrang.
Sho-sa Kalinin, die FEANOR und die DANNAN sind weitgehend identisch, deshalb sollten Sie keine Orientierungsschwierigkeiten haben. Aber wenn ich Ihnen helfen kann, in welcher Form auch immer, sagen Sie es ruhig.“
Wieder streckte Kalinin die Hand aus und der Deutsche ergriff sie ohne zu zögern. Es hatte etwas ironisches, immerhin war es noch gar nicht so lange her, da wäre ein Händedruck zwischen einem russischen Geheimdienstoffizier und einem deutschen Piloten ins Reich der Utopie verwiesen worden. Aber immerhin waren es heutzutage deutsche Geheimagenten in Rumänien, die in den Flüchtlingslägern humanitäre Hilfe leisteten, polnische Freiwillige, die dort für Recht und Ordnung suchten und russische Offiziere, die versuchten, die vielen kleinen Kriegsparteien unter Kontrolle zu bekommen.
„Ich nehme dankend an, Captain. Darf ich Sie gleich in Anspruch nehmen? Ich muß meine Leute koordinieren und Kontakt zu meinen Einsatztrupps aufnehmen, die sich derzeit der Basis nähern. Können Sie Kaname Chidori zur Brücke bringen? Ich habe Befehl, sie Captain Sander vorzustellen.“
„Selbstverständlich.“
„Danke.“ Der Russe wandte sich mit einem Nicken an die beiden ab, ging ein paar Schritte und begann laut zu brüllen. Das hektische Gewühl, welches seine Leute bisher veranstaltet hatten, wurde nun mehr und mehr zu einem geordneten Chaos.

„Danke für das Gespräch, Al. Ich beginne das richtig zu schätzen.“
„Sie ehren mich, Sir. Aber Sie sollten das Gespräch mit einem Menschen vorziehen.“
„Du hast den Arbalest gehört, Kaname. Du bist eindeutig ein Mensch.“
Die Schülerin lachte pflichtbewusst.
Thomas lächelte dünn und deutete auf das nächste Schott. „Also, lass uns auf die Brücke gehen.“
Chidori setzte ein gemäßigtes Tempo an, das Thomas trotz seiner Krücke problemlos mithalten konnte. Es ging ohnehin eher darum, den Bruch zu entlasten als das Bein zu schonen, deshalb war der Deutsche ohnehin recht schnell unterwegs.
Aber das war ein schwacher Trost angesichts der Selbstzweifel, die ihn plagten, seit er in diese Falle geraten und dort verwundet worden war.
„Wollen wir vorher einen Abstecher zur Kantine machen und etwas Eis abstauben? Europäisches Eis“, schlug der Deutsche vor.
Kaname schüttelte den Kopf. „Ich muß erst mit Kapitän Sander sprechen.“
Diese Antwort irritierte Thomas nun doch ein wenig. Er hatte die junge Frau mit dem langen, blauschwarzen Haar eigentlich als Naschkatze in Erinnerung. Nahm sie die Sache mit Sousuke so sehr mit? Er schalt sich einen Idioten. Natürlich nahm sie die Sache mit, sonst wäre sie jetzt nicht hier auf der FEANOR.

Sie erreichten die Brücke, auf der geschäftige Betriebsamkeit herrschte. Kramer trat kurz zu Commander Allister, aber die winkte ihn und Chidori wortlos und mit merkwürdig funkelnden Augen zum Skipper weiter.
„Danke, Thomas. Das wäre im Moment alles“, sagte Johann Sander.
Der Arm Slave-Pilot fühlte sich erheblich abgefertigt.
Aber gehorsam trat er an die Seite, in Richtung von Sharon Allister.
Die empfing ihn mit einem dünnen Grinsen. „Na, wie geht es dem Glückspilz der Woche? Was machen die Prognosen?“
„Mir geht es gut. Ich kann wieder sehen, meine Kopfschmerzen sind fast weg und ich darf sogar schon mit einer Krücke herumlaufen. Danke der Nachfrage.“
„Dann sind Sie ja morgen schon wieder fit, um in einen Arm Slave zu steigen. Zu schade, dass ihr M9 gerade generalüberholt wird – und der Arbalest auf Gun-so Sagara geeicht ist“, seufzte sie.
„Das macht Ihnen Spaß, nicht wahr, Sharon?“ Er sah vom Skipper zum Commander. „Oh, entschuldigen Sie, Commander. Das ist mir nur so raus gerutscht.“
„Was denn? Ich hätte mich schon beschwert, wenn es mir unangenehm wäre, von Ihnen geduzt zu werden. Und ja, es macht mir Spaß. Schalten Sie doch endlich mal ein paar Gänge runter, Thomas. Es sind wirklich gute Leute an der Mission dran, beide Schiffe der Dannan-Klasse sind im Einsatz und wir sind dabei, Amalgam nach der Sri Lanka-Sache noch einmal tüchtig den Arsch aufzureißen. Und jeder hier würde einen Arm dafür geben, um Tai-sa Testarossa und Kim Sanders zu retten.“ Sie musterte ihn amüsiert. „Andererseits, einige brechen sich ihn auch nur.“
„Sehr witzig, Sharon.“
„Sehen Sie es doch locker. Immerhin haben wir Sie nicht auf Melina Island gelassen, oder? Ehrlich gesagt rechnen wir nicht mit Arm Slaves, die den Lambda Driver haben. Aber sollte das doch der Fall sein, kriegen Sie Ihren Einsatz. Als taktischer Berater am Kartentisch.“
„Na danke. Ich bin in einen Arm Slave gestiegen, um an der Front zu sein. Nicht um von hinten zu steuern.“
„Jeder nach seinen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Notwendigkeiten“, erwiderte die Nordirin nonchalant.
„Von wem ist das? Sun-Tsu? Patton?“
„Nein, Thomas, das ist ein Sharon Allister-Original. Sehen Sie es als persönlichen Gefallen meinerseits, dass ich Sie an meiner Weisheit teilhaben lasse.“
„Na, danke“, erwiderte der Captain säuerlich.
Sharon starrte an Kramer vorbei, und der Deutsche drehte sich automatisch um. Dabei sah er, wie der Skipper Kaname eine Chipkarte reichte. Sofort wandte er sich wieder um. „Ich sollte das sehen, richtig?“
Die Irin nickte. „Neben dem Skipper und mir sollte es noch einen Mann an Bord geben, der über diese Karte Bescheid weiß. Beschützen Sie diese Karte, Thomas. Notfalls mit Ihrem Leben. Sie enthält den Schlüssel zum größten Geheimnis der Dannan-Klasse.“
„Und warum kriege ich dieses Geheimnis aufgehalst?“, raunte Thomas wütend.
„Weil Sie die meiste freie Zeit haben.“
„Na danke“, erwiderte der Deutsche bissig. Aber bei dem spitzbübischen Lächeln der Irin konnte ihr wirklich niemand ernsthaft böse sein.

„Thomas?“
„Major Kramer, bitte zeigen Sie Miss Chidori nun ihr Quartier.“
„Aye, Skipper. Haben Sie sonst noch Aufträge für mich?“
„Ja, einen noch. Stolpern Sie nicht über Ihre Krücke und brechen Sie sich nicht den Hals. Wir brauchen Sie noch.“
„Bitte immer nur einen Tiefschlag pro Tag, Sir.“
„Ich verspreche nichts“, erwiderte der deutsche Skipper schmunzelnd. „Besprechung in zwölf Stunden. Versuchen Sie ein wenig zu schlafen, Kaname Chidori. Es kann durchaus sein, dass es ganz schnell ganz hektisch wird. Und dann muss jeder ausgeruht und voll belastbar sein. Das gleiche gilt für Sie, Thomas.“
Als Sander den Vornamen Kramers benutzte, duckte dieser sich wie unter einem elektrischen Schlag. Das verhieß normalerweise nichts Gutes. „Aye, Skipper.“
Sander musterte den Chef seiner Arm Slaves einen kurzen Moment lang unschlüssig, dann nickte er. „Weitermachen.“

Mit Chidori im Schlepp verließ Kramer die Brücke wieder. Seine Finger juckten, wenn er an diese Karte dachte. Und vor allem interessierte ihn das größte Geheimnis der Dannan-Klasse.
„Kaname, diese Karte“, begann er leise.
„Du hast sie gesehen?“ Unsicher sah sie zu ihm herüber.
„Kaname. Diese Karte existiert nicht, hast du mich verstanden? Offiziell gibt es sie nicht und du hast sie nie gesehen und nie bekommen.“
„Das hat mir der Skipper auch gesagt.“
Thomas schnaubte geräuschvoll. „Dann hör auf ihn, bitte.“
„Keine Sorge, das ist nicht das erste Mal, dass ich so eine Karte in Händen halte. Ich weiß, was ich damit tun muß. Und wie wichtig sie ist.“
„Damit weißt du schon mehr als ich“, murmelte der Deutsche enttäuscht.
„Hm, willst du wissen, worum es geht? Ich meine, wenn du sie schon gesehen hast.“
„Natürlich will ich es wissen. Aber du wirst es mir nicht sagen. Das ist ein Befehl.“
Kaname verzog das Gesicht zu einem gemeinen Lächeln. „Erstens unterstehe ich nicht deine Befehlsgewalt und zweitens hätte ich dir ohnehin nichts gesagt.“ Mit diesem Lächeln und den Worten schritt sie voran.
Thomas unterdrückte ein Auflachen. „Na warte, lass uns nur wieder in der Schule sein, dann lasse ich dich durch meinen Kurs rasseln, Kaname.“
„Wie fies, Sensei.“
Die beiden sahen sich an und lachten leise.

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8.
Der deutsche Geschäftsmann und Agent Robert Hausen ließ es sich nicht nehmen, bei den Sitzungen der beiden Whispered anwesend zu sein. Unter den Amalgam-Wissenschaftlern war er bereits berüchtigt; seine beständigen Hinweise, dass er sein Eigentum ohne Folgeschäden zurück haben wollten hatte dazu geführt, dass die ansonsten eher leichtfertig arbeitenden Spezialisten erheblich milder vorgehen mussten.
Normalerweise wurde das Wissen eines Whispered mehr oder weniger mit Gewalt extrahiert. Hausen aber bestand auf ein schonendes Verfahren, wie Mithril es benutzte.
Wie gesagt, für die Amalgam-Wissenschaftler war die Anwesenheit des Deutschen eine Belastung. Solange Direktor Conrad aber nicht einschritt, waren sie gezwungen, auf die Wünsche des Deutschen einzugehen.

Auch diesmal war Hausen anwesend. Nicht nur das, er nahm die erschöpften Mädchen nach der Sitzung in den Tanks persönlich in Empfang.
„Geht es euch gut?“, fragte Robert besorgt, als Tessa taumelnd auf die Beine kam.
„Das ist so falsch, so verdammt falsch!“, beschwerte sie sich. „Bei Mithril hätte ich nach einer Sitzung nicht solche Kopfschmerzen.“
Sie stolperte, aber Hausen fing sie auf. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er die Distanz, die er normalerweise zu den Gegenständen seiner Aufträge einhielt, bereits weit überschritten hatte. Er und seine Frau Lin hatten sowohl Tessa als auch Kim ins Herz geschlossen. Alleine aus diesem Grund war er das Wagnis eingegangen, mit Amalgam zu pokern.
Und jetzt, mit beiden Mädchen in den Händen der rücksichtslosen Interessengemeinschaft internationaler Großindustrieller, konnte er nur hoffen, dass seine Arbeit für Amalgam zu wichtig war, als dass sie freiwillig auf ihn verzichtet hätten.
Der Preis dafür war nicht nur das Wissen über die Black Technologie, welche Tessa und Kim in sich trugen. Nein, solange die Untersuchungen und Extrahierungen nicht abgeschlossen, er nicht Kim, Tessa und Lin in einen Flieger gesteckt und abgeflogen war, solange bestand das Risiko, dass er den Bogen überspannte und ein für allemal als Partner der Organisation indiskutabel wurde.
Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Noch nicht. Jetzt ging es ihm erst mal darum, dass den beiden Mädchen nichts geschah.
Vorsichtig half er Tessa, bis sie wieder selbst stehen konnte.
In dieser Zeit kam Kim aus dem Tank. Sie hielt sich wesentlich besser, ein deutliches Anzeichen dafür, dass die kleinere und zerbrechliche Tessa wieder einmal dagegen angekämpft hatte, dass Amalgam ihr ihr Wissen über die Black Technologie raubte.
Insgeheim bewunderte Hausen die kämpferische Ader der jungen Frau. Es passte so überhaupt nicht zu ihrem Erscheinungsbild, zu ihrer tollpatschigen Art. Aber es bewies wieder einmal, dass Mithril die richtige Frau auf den richtigen Posten gesetzt hatte.
„Bist du in Ordnung, Kim?“
Die junge Whispered ohne Vergangenheit – das war nicht ganz richtig, denn Amalgam und speziell Robert Hausen kannte diese Vergangenheit – warf dem Deutschen einen missfallenden Blick zu. Sie nahm es Robert und seiner Frau immer noch übel, dass sie Theresa da mit rein gezogen hatten. Kim war der festen Meinung, hier nicht wieder lebend raus zu kommen. Die weißblonde Italienerin darin zu involvieren war damit auch ihr Todesurteil.
Soweit ging ihre Logik, und Robert gestand sich ein, dass sie der Realität erschreckend nahe kam. Er selbst musste nur einen winzigen Fehler machen, um für Amalgam wertlos zu werden. Wertlos bedeutete entbehrlich. Entbehrlich bedeutete Entsorgung.
Dennoch akzeptierte sie Roberts Hilfe, als dieser ihr in den langen Bademantel half.
Wenn die Wissenschaftler schon den Verstand der beiden Mädchen missbrauchten gab es keinerlei Veranlassung, den Männern auf dem Stützpunkt auch noch extra Service zu bieten. So hatte es jedenfalls Lin sehr wütend geäußert, und Robert war der Logik dieser Worte seufzend gefolgt.

„Mr. Hausen.“
Robert sah auf, als die schlanke Wissenschaftlerin auf ihn zutrat. Er kannte sie, hatte sie im Safe House gerettet. Es wunderte ihn nicht, sie hier an diesem Ort wieder zu treffen, galt sie doch als Koryphäe bei der Analyse von Black Technologie. Und es wunderte ihn auch nicht, dass sie sich von Tokio ganz alleine bis hierher durchgeschlagen hatte. Auf eigenen Wunsch, versteht sich.
„Ms. Lear. Es freut mich, Sie wohlbehalten wieder zu sehen, nachdem Sie meine Gastfreundschaft abgelehnt haben.“
Er winkte die beiden Wachen heran, die ihn und die Mädchen normalerweise eskortierten. „Direkt in das Appartement. Keine Umwege“, befahl er den Männern.
Die beiden Infanteristen nickten zustimmend.
Danach wandte er sich wieder der Wissenschaftlerin zu. „Was kann ich für Sie tun, Ms. Lear?“
„Vielleicht kann ich etwas für Sie tun, Mr. Hausen. Quasi als Dankeschön für meine Rettung.“
Interessiert hob der Deutsche die Augenbrauen.
„Sie sind sich darüber im Klaren, dass Sie der meistgehasste Mann in diesem Labor sind? Ich selbst war Zeuge davon, wie die lieben Kollegen eine Petition verfasst haben, um Sie aus dem Labor zu verbannen. Sie sagen, Robert Hausen behindert ihre Arbeit und verhindert mit seiner unnötigen Rücksicht Erfolge.“
„So etwas habe ich mir schon gedacht. Aber wenn ich keine sabbernden Wracks mit nach Hause nehmen will, muß ich eben ein klein wenig anecken.“
Die große Frau strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Die Petition wurde beantwortet. Robert, das Eis, auf dem Sie stehen, wird langsam dünn. Halten Sie sich mehr zurück.“
Der Blick des Deutschen wurde ernst. „Ich danke Ihnen für diese Warnung, Ms. Lear.“
„Quitt pro quo, Robert.“
„Verstehe.“

Auf dem Gang hatte er die beiden Mädchen und ihre Wachen schnell eingeholt.
„Was wollte die bebrillte Giftschleuder denn von dir?“, fragte Kim wütend. Sie hasste diese Frau, immerhin war sie es gewesen, die sie in Kumanovs Haus in einen Tank gesteckt hatte. Tatsächlich war Doktor Lear auch für die Amnesie verantwortlich, aber das brauchte Kim nicht zu wissen.“
„Nur ein kleiner Plausch unter Profis.“
Tessa nickte verstehend. Kim runzelte nur verärgert die Stirn.
„Nur ein kleiner Plausch.“ Robert lächelte, aber es erreichte seine Augen nicht. Der Boden wurde heiß, definitiv heiß. Nun hieß es die Mädchen opfern. Eigentlich.
**
Im Appartement angekommen, fiel ein Großteil der Belastung von den Mädchen ab. Es war nicht gerade eine Befreiung, aber das Appartement war ihnen bei weitem lieber als eine Gefängniszelle.
Wie immer ersparte sich Lin einen Kommentar, nickte nur mitfühlend und drückte jedem der Mädchen ein Bund mit frischer Wäsche in die Hand.
Sie war der festen Meinung, dass man sich nach dieser Tortur körperlich reinigen musste, um das Wohlgefühl des eigenen Körpers zurück zu erlangen.
Und sie hatte Erfolg mit dieser Therapie.
Tessa und Kim hatten sich angewöhnt, zusammen ins Bad zu gehen, und zusammen ihren Dämonen zu begegnen, die sie nach solch einer Sitzung heimsuchten. Zwar verfügte das Bad nicht über eine große Gemeinschaftswanne, aber die Mädchen brauchten diese Abgeschlossenheit, Isolation, ihr privates Revier, um die Gedanken zu ordnen.
„Geht nur“, sagte der deutsche Geschäftsmann freundlich. Er ließ sich auf die Couchecke neben seiner Frau fallen.
Die beiden Mädchen sahen kurz neugierig zu den Hausens herüber, betraten dann aber das Bad.

„Wie schlimm ist es?“, fragte Lin sofort.
„Wie weit bist du?“
„Ich kann keinen meiner Brüder kontaktieren, tut mir Leid. Wir sind hier gut isoliert. Wenn es dir nicht gelungen ist, eine Nachricht raus zu schmuggeln, brauchen wir nicht auf Hilfe zu hoffen. Ist es also wirklich so schlimm?“
„Es ist so schlimm. Ich weiß nicht, wie lange Conrad mich noch beschützt. Oder wie lange er noch Lust darauf hat. Wir müssen die beiden Mädchen aufgeben, Lin.“
„Das glaubst du ja wohl selbst nicht!“, brauste die chinesische Arm Slave-Pilotin auf. „Wem willst du hier was vormachen? Mir oder dir?“
„Hör mal, Lin-Schatz. Ich habe Waffen im Wert von mehreren Milliarden verkauft. Damit wurden Kriege angeheizt und Menschen getötet. Ich habe selbst schon Auge in Auge gemordet und ich habe auch dabei geholfen, den Bürgerkrieg in Osteuropa anzuheizen. Wenn du einen Gutmenschen suchst, bist du bei mir falsch.“
„Du tust immer was du für richtig hältst.“
„Richtig. Und jetzt halte ich es für richtig, dass wir unsere Sachen packen und… Haben die Mädchen geschrieen?“
„Ich habe nichts gehört. Hm, du sagst, du willst hier verschwinden, wie? Zugleich aber richten sich bei dir sämtliche Haare auf, wenn du meinst, die zwei könnten in Gefahr sein. Du bist so ein erbärmlicher Lügner.“
Hausen beugte sich vor, legte beide Hände ineinander. „Ich bin bisher immer den leichteren oder profitableren Weg gegangen, Lin. Lass uns packen und von hier abfliegen. Vielleicht kriegen wir die Mädchen ja doch zurück.“
Lin rutschte zu ihrem Mann herüber. „Okay, Robert Hausen. Ich mache was du mir sagst. Tu, was du für richtig hältst.“
Wütend starrte der Deutsche die Chinesin an. „Du bist fies, hat dir das schon mal jemand gesagt?“
„Was? Ich habe nur gesagt, dass ich deine Entscheidung hinnehme und mittragen werde. Ist es nicht das, was du willst, Robert?“
Hausen stützte seinen Kopf auf den Händen ab. „Ich bin nicht dafür geboren, gut zu sein. Ich bin kein strahlender Ritter! Ich bin schlecht, ich bin ein Spieler, ein Abenteurer und ein Mörder. Das kann ich! Das beherrsche ich! So war ich und so werde ich immer sein!“
Lin lächelten ihren Mann an. „Also, wie sieht der Plan aus?“
„Wir klauen einen Venom und einen Jeep und brechen hier aus. Im Moment sind keine Venom-Piloten in der Anlage, die den Lambda Driver benutzen können, soweit ich weiß. Also sollte uns die Flucht gelingen. Dann versuchen wir, in die nächste südchinesische Stadt zu kommen. Von dort sollten wir deine Brüder oder deinen Vater erreichen können. Was danach ist… Keine Ahnung.“
Robert seufzte viel sagend. „Es tut mir Leid, dass ich dich mal wieder in meine vertrackte kleine Welt hinein ziehe. Es tut mir Leid, dass ich…“
„Pssst, Robert. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich deine Entscheidung mittrage. Und wie es der Zufall so will, habe ich doch tatsächlich heute Morgen einen Venom präpariert. Einen Wagen zu bekommen sollte dann unsere kleinste Schwierigkeit sein. Gibt es noch etwas Wichtiges?“
„Ich überlege gerade, womit ich eine Ablenkung inszenieren könnte. Aber vielleicht reicht es auch, wenn wir nachts fliehen.“
„Es wird schon werden“, erwiderte Lin und schmiegte sich an ihn. „Es hat doch bisher immer geklappt.“
Robert lächelte düster. „Bisher ja.“ Um der Mädchen willen hoffte er auf das Gesetz der Serie.
„Es ist ja nicht so, als würde ich plötzlich ein Gutmensch wie diese Idioten bei Mithril werden“, rechtfertigte sich der Agent. „Aber Amalgam hält den Vertrag nicht ein und bezahlt haben sie uns auch noch nicht. Das kann ich doch nicht durchgehen lassen.“
Lin küsste ihn sanft auf die Wange. „Wenn du es so sehen willst, damit es dir leichter fällt, ist das in Ordnung, Schatz.“
„Ich bin nicht gut“, brummte er widerspenstig.
„Das weiß ich doch, mein großer, böser Agent.“
„Amalgam wird schon noch merken wie groß und wie böse.“
Lin lächelte ihn an, beinahe schon verklärt. „Das ist mein Robert.“
**
„Hast du was dagegen wenn ich zuerst rein gehe, Tessa?“
„Nein, mach nur.“ Die Italienerin gähnte herzhaft. „Immer dieser Lagg, wenn du erst richtig begreifst, dass du raus aus dem Tank bist. Widerlich.“
„Ja, das nervt wirklich. Du hast ja richtig Angst, dass du im warmen Wasser einschläfst, untertauchst und ertrinkst.“
„Ich kann ja mit rein kommen und auf dich aufpassen“, neckte Tessa.
„Damit wir beide einschlafen und ertrinken, was?“ Kim zwinkerte der anderen zu.
„Hm, das ist merkwürdig“, murmelte die blonde Whispered. „Es scheint als sei am Lüftungsschacht ne Fliese gesprungen. Ob die hier heimlich eine Kamera hinter dem Gitter installiert haben?“
„Um was? Robert beim rasieren zu zu sehen?“, witzelte Tessa. Sie nahm sich einen Hocker, stellte ihn vor das Lüftungsgitter und sah hinein. „Keine Kamera. Aber das wären tolle Bilder geworden.“
„Du weißt, was ich meine! Alle Männer sind Augen fixiert und Instinkt gesteuert.“
Tessa seufzte viel sagend, räumte den Hocker wieder weg und trat ans Waschbecken, um sich die Zähne zu putzen. „Sind sie leider nicht. Die, bei denen man es am meisten braucht, sehen einen nicht mal, wenn man nackt vor ihnen auf und ab geht, weil sie eine ganz andere im Sinn haben.“ Wieder seufzte sie.
Kim grinste dämonisch und lehnte sich auf Tessas Schultern. „So, so, die junge Dame hat also schon negative Erfahrungen in der Liebe gemacht. Wer hat dich denn enttäuscht? Wer ist denn der liebreizenden Theresa Testarossa nicht sofort mit Haut und Haaren verfallen?“
„I-ich weiß gar nicht, worüber du sprichst.“
„Ach, komm.“ Kims Blick wurde verschlagen. „Es gibt da doch bestimmt einen Mann, der absolut keine Angst vor Tessa, dem Mensch, hat. Der aufrichtig, geradlinig, ehrlich und direkt ist. Der dir so gut gefällt, dass du ihn um keinen Preis teilen willst. Wer ist es denn? Stehst du eher auf den väterlichen Typ? Wie heißt er doch gleich, Kalinin? Der ist so groß und so breitschultrig, da ist das anlehnen doch die reinste Freude. Und ich wette er riecht auch gut.“
„Es ist NICHT Kalinin!“
„Mardukas vielleicht? Obwohl, da würde ich schon einen handfesten Opa-Kompelx vermuten.“
„Auch nicht Chu-sa Mardukas.“ Tessa biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu lachen. „Sag ihm das mit dem Opa-Komplex ja nie, hörst du?“
„Hm, wen habe ich denn noch auf meiner Liste? Du wirst doch nicht etwa auf Thomas stehen? Ich meine, Hey, Thomas gehört mir, und wenn ich mich mit wem um ihn streite, dann nur mit Melissa.“
„Es ist auch nicht Thomas. Obwohl ich dich verstehen kann. Er ist der Typ, der in einen Kugelhagel springt, um einen Hundewelpen zu retten, nicht?“
Kim seufzte viel sagend. Sie wandte sich um, öffnete ihren Bademantel und zog das Hemd aus, welches sie bei den Sitzungen im Tank tragen musste. „Er ist ein verdammter Held. Noch schlimmer als dein Sousuke Sagara. Hoffnungslos, an ihn ranzukommen.“
Tessa sah im Spiegel dabei zu, wie sie rot wurde – und die Röte bis zu den Haarspitzen schoss. „Ich versuche nicht an Sagara ranzukommen!“
„Aha, erwischt“, erwiderte Kim mit einem süßen Lächeln. „Ich habe nämlich von mir selbst und Thomas gesprochen.“
Für einen Moment wirkte Tessa, als würde ihr Kopf gleich explodieren.
„Keine Sorge, ich werde es Sagara schon nicht verraten, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.“
„Ich sagte doch schon, ich versuche nicht, an ihn ranzukommen!“
„Ach, Mädchen. Wenn wir unter uns sind, darfst du ruhig ehrlich sein. Im Club der Mädchen der unerwiderten Liebe verrät keine die andere, versprochen.“
„Blöder Club“, murrte Tessa. „Blöde Idee. Wieso überhaupt unerwidert?“
„Kaname Chidori.“
„Kaname ist eine Freundin“, brummte die Italienerin in düsterem Tonfall.
„Nanu, so wie du es sagst, klingt das eher nach einem Todfeind.“
„W-wir kommen sehr gut miteinander aus!“, rief Tessa hastig.
„Solange es nicht um Sagara geht, eh?“ Kim kam zurück, gab der anderen einen Kuss auf die Wange und sagte: „Mach nicht so ein Gesicht, Schatz, das gibt doch nur Falten. Also, ich gehe dann zuerst rein.“

Kim griff nach einem Handtuch, legte es sich um den Körper und zog die restliche Unterwäsche aus. Dann öffnete sie den Vorhang der Badewanne.
„Äh, Tessa, vielleicht solltest du zuerst in die Wanne gehen.“
Sie zog den Vorhang wieder zu, angelte nach der Hand der Italienerin und zog sie zu sich heran.
„Warum soll ich denn zuerst in die Wanne… Zieh doch nicht so, und ausziehen kann ich mich auch alleine… Kim, lass das, nicht da anfassen… Das kann ich selbst… Isjaschongut. Her mit dem Handtuch.“
Kim betrachtete die nur mit einem Handtusch bekleidete Theresa wie ein sadistischer Drillsergeant seinen jüngsten Rekruten. Schließlich nickte sie. „Ab in die Wanne, Tai-sa Testarossa.“
„Wer ist hier eigentlich der Söldner, du oder ich?“, murrte Tessa in Kims Richtung und zog den Vorhang auf. Sie seufzte tief, setzte das erste Bein in die Wanne und sah auf.
Direkt in der schwitzende Gesicht von Sousuke Sagara.
Tessa riss die Augen auf, dazu den Mund und starrte den Gun-so an.
Der drängte sich so weit er konnte an die Wand und fixierte die Vorgesetzte wie das sprichwörtliche Kaninchen die Schlange.
Kim hatte unterdes erhebliche Mühe, sich selbst davon abzuhalten, laut aufzulachen. Mit einer Hand hielt sie sich den Bauch, mit der anderen den Mund.
Theresa Testarossa hob langsam die Arme zum Kopf, ihr Mund öffnete sich zu einem Entsetzensschrei, während das Handtuch plötzlich den Entschluss fasste, der Schwerkraft nachzugeben.
Die Augen des Gun-so weiteten sich auf eine unwirkliche Größe.
„Alles was Recht ist“, sagte Kim amüsiert, während sie eine Hand auf Tessas Mund und die andere auf das Handtuch legte, bevor es zu Boden fallen konnte, „aber Sonderservice gibt es heute nicht für dich, Sousuke. Umdrehen, aber fix!“
„Ja-jawohl!“
„Und schrei nicht so! Nebenan sind die Hausens!“
„…jawohl…“
„Mmmmhwwww! Mwww!“
„Schreist du, wenn ich die Hand wegnehme, Tessa?“
„Mff!“
„Also gut.“
„Wawawawas macht den Sousuke hier?“
„Das würde mich auch interessieren. Aber was macht er in unserer Wanne?“
„D-das ist das Ergebnis der Verkettung unglücklicher Umstände!“
„Ich sagte doch du sollst nicht schreien. Sousuke!“
„Ver-verzeihung!“
„So, mein Lieber, du hast wahrlich genug gesehen. Ich verbinde dir jetzt die Augen, dann steigst du aus der Wanne und verschwindest in der Dusche. Und du wirst die Augenbinde aufbehalten. Und währenddessen erzählst du uns, wie du es in die Basis geschafft hast. Und warum du ausgerechnet in unserem Badezimmer gelandet bist.“
„Jawohl.“

Kim verband dem Söldner die Augen, dann zog sie ihn ziemlich unsanft aus der Wanne raus, dirigierte ihn in die separate Dusche und schloss den Vorhang hinter ihm.
Dann nickte sie Tessa zu. „Du brauchst wohl noch etwas, um dich zu fangen, also gehe ich zuerst in die Wanne.“
„D-du willst baden? Während Gun-so Sagara im Raum ist?“
„Wenn wir da ungebadet rauskommen, werden Robert und Lin nur misstrauisch. Also, ich gehe zuerst.“
Sicherheitshalber schloss Kim den Vorhang, wenngleich sie sich sicher war, dass Männern Frauen nichts abgucken konnten. Aber nur für den Fall des Falles, der Gun-so hatte schon mehr als genug gesehen, und sie wollte ja nicht, dass er glücklich starb. „Na, dann erzähl mal, Sousuke. Und beginn ab der Entführung im Safe House.“
„Jawohl.“

Zehn Minuten später tauschten Kim und Tessa die Plätze. „Soweit so gut, Gun-so Sagara“, spottete Kim, während sie sich die Haare abtrocknete. „Ihr habt also das Landhaus mit den beiden geliehenen M6 angegriffen.“
„Das Haus erwies sich als Falle. Es war geschützt mit automatischen Geschützstellungen, die Captain Kramer und ich schnell ausschalteten. Als wir aber das Landhaus erreichten, entdeckte ich zwei Fahrzeuge vom Typ Humvee, die aus einer Scheune starteten und zu fliehen versuchten.
Zu gleichen Zeit explodierte das Landhaus, wahrscheinlich durch eine massive Staubexplosion. Captain Kramers M6 wurde ebenso hart getroffen wie mein Arm Slave.
Ich fand mich ohne Kontakt zu Falke eins am Boden liegend wieder, aber in der Scheune. Dort stand ein weiterer Humvee, und ich nutzte die Gelegenheit, um… Urgs!“
„Was sagst du da? Thomas war in einer Explosion gefangen?“
Wütend schüttelte Kim den Söldner am Kragen seiner grünen Uniform. „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede! Was ist mit Thomas?“
„Thomas ist ein erfahrener Soldat und ein guter Arm Slave-Pilot. Wenn ihn so etwas wie eine hinterhältige Sprengfalle umbringen könnte, dann wäre er schon vor langer Zeit gestorben. Ich bin mir sicher, dass er in Sicherheit ist. Und dass unsere Kameraden von Mithril bereits auf unserer Spur sind. Darf ich meine Augenbinde wieder gerade rücken? Sie ist durch dein schütteln verrutscht, Kim.“
Die junge Whispered sah zu Sagara hoch, der sie mit einem freien Auge ansah, dann an sich selbst herab – sie trug nur Unterwäsche. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, als sie hastig einen Schritt zurücktat und den Vorhang wieder schloss.
„Also, noch mal für die billigen Plätze“, kam es von Tessa. „Thomas und du waren durch die Explosion des Hauses getrennt. Du hast die fliehenden Fahrzeuge entdeckt und dich entschlossen, ohne weitere Befehle abzuwarten, ihnen auf eigene Faust zu folgen.“
„Ich hatte keine Zeit, weitere Befehle einzuholen. In Fällen wie diesen empfiehlt Sho-sa Kalinin immer Eigeninitiative. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich die Humvees verlieren würde, wenn ich nicht schnell handelte. Da ich bis auf schmerzende Rippen und einen verstauchten Knöchel unverletzt war, handelte ich.
Ich nahm den dritten Humvee und fuhr den anderen beiden nach. Wie ich erwartet hatte, achteten sie in ihrer Aufregung nicht auf mich und führten mich zu einem weiteren Landhaus in relativer Nähe. Ich ließ den Humvee zurück und infiltrierte das Gelände. Da sich dort gerade zwei Parteien belauerten, jene der Gastgeber und jene des Gastes, war es ein Leichtes von außen einzudringen. Es fiel mir auch relativ leicht, an Bord eines der Hubschrauber zu kommen, nachdem ich gesehen hatte, dass Tai-sa Testarossa und Miss Sanders auf einen großen Transporter gebracht worden waren.
Es war einfach, mich unter die Infanterie zu mischen, die Männer waren schlecht organisiert und undiszipliniert. Niemand schöpfte Verdacht, solange ich ebenfalls ein Gewehr trug und meine Mütze tief ins Gesicht gezogen behielt.“
„Gun-so! Darüber reden wir noch mal! Das Glück derart herauszufordern hätte tödlich enden können!“, begehrte Tessa auf.
„Jawohl! Jedenfalls gelang es mir, so diese Basis zu infiltrieren. Der Zugang zu den Labors oder zu einem leistungsfähigen Funkgerät blieb mir verwehrt, die Kontrollen ließen das nicht zu. Also suchte ich mir eine sichere Operationsbasis, um meine nächsten Schritte zu planen.
Schließlich entdeckte ich das Appartement, in dem der Tai-sa und Miss Kim gefangen gehalten werden und infiltrierte es über den Lüftungsschacht. Zu dem Zeitpunkt entdeckte ich die Anwesenheit von Mrs. Hausen im Appartement und zog mich hinter den Vorhang der Badewanne zurück. Dort richtete ich mich auf eine lange Wartezeit ein, wobei ich nach vierzig Stunden ohne Schlaf eingenickt sein muss. Ich erwachte, als Miss Kim den Vorhang zur Seite zog.“

„Genau rechtzeitig zum Sonderservice“, kommentierte Kim mit einen dünnen Lächeln. „Den Rest wissen wir.“
Nachdrücklich zog sie den armen Gun-so wieder aus der Dusche hervor und nahm die Augenbinde ab.
„Also, Gun-so“, sagte Theresa ernst, „wie sieht Ihr Plan aus?“
„Teil eins des Plans war die Erkundung der gegnerischen Basis, soweit mir das möglich ist. Teil zwei war die Kontaktaufnahme, um die Flucht vorzubereiten. Teil drei wird die Flucht selbst sein. Ich werde für eine Ablenkung sorgen, anschließend fliehen wir mit einem Fahrzeug aus dem Hangar Richtung Norden.“
„Warum schnappst du dir nicht einen Arm Slave von denen und haust hier alles kurz und klein, bevor wir gehen?“
„Ich halte es für sicherer, keine unnötige Aufmerksamkeit über den Fakt der Flucht hinaus auf uns zu ziehen. Meinen Ermittlungen nach gibt es einen Amalgam-Piloten in dieser Anlage, der den Lambda Driver des Venom benutzen kann. Mit einem Arm Slave zu fliehen würde bedeuten, eine riesige Zielscheibe zu sein.“
Die beiden Frauen wechselten einen erschrockenen Blick.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Robert Hausen trat halb herein, in der Hand eine Walter mit Schalldämpfer. „Guten Abend, Gun-so Sousuke Sagara. Darf ich Sie darüber informieren, dass Sie zu laut waren?“
Zögerlich hob Sousuke die Hände.

9.
Chu-i Clouseau, der neue Chef der Arm Slaves der DANNAN musterte die anwesenden Piloten der Hubschrauber und Arm Slaves. Zusätzlich zu den Besatzungsmitgliedern der DANNAN hatten auch sechs Gernsback-Piloten von der FEANOR samt ihrer Maschinen übergesetzt.
Der große Europäer fühlte sich einen winzigen Augenblick unsicher, es geschah nicht alle Tage, dass er eine Einsatzbesprechung leiten musste.
Aber Chu-sa Mardukas war auf der Brücke und Sho-sa Kalinin auf der FEANOR und briefte die Hubschrauber und Infanterie.
Clouseau straffte sich. „Gentlemen! Hinter mir sehen Sie die Anlage, wie uns die Unterlagen beschreiben, welche Süd-China uns zukommen ließ. Dazu gehörten holographische Blaupausen, und was noch wichtiger ist, topographische Aufnahmen.“
Chu-i Clouseau zeigte hinter sich. Dort wurde gerade ein mit Wald bewachsener Hügel dargestellt. Auf seinen Fingerzeig hin begannen Stellungen zu feuern, Hangars bildeten hell erleuchtete Nischen aus und verborgene Bunker am Hang und am Fuß des Hügels erwachten zum Leben.
„Ursprünglich war diese Anlage ein Bollwerk gegen das kommunistische Vietnam, dementsprechend sind die Schießscharten der Hauptwaffen und Raketenstellungen nach Süden und Südwesten ausgerichtet. Diese Waffen wurden deinstalliert und spielen in unserer Planung keine Rolle.
Aber das bedeutet für uns, dass die Anfahrtwege alle im Norden, Nordosten und Nordwesten liegen. Um Umschließungsangriffen vorzubeugen wurden diese Wege mit vollwertigen Bunkeranlagen abgedeckt, die kleinere Angriffe im Fiasko hätten enden lassen. Dazu kamen groß angelegte Netze von Schützengräben, um jederzeit kleineren Kontingenten von Fußsoldaten mit Panzerfäusten und Antiluftraketen zu erlauben, zu den Brennpunkten zu kommen.
Unsere Satellitenaufnahmen zeigen, dass zumindest die Schützengräben verwildert und teilweise eingefallen sind. Unser Augenmerk gilt den Anfahrtwegen und den Bunkern. Die Wege sind so stark ausgelegt, um notfalls zwei Panzer nebeneinander passieren zu lassen und tragen zu können. Sprich, Arm Slaves können auf diesen Routen sehr schnell vorankommen.“

Clouseau musterte die anwesenden Soldaten. Im Gegensatz zu vielen anderen Soldaten an Bord schätzte er die Kameraden, die von der FEANOR übergesetzt waren. Die meisten stammten aus dem Kommando Nordatlantik, und mit vielen hatte er während seiner Zeit auf dem europäischen Festland zu tun gehabt. Er wusste gut genug, dass sie denen des Pazifiks kaum nachstanden. Auch der Ausfall ihres Anführers, Captain Kramer, sollte sie nicht bemerkenswert verlangsamen.
„Wir rechnen damit, dass maximal ein Drittel der Bunker ähnlich automatisiert wurden wie die Waffenstellungen auf dem Landgut, dem Captain Kramer und Gun-so Sagara zum Opfer gefallen sind.“
Unwillkürlich krampfte Melissa Mao die Hände um ihren Stuhl, der einzige Hinweis darauf, wie sehr ihm die Ungewissheit Sagara betreffend nahe ging. Aber Clouseau sah sie dennoch.
„Des Weiteren erwarten wir mindestens zehn Arm Slaves vom Typ Venom.“
Aufgeregtes Raunen antwortete ihm. „Die übrige Verteidigung, bestehend aus Infanteristen und Panzertruppen, ist nicht bekannt. Wir werden den Umständen entsprechend improvisieren müssen.
Zur Strategie… Ja, Sergeant Ben Brahim?“
„Ich weiß, es ist etwas viel gefragt, aber besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Piloten der Venoms den Lambda Driver benutzen können?“
„Dazu komme ich noch. Zuerst aber die Strategie.
Unsere eigenen Arm Slaves machen den Anfang. Sie werden nahe der Küste von der TUATHA DE DANNAN per Katapult gestartet und brechen ins Hinterland auf. Danach folgen von DANNAN und FEANOR die Kampf- und Transporthubschrauber. Die Jets starten als Letzte.
Den Gernsback fällt die Aufgabe zu, die Bunker zu säubern und die aktiven Stellungen in der eigentlichen Festung zu vernichten. Funktioniert der Plan wie gewünscht, ziehen wir die Infanterie nach, die entweder versucht, Tai-sa Testarossa und Miss Sanders zu finden und zu retten oder die Anlage zu nehmen. Die Super Harrier bleiben knapp außer Ortungsreichweite in Bereitschaft.
Ihre Frage betreffend, Sergeant Ben Brahim, hier kommt Ihre Antwort. Captain Kramer?“
Das Hologramm verschwand. Stattdessen zeigte es den Sitzungsraum der FEANOR, der randvoll mit Infanteristen voll gepfropft war.
„Danke, Chu-i Clouseau. Ich habe den taktischen Ausführungen nichts mehr hinzu zu fügen.
Kommen wir zu meinen persönlichen Erfahrungen mit dem Lambda Driver. Während des Angriffs wird Amalgam alle Piloten aktivieren, wir bekommen es dann im schlimmsten Fall mit zehn Venoms zu tun. Sollten einer oder mehrere dieser Arm Slaves in der Lage sein, den Lambda Driver zu nutzen, heißt es Fersengeld geben. Jeder Versuch, die Festung dennoch zu nehmen wird dann in einem Blutbad enden, und damit Sie mich richtig verstehen, in einem Blutbad für Mithril.
Unsere Scharfschützen werden alle Venoms nach ihrem Auftauchen und danach regelmäßig unter Feuer nehmen, um sie auf aktive Lambda Driver zu testen.
Entdecken wir einen aktiven Driver, wird die Aktion sofort abgebrochen.“ Kramer hob abwehrend die rechte Hand. „Ich weiß, was Sie sagen wollen. Der FEANOR-Besatzung ist es gelungen, einen Lambda Driver zu vernichten. Das ist richtig. Ich werde Ihnen jetzt sagen wieso. Der Lambda Driver ist auf Emotionen angewiesen, um zu funktionieren. Extrem starke Emotionen. Amalgam führt diesen Zustand durch Medikamente herbei, ihre Piloten sind also permanent, nun, unter Drogen.
Mein Gegner in der Sahara war bereits Stundenlang auf der Jagd, war erschöpft und übermüdet. Seine Konzentration war am Boden und er konnte die Emotionen, die er für den Abschluss der Mission brauchte nicht aufrechterhalten. Als die riesige Lawine aus Geröll auf ihn niederging verließ ihn der Mut. Das kostete ihm sein Leben.
Für Sie heißt das: Sie treten gegen ausgeruhte, kampfbereite Soldaten an, die ihre Lambda Driver sehr wohl für Stunden konzentriert einsetzen können. Da sie unter Drogen stehen müssen wir zudem annehmen, dass sie besonders aggressiv sind, vielleicht sogar in einem Tötungsrausch. Deshalb hören Sie auf Chu-i Clouseau, wenn er die Aktion abbricht.
Sobald dieser Befehl kommt, werden wir versuchen, das Gelände mit Hilfe der Harriers zu bombardieren und einzunebeln. Selbst ein Arm Slave mit Lambda Driver kann nur verfolgen was er sieht. Danach sammeln Sie sich an den Notfallpunkten, die Cu-i Clouseau für Sie festlegen wird.“
„Aber das ist nicht Sinn der Aktion, dass wir den Schwanz einkneifen und fliehen!“
„Es ist auch nicht Sinn der Aktion, dass wir alle sterben. Übernehmen Sie wieder, Chu-i Clouseau.“
Für einen Moment schwieg der Europäer beeindruckt. Nicht eine Sekunde hatte der andere Offizier mit seinem Erfolg in der Sahara geprotzt. Stattdessen hatte er sehr genau die Gründe definiert, die den Venom-Piloten getötet hatten.
Er unterdrückte ein breites Grinsen. Anständiger Bursche. Hoffentlich waren das seine Leute auch. „Aufbruch in zwei Stunden, zehn Minuten. Ausführung!“
Übergangslos verwandelte sich der Besprechungsraum in ein organisiertes Chaos.
**

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Für den Angriff blieb die FEANOR zwanzig Seemeilen hinter der DANNAN zurück. Da von ihr nur Kampfhubschrauber, Jets und Transporter gestartet werden würden, alles Elemente der zweiten und dritten Welle, konnten sie sich ruhig ein wenig Distanz gönnen, bildlich gesprochen. Außerdem würde die FEANOR dem Schwesterschiff die Tür offen halten. Es war allgemein bekannt, dass Amalgam über Unterseeboote verfügte und diese auch einsetzte. Dass die eine oder andere Luftflotte in der Region vielleicht eine kleine Gefälligkeit für das Milliardenkonsortium leisten würde, stand ebenfalls zur Debatte.
Grund genug für die FEANOR, Aufpasser zu spielen.
Der Abflug der Helikopter und der Harrier geschah in großer Hektik, aber bestens organisiert, wie es sich für ein Schiff mit Elitebesatzung gehörte.
Die Sache hatte nur einen Haken. Thomas war nicht mit dabei.
„Du musst dir keine Vorwürfe machen, Thomas. Wenn die Operation beginnt, bist du wenigstens im Kontrollraum“, sagte Kaname im vergeblichen Versuch, den Deutschen aufzuheitern.
„Du doch auch“, brummte Thomas verstimmt. Verdammt, Kaname hatte so einen Ton nicht verdient, aber der Arm Slave-Pilot war schon immer schlecht darin gewesen aufzugeben oder zurückzustecken. Auch wenn ihn seine Selbstzweifel wieder mal zerfressen hatten, aufgegeben hatte er nie. Und gerade jetzt, wo er mehr und mehr Vertrauen in seine Fähigkeiten als Menschenführer und Pilot gewann, musste er wegen der Brüche auf dem Schiff bleiben. Stattdessen hätte er den Einsatz lieber vor Ort geleitet.
Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht des Deutschen, als er das Knie des Arm Slave tätschelte, auf dessen Fuß er saß. „Du darfst nicht in den Kontrollraum, Großer.“
„Positiv, Captain.“
„Und was kann ich da machen? Im Hintergrund sitzen und Däumchen drehen und hoffen, dass sie Tessa und Kim da raus holen. Und dann weiß ich immer noch nicht, wo Sousuke ist und…“
„Es geht ihm gut“, beschwichtigte Kramer die junge Frau.
„Wie kannst du das sagen? Das weißt du doch überhaupt nicht. Das ist eine glatte Lüge.“
„Ja, da hast du Recht, Kaname-chan. Es ist eine glatte Lüge. Und? Fühlst du dich besser, wenn du sie hörst?“
Für einen Moment wirkte die Japanerin, als würde sie explodieren wollen. Dann aber entspannte sie sich und nahm auf dem zweiten Fuß des Arbalests Platz. „Etwas.“
„Na siehst du. Außerdem stirbt Sousuke nicht so leicht. Wäre er jemand, der von einer simplen Explosion getötet werden könnte, dann wäre er schon vor langer Zeit in Helmajistan gestorben. Und das ist keine Lüge.“
„Damit fühle ich mich auch besser.“
Thomas sah mitfühlend zu ihr herüber. „Du magst ihn ziemlich gerne, oder?“
„Definiere mögen.“
„Er macht dir nur Arbeit und du hast ihn trotzdem gerne um dich.“
Kaname lachte rau auf. „Ja, wenn du es so formulierst dann mag ich ihn wohl wirklich.“
Sie sah zu Thomas herüber. „Und du meinst wirklich, dass Sousuke in Ordnung ist?“
„Nun, in Ordnung wird er nicht sein. Wenn er mir das nächste Mal nicht mit ein paar ordentlichen Verletzungen unter die Augen tritt – oder eine verdammt gute Ausrede – dann falte ich ihn auf zwei Dimensionen zusammen. Aber am Leben ist er auf jeden Fall. Ich habe seine Akte gesehen. Alleine dass er die Sache mit dem Behemoth überlebt hat – unglaublich. Ich erwähne das, weil du dabei warst, Kaname. Beachtlich für eine Zivilistin.“
Chidori verzog ihr Gesicht zu einem wehmütigen Lächeln. „Das hat Chu-sa Mardukas auch gesagt. Er meinte, ich hätte Leistungen erbracht, die für die meisten Soldaten unmöglich sind.“
„Allerdings. Und Sousuke hat noch viel verrücktere Dinge geschafft, oder? Ich darf nicht im Detail darüber sprechen, aber in Helmajistan hat er eine noch viel gefährlichere Situation bravourös gemeistert.“
„Er spricht nie über diese Mission. Aber wenn ich ihn darauf anspreche, sind seine Augen so alt. Ich… Ach, ich weiß auch nicht. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ob er gefangen ist oder irgendwo sterbend im Dreck liegt oder…“
„Hm. Al, was meinst du? Was ist mit Gun-so Sagara passiert?“ Thomas klopfte nachhaltig gegen das Mechbein.
„Benötige zusätzliche Informationen.“
„Ersetze die fehlenden Informationen durch Wahrscheinlichkeiten. Hat Gun-so Sagara die Explosion des Landhaus und die Vernichtung seines M6 überlebt?“
„Positiv, Captain.“
„Wo befindet sich Gun-so Sagara gerade? Er hat überlebt und uns nicht kontaktiert. Das bedeutet…“
„Das bedeutet, er ist an einem Ort, von dem aus er keinen Kontakt zu uns aufnehmen kann. Eventuell wurde er gefangen genommen und an Amalgam ausgeliefert.“
„Oder er hat die Anlage selbst infiltriert.“
„Negativ. Die Chancen für eine solche Aktion wären viel zu gering.“
„Es würde mich trotzdem nicht wundern“, erwiderte Thomas bissig. „Nicht bei Sousuke Sagara.“
„Mich auch nicht.“ Chidori seufzte tief.
„Positiv.“
„Siehst du“, sagte Thomas mit einem strahlenden Lächeln, „sogar Al vertraut auf Sousuke.“
Kaname taxierte den deutschen Arm Slave-Piloten mit einem amüsierten Blick. Sie erhob sich von ihrem Platz, kam herüber und klopfte ihm auf die Schulter. „Danke für die Aufmunterung, Thomas. Ich gehe dann schon mal rüber in die Zentrale. Vielleicht kann ich nützlich sein. Irgendwie.“
„Ich komme nach“, versprach Kramer.

Thomas sah ihr nach, bis sie den Hangar verlassen hatte. „Sie ist sehr stark. Und sie hat schon Dinge erlebt, die andere hätte verzweifeln lassen. Sousuke, Sousuke, worauf hast du dich da nur eingelassen?“
Er lachte laut auf. „Aber sie passt zu ihm. Vielleicht braucht er das auch. Vielleicht brauchen beide das auch. Die zwei können sich schön aneinander reiben, und irgendwann ecken sie aneinander und kommen nicht mehr voneinander los.“
„Positiv, Captain.“
„Ich würde deinen Programmierer wirklich sehr, sehr gerne kennen lernen, Al“, meinte der Deutsche schmunzelnd.

10.
In schneller Folge wurden die Arm Slaves auf den Dampfkatapulten abgeschossen.
Zuerst kamen die zwei Scharfschützen der zusammen gewürfelten Einheiten, Gun-so Kurtz Weber und Sergeant Yussuf Ben Brahim. Sie würden vor fliegen und sich von den Covert Ops, Sho-sa Kalinins Spezialtruppe, die den Bau seit acht Stunden versteckt überwachten, in Scharfschützenpositionen für ihre Arm Slaves einweisen lassen.
Eine Viertelstunde später folgten die Arm Slaves der Angriffstruppe unter dem Kommando von Chu-i Clouseau.
Danach starteten die Hubschrauber.
Die Super Harriers folgten als Letzte. Alle hofften, dass ihr Einsatz nicht nötig sein würde.

Thomas sah der ersten startenden Harrier nach. Captain Valeri war nicht nur ein guter Pilot, sondern auch ein sehr guter Freund. Er wusste um seine Rolle als Rückversicherung und würde sie bestmöglich erfüllen.
Für ihn wurde es nun Zeit, unter Deck zu gehen, da das Flugdeck bald geschlossen werden würde. Die FEANOR würde danach tauchen und eine Schleife einschlagen, bis die Einheiten zurückkamen. Wenn alles gut ging, dann würde dies mit Tessa und Kim sein.
Alarm gellte auf, kündete davon, dass das Flugdeck geschlossen und versiegelt wurde. Höchste Zeit für den Deutschen.
Er ließ sich von einem der Lastenlifte in den Hangar hinabfahren und humpelte anschließend mit seiner Krücke in Richtung Brücke. Nebenan, in der Einsatzzentrale, würde er nervös im Hintergrund sitzen und gar nichts tun können außer Däumchen zu drehen und wahnsinnig zu werden.
Oh, er hasste es schon jetzt.
**
„Gute Ecke habt ihr mir ausgesucht, Gold fünf“, lobte Kurtz Weber über Funk mit minimaler Leistung.
Der Anführer des Beobachtungstrupp winkte kurz zu ihm herüber, es wirkte als würde ein Busch plötzlich lebendig werden. Die Jungs verstanden was von Positionen und vor allem von Tarnung.
Sein Gernsback lag in einer von Bäumen umgebenen Bodenmulde, hatte aber selbst freies Schussfeld in Richtung der Befestigungsanlage. Die Distanz betrug etwa einen Kilometer. Für das schwere Scharfschützengewehr des M9 eine schwierige, aber keine unmögliche Distanz. Für ihn natürlich eine Leichtigkeit.
Ben Brahim, der andere Scharfschütze der Arm Slaves, hatte seine Position im Nordosten gefunden, während er selbst im direkten Norden hockte.
Ben Brahim war noch näher dran, hatte aber zugegeben eine gute Position erhalten.
Allerdings musste der andere Pilot im sitzen schießen. Bei schnellen Serien würde sich das negativ auf die Balance auswirken.
Kurtz grinste schief. Soweit war alles gut gelaufen. Nun mussten sie nur noch Glück haben und keinem aktiven Lambda Driver über den Weg laufen, dann würde Amalgam heute eine weitere Festung verlieren.
Er warf einen Blick auf die Anzeige der Partikeltarnung; sie war aktiv und stabil. Solange es nicht regnete, würden ihn nur seine eigenen Schüsse verraten.
Seinetwegen konnte es losgehen. Je eher desto besser.

Eine knappe halbe Stunde später kam das ersehnte Zeichen: „GO!“
Die fünf Arm Slaves, die nach ihnen von der DANNAN gestartet waren, schwebten in diesem Moment einen guten halben Kilometer entfernt an Fallschirmen zu Boden und eröffneten das Feuer auf die ersten Bunker.
Automatische Stellungen erwachten zum Leben und feuerten in die Luft. Sperrfeuer gegen unsichtbare Gegner.
Kurtz ignorierte das. Der Feind hatte Raketen, die sich von der Partikeltarnung nicht täuschen ließen. Die waren seine Beute, nicht die Schnellfeuerwaffen oder die Bunkeranlagen, die ohnehin schnell von den Gernsback unter Clouseau zerschossen wurden.
Da! Rakete. Das sah doch gut aus. Kurtz legte an und sah dabei zu wie sie explodierte.
„Ups, Tschuldigung. Die war ja in deinem Bereich, Weber“, klang Ben Brahims Stimme auf.
„Grenzland. Da kann man wohl nichts machen. Wer zuerst schießt mahlt zuerst.“
Weitere Raketen fuhren aus, und diesmal teilten sich die beiden Sniper den Kuchen.

Seit dem Go waren drei Minuten vergangen. Im Berg öffneten sich Hangartore, entließen Arm Slaves vom Typ Venom.
Kurtz grinste trocken. „Jetzt wird es ernst.“
„Wer einen mit Driver trifft hat verloren“, erwiderte Ben Brahim.
Sie zählten acht Venoms, die sich nun ihrerseits tarnten und auf das Schlachtfeld hinaus eilten. Mittlerweile waren die Gernsback gelandet und kämpften am Boden weiter.
Kurtz schoss eine schnelle Serie ab, erwischte einen getarnten Venom und riss ihm mit seinen Treffern fast einen Arm ab. Auf jeden Fall flackerte die Tarnung, was die M9 der DANNAN dankbar annahmen, um den Gegner zu einem sehr teuren Haufen Metallschrott zu verwandeln.
Ben Brahim stand ihm nicht lange nach, erwischte einen anderen Arm Slave mittig im Torso, auch der lenkte seine Schüsse nicht mit dem Lambda Driver ab.
Auch hier machten die Mithril-Soldaten kurzen Prozess.
„Was ich dir noch sagen wollte, Weber“, rief Ben Brahim mit künstlich fröhlicher Stimme und feuerte eine neue Serie, mit der er einen weiteren getarnten Venom entdecken wollte, „wenn du einen mit erwischst, dann…“
„Schon klar, wechsle deine Position, sonst bist du selbst Schrott. Ich habe schon mal gegen einen Venom gekämpft.“
„So? Du musst verloren haben.“
„Stimmt. Und ich habe draus gele… VORSICHT!“
Einer der Venoms wurde plötzlich sichtbar, ihn umgab eine goldene Aura, an seiner Front bildete sich eine rote Kugel, die immer größer wurde. Schließlich schoss sie in genau die Richtung, aus der die ursprüngliche Kugel aus Ben Brahims Scharfschützengewehr gekommen war.
„Bin ja kein Idiot“, keuchte Ben Brahim. An seiner alten Position expandierte eine riesige Explosion. „Habe mich gleich abgesetzt, als ich das Leuchten gesehen habe. Neue Position erreicht.“
„Abbruch, Abbruch!“, klang die Stimme von Chu-i Clouseau auf. „Lambda Driver entdeckt! Jagdfalke eins, fordere Luftschlag an!“
„Jagdfalke eins, hier Jagdfalke eins. Urzu eins, lösen Sie sich vom Gegner und ziehen Sie sich zurück. Führen Flächenbombardement in zwei Minuten aus.“
„Weber hier. Ich decke den Rückzug.“
„Ben Brahim hier. Ebenso.“
„Zieht euch zurück, sobald der Luftschlag erfolgt ist“, erwiderte der Chu-i.
Die fünf Gernsback vor der Festung feuerten aus allen Rohren, mieden den Venom mit Lambda Driver und erwischten einen weiteren Venom. Leider hatte auch dieser einen Lambda Driver aktiviert; Samantha Rogers konnte ihren Gernsback gerade so aus der Schussbahn werfen.
„So nicht, Ihr Spinner! Das klappt nur einmal bei mir!“
„Luftschlag in einer Minute. Verlassen Sie das Gelände vor der Festung, Urzu eins.“
„Fläche geräumt. Ihr könnt kommen.“
„Turmfalke eins, hier Turmfalke eins. Bestätige Missionsabbruch. Eskortiere Transporthubschrauber zum Sammelpunkt.“
„Verstanden, Turmfalke eins.“

„Was meinst du, Weber“, meldete sich Ben Brahim, „wenn der Luftangriff erfolgt, wird noch mal die Spreu vom Weizen getrennt. Wollen wir dann nicht noch ein paar Venoms grillen?“
„Aber gerne doch. Die paar Sekunden sind doch erlaubt, oder, Urzu eins?“
„Tut was ihr nicht lassen könnt. Aber setzt euch rechtzeitig ab.“
Der Deutsche grinste schief. Eine Generalerlaubnis war doch was Schönes.
„Hey, Weber, da kommt was raus in deiner Ecke. Schießt du auch auf Jeeps?“
„Kommt drauf an wer drin sitzt, Ben Brahim.“
Kurtz suchte das neue Ziel auf. Ein geräumiger Geländewagen, der die Festung in schneller Fahrt verließ.
„Luftschlag in zehn Sekunden. Bereit oder nicht, die Jagdfalken kommen!“
Dem Wagen liefen Männer hinterher, die mit Pistolen und MPs schossen.
Einer der Insassen lehnte sich aus dem Wagen heraus und feuerte mit einer MP zurück.
„Interessant“, brummte Kurtz und zoomte näher heran.
Der Mann, der sich aus dem Seitenfenster lehnte, kam ihm bekannt vor. Dabei wäre das doch eher eine Rolle für Sousuke gewesen, anstatt das Steuer zu übernehmen und… Steuer? Sousuke?
„ABBRUCH! ABBRUCH! JAGDFALKE EINS, BRECHEN SIE DEN ANGRIFF AB!“
Die Super Harrier huschten in diesem Augenblick über das Gelände hinweg, hinter sich her zogen sie einen Schwall Raketen und Bomben, die zu Boden gingen und eine Serie an Explosionen auslösten. Kurz bevor die Jets den einsamen Jeep erreichten, zogen die Piloten hoch und drehten nach Norden ab.
„Abbruch bestätigt, Gun-so Weber.“
„Gut, denn beinahe hättet ihr Gun-so Sagara auf der Flucht mit einem Geländewagen erwischt!“ Kurtz zoomte noch näher heran.
Vor der Anlage bewiesen drei Venom-Piloten, dass sie den Lambda Driver beherrschten, die anderen wurde nun eine leichte Beute von Ben Brahim.
„Da waren es nur noch diese drei! Ich setz mich ab. Sagara auf der Flucht? Was macht der hier?“
„Sagara, dieser Typ von der Schule neulich, die Frau die bei ihm war, sowie Tessa-chan und Kim-chan! Na, auf DIE Erklärung bin ich wirklich gespannt!
Verdammt, die Ärsche schießen auf Sousuke!“
„Unten bleiben, Gun-so! Sie können gegen Lambda Driver sowieso nichts ausrichten!“, blaffte Clouseau. „Markieren Sie die Venoms für erneuten Luftschlag! Und danach setzen Sie sich ebenfalls ab! Wir können nur hoffen, dass es Gun-so Sagara schafft, die Venoms abzuschütteln!“
„Ich könnte ihn einholen!“
„Und ebenfalls die Beute der Venoms werden? Negativ. Jagdfalke eins, nebeln Sie das Gelände, ich wiederhole, nebeln Sie das Gelände!“
„Ich markiere Ziele für Luftangriff“, erwiderte Weber trotzig. Es gefiel ihm überhaupt nicht, den Freund derart in Stich zu lassen.
„Welches Ziel markieren Sie, Gun-so?“
„Alle Ziele, Jagdfalke eins!“

Wieder stürzten die Super Harrier herab, sporadisch eröffneten kleinere Stellungen das Feuer auf die Jets, aber sie waren zu schnell wieder vorbei, um wirklich gefährdet zu werden.
Die drei Lambda Driver leuchteten hell auf, als Raketen mit ihrem Radius kollidierten.
Kurz darauf legte sich schwerer Nebel über das Gelände.
„Kurtz, bist du auf deiner Position entdeckt worden?“, klang die Stimme von Kramer auf.
„Nein, bisher nicht.“
„Ist deine Partikeltarnung noch aktiv?“
„Bestätige.“
„Kannst du den Geländewagen verfolgen? Ihn im Auge behalten und uns seine Position melden?“
„Das wäre kein Problem.“
„Gun-so, ich will ehrlich sein. Wir haben hier auf See einigen Ärger. Irgendjemand hat der nordchinesischen Marine unsere Position gegeben, von ihren südchinesischen Pendanten ist nichts zu sehen. Wir werden also unsere Leute einholen und dann Fersengeld geben. Es ist Ihr Risiko, wenn Sie bleiben. Es ist ein Ihnen überlegener Feind und die Mission selbst nahezu aussichtslos, bedenken Sie das.“
„Brich den Funkkontakt ab. Ich melde mich sporadisch alle Stunde einmal und sage wo wir sind.“
„Das fasse ich als ja auf, Kurtz. Viel Glück. Bis in einer Stunde.“
„Schafft eure Hintern aus dem Schussfeld. Ich komme schon klar.“
„Von mir auch viel Glück, Gun-so. Halten Sie den Kopf unten.“
„Ich weiß was ich tue, keine Angst, Urzu eins.“
„Genau das befürchte ich ja.“
Kurtz Weber schwankte zwischen Ärger und einem schiefen Grinsen, als er den Gernsback aus seiner liegenden Position aufrichtete, um dem Jeep zu folgen.
**
Die Verladearbeiten auf der DANNAN wurden hektisch durchgeführt, die Lasten nur ungenügend verstaut. Die Arm Slaves mussten dabei helfen, die Helikopter beim angehenden Tauchgang zu fixieren, es blieb einfach keine Zeit für ordentliche Arbeit.
Die nordchinesischen Schnellboote waren schon gefährlich nahe heran und eröffneten das Feuer.
„Ich werde ihr Feuer auf mich ziehen und dann mit ihnen verstecken spielen“, sagte Mardukas ernst. „Sobald Sie alle Hubschrauber aufgenommen haben, gehen Sie ebenfalls auf Tauchstation. Wir sehen uns auf Melina Island.“
„Die ersten Hubschrauber landen bereits“, sagte Johann Sander ernst. „Die Chinesen haben uns noch nicht entdeckt, aber das wird nur eine Frage der Zeit sein. Wir folgen so schnell wie möglich.
Wir haben einen Trost bei der Geschichte, wir wissen nun, dass Gun-so Sagara noch lebt. Und wir wissen, dass Tai-sa Testarossa und Miss Sanders frei sind.“
„Ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass ihnen drei Venoms auf den Fersen sind. Nichts besiegt einen Lambda Driver außer einem anderen Lambda Driver. Und unser einziger Pilot ist auf der Flucht, während sein Arm Slave bei Ihnen an Bord ist.“
„Besser als nichts, Chu-sa“, tadelte Sander.
„Hoffen wir das beste“, erwiderte Mardukas, salutierte und schaltete ab.

Thomas wechselte einen schnellen Blick mit Kaname, dann sah er zu Sander herüber.
Der sah desinteressiert an die Decke.
Commander Allister interessierte sich plötzlich sehr für die anlaufenden Verladearbeiten und deckte die Brückencrew mit einer Menge unnützer Arbeiten ein.
Der Arm Slave-Pilot zögerte nicht lange, er griff nach Kanames Hand und zog sie hinter sich her, raus aus der Operationszentrale.
„Okay, was ist das, dieser Dom?“
„Ich denke, ich darf es dir nicht sagen!“
„Mardukas hat uns gerade einen Hinweis gegeben und Sander unterstützt es! Ich versuche gerade herauszufinden, welche Rolle ich dabei spielen kann. Welche spielst du?“
Unsicher zog sie die Plastikkarte hervor. „Diese Karte öffnet die Tür zu einem Raum namens Dom. Es ist der Sitz der künstlichen Intelligenz der FEANOR. In ihm befindet sich ein ähnlicher Tank wie bei den Sitzungen von Kim. Wenn ich als Whispered in diesen Tank klettere, habe ich vollen Zugriff auf sämtliche Funktionen an Bord dieses Schiffes. Besser noch, das Schiff wird zu einem Teil von mir!“
„Was bedeutet das? Wird das Schiff schneller? Besser? Widerstandsfähiger?“
„Alle Daten gehen direkt in meinen Kopf. Ich kriege alles sofort serviert und kann dementsprechend schnell reagieren.“
Nur zögernd ließ Thomas die Hand der jungen Frau los. „Könntest du eine Anfahrt auf die Küste machen, einen Arm Slave starten lassen und wieder entkommen?“
„Theoretisch ist es möglich. Ich müsste aber sehen, was uns dort erwartet.“
„Aber du würdest es versuchen?“
„Ja, das würde ich.“
„Gut, dann ist das geregelt. Ich schnappe mir den Arbalest und du übernimmst es, die FEANOR in Abschussposition zu bringen.“
„Und dann?“
„Dann bringe ich Sousuke seinen Arm Slave mit Lambda Driver. Auf den Anblick freue ich mich schon.“
Kaname Chidori nickte entschlossen, umklammerte die Plastikkarte und lief los.

„Sie ist wirklich etwas besonderes und leistet Dinge, die den meisten Soldaten unmöglich sind“, stellte Thomas mit einem wehmütigen Lächeln fest.
„Das ist sie in der Tat, Major Kramer.“
Der Deutsche fuhr herum, in diesem Moment trat Sho-sa Kalinin aus dem Schatten hervor.
„Ich… Sho-sa, ich… Ich meine…“
Der große Russe nickte. „Tun Sie es. Wenn es schief geht werden Sie sterben. Wenn es schief geht und Sie schaffen es zurück, werden Sie erschossen.“
Der Captain grinste schief. „Ich bin nicht Soldat geworden, weil ich die Sicherheit im Leben zu schätzen weiß.“
„Schaffen Sie es mit Ihren Brüchen, Junge?“
„Alles was ich machen muß ist das verdammte Ding in Sousukes Reichweite zu bringen, oder? Es wäre natürlich einfacher, den Arbalest einzupacken und zu ihm rüber zu schießen, eingewiesen von Weber, aber mit drei Venom hinter ihnen erscheint es mir sicherer, den Arm Slave persönlich abzuliefern.“
„Versagen Sie nicht. Nicht nur um Ihretwillen, Kramer.“
Thomas salutierte knapp und bündig. „Sir.“
Dann wandte er sich um und humpelte in Richtung Hangardeck davon.
**
„Kaname, bist du da?“
„Ich höre dich, Thomas. Wir steuern auf die Küste zu. Du hast genau einen Versuch. Ich tauche für drei Minuten auf. Das muß für dich reichen um aus dem Hangar raus zu kommen und um auf das Katapult zu kommen. Sobald ich das Flugdeck ganz geöffnet habe werde ich es gleich wieder schließen, damit ich schneller tauchen kann. Du hast also wirklich nur diesen einen Versuch.“
„Ich habe es schon beim ersten Mal kapiert, Kaname“, erwiderte Kramer. „Du wirst den Lift für mich bedienen müssen.“
„Verstanden. Ich gebe dir einen Countdown.“
„Wie viele erwarten uns?“
„Über zwanzig Einheiten. Einige pingen mich an, aber ich bleibe noch knapp unter der Thermalschicht. Abholen werde ich dich nicht mehr können.“
„Verlangt ja auch keiner. Kaname, ich bringe unsere Ausreißer schon sicher nach Hause.“
„Ist das ein Versprechen?“
„Das ist mein Wort als Offizier.“
„Hm, ist dein Wort als Offizier was wert?“
„Das hat mich Kim auch gefragt. Mal sehen, ob ich mein Wort halten kann“, erwiderte der Deutsche gepresst.
„Zwei Minuten. Geh zum Lift, Thomas. Und, ich glaube an dich.“
„Danke, Kaname.
Also, Al, dann wollen wir mal.“
„Positiv, Captain Kramer.“
„Weißt du, was ich mich frage, seit ich dir begegnet bin, Al?“ Thomas richtete den Arbalest auf, dabei zerrissen die Stahltaue, die ihn bisher fixiert hatten. Der Deutsche war dankbar dafür, dass er die Techniker raus gescheucht hatte, bevor er in den Arbalest geklettert war. Ein umher sirrendes Stahlkabel konnte einen Menschen zweiteilen.
Mit eleganten Schritten trat er auf den Lift.
„Was fragen Sie sich seitdem, Captain?“
„Ich frage mich die ganze Zeit, ob ich auch den Willen aufbringe, den Lambda Driver zu benutzen. Das wäre doch wirklich mal eine tolle Erfahrung.“
Der Lift fuhr hoch, über ihnen öffnete sich das Schott zum Flugdeck.
„Dummerweise habe ich das Gefühl, dass ich bald eine Antwort auf diese Frage kriege.“
Auf dem Flugdeck angekommen bekam Thomas gerade noch mit, wie die Raketensilos ihre tödlichen Kurzstreckenraketen ausspieen, um die gegnerischen Oberflächenschiffe auf Abstand zu halten.
Die Flügel des Flugdecks verharrten für eine Sekunde in ihrer höchsten Position, bevor sie sich wieder zu schließen begannen.
Thomas rastete den Arbalest auf dem Dampfkatapult ein.
„Schieß mich raus, Kaname.“
„Viel Glück, Thomas.“
„Danke“, erwiderte der Deutsche, während ihn der Andruck des Katapultstarts in den Sitz drückte. Glück würde er jede Menge brauchen können.
**
„Hast du einen erwischt?“, fragte Lin ihren Mann besorgt.
„Habe es nicht gesehen. Jedenfalls schicken sie uns keinen Wagen hinterher!“
„Das werden sie kaum brauchen, wenn so viele Venoms vor Ort sind!“ Sagara sah kurz nach hinten. „Die werden uns bald genug folgen.“
„Können wir nicht zu den Arm Slaves rüber fahren und uns mitnehmen lassen?“, rief Kim aufgeregt. „Die müssen uns doch sehen können!“
„Die wissen aber nicht, dass wir hier drin sitzen! Bevor wir von unseren eigenen Leuten beschossen werden sollten wir lieber soviel Distanz wie möglich zur Festung aufbauen. Wenn wir hier erst mal weg sind, können wir immer noch einen Hubschrauber anfordern“, erwiderte Tessa.
„Oh, verdammt, ich hätte doch den Venom klauen sollen“, sagte Lin tonlos. Ihre Hand zitterte, als sie nach Osten deutete.
Dort schossen gerade Super Harriers heran, und es war deutlich zu sehen, wie sie etwas abwarfen.
„Oh, oh, oh! FESTHALTEN!“
Der Geländewagen, mit dem die fünf aus der Amalgam-Festung geflohen waren, dankenswerterweise ermöglicht durch Mithrils Angriff, ruckte heftig an und trieb sie zurück in die Sitze. Sagara trat das Gaspedal voll durch und hatte alle Mühe, den Wagen auf der Piste zu halten, während er versuchte, den Angriffsvektor der Harriers zu verlassen.
Die Raketen und Bomben begannen zu explodieren, woben einen dichten Teppich, der sich über etliche hundert Meter erstreckte – genau in ihre Richtung!
Erschrocken schrie Kim auf und duckte sich, die Hände über dem Kopf gefaltet.

„Puh, Schwein gehabt. Sie haben das Bombardement rechtzeitig beendet“, stellte Sagara ruhig fest.
„So, rechtzeitig, meinst du?“ Stoisch deutete Robert Hausen auf die verrußten Fenster der rechten Wagenseite.
Der Gun-so zuckte mit den Achseln. „Wir sind nicht verbrannt, also haben sie es rechtzeitig eingestellt. Und jetzt sollten wir zusehen, dass wir hier weg kommen. Weit, weit weg.“
„Keine Einwände“, erwiderte Hausen.
„Antrag angenommen“, stimmte nun auch Kim zu.
„Gab es denn keine Hubschrauber?“, warf Tessa ein.
„Und ich hätte doch einen Venom klauen sollen!“, rief Lin.
„Das hätte uns nur unnötig zur Zielscheibe gemacht“, erwiderte Sagara ruhig. Ein kleiner Wagen ist schwerer zu verfolgen als ein acht Meter hoher Arm Slave.“
„Ein acht Meter hoher Arm Slave ist aber schneller unterwegs.“
„Und würde dann den kleinen Wagen zurücklassen… Oder seine Position markieren“, konterte der Gun-so.
„Es ist doch sowieso egal. Sobald sie uns verfolgen sollten wir sehr weit weg von hier sein“, sagte Robert Hausen und setzte der Diskussion einen Schlussstrich. „Tut mir Leid, dass ich keine bessere Idee für unsere Flucht hatte. Der Angriff von Mithril kam überraschend, aber nicht unwillkommen.“
„Oh, Mist, Mist, Mist, die Flieger kommen wieder!“
„Ruhig, Kim. Ihr Anflugvektor liegt so, dass sie uns nicht treffen werden. DA! Sie nebeln das Gelände ein. Das bedeutet dann wohl, dass sich unsere Gernsback zurückziehen.“ Tessa atmete sichtbar auf. „Das ist auch gut so. Ein Kampf gegen Venoms mit aktivem Lambda Driver wäre auch ein Gemetzel geworden.“
„Und der Nebel hilft uns zu fliehen“, fügte Sagara hinzu. Er hatte fünf Arm Slaves gesehen, dazu mindestens einen auf Scharfschützenposition erkannt – vermutlich.
Aber der Gernsback von Thomas war nicht dabei gewesen.
Verdammt, hatte er wirklich richtig gehandelt? Was, wenn Thomas in der Explosion etwas passiert war? Nicht, dass er daran etwas hätte ändern können. Aber die Ungewissheit nagte an ihm.
Verdammt!
**
„Das ist jetzt gar nicht gut“, murmelte Kurtz Weber, während er seinen getarnten Gernsback langsam rückwärts hinter einen Hügel zurückzog. Alle drei Venoms mit Lambda Driver hatten sich an die Verfolgung gemacht. Nicht an die Verfolgung der Arm Slaves von Mithril, sondern an die Verfolgung des geflohenen Jeeps.
Oh, das war typisch, so schrecklich typisch.
Die Geschichte ging jetzt schon eine Stunde, die Venoms hetzten dem Geländewagen hinterher, der verzweifelt bemüht war, einen Mindestabstand zu halten. Ab und zu stoppte einer der Venoms und gab einem mit dem Lambda Driver verstärkten Schuss ab, dem der Geländewagen aber immer wieder wie durch ein Wunder ausweichen konnte.
Solange die Piste einigermaßen befahrbar war, konnte Sousuke das Spiel noch stundenlang durchhalten, bis der Sprit ausging.
Kurtz grinste schief. Bisher hatte er lediglich eine beobachtende Position eingenommen, aber wenn es hart auf hart ging, würde er auf die Lambda Driver scheißen und alles dafür tun, um seine Freunde zu verteidigen.
Und vielleicht war es ja auch möglich, dass… Ja, warum eigentlich nicht? Die Venom-Piloten waren ja auch selber Schuld, wenn sie so dicht beieinander blieben.
Aus dem schiefen Grinsen wurde ein unverschämtes Grinsen. Ein sehr unverschämtes Grinsen. Wenn das klappte, würde er sich ausgiebig Zeit nehmen, um seine Billardfähigkeiten wieder etwas aufzupolieren.
**
Robert Hausen wühlte sich durch fünf Kilo Straßenkarten. „Mist, Verdammter! Dämliche Geheimhaltung! Ich finde unsere Position auf der Karte nicht!“
„Kannst du sie vielleicht nicht lesen? Soll ich mal gucken?“, bot Lin an.
„Es geht nicht ums lesen, es geht darum wo wir sind! Natürlich sind die Festungen nicht eingetragen! Und wenn ich keinen Orientierungspunkt habe, kann ich nicht sagen, wo die nächste größere Straße ist, geschweige denn die nächste Stadt!“
Hausen sah angestrengt nach draußen. „Ich brauche einen Orientierungspunkt. Einen markanten Orientierungspunkt.“
„Wir werden einen bilden, wenn die Venoms uns einholen!“, kommentierte Sagara bissig.
„Sehr komisch, junger Mann! Ich… Mein Handy klingelt. Ich habe hier Empfang?
Hausen hier.
Oh, Mr. Conrad. Es ist mir eine Freude, Ihre Stimme zu hören. Nein, das meine ich durchaus ernst. Immerhin liegen ein paar Kilometer zwischen Ihnen und mir. Da sorgt für ein beträchtliches Gefühl der Sicherheit.
Was? Ob ich… Nein, ich habe keine Lust, den Wagen anzuhalten und mich den Venoms zu ergeben. SIE haben MICH betrogen und… Nein, es geht dabei nicht ums Geld. Es geht darum, dass Sie den Vertrag nicht einhalten wollten. Reden Sie nicht. Ich weiß, was ich weiß.
Nein, ich werde NICHT eines oder beide Mädchen aussteigen lassen, damit die Venoms sie aufsammeln können. Ich bringe hier beide raus oder keine!
Ja, ich weiß, was ein Lambda Driver ist. Sie erinnern sich? Sie haben mir diesen kleinen Psychopathen Vogel geschickt und den noch größeren Psychopathen, der den Venom gesteuert hat.
Ja, ich denke, damit endet unser Gespräch. Sie lassen wen von der Leine? Was?“
Robert schaltete das Handy wieder aus und verstaute es in seiner Jacke. „Mist.“
„Was ist los, Schatz?“
Hausen sah nach hinten, aus der Heckscheibe hinaus auf die Arm Slaves, die sie immer noch verfolgten. „Einer der Piloten ist Vicomte Vogel, der Mann, der im Kingdom Sahara mein Verbindungsmann war. Ich kann mir vorstellen, dass es ihm nach dem Überfall auf die FEANOR nicht besonders gut ergangen ist. Und das der Mann ein Ventil für seine Wut sucht. Wenn ich dann noch bedenke, dass die Venom-Piloten starke Drogen nehmen, um den Lambda Driver benutzen zu können, bekommt Conrads Drohung, ihn von der Leine zu lassen, eine völlig neue Dimension. Er wird mich töten.“
„DA!“
Erschrocken fuhren die Anwesenden zu Theresa herum. „Hier! Ich habe einen Orientierungspunkt gefunden! Hier, das ist der Berg da draußen! Die Piste, auf der wir fahren, ist nicht eingezeichnet, aber neben dem Fluss hier geht eine Schnellstraße lang! Wenn wir die zehn Kilometer schaffen, dann sind wir durch! Auf der Schnellstraße kommen wir viel besser voran als die Venoms!“
„Sprit ist genügend da!“, rief Sagara fröhlich.

Hinter ihnen blitzte es wieder auf. Sousuke Sagara schätzte kurz den Schusswinkel, dann riss er den Wagen nach links. Der gewaltige, von einem Lambda Driver unterstützte Schuss sauste harmlos an ihnen vorbei.
Dafür schlug er in der Piste ein, knapp vor dem Jeep.
„VORSICHT!“, brüllte Sagara, aber es war schon zu spät. Wie von der Faust eines Riesen getroffen wurde der Geländewagen vom Boden gehoben und meterweit durch die Luft gewirbelt.
Er kam auf der Seite auf und blieb so liegen.
Hausen gab einen herzhaften Fluch zum besten, stemmte sich ein und schnallte sich ab. Danach trat er nach der Frontscheibe, bis sie nach außen fiel. „Überlebende melden sich!“
„Sagara hier und okay.“
„Lin Hausen hier und okay.“
„Theresa Testarossa hier und okay.“
„Kim Sanders hier mit brummenden Schädel und zwei schweren Frauen, die auf mir liegen, aber ansonsten bin ich in Ordnung.“
„Habt ihr euch da hinten nicht angeschnallt? Muss ich euch so etwas Elementares noch vorbeten?“, tadelte Hausen. Er nickte Sagara zu. „Wir müssen in die Wälder.“
Der Gun-so nickte schwer, schnallte sich ab und half dann den Damen, das Gewirr aus Beinen und Armen zu lösen. „Könnt ihr laufen?“
„Beeilt euch“, sagte Hausen, lud ein neues Magazin in sein Gewehr und stellte sich halb nach draußen, um beim aussteigen zu helfen. „Sie kommen schnell näher.“
**
„Was zum…“ Entsetzt sah Kurtz dabei zu, wie der Geländewagen umstürzte und neben der Straße im Wald landete. Wie hatte das passieren können?
Entschlossen eilte er mit seinem Gernsback näher, um ein besseres Schussfeld zu bekommen.
Noch schoss kein Venom auf ihn, noch drehte sich niemand in seine Richtung.
Er dankte allen ihm persönlich bekannten Göttern dafür, dass es weder regnete, noch Staubfontänen aufwehte, die seine Position verraten hätten.
Abrupt bremste er seinen Gernsback ab, nahm sein Gewehr hoch und feuerte auf den mittleren Venom.
Die Kugel kollidierte mit dem Lambda Driver, wurde reflektiert und dabei um einen unbekannten Faktor verstärkt.
Da der Arm Slave aber in Bewegung war, reflektierte der Schuss auf einen anderen Venom, der genau in diesem Moment zwischen Kurtz und sein Ziel getreten war.
Dort reagierte nun auch der Lambda Driver.
Die Kugel verging in einer gewaltigen Explosion, die beide Arm Slaves trotz Lambda Drivers wie Puppen meterweit davon schleuderte.

Kurtz grinste schief. Spätestens jetzt wussten sie, dass er da war. Nun würden sie auch Jagd auf ihn machen und er bezweifelte, dass dieses kleine mathematische Kunstwerk ausgereicht hatte, um zwei Venom zu vernichten. Bestenfalls hatte er sie verzögert. Etwas.
Kurtz eilte weiter, gab auf den dritten Venom einen Schuss ab. Der wurde reflektiert und schlug mit der Gewalt einer mittelschweren Bombe an der alten Position des Deutschen ein.
Mittlerweile hatten sich die anderen beiden Arm Slaves wieder aufgerichtet.
Kurtz eilte weiter, auf den umgestürzten Wagen zu. Verdammt, sie waren noch nicht draußen! Deutlich konnte er Sousuke erkennen, wie er Tessa aus dem Wagen half.
Kurtz senkte den Kopf. Dies war also sein persönlicher Moment der Entscheidung.
Als er wieder aufsah war seine Miene wild und entschlossen. „KOMMT NUR HER, IHR BASTARDE!“
Das ließ sich der vorderste Venom nicht zweimal sagen. Er legte auf Webers M9 an.
Doch eine Serie von kleineren Explosionen direkt vor seinen Füßen ließ ihn stoppen.
Gut dreihundert Meter entfernt deaktivierte ein M9 seine Tarnung.
„Danke, dass du mir mit den Explosionen den Weg gezeigt hast, Kurtz. Ich konnte die Ecke hier sehr gut finden.“
„Thomas? Mensch, was machst du denn hier?“
„Ich? Was liefern.“
**
Die beiden Explosionen, die spektakuläre und die eher schwächere, hatten dem Team aus dem Arbalest und Captain Kramer gut den Weg gewiesen. Es wäre eh noch über eine Viertelstunde bis zu Webers nächster Funkmeldung gewesen, und Thomas hatte sich schon gedacht, was diese Explosionen ausgelöst hatte.
Nun stand er hier, hatte die Vorwärtsbewegung der Venoms kurzfristig gestoppt. Und er stand vor einem neuen Problem.
Er saß im Arbalest, und Sousuke nicht.
Dabei mussten sie nur fünfhundert Meter schaffen, eigentlich keine Entfernung. Das Problem war der Pilotenwechsel. Sie brauchten Zeit, dringend Zeit.
„Vorschläge, Al?“
„Schnell handeln.“
„Danke. Aktiviere den Lambda Driver.“
„Captain?“
„Ich weiß, dass ich ihn nicht benutzen kann, aber das wissen die da nicht! Kurtz, hast du nicht noch einen Trick auf Lager, der uns zehn Sekunden Zeit einbringt?“
„Ich hätte da noch einen in Petto, der vorhin schon für eine wunderschöne Explosion gesorgt hat. Ich setze mich ab und suche mir ne gute Stelle für einen zweiten Schuss.“
„Okay, viel Glück.“
„Lambda Driver aktiviert.“
Thomas versuchte sich vorzustellen wie es aussah, wenn der Driver hochfuhr. Wie sich verschiedene Verschlussklappen öffneten, um den Driver zu aktivieren. Wie langsam die Panzerung hochfuhr wie die Partikeltarnung.
„Öffne einen Lautsprecher. Sousuke, alles klar?“
Der Gun-so winkte in Richtung Cockpit und gab das Daumen hoch-Zeichen.
„Schön, dass es dir gut geht, Sousuke. Es wäre mir nämlich schwer gefallen, einen Verletzten in zwei Teile zu brechen!“
Sagara riss die Augen auf. „Fliegender Wechsel auf drei. Die anderen sollen in den Wald fliehen, es könnte hier bald sehr schnell heiß werden, klar?“
Sagara nickte wieder und scheuchte die anderen vier zum Waldrand.

„Lautsprecher schließen. Gibt es eine Verbindung zu den Venoms?“
„Sie haben eine aktive Funkverbindung untereinander.“
„Können wir uns einklinken?“
„Positiv, Captain.“
Thomas beglückwünschte sich für die Idee, den Lambda Driver einzuschalten. Die Venoms blieben an Ort und Stelle, während die drei Frauen und dieser verdammte Hausen tiefer in den Wald flohen. Wie lange der Bluff funktionierte stand selbstredend in den Sternen.
„Klink mich ein.“
„..es keinen Rückzug! Ich sage, wir greifen an!“
Wie toll. Die Amalgam-Piloten benutzten nicht mal eine Chiffrierung für ihre Kommunikation. „Hier spricht Captain Kramer von der TDD-FEANOR. Ich rufe die Arm Slave-Piloten in den Venom-Einheiten. Sie haben genau eine Minute, um sich zurück zu ziehen. Danach werde ich ohne Rücksicht angreifen.“
„Weißt du, was du mich mal kannst, Captain Kramer?“, blaffte die Stimme von vorhin.
Der vordere Venom gab einen Schuss ab und Thomas sah seinen Bluff wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Verdammt, verdammt, es war noch zu früh, die anderen waren noch nicht weit genug entfernt! Die Kugel raste auf ihn zu und in rasender Wut heulte Thomas auf.
Grelles Licht blendete ihn, und dann war… alles wieder normal.
„Er hat vorbeigeschossen!“, rief Thomas erleichtert. „Kurtz, jetzt!“
„Verstanden, Kumpel.“

Während Thomas den Arbalest in die Knie gehen ließ und die Cockpitversiegelung öffnete, feuerte Weber von seiner Position einen einzigen Schuss ab. Er wurde von einem der hinteren Venoms reflektiert und schlug dann in den Vordersten ein, der gerade ein paar Schritte zurück wankte. Ergebnis war erneut eine gewaltige Explosion, die diesmal alle drei Venoms in Mitleidenschaft zog.
Thomas reichte Sousuke die Rechte, um ihn hoch zu ziehen, der andere Arm Slave-Pilot griff dankbar zu. Danach tauschten sie ihre Positionen, der Deutsche ließ sich aus dem Cockpit herausfallen, um Zeit zu sparen.
Dabei schlug er unglücklich auf dem Knie des Arbalests auf und heißer Schmerz brandete durch seinen linken Arm. Schließlich landete er auf der Schotterpiste, rollte sich ab und blieb auf dem Grünstreifen neben der Straße liegen.
Über ihm hatte der Arbalest sein Cockpit wieder geschlossen, der Lambda Driver leuchtete grell auf und sprang aus dem Stand zwanzig Meter nach vorne.

Trotz der Schmerzen setzte sich Thomas auf. Ja, so musste ein Lambda Driver eingesetzt werden, so und nicht anders.
Sousuke eröffnete das Feuer aus der Distanz, jagte seine erste Kugel in den linken Venom. Dessen Lambda Driver hielt nicht lange stand, die Kugel drang durch und schlug im Arm Slave ein. Ergebnis war eine gewaltige Explosion, die von dem Gegner nicht viel mehr als etwa Schrott zurückließ.
Der zweite Schuss verfehlte sein Ziel, weil der vorderste Arm Slave auswich; Ergebnis war eine beträchtliche Explosion, die einen großen Abschnitt der Piste für lange Zeit unbefahrbar machte.
Aber der Nachschuss saß und zerstörte den zweiten Venom.
Der dritte aber eilte auf den Geländewagen zu, genauer gesagt auf Thomas.
Für einen Moment starrte er in die Waffenmündung, sah den aufglimmenden Driver, der den für die Venoms so typischen Pferdeschwanz aufleuchten ließ und glaubte den Schuss kommen zu sehen. Viel spüren würde er jedenfalls nicht.
Hatte der Pilot vielleicht aus irgendeinem Grund einen persönlichen Hass auf ihn?
Das war eine Sekunde, bevor eine riesige Arm Slave-Hand nach ihm griff und ihn aus der Schusslinie brachte.
Der M9 sprang zehn Meter weit, krümmte sich schützend über ihm zusammen und wartete die Explosion ab, die dort entstand, wo Thomas gerade noch gelegen hatte.
„Danke, Kurtz“, seufzte der Captain erleichtert.
„Jederzeit wieder.“
Nun war Sousuke heran, zog sein Kampfmesser, beide Lambda Driver kollidierten.
Dann löschte ein Lichtblitz alles aus.

Epilog:
Ein wenig wehmütig starrte Mr. Conrad auf das leere Zimmer, das einmal sein Büro gewesen war. Die ganze Aktion war fast ein Reinfall gewesen. Auf jeden Fall aber hatte sie die Organisation acht Piloten gekostet, dazu acht Arm Slaves vom Typ Venom. Wobei er Vogel am wenigsten nachtrauerte. Unter dem Drogeneinfluss, den der ehemalige Agent gebraucht hatte, um den Lambda Driver aktivieren zu können, hatte sich noch viel mehr herausgestellt, was für ein hysterischer und vor allem labiler Idiot der Mann doch gewesen war.
Und dann war da noch die Festung. Jetzt, wo Mithril entkommen war, würden sie bald den Südchinesen von dieser Anlage berichten. Einem massierten Angriff würden sie aber nicht immer standhalten können, einmal davon abgesehen, dass Amalgam im geheimen arbeitete und eine aufgedeckte Basis nichts wert war.
Also hatten sie begonnen, alle wichtigen und wertvollen Gerätschaften abzubauen und zu evakuieren. Amalgam hatte nicht nur diese Basis in der Region.

Leise verließ er das ehemalige Büro, trat durch das leere Vorzimmer, auf den Gang hinaus. Ein Fahrstuhl brachte ihn runter in den Hangar. Dort wartete bereits ein Hubschrauber auf ihn, an Bord die letzten Söldner von Amalgam sowie das einzige, was in diesem Fiasko ein Erfolg gewesen war. Die restlichen Aufzeichnungen über die Black Technologie, die von Kim Sanders und Theresa Testarossa extrahiert hatte werden können. Es war nicht viel, aber alles war neu für die Wissenschaftler und Techniker, die für Amalgam arbeiteten. Vielleicht konnten sie daraus einen Vorteil für die Zukunft ziehen.
Der ewig schwitzende Mann ließ sich beim einsteigen und anschließend beim anschnallen helfen. Kurz darauf hob der Transporter ab. Die Partikeltarnung ließ ihn verschwinden.
Zusammen mit der Sri Lanka-Basis und Kingdom Sahara stand es jetzt drei zu null für Mithril.
Aber Amalgam, und insbesondere er, hatte ihr Pulver noch lange nicht verschossen.
Conrad warf einen letzten Blick aus der Luft auf die Basis, während er sich mit einem Stofftaschentuch die schweißbedeckte Stirn abwischte. Oh ja, es würde eine Rückrunde geben. Und darauf freute er sich auch schon.
**
„Ist das wirklich okay?“, zweifelte Robert Hausen.
„Wieso nicht? Du bezahlst ja“, erwiderte Kim Sanders kess.
„Ist ein Argument.“
„Moment, Onkel Hausen bezahlt? Dann nehme ich den Giant Royal-Eisbecher.“
„Übertreib es nicht, Thomas“, drohte Robert. „Und nenn mich nicht Onkel.“
„Nun lass ihn doch, Schatz, wenn es ihm Spaß macht. Zu Kranken soll man immer nett sein“, warf Lin von der Seite ein. „Also, der Giant Royal klingt wirklich gut, Thomas. Vielleicht sollte ich den auch nehmen.“
„Hey, habt Ihr etwa schon bestellt?“ Tessa lächelte in die Runde.
„Wir suchen noch aus. Komm, nimm Platz“, sagte Thomas und rückte auf der Bank noch ein Stück. „Wo bleiben die anderen?“
„Kaname und Sousuke müssten gleich hier sein. Sousuke ist vor einem Waffengeschäft stehen geblieben und will vielleicht was kaufen. Melissa und Kurtz kommen mit dem Taxi. Sie sind ja vorhin erst eingetroffen.“ Mitfühlend sah Tessa zu Thomas herüber. „Tut es sehr weh?“
„Es geht. Mir sind ja nur die gleichen Knochen noch mal gebrochen, als ich den Arbalest herab stürzte. Inzwischen weiß mein Körper ja, wie das zu heilen ist.“
„Schnell heilende Knochen. Eine gute Eigenschaft, mein lieber Thomas“, erklärte Hausen schmunzelnd.
„Hallo! Wie ich sehe seit ihr gerade dabei mit dem Feind zu fraternisieren“, rief Melissa Mao mit einem Augenzwinkern, als sie mit Kurtz Weber das Lokal betrat.
„Der Feind bezahlt, Melissa“, informierte Thomas sie sachlich. „Also bestell was Teures.“
„Was ist denn hier das teuerste?“, fragte Kurtz interessiert.
„Vorsicht. Ich wurde für die Sache in China nicht bezahlt“, schränkte Hausen ein. „Ich bestehe also nicht aus Yen.“
„Dafür wurdest du für die Sahara-Sache sehr gut bezahlt“, warf Lin lächelnd ein. „Also spiel nicht den Geizhals. Immerhin hat Gun-so Weber es mit drei Venoms mit Lambda Driver aufgenommen, um uns zu retten.“
„Zugegeben“, brummte Robert frostig.
„Kommen wir zu spät?“, fragte Kaname Chidori. Sie zog einen ziemlich enttäuscht aussehenden Sagara hinter sich her.
„Kaname, es ist doch nur ein Modell einer Heckler&Koch. Warum darf ich sie nicht auspacken?“
Chidori warf ihm den bösesten Blick zu, den sie beherrschte. „Weil du damit garantiert einen Auflauf verursachst! Ich kenne dich.“
Abwehrend hob der Gun-so die Hände. „Akzeptiert.“

„Da nun alle versammelt sind“, begann Thomas, „will ich die Gelegenheit nutzen, um euch alle zu begrüßen. Die Tage, die hinter uns liegen waren hart. Aber das ist nichts, was ein anständiges Eis nicht wieder richten kann.“
Über die Gesichter der Anwesenden huschte zustimmendes Lächeln.
„Mein besonderer Dank gilt hierbei Herrn und Frau Hausen, die sich entschlossen haben, auf die beiden Frauen aufzupassen, die ich verloren habe… Und die ich dank ihnen wieder einsammeln konnte. Beziehungsweise Kurtz und Sousuke, denn zu dem Zeitpunkt war ich wieder mal ohnmächtig. Dass ihr zwei Kim und Tessa überhaupt erst entführt habt, erwähne ich Taktvollerweise nicht.“
„Wie nett von dir“, erwiderte Robert säuerlich.
„Mein ganz besonderer Dank hierbei gilt natürlich Sousuke und Kurtz, die beide ihre Leben riskiert haben, um uns – und insbesondere mir – das Leben zu retten.
Des Weiteren Kim und Tessa dafür, das sie so nett waren zu überleben und natürlich Melissa, die mich von einigen Dummheiten abgehalten hat, die ich in meiner Panik fast begangen hätte. Danke. Danke euch allen.“
„Verzeihen Sie bitte, aber möchten Sie schon bestellen?“
Robert nickte. „Neunmal den Giant Royal-Becher, bitte.“
„Das ist ein Wort!“

Während sie die Eisbecher dezimierten, ergriff Robert wieder das Wort. „Wie geht es jetzt weiter, Captain Kramer? Was macht er Arm Slave-Chef der FEANOR als nächstes?“
„First Lieutenant. Ich wurde degradiert. Und ich denke, ich bin noch recht glimpflich davon gekommen.“
„Oh, das tut mir Leid.“
„Dafür kannst du nichts, Onkel Hausen. Die Degradierung habe ich eingesteckt, weil ich verletzt in einen Arm Slave gestiegen bin. Aber damit kann ich leben.“
„Du sollst mich doch nicht Onkel nennen, du ungezogener Bengel.“
Thomas schmunzelte. „Jedenfalls, da ein gewisser Hausen im Auftrag Amalgams Kim aus dem Safe House entführt hat, wurde ihre Untersuchung nicht abgeschlossen. Deshalb hat sich das Oberkommando dazu entschieden, ihren Aufenthalt in Japan um zwei Wochen zu verlängern. Ich bleibe dann natürlich auch noch.“
„Wirklich?“, fragte Kim mit leuchtenden Augen. Dabei drückte sie die Rechte von Thomas, so fest sie konnte.
„Das Team bleibt solange vor Ort, nur falls du einen zweiten Versuch wagst, Robert.“
„Nein, danke. Ich habe alle Verbindungen zu Amalgam abgebrochen. Was ich ansonsten wusste, habe ich Mithril zum Kauf angeboten. Mal sehen, was draus wird.
Heißt das also, Ihr bleibt alle noch eine Zeitlang in der Stadt? Gab es keinen Ärger? Gun-so Sagara, weil er eigenmächtig die Festung infiltriert hat? Kaname Chidori wegen einer Sache, die ich nicht wissen darf? Gun-so Weber, weil er uns auf eigenes Risiko begleitet hat, als wir mit dem Wagen geflohen sind?“
„Nein, es gab keine weiteren Strafen. Es hat ja geklappt, das hat den Oberen anscheinend gereicht“, erklärte Melissa grinsend. „Bis auf Thomas halt. Es tut mir Leid, dass du den Sündenbock spielen musst.“
„Mir tut es nur Leid, dass meine Degradierung auf die FEANOR zurückfällt.“ Thomas senkte betreten den Kopf.
Er seufzte still. „Aber was solls, dafür darf ich die nächsten beiden Wochen mit vier schönen Frauen verbringen.“ Er zog die rechte Augenbraue hoch. „Und mit euch zwei Helden, Sousuke, Kurtz.“
„Schade, dass sie dich nicht so weit degradiert haben, dass ich dir Befehle geben kann“, erwiderte Weber mit einem gefährlichen Grinsen. „Das wäre ein Spaß geworden.“
„Wie man in den Wald hineinruft so schallt es heraus, das solltest du doch wissen, Kurtz“, konterte Kramer.
„Keinen Streit am Tisch!“, mahnte Melissa. „Thomas! Kurtz!“
„Du bist ja schlimmer als meine Mutter“, brummte Thomas. „Du hättest bestimmt deine helle Freude, sie kennen zu lernen.“
„Hä?“ Erschrocken sah Kim auf. „Lädst du Melissa gerade zu dir nach Hause ein? Darf ich auch mit?“

Das Klingeln von Roberts Handy enthob Thomas einer Antwort – oder schob sie zumindest ein wenig auf.
„Entschuldigt, bitte. Hausen hier. Was? Ja, ich… SIE? Wo stecken Sie? Wieso…? Ja. Verstehe… Was? Nein, ich denke nicht. Nein, auch dann nicht… Ich denke, damit können wir beide leben, oder? …Ich glaube ein Dankeschön wäre angebracht, aber es kommt mir nur schwer über die Lippen. Entschuldigen Sie. Nein, ich hoffe doch, dass wir uns nicht wieder hören.“
Robert Hausen legte auf und verstaute das Handy wieder. Dann musterte er die Sitzordnung am Tisch. „Mist.“
„Wer war dran?“, fragte Lin.
„Conrad. Er sitzt hier irgendwo in einer Position, wo er uns beobachten kann. Er hat gesagt, als kleines Dankeschön für meine bisherige Arbeit lässt er mich vorerst nicht von einem Attentäter erschießen. Aber allzu viel Kredit habe ich bei ihm nicht mehr, vor allem nicht wenn ich wirklich erwäge, enger mit Mithril zusammen zu arbeiten.
Es ist noch nicht vorbei.“
Kramer lachte heiser auf. „Ihr zwei seid gerade nicht allein, also macht euch da nicht so viele Gedanken drum. Was Amalgam angeht haben wir einen gemeinsamen Feind.“
Er beugte sich etwas vor. „Für heute lässt er uns aber in Ruhe, richtig?“
Hausen nickte widerstrebend.
„Dann lasst uns in Ruhe aufessen. Danach wäre ich für Karaoke.“
„Thomas, Thomas, Thomas“, tadelte Melissa. „Wie kannst du nur so sorglos sein.“
„Ach, die Sorgen kommen früh genug wieder.“
„Ich stimme der Analyse zu. Für heute sollten wir Ruhe haben.“ Sousuke runzelte die Stirn. „Und für den Notfall haben wir hier immer noch drei kampfstarke Soldaten von Mithril.“
„Kanames Backup nicht zu vergessen“, fügte Theresa fast unhörbar hinzu.
„Also ist das abgemacht“, sagte Hausen grinsend.

Bedächtig schob der Deutsche eine Dokumentenmappe über den Tisch. „Bevor ich es vergesse, Kim. Das hier wollte ich dir schon lange geben.“
„Was ist das?“
„Deine Identität. Oder zumindest das, was du warst, bevor deine Erinnerung gelöscht wurde.
Was du daraus machst, ist deine Sache. Selbst ob du reinschaust ist deine Sache.“
„Du hast…?“
„Ja, ich weiß, was drin steht.“
„I-ich werde morgen reinschauen“, sagte sie fest. „Heute wollen wir feiern.“
„Keine Einwände“, schmunzelte Thomas.
„Dann auf zum Karaoke!“ Kaname sprang auf und zog Sousuke mit sich auf die Beine. „Ich kenne da einen tollen Laden gleich um die Ecke. Da gibt es wirklich gute Pizza.“
„Pizza beim Karaoke? Ich dachte da singt man nur“, wandte Thomas ein.
Kurtz klopfte seinem Landsmann auf die Schulter. „Du musst noch viel lernen, bevor du in diesem Land zurecht kommst, mein Freund. Viel, viel lernen.“
„Vielleicht bringt Melissa es mir ja bei“, erwiderte Thomas schmunzelnd.
In einem war sich der degradierte Arm Slave-Pilot sicher. Die nächsten beiden Wochen würden sicherlich nicht langweilig werden. Soweit die guten Aspekte…

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Full Metal Panic: Nordatlantik-Flotte

Episode vier: Gleichwertiger Handel

Prolog:
Es kam sehr selten vor, dass Theresa Testarossa in Rage geriet. Es kam sogar selten vor, dass sie laut wurde. Und wenn man ehrlich war, wütend funkelnde Augen gehörten eigentlich nicht zu ihrem Repertoire.
Also war es eine riesige Überraschung für die Brückenbesatzung der TDD-1, als Tai-sa Testarossa Kapitän Sander wütend nieder starrte und die Hände geballt hatte.
„Sie haben WAS?“
Entsetzt zuckten die Leute zusammen. Selbst Sho-sa Mardukas, der erfahrene Seebär verriet sein Entsetzen durch ein Zucken in der Wange.
Johann Sander indes war nicht beeindruckt. Kalt sah er auf die nicht einmal volljährige Kapitänin und Konstrukteurin der DANNAN herab. „Ich habe ihn entlassen.“
Tessas Gesichtsausdruck wechselte nun von wütend auf entsetzt und schließlich auf verzweifelt. „Aber… Aber… Aber… Warum?“
Nun zeigte Sander endlich Reaktion. „Es tut mir Leid, Tai-sa. Ich weiß, Sie sind gut mit ihm befreundet und er hat Ihnen das Leben retten geholfen, unter Einsatz seines eigenen Lebens. Aber ich bin Kapitän eines Schiffes und zudem Mitglied von Mithril. Ich habe Regeln zu befolgen, Befehlen zu gehorchen und dieses Schiff am laufen zu halten.
Ich konnte nicht anders entscheiden. Ich hoffe, Sie verstehen das irgendwann. Ich musste First Lieutenant Thomas Kramer wegen Unfähigkeit von seinem Kommando über die Arm Slaves entbinden und habe ihn von Bord meines Schiffes entfernt.“ Er senkte den Blick. „Es war sein eigener Wunsch, aus Mithril auszutreten. Ich kann ihn verstehen. Ein altes Sprichwort sagt, wer einmal ein Kapitän war, der kann nie wieder Offizier oder Matrose werden. Er war ein Anführer. Als Flügelführer oder einfacher Arm Slave-Pilot wäre er nie wieder glücklich geworden.“
Tessas Augen begannen feucht zu schimmern. Um ihr Entsetzen zu verbergen senkte sie den Blick. „Ich… Verstehe, Kapitän. Ist Ihnen zufällig seine aktuelle Adresse bekannt? Ist er nach Deutschland zurückgekehrt?“
„Sein Aufenthaltsort ist uns nicht bekannt. Nach seiner Entlassung ist er sofort untergetaucht.“ Sander sah auf und sein Blick wurde hart. „Ich muß sogar davon ausgehen, dass er die Seiten gewechselt hat. Das nächste Mal, wenn wir auf ihn treffen, steht er vielleicht auf der falschen Seite.“
Entsetzt keuchte Tessa auf.

1.
„Was haben wir hier?“
„Einen Pneumothorax, hervorgerufen durch eine Schusswunde, Doktor.“
„Sind die Kämpfe im Südbereich immer noch nicht vorbei? Okay, legen Sie ihn auf den Operationstisch, auf drei. Eins, zwei, drei!
Thomas, holen Sie mir bitte Adrenalin und Plasma. Kennen wir seine Blutgruppe?“
„AB negativ, Doktor.“
„Verdammt, warum muß es so eine seltene Sorte sein? Ich hoffe, das Plasma reicht.“
Thomas Kramer hörte die letzten Worte kaum. Er war bereits auf dem Weg in das Vorratszelt der kleinen Lazarett-Einheit, die im größten rumänischen Flüchtlingslager seit zwei Wochen Dienst tat – bestens ausgerüstet und vom freien Europa finanziert.
Leider hatte es einen Nachteil. Gute ärztliche Versorgung, vor allem freie Versorgung, lockte die Kranken an. Und es lockte jene an, die medizinische Versorgungsgüter auf dem Schwarzmarkt gewinnbringend verkaufen konnten.
Und das war das große Problem, mit dem das Lazarett zu kämpfen hatte. Die polnischen Freiwilligen taten was sie konnten, aber sie konnten die Wagemutigen und die Kämpfe nicht vom Lager fernhalten. Täglich gab es Schießereien, täglich Tote und Verwundete.
Thomas sah mit Entsetzen, wie sehr die Vorräte bereits geschrumpft waren, während er das Adrenalin und das Blutplasma besorgte. Wenn dieser Trend so weiter ging, würde für die Versorgung der Flüchtlinge bald nichts mehr übrig sein.
Die Hilfe, die hier geleistet wurde, würde ebenso leer und chancenlos wie in den anderen Lagern sein.
Aber er hätte es sich ja gleich denken können, dass ein derart gut versorgtes Lazarett auffallen würde, auch wenn die Ressourcen verheimlicht wurden.
Irgendwann kam es raus, und irgendein Halunke konnte gebrauchen was sie hatten.

Er hetzte zurück und erreichte das Operationszelt. Dort übergab er die Plastikbeutel an eine Schwester.
„Danke, Thomas. Gehen Sie jetzt. Sie können hier nichts mehr tun.“
Der Deutsche nickte und verließ das Zelt.
Draußen ließ er sich auf einen Stein sinken. Der Tag war lang gewesen und für die Ärzte war er noch lange nicht vorbei. Ein Pneumothorax dauerte in einem gut ausgerüsteten, sterilen OP gut und gerne ein paar Stunden. Bei den primitiven Bedingungen, unter denen die Menschen hier operiert wurden war sich Thomas nicht einmal sicher, ob der Patient nach vier oder mehr Stunden überhaupt noch leben würde und die ganze Zeit und all das Blutplasma letztendlich nicht verschwendet war.
Dieser Bürgerkrieg war so ein Unsinn, war so menschenverachtend.
Das hatte er damals schon gedacht, als er als polnischer Freiwilliger getarnt Informationen für Mithril eingesammelt hatte. Und damals hatte er nichts tun können, nur einen verdammten Waffenschmuggler ausschalten können. Wenigstens einen. Einer weniger.
Heute war er beinahe noch machtloser. Er besaß nicht einmal mehr seinen Arm Slave, von Geld ganz zu schweigen. Aber er war hier, er war gesund und er arbeitete hart, um für die Ärzte nützlich zu sein. Zudem waren seine Fähigkeiten als ausgebildeter Sanitäter hier endlich wieder einmal von Nutzen.
Das letzte Mal als er sie unter Beweis gestellt hatte, war in der Sahara gewesen, bei einer schwer verletzten und fiebrigen Sam Rogers. Verdammt, hoffentlich ging es Sam gut. Die ganze Verantwortung, die jetzt auf ihr lastete, musste grauenvoll sein. Er wusste es, denn er hatte den Job gemacht, das Arm Slave-Team der FEANOR angeführt.

Thomas sah in den Nachthimmel auf. Die Sterne schienen beinahe unbehelligt auf ihn herab. Das Lager war kaum erhellt, denn es gab außer ein paar Generatoren nur wenig Strom. Kein Streulicht, dafür aber ein wundervoller Sternenhimmel. Aber er bezweifelte, dass die Menschen im Lager dieses Wunder zu schätzen wussten. Ihnen war Strom sicherlich lieber als ein Blick auf die Milchstraße.
Oder wenigstens eine ruhige Nacht, in denen man nicht durch Gewehrfeuer aufschreckte, in der ein rascheln der Zeltplane nicht automatisch einen Dieb oder Mörder verriet.
Oh, es war so ungerecht, so furchtbar ungerecht.
Wenn Thomas etwas zu sagen gehabt hätte, dann… Ja, was dann? Mit einem Regiment Arm Slaves in dieses Land einfallen? Alle kämpfenden Einheiten vernichten und anschließend mit Hilfe des Kriegsrechts versuchen, dieses Land zehn Jahre Bürgerkrieg vergessen zu machen?
Ob ein Regiment wohl reichte? Eine Brigade brauchte es wohl schon, einmal ganz davon abgesehen, dass die osteuropäischen Bürgerkriegsländer schon seit längerer Zeit von vielen Arm Slave-Produzenten als Spielwiese für ihre Neuerungen ausgenutzt wurden.
Sie würden die Chance gegen höherwertige Gegner anzutreten und ihre Ware richtigen Belastungstests auszusetzen mit beiden Händen ergreifen.
Nein, die Lösung, so es denn eine gab, musste anders aussehen.
Die Menschen in den Lagern bewaffnen? Eine Armee aufstellen? Sie sich selbst vom Krieg befreien lassen? Aber wie? Ein Gewehr war nichts gegen einen Arm Slave. Nur zehn Menschen weltweit konnten mit einem Gewehr einen Arm Slave vernichten, und nicht einer von ihnen stand Thomas zur Seite.

Er hörte ein Geräusch neben sich. Marcus Donna, der Chefarzt trat zu ihm heraus, zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch in den Himmel und seufzte.
„Tot?“, fragte Thomas ernst.
„Die Kugel ist zersplittert. Bevor wir es gemerkt haben ist die Aorta aufgerissen und… Jedenfalls konnten wir die anderen Infusionen retten. Aber eine Einheit Blut ist zum Teufel. Scheiße, ich hasse mich, wenn ich so rede. Aber das hier, das hier… Es ist so…“
„Ich weiß was Sie meinen. Aber wer kann es ändern?“
Der Arzt schnaubte leise. „Bestimmt keine der Kriegsparteien. Von denen hat nicht eine auch nur einen Funken Interesse, mit diesem Morden aufzuhören. Es wächst mittlerweile eine ganze Generation Menschen heran, die nur diese Lager kennen, Mord, Tod und Gewalt. Futter für ihre Knochenmühlen. Menschen, denen sie die Unschuld nehmen und sie selbst zu Werkzeugen machen, um den Terror noch zu vergrößern.“
Thomas nickte. „Ja, das wird wohl geschehen. Aber wer kann es ändern?“
Der Arzt hustete. „Du wiederholst dich, Thomas.“
„Tschuldigung.“
„Und ich habe immer noch keine Antwort darauf.“ Er senkte den Blick. „Wenn ich von uns beiden der Arm Slave-Pilot wäre, wenn ich darauf gedrillt wäre, diese waffenstarrenden Hightech-Dinger zu steuern, dann…“
„Was dann? Würdest du da rausgehen, ein oder zwei Gegner vernichten und dann selbst vernichtet werden?“
„Aber es würde zumindest mal etwas getan werden, Teufel noch mal! Es würde etwas passieren! Weißt du wie frustrierend es ist, diese Kinder auf dem Tisch zu haben und wie frustrierend es ist, wenn sie bereits ein paar Operationsnarben von anderen Operationen haben? Schlecht verheilt, unsauber genäht und ein Zeichen dafür, dass man sie wieder und wieder raus geschickt hat?“
„Würde jemand in einen Arm Slave steigen, Marcus, dann sage ich dir was passiert. Du hättest noch mehr Patienten, sehr viel mehr. Alleine die Kollateralschäden würden dir dutzende Kinder auf den OP-Tisch bringen. Dutzende.“
„Na und? So verhungern und erfrieren sie nur, ist das gerechter? Und die, die es schaffen, haben sie Schulbildung? Können sie lesen, schreiben, rechnen? Was sind sie für ihre Zukunft, was für die Zukunft ihres Landes? Ich denke mal ganz arrogant, Thomas, dass es das wert wäre, wenn es wirklich eine Veränderung bringt.“
„Na danke. Ich stürze mich sofort in den nächsten Arm Slave, und wenn es ein Savage ist, und beginne den großen Rachefeldzug, befreie die armen, einfachen Soldaten von ihrem Los als geknechtete Befehlsempfänger und baue eine richtige Armee auf, die dieses Land befreit. Und dann schwappen wir wie eine Tsunami in die Nachbarländer und beenden auch dort den Bürgerkrieg. Ist es das?“
„Schaffst du das vor dem Winter?“
„Pah. Zwei Monate, nein, anderthalb. Mehr brauche ich nicht. Gib mir einfach einen Arm Slave und ich fange morgen an.“
„Du kannst manchmal ein ganz schöner Scheißkerl sein, Thomas.“
„Du hast damit angefangen, du Arschloch.“
Der Arzt warf seine Zigarette zu Boden und trat sie aus. Danach zündete er sich eine neue an. „Aber einer muss es machen, Thomas. Und du bist der einzige Arm Slave-Pilot, den ich kenne.“
„Rede keinen Unsinn! Ich war Arm Slave-Pilot, bis mein Arbeitgeber mich wegen Unfähigkeit rausgeschmissen hat!“
„Du redest Unsinn. Einen Arm Slave führen ist wie Fahrradfahren. Man vergisst es nie.“
Thomas kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und sah den Arzt an. „Du kannst einen Arm Slave steuern?“
„Nein, aber Fahrrad fahren.“
Der ehemalige Mithril-Offizier lachte auf. „Wenigstens hast du dir deinen Humor bewahrt.“
„Und wenn ich dir einen Arm Slave besorge, machst du es?“
„Leck mich am Arsch und geh dann schlafen, ja, Marcus?“
„War das ein ja?“
„Dein Tag morgen wird lang genug, alter Junge. Den solltest du nicht mit Albträumen verbringen.“ Thomas erhob sich, klopfte dem Rauchenden auf die Schulter und ging. „Ich haue mich jedenfalls hin. Mein Tag wird auch lang genug.“
„Das war aber auch kein nein“, rief Donna ihm hinterher.
Thomas schmunzelte.
**
Als der ehemalige Mithril-Offizier erwachte, starrte er direkt in die Mündung einer AK 47, dem am weitesten verbreiteten halbautomatischen Sturmgewehr auf dieser Welt. Es gab viele Möglichkeiten, schnell wach zu werden, in eine schussbereite Waffe zu schauen war sicherlich eine davon.
Entsetzt fuhr er hoch.
„First Lieutenant Thomas Kramer?“, schnarrte eine Stimme mit furchtbarem Akzent.
„Nur noch Thomas Kramer. Ja.“ Der Deutsche vermied es, die üblichen Anfängerfragen zu stellen. Also: Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wieso ich? Wie haben Sie mich gefunden?
Stattdessen setzte er auf Kooperation.
Am anderen Ende des Gewehrs lauerte ein grimmiger, entschlossener Mann mit nervös zuckendem rechtem Zeigefinger.
Hinter ihm standen fünf weitere Männer. Alle sechs trugen grüne, paramilitärische Uniformen. Ihre Gemeinsamkeit war ein auf die Brust eingesticktes Logo, das eine der größeren politischen Parteien darstellte. Die Reformdemokraten.
„Ziehen Sie sich an, Thomas Kramer. Wir machen einen Ausflug.“
Gehorsam sammelte Thomas seine Kleidung auf und zog sich an. Die Mündung des Gewehrs war ein gutes Argument dafür, dabei etwas schneller als sonst zu sein.
Danach führten sie ihn nach draußen, wo bereits ein Mannschaftstransporter wartete.
Er musste auf der Ladefläche Platz nehmen und war schon bald von über fünfzehn bewaffneten Soldaten umgeben. Na toll, mit jeder Sekunde wurden seine Chancen schlechter.

Sie verließen das Lager und fuhren auf eine leidlich erhaltene und kaum bombardierte Schnellstraße. Dort kamen sie gut voran, und nach zwei Stunden Fahrt erreichten sie ein Landgut, das Thomas ziemlich gut kannte. Hier hatten sie versucht, Kumanov zu stellen. Stattdessen waren ihnen Computerdaten und eine Whispered in die Hände gefallen. Verdammt, Kim. Wie es ihr wohl gerade ging? Seit er Mithril verlassen hatte, hatte er den Kontakt zu ihr vermieden, einfach um sie nicht in sein persönliches Unglück mit hinein zu ziehen.
Nun sah er, dass es sehr klug gewesen war.
Kaum dass sie im Innenhof angekommen waren, scheuchten die Soldaten ihn von der Ladefläche. Hm, sie hatten das Haus wieder aufgebaut. Und der Hangar sah ohne die Schussspuren auch wieder ganz gut aus.
Das Haus war ihr Ziel. Thomas wurde durch die Vordertür geführt, kam an dem Zimmer vorbei, in dem Kim damals untersucht worden war und landete in einem wohnlich eingerichteten Lebensraum.
Wohnlich, wenn man von dem halben Dutzend schwer bewaffneter Soldaten absah, die hier an den Türen Aufstellung bezogen hatten.

„Ah, First Lieutenant Kramer. Es freut mich Sie zu sehen. Bitte, setzen Sie sich doch.“
Thomas fuhr herum und setzte sich zugleich auf die bequeme Couch. Im Moment war er nicht in der Lage, seinen Sturkopf durchzusetzen. Der Mann, der gesprochen hatte, war klein, korpulent und transpirierte stark.
„Erinnern Sie sich an diesen Ort? Sie haben ihn auseinander genommen. Der gute Kumanov – Friede seiner Asche - hatte ihnen und ihrer Einheit nichts entgegenzusetzen.“
Der schwitzende Mann setzte sich Thomas gegenüber. „Darf ich ihnen etwas anbieten, First Lieutenant?“
„Ich habe keinen Dienstrang mehr. Aber ein Schwarztee wäre nett. Ich habe noch nicht gefrühstückt und würde zumindest die aufputschende Wirkung zu schätzen wissen.“
„Noch nicht gefrühstückt? Diese Menschen sind wirklich Barbaren, finden Sie nicht? Ich wette, man hat Sie direkt aus dem Bett entführt.
Einen Schwarztee für Herrn Kramer.“
Der schwitzende Mann sah ihn ernst an. „Es heißt Sie wurden degradiert. Es heißt, ihr Stellvertreter hat ihr Kommando übernommen. Es heißt, Sander hat Sie von seinem Boot entfernt. Es heißt, Sie haben Mithril verlassen.“
„Sie sind gut informiert“, murmelte Thomas.
„Wie viel davon ist wahr? Ich meine, dies hier ist doch nicht irgendeine obskure Spezialmission, die sich die Oberen bei Mithril ausgedacht haben? Ich kann zwar nicht ganz dran glauben dass man einen Arm Slave-Piloten darauf angesetzt hat, diesen Krieg zu beenden, aber bei diesem Idealistenpack kann man nie wissen.“
Thomas schnaubte verächtlich. „Schöne Idealisten.“
„Bitte keine Theatralik, mein lieber Herr Kramer. Wenn Sie Rache hätten haben wollen, wären Sie garantiert direkt zu Amalgam gelaufen. Und die hätten Sie mit Kusshand genommen. Wo also treffen wir uns?“

Der Deutsche atmete aus. „Nach den Ereignissen an der südchinesischen Grenze wurde ich für meine Eigenmächtigkeit, nämlich verletzt einen Arm Slave zu steuern, ausgerechnet den kostbaren Arbalest, degradiert. Einen Monat später wurde meine Stellvertreterin auf den gleichen Rang befördert. Nach einer Leistungsbilanz erwies sie sich als fähiger als ich und sie wurde neuer Kommandant meiner Einheit. Kapitän Sander hat mich daraufhin von seinem Boot entfernt. Ich denke, das war die richtige Entscheidung, denn ich hätte nur ungern unter Lieutenant Rogers gedient. Immerhin hat sie fast alles was sie weiß von mir und… Ach, vergessen Sie es. Das wissen Sie sicherlich schon alles.“
„Richtig. Das weiß ich schon alles. Wir haben einen Mann auf der FEANOR. Obwohl wir ihn sicherlich nicht hätten befragen brauchen, denn die Gerüchte um den Abschied von Thomas Kramer waren… Nun, laut und deutlich zu hören. Für eine Geheimorganisation keine schlechte Leistung.
Mir geht eine andere Sache durch den Kopf. Unser Mann an Bord hat bestätigt, dass sich alles so abgespielt hat, wie Sie es schildern, Herr Kramer.
Ich persönlich finde es aufrichtig von ihnen, dass Sie keine Rache an ihren ehemaligen Kameraden suchen. Das zeugt von innerer Stärke. Aber kommen Sie, in ein Flüchtlingslager fliehen, das ist doch vollkommen absurd. Was wollen Sie hier? Was wollen Sie in diesem Land?“
„Helfen.“
„Erzählen Sie das jemandem, der sich die Hose mit Hilfe eines Arm Slaves zumacht, aber bitte nicht mir. Ich will ihnen etwas erklären, Thomas. Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden. Die Bestätigung unseres Maulwurfs hat ihr Leben nicht gerettet, nur einen Aufschub erreicht. Ich kann Sie hier jederzeit töten lassen. Und in ihrem Lager sind Sie auch nicht sicher. Einmal davon abgesehen, dass Sie gerade etwas machtlos sind, nicht wahr?“
„Sie brauchen mir das nicht extra vor Augen zu führen“, erwiderte Thomas gepresst.
„Also, was wollen Sie wirklich in diesem Land? Ich finde beide Varianten rech unwahrscheinlich. Ich glaube ihnen nicht, dass Sie nur helfen wollen, indem Sie in dem Lazarett den Helfer mimen. Und ich glaube nicht, dass Mithril Sie ausgeschickt hat, um den Bürgerkrieg in diesem Land zu beenden. Aber ich ziehe zumindest beides in Betracht.“
Thomas hob eine Hand. „Zwischenfrage. Warum lebe ich noch? Wäre es nicht wesentlich sicherer, mich einfach umzubringen? Dann gehen Sie absolut kein Risiko ein.“
„Oh, das wäre aber Verschwendung. Heutzutage bringt man doch niemanden um, der einen Lambda Driver aktivieren kann.“ Der Dicke schmunzelte.
Irritiert sah Thomas auf. „Lambda Driver? Ich… Lambda Driver? Sie spinnen.“
„So, haben Sie es nicht gemerkt? Bevor Sie und Gun-so Sagara die Plätze getauscht haben, hat Pilot Vogel auf Sie geschossen. Die Kugel wurde von einem Lambda Driver verstärkt und hat Sie seitlich gestriffen. Sie haben den Lambda Driver des Arbalests hochgefahren und mit ihren starken Emotionen die Abwehr aufgebaut. Die Kugel wurde seitlich abgelenkt und Sie hatten Zeit, den Platz mit dem Gun-so zu tauschen.“
„Es würde Sinn machen“, gab Thomas mürrisch zu. „Aber ein Lambda Driver… Ich?“
„Wie gesagt, es ist ein seltenes Talent. Niemand auf dieser Welt, der von dem Lambda Driver weiß, vernichtet mutwillig eine so wichtige Ressource wie einen Piloten, der ihn benutzen kann. Niemand, nicht einmal Mithril.“ Der Mann lächelte dünn. „Zumindest nicht, solange der Pilot kein Gegner ist.“
„Es wäre einfacher, mich zu töten. Ich mag bei Mithril ausgestiegen sein, aber die Ziele der Organisation sind mir immer noch näher als alles, was Amalgam zu bieten hat. Ich habe gesehen, wie Sie Leute behandeln. Wie Sie handeln. Und ich möchte wetten, Sie haben ihre Hände auch in diesem Bürgerkrieg.“
„Haben Sie Todessehnsucht, junger Mann? Auf dieser Welt haben Sie sicherlich noch sechzig bis siebzig Jahre vor sich, also warum betteln Sie mich an, Sie umzubringen? Was stimmt nicht mit ihnen?“
„Es ist nicht dass ich will, dass Sie mich umbringen“, warf Thomas ein. „Aber ich werde nicht mit ihnen paktieren. Und ich denke nicht, dass Sie dann für mich noch eine Verwendung haben.“
Sein Gegenüber wischte sich erneut über die schweißbedeckte Stirn. „Sauheiß heute. Warum müssen meine Aufträge immer in diesen völlig überhitzten Ländern sein?
Herr Kramer, Sie helfen mir im Moment nicht gerade dabei, Sie am Leben zu lassen. Mittlerweile komme ich zu dem Fazit, dass Sie Recht haben. Vielleicht ist es sicherer Sie zu töten, Lambda Driver hin, Lambda Driver her.“ Er schnippte mit dem Finger. Einer der Paramilitärs trat vor, zog seine Pistole und drückte sie Thomas gegen die Schläfe.
Als der Bolzen der Pistole niederfuhr, zuckte Thomas zusammen. Aber es löste sich kein Schuss.
„Nun gut, junger Mann, einiges an ihrer Geschichte scheint zu stimmen. Kein Einsatzkommando von Mithril, um Sie zu retten, kein versuchter Ausbruch.
Und ich bin wahrlich kein Verschwender.“ Der Dicke rieb sich das schwitzende Kinn. „Verschwinden Sie einfach und treten Sie mir nicht mehr unter die Augen. Sollten Sie aber noch mal auffällig werden, ist ihr Leben absolut nichts wert. Igor!“
Einen Augenblick später traf ihn ein Gewehrkolben. Während Bewusstlosigkeit ihn umfing sagte der Dicke: „Denken Sie immer dran, dies war nur eine Liebkosung, wenn man bedenkt, was ich wirklich mit ihnen anstellen kann, Herr Kramer…“
Dann sackte Thomas weg.

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24.09.2006 23:39 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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2.
Tarkan Agedi fühlte sich wohl. Die Altstadt im östlichen Teil Istanbuls war für ihn irgendwie ein wenig Heimat. Es roch hier überall an jeder Ecke nach Kaffee, Gewürzen und frischen Früchten. Die Menschen bewegten sich ohne Hast, ohne sich in der prallen Mittagssonne anzustrengen – was sie aber nicht davon abhielt, aufs heftigste zu feilschen, und sei es wegen einer Handvoll Datteln.
Tarkan schmunzelte. Er selbst war kein Türke, zumindest kein richtiger. Aber er verstand genug von der einheimischen Sprache und den Eigenheiten der arabisch geprägten Kleinasien-Türken, um sich hier gut zu orientieren und nicht aufzufallen.
Seine Wahl fiel auf ein kleines Kaffee-Haus, aus dem er drei verschiedene Aromen von starkem Mocca zu riechen meinte. Seine Kindheit und Jugend in Deutschland hatte ihm viele nützliche Dinge beigebracht, aber solche Genüsse hatten nie dazu gehört. Er war dankbar dafür, dass er in die Lage gekommen war, durch Mithrils Mittelmeerstützpunkt in der Ägäis relativ nahe an Istanbul stationiert zu sein.
Für ein, zwei Gefallen waren die Hubschrauberpiloten des Stützpunkts jederzeit bereit, einen zum Atatürk-Flughafen raus zu fliegen und wieder abzuholen.

Tarkan setzte sich und bestellte. Kurz darauf stellte ein alter Mann mit langem grauem Bart eine kleine Tasse mit Mocca vor ihm ab. Der Duft war verführerisch einschmeichelnd und steigerte sein Wohlbefinden. Bis zum Mittagsgebet dauerte es noch, er hasste es wirklich sich an eine Religion anzupassen, die nicht die seine war.
Seine Religion war Geld. Zumindest war sie das gewesen, bis zu diesem Zwischenfall.
Er dachte zurück an den Einsatz der FEANOR vor der Küste Marokkos, an den missglückten Enterversuch Amalgams und seine eigene Rolle als Verräter auf der Brücke in diesem Spiel.
Wäre Captain Karasov nicht dazwischen gegangen hätte er etwas sehr dummes getan und sich offen gegen seine Kameraden, ja Freunde gestellt. Genauer gesagt hatte der Russe ihn mit der Waffe bedroht. Und auch heute noch war Tarkan unter einer gewissen Bewachung, die Karasov organisiert hatte. Einmal Verräter, immer Verräter. Er wusste nicht, ob er dankbar dafür sein sollte, dass Karasov seinen Verrat nicht an die große Glocke gehängt hatte. Das ersparte ihm wenigstens Hohn und Verachtung seiner Kameraden von der Brückencrew. Andererseits hätte ein ordentlicher Schlussstrich und ein kleines Kriegsgerichtsverfahren ein Ende unter all das gesetzt. Sicher wäre er mit einer unehrenhaften Entlassung davon gekommen.
So aber war er ein Spielball geworden. Einerseits von der Organisation, die ihn gekauft hatte, Amalgam, andererseits vom Chef der Infanterie der FEANOR.
Frustriert trank Tarkan seinen Mocca aus, bezahlte und verließ den gemütlichen Laden. Sein Weg führte ihn tiefer in die Altstadt, in verwinkelte Gassen, in denen die Geschäfte abnahmen.

Bis er plötzlich die Wand küsste, kaum dass der Mullah zum Gebet rief.
„Ah, die Herren von Amalgam“, ächzte Adebi in einem Anflug von Ironie. „Was kann ich für Sie tun?“
Der bärenstarke Mann, der ihn gegen die nächste Wand presste, grunzte nur und verstärkte den Druck.
„Adebi-san. Es ist schön, dass Sie immer noch leben. Unsere Überwachung der Mobilfunkeinrichtungen Rumäniens haben ergeben, dass Thomas Kramer eine geheime Nachricht an Amalgam hat abgeben lassen, in der er meldet, die FEANOR hätte einen Maulwurf an Bord.“
„Na danke. Von wem er das wohl hat?“, zischte Tarkan aus seiner unbequemen Lage. „Das erklärt zumindest warum der Skipper und die Eishexe den ganzen Tag Akten wälzen und Leute stichprobenartig für Befragungen ins Büro zerren.“
„Ihr Lebenslauf ist wasserdicht“, vernahm er die Stimme erneut. „Immerhin stimmt sie zu hundert Prozent. Bis auf die hunderttausend Euro, die Amalgam Ihnen gezahlt hat. Die tauchen in Ihren Referenzen glücklicherweise nicht auf, Adebi-san.“
„Trotzdem stehe ich jetzt auf der Abschussliste. Und wenn ich entdeckt werde bin ich so gut wie tot.“
„Hätten Sie damals Ihren Auftrag erledigt, Adebi-san, dann wären sowohl die FEANOR als auch ihre Crew in unserer Hand. Und Sie wären vom Rudergänger vielleicht zum Kapitän aufgestiegen. Aber nein, Sie bekamen kalte Füße und haben nichts gemacht. Nun bezahlen Sie halt den Preis.“
„Ja, durch ein überhöhtes Risiko! Ich will, dass Sie mich da rausholen! So schnell wie möglich!“
„Oh, Adebi-san, Sie sind nach der letzten Enttäuschung nicht in der Lage, Forderungen zu stellen. Im Gegenteil. Sie müssen sich unser Vertrauen erst wieder mühsam verdienen. Wenn wir, ah, Ihr Leben etwas interessanter gestalten, sehen Sie das bitte als zusätzliche Anstrengung zurück in unsere Anerkennung an. Es war taktisch wichtig, Kramer vom Maulwurf an Bord der FEANOR zu erzählen.“
„Um seine Geschichte zu überprüfen?“ Tarkan lachte rau.
„Seit der Heilige von Bord ist, gibt es einiges an Unruhe an Bord. Um es mal frank und frei zu sagen: Ein großer Teil der Crew ist mit der Entscheidung von Sander nicht einverstanden. Aber Befehl ist Befehl. Die Arbeit muß halt weitergehen, auch wenn es nicht mehr dasselbe ist.“
„So, so. Sie sagen also, dass Kramers Entlassung keine Farce ist, um beispielsweise uns eine Falle zu stellen?“ Die Stimme klang amüsiert.
„Natürlich ist es eine Falle. Denken Sie daran, dass absolut niemand informiert wurde. Die ganze Crew denkt tatsächlich, dass Kramer wegen mangelnder Leistung entlassen und wegen Rücksichtslosigkeit auf Gesundheit und Material degradiert wurde. Nur eine Handvoll Soldaten können von seiner Mission wissen. Der Skipper, Commander Allister und eventuell noch zwei oder drei Leute im Oberkommando.“
„Hm. Sehr unwahrscheinlich. Mithril ist zu liberal für solch eine Aktion. Aber dennoch ist sie möglich. Wir werden das im Auge behalten. Wir werden Kramer im Auge behalten. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Lieutenant Adebi.“
Der Druck ließ nach und Tarkan konnte endlich frei atmen. Kurz darauf war er in der dunklen Gasse alleine.

Er streckte die verspannten Schultermuskeln, rieb sich den neuen blauen Fleck und fluchte herzhaft. Diesmal würde er nicht überleben. Diesmal würde er draufgehen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Etwas zu hastig verließ er die Altstadt wieder, nahm eine der Fähren über den Bosporus.
Wenigstens eine Sache war sicher. Solange Amalgam Kramer beobachtete, würden sie ihn nicht töten. Und Tarkans Schuld würde nicht weiter anwachsen.
**
Commander Allister ließ ihren Blick über den beinahe leeren Besprechungsraum gleiten. Die wenigen Anwesenden waren ausschließlich Arm Slave-Piloten. Genauer gesagt waren sie die sechs Arm Slave-Piloten, über die das Schiff nach Kramers Austritt aus der Organisation noch verfügte.
Die Gesichter waren alles andere als gelöst, manche sahen übernächtigt aus. Nicht, dass irgendjemand mit Samantha Rogers haderte oder ihr Vorwürfe machte. Aber sie konnte sehen, dass die Männer und Frauen sie, die stellvertretende Kommandantin der FEANOR, aufmerksam beobachteten.
Es war ein offenes Geheimnis, dass sie bei sämtlichen Personalentscheidungen intensiv mit einbezogen wurde. Nun zu sagen sie hätte bei Kramers Entfernung vom Schiff kein Wort mitzureden gehabt wäre eine glatte Lüge gewesen.

„Guten Morgen, Falken. Ich habe euch heute hier zusammengerufen, weil ich euch ein paar wichtige Entscheidungen mitzuteilen habe. Ihr wisst alle, dass die Sollstärke der Arm Slave-Truppen an Bord acht Piloten betragen soll. Genauer gesagt acht Piloten für acht Gernsback.
Nachdem wir zwei Maschinen in der Sahara verloren haben, wurde bisher aber nur einer ersetzt.
Das Oberkommando hat sich nun entschlossen, die fehlenden zwei Plätze vorerst nicht neu zu besetzen. Der siebte Arm Slave von First Lieutenant Kramer wird als Reservemaschine fungieren.“
„Hä? Keine Verstärkung? Unser ganzes Training basiert auf der Arbeit als vier Zweierteams“, wandte Sergeant Ben Brahim ein. „Das durchbricht all unsere Übungen.“
„Meckern Sie nicht, Sergeant. Es ist ja nicht so als müssten wir ewig mit sechs Leuten auskommen. Aber im Moment sind die Zeiten äußerst unruhig und Mithril muß bei Neurekrutierungen besondere Vorsicht walten lassen. Wir haben eine Information bekommen, dass Amalgam die FEANOR infiltriert hat. Wir müssen verhindern, dass wir diesen Fehler ausgerechnet bei den M9 Gernsback wiederholen.“
Unruhe brach unter den Piloten aus. Ein Spion, bei ihnen an Bord?
Samantha Rogers erhob sich. „Wie lange wird dieser Zustand andauern? Wann wird das Team wieder vollständig sein?“
„Wie schon gesagt, First Lieutenant, Aspiranten für die Falken und für jede andere Arm Slave-Einheit Mithrils werden auf Herz und Nieren geprüft. Nun, eigentlich sogar bis in den Nano-Bereich. Ich schätze, dass jeder einzelne Rekrut mindestens ein halbes Jahr im Training verbringen wird, bevor er zum Dienst zugelassen wird.“
„Ein halbes Jahr? Danke. Dann können wir unser Training komplett umstellen“, maulte Sergeant Ciavati.
„Genau. Dies ist auch der Sinn dieser Besprechung. First Lieutenant Rogers, ab sofort werden Sie Trainingseinheiten mit drei Zweierteams ansetzen. Ich will, dass die neue Formation in einem Monat sitzt wie eine eins.“
„Verstanden, Ma´am.“

„Commander“, meldete sich Ken Ibuto zu Wort, „Infiltration ist eine schlimme Sache, zugegeben, aber ein halbes Jahr ist unzumutbar. Meine Meinung, Ma´am.“
„Ich gebe Ihnen Recht. Ein halbes Jahr ist definitiv unzumutbar. Vor allem wenn man die Tatsache in Betracht zieht, dass es auf der Erde zwanzigtausend ausgebildete Arm Slave-Piloten gibt. Von denen übrigens gut vierhundert einen Leistungslevel aufweisen, der sie für Mithril empfiehlt. Unter diesen vierhundert gibt es mindestens fünfundzwanzig, die wir sofort aufnehmen könnten, wenn nicht unser Konflikt mit Amalgam wäre.
Wir müssen vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Wie ernst das Oberkommando die Lage sieht können sie daran erkennen, dass die DANNAN lediglich vier von sechs Arm Slave-Piloten hat, die für das Schiff vorgesehen sind. Wenn selbst unser Flaggschiff hintenan stehen muss, warum denken Sie sollte unser Schiff bevorzugt behandelt werden?“
Ibuto brummte, fügte sich aber.
„Gut, weitere Fragen? Nein? Lieutenant Rogers, beginnen Sie das Training in der neuen Formation so schnell wie möglich.“
„Aye, Ma´am.“
Commander Allister nickte, salutierte knapp und verließ den Raum.

„Wow. Selbst die heilige Kuh ist noch unter Soll?“, staunte Ben Brahim. „Das will wirklich was heißen.“
„Du bist ein Idiot, wenn du dich daran hochziehst, Yussuf“, tadelte Ciavati. „Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass unsere Lage ernst ist. Zuerst haben wir überhaupt nichts von Amalgam gewusst, und nun hängen sie uns mit ihren Fängen schon an der Kehle.“
„Treffend formuliert“, murmelte Samantha. Sie erhob sich. „Also, Herrschaften, in einer Stunde auf dem Trainingsgelände. Ihr könnt wegtreten.“
„Aye, Ma´am.“
Sam zuckte zusammen. Jedes Mal wenn sie der ganzen Einheit Befehle gab befürchtete sie, dass einer der Piloten aus der Reihe tanzte. Das einer den Befehl verweigerte und darauf hinwies, dass Thomas Kramer der einzige und wahre Anführer der Falken war.
Wäre sie selbst nicht in die missliche Lage versetzt worden, nun die Falken anführen zu müssen, hätte sie in ihrer poltrigen, robusten Art sicherlich so gesprochen. Aber nun hatte sie den schwarzen Peter, und sie hatte nicht vor, gegen sich selbst zu protestieren. So weit ging ihre Liebe für Falke eins dann nun doch nicht.

Sie verließ den Besprechungsraum als Letzte. Und lief Timothy Scott in die Arme, dem Chef der Kampfhubschrauber.
„Auf ein Wort, Falke eins.“
Wieder zuckte Sam zusammen. Sie hatte sich noch nicht an das neue Callsign gewöhnt. Und sie war sich sicher, dass sie das auch nie würde.
„Was gibt es, First Lieutenant?“, fragte sie ernst.
Tim runzelte die Stirn. „Hey, du brauchst nicht gleich die Elite-Soldatin raushängen zu lassen, nur weil ich dich mal bei deinem Rufzeichen nenne.“
„Was willst du, Tim?“, fragte sie enerviert.
Der Hubschrauberpilot zuckte die Achseln. „Ich nehme an, du hast auch schon von dem Verräter an Bord gehört, oder?“
„Gerade eben. Hat die Geschichte so schnell die Runde gemacht?“
„Noch viel schneller. Ich wusste es gestern schon. Und wenn du dich nicht in deinem Zimmer auf der Basis verbarrikadieren würdest wie in einem Elfenbeinturm, dann wüsstest du es auch schon länger.“
„Was geht es dich an, wo ich meine Freizeit verbringe und auf welchen Klatsch ich höre und auf welchen nicht?“, blaffte sie wütend.
Tim musterte sie ernst. „Das bist irgendwie nicht du, Sam. Das bist überhaupt nicht du. Macht dich die Sache mit dem Spion so merkwürdig?“
Sam antwortete nicht darauf. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah den Offizier tadelnd an. „Nun sag schon was dir auf dem Herzen liegt. Du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit für deinen Klatsch.“

Tim räusperte sich verlegen. „Ich habe über das Thema nachgedacht. Und ich glaube, ich habe eine Ahnung, wo wir den Maulwurf finden könnten.
Ein Agent von Amalgam zum Beispiel hätte nichts davon, als Matrose oder Infanterist auf der FEANOR zu dienen. Er bräuchte eine exponierte Position, von der aus er Zugang zu wichtigen Daten hat. Effizienten Daten. Beispielsweise auf der Brücke, auf einem Kommandoposten bei einer Teileinheit oder…“
„Kommandoposten einer Teileinheit? Denkst du an eine bestimmte Truppe? Die Arm Slaves zum Beispiel?“
Die Miene des Engländers versteinerte sich. „Komisch dass du das erwähnst. Der Gedanke liegt irgendwie nahe, vor allem wenn man deinen kometenhaften Aufstieg betrachtet, eh? Ich meine, der Heilige wurde wirklich mustergültig abserviert. Eine grandiose Leistung.“
Vor Zorn bebend sah sie dem Piloten in die Augen. „Willst du etwa sagen, dass ich…“
„Ich will gar nichts sagen. Ich zähle nur Fakten auf.“
„Ach, interessant. Und wann willst du den Skipper darüber informieren, dass seine Arm Slaves von einer feindlichen Agentin befehligt werden?“, giftete sie.
„Ich habe nicht gesagt, dass die Arm Slaves von einer feindlichen Agentin befehligt werden“, zischte er. „Du allein hast diese Schlüsse gezogen!“
„Ach ja? Und auf welche anderen Schlüsse hätte ich kommen sollen, Tim? Nachdem du mir deine Theorie so vorgekaut hast? Nachdem du mir nach einer Besprechung aufgelauert hast? Nachdem du dem heiligen Thomas so offen nachtrauerst? Was soll ich da denken? Was, bitte?“
„Du gehst zu weit. Du gehst viel zu weit!“
„Du hast damit angefangen!“

Die beiden Elite-Soldaten sahen sich lange in die Augen, drohend, unnachgiebig, ernst.
„Was bitte wird das wenn es fertig ist?“, schnarrte eine Befehlsgewohnte Stimme neben ihnen.
Beide fuhren zusammen.
„S-sir, das ist nur…“, stammelte Timothy.
„I-ich… Wir haben nur…“, fügte Sam unsicher hinzu.
Captain Karasov musterte beide streng. „Ich konnte einen Teil eurer Konservation leider nicht überhören. So wie drei Viertel der FEANOR.“
Beide senkten beschämt die Köpfe. Sie hatten gar nicht gemerkt wie laut sie geworden waren.
„Was ist los mit euch beiden? Ihr seid doch Freunde, dicke Freunde! Und jetzt geht ihr euch gegenseitig an die Kehle? Was treibt euch nur so weit?“
„Ich…“ Betreten sah Scott zu Boden.
„Wir haben doch nur…“ Sam sah flüchtig zu Tim herüber und senkte dann ebenfalls den Blick.
„So weit ist es also schon gekommen. Wo soll das enden? Wollt ihr Mannschaften aufstellen, die das Schiff durchkämmen und jeden töten, der als Spion in Frage kommt? Ganz nach dem Motto: Lieber ein paar Unschuldige töten als den Richtigen zu verpassen?“
„Nein!“, beteuerte Sam. „Es ist nur so, dass…“ Sie sah auf, dem Russen direkt in die Augen. „Wir vermissen den Heiligen, Sir.“
Timothy sah überrascht auf. „Sam, das habe ich nicht gewusst.“
„Verdammt, ist doch wahr! Wie konnte der Skipper das tun? Wie konnte Thomas das tun? Was ist so schlimm daran, unter mir zu dienen? Was ist so schön daran, unsere Einheit zu verlassen?“
Bestürzt sah der Hubschrauberpilot die Kameradin und Freundin an. „Sam, ich hätte das mit den Teileinheiten doch nie gesagt, wenn ich gewusst hätte, wie sehr das an dir nagt.“
„Du Arsch. Du wolltest mich doch nur weinen sehen. Damit du noch nen Punkt auf deiner Liste hast, warum dein heiliger Thomas besser ist.“ Wütend wandte sich die Arm Slave-Pilotin ab und stampfte davon.
„Sam, ich…“, rief Tim, streckte die Hand nach ihr aus und erreichte sie doch nicht.

„Tja, mein Sohn. Da hast du ja einen schönen Haufen Scheiße gestapelt. Nicht nur dass du einen gleichrangigen Offizierskameraden prächtig gegen die nächste Wand gefahren hast.
Du hast auch noch eine Frau mit Klasse tödlich beleidigt, sie gekränkt, ihren Stolz verletzt, ihr Selbstvertrauen erschüttert und ihren Glauben in ihren besten Freund zerstört.“ Gönnerhaft klopfte der Russe dem Piloten auf die Schulter. „Gute Arbeit. Wenn du einen Todfeind haben wolltest.“
„Ich bin ein Idiot“, murmelte Tim betreten.
„Das steht außer Frage.“ Karasov schenkte dem jungen Offizier ein zynisches Lächeln und ging weiter. „Und es drängt sich eine weitere auf. Bist du damit jetzt zufrieden, oder versuchst du ausnahmsweise mal dein Gehirn zu benutzen, um die Sache doch noch gerade zu rücken?“
Karasov verschwand im nächsten Quergang, auf dem Weg zur Kantine.
Zurück blieb ein Engländer in der Misere seines Lebens.

3.
Als Thomas diesmal erwachte, erwartete ihn nicht das vertraute Gesicht des Chefarztes Marcus Donna oder einer der Schwestern.
Oh, es war durchaus ein hübsches Gesicht, eindeutig weiblich. Und es kam ihm vage bekannt vor, aber es passte absolut nicht zu diesem Ort. Außerdem drehte sich die Welt ein wenig, und der ehemalige Mithril-Offizier musste einen Moment warten, bevor oben und unten ihre Plätze gefunden hatten.
„Er ist wach“, hörte er eine helle Frauenstimme erfreut sagen. „Sie hatten Recht, Doc. Diesen Mann haut so schnell nichts um.“
Thomas richtete sich auf und die erwarteten Kopfschmerzen blieben aus. Er schwang die Beine aus dem Feldbett und setzte sich auf den Rand. Nun wurde ihm doch ein wenig schwindlig, aber ein paar Sekunden mit geschlossenen Augen halfen ihm dabei, die Achterbahnfahrt zurückzudrängen.
Als er die Augen wieder öffnete sah er wieder das hübsche, Gesicht, diesmal etwas besorgt, den Chefarzt Marcus Donna – und eine ganze Reihe männlicher Gesichter, die ihn burschikos angrinsten.
„Was ist hier los, Marcus. Hast du Eintritt genommen?“
„Äh. Nein.“
„Schade. Hätte sich bestimmt gelohnt.“
„Bitte keine schlechten Witze, Thomas. Gräfin von Friedheim ist hier, um…“
„Gräfin?“
Das hübsche Gesicht verzog sich zu einem spitzbübischen Lächeln. „Das bin ich.“
„Aha.“
„Wie ich eben erklären wollte, die Gräfin ist hier, um…“
„Moment, Moment. Welchen Grund sollte eine Gräfin haben, in ein abgelegenes Flüchtlingslager zu kommen und ausgerechnet mich aufzusuchen? Was macht eine Gräfin überhaupt in diesem Land?“ Missmutig rieb sich der Arm Slave-Pilot die Schläfen.
„Nun, um auf die letzte Frage zu antworten, ich wohne hier.“
Thomas musterte sie genauer. Die Frau schien keinen Tag älter als achtzehn zu sein. Auf jeden Fall war sie eine sehr fragile Person, und der braune Kurzhaarschnitt und die paramilitärische Camouflage-Kleidung konnte daran auch nichts ändern.
„Aha.“
„Genauer gesagt gehört mir ein großer Teil dieses Landes. Ich meine, er gehörte mir, beziehungsweise meinen Großeltern, bevor sie von den Kommunisten verjagt worden waren.“
„Aha.“
„Aber jetzt, in diesen unsicheren Zeiten sehe ich es als meine Pflicht an, die…“
„Aha.“
Die junge Frau zog einen Schmollmund. „Können Sie mit diesem ewigen Aha nicht mal aufhören, First Lieutenant Kramer?“
„Es heißt nur noch Kramer. Ich habe keinen militärischen Rang mehr. Was wollen Sie überhaupt in diesem Land? Die alten Ansprüche und Rechte Ihrer Adelsfamilie einfordern? Himmel, Rumänien ist ein Trümmerfeld! Eine sehr leichte und ziemlich wertlose Beute.“
Der Blick der Frau wurde ernst. „Ich weiß. Und es tut mir Leid, dass ich so spät gekommen bin. Aber ich hatte lange Zeit nicht die Courage, um mich herzutrauen. Oder die Mittel.“
Sie senkte den Blick. „Ich bin nicht hier, um das alte Land meiner Familie in Beschlag zu nehmen. Oder um irgendwelche obskuren Adelsrechte einzufordern. Im Gegenteil.“
Sie machte eine alles umfassende Geste. „Ich dachte, Sie würden mich verstehen, Herr Kramer. Gerade Sie, der freiwillig hier her gekommen ist, um in diesem Flüchtlingslager zu helfen.“
„Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen mir und Ihnen, Gräfin“, erwiderte Thomas ernst.
„Oh, es gibt einen. Ich bin nicht hier, um die Rechte einzufordern, sondern um die Pflichten zu erfüllen. Früher, als es in dieser Region noch Könige gab, war der Adel dazu angehalten, das ihnen anvertraute Land und die ihnen anvertrauten Menschen zu beschützen. Dies will ich nun erfüllen. Wenn auch sehr, sehr spät.“
„Niemand hat Sie dazu verpflichtet. Und niemand erwartet das von Ihnen“, tadelte der Arm Slave-Pilot.
„Das ist richtig. Aber sehen Sie sich dieses Lager an. Gehen Sie durch die vielen anderen Lager. Und dann sagen Sie mir ins Gesicht, dass es nicht höchste Zeit ist, dass jemand etwas unternimmt.“
„Gut, Ihr Punkt. Und was habe ich damit zu tun?“
Übergangslos lächelte die kleine Frau wieder. Es wirkte frech und verschmitzt zugleich. „Nun, ich habe gehört, Sie seien der beste Arm Slave-Pilot der Welt.“
Der Deutsche sah den Chefarzt böse an, während dieser die Lampe an der Decke plötzlich sehr interessant fand. „Ich denke nicht, dass ich der beste Arm Slave-Pilot der Welt bin.“
„Nun, vielleicht nicht der beste der Welt, aber sicherlich der beste in diesem Land.“ Ihr verschmitztes Lächeln bekam einen Hauch von Schärfe. „Ich habe geheime Aufnahmen von Mithrils Überfall auf Kumanovs Villa gesehen. Sie haben sehr akkurat gearbeitet, Herr Kramer. Und als ich das gesehen hatte, da gingen mir zwei Dinge durch den Kopf. Erstens, da lässt jemand mit viel Können und Elan einen Waffenhändler hochgehen. Eine der Geissel des rumänischen Volkes. Und zweitens, wenn du diesen Mann gewinnen kannst, um den Bürgerkrieg zu beenden, ist er schon so gut wie vorbei.“
Ihr Lächeln erstarb. „Wie sieht es aus, Herr Kramer? Ich habe die Männer, ich habe die Arm Slaves. Aber ich habe keinen Anführer. Und Sie sind der beste weit und breit. Wollen Sie nicht was gegen das Elend tun, das Sie hier Tag für Tag umgibt? Wollen Sie nicht endlich handeln? Sie sind ein Krieger. Ein Soldat. Ein Arm Slave-Pilot. Und das soll Ihr Beitrag für den Frieden sein. Bitte, lassen Sie mich nicht in Stich. Lassen Sie das rumänische Volk nicht in Stich.“
Missmutig sah Thomas zu dem Arzt herüber. „Sie ist gut.“
„In Rhetorik hatte sie immer die besten Noten.“ Er grinste schief. „Wir haben zusammen studiert. Und als ich von ihren Plänen erfuhr, dachte ich mir, Hey, stoppen kannst du sie sowieso nicht. Warum hilfst du ihr nicht stattdessen?“
„Ich bin gerade aufgestanden, habe eine Gehirnerschütterung hinter mir, eine Todesdrohung der schlimmsten Geheimorganisation dieses Planeten, wenn ich mich noch einmal in ihre Belange einmische und wurde vor gar nicht langer Zeit meines Kommandos enthoben. Können solche Fragen nicht wenigstens bis nach dem Frühstück warten?“
Die Gräfin und der Arzt wechselten einen erfreuten Blick. „Heißt das ja?“
„Das heißt, dass ich vielleicht als Arm Slave-Pilot besser bin denn als Pfleger.“ Er sah auf. „Die Männer hinter Ihnen, Gräfin, sind…“
„Patrioten, die meine Familie beim Kampf um Ruhe und Ordnung unterstützt hat, so gut es eben ging. Nein, Ihre Arm Slave-Piloten sind nicht dabei.“
„Und über wie viele Arm Slaves reden wir hier?“
„Nanu? Sie fragen ja gar nicht nach Typ und Bewaffnung.“
„Ein Arm Slave ist jedem anderen Waffensystem überlegen, außer einem anderen Arm Slave. Vorerst will ich mich damit begnügen, dass Sie Arm Slaves haben, Gräfin von Friedheim.“
„Sie sind wirklich ein sehr interessanter Mann, Herr Kramer. Und bitte, nennen Sie mich Chef oder Anica. Aber Gräfin von Friedheim ist definitiv zu lang.“
„Gut. Also Chef. Würden Sie dann bitte mein Zelt verlassen… Chef?“
„Was? Aber ich dachte, wir hätten…“
„Ich würde mich gerne umziehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
„Oh. Oh. Ja, natürlich. Entschuldigen Sie uns.“
„Du kannst auch ruhig gehen, Marcus.“
„Hm. Ich bin Arzt. An dir gibt es bestimmt nichts, was ich nicht schon gesehen hätte, mein Freund.“
Thomas grinste schief. „Aber an dir gibt es Details, die ich noch nicht kenne. Woher wusstest du, dass sie hier ist? Wie hast du den Kontakt hingekriegt? Und wo zum Teufel hat sie Arm Slaves her?“
„Betriebsgeheimnis“, erwiderte der Arzt. „Aber seien wir doch ehrlich. Ein Arm Slave passt viel besser zu dir als eine Blutkonserve oder eine Trage.“
„Es ist nicht so als wäre diese Arbeit sinnlos gewesen“, murrte Thomas.
„Es ist leicht jemanden zu finden, der dich bei deinen Handlangerdiensten ersetzt, mein Freund. Aber es dürfte sehr schwer sein, dich bei den Arm Slaves zu ersetzen.“ Marcus Donna zwinkerte ihm zu und verließ das Zelt.
„Marcus. Ist es das? Bin ich das? Bin ich nur nützlich, wenn ich in dieser gewaltigen Tötungsmaschine stecke?“
„Nützlich hin oder her, dort bist du am effektivsten.“
„Wenigstens bist du ehrlich.“
**
Ein wenig wunderte sich Thomas Kramer schon über die Blicke, die ihm die Menschen zuwarfen. Ja, warum sie ihm geradezu eine Gasse geöffnet hatten. Verzweifelt fragte sich der junge Pilot, mit wem genau diese Menschen ihn verwechselten.
Dann hatte er den zentralen Platz des Lagers erreicht. Normalerweise wurde er genutzt, um die Hilfslieferungen zu entladen, in Anbetracht der Größe des Lagers war er also riesig genug, um in den wenigen ruhigen Wochen des Jahres Fußballturniere aufzunehmen – bis zu vier Spiele zugleich.
Diesmal aber standen vier schwere Tieflader vor den unzähligen Zelten. Und sie waren beladen.
Je näher Thomas dem Platz kam, desto aufgeregter waren die Menschen. Ja, sie wurden regelrecht enthusiastisch. Und das war bei Menschen, die in schlecht geheizten Zelten und mit schlecht geflickter Kleidung Winterzeiten hinter sich bringen mussten wirklich von Seltenheitswert. Freude sah man hier sehr selten. Selbst den Kindern wurde verboten, beim spielen zu laut zu lachen.

Auf den Tiefladern waren Arm Slaves befestigt. Normalerweise wäre dies ein Grund gewesen, den Platz zu verlassen, und sicherheitshalber noch einen zusätzlichen Kilometer Distanz drauf zu legen. Diesmal aber waren die Giganten regelrecht umschwärmt. Der Grund dafür war das kleine kesse Mädchen in der Camouflage-Kleidung, die eine Gruppe der offiziellen Vertreter des Lagers herumführte und Details der Maschinen erklärte.
Mistral I, französische Modelle, erkannte Thomas mit der langjährigen Routine eines Mannes, der schon so ziemlich jeden existierenden Arm Slave dieser Welt mindestens einmal abgeschossen hatte.
Er hatte mit Savages gerechnet, der sowjetischen Massenproduktion, die zu Dumpingpreisen in der ganzen Welt verkauft wurden. Die Mistral I waren zwar nicht viel jünger, dafür aber erheblich besser verarbeitet. Mistral II oder Gernsback währen ihm lieber gewesen, aber seine schlimmsten Befürchtungen waren nicht eingetreten.
Genauer gesagt rechnete er sich mittlerweile recht gute Chancen aus. Nicht unbedingt, um diesen Bürgerkrieg zu beenden. Aber um ihn zu überleben. So lange sie nicht auf Venoms stießen. Oder auf eine jener Gruppen, die das Chaos in den russischen Satellitenstaaten für ihre Waffentests missbrauchten.
„Und hier sehen Sie den Anführer meiner Soldaten: Major Thomas Kramer! Major Kramer ist erfahrener Arm Slave-Pilot, der bereits überall gesiegt hat: Im südchinesischen Bergland, in der Zentralsahara, und auch hier in Rumänien. Genauer gesagt war er es, der den berüchtigten Waffenhändler Kumanov erfolgreich angegriffen hat. Nun, es war kein Sieg in dem Sinne. Aber er hat eine zahlenmäßig kleine Truppe gegen die überlegenen Kräfte Kumanovs geführt und jeden einzelnen Mann wieder mit zurückgebracht. Wenn das keine Leistung ist. Major Kramer, kommen Sie doch zu uns.“
Thomas lächelte liebenswürdig und schnappte nach Anica von Friedheims Arm. „Entschuldigen sie uns einen Moment, Herrschaften.“
Er zog die junge Frau hinter einen der Transporter.
Sie seufzte enttäuscht als er sie einfach losließ.
„Was denn? Ich dachte, Sie schleudern mich zumindest gegen die Reifen oder brüllen mich an.“
„Chef“, sagte Thomas, „das kann ich gerne noch nachholen. Aber zuerst würde ich gerne wissen, was Sie vorhaben. Ich kann nämlich nicht ganz glauben, dass Sie ohne treffenden Grund auf mich deuten und „Held, Held“ schreien.“
Die Gräfin lächelte dünn. Sie ging zu einer Klappe des Tiefladers und zog einen schwarzen Gefechtsanzug hervor. „Hier, ziehen Sie das an. Der Tanz wird sicher bald losgehen, und ich will vorbereitet sein.“
„Hm“, machte der Deutsche. „Sie wissen also, dass es in den Lagern von Spionen der verschiedensten Fraktionen wimmelt. Sie wissen zu genau, dass die vier Arm Slaves jede militärische und paramilitärische Einheit im Umkreis von fünfzig Kilometern anlocken wird wie Scheiße die Fliegen.“
„Oh, betrachten Sie es als Bewährungsprobe. Ich muss doch wissen, was der Anführer meiner Truppen wert ist“, säuselte sie.
„Und Sie wissen natürlich, dass diese Spione auch weitergeben, was Sie gerade über mich gesagt haben!“
„Ja, es wird die Angreifer zögern lassen. Verlangsamen. Ich halte nichts davon, dass sie in dieses Lager getrampelt kommen, tausende Menschen unter den Füßen ihrer Arm Slaves töten und glauben, sie könnten unsere Mechas erobern.“
„Wenn Sie so denken, hätten Sie die Arm Slaves nie hierher bringen dürfen!“
„Nein. Die Menschen müssen die Arm Slaves sehen. Und sie müssen den Mann sehen, auf den sie in Zukunft vertrauen werden. Also enttäuschen Sie die Menschen im Lager nicht. Enttäuschen Sie mich nicht. Mein lieber Major Kramer.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Sie sollten sich wirklich umziehen. Die erste Einheit kann uns in… Zehn bis zwölf Minuten erreichen.“
„Wenn Sie sich verkalkuliert haben, sterben eine Menge Menschen“, tadelte Thomas.
„Ich darf mich nicht verkalkulieren. Ich darf mich nie verkalkulieren. Weder dabei, wie schnell der Gegner heran rückt, noch bei Ihnen, Major Kramer.“ Ihr Lächeln machte einem missmutigen und ein wenig ängstlichen Gesicht Platz. „Tun Sie Ihren Job, Soldat.“
Thomas zog den rechten Mundwinkel zu einem amüsierten, sarkastischen Halbgrinsen hoch. „Zu Befehl, Chef.“

Als der Arm Slave-Pilot in sein natürliches Umfeld zurückkehrte – das Cockpit eines Arm Slaves – fühlte er sich erleichtert. Es war nicht sein Arm Slave, aber es fühlte sich gut an, verdammt gut an.
„Aktivierung.“
Die Systeme fuhren hoch, der riesige Roboter erwachte zum Leben. Anzeigen poppten auf und verrieten Thomas, dass der Mistral nachgerüstet worden war. Teile dieser Technologie fand man in den neueren amerikanischen Maschinen.
Positionen wurden angezeigt und mit kleinen Datenfenstern zur Information versehen. Die anderen drei Arm Slaves bildeten sich deutlich ab, dazu über fünfzig Punkte, die zu Fußsoldaten gehörten. Zufrieden registrierte der Deutsche, dass alle Infanteristen mit Transpondern ausgestattet waren, die es leicht machten, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
„Status von allen Einheiten“, befahl er.
„Sir, Lieutenant Blatic hier, ehemals Eurocorps. Ich bin bis auf weiteres Ihr Stellvertreter. Alle vier Mistral I sind aufgerüstet und bereit. Malheur-Maschinengewehre in den rechten Armen, drei Ersatzmagazine am Mann und achtzehn weitere Magazine auf den Tiefladern. Dazu kommen Mirage-Pistolen mit jeweils achtzehn Schuss für den Nahkampf und fünf Ersatzmagazinen auf den Tiefladern hinzu. Zur Ausrüstung gehört jeweils noch ein Kampfmesser neuester amerikanischer Fertigung.
Die Infanterie ist mit Schnellfeuergewehren und zehn Mann mit Anti Arm Slave-Panzerfäusten ausgestattet. Wir hören auf Ihr Kommando, Major Kramer.“
„Das klingt doch gut“, brummte Thomas. „Blatic, was meinen Sie mit bis auf Weiteres?“
„Nun, Sir“, antwortete die raue Bariton-Stimme, „diese Einheit hat kaum Kampferfahrung miteinander. Erst recht haben wir noch nicht mit Ihnen gekämpft. Es kann also durchaus sein, dass Sie einen der anderen Piloten lieber als Stellvertreter hätten.“
„Verstehe. Dazu kommen wir später. Jetzt müssen Sie nur vor allem eines: Auf meine Befehle hören. Was wissen wir über den näher rückenden Feind?“
„Die Neo-Sozialistische Partei. Hardliner, die einen gemäßigten Kommunismus etablieren wollen. Dafür ist ihnen jedes Mittel Recht.“
Thomas stöhnte gequält auf. Er hasste Menschen, die ihre eigenen Ideale opferten, um ihre Ideale zu erreichen. Das war krank.
„Die Einheit, die auf uns zukommt, erreicht den Rand des Lagers in sieben Minuten. Sie besteht aus fünf T-52, Sturmpanzer sowjetischer Bauart, sowie sechs hochgerüsteten Arm Slaves. Fußtruppen sind nicht zu erkennen.“
Thomas rechnete im Kopf kurz nach. „Okay. Bericht der anderen Piloten.“
„Second Lieutenant Yvette Barth, ehemals italienische Carabinieri.“
„Second Lieutenant Hannes Kaminsky, Freiwilliger der polnischen Armee.“
„Gut, Herrschaften. Mein Name ist Thomas Kramer, und ab sofort habe ich die Ehre, diesen Haufen anzuführen. Mir ist zwar schleierhaft, wie man mit vier Arm Slaves ein ganzes Land vom Bürgerkrieg befreien kann, aber ich werde mit einer praktischen Lektion beginnen. Sie alle bekommen jetzt von mir einen praktischen Befehl. Der Schutz der Zivilisten hat allerhöchste Priorität. Alles was an mir vorbeikommt muß von ihnen gestoppt werden. Haben sie verstanden, meine Herren und meine Dame?“
„Roger!“
„Gut. Was mich angeht… Ich gehe ein wenig spielen.“
„Sir, Sie wollen sich doch nicht etwa alleine der Streitmacht stellen?“
Thomas grinste dünn. „Wie der Chef gesagt hat, die Menschen müssen vertrauen. Sorgen Sie dafür, dass ihnen nichts passiert.“
„Aber alleine. Nehmen Sie wenigstens einen Flügelmann mit!“
„Ihre Sorge in allen Ehren, Lieutenant Blatic, aber denken Sie nicht, dass ich einen mitnehmen würde, wenn ich einen bräuchte?“
„Sir, es gibt Menschen, die sind schon an Selbstüberschätzung gestorben.“
„Stimmt, aber nicht ich, nicht heute und nicht hier. Aktivieren sie ihre Arm Slaves. Der Tanz beginnt gleich.“
Leise murmelte Thomas zu sich: „Das ist es doch was Sie wollten, oder, Gräfin? Sie wollen einen Helden. Ich liefere Ihnen einen.“

Die gigantischen Kampfmaschinen erhoben sich von den Tiefladern. Thomas nahm die Führung ein und führte die Truppe durch das riesige Lager. Die Menschen wussten was die Stunde geschlagen hatte und versuchten das potentielle Kampfgebiet zu verlassen.
„Die Infanterie richtet Meldeposten ein, rund um das Lager, um weitere Feindbewegungen aufzuspüren. Ich will keine Gegner im Nacken haben, vor allem keine weiteren Arm Slaves. Dazu sollten fünf Teams von je vier Mann reichen. Der Rest patrouilliert mit den polnischen Freiwilligen im Lager und hält die Ordnung aufrecht.“
„Roger!“
„Ihr Name.“
„Captain Kilian, Chef der Infanterie, ehemals Bundeswehr.“
„Enttäuschen Sie mich nicht, Captain.“
„Nein, Sir.“
„Drei Minuten, bis der Feind Waffenreichweite erreicht. T-52 feuern. Entfernung fünfundzwanzig Kilometer.“
„K.I., wie viele Geschosse und welcher Kurs?“ Die Langstreckenreichweite der Langrohrkanonen der sowjetischen Panzer war bekannt und gefürchtet. Nur die nagelneuen T-77, die deutschen Leopard 5 und der amerikanische Abrams A9 waren noch schlimmer. Die britischen Bradley lagen hinter diesem Standard weit zurück, ebenso die Franzosen.
„Drei Granatengeschosse, Panzerbrecher, Kurs auf das Lager.“
„Granatengeschosse erfassen und automatisch abwehren, wenn sie bis auf fünf Kilometer heran sind. Lieutenant Blatic übernimmt das.“
„Roger.“

Thomas warf seinen Mistral in einen schwerfälligen Trab und lief so den anderen drei Arm Slaves davon. Er verglich die Positionen der Angreifer und vergewisserte sich erneut, dass keine weiteren Feindeinheiten aufgeführt waren; es gab Dutzende Möglichkeiten, ihm das Leben schwer zu machen. Ein einfaches Tarnnetz und ein abgekühlter Arm Slave genügten.
Er musste vollkommen auf zwei Dinge vertrauen. Erstens, dass die Aufklärung der Gräfin gut genug arbeitete, zumindest die Offiziere wirkten auf den ersten Blick kompetent.
Zweitens, das er gesund genug war, um ein wenig Rüttelei und ein wenig Beschuss zu überstehen.
Es gab noch einen dritten Punkt, zu dessen Erkenntnis er sich zwingen musste. Auch wenn die Angreifer einer der vielen hiesigen Parteien angehörten hieß das nicht, dass er die Arm Slave-Piloten oder die Panzerleute unterschätzen durfte.
Hinter ihm erwachte das Malheur-Maschinengewehr in den Händen von Blatic´ Arm Slave. Oben am Himmel kam es zu drei kleinen Explosionen, als die Granaten der Panzer abgeschossen wurden. Ja, auf den ersten Blick wirkten sie wirklich kompetent.
Die Distanz zu den Angreifern schrumpfte, und Thomas hatte Zeit sich zu fragen, ob dieser verdammte Fettwanst von Amalgam seinen kleinen Kampf hier schon als Eingriff in die Interessen seiner Organisation sah. Der Deutsche hoffte es, denn er hatte nicht vor, seine Vorladung und die Misshandlung so einfach hinzunehmen. Er würde es dem Dicken Dutzendfach heimzahlen. Ihm und Amalgam, die mithalfen, dieses ganze Land und die umliegenden Staaten in einer Umarmung des Terrors festzuhalten, um ihre Profite zu steigern und den Allmachtstraum von der Weltherrschaft zu leben.
„Sir, wollen Sie den Feind wirklich frontal angehen?“, klang die Stimme von Lieutenant Blatic auf.
„Ruhig, Junge. Ich kenne das Lehrbuch. Denken Sie vielleicht, ich weiß nicht, was ich tue?“
„So habe ich das nicht gemeint. Aber Sie kennen den Mistral I nicht, und der Gegner weiß, aus welcher Richtung Sie kommen. Es würde mich nicht wundern, wenn in diesem Moment alle Waffen auf Sie gerichtet sind, Sir.“
„Na, das will ich doch schwer hoffen.“
„Na, wenn das mal gut geht“, murrte der Stellvertreter. „Wollen Sie vor dem Angriff mit ihnen kommunizieren? Ihnen die Kapitulation anbieten?“
„Wozu, Lieutenant? Sie haben den Kampf doch schon eröffnet. Bleiben Sie übrigens wachsam, falls die Panzer weitere Eier schmeißen, ja?“
„Roger.“

Thomas raste wirklich frontal auf den Feind zu. Im Moment befand er sich in einem Wald, der ihm zwar Sichtdeckung bot, aber nicht unbedingt Schutz. Die Bäume würden von den Waffen eines Arm Slaves zerfetzt werden wie dünnes Papier.
„In einem Punkt irren Sie sich, Lieutenant“, sagte Thomas ernst. „Ich kenne den Mistral. Ich habe drei Jahre lang auf ihm gelernt, bevor man mich auf die guten Sachen losgelassen hat.“
Wie um diese Worte zu bestätigen riss er den französischen Arm Slave zur Seite und ließ den Angriff in Form einer MG-Garbe vom vordersten Gegner passieren.
Der Deutsche nutzte den Schwung, um fünfzig Meter nach Rechts auszuweichen, bevor er seinen Kurs wieder aufnahm. Nun griff er nicht mehr frontal an, sondern seitlich versetzt. Das bedeutete, dass einige der Arm Slaves und Panzer nun die eigenen Kameraden vor den Rohren hatten. Anfänger, pah.
Thomas wartete auf sichere Zielerfassung und feuerte die eigene Malheur ab. Die schwere Waffe, die Panzergranaten verschoss, ruckte hart in der Hand des Arm Slaves, als eine volle Salve sie verließ und auf den hinteren Arm Slave zurauschte. Der Pilot wich beherzt aus, aber er war auch gar nicht das Ziel gewesen. Die Granaten trafen den T-52 dahinter.
„Einer weniger“, meldete Thomas Kramer zufrieden. Doch damit hatte der Kampf erst begonnen.
Wieder hielt er direkt auf den Feind zu, der nun auseinander spritzte, während die Panzer anhielten und ihre Waffentürme auf ihn schwenkten.
Thomas feuerte erneut, wich dem Feuer der sechs Savages aus und traf seinen zweiten Panzer. „Zwei sind weg.“
Wie beiläufig steckte Thomas die Mirage-Pistole in der Linken in die Halterung am linken Bein, nahm einen zerschossenen Baum und warf ihn in Richtung der Gegner. Diese Idioten glaubten sicherlich an Hollywood. Zum Beispiel, dass es wirklich hervorragende Arm Slave-Piloten gab, die ihren Gegner aus nächster Distanz ansprangen. So etwas machte nur Sinn, wenn es sich um lediglich einen Gegner handelte, maximal zwei. In so eine Gruppe zu springen bedeutete nur, in der Zeit während des Sprungs wehrlos zu sein. Wehrlos und verletzlich.
Tatsächlich eröffneten die Arm Slaves das Feuer auf den Baum, während Thomas seinen Mistral unter dem Feuer durch führte, den Kampfdolch in die Linke nahm und den vorderen der Savages rammte. Vom eigenen Schwung getragen drang der Dolch tief in den Arm Slave ein, mitten ins Cockpit. Die Savages waren nicht zum spielen gekommen, und er war der falsche Mann, um nett zu sein.
„Drei unten“, meldete er ungerührt, richtete die Malheur auf den vordersten Panzer, der in diesem Moment den Waffenturm auf ihn herum schwenkte, und schoss eine volle Salve ab.
„Vier.“
Er benutzte den Savage mit dem toten Piloten als Deckung, um die anderen fünf Angreifer anzugehen, während die übrigen zwei T-52 ihre Kanonen auf seinen Rücken schwenkten; Erschütterungen des Savage bewiesen, dass die Angreifer keine Probleme damit hatten, auf einen Kameraden zu schießen, sobald er ihnen im Weg war.
Als er die Gegner fast erreicht hatte, riss er seine Klinge aus dem besiegten Gegner und sprang. Der Savage fiel um wie ein Kartenhaus, während hinter ihm die Kampfpanzer feuerten. Auch die Savages feuerten, und Thomas erhöhte das Durcheinander, indem er während seines kurzen Präzisionssprungs einen weiteren Savage zerschoss.
Als der Mistral landete und mit wippenden Beinen die Energie des Sprungs ausfederte, gab es nur noch einen T-52.
Thomas drückte den Lauf der Malheur auf den Torso seines nächsten Gegners und drückte ab. Die Kugeln schlugen direkt durch. „Sechs“, meldete er kalt.
Dann wirbelte er herum; die Klinge in seiner Hand begann zu vibrieren, als sich der Schneidmodus aktivierte. Er trennte den Kopf sauber von einem weiteren Savage. Das war nicht tödlich, aber der Gegner musste nun auf einen Großteil seiner Sensoren und Kameras verzichten. Er war praktisch blind.
Der Pilot tat ihm den Gefallen, in Panik zu geraten. Er lief in einen Kameraden, warf ihn um, und Thomas hatte Gelegenheit, erneut mit der Malheur zu feuern und eine beschädigte Stelle in der Brustpanzerung auszunutzen, die von den Granaten der T-52 stammten.
„Sieben.“
Wieder zog er die Malheur hoch, feuerte die letzte Runde im Magazin und nahm den letzten Kampfpanzer aus dem Rennen. Der Treffer war relativ glücklich, durchschlug die Panzerung und traf die eingelagerte Munition. Der Panzer explodierte effektvoll.
Der letzte Arm Slave, der noch stand, warf seine Waffe fort und raste den Weg zurück, den er gekommen war. Sehr gut. Die Savages waren noch nicht einmal dazu gekommen, ihre Panzerfäuste abzufeuern, die sie für den Kampf gegen andere Arm Slaves mit sich führten.
In aller Seelenruhe wechselte Kramer das Magazin seines MG. Dann nahm er sehr vorsichtig sein Ziel auf. Und jagte eine volle Salve in den Rücken des gegnerischen Arm Slave.
Für einen Moment zitterte der Savage wie eine Marionette an den Fäden eines Puppenspielers mit epileptischen Anfall, dann sackte die Maschine in sich zusammen.
Thomas wechselte das Messer wieder gegen die Pistole. Er trat auf die letzten beiden Gegner zu, den kopflosen Savage, der noch immer am Boden lag und seinen Kameraden, den er daran hinderte aufzustehen.
Der Deutsche setzte die Pistole auf den unbeschädigten Savage. Er grinste. Ein einziger Schuss aus der Nahkampfwaffe würde nun genügen, um den Piloten zu töten.
Vielleicht sollte er einfach abdrücken, zweimal, und diese ganze Episode beenden. Vielleicht sollte er es sich einmal im Leben einfach machen. Immerhin waren diese Soldaten bereit gewesen, in einem Flüchtlingscamp mit tausenden Zivilisten zu kämpfen.
Als die Augen des Ortungskopf erloschen und der Rumpf auffuhr, war es zu spät. Der Gegner hatte sich ergeben.
Nun stellte auch der kopflose Arm Slave sein Strampeln ein.
„Elf“, kommentierte Thomas.
***

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Zurück im Lager spürte Thomas Kramer seine Knie weich werden. Sein Magen war ohnehin leer, und das war der einzige Grund, warum er sich nicht übergeben musste.
„Gute Arbeit, Major Kramer.“ Selbstgefällig sah die Gräfin ihn an, als er die Verriegelung des Arm Slaves aufhob. Es war dieser ganz bestimmte „Ich habe es gewusst“-Blick, den Frauen manchmal auflegten. Etwas sanfter fügte sie hinzu: „Geht es Ihnen gut?“
„Es war vielleicht nicht die beste Idee, mit den Resten einer Gehirnerschütterung in dieses Cockpit zu steigen.“
„Hm. Ich würde wirklich gerne sehen, wie gut Sie sind, wenn Ihr Kopf keine Bekanntschaft mit einem Gewehrkolben gemacht hat.“
„Das werden Sie“, versprach Thomas.
Sie reichte dem Deutschen die Hand und half ihm dabei, das Cockpit zu verlassen. Außerdem stützte sie ihn unauffällig, während er zu Boden sprang. Nichts wäre peinlicher gewesen als jetzt noch auszurutschen.
Kaum hatte er den Boden berührt, eilten bereits die ersten Leute zu ihm.
Drei von ihnen trugen Gefechtsanzüge für Arm Slaves, einige die Camouflage der Infanterie der Gräfin. Der Rest, sprich der überwiegende Teil wurde von Zivilisten gebildet.
„Das war großartig, Sir! Sie haben die nicht nur besiegt, Sie haben den Feind auseinander genommen! Ihr Mistral hat nicht mal ne Schramme abgekriegt!“
Der Sprecher war einer der Piloten, ein großer, bulliger Mann mit tiefschwarzen Haaren und dem Problem, seine beiden Augenbrauen davon abzuhalten, eine einzige zu bilden. Thomas erkannte die Stimme sofort wieder. „Lieutenant Blatic, Sie haben Ihre Aufgabe gut gemacht. Fühlen Sie sich gelobt.“
„Danke, Sir. Aber ich wäre lieber mit draußen gewesen.“
Die anderen beiden, die drahtige Italienerin und der stämmige, kleine Pole, nickten zu seinen Worten.
„Wir kriegen unsere Gelegenheit, versprochen.“
Mittlerweile waren es mehrere Dutzend Leute, die um ihn herumstanden. Das Stimmgewirr nahm biblische Ausmaße an, alleine die Anzahl der verschiedenen Dialekte der Landessprache rumänisch erinnerte Thomas an den Turmbau zu Babel. Zum Glück konnten die meisten Älteren englisch, was eine große Erleichterung bedeutete.
Ein polnischer Pritschenwagen bahnte sich hupend seinen Weg durch die Menge. Auf seiner Ladefläche befanden sich mehrere Infanteristen der Gräfin und die beiden Piloten der besiegten Savages.
Thomas sah die Gräfin an, die noch immer auf dem Arm Slave saß. „Was haben Sie mit den beiden vor?“
„Ein Exempel statuieren.“
„Ich… Verstehe. Auch wenn ich es nicht gutheiße und dabei nicht…“
„Nein, Sie verstehen es nicht, mein lieber Major“, erwiderte die junge Frau fröhlich, sprang vom Arm Slave auf die Plattform des Tiefladers und ließ sich dann von Thomas herab helfen.
„Kommen Sie, mein lieber Major. Es gibt Arbeit für uns.“

Die Menschenmenge um den Laster wuchs beachtlich schnell an. Proportional dazu stieg die Wut der Menschen. Thomas sah im Geist schon Steine fliegen. Obst und Gemüse, selbst halb vergammelt, hätten die Menschen niemals fortgeworfen.
Stimmen wurden laut, und mit seinen spärlichen Kenntnissen in rumänisch erkannte Thomas, dass es vor allem Schimpfwörter und Morddrohungen waren.
„MOMENT!“, klang die Stimme der zierlichen Adligen auf. Sie hatte englisch gesprochen, und der Arm Slave-Pilot musste zugeben, dass es in diesem Stimmwirrwarr das Beste war. Immerhin war englisch die Standardsprache der Humanitären Organisationen in den Lagern.
„Sie dürfen diese Menschen nicht exekutieren!“
Ein wütendes Raunen ging durch die Menge.
Thomas hätte ja eher lynchen gesagt, wenn er sich die wütenden Gesichter der Männer und Frauen so ansah – Kunststück, einige hatten sicherlich schon einen Angriff mit den gigantischen Maschinen erlebt und wussten ihn zu fürchten. Die Erleichterung, einem solchen Angriff entkommen zu sein schlug nun also in die Wut um, überhaupt einem solchen Angriff ausgesetzt gewesen zu sein.
„Warum dürfen wir das nicht? Sie haben uns angegriffen!“
„Sie hatten jedes Recht dazu“, klang die Stimme der Gräfin auf und der Deutsche warf unwillkürlich einen Blick zu dem Cockpit seines Mistrals. Zwei, drei Sätze, und er konnte hineinklettern.
„Und sie hatten kein Recht dazu!“
Nun, dieses kleine Paradoxon verwirrte die Menschen nachhaltig. Nachhaltig genug, um zumindest nicht noch wütender zu werden. Mit aufgeregten, raunenden Stimmen unterhielten sich die einfachen Menschen über das Gesagte.
„Die Menschen hier auf dem Laster sind Milizionäre der Neo-Sozialistischen Partei. In ihrem Programm steht, dass sie die Ordnung in diesem Land wieder herstellen wollen, und das notfalls mit Waffengewalt. Nach ihren eigenen Regeln haben sie nichts unrechtes getan. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie dank meiner Arm Slave-Piloten überhaupt nicht dazu kamen, irgendetwas zu tun.“
Dieser Witz brachte ihr freundliches Gelächter ein und entspannte einen Teil der Lage.
Interessiert entspannte sich Thomas etwas. Vergessen waren Schmerzen, Übelkeit und das matte Gefühl in den Beinen. Nun wurde es erst richtig interessant.
„Fakt ist, es gibt Menschen, Bürger dieses Landes, die diese Menschen damit beauftragt haben, diese Nation zu befrieden. Dass sie hier nicht willkommen sind und eher dazu beigetragen haben, die Kämpfe noch anzufachen, steht auf einem anderen Blatt.“
Die Gefangenen senkten wie geprügelte Hunde die Köpfe. Die kleine Frau hatte voll ins Schwarze getroffen. Und auch die Menschenmenge fraß ihr aus der Hand.
„Wir hingegen haben keinen Auftrag. Wir waren einfach nur hier und haben unser Menschenmöglichstes getan, um zu verhindern, dass das Blut Unschuldiger vergossen wurde.
Diese Menschen sind unsere Gefangenen, und damit sind wir im Sinne der Neo-Sozialistischen Partei Verbrecher, aber für andere vielleicht Helden.
Sie haben nichts falsch gemacht, jedenfalls nicht mehr als sie ohnehin die ganze Zeit über falsch gemacht haben. Darum bin ich nicht bereit, diese Milizionäre an die Bevölkerung dieses Lagers auszuliefern. Und da es keine ernsthafte Staatsmacht gibt, und wir zudem Außenseiter in diesem Konflikt sind, werde ich mir eine Lösung dafür ausdenken, wie ich mit ihnen verfahre, ohne sie einem Lynchmob zu übergeben.“
Diese Worte hatten gesessen! Die Gräfin begann Thomas mehr und mehr zu gefallen. Die Frau wusste, wie man Menschen packte.
„Was werden Sie mit ihnen tun?“
„Ich habe in diesem Land keine Gewalt. Also werde ich sie irgendwo außerhalb dieser Region auf eigene Verantwortung auf freien Fuß setzen und hoffen, dass der Tod ihrer Kameraden Warnung genug an sie ist.“
„Und…“, kam die zögerliche Frage, auf die die Gräfin hingearbeitet hatte, „was werden Sie tun?“
„Ich werde meine Truppen zusammenziehen und das Land verlassen.“
Dies löste Empörung und Verzweiflung aus, um nicht zu sagen, Tumult.
„Sie müssen das alle verstehen! Wir sind in diesem Land nichts weiter als Söldner, und das wollen wir nicht sein. Aber um für eine gerechte Sache kämpfen zu müssen, müsste uns schon die Regierung verpflichten, damit wir in diesem Land außer in einer Notfallsituation kämpfen können.“
„Es gibt keine Regierung mehr!“, rief jemand dazwischen.
„Ja! Es gibt nur noch die Menschen!“
„Wenn es keine Regierung mehr gibt, dann ist dieses Land zu bedauern. Erstens gibt es dann niemanden, der es aus dem Chaos führen kann, und zweitens kann uns dann niemand mit seiner Rettung beauftragen“, schloss die Gräfin mit einem Schulterzucken.
„Aber was sollen wir dann tun? Können Sie nicht trotzdem für uns kämpfen?“
„Natürlich! Ihr müsst nur eine Regierung gründen.“
DAS war es also! Vor Entsetzen wäre Thomas beinahe ausgerutscht und auf seinem Hintern gelandet.
„Aber… Aber niemand wird auf diese Regierung hören!“
„Das ist richtig. Aber eine demokratische Regierung, die willens ist, dieses Land zu retten, könnte sich Gehör verschaffen! Sie könnte die Menschen, die in diesem Bürgerkrieg wie Spielbälle umher gestoßen wurden, zusammenführen, von ihnen ein Mandat erhalten, und jemanden damit beauftragen, diesen Bürgerkrieg zu beenden!“
„Ist das wirklich zu schaffen? Wer sollte von einer Regierung ausgesandt werden, diesen Krieg zu beenden? Selbst wenn fünf Millionen oder mehr Menschen diese Regierung unterstützen?“, rief eine Frau mit beinahe hysterischer Stimme.
„ER!“, rief ein Mann aus der Menge. Thomas glaubte, ihn schon mal im Sanitätszelt gesehen zu haben, als er seinen fiebernden Sohn hatte behandeln lassen. „Er hat die da schon bekämpft und alleine vernichtet! Er wird auch jeden anderen Gegner bekämpfen! Er wird die tapferen, versprengten Soldaten dieses Landes um sich scharen, er wird die Regierung und die Menschen beschützen und er wird uns den Frieden wiedergeben!“
„Er ist nur ein arroganter Arm Slave-Pilot! Einer von denen!“
„Nein, ist er nicht! Er hat im Lazarett gearbeitet, lange und hart! Er liebt die Menschen! Er dient ihnen! Er ist die richtige Wahl!“ Der Mann sah sich bittend um. „Lasst uns auf die Gräfin hören! Lasst uns eine Regierung gründen! Die anderen Lager an den Grenzen konsultieren, unsere Stimmen bündeln! Und dann lasst uns die Gräfin und diesen Mann damit beauftragen, diesen Bürgerkrieg zu beenden! Das Chaos muss aufhören, und er ist der richtige Mann dazu! Und sie ist die richtige Frau, um uns anzuführen!“
Thomas wollte auflachen, aber dann sah er das entsetzte Gesicht der jungen Frau, sah sie abwehrend die Hände heben. Das war also nicht Teil ihrer Kalkulation gewesen.
Bevor sie es sich versah, hatten ein paar starke Männer zugegriffen, im Eifer des Moments, und setzten sie zwei starken Männern auf die Schultern. Kurz darauf begann der von begeisterten Rufen begleitete Zug durch das Lager. Und bevor Thomas es sich richtig versah, saß er auch schon zwei Riesen auf den Schultern und wurde neben die Spitze getragen.
„So war das aber nicht geplant“, rief die Gräfin über den Jubel hinweg zu Thomas herüber.
„Warum soll ich alleine leiden?“, rief dieser zurück und grinste spitzbübisch.
Immerhin, wenn das klappte, dann würde es ihre Chancen erheblich verbessern.

4.
Später am Abend betrat Thomas das Zelt der Gräfin. Er zögerte, denn die junge Frau schien geweint zu haben.
„Störe ich?“, fragte er schuldbewusst.
„Natürlich nicht, Major Kramer.“ Sie wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und versuchte sich an einem Lächeln. „Bitte, setzen Sie sich, Major.“
„Können Sie mal mit dem Major aufhören? Alles, was bisher auf mich hört, sind vier Arm Slaves und Ihre Infanterie.“
„Und die Freiwilligen, die sich im Lager zum Dienst melden.“ Sie schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln, das fast schon so aussah, als wäre es mehr als weibliche Schauspielkunst. „Es sind einige dabei, die schon mal in einem Arm Slave gesessen haben.“
„Na toll. Das bedeutet, sie können die Strickleiter ins Cockpit erklimmen, ohne beim ersten Versuch runter zu fallen“, bemerkte der Deutsche sarkastisch.
„Nun, ein wenig mehr ist es schon. Es sind einige Deserteure der regulären rumänischen Armee darunter, die sich in diesem Lager versteckt haben. Ich kann sie verstehen. In diesem Hin und Her fällt es einem schwer, einen Sinn zu erkennen und ein Ziel zu haben, auf das man hinarbeiten kann.“
„Danke für ausgebildete Soldaten. Aber wenn sie wirklich Deserteure sind, dann sind sie schon einmal davon gelaufen. Wenn es schlecht für unsere Sache läuft, dann laufen sie vielleicht wieder weg.“
Die Gräfin von Friedheim lächelte verschmitzt.
„Was?“
„Sie haben gerade unsere Sache gesagt, Thomas. Ich finde, es hat einen guten Klang, wenn Sie es aussprechen.“
Thomas war für einen Moment ehrlich verblüfft. „Nun, vielleicht ist es einfach die Aussicht, wieder in einem Arm Slave zu sitzen, die mich… bereitwillig Ihre Partei ergreifen lässt, Chef. Vielleicht habe ich mich aber auch nur einfach damit abgefunden, dass ich am besten bin, wenn ich töten kann.“
„Das glauben Sie doch selbst nicht“, sagte die Gräfin ernst. „Und Sie sollten nicht versuchen, sich einzureden, so gering zu sein. Heute haben Sie alleine eine volle Kompanie ausgebildeter Soldaten zurückgeschlagen. Sie haben Panzer und Arm Slaves vernichtet. Dabei haben Sie nicht Ihren regulären Gernsback verwendet, sondern einen veralteten Mistral II. An Ihrer technischen Fertigkeit ist nichts auszusetzen.
Und was die menschliche Seite angeht, so würde ich jedem Menschen persönlich mit Fingernägeln durch das Gesicht fahren, wenn er einen Mann, der ohne Lohn und vollkommen selbstlos niederste Handlangerdienste in einem Lazarett eines Flüchtlingslagers geleistet hat, einen Unmenschen nennt.“
„Könnten Sie bitte aufhören, meinen Heiligenschein zu polieren, Anica? Sie brauchen mich weder zu bestechen noch emotional zu verführen, wenn ich bereits auf Ihrer Seite bin. Zumindest so lange Sie gewillt sind, diese Sache durchzuhalten.“
„Es ist nicht nett von Ihnen, mir vorzuwerfen, ich würde versuchen Sie zu manipulieren, Thomas.“
„Es ist vielleicht nicht nett, aber ist es deshalb unwahr?“
„Ich habe nur die besten Absichten“, erwiderte sie bissig.
„Und ich sehe das. Ich habe ja auch nur gesagt, dass man auf einen besiegten Feind keine Kugel mehr zu verschwenden hat.“
Frustriert schnaubte die Gräfin von Friedheim aus. Sie stellte die Ellenbögen auf dem Tisch ab und legte ihr Gesicht in die Handflächen. „Sie zu besiegen ist ganz schön frustrierend, mein lieber Major.“
„Sie haben mich in mehrerlei Hinsicht besiegt. Ich verspreche, in Zukunft positiver von mir zu denken, Chef.“
„Na, immerhin“, schnappte sie und fügte beleidigt hinzu: „Verspotten Sie mich wenigstens nicht, Thomas.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, versprach der frisch gebackene Major und trat an den Tisch heran. „Ich habe mir die Einheitsaufstellung und unsere Vorräte angesehen. Außerdem habe ich ein paar Geländekarten studiert. Ich würde gerne Ihren Geheimdienstapparat benutzen, um eine aktuelle Schlachtkarte zumindest dieser Region zu erstellen.“
„Wie kommen Sie darauf, dass ich einen Geheimdienst habe?“
„Ich hoffe es zumindest. Denn in dieser verfahrenen und unklaren Gefechtssituation, in der jeder gegen jeden und alle gegen alle kämpfen, sind Informationen die wichtigste Waffe.“
„Sie kriegen Ihre Karte der Region bis spätestens morgen Mittag. Sie wird allerdings noch nicht sehr genau sein.“
„Gut. Dann würde ich gerne mit Ihnen über Rekrutierungen sprechen. Wenn die Vertreter der Lager eine Regierung bilden und wenn uns diese Regierung mit der Wiederherstellung der Ordnung beauftragt, wäre ich gerne in der Lage, neue Truppen auszuheben. Wie sieht es mit Nachschub an Waffen, Transportmaterial, Nachschubgütern und Panzerfahrzeugen aus?“
„Nicht gut“, gab sie zögerlich zu.
„So? Das macht nichts. Es gibt genug von diesen Dingen in diesem Land. Alles was wir brauchen sind Mannschaften und die richtigen Situationen.“
„Sie überraschen mich, Thomas.“
„Nachdem Ihnen das bei mir gelungen ist, ist es nur recht und billig, dass es auch umgekehrt funktioniert.“
Die beiden maßen sich mit einem nachdenklichen Blick. Dann lachten sie auf.
„Nun gut. Es gibt tatsächlich ein paar Orte, an denen ich hoffe, fündig zu werden, was Waffen angeht. Habe ich die Erlaubnis, die polnischen Freiwilligen anzuwerben?“
Die Gräfin dachte nach. Wenn sie die polnischen Freiwilligen in ihrem noch auszuhebenden Heer duldete, würde dies eine politische Stellungnahme bedeuten. Über ein Drittel der verbissen ringenden politischen Parteien würde dann gegen sie sein. Noch mehr als ohnehin schon.
„Sehen Sie darin eine Verbesserung unserer Situation?“
„Unbedingt“, sagte Thomas ernst.
„Dann wird es mir ein Vergnügen sein, die Polen in unseren Reihen zu begrüßen. Wie sieht es mit der Kampfdoktrin aus? Werden wir die Lager aktiv verteidigen oder dienen wir als herum ziehendes Heer? Was sind die avisierten Gefechtsziele? Gibt es Kampagnenziele?“
„Unser erstes und einziges Ziel ist es, zuerst einen Waffenstillstand aller Parteien zu erreichen. Wenn es dazu nötig ist, jeden Arm Slave zwischen diesem Ort und dem Schwarzen Meer zu vernichten, dann soll es so sein.
Darauf sollten freie Wahlen folgen, die eine wirkliche, demokratische Regierung formen. Und daraufhin muss eine richtige Armee aufgestellt werden, um die Ruhe im Land aufrecht zu erhalten und um zu verhindern, dass der Bürgerkrieg erneut in dieses Land schwappt.“ Die junge Frau atmete aus. „Ich rechne damit, dass wir dafür drei oder mehr Jahre brauchen. Immer vorausgesetzt, wir leben auch so lange.
Was diese Lager angeht, nun, wir werden eine Lösung finden müssen.“
„Oder werde ich eine Lösung finden müssen?“, fragte Thomas scharf.
„Eventuell“, wich sie aus. Der plötzlich veränderte Tonfall hatte sie aufgeschreckt.
„Wenn wir schon dabei sind. Wie lange werden Sie daran Spaß haben, Chef? Wie lange wird dieses Spiel Sie interessieren? Im Gegensatz zu den paar Millionen Menschen draußen in den Lagern können Sie jederzeit über die Grenze gehen und sich in Sicherheit bringen.“
Als Antwort flog ein Bilderrahmen über den Tisch. Thomas fing ihn auf, bevor er zu Boden fallen konnte.
„Sehen Sie es sich ruhig an. Es ist ein Bild meiner kleinen Schwester. Sie ist in dieses Land verschleppt worden und wurde hier getötet. Und weiß der Teufel, was sie bis dahin alles ertragen musste.
Glauben Sie mir eines, ich sehe sehr wohl die Not, die diese Menschen hier leben. Und ich tue was ich kann, um sie zu lindern. Aber ich habe auch einen sehr persönlichen Grund, um hier zu sein. Ich will meine Schwester nicht rächen, aber wenn ich hier fertig bin, werde ich vielleicht ein paar Straßen nach ihr benennen. Und eventuell ist es dann ein Land, in dem kleine Mädchen nicht entführt und getötet werden können, wie es den Mächtigen hier passt.“
Thomas hob das Foto an. „Sie war hübsch. Das lange braune Haar, die grauen Augen… Wie alt war sie? Vierzehn?“
„Das Foto ist alt. Sie war achtzehn als sie entführt wurde.“ Anica von Friedheim versuchte zu lächeln, aber es wurde verbissen und wehmütig. „Genau im richtigen Alter, um… Um…“ Sie schluchzte leise, und bevor sie sich versah flossen die ersten Tränen. „Oh Gott, was werden sie ihr angetan haben? Und ich weiß noch nicht einmal, wo sie begraben ist.“
Mit einem beherzten Schritt war Thomas neben der jungen Frau. Bereitwillig ließ sie sich gegen die breite Brust ihres Landsmanns sinken und weinte leise.
„Wenn es eine Spur von ihr gibt, werde ich sie finden. Braunhaarige achtzehnjährige Mädchen sind hier zwar nicht selten, aber…“
„Noch schlimmer“, schluchzte Anica und versuchte zu lächeln. „Das einzige Foto, das ich von Marlene habe, und ihre Haare sind auch noch gefärbt.“
„Das macht es nicht leichter“, sagte der große Arm Slave-Pilot ernst.
Die Gräfin löste sich wieder von ihm. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so missbraucht habe, Thomas. Ich wollte Sie nie in die Rolle drängen, mich trösten zu müssen. Sie sollten nicht denken, ich würde Tränen einsetzen, um Sie zu manipulieren.“
„Das tun Sie auch ohne Tränen zufrieden stellend.“
Sie wollte auffahren, wütend werden, aber dann sah sie ein, dass der große Mann ihr nur eine Falle gestellt hatte, in die sie mit Volley hinein getreten war. „Sie sind unmöglich“, stellte sie fest und bemerkte verwundert, dass sich ihre Stimmung merklich verbessert hatte.
„Ich weiß. Darum gewinne ich auch immer“, erwiderte Kramer.
„Ja, das mag es sein. Was haben Sie für Morgen geplant, Herr Major?“
„Es gibt im Süden ein altes sowjetisches Nachschubdepot, dass vor dem Bürgerkrieg nicht mehr hat geräumt werden können. Dort stehen einige alte Arm Slaves herum. Ich habe vor, sowohl den Stützpunkt als auch die Arm Slaves weg zu nehmen. Zu diesem Zweck wäre es nicht schlecht, wenn unter den Freiwilligen tatsächlich ein paar Arm Slave-Piloten wären.“ Er sah auf. „Ich habe freie Hand?“
„Ich kümmere mich um die Menschen – Sie um den Bürgerkrieg“, erwiderte die Gräfin resolut und lächelte. Es war ein seltsames Lächeln, in der die neue Verbundenheit, ihrer beide neue Verbundenheit, zum Ausdruck kam.
„Einverstanden.“
***
„Lass… mich… los…!“
„Das ist doch Schwachsinn, Kim! Denk doch mal in Ruhe drüber nach! Es macht absolut keinen Sinn, jetzt Hals über Kopf nach Italien oder in die Türkei zu fliegen! Kannst du mal aufhören so zu ziehen? Sousuke, sag doch auch mal was!“
Der junge Arm Slave-Pilot betrachtete die Szene. Kim Sanders, Austauschstudentin und Whispered, dazu Mündel von Mithril, versuchte gerade Kanames Wohnung zu verlassen, in der sie untergebracht worden war.
Kaname Chidori, Whispered, Heldin und Klassensprecherin hingegen stemmte sich gegen sie, um genau das zu verhindern.
„DU bist ganz still, Sousuke!“, rief Kim zornig. „DU hast uns einen ganzen Monat verschwiegen, was mit Thomas passiert ist!“
Ja, in dieser Situation konnte er nur verlieren. Schlimmer noch, er würde zwischen diesen beiden Frauen zerfleischt werden. Seine Überlebenschancen waren höher, wenn er sich unter den Fuß eines Gernsback schnallen ließ.
„Komm trotzdem wieder runter! Du hilfst niemandem, wenn du vollkommen kopflos aufbrichst! Du weißt nicht wo er ist, was er tut oder ob er überhaupt noch lebt!“
Kim erschlaffte in Kanames Griff, und der jungen Frau dämmerte was sie gerade gesagt hatte. „Ich... Ich… Nein, natürlich ist er nicht tot. Nicht er. Thomas ist fast genauso zäh wie Sousuke, und das will schon was heißen.“
Übergangslos begann Kim zu heulen. Beide Frauen sanken auf die Knie und Kim weinte erbärmlich in Kanames Umarmung.
„Ich will ihn doch nur finden, wenn er noch lebt. Ich will ihn doch nur zurückholen. Ich verdanke ihm mein Leben, und…“ Sie sah Kaname in die Augen, während ihre eigenen rot und verheult waren. „Verstehst du nicht, dass ich ihn liebe?“
Bei diesen Worten ging Kaname ein Stich durchs Herz. Unwillkürlich sah sie zu Sousuke herüber, der vor Schreck an der Wand abrutschte.
„Na, das ist ja ein Durcheinander“, sagte Kaname tadelnd, richtete sich auf und half Kim hoch. „Sergeant Sagara!“
Sousuke durchfuhr es heiß und kalt, als die junge Frau mit dem langen Haar ihn bei seinem Dienstrang anrief. „Ma´am?“
„Sie besorgen uns sofort einen Flug nach Melora Island. Außerdem brauchen wir einen Termin bei Tai-sa Testarossa. Mit ihrer Hilfe sollte es möglich sein, eine Passage nach Styx zu kriegen, wo wir Kapitän Sander ordentlich auf den Zahn fühlen können.“
„Jawohl, Ma´am!“
„Du begleitest uns natürlich, Sousuke!“
„Als wenn ich euch alleine gehen lassen würde“, brummte der Arm Slave-Pilot leise. Nicht leise genug, aber er sah das Lächeln nicht, welches bei diesen Worten über die Gesichter der Mädchen huschte.
***
Thomas Kramer lächelte leicht, als der Boden zu vibrieren begann. Keinen Meter vor ihm riss der Boden auf und verschlang die Grasnabe und kleine Bäume. Es wirkte fast wie ein tektonischer Riss bei einem Erdbeben. Aber dieser Riss wuchs und wuchs, verbreiterte sich mehr und mehr und enthüllte letztendlich eine betonierte Rampe in die Tiefe. Rhythmisches Stampfen klang ihnen aus der Tiefe entgegen. Kurz darauf marschierten zwei Arm Slaves vom Typ Savage die Rampe hinauf.
Ihnen folgten zwei weitere Savages. Alle vier waren von Freiwilligen bemannt, die Thomas noch am Vortag auf Herz und Nieren geprüft hatte, bevor er sie in die wenigen, kostbaren Arm Slaves gelassen hatte, über die seine Truppe verfügte.
„Alle vier sind kampfbereit. Sie wurden voll aufmunitioniert und nachgerade gewartet. Verfügen Sie über sie, Major Kramer.“
„Und Sie haben wirklich nichts dagegen, Oberst Schulz?“
Der deutsche Geheimdienstoffizier grinste breit. „Warum sollte ich was dagegen haben? Endlich tut mal einer was. Ich trete Ihnen mein Geheimversteck gerne ab, wenn Sie versprechen, dass Sie nicht halbherzig in der Mitte der Schlacht das Feld verlassen.“
„Können wir uns den Stützpunkt nicht teilen, Oberst?“, fragte Thomas ernst.
„Was denn, was denn? Damit Sie mich und meine Leute in Ihren Kampf hineinziehen können? Sie sind mir ja einer.“
Der Deutsche grinste verlegen. „So hatte ich das nicht gemeint, Sir.“
„Ich weiß. Aber die Möglichkeit besteht. Und als Geheimdienstoffizier bin ich wertlos, wenn jedermann weiß wo er mich finden kann.“
Er klopfte dem Arm Slave-Piloten kräftig auf die Schulter. „Aber wir bleiben in Verbindung. Kann sein, dass ich ab und an nützliche Informationen für Sie habe.“
Schulz wandte sich ab und bestieg einen Lastwagen, der mit dem Zeichen des internationalen Roten Kreuz markiert war. Der BND zog geschlossen ab.
Thomas deutete auf das klaffende Loch. „Na los, Herrschaften, ziehen wir ein!“
Dies war der Beginn eines kleinen Lindwurms an Technikern, Infanteristen und Arm Slaves, die den Tiefbunker in Besitz nahmen.

Der restliche Tag wurde damit verbracht, die Abwehrstellungen zu warten, die alte Munition wieder gebrauchsfähig zu machen, die Wartungsgerüste auf die französischen Arm Slave-Modelle umzustellen und einen Kordon an Überwachungsstellungen aufzubauen.
Das nahe, dreitausend Menschen umfassende Flüchtlingslager in direkter Nachbarschaft stellte dabei ein erhebliches Risiko dar, vor allem für die Menschen, die dort lebten.
Aber die Entscheidung, diesen Stützpunkt zu nehmen war eine militärische gewesen, und es war seine Entscheidung gewesen. Um alles andere – es hatte einen bitteren Beigeschmack, dass „alles andere“ dreitausend Menschen waren – würden sie sich kümmern, wenn es so weit war. Und während in der riesigen Halle die Dieselgeneratoren flüsterten und das Kunstlicht aus jedem Winkel schien, sammelte sich vor der Halle eine kleine Streitmacht aus drei Arm Slaves und dreißig Infanteristen.
Thomas bot zwei Mistral auf, dazu einen Savage, der von einem viel versprechenden Freiwilligen gesteuert wurde. Die Infanteristen waren gemischt, aber der erfahrene Feldkommandeur hatte darauf geachtet, dass vor allem Freiwillige mit eigener Gefechtserfahrung an diesem Einsatz teilnehmen würden.
„Ist jedem seine Aufgabe klar?“, fragte Thomas bereits zum dritten Mal.
Die Unterführer und Arm Slave-Piloten nickten zögernd. Zögernd genug, um den Deutschen den gesamten Einsatz noch einmal aufkochen zu lassen.
„Also, wir stehen hier an der Grenze. Hier, hier und hier befinden sich Einheiten diverser politischer Richtungen. Uns interessiert aber vor allem diese Truppe. Sie lagert zur Zeit zwanzig Kilometer vom unserem alten Lager entfernt. Wir nehmen an, dass sie der Neo-Sozialistischen Partei zu zu rechnen ist. Anscheinend wollen sie sich für die Vernichtung der Kampfeinheit bedanken. Und wenn sie uns dort nicht mehr finden, werden sie ihren Frust sicherlich am Lager austoben.“
Noch immer entsetzte die Männer dieser Gedanke, und das beruhigte den Deutschen.
„Diese Strafaktion bietet uns eine Möglichkeit, wie wir sie nicht oft haben werden. Die NSP-Truppen lagern in diesem Moment, die meisten Panzer und Arm Slaves sind nicht bemannt. Die Wachen werden schnell überwältigt sein. Und wir bekommen die Chance, die Arm Slaves, die Panzer und ihre Ausrüstung weg zu nehmen. “
„Guter Plan, Sir.“ Blatic nickte ernst. „Wir sehen uns im Lager.“
Dies war das Zeichen für den allgemeinen Aufbruch. Thomas lächelte zufrieden. Wenn dieser Schlag gelang, wenn alle weiteren Schläge gelangen… Ach, das war Träumereien. Schlimmer, er begann an diese Träumerei zu glauben. Und das konnte ihn schneller als nötig den Kopf kosten.
***
Der Angriff erfolgte mit eiskalter Präzision. Thomas schaltete den Wache stehenden Savage mit einem gezielten Cockpittreffer aus. Der Mann – oder die Frau – hatte nicht wirklich eine Chance gehabt. Dies war das Signal für den Angriff in der beginnenden Abenddämmerung.
Diese Amateure, die da Racheengel spielten, hatten wahrscheinlich mit einem Angriff mitten in der Nacht oder in der Morgendämmerung gerechnet. Oder zumindest zur vollen Stunde.
Jetzt gerade war es zwanzig Uhr und neun Minuten. Eine sehr unübliche Zeit für einen Angriff.
Unwillkürlich ging Thomas ein altes Sprichwort durch den Kopf, während die anderen beiden Arm Slaves den zweiten auf Wache stehenden Savage zerstörten und dann die Panzerfahrzeuge und unbemannten Arm Slaves sicherten: Eine Armee aus Löwen unter Führung eines Rehs ist nicht so effektiv wie eine Armee aus Rehen unter der Führung eines Löwen.
So kam er sich gerade vor. Er fühlte sich wie der alte, Kampferfahrene Löwe, unter dessen Befehl die Weltgeschichte umgeschrieben wurde, solange die Rehe unter seinem Kommando auf ihn hörten.
Thomas ging auf Wachposition, während rings um das Lager die überraschten Soldaten der politischen Partei Fersengeld gaben. Die Aktion war ein voller, ein absoluter Erfolg. Und ein paar Schüsse in den nahen Wald überzeugte die Männer, noch eine ganze Ecke weiter zu laufen.
Dies war die richtige Zeit für die Mannschaften, das Lager zu stürmen und sich der Arm Slaves und der Panzer zu bemächtigen. Als der erste Savage zum Leben erwachte, konnten sie es alle einen ganzen Schritt langsamer angehen lassen.
„Falke eins, Falke eins, hier ist Grün zwei.“
„Grün zwei, sprechen Sie.“
Die Stimme des Infanteristen klang nervös, hochgradig nervös. „Sir, eine Kolonne von sechzehn Gernsback kommt gerade an mir vorbei marschiert. Begleitet wird sie von dreiundvierzig Panzern. Sie tragen das Logo der Neo-Sozialistischen Partei!“
„Ruhig bleiben, Grün zwei. Visieren Sie ein Fahrzeug aus der Mitte mit dem Laservisier an und sehen Sie zu, dass Sie mindestens einen Kilometer Abstand zur Marschkolonne haben.“
„Es sind höchstens vierhundert Meter, Sir.“
„Schicken Sie mir ein Bild.“
Die Videoverbindung wurde etabliert und Thomas pfiff anerkennend. Dies war wahrscheinlich die Hauptmacht der Partei, ihre gesamte Armee. War dann das Kommando hier nur ein Lockmittel gewesen? Nein, entschied Thomas. Kein Lockmittel. Mit einem solchen Streich hatte nur niemand gerechnet, geschweige denn mit dieser Gegenwehr.
Gernsbacks… Wie die Sozialisten an diese Arm Slaves gekommen waren, zudem in dieser Zahl, war ihm schleierhaft, aber immerhin war dieses Land wie so viele andere für die meisten Arm Slave-Produzenten der Hinterhof zur Erprobung unter realen Bedingungen.
Dennoch, es war schade um diese feinen Stücke modernster Waffenschmiedekunst.
Aber in dieser Situation konnte er nicht anders, er musste seinen geheimen Joker benutzen. Eigentlich war es dazu viel zu früh, aber er machte sich klar, dass mit der Vernichtung dieser Einheit eine gewisse Unsicherheit bei den anderen Truppen entstehen würde. Die Einheit der Gräfin würde von einem geheimnisvollen Nymbus umgeben sein, der sie eine Zeitlang beschützen würde. Außerdem hatten sie in nur dreißig Stunden die Zahl ihrer Fahrzeuge und Arm Slaves vervierfacht, einmal ganz abgesehen von dem hervorragenden Stützpunkt, den die Sowjets netterweise für sie gebaut und dann aufgegeben hatten.
„Auf Position bleiben, Grün zwei. Visieren Sie erneut ein Fahrzeug aus der Mitte an und graben Sie sich so gut es geht ein. Ach, und halten Sie sich die Ohren zu. Es wird gleich laut.“
„Wie meinen, Sir?“
Statt einer Antwort berechnete Thomas die Kolonnenlänge, ihre Marschgeschwindigkeit und erfasste den Tracking-Strahl, den das Laservisier des Spähers fest auf einem russischen Panzerspähwagen hielt.
Danach zögerte er einen Moment, denn diesen Trick konnte er nur ein einziges Mal anwenden. Sein Finger schwebte über der letzten Taste. War es das heute wert? JA!
***
An Bord der FEANOR, die gerade im Schwarzen Meer kreuzte, herrschte von einem Moment zum anderen blanke Panik. Die Monitore in der Zentrale wechselten von Blaulicht zu rot, und die K.I. des Schiffes begann einen Countdown runter zu zählen.
„Verdammt, was passiert hier?“ McAllister sah sich wütend um und verursachte damit geschäftige Betriebsamkeit bei ihren Untergebenen.
„Überrangorder von außerhalb! Zwei Tomahawk werden gerade zum Abschuss fertig gemacht!“
„Überrangorder? Wecken Sie sofort den Skipper! Und Sie, Jonesy, versuchen den Start abzubrechen!“

Innerhalb des Schiffes heulten die Alarmsirenen und schreckten die Mannschaften und Offiziere auf. „Was ist los, Tim? Werden wir angegriffen?“
„Nein, aber das Schiff hat eben gerade beschlossen, freiwillig zwei der Tomahawks auf die Reise zu schicken!“, rief der Hubschrauberpilot im Laufen. „Meine Crew soll rausgehen und nachgucken wohin die Raketen fliegen!“
Sam Rogers, derzeitige Kommandeurin der Arm Slave-Abteilung der FEANOR, stürzte in den Umkleideraum und warf sich in den Pilotenanzug. Zwei kurz aufeinander folgende, heftige Rucke verkündeten den Abschuss der Tomahawks.
Eine Minute später saß sie im Cockpit ihres Gernsback und wartete auf Befehle. Nach und nach wurden auch die anderen Arm Slaves bemannt, wie es dem Alarmprotokoll entsprach. Drei Minuten nach dem ersten Alarm meldete sie an die Brücke: „Falken bereit.“
Vor ihr fuhr der erste Turmfalke auf die Plattform hoch. Anscheinend hatte die FEANOR das Startdeck geöffnet und erlaubte nun den Kampfhubschraubern sofort zu starten.
Auch die Super Harrier unter ihrem russischen Kommandeur machten sich zum Start bereit!
Immerhin waren gerade zwei brandgefährliche Marschflugkörper ohne den Willen der Schiffsführung gestartet, das kam einer internationalen Krise gleich.

„Was gibt es?“, rief Johann Sander, als er die Brücke betrat und sich in seinen Sessel warf.
„Es gab Überrangorder für den Abschuss von zwei Tomahawks von außerhalb, Skipper. Beide Raketen wurden vor achtzig Sekunden unterseeisch abgefeuert und befinden sich nun mit Marschgeschwindigkeit auf dem Weg zum rumänischen Festland. Wenn sie den Kurs beibehalten, werden sie zumindest auf den nächsten achthundert Kilometern auf keine Stadt treffen, aber sie streifen die großen Flüchtlingslager im Nordwesten.“
„Falls sie nicht vorher explodieren.“
„Falls sie nicht vorher explodieren“, bestätigte McAllister.
„Wissen wir von wem die Überrangorder kam?“
„Wir arbeiten dran, aber es muss definitiv ein Schiffsoffizier gewesen sein!“
Die Lieutenant Commander und der Skipper sahen sich an. Beide nickten. „Kramer.“
***
Die beiden Mittelstreckenmarschflugkörper legten ihren sechshundert Kilometer langen Weg knapp über der kaum gebauschten See des Schwarzen Meeres zurück. Dabei flogen sie nie tiefer als drei Meter über das Wasser hinweg. Als sie über Festland kamen, zogen sie etwas höher. Das eingebaute Bodenwellenradar lotste sie sicher über Wälder, kleine Hügel und Wohnhäuser hinweg. Danach war es für die effektiven Waffensysteme nur noch ein Weg von wenigen Minuten, um das Ziel zu erreichen, welches Thomas Kramer für sie ausersehen hatte.
Noch immer hielt der tapfere Infanterist mit dem Codenamen Grün zwei seine Lasererfassung auf einen Arm Slave der Gernsback-Klasse gerichtet, und noch immer überprüfte der deutsche Offizier die Telemetriedaten der Raketen. Als er sich sicher sein konnte, dass beide auch wirklich eintreffen würden, ging er eine Stufe weiter und verlegte den Einschlagpunkt der ersten Rakete vierhundert Meter nordwestlich des avisierten Ziels und den von Rakete zwei vierhundert Meter südwestlich. Dadurch würden ihm wohl einige Panzer und Fahrzeuge durch die Lappen gehen, aber er wollte den armen Jungen, der immer noch mit seinem Laservisier draufhielt anstatt Fersengeld zu geben, nicht unnötig gefährden. Nun, vielleicht zitterten dem Mann in seinem Versteck auch einfach nur die Beine zu sehr, um wegzulaufen.
„Grün zwei?“
„Ich bin noch da, Falke eins.“
„Volle Deckung!“
Die Verbindung zum Laser brach ab, die Tomahawks verloren ihre Zielvorgabe, aber das machte nichts, denn die Einschlagpunkte standen nun schon fest.
Als die beiden Tomahawks kurz auf Höhe gingen, war das Ende des Großteils der Marschkolonne besiegelt. Und als sie niedergingen hätte die Auswirkung dieses Angriffs nur noch schlimmer sein können, wenn die Gefechtsköpfe aus taktischen Atomwaffen denn konventionellen Clusterbomben bestanden hätten. Beide Marschflugkörper streuten ein Rund von vierhundert Metern ab und entließen tausendfachen Tod.
Der Lärm der Explosionen, hier im überwältigten Camp gerade erst verklungen, rollte nun von neuem heran und kündete vom Ende der Kolonne.
Thomas Kramer hatte gerade ein paar hundert Menschen in den Tod geschickt, das wusste er. Aber hätte er das nicht getan, dann wäre die kleine Revolte für Recht und Ordnung der jungen Gräfin in einem kurzen und blutigen – blutig vor allem für die Zivilisten – Kampf untergegangen. Und die Gräfin von Friedheim wäre genauso spurlos verschwunden wie ihre bedauernswerte Schwester.
Nein, falsche Gnade kannte dieser Mann nicht, auch wenn er an Bord der FEANOR oft genug der Heilige genannt worden war. Außerdem hatte er überhaupt keine Zeit, jetzt wegen der Vernichtung einer großen Kampftruppe, die diese Region zweifellos dominiert und dem Demokratisierungsversuch im Wege gestanden hätte Gewissensbisse zu bekommen. Im Gegenteil. Mit diesem Schlag hatte er wahrscheinlich die ganze Provinz auf Wochen, vielleicht Monate sicher gemacht.
Leider würde ihm dieser Streich nicht mehr gelingen, seine kleine Hintertür auf die FEANOR würde geschlossen werden. Das Unterseeboot war wahrscheinlich schon längst auf dem Weg nach Styx, um einen zweiten Missbrauch durch den ehemaligen Elite-Piloten zu verhindern. Oder es wurden in diesem Augenblick die ersten Jagdkommandos ausgesandt, um ihn, Thomas Kramer, zur Strecke zu bringen. Denn Mithril liebte es überhaupt nicht, wenn es die Kontrolle über seine Spielzeuge verlor.
Wäre dies in einem anderen Land als dem von Kriegen gebeutelten Rumänien passiert, hätte die Welt die Chance gehabt, durch mehr als Gerüchte und unscharfe Satellitenaufnahmen davon Kenntnis zu nehmen, wäre vielleicht ein internationaler Konflikt heraufbeschworen worden.
So aber gab es nur zwei Ergebnisse. Die Streitkraft der Einheit hatte sich verfünffacht und würde nach einem gewissen Training der Freiwilligen vielleicht eine schlagkräftige Truppe werden. Und Mithril hatte ihn garantiert ab sofort auf dem Kieker.
Thomas seufzte schwer. Als er sich entschlossen hatte, seine ganz persönliche Hintertür zur FEANOR zu öffnen, und die Raketensalve abzuverlangen, war es eigentlich noch zu früh gewesen. Aber eine solche Chance, eine derart Dichtgedrängte Marschkolonne potentiell feindlicher Truppen war einfach zu verlockend gewesen. Wer wusste es schon, vielleicht würde nun niemand auf lange Zeit wagen, so nahe an der Küste in großen Zahlen zu marschieren? Und mit kleinen Trüppchen wurde selbst eine schlecht trainierte Übermacht fertig.
Dennoch, die Ereignisse wurden elementar beschleunigt. Einerseits durch die schnelle Reaktion der Kampfeinheiten der NSP, andererseits durch den Einsatz seines einzigen Trumpfs in diesem Spiel.
„Grün zwei, noch da?“
„Gerade mal so, Falke eins. Was ist passiert, verdammt?“
„Sagen wir, wir hatten ein wenig unfreiwillige Hilfe. Beobachten Sie noch eine Stunde weiter und ziehen Sie sich dann zurück, Grün zwei.“
„Verstanden, Falke eins. Wirklich viel zum beobachten ist ja nicht übrig geblieben. Ich sehe lediglich ein paar Panzer und zwei Arm Slaves, die sich noch bewegen.“
Für einen Moment spielte Thomas mit dem Gedanken, der Kolonne den Rest zu geben. Aber das brachte er dann doch nicht fertig. Sicher würde er irgendwann für diesen Akt der Gnade bezahlen, aber es mindestens ebenso sicher, dass ihn irgendwann jemand für das Bombardement zur Rechenschaft ziehen würde…

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5.
Die schwere Transportmaschine, die sie nonstop von Tokio nach Melina Island brachte, war schon ungewöhnlich. Die Priorität bei der Landung allerdings war höchst verdächtig.
Dass ein Elektrowagen bereit stand um sie schnellstmöglich ins Dock der TUATHA DE DANNAN zu bringen, konnte man nur noch als mittlere Sensation werten.
Sousuke Sagara registrierte all das mit unbewegter Miene, aber seine Instinkte als erfahrener Soldat schlugen beinahe bis zum Anschlag an.
Kaname Chidori bemerkte das besonders steife Verhalten ihres Mitschülers und versteifte ihrerseits. Es war noch nicht allzu lange her, dass sie wieder einmal in Lebensgefahr gewesen war, und ihr richteten sich die feinen Nackenhärchen auf, wenn sie daran dachte, dass die Episode ihres Leben in der sie permanent bedroht wurde nahtlos fortgeführt werden würde.
Kanames neue düstere Miene wiederum fiel Kim auf. Und sie war schlau genug, um eins und eins zusammen zu zählen.

„Gut, dass Sie kommen, Gun-so. Das erspart es uns, Sie anzufordern“, empfing sie Kalinin, der Infanterie-Commander der DANNAN.
Sousuke wagte gar nicht erst zu fragen, die ganze Atmosphäre im Schiff roch kräftig nach Ärger, Ärger, Ärger. Kaname Chidori war weniger taktvoll, oder weniger ängstlich. „Was ist passiert, Kalinin-san?“
Der Blick des weißhaarigen Russen glitt einmal über alle drei. Dann nickte er. „Gut. Es geht Sie alle drei an, aber vor allem Miss Sanders.“
Andrej Sergejewitsch Kalinin wandte sich um und betrat den Laufgang, der vom Dock zur DANNAN führte. „Ich lasse Ihr Gepäck an Bord schaffen. Wir legen noch in dieser Stunde ab. Unser Ziel ist das Schwarze Meer. Wir sollen dort zu einer gemeinsamen Operation mit unserem Schwesterschiff FEANOR zusammentreffen.“
„Ich darf an Bord bleiben?“, kombinierte Kim messerscharf. „Ist was mit Thomas passiert?“
Der Russe sah sie ernst an, danach Sousuke. „Wie viel weiß sie schon, Gun-so?“
„Ich habe sie über First Lieutenant Kramers Abmusterung gestern informiert, Sho-sa.“
„Dann wissen Sie ja schon fast alles. Thomas Kramer hat sich im osteuropäischen Bürgerkriegsgebiet einer reaktionären Bewegung angeschlossen, die den Bürgerkrieg zumindest in Rumänien beenden will.“
„Das klingt doch nach meinem Thomas“, erklärte Kim strahlend.
„Während eines Konfliktes vor achtzehn Stunden hat sich Thomas Kramer allerdings in das Computernetz der vor der Küste patrouillierenden FEANOR eingehackt und den Abschuss von zwei Tomahawks mit konventioneller Bewaffnung auf eine gegnerische Marschkolonne eingeleitet. Es sieht ganz so aus, als hätte sich First Lieutenant Kramer ein paar Hintertüren offen gelassen, um weiterhin Zugriff auf die FEANOR zu erhalten. Dies schließt auch die Möglichkeit ein, das Schiff zu entern.“
„Aber Thomas würde nie...“, hörte Kim, und dachte einen Moment, die Worte selbst gesprochen zu haben. Aber sie kamen von Sousuke.
„Vielleicht. Bedenken Sie jedoch was passiert, wenn er in gegnerische Hände fällt und sein Wissen herausgepresst wird, Gun-so Sagara. Tatsächlich ist das schon passiert und wir können von Glück sagen, dass Amalgam nicht auf den Gedanken kam, sich sein Wissen anzueignen.“
Bevor sie sich versahen, hatten sie die Brücke der DANNAN betreten. Theresa Testarossa sprang sofort auf, als sie die drei Ankömmlinge bemerkte. „Das nenne ich perfektes Timing. So muss ich euch nicht erst abholen und wir können sofort in den Mittleren Osten aufbrechen. Ich... Sho-sa, wie viel haben Sie den dreien schon gesagt?“
„Ich habe sie noch nicht auf den neuesten Stand bringen können, Tai-sa.“
Theresa warf dem Mann einen schiefen Blick zu, den man durchaus mit „du Feigling“ beschreiben konnte.
„Keine Sorge“, rief sie, lachte dazu und legte verlegen eine Hand hinter den Kopf. „Wir haben nicht den Auftrag bekommen, Thomas zu töten oder so. Wir sollen lediglich die Beobachtung der Küste übernehmen, während die FEANOR auf Herz und Nieren geprüft wird, um mögliche weitere Schlupflöcher zu schließen, die Thomas aufgebaut haben könnte.“
„Können... Können wir ihn nicht einfach da raus holen?“, hauchte Kim ernst und sah betreten zu Boden.
„Es... Es ist etwas schwierig. Jetzt, wo er Material von Mithril missbraucht hat, müssen wir ihn vorladen und dem Oberkommando vorführen. Wir haben die Autorisation bekommen, um ihn zu verhaften.“
„Und was ist, wenn er sich nicht verhaften lässt?“, fragte Kaname scharf.
Theresas Blick ging unwillkürlich zu Sagara. Der versteifte sich merklich und seine Miene wurde ausdruckslos, beinahe starr.
„Der Arbalest“, stellte Kaname tonlos fest.
„Was? Wie? Worum geht es?“, rief Kim aufgeregt.
„Sie wollen Sousuke und seinen Arm Slave einsetzen, um Thomas einzufangen. Wie du weißt hat er einen Lambda Driver. Sie...“
„Sie wollen ihn töten“, hauchte Kim. „Tessa, sag mir dass das nicht wahr ist! Sag mir, dass du Thomas nicht töten willst! Er hat uns gerettet, weißt du das nicht mehr? Er hat uns... Er hat uns...“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen.
Auch die Augen von Theresa begannen nun feucht zu schimmern. Sie schluckte heftig. „Kaname, könntest du bitte...“
Tröstend legte die Frau mit den langen blauen Haaren einen Arm um Kim. „Ich kümmere mich um sie. Und du überlegst dir am besten einen Weg, wie wir Thomas aus dieser Situation wieder rausbekommen. Ohne ihn zu töten.“

Nachdem die beiden die Brücke wieder verlassen hatten, taxierte Theresa den Gun-so. „Ich wollte es vor den beiden nicht sagen, aber Sie haben die Erlaubnis erhalten, den First Lieutenant notfalls zu töten. Was immer an Wissen in seinem Kopf steckt, es darf nicht in Feindeshand fallen. Ich sage das wirklich nicht gerne. Aber wenn es irgendwie geht, dann lassen Sie den Mann am Leben, Gun-so Sagara.“
Der Arm Slave-Pilot sah starr geradeaus. Dann salutierte er. „Sie können sich auf mich verlassen, Tai-sa!“
Er machte eine scharfe Wende und verließ die Brücke wieder.
„Jetzt hasst er mich“, murmelte Theresa. „Ich glaube, jetzt hasst er mich wirklich.“
„Er hasst Sie nicht, Tai-sa“, meldete sich Chu-sa Mardukas zu Wort, der dem Disput schweigend zugehört hatte. „Er ist nur vollauf damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie er First Lieutenant Kramer da rausholen kann ohne ihn töten zu müssen.“
Mardukas wechselte einen schnellen Blick mit Kalinin. „Was er aber niemals schaffen wird.“
***
Seit seinem kleinen Streich gegen die Neo-Sozialistische Partei waren fünf Tage vergangen, und noch immer hatte Mithril ihm kein Killerkommando auf den Hals gehetzt. Thomas empfand diese Tatsache als sehr erfrischend und beruhigend. Mit etwas Glück würde sich die Geheimorganisation darauf beschränken, seine Schlupflöcher in das Computersystem der FEANOR zu schließen und schlicht hoffen, dass er in den Kämpfen umkam, anstatt ihn selbst töten zu lassen.
Nun, mit jedem verstreichenden Tag wurde diese Möglichkeit wahrscheinlicher. Die Hoffnung starb immer zuletzt, oder?
„General, es ist soweit.“
Thomas wandte sich um, warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel seines Quartiers.
Dann setzte er mit einem Ruck die klobige Schirmmütze seiner rotbrauen Uniform auf und nickte. „Ich komme, Colonel Blatic.“
Er folgte seinem Stellvertreter und frisch zum Colonel beförderten Mann durch den hell erleuchteten Hangar, in dem gerade an über dreißig Arm Slaves und noch einmal der gleichen Zahl an Panzern gearbeitet wurde. Als er vorbei kam, stellten die Männer und Frauen die Arbeiten ein und salutierten ihm zu. Thomas salutierte steif zurück und versuchte, keine Miene zu verziehen.
Als er Blatic die große Rampe hinauf folgte, hörte er die letzten Worte der Rede von Anica Gräfin von Friedheim. Nahtlos folgte der Jubel einer großen Menschenmasse.
Danach ergriff eine Männerstimme das Wort, die mit sich vor Begeisterung überschlagender Stimme zehn Kapitel verlas. Dies waren die Statuten der neu aufgestellten Armee. Thomas verstand kein Wort, weil er die Landessprache nicht konnte, aber er hatte geholfen sie auszuarbeiten. Der wichtigste Punkt dabei war der Anspruch gewesen, die Hauptstadt Bukarest zurück zu erobern und im Land einen umfassenden Frieden herzustellen.
Nun, in diesem Moment beherrscht die Gruppe der Gräfin ein gutes Drittel von Rumänien, nämlich alles westlich der Karpaten bis zur Grenze. Dies sollte der Anfang für eine militärische Befriedung der Küste und der Nachschubwege, vor allem über die Flüsse, sein.
Wenn das nördliche Donau-Ufer erst einmal in ihren Händen war, dann war eine Menge gewonnen. Vor allem konnten sie dann ernsthaft unterbinden, dass die Unruhen von Bulgarien erneut über den Grenzfluss Donau schwappten. Wichtig war auch die Einnahme des Seehafens Konstanza, der es ihnen ermöglichen würde, internationale Hilfsgüter wesentlich unproblematischer über internationale Gewässer zu erhalten.
Thomas ließ die letzten Tage Revue passieren. Mit dem Abschuss der beiden Tomahawks hatte er die Hauptstreitmacht der NSP vernichtet; die meisten Soldaten und Piloten hatten sich nach diesem verheerenden Schlag ergeben, einige hatten sich sogar dazu entschlossen, an die neue Vision der Gräfin zu glauben und dienten nun unter ihm. Auch große Kontingente an polnischen Freiwilligen waren zu ihnen gestoßen, einige sogar mit eigenen Arm Slaves.
Dieser große Sieg hatte ihnen aber noch mehr beschert, denn etliche der kleineren Fraktionen hatten um Aufnahme gebeten, die von Gräfin von Friedheim großzügig gewährt worden war, solange sie die zehn Statuten unterstützten. Welchen Wert diese Bündnisse hatten, würde sich noch zeigen müssen. Aber Thomas machte sich klar, dass dort draußen ein Viertel des militärischen Potentials dieses Landes auf seinen Befehl hörte. Mittlerweile waren es gut einhundert Arm Slaves, das Doppelte an Panzern, fast fünfhundert Transportfahrzeuge und etwas über sechstausend Infanteristen, die ihm gehorchten. Weil sie an die Gräfin glaubten. Weil sie an die Statuten glaubten. Weil sie etwas verändern wollten. Oder einfach, weil sie Angst davor hatten dass es ihnen ähnlich erging wie der Neo-Sozialistischen Partei, die aufgehört hatte, als politische und militärische Fraktion zu existieren.

Nach der Lesung der Statuten, jede einzelne begleitet von frenetischem Jubel, klang wieder die Stimme Anicas auf. Thomas verstand nur drei Worte: General und Thomas Kramer.
Er hatte diesen Rang angenommen, um den Menschen Sand in die Augen zu streuen. So groß die Armee auch mittlerweile war, sie hatte nie zusammen gedient, große Teile waren unzuverlässig und würden die Waffenbrüder verraten, wenn das Kriegsglück schwankte. Thomas befürchtete das Schlimmste.
Andererseits bildeten die polnischen Freiwilligen das Rückgrat seiner Armee, und diese Soldaten waren diszipliniert und gut ausgebildet. Es war nicht unmöglich, es war zu schaffen. Auch Rom war nicht an einem Tag erbaut worden.
Langsam ging Thomas weiter. Als er die Rampe verließ, brandete erneut Jubel auf. Steif legte er die Rechte an die Stirn und salutierte. Dann ging er zur Gräfin, den anwesenden Offizieren und den offiziell gewählten Vertretern der Lager und Städte auf das kleine Podest.
Ein großer, bulliger Mann rief eine kurze Rede ins Mikrofon, hielt einen Orden hoch und heftete ihm Thomas an die Brust. Danach umarmte er den Deutschen und küsste ihn auf beide Wangen. Das war der Bürgermeister von Neumarkt gewesen, die vorgestern von den letzten politischen Fraktionen gereinigt worden war. Der gute Mann hatte die Chance sofort ergriffen und sich einer Partei angeschlossen, die nach dem Sieg über gegnerische Truppen nicht sofort mit Gewaltakten und Plünderungen begann. Der kleine rote Stern auf Thomas´ breiter Brust war Zeugnis dieser Chance. Egal ob der Riese nun daran glaubte, er gab den Menschen vor dem Podest Hoffnung und Zuversicht. Und diese Hoffnung und diese Zuversicht würde ihnen vielleicht endlich die Chance einräumen, Rumänien zu befrieden. Endlich, nach über zehn Jahren.
Und für ihn würde es vielleicht die Möglichkeit geben, Amalgam noch eins auszuwischen. Er verdankte dem kleinen schwitzenden Mann eine Gehirnerschütterung, die umgehend zurückgezahlt werden würde, sobald er die Gelegenheit dazu bekam.
Als er sich der Menge zuwandte, um sich für die Auszeichnung zu bedanken, tat er dies zuerst mit einem Salut. Dann ballte er die Rechte zur Faust und riss sie in die Höhe. Die Reaktion der Menge war unglaublich.

Wieder trat ein neuer Redner nach vorne, und Thomas erhielt Gelegenheit, sich zu setzen. Er platzierte sich neben der Gräfin und tat als interessiere ihn die Rede des älteren Mannes mit dem schütteren grauen Haarkranz.
„Also, Anica, was willst du mir sagen?“, flüsterte er.
„Was denn? Hast du das noch nicht selbst herausgefunden?“, spottete die Gräfin.
„So wie ich das sehe, ist diese Entwicklung zu rasant, um das Ergebnis von einer Woche Kampf zu sein. Zuviel ist passiert, und auch der Angriff der Neo-Sozialistischen Partei kam sehr früh. Diese Menschenmenge zu mobilisieren mag in Rumänien funktionieren. Aber derart viele polnische Freiwillige und Soldaten anderer Gruppierungen zusammen zu ziehen ist kein Zufall.“
Anica Gräfin von Friedheim seufzte. „Du hast es schon gesagt. Ich habe ein großes, weit aufgespanntes Informantennetz, mein lieber Thomas. Nein, sagen wir es ist ein Agentennetz.“
„Und dieses Agentennetz hat natürlich die Ankunft entsprechend vorbereitet. Und dies alles hier erst ermöglicht. Die Agenten haben Zugeständnisse gemacht, Kompromisse geschlossen, Versprechen gegeben und eingefordert. Und jetzt ist ein Viertel der Streitmacht dieses Landes in deiner Hand.“
„Falsch. Nicht in meiner Hand. In deiner Hand, Thomas.“
„Ich diene dir, Anica. Wo ist da der Unterschied?“
„Du würdest nie etwas tun, was mit deiner Auffassung von soldatischer Ehre kollidiert. Das ist der Unterschied.“
„Schmier mir keinen Honig um den Bart.“
Anica wandte sich ihm für einen Moment zu und lächelte. „Wenn du es genau wissen willst, ich habe Rumänien ausgesucht, weil meine Familie persönliche Bindungen in diesem Land hatte und noch immer hat. Es tut mir weh, das zu sagen, aber meine Schwester wurde verschleppt, als sie in Ungarn an einer Konferenz teilnahm, in der Emigranten aus Rumänien über die Zukunft des Landes beraten haben. Als meine Schwester verschwand war das nicht nur ein schmerzlicher Verlust für mich, es hätte auch beinahe die Zukunft dieses Landes gefährdet. Seither habe ich mich vorbehaltlos auf die Seite Rumäniens gestellt. Ich habe Kontakt zu Firmen aufgenommen, die in diesem Land ihre Produkte testen, habe sie politisch und wirtschaftlich in meinem Sinne beeinflusst. Alles nur, um diesem einen Land Frieden zu bringen. Aber es hat mir noch etwas gefehlt.“
„Ein Held.“
„Ja, ein Held. Ein Held, der alleine eine Kompanie Panzer vernichten kann. Ein Held, der den anderen zeigt, was man zu leisten vermag, wenn man den festen Willen hat und weit genug geht. Ein Held, der allen als Hoffnung dient, an dem sie sich alle orientieren können, der sie aufrichtet, der sie durch sein Vorbild mitreißt. Ich brauchte dich, Thomas. Du hast deinen Wert mustergültig bewiesen, als wir nur vier Arm Slaves hatten.
Mit der Vernichtung des NSP-Stoßtrupps hast du zugleich auch den Anstoß gegeben, um aus meinen Kontakten Verbündete zu machen. Deine anderen Siege haben es nur noch verstärkt und sogar Gruppen zu uns bekehrt, die bisher ablehnend eingestellt waren.
Aber das ist nicht der wichtigste Grund. Unser Held musste auch jemand sein, der schon einmal gegen Amalgam gekämpft hat – und erfolgreich war.“
„Amalgam?“
„Tu nicht so überrascht. Ja, Amalgam. Abgesehen von den großen europäischen Firmen, den russischen Industriekombinaten und den Amerikanern führt Amalgam hier im geheimen das Kommando. Amalgam ist das Zünglein an der Waage. Amalgam ist die dritte Macht im Hintergrund. Wenn ihnen eine Entwicklung nicht passt, korrigieren sie sie. Rumänien, Bulgarien, Serbien, Moldawien, Ukraine, das sind alles nur große, bunte Versuchsfelder für sie, auf denen sie neue Weltordnungen ausprobieren – oder wie sie bestehende Ordnungen in absolutes Chaos stürzen.
Je erfolgreicher wir werden, desto mehr wird Amalgam auf uns aufmerksam werden. Und dann brauche ich einen Anführer, der weiß wie man diese Leute bekämpft und besiegt. Du bist mein großer Jackpot, Thomas.“
„Nett.“
Der grauhaarige Veteran hatte seine Rede beendet und erhielt dafür Jubel. Anica lächelte wohlwollend und nickte aufgeregt, um die Bedeutung der Rede hervorzuheben.
„Und, bist du nicht sauer, weil ich dich benutze?“, fragte sie leise.
„Nein, das wusste ich von vorne herein. Und warum soll ich auf dich böse sein, wenn du meine Ziele verfolgst? Ich bin in diesem Land, um den Bürgerkrieg zu beenden.“
Thomas erhob sich und salutierte, als die alte Nationalhymne gespielt wurde. „Und um Amalgam in diesem Land das Handwerk zu legen. Ein für allemal.“
„Ich habe nicht weniger von dir erwartet, Thomas“, flüsterte die Gräfin zurück.

6.
Vor der Küste von Gallipolli, genauer gesagt einhundert Seemeilen vor dem Südkap, fad das Zusammentreffen der FEANOR und der TUATHA DE DANNAN statt. Beide Schiffe passierten sich in einem Abstand von lediglich einem Kilometer.
Grund genug für beide Kapitäne, eine kurze, informative Unterhaltung aus der Isolation ihrer Büros heraus zu führen, während sich die Unterseeboote durch den internationalen Seeverkehr schlängelten.
„Die Behörden in der Türkei sind instruiert. Sie werden die DANNAN nicht aufbringen, wenn sie die Dardanellen und den Bosporus durchquert. Für sie existiert das Schiff nicht.“
„Ich danke Ihnen, Kapitän Sander. Gibt es noch etwas, was wir wissen sollten?“
„Die Lage in Rumänien hat sich in den letzten Tagen radikal verändert, Tai-sa Testarossa. Viele Gruppierungen und politische Parteien haben sich unter der Gräfin von Friedheim zusammengeschlossen und bilden nun ein Viertel der militärischen Macht in dem umkämpften Land. Das ist eine Macht, mit der auch die Nachbarländer rechnen müssen. Ungarn hat, laut den neuesten Meldungen, die Grenzen stärker befestigt und einen Teil des stehenden Heeres verlegt. Dadurch fielen Dutzende Transporte mit Hilfslieferungen aus. Die Situation im Land ist dementsprechend nicht besonders erfreulich.“
„Ich verstehe, Kapitän Sander. Sie befürchten überdies eine Intervention der umgebenden autarken Nationen?“
„Ich bin mir sicher, dass eine oder mehrere der in Rumänien kämpfenden Fraktionen Verbündete in den umliegenden Ländern hat. Gerade in den Staaten, in denen immer noch der Bürgerkrieg tobt. Es ist zu erwarten, dass diese Truppen und später vielleicht die Länder in den rumänischen Konflikt hineingezogen werden. Es ist auch möglich, dass Amalgam aktiv wird; in dem Fall müssen Sie sofort reagieren, Tai-sa. Wenn wir Amalgam treffen können, müssen wir das tun.“
Tessa nickte. „Ich halte meine Leute in Bereitschaft. Wie sieht die taktische Lage aus?“
„Die Gräfin von Friedheim hat sich gestern von zehntausend gewählten Landesvertreter zum Interims-Oberhaupt erklären lassen. Ihre erste Amtshandlung war dann gleich die Ausrufung des Kriegsrechts und eine formelle Anklage gegen die anderen politischen und militärischen Gruppierungen. Rechtlich gesehen ist sie damit nicht in trockenen Tüchern, aber es gibt ihr ein moralisches Rückgrat, mit dem sie es weit bringen kann, falls Amalgam und die anderen Parteien sie nicht vorher töten.
Die Armee, über die Gräfin von Friedheim mittlerweile verfügt, kontrolliert das gesamte Gebiet westlich der Karpaten. Durch die Winkelform von Südkarpaten und Ostkarpaten ist sie in dieser Position fast unangreifbar. Die wenigen Pässe über das Gebirge wird von ihren Soldaten gehalten, und das Heer benutzt das Eiserne Tor, die einzige ebenerdige Passage in der Region. Im Moment stehen fünfzig Arm Slaves aller Klassen sowie dreitausend Mann Infanterie vor Drobeta-Turnu Severin, einer großen Donaustadt südlich der Karpaten. Gelingt ihnen die Einnahme der Stadt, haben sie Zugriff auf die Autobahn, die direkt zur Hauptstadt und von dort zum größten Seehafen des Landes führt. Ich habe mir sagen lassen, dass in Istanbul bereits Schiffe mit Hilfslieferungen bereitliegen, um diese einmalige Situation im Bürgerkrieg ausnutzen zu können.“ Sander räusperte sich. „Wenn die Koalitionstruppen aufgehalten werden sollen, dann muss es auf dieser Straße passieren. Entweder in Drobeta, in Craiova oder in Bukarest selbst. Das wissen die anderen Fraktionen. Und auch Amalgam muss bewusst sein, dass die Entscheidung über die Zukunft des Landes etwas schneller fällt als sie erwartet haben.“
„Ich verstehe, Kapitän Sander. Ich werde meine Arm Slaves die Donau hinauf schicken. Es dürfte interessant sein zu erfahren, ob Amalgam auch in diesem Land Waffen verteilt hat, die unsere getarnten Arm Slaves und Hubschrauber aufspüren können.“
„Noch etwas, Tai-sa. Anführer der Koalitionstruppen ist immer noch Thomas Kramer. Sie sind ab sofort autorisiert, ihn zu eliminieren. Versiegelte Befehle, diesen Fall betreffend wurden auf Melina an Bord genommen. Sie sind hiermit autorisiert, diese Befehle zu öffnen.
Ach, und bevor ich es vergesse. Sollte sich Kramer ergeben, sind Sie autorisiert, seine Kapitulation anzunehmen. Das Oberkommando Atlantik ist sehr daran interessiert zu erfahren, wie Kramer sich in die Computersysteme der FEANOR hacken konnte, um zwei Marschflugkörper abzuschießen.“
Für einen Moment wirkte Tessa überrascht. „Ich werde mein bestes geben, um Thomas zur Kapitulation zu überreden. Ich danke Ihnen, Kapitän Sander.“
„Ich habe Ihnen zu danken. Gute Jagd, Tai-sa.“
Der Bildschirm erlosch und ließ Theresa Testarossa mit ihren Gedanken allein.
Nachdenklich spielte sie mit dem Ende ihres Zopfs. Dann erhob sie sich, ging zu ihrem Safe und öffnete ihn. Das Paket mit den Befehlen wog schwer, schwerer als zuvor.
Mit einem Seufzer erbrach sie das Siegel und begann die Dokumente zu studieren.
***
„Ma´am, Gun-so Sagara meldet sich wie befohlen.“
Die Miene, die Theresa Testarossa aufgesetzt hatte, war ungewöhnlich ernst und dienstlich. Von ihrer Sympathie für den jungen Mann war im Moment nichts zu bemerken. „Setzen Sie sich, Gun-so.“
„Jawohl.“
„Gun-so, Sie wissen, warum wir in diese Region der Erde gekommen sind?“
„Ja. Wir übernehmen den Überwachungsauftrag der FEANOR, solange sie auf Styx auf Herz und Nieren geprüft wird.“
„Gut. Sie wissen auch, warum sie auf Herz und Nieren geprüft werden muss?“
Sagara wirkte unsicher. Und das kam nicht sehr oft vor. „Thomas Kramer hat sich auf unbekanntem Weg in das Computersystem der FEANOR gehackt und zwei Marschflugkörper abgeschossen.“
„Und er hat damit in den Bürgerkrieg eingegriffen, der in Rumänien tobt. So sehr ich persönlich diesen unseligen Streit und die Leiden der Millionen Zivilisten beendet sehen möchte, Kramer hatte keinerlei Recht, Mithril da mit hinein zu ziehen. Wir können wohl von Glück sagen, dass der Raketenschlag ein voller Erfolg war und nur eine Handvoll Menschen überhaupt wissen, was die Truppen der NSP getroffen hat. Sonst hätten wir bereits eine internationale Ermittlung am Hals, die Mithril einiges gekostet hätte. Verstehen Sie das, Gun-so?“
„Natürlich, Ma´am.“
Theresa schob eine Akte zu Sousuke herüber. „Sie haben absolutes Stillschweigen über die Befehle zu halten, die ich Ihnen mit diesem Schreiben übermittle. Ich verlasse mich da völlig auf Sie. Die Sicherheit eines ganzen Landes hängt von Ihrer Integrität und Ihrem Können ab, Gun-so Sagara.“
Ein wenig verwundert ergriff Sousuke die Pappmappe, die gut sichtbar den Aufkleber der höchsten Sicherheitsstufe trug, und begann die Dokumente durchzublättern. Irritiert runzelte er die Stirn. „Dieser Agent Lukas…“
„Vergegenwärtigen Sie sich, dass wir diese Gelegenheit nutzen könnten, um Amalgam einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Das ist das einzige was zählt. Haben Sie das verstanden, Gun-so?“
„Jawohl, Ma´am.“
„Amalgam ist in dieser Region sehr stark vertreten. Es wäre bereits unendlich kostbar für uns zu wissen, wie stark die Kräfte dieser Organisation in dieser Region wirklich sind. Waren unsere Siege auf Sri Lanka und in Süd-China wichtige Schläge gegen die Stärke dieser Terrorgruppe, oder waren es nur Nadelstiche in die Seite eines Riesen? Wenn wir wissen, wie stark und wie gut Amalgam in Rumänien organisiert ist, wird es uns eine Menge über die gesamte Organisation sagen.
Die Aktion, an der Sie vor zwei Monaten teilgenommen haben, hat uns eine große Menge Computerdaten beschert, die Experten sind immer noch an der Auswertung. Und jetzt ist die Zeit gekommen, um einige dieser Daten auf ihre Echtheit zu prüfen.“
Sousuke Sagara nickte ernst. „Ich habe verstanden, Ma´am. Wenn Amalgam sich an den Kämpfen beteiligt, werden Agent Lukas und ich verlässliche Daten liefern.“
„Sie dürfen auch ein paar abschießen, Gun-so“, bemerkte Theresa Testarossa und lächelte das erste Mal, seit er ihr Büro betreten hatte.“
„Jawohl, Ma´am.“
„Sie können gehen.“
Sagara salutierte, wandte sich um und ging zur Tür.
„Ach, Sousuke“, hielt Theresa den Arm Slave-Piloten zurück, „bring Thomas in einem Stück nach Hause. Kim zuliebe.“
„Das wird schwierig“, brummte der Arm Slave-Pilot. Vielleicht zu schwierig.
***
„Das ist die Lage.“ Chu-i Clouseau sah sich im Besprechungssaal der DANNAN bei den Arm Slave-Piloten und den Hubschrauberbesatzungen um. „Unser ehemaliger Kamerad Thomas Kramer hat seine Truppen gestern über das Eiserne Tor geführt und die Stadt Drobeta kampflos eingenommen. Dort haben sich ihm weitere Truppen angeschlossen. Die Gräfin von Friedheim hat die Stadt zur provisorischen Hauptstadt erklärt. Im Moment zieht Kramer seine Truppen in der Stadt zusammen. Wir rechnen damit, dass er über zehntausend Mann, zweihundert Panzer und einhundertzwanzig Arm Slaves aufbieten wird. Mit dieser Truppenstärke muss ihm die Einnahme von Bukarest gelingen. Das muss auch den politischen Gegnern der Gräfin bekannt sein. Deshalb rechnen wir damit, dass die anderen Fraktionen, so sie denn dazu in der Lage sind, eine lose Koalition bilden, um Kramer entweder in Craiova oder wenigstens vor der Hauptstadt aufzuhalten. Auch eine Einmischung von Amalgam oder in der Region vertretenen Firmen, welche die Konflikte für Waffentests verwenden, ist nicht ausgeschlossen.“
„Frage: Sollen wir Kramer helfen?“
„Ich glaube, das können Sie sich selbst beantworten, Gun-so Weber. Natürlich nicht. Im Gegenteil. Wir haben die strikte Anweisung ihn entweder gefangen zu nehmen oder zu liquidieren.“
Leises Raunen ging durch den Sitzungssaal. „Gun-so Sagara wird diese Aufgabe übernehmen. Gun-so, Sie haben die Erlaubnis, notfalls den Lambda Driver einzusetzen. Unsere einzige andere Aufgabe in diesem Fall ist es, auf Aktionen von Amalgam zu warten und diese zu vereiteln.“
„Aber das ist so unfair! Okay, zwei Tomahawks zu klauen war nicht sehr nett, aber alles was Kramer will ist diesen Bürgerkrieg zu beenden!“, brauste Mao auf.
„Und genau deshalb werden wir ihm auch die Chance geben, sich zu ergeben. Zu Ihrer Information, ich mag es auch nicht, aber Befehl ist nun mal Befehl.
Weiter im Text. Wir werden von den Terwaz-Einheiten auf der bulgarischen Seite der Donau ausgesetzt und setzen auf der Höhe von Craiova über den Fluss. Wir erwarten, dass Kramer mit seinem Vorstoß noch mindestens einen Tag wartet, deshalb haben wir genügend Zeit, die Region zu erreichen, bevor die erste Schlacht beginnt. Priorität haben die Aktionen von Amalgam, vergessen Sie das nicht.“
Clouseau schloss das Image der Karte hinter sich und räumte in Seelenruhe ein.
Kurtz Weber ballte derweil die Hände zu Fäusten. „Das ist unfair, so verdammt unfair! Warum haben sie Thomas überhaupt erst degradiert? Warum hat Kapitän Sander ihn von der FEANOR geworfen? Sag doch auch mal was, Sousuke!“
„Wir haben unsere Befehle“, schnappte der japanische Gun-so kurz angebunden, erhob sich und verließ den Raum. Den wütenden Protest von Weber ignorierte er ebenso wie den fatalen Blick seiner direkten Vorgesetzten.
Auf dem Gang wäre er beinahe in Kim und Kaname hineingerannt.
Die junge Frau, die sie erst vor kurzem aus tödlicher Bedrohung aus Rumänien gerettet hatten, hatte beide Arme um den Körper geschlungen, als würde sie frieren. Sie wirkte verzweifelt. „Du wirst ihn töten, oder?“
Sagara stockte. Betreten senkte er den Kopf.
Kim Sanders begann zu schluchzen, legte eine Hand vor ihr Gesicht und wandte sich ab.
Kaname sah ihr erschrocken hinterher. „Sousuke, kannst du gar nichts tun?“
Der Gun-so straffte sich. „Ich bringe ihn wieder zurück.“

6.
„Es ist zu früh“, mahnte eine alte Männerstimme.
„Es ist nicht zu früh“, hielt eine ebenso alte, weibliche Stimme, dagegen. „Dies ist die beste aller Zeiten, um endlich durchzuführen, was wir so lange erhofft haben. Eine ganze Generation unseres Volkes wächst bereits in Unbildung in den Flüchtlingslagern auf oder wird als Kanonenfutter der verschiedenen Fraktionen verheizt. Dies ist ein Schlag, von dem wir uns Jahrzehntelang nicht mehr erholen werden. Deshalb muss es hier enden, bevor die Generation, die in den Lagern geboren wurde, eine weitere Generation in die Welt setzt.“
Eine dritte Stimme, nur unwesentlich jünger, mahnte mit tiefem Bass: „Die Firmen werden es nicht hinnehmen.“
„Das hat uns die letzten fünfzehn Jahre davon abgehalten zu tun was zu tun ist. Aber heute endet das. Unsere Koalition ist mächtig genug dafür. Wir werden beenden, was wir begonnen haben“, sagte die zweite Stimme wieder.
Eine vierte, jüngere Stimme meldete sich mit hellem Altsopran. „Amalgam wird sich einmischen. Hier wird sich entscheiden ob wir eine wahrhaftige Chance haben, oder ob unsere Hoffnungen nur Seifenblase sind.“
Vier Menschen schwiegen sich an.
***
Craiova… Thomas Kramer wusste nicht besonders viel über diese Stadt. Zu alten Zeiten, als dieses Land noch nicht zu Rumänien zusammengefasst worden war, da war diese Stadt Königsstadt gewesen. Später, als diese Region zu Österreich gehört hatte, da war sie Sitz eines Fürsten gewesen. Doch der Bürgerkrieg hatte ihr nicht gut getan. Von den ehemals zweihundertfünfzigtausend Einwohnern lebten vielleicht noch fünfzigtausend in der riesigen Stadt und hielten das in Betrieb, was man großspurig Industrie nennen mochte und das noch nicht von einer der Konfliktparteien vereinnahmt oder zerstört worden war.
Einst hatte sie als kleine Hauptstadt gegolten, als kleine Schwester von Bukarest. Und diesmal würde sie sogar wichtiger sein als die große Schwester. Denn hier entschied sich vieles, vielleicht das Schicksal einer ganzen Welt.
Thomas richtete seinen französischen Arm Slave auf und gab das Zeichen zu Aufbruch. Die Armada, von ihm ausgewählt und trainiert, setzte sich in Bewegung.
Den Hauptvorstoß würden vierzig Arm Slaves führen, hauptsächlich jene Leute, mit denen er seit dem Beginn zusammen arbeitete und solche, die in den Schlachten bewiesen hatten, was sie konnten. Flankiert wurden sie von fünfzig Panzern; Kampfpanzern, Panzerhaubitzen, Luftabwehrlafetten und dergleichen. Dahinter folgte ein Tross gepanzerter Wagen, in denen sie eintausend ausgerüstete und erfahrene Infanteristen mit führten. Eine Mecha-Kolonne ohne Infanterie war immer wie ein einschneidiges Schwert. Man konnte zwar durch den Feind fahren, aber niemand räumte hinter einem auf. Oder riss einen aus der Scheiße, wenn man von Infanterie mit Anti Arm Slave-Bewaffnung angegriffen wurde.
Thomas hoffte, dass er die Infanterie nicht einzusetzen brauchte. Im Gewühl von Panzern, Arm Slaves und Granaten waren die Verluste von normaler Infanterie immens hoch. Aber wenigstens wusste er, dass sich diese Männer und Frauen darüber im Klaren waren, was sie erwartete und was von ihnen erwartet wurde.
Dahinter, in zehn Kilometern Abstand, kam der Rest des Heeres, den er für den Angriff detachiert hatte. Weitere vierzig Arm Slaves, dreißig Panzer und achttausend Infanteristen.
Der Rest beschützte das Eiserne Tor und sicherte somit die provisorische Hauptstadt und einen von zwei gangbaren Zugängen in das befriedete Gebiet nördlich und westlich der Karpaten. Selbst wenn alle Pläne scheiterten, die Hauptstadt und Frieden für ganz Rumänien betreffend, so gab es immer noch viel versprechende Pläne, aus dem Gebirge einen Schutzwall zu machen und wenigstens diesem Teil des Landes den Frieden zu geben, den es so dringend brauchte. Was für eine Aufgabe.

„General“, klang die Stimme von Blatic in seinem Helm auf.
„Ich höre, Colonel“, sagte Thomas und konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen. Ihre Armee war so schnell gewachsen, dass Thomas fast aus dem Stand erst zum Major, dann zum Colonel und schließlich zum General befördert worden war. Seine Untergebenen der ersten Stunde hatte er dabei mitgezogen.
„Meldung der Späher. Wir haben einen weitläufigen Sperrriegel auf der Straße und dem Umfeld. Provisorische Gräben mit Infanterie, unterstützt von Panzern. Ihre Befehle?“
„Major Kaminsky soll mit seiner Abteilung einen Umgehungsangriff durch den Wald ausführen und die Sperre im Nacken packen. Dabei soll er auf feindliche Arm Slaves achten.
„Verstanden, Sir.“
„Ach, und Goran. Wir sollten ihnen die Gelegenheit geben, sich zu ergeben.“
„Auch verstanden, Sir.“
Thomas schmunzelte. Auf diese Weise hatten sie sich die letzten Tage enorm vergrößert. Entweder indem sie sich ergebende Einheiten integriert oder ihr Material requiriert hatten.
„Keine Antwort, Sir.“
Thomas Kramer seufzte schwer. „Wir warten auf Major Kaminskys Angriff und schlagen dann selbst zu.“
„Verstanden.“
***
Wie abgesprochen hatten die Terwaz-Einheiten die vier Arm Slaves am Ufer der Donau abgesetzt. Die vier Hochleistungsmaschinen, drei Gernsback und der Arbalest, wateten durch das Wasser und verschwanden auf der anderen Seite, der rumänischen, mit Hilfe der Partikeltarnung im Nirgendwo.
Nach einigen Stunden Fußweg hatten die unsichtbaren Maschinen ihr Ziel erreicht. Und eine hervorragende Beobachtungsposition für die Schlacht, die hier bald ausbrechen würde.
„Das ist aber nett. So ein schöner und großer Empfang. Thomas scheint ihnen ja ein Riesenfeuerwerk wert zu sein“, kommentierte Kurtz, als er einen guten Blick auf den Sperrriegel vor Craiova bekam.
„Funkdisziplin, Urzu sechs“, mahnte Clouseau. „Wir teilen uns auf. Vorerst beobachten wir nur. Wenn sich uns aber eine Chance bietet, Kramer gefahrlos aus dem Gefecht zu ziehen werden wir das tun. Das gleiche gilt für den Fall, dass Amalgam in diesen Kampf eingreift. Sagara, Sie haben Erlaubnis, gegen jeden Venom mit aktiviertem Lambda Driver vorzugehen, wie immer es Ihnen passt.“
„Verstanden, Chu-i.“
„Urzu sechs und sieben gehen nach Westen. Mao, folgen Sie mir.“
„Bin dran, Chu-i.“
„Und vergesst nicht, Kramer ist keiner mehr von uns.“ Diese Erkenntnis betrübte Clouseau mehr als er zuzugeben bereit war.
„Chu-i, wir werden gerade umgangen. Zwanzig, nein, vierzig Arm Slaves verschiedener Klassen kommen im Bogen um den Wald“, meldete Weber.
Clouseau grinste schief. „Da ist anscheinend was bei Kramer hängen geblieben. Er will die Sperre wohl von beiden Seiten aushebeln. Werden die Arm Slaves vom Gegner bemerkt?“
„Sie schlagen einen weiten Bogen. Ich denke nicht, dass sie entdeckt werden, bevor es zu spät ist. Sollen wir eingreifen?“
Die nächsten Worte fühlten sich richtig gut an, fand der Chu-i. „Natürlich nicht. Weder handelt es sich um Einheiten von Amalgam, noch ist unser Renegat dabei. Lasst sie gewähren.“ Ja, das fühlte sich wirklich, wirklich gut an.
***
Mit einem Ruck brachte Thomas seinen Arm Slave zum stehen. Sein Blick ging über die Sperrstellung. Die Speerspitze seiner Einheit, bestehend aus M6, Mistral und italienischen Carabinieri, war nun in Feuerreichweite der Abwehrkette. Aber noch wurde nicht auf sie geschossen. „So leicht lassen die sich nicht provozieren, hm? Clusterbeschuss, drei Gassen.“
„Jawohl, Sir.“
Hinter ihm begannen die Panzereinheiten der Vorhut zu rochieren und eine neue Gefechtslinie einzunehmen. Die Rohre wurden mit Splitterbomben geladen und Thomas lauschte den konzentrierten, knappen Anweisungen von Major Kaminsky, der jedem einzelnen Panzer sein Zielgebiet zuwies.
„Bereit, Sir.“
„Feuer frei.“
Kurz darauf donnerten die Kanonen der schweren russischen Panzer auf. Nur wenige Dutzend Meter vor Thomas zerplatzten die abgeschossenen Granaten und gingen als Trümmerregen aus tödlichem Schrappnell auf dem Boden und der Straße nieder. Die erste Salve hatte aus vierzig Granaten bestanden, die jetzt den Boden umflügten. Andere rissen den Asphalt der bereits erheblich beeinträchtigten Straße auf und zerstörten sie komplett. Das würde es schwieriger machen, seine Einheiten nach Craiova zu bringen, aber was war im Leben schon leicht?
Sekundärexplosionen ließen Thomas dünn grinsen. Tatsächlich. Eine überwachte Minensperre. Es gab eine einfache militärische Doktrin, die sich auf Minen bezog. Diese kleinen gemeinen Dinger waren weit mehr als ein Hindernis auf dem Vormarsch. Wenn sie von Geschützstellungen überwacht und verstärkt wurden, dann wurden sie zur tödlichen Falle. Nicht viele Arm Slave- oder Panzer-Fahrer kamen mit dem Gedanken zurecht, in einem Minenfeld zu stecken und zugleich unter Beschuss zu stehen.
Seine Gegner hatten also vor gehabt, die Vorhut ins Minenfeld zu locken und dann zusammen zu schießen. Das hätte der Vorhut erheblichen Schaden zugefügt und ihm wahrscheinlich das Leben gekostet. Vielleicht war das die Absicht der dort versammelten Truppen gewesen. Schlagt der Schlange das Haupt ab, und der Körper stirbt.
Aber über das Stadium, dass dieses Heer nur mit ihm an der Spitze marschierte, waren sie lange hinaus. Dafür hatte Thomas früh genug gesorgt. Sein Tod hätte die Truppen getroffen, aber eher angestachelt als demoralisiert.
„Noch eine Salve, Major Kaminsky.“
„Jawohl, Sir.“ Wieder feuerten die Panzer und schufen so drei schmale Pfade direkt zur Frontlinie. Normalerweise war das benutzen dieser minenfreien Gassen nicht weniger gefährlich als im Minenfeld zu stecken, aber eigentlich war das hier alles nur Show, um vom eigentlichen Angriff abzulenken.
Dieser begann recht spektakulär. Ein Arm Slave, der am Waldrand stand und auf den Angriff von Kramers Leuten wartete, wurde mehrfach in die Seite getroffen und stürzte zerstört zu Boden. Dies war der Beginn einer Attacke aus dem Wald heraus, die in die Flanke der Sperrstellung griff und sie auf dieser Seite aufrollte.
Die meisten Geschütze zeigten in Kramers Richtung, und Blatic war nicht nett genug, ihnen die Zeit zu lassen, ihren Fehler zu korrigieren.
„Angriff“, befahl Thomas und setzte seinen Arm Slave in einer der Gassen in Bewegung.
***
„Da bist du also“, sagte Clouseau fest und zoomte an den Mistral II heran, der Thomas Kramer als Arm Slave diente. Er war es, er musste es sein. Kein anderer Arm Slave auf diesem Schlachtfeld bewegte sich so flüssig und geradezu geschmeidig, wenn man mal von seinem Gernsback und Sagaras Arbalest absah. Man merkte dem Piloten die vielen Jahre im Cockpit an, man spürte, wie gut er die Vor- und Nachteile der schweren französischen Maschine austarierte. Es war eine Schande, auf diesen hervorragenden Piloten zu verzichten.
Mittlerweile hatte die Umgehung ihren Zweck erfüllt. Die vierzig Arm Slaves der Befreiungsarmee hatten die Front aufgerollt. Die Überlebenden hatten sich ergeben, und manches Beutestück war den Angreifern unbeschädigt in die Hände gefallen.
Und Thomas Kramer kam mit seiner Vorhut immer näher. Schon war er in Schussweite von Clouseaus Gernsback, und nur ein paar hundert Meter weiter würde Sagara einen guten Schuss platzieren können.
Vielleicht sollte er das selbst machen. Vielleicht sollte er diese schmutzige Arbeit nicht einem jungen Mann wie Sousuke überlassen. Sicher, der Bursche war diese Art von Krieg gewöhnt, aber war es nicht seine Pflicht? Andererseits hatte er seine Befehle. Und ein Schuss aus seinen Waffen konnte daneben gehen. Ein Schuss, unterstützt vom Lambda Driver hingegen würde Kramer definitiv vernichten.
„Feuern Sie wenn bereit, Gun-so Sagara.“
„Es tut mir Leid, aber das kann ich nicht, Chu-i.“
Irgendwie war Clouseau erleichtert, als Sagara das sagte. Und nicht nur er, auch Mao und Weber atmeten erleichtert aus. Mehr amüsiert als wirklich böse fragte der Chu-i: „Verweigern Sie meinen Befehl, Gun-so?“
„Negativ, Sir. Aber aus Craiova nähern sich weitere Verbände. Ich halte sie für Venoms.“
Clouseau erstarrte. Natürlich, der zweite Teil des Befehls. Wenn Einheiten von Amalgam auftraten, hatten diese absolute Priorität. War Sousuke Sagara wirklich so kaltschnäuzig? Hätte er geschossen, wenn die Venom-Einheiten nicht aufgetaucht wären?
Es erschrak den Chu-i, als er diese Frage vorbehaltlos mit ja beantwortete. Was war dieser junge Bursche nur für ein Mensch?
***
„NICHT FEUERN!“, gellte Blatics Ruf auf. Aber der Befehl kam zu spät. Einer der Savage-Piloten hatte das Feuer auf die Neuankömmlinge eröffnet. Sein Schuss wurde vom Lambda Driver entgegen genommen und verstärkt reflektiert. Nur ein beherzter Sprung zur Seite rettete Pilot und Maschine. Aber für wie lange?“
„Blatic, Rückzug!“, rief Thomas. „Gegen Lambda Driver können Sie nichts ausrichten!“
„Verstanden, Sir!“ Wütend trieb der Offizier seine Leute an und scheuchte sie zurück in den Wald. Sekunden später gab es nur noch rauchende Trümmer, die darauf hinwiesen, dass es hier einstmals eine Sperrstellung gegeben hatte.
Thomas lächelte dünn. Er hatte mehrmals gegen Lambda Driver gekämpft und er hatte dazu gelernt. „Major Kaminsky, Plan A.“
„Jawohl, General.“
Die Panzer rochierten erneut, während die drei Venom-Einheiten selbstherrlich und übertrieben selbstsicher näher kamen. Sie fühlten sich als Herren des Schlachtfeldes. Nun, normalerweise wären sie das auch, der Lambda Driver war eine furchterregende Waffe. Aber gegen jede Waffe gab es eine Verteidigung. Und Thomas kannte ein paar Kniffe, die er den Venom-Einheiten vorzustellen gedachte. „Feuer.“
„Jawohl!“
Hinter ihm bellten die Kanonen der Panzer auf. Die Salven, Explosivgeschosse, beschrieben eine ballistische Flugbahn und stürzten dann auf die Venoms nieder.
Wie Thomas erwartet hatte, wurden die Granaten abgefangen, verstärkt und reflektiert. Aber der Lambda Driver konnte nur direkt reflektieren und auf keinen Fall eine ballistische Flugbahn imitieren. Das Ergebnis war, dass die Granaten mit erheblicher Gewalt in der Luft detonierten, aber niemandem Schaden zufügten. Nicht den Venom-Einheiten, was bedauerlich war, aber auch nicht der Befreiungsarmee.
„Steiler, Major.“
„Jawohl, Sir.“
Die Salve wurde wiederholt, diesmal mit einem spitzen Vorhaltewinkel.
Thomas grinste dünn. Der Lambda Driver war von der Nervenstärke seines Piloten abhängig. Im Klartext hieß das, wer zweifelte verlor.
Die Granaten flogen nun mitten unter die drei Arm Slaves und wurden dort erneut reflektiert. Und genau wie damals in Südchina schoben sich die Arm Slaves ein paar der Granaten gegenseitig zu. Die von den Lambda Drivern verstärkten Geschosse gingen teilweise harmlos in der Luft hoch oder explodierten spektakulär weitab am Boden, aber ein paar landeten nach ihrer Verstärkung im Lambda Driver einer anderen Maschine.
„Schnelles Feuer!“
„Jawohl, Sir!“
Die Lösung für dieses Problem war aufteilen. Dann konnten die Lambda Driver einander nicht mehr gefährlich werden. Aber zu dieser Erkenntnis konnte Thomas die drei Piloten nicht kommen lassen. Einer, besser zwei Arm Slaves von Amalgam mussten hier und jetzt ausgeschaltet werden. Dann konnte er direkt bis Budapest durchmarschieren.
Die neue Salve schlug ein, eine zweite kam direkt hinterher. Die Panzer schossen nun selbstständig nach ihrer Ladegeschwindigkeit.
Unter dem dauerhaften Bombardement mussten die Piloten nervös werden. Es musste für sie eine vollkommen neue Situation sein, selbst gefährdet zu sein. Der Lambda Driver hatte sie bisher vor allen existierenden Waffen geschützt, und nun wurden ihre Arm Slaves und ihre Nerven heftig durchgeschüttelt. Wer hier geistig verlor, der verlor auch körperlich.
Wenige Sekunden darauf bestätigten sich die Gedanken des Anführers der Befreiungsarmee. Der hinterste Venom explodierte unter der Wucht einer von einem Lambda Driver verstärkten Panzergranate.
Über die Funkleitung wurde gejubelt. Sie hatten einen unbesiegbaren Lambda Driver mit konventionellen Waffen besiegt. Wenn sie jetzt über ein paar Kampfjets verfügt hätten, dann wäre der Druck noch einmal erhöht worden. So aber mussten sie darauf hoffen, die anderen beiden Arm Slave-Piloten zu entnerven.
Nun konnten sie sich seinetwegen auch trennen. Sie wussten jetzt definitiv, dass sie verwundbar waren, und das war mehr wert als ein Lambda Driver auf seiner Seite.

„VORSICHT!“ Thomas sah nur den goldenen Schemen mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf sich zuhuschen, es war eigentlich nur ein Reflex auf seiner Netzhaut, nicht unbedingt ein wirkliches sehen, aber es markierte einen Schuss aus einem Gewehr eines Venoms. Direkt vor ihm explodierte das Geschoss mit wahnwitziger Gewalt und wirbelte seinen Mistral meterweit durch die Luft.
Von dem Savage, der sich schützend vor ihn geworfen hatte, der die volle Gewalt des Angriffs abgefangen hatte, waren nur noch die beiden Füße übrig geblieben.
Verdammt, sie hatten ihn als Anführer identifiziert und würden nicht eher ruhen, bis er tot war. Und das konnte nicht mehr lange dauern. Wenigstens bewies es, dass die Venom-Piloten Nerven zeigten und sich wahrscheinlich bald vom Schlachtfeld zurückzogen, sobald sie ihren Phyrrus-Sieg erzielt und ihn getötet hatten.
„Weiter feuern!“, blaffte er in das aufgeregte Stimmengewirr. „Um jeden Preis weiter feuern, Major Kaminsky!“
„General, ziehen Sie sich zurück! Wir…“
„Negativ! Blatic, Sie übernehmen das Kommando! Sie nehmen heute Craiova und morgen Budapest ein, haben Sie das verstanden?“
„General, wir decken Ihren Rückzug! Wir…“
„Bestätigen Sie den Befehl“, sagte Thomas ernst. Der gleiche Venom, der ihn eben schon beinahe ausradiert hatte, legte erneut auf ihn an und feuerte.
Merkwürdig, wie ruhig man im Angesicht des eigenen Todes war. Jetzt wäre ein eigener Lambda Driver natürlich nett, aber Thomas bezweifelte, dass er ihn in seine jetzigen Verfassung bedienen konnte. Verdammt, den Mistral hatte es übel erwischt. Und ihm klingelten die Ohren.
Als der alles auslöschende Lichtblitz erfolgte, bedauerte er für einen Moment diese riesige Lücke in seiner Planung.

Danach vergingen ein paar Sekunden, bevor er begriff, dass er immer noch lebte. Verwirrt öffnete er die Augen, die er Sekundenbruchteile vor seinem Tod zusammen gekniffen hatte. Über seinen gestürzten Mistral II stand ein Arm Slave. Ein ganz besonderer Arm Slave, der einzige auf dieser Welt, der den Schuss einer mit Lambda Driver verstärkten Waffe abfangen konnte: Der Arbalest.
„Lebst du noch, Thomas?“
„Danke, ja. Was machst du hier, Sousuke?“
„Meinen Job, was sonst? Warte einen Augenblick.“ Der Arbalest sprang aus dem Stand mehrere Dutzend Meter weit auf die beiden Venoms zu. Einer der Arm Slaves wandte sich zur Flucht, der andere feuerte auf Sagara.
Das war sein Verhängnis, denn Sagaras Selbstvertrauen und sein Wille waren unerschüttert. Der Lambda Driver des Arbalests reflektierte den Schuss, verstärkte ihn und schleuderte ihn mit einer Gewalt auf den Venom zurück, der nicht nur diese Maschine zertrümmerte, sondern auch den fliehenden Venom zu Boden riss.
Die gestürzte Maschine rappelte sich wieder auf und versuchte weiter zu laufen, aber soweit ließ Sousuke es nicht kommen. Er feuerte einen präzisen Schuss und vernichtete auch den dritten Venom.
Toll, damit hatten sie das Tagesziel erreicht. Und die Hauptstadt von Rumänien war in Reichweite gerückt. Damit war hoffentlich auch der unsägliche Bürgerkrieg nahezu vorbei. Wer wollte sich dieser Armee noch in den Weg stellen? Wer dem Friedensprozess, der bald beginnen würde?
Wenn es ihnen gelang Amalgam daran zu hindern, weitere Venoms ins Land zu schleusen und den Bürgerkrieg erneut anzuheizen, wie sie es hier bei der Verteidigung von Craiova versucht hatten.

Mit schleppenden Schritten kam der Arbalest zurück. „Das war der eine Teil meines Auftrags. Tut mir Leid, Thomas. Aber du wirst deine Leute nun verlassen müssen.“
„Warte mal, Sousuke, warte mal, du wirst doch nicht…“
Der Arbalest griff nach dem Kampfdolch und stieß ihn einmal quer durch den Torso des Mistrals.
***
„Warten Sie, Sagara, es ist nicht nötig, dass…!“, blaffte Chu-i Clouseau, aber da hatte der Gun-so bereits zugestochen. Zwei weitere kräftige Stiche trennten die Reste des Cockpits vom toten Arm Slave.
Der Arbalest richtete sich auf und sah auf die reglose Front der Befreiungsarmee. „Meine Arbeit hier ist getan. Es tut mir Leid, aber wir haben die älteren Rechte an General Kramer gehabt. Tun Sie ihm etwas gutes und lassen Sie seine Leiden nicht unnötig gewesen sein. Erobern Sie die Hauptstadt.“
Das war für Sagara eine ansprechende, schöne Rede, die Clouseau ihm nicht zugetraut hatte. Andererseits fühlte er sich matt und betäubt. Himmel, er hatte geglaubt, Kramer und Sagara wären Freunde gewesen. Aber diese Kaltblütigkeit hatte ihn entsetzt.
„Ich bin hier fertig, Urzu eins. Ich bringe das Cockpit mit mir zurück.“
Clouseau musste sich mehrfach räuspern, bevor er spürte, dass seine Stimme wieder da war. „Rückzug.“
Vor den Augen der entsetzten Befreiungsarmee verschwand der Arbalest scheinbar im Nichts.

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7.
Der Einzug in Craiova am Vortag war schon ein Erlebnis für die junge Gräfin gewesen, aber Budapest war unglaublich. Für einen Moment mochte man vergessen, dass dieses Land fast zwanzig Jahre blutigen und unnötigen Bürgerkrieg hinter sich hatte, dass hier einst Verzweiflung und Anarchie geherrscht hatte. Die Menschen auf den Straßen jubelten, viele tanzten vor Freude, und überall wurde die alte Nationalflagge geschwenkt.
Anica von Friedheim fühlte sich froh, euphorisch – und bereute diese Gefühle gleich wieder. Immerhin war der wichtigste Mann der ganzen Operation gestern gestorben. Sie sprach es nicht aus, aber sie war sich sehr sicher, dass die geheimnisumwitterte Organisation Mithril seinen Tod angeordnet und seine Exekution durchgeführt hatte.
Anica hasste sich dafür, so zu denken, aber der Tod des Deutschen hatte nicht automatisch den Zusammenbruch der Befreiung bedeutet. Kramer hatte seine Offiziere gut trainiert und ihnen Selbstvertrauen eingehaucht. Goran Blatic war nicht Thomas Kramer, aber er machte einen guten Job als neuer Anführer der Koalitionsarmee.
Und dass sie hier gerade in die Hauptstadt einzogen, bewies mehr als alles andere, dass das Ende des Bürgerkriegs in erreichbare Nähe gerückt war. Bis auf das Land östlich der Karpaten war nun alles in der Hand der Befreiungsarmee. Und diese wurde mit jedem Tag stärker. Die Firmen würden sich nicht mehr lange halten können, und besiegt werden konnte diese Armee nicht einmal durch den Einsatz von Arm Slaves mit Lambda Drivern, wie Kramer effektvoll bewiesen hatte.
Anica von Friedheim unterdrückte einen tiefen Seufzer und zwang sich dazu, weiterzulächeln und weiterzuwinken. So wie Thomas Kramer die Seele des bewaffneten Konflikts gegen den Bürgerkrieg geworden war, so war sie selbst, die junge, energische Frau, zum Symbol für den Frieden und den Neuanfang geworden. Und sobald das nördliche Gebiet ebenfalls in ihrer Hand war, sobald alle Kämpfe beendet waren, würde der harte und steinige Wiederaufbau beginnen. Ohne Thomas, der niemals erfahren würde, was er wirklich geleistet, wirklich erreicht hatte.
Sie spürte eine einsame Träne ihre linke Wange herab rinnen, aber sie machte keine Anstalten, sie fort zu wischen. Das Leben war manchmal so ungerecht.
Aber für diese Menschen, für das Lachen, für ihre Freude und ihre Zukunft, war es da nicht wert gewesen zu sterben?
Sie hasste sich dafür, dass sie ernsthaft daran dachte, das Leben des Deutschen gegen diesen Moment einzutauschen.
***
„Gut. Du bist wach“, stellte eine bekannte Männerstimme fest.
Thomas Kramer öffnete die Augen. „Schrei nicht so. Ich habe Kopfschmerzen, Sousuke.“
„Die hast du ja wohl auch verdient! Wer legt sich schon mit drei Venoms an? Und dann hast du auch noch die Frechheit einen zu vernichten.“ Ungläubig schüttelte Sagara den Kopf, und fast schien es als husche ein Lächeln über sein Gesicht. Aber nur fast.
„Übrigens ist da jemand, der dich sehen will.“ Sagara erhob sich und öffnete die Tür zum Krankenrevier. „Er ist jetzt wach. Sie können jetzt reingehen.“
Thomas hatte ein paar freundlichere Gesichter erwartet, nicht unbedingt Sho-sa Kalinin und Chu-sa Mardukas, aber angesichts der Situation, in der er steckte, konnte er nichts anderes erwarten.
„Wie fühlen Sie sich, Major Kramer?“
„Gut, gut, wenngleich mir der Schädel brummt.“
„Das kommt von der Gehirnerschütterung. Sie hatten zeitweilig recht hohes Fieber. Aber eigentlich sollten Sie das mittlerweile gewöhnt sein. Die wievielte Gehirnerschütterung in diesem Jahr ist es schon?“
„Die dritte oder vierte“, sagte Thomas matt. „Und ich dachte immer, einen Hohlraum kann man nicht erschüttern.“
„Bitte keine faulen Witze, Major Kramer“, mahnte Mardukas. „Stattdessen habe ich einige erfreuliche Nachrichten für Sie. Budapest wurde heute unter Leitung von General Blatic friedlich eingenommen. Die Gräfin von Friedheim hat sofort kommissarisch die Regierungsgeschäfte übernommen und den Bürgerkrieg für beendet erklärt. Es gibt noch Unruhen im Norden des Landes, aber Rumänien ist nun auf einem guten Weg. Vor allem da es scheint, dass alle Amalgam-Einheiten mit Lambda Driver zerstört werden konnten. Das war gute Arbeit, Major.“
„Das war ich nicht. Das war Sousuke. Wäre er nicht in der Nähe gewesen, dann…“
„Bullshit. Kramer, Sie haben gerade Ihren zweiten Lambda Driver vernichtet, ohne selbst über einen verfügt zu haben. Sie wissen schon, dass das ein Wunder ist?“ Kalinin sah ihn ernst an.
„Gut, gut“, wandte Thomas ein, „leicht war es nicht.“
Auf dem Gang erklang prustendes Gelächter. „Nicht leicht, sagt er…“
„Alleine dafür sollte man Ihnen einen Orden verleihen. Aber bevor wir Ihnen die Brust zukleistern, beginnen Sie bitte mit Ihrem Bericht, Major Kramer.“ In einer übertrieben strengen Geste schob Mardukas seine Brille die Nase hinauf und sah den Deutschen erwartungsvoll an.
„Moment, Moment, kann mir mal einer erklären, was hier überhaupt los ist?“, klang die Stimme von Melissa Mao auf. Sie stand in der Tür und sah mehr verärgert als verwundert auf Thomas herab. „Das alles klingt nicht gerade so als würdest du vor dem Erschießungskommando stehen, alter Junge.“
„THOMAS!“ Der Deutsche ahnte mehr als dass er sah, was da als blitzender Schemen auf ihn zugestürzt kam. Natürlich Kim Sanders. „Thomas, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“
„Kim? Wer hat dich denn auf die DANNAN gelassen.“
„Das war ich. Ich dachte du freust dich, wenn du den Einsatz überlebst“, meldete sich Theresa zu Wort. Neben ihr kam Kaname herein.
„Ich verstehe nur Bahnhof“, murrte Melissa. „Was war also wirklich los?“
Sagara räusperte sich verlegen. Nun, sein Auftritt hätte besser gewirkt, wenn er nicht von Weber und Clouseau in den Lazaretttrakt geschoben worden wäre. „Das unterliegt eigentlich der Geheimhaltung.“
„Es ist in Ordnung, Gun-so. Betrachten Sie den Einsatz als beendet. Sie können frei sprechen.“
„Danke, Chu-i Mardukas. Ich…“
„Vielleicht sollte ich besser anfangen“, sagte Theresa ernst. Aber die Miene wich bald einem Lächeln. „Dich bringt nichts um, oder, Thomas?“
„Habe noch nichts gefunden“, erwiderte der Deutsche lächelnd.
„Thomas, ich habe solche Angst um dich gehabt.“
„Nun, nun, reiß dich ein wenig zusammen, Kim. Ich lebe ja noch.“
Die junge Frau sah in aus tränenverschleierten Augen an. „Aber du könntest jetzt tot sein. Es hat nicht viel gefehlt, und nur weil Sousuke so schnell reagiert hat, kannst du jetzt in einem Bett liegen statt zwei Meter tief in der Erde.“
„Ich verstehe Ihre Erleichtung, Miss Sanders, aber die Anwesenden warten auf den Bericht von Agent Lukas.“
„Agent Lukas? Wer ist das?“
„Das bin ich. Und das ist der Auftakt für eine längere Geschichte.“
***
Nachdenklich nippte Kaname Chidori an ihrem Tee. „Also, wenn ich euch richtig verstanden habe, dann gibt es an Bord der FEANOR einen oder mehrere Amalgam-Agenten. Einen konntet ihr umdrehen und dafür hat der Geheimdienst ein riskantes Manöver ausgearbeitet, bei dem Thomas die Hauptrolle gespielt hat. Seine vermeintliche Degradierung, seine vorgetäuschte Entlassung, das provozierte Zusammentreffen mit Amalgam… Du riskierst gerne deinen Hals, was?“
Abwehrend hob Thomas die Hände. Das ging ganz gut, seit Kim ihn nicht mehr umklammerte wie eine Ertrinkende und artig neben seinem Bett auf einem Stuhl Platz genommen hatte.
„Befehl ist Befehl, Kaname-chan.“
„Das kenne ich irgendwoher“, brummte sie als Antwort und schielte zu Sagara, der unter diesem Blick heftig zusammenzuckte.
„Dein Auftrag war also, die Agenten an Bord der FEANOR ausfindig zu machen.“
„Das war ein Aspekt des Auftrags, ja. Deshalb wissen außer mir nur zwei Leute an Bord der FEANOR über meine Mission Bescheid. Aber ein ebenso wichtiger Bestandteil der Mission war es auch, den Bürgerkrieg in Rumänien zu beenden.“
Mardukas räusperte sich vernehmlich. „Ein erwünschter Nebeneffekt. Hauptziel der Aktion war es allerdings, die Venoms von Amalgam hervor zu locken und ihre Vernichtung zu ermöglichen. Agenten vor Ort haben bereits ihre Trümmer eingesammelt. Unsere Labors werden sie eingehend analysieren. Und natürlich ist da noch das Hauptziel der Aktion.“
Kalinin schmunzelte. „Die Basis von Amalgam in Rumänien. Meine Leute konnten sie finden. Major Kramer hat sie nervös gemacht, also haben sie Fehler begangen. Die Einsatzorder ist schon ergangen. Wir werden sie in zwei Tagen angreifen und dem Erdboden gleich machen. Das wird der dritte erfolgreiche Schlag gegen Amalgam, seit die FEANOR in Dienst gestellt wurde. Und hoffentlich treffen wir sie hart. Im Idealfall bricht der ganze Bürgerkrieg in der Region in sich zusammen.“
Mardukas erhob sich. „Ich denke, wir haben alles erfahren, was wir wissen wollten. Major Kramer, wir überlassen Sie nun sich selbst und Ihren Kopfschmerzen. Beeilen Sie sich mit dem gesund werden, wenn Sie beim Angriff dabei sein wollen.“
Kalinin und Mardukas nickten dem Deutschen noch einmal zu und verließen dann das Lazarett.
„So sieht das also aus“, brummte Melissa und grinste auf Thomas herab. „Uns solche Sorgen zu machen. Du bist mir ja einer. Das schreit doch geradezu nach einer Strafe.“
Sagara sprang ebenfalls auf. „I-ich glaube, ich habe noch was an meinem Arm Slave zu erledigen.“
„Und ich sollte mal wieder mein Gewehr reinigen“, sagte Kurtz Weber hastig.
„Ich muss noch einen Bericht nachreichen“, sagte Clouseau und schloss sich dem Deutschen und dem Japaner auf dem Weg hinaus an.
„Tessa, mach bitte die Tür zu“, sagte Melissa mit einem gemeinen Grinsen.
„Hab bitte Respekt vor einem todkranken Mann“, wehrte Thomas ab.
„Todkrank? Das waren wir auch, aber vor Sorge. Nicht, Kim?“
„Oh ja, das waren wir.“ Mit einem gefährlichen Lächeln erhob sich die junge Frau.

Auf dem Gang sahen sich drei Männer betroffen an, als erst ein unmenschlicher Schrei erklang, und danach das überforderte, japsende Lachen eines Atem schöpfenden Mannes.
„Maos Kitzelfolter.“ Sagara schüttelte sich. „Die steht auf der schwarzen Liste von Amnesty International.“
„Ist die wirklich so schlimm?“, fragte Kurtz. „Ich meine, es ist nur kitzeln und…“
Clouseau sah seinen Untergebenen ernst an. „Glauben Sie mir, Weber, es ist so schlimm.“
Wieder erklang das atemlose Lachen und erstarb. „Ich glaube, jetzt legt sie erst richtig los“, brummte Sousuke düster.
***
Es war für die Crew der FEANOR mehr als überraschend gekommen, als der Befehl zum sofortigen Auslaufen aus dem Styx-Hafen gekommen war. Die Kontrolle der Computersysteme war ersatzlos gestrichen worden und das Unterseeboot der Dannan-Klasse war in Höchstfahrt ins Schwarze Meer eingelaufen.
Dies hatte die Gerüchte unter den Besatzungsmitgliedern geradezu rotieren lassen, und nicht wenige wollten wissen, dass Thomas Kramer, der ehemalige Anführer der Falken, tot war.
Fünfzig Kilometer vor der rumänischen Küste, auf Höhe der Donau-Mündung hatte sie dann die DANNAN erwartet. Die Einheitsführer der DANNAN sowie die Arm Slave-Piloten waren daraufhin von den Transporthubschraubern der Wanderfalken auf die DANNAN gebracht worden, um ein gemeinsames Meeting abzuhalten. Dies war nicht die erste gemeinsame Aktion, und sicher würden noch viele weitere folgen. Aber dies war das erste Mal, dass die Besatzung der DANNAN gegenüber den Kameraden von der FEANOR so ausgesprochen wortkarg waren.

Als Tai-sa Testarossa und Kapitän Sander eintraten, sprangen die Soldaten im hoffnungslos überfüllten Raum auf und salutierten.
„Bitte rühren Sie“, sagte die Tai-sa. „Sie werden sich sicherlich wundern, warum wir das Treffen für den bevorstehenden Einsatz auf der TUATHA DE DANNAN abhalten. Ich werde Sie darüber informieren, warum dies geschieht. Die FEANOR hat Doppelagenten von Amalgam an Bord. Um die Operation nicht zu gefährden, finden alle Taktikbesprechungen ausschließlich auf meinem Schiff statt. Wir hoffen, dass wir die Doppelagenten vor dem Einsatz eliminieren können. Sicher sind wir uns da nicht. Aber kommen wir zum Einsatz. Kapitän Sander.“
Der große Deutsche nickte Testarossa zu und sah in die Runde. „Dies ist die Lage. Wie wir vermutet haben unterhält Amalgam in Rumänien eine große Basis, mit der die Organisation den Bürgerkrieg in diesem Land und anderen Ländern manipuliert, um den Kampf am laufen zu halten. Der Kampf der Befreiungsarmee aber hat Amalgam aus der Reserve gelockt. Anstatt das Geschehen im Hintergrund zu manipulieren hat sie drei Arm Slaves vom Typ Venom ausgesandt. Alle drei wurden trotz Lambda Driver vernichtet.
Unsere Agenten in Rumänien konnten den Weg der drei Venom-Einheiten zurückverfolgen und haben dabei die Basis identifiziert. Auch andere Quellen, unter anderem die Daten, welche die FEANOR neulich in Rumänien sicher gestellt hat, sprechen von dieser Region, sodass wir sicher sein können, es hier mit dem Hauptquartier Amalgams in Rumänien zu tun zu haben. Sie können sich sicherlich denken, was wir jetzt von Ihnen erwarten. Vernichten Sie die Basis von Amalgam und erlauben Sie damit Rumänien, den Bürgerkrieg endlich hinter sich zu lassen. Nebenbei versetzen Sie Amalgam einen der schwersten Schläge der letzten Zeit.“ Sander ließ seinen Blick schweifen und schien jeden einzelnen persönlich ins Auge zu fassen. „Diese Informationen sind klassifiziert und dürfen außerhalb der Wände dieses Schiffes nicht gesprochen werden, nicht einmal gedacht.
Alles weitere wird Ihnen der Anführer der gemeinsamen Operation von TUATHA DE DANNAN und FEANOR erklären. Bitte beachten Sie dabei, dass Major sein tatsächlicher Rang ist und er nicht ehrenhalber temporär befördert wurde, wie es die Tradition bei einem Captain der Bodentruppen verlangt. Bitte Chu-sa Mardukas.“
Der asketische Erste Offizier nickte und öffnete die Tür.

Als der große, breitschultrige Mann eintrat, klappten den meisten Besatzungsmitgliedern der FEANOR die Kinnladen nach unten, während die DANNAN-Leute einander amüsierte Blicke zuwarfen. Die Überraschung war ihnen vollkommen gelungen.
Thomas Kramer trat ein, stellte sich vor die Einheit und lächelte in die Runde. „Mit sofortiger Wirkung übernehme ich das Kommando über diesen Einsatz und speziell über die Arm Slave-Abteilung der FEANOR. Ist das in Ordnung für dich, Sam?“
Weiter kam er nicht, denn die Arm Slave-Pilotin war aufgesprungen und ihm um den Hals gefallen. „THOMAS!“
Auch die anderen Kameraden von der FEANOR hielt es nicht mehr auf den Plätzen. Sie waren vielleicht nicht alle so energisch wie Lieutenant Rogers, aber der Major musste so manchen gut gemeinten Knuff einstecken.
„Wie ist das möglich? Was ist hier passiert?“, fragte Sam unter Tränen.
„Es war ein geheimer Einsatz, der mir von der Admiralität vorgeschlagen wurde. Ich sollte die Doppelagenten aus der Deckung locken, die Befreiungsarmee Rumänien gründen und Amalgam in Rumänien vernichten.“
„Was? Nicht auch noch die Welt retten?“, scherzte Colonel Santos und klopfte dem Deutschen hart aber herzlich auf die Schulter.
„Laut meinem Vertrag muss ich pro Monat nur ein unmögliches Wunder vollbringen“, scherzte Thomas. „Nun ist aber gut, Leute. Entschuldigt, dass ich euch so übel mitspielen musste. Entschuldige, dass ich nicht mal meinem Stellvertreter etwas sagen durfte. Aber wir haben zwei von drei Zielen erreicht. Und ich verspreche, dass ich so schnell nicht wieder zu so einer Mission aufbrechen werde.“
„Versprochen?“
„Versprochen, Sam. Und nun lass mich los, Timothy wird ja schon eifersüchtig.“
„G-gar nicht wahr!“
„Wieso nicht?“
Diese Antwort verwirrte den Kampfhubschrauberpilot. „Äh.“
„Setzt euch bitte alle. Ich will den Angriff erklären.“
Nach ein paar weiteren Minuten Tumult, der von den Leuten der DANNAN lächelnd hingenommen worden war, hatten die Offiziere der FEANOR ihre Plätze wieder eingenommen.

„Unser Ziel liegt in den Nordkarpaten. Genauer gesagt auf den Nordkarpaten. Es heißt Burg Tauenstein und ist auf den ersten Blick ein verlassenes altes Gemäuer, in dem man jederzeit einen Vampirfilm drehen könnte. Aber das ist nur Fassade.“
Hinter Thomas erwachte die Leinwand zum Leben und zeigte eine Burg mit Hauptgebäude, hoher Außenmauer und Wachttürmen. Es war eine Satellitenaufnahme, die nahe auf den Boden zoomte. Auf den ersten Blick war nichts zu sehen, aber als der Zoom weiter hinab ging, erkannte man Soldaten in Tarnbekleidung, die auf dem Gelände patrouillierten.
„Die Burg ist nur Fassade. Eigentlich nicht mehr als eine Ablenkung. Das alte Hauptgebäude wird zwar genutzt, als Stabsgebäude und Unterkunft, aber unser Hauptziel liegt unter der Burg, mitten im Berg. Es handelt sich dabei um eine ehemalige Sowjetfestung, die während des Bürgerkrieges ausgegeben wurde. Amalgam hat sie sich angeeignet und rüstet dort Arm Slaves aus. Von hier koordiniert Amalgam den Bürgerkrieg in Rumänien, vielleicht sogar in allen osteuropäische Staaten.“
Thomas Kramer machte eine viel sagende Pause. „Und das beenden wir. Wir radieren diese Basis aus.
Chu-i Clouseau, Lieutenant Rogers, die beiden Arm Slave-Einheiten werden zusammen gefasst. Wir werden über der Burg abgeworfen. Während des Anflugs und kurz danach müssen alle Verteidigungsstellungen ausgeschaltet werden.“
Die Karte zoomte neuralgische Punkte in der Burg und vor der Mauer heran. „Wie Sie sehen, hat Schloss Tauenstein eine sehr gute Verteidigung als Minenfeldern und automatischen Abwehrstellungen, wie sie uns noch von der südchinesischen Festung bekannt sind. Auch die Luftabwehr ist sehr gut, wir vermuten Raketenstellungen, die mit dem Seeker ausgerüstet sind, jenem Raketentyp, der die Partikeltarnung entdeckt und das Ziel zerstört. Dennoch ist das eindringen über dem Luftraum, genauer gesagt direkt über der Burg die einzige große Schwäche in der Verteidigung. Denn die meisten Abwehrmaßnahmen zeigen aus der Burg raus.
Wir vermuten sechs bis acht Raketenwerfer, die mit Seeker ausgerüstet sind. Sie haben maximal vier Schuss. Meine Frage ist, schaffen wir es sie abzuschießen, bevor wir getroffen werden?“
„Natürlich schaffen wir das“, sagte Sagara trocken, und die anderen Arm Slave-Piloten stimmten zu.
„Ich würde den Angriff gerne von einem Luftschlag unserer Super Harrier begleiten lassen, aber wir werden die Flieger während der Aktion als Observation und als Reserve brauchen. Wenn jemand Amalgam zu Hilfe eilt, können die schnellen und wendigen Jets am besten reagieren. Also führen die Arm Slaves diesen Erstschlag aus. Der Überraschungsmoment muss auf unserer Seite sein. Sobald wir die Oberflächenverteidigung ausgeschaltet haben, kommen unsere Kampfhubschrauber und die Transporter nach. Ziel ist es, in den Hangar unter dem Schloss einzudringen, den Gegner niederzukämpfen und soviel Material und so viele Gefangene wie möglich zu machen. Anschließend vernichten wir den Hangar. Fragen dazu? Ja, Tim?“
„Thomas, warum hast du wieder die coolste Aufgabe für dich ausgesucht?“
„Dumme Frage. So bin ich halt. Noch jemand?“
„Mit wie viel Widerstand rechnen wir?“
„Nun, Major Karasov, die letzte Versorgungslieferung für das Schloss lässt auf gut zweihundert Esser schließen. Rechnen Sie sich den Rest aus. Einfach wird es jedenfalls nicht.“
„Danke für die Warnung.“
„Gern geschehen. Weitere Fragen?“
„Was machen wir, wenn Amalgam noch einen Venom hat, der den Lambda Driver aktiviert?“
„Hm. Sousuke?“
„Lassen Sie das meine Sorge sein. Ich kümmere mich darum.“
„Das beantwortet meine Frage.“
„Gut. Noch jemand? Nein? Dann kann es ja losgehen. Aktionsbeginn ist in einer Stunde ab jetzt.“

8.
Gerüchte waren so eine Sache. Sie verbreiteten sich angeblich mit Lichtgeschwindigkeit, und auf einem Unterseeboot war es noch schlimmer. Dort schienen sie warpen zu können. Die Folge war, dass selbst die kleinste Andeutung, die von den Offizieren fallen gelassen wurde, die bei der Besprechung auf der DANNAN gewesen waren, dreimal im Schiff durch war, bevor sie richtig ausgesprochen hatten. Aber der Gerüchte bedurfte es eigentlich nicht, denn die Tatsache, dass Thomas Kramer nicht nur wieder an Bord kam, sondern auch neue Abzeichen am Kragen trug, war Sensation genug.
Und während die einen den frisch beförderten Arm Slave-Piloten feierten, zogen sich andere möglichst weit zurück, um diese außergewöhnliche Entwicklung weiter zu melden.
Tatsächlich hatte ein weiblicher Sanitätsmatrose nach dieser erstaunlichen Enthüllung nichts besseres zu tun, als im Lager intensiv Inventur zu halten. Nun, dass die Inventur auch die Inspektion eines geheimen Anschluss an das Funknetz der FEANOR sowie das absetzen einer Warnung beinhaltete, war der interessante Aspekt.
Die Nachricht war schnell formuliert und würde ohne weiteres im normalen Funkverkehr mit der DANNAN versteckt werden können. Die Horchposten an der Küste würden die verschlüsselte Nachricht innerhalb des chiffrierten Funkverkehrs entdecken, aufnehmen und entsprechend deuten können. Sie würde ihren Job tun und wieder etwas reicher werden.
„An Ihrer Stelle würde ich das nicht tun, Sailor“, klang eine kräftige Männerstimme auf.
Die Frau wandte sich um und sah direkt in die Dienstpistole des Rudergängers Tarkan Adebi. „Heben Sie die Hände hoch, wo ich sie sehen kann. Dann stellen Sie sich an die Wand. Wenn Sie kooperieren, wird Ihnen nichts geschehen.“
Die rechte Hand der Frau zuckte vor, aber Adebi ließ sich davon nicht überraschen. Eine Kugel zerstörte den illegalen Zugang. „Letzte Warnung.“
Das gab den Ausschlag. Gehorsam stellte sich die Frau mit erhobenen Händen an die Wand.
„Adebi hier. Ich habe meinen eingesagt. Wie sieht es bei Ihnen aus, Captain?“
„Wir haben die anderen beiden. Die Streife ist auf dem Weg. Hoffentlich haben wir damit alle.“
„Es sind zwei mehr als mir bekannt waren. Also kann es das gewesen sein.“
„Hoffentlich.“
Adebi deaktivierte seinen Funk wieder.
„Sie haben uns also verraten? Warum?“, fragte die Gefangene mit bitterem Unterton.
„Wegen meinem Glauben. Ich glaube einfach nicht, dass Amalgam es wert ist für sie zu sterben.“ Nachdrücklich legte er der Frau Handschellen an.
***
Die Terwaz- und Wanderfalken-Einheiten brachten die Arm Slaves an Land. Auf einem provisorischen Flughafen wurden sie auf Transportflugzeuge verladen. Diese würden in sechzehn Kilometern Höhe das Zielobjekt passieren und dabei die Arm Slaves abwerfen.
Jeder einzelne Pilot war ein Könner auf seinem Gebiet, und es konnte erwartet werden, dass, wenn er schon nicht innerhalb der Schlossmauern landete, so doch die Aktion von außen unterstützte.
Um möglichst schnell entladen zu können, würden die Arm Slaves über die Schienen ausgeworfen werden. Geschwindigkeit war Trumpf, um das kleine Zeitfenster zu treffen, in der ein direkter Sprung in den Innenhof möglich war. Oder zumindest die Chance, mit Hilfe des Gleitschirms in den Schlossbereich zu steuern.
Als das rote Warnsignal erklang, spannte sich Thomas an. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, mit Kopfschmerzen, Brüchen und dergleichen zu kämpfen, aber darauf achtete er nicht wirklich. Im Gegenteil, es erfüllte ihn mit großer Euphorie, dass das Versteckspiel endlich vorbei war. Und dass er für diese Aktion sowohl seine Falken als auch die Urzu-Einheiten befehligen durfte. Dabei spielte natürlich sein neuer Rang als Major eine wichtige Rolle, den er als Belohnung für die Geheimaktion erhalten hatte.
Und auch das war endlich vorbei. Er irritierte seine Kameraden nicht mehr, hatte seinen Job wieder und nebenbei ein ganzes Land gerettet.
Die Idee, ausgerechnet in Rumänien den Hebel anzusetzen, der vielleicht die gesamte Bürgerkriegszone befrieden konnte, hatte ihm von Anfang an gefallen. Aber es war nicht seine Idee gewesen. Von Anfang an hatte eine Geheimloge von Exil-Rumänen existiert, die in jahrelanger Vorbereitung die Wiederherstellung des Friedens in ihrem Land betrieben hatte. Er war für dieses Projekt nur der Vorzeigeoffizier gewesen, und da die Chance bestanden hatte, Amalgam auf die Füße zu treten, hatte sich ein riskantes Projekt entwickelt, in der beide Seiten profitieren würden.
Mit der Gräfin als Galeonsfigur war es gelungen, mehr und mehr eigentlich feindselige Truppen unter einem Banner zu vereinen, ein Jahrzehnt der Vorbereitung war dank dem Charme und dem Eifer der jungen Deutschen erfolgreich abgeschlossen worden. Das Ergebnis war die Eroberung eines ganzen Landes gewesen, dass nun wirklich, wirklich die Chance hatte, dem Menschenverachtenden Moloch Bürgerkrieg zu entkommen. Wenn er mit den Falken und den Urzus hier nicht patzte.
Grün flammte auf, eine Sirene schnarrte ihre Warnung hinaus und sein Falke eins wurde als erstes hinaus geschossen. Die anderen folgten in schnellem Rhythmus.
Sie würden mehr als fünfzehn Kilometer fallen, bevor die Fallschirme geöffnet wurden. Aber bis dahin hatten die Raketenabwehrstellungen vielleicht schon die Partikeltarnung geortet und angegriffen.
Da es egal war, ob ihre Partikeltarnung geortet würde oder man die elf Arm Slaves optisch erfasste, aktivierten die Mithril-Piloten ihre Tarnung sofort. Ein Arm Slave nach dem anderen verschwand im Nichts.
„Bleibt wachsam“, mahnte Thomas seine Leute.

Die ersten zehn Kilometer geschah nichts, aber dann meldeten die Künstlichen Intelligenzen Raketenabschüsse.
„Boogies, kommen schnell näher, acht Stück“, klang Sagaras routinierte Stimme auf. „Entfernung sechs Kilometer. Fünf Komma acht. Fünf Komma sechs.“
„Weber, Ben Brahim.“
„Verstanden!“
Die beiden Scharfschützen nahmen Ziel auf, als Sousuke mit seiner Zählung unter einem Kilometer angekommen war.
Beide Schützen schossen, wechselten sofort die Ziele und schossen erneut. Weber war dabei ein klein wenig schneller mit seinen vier Raketen fertig.
„Neue Salve, erneut acht Boogies, kommen schnell näher. Entfernung vier Kilometer. Drei Komma acht. Drei Komma sechs.“
„Feuer frei nach eigenem Ermessen.“
Auch diese Salve wurde erfolgreich abgefangen. Aber Thomas konnte sich vorstellen, was nun dort unten los sein musste. Multiple getarnte Ziele, im Anflug auf die Burg, zudem außer Reichweite der meisten Abwehrstellungen, musste die Amalgam-Söldner aufscheuchen wie ein Fuchs einen Hühnerhof.
Endlich öffnete sich Kramers Fallschirm. Es gab einen kräftigen Ruck, und schon befand er sich im Gleitflug. Thomas zog seine eigene Waffe, visierte die Hitzequellen an, die als Abschussstellen der Raketen markiert waren und gab eine lange Salve ab. Diese Stellung würde jedenfalls nicht mehr auf ein mit Partikeltarnung geschütztes Ziel feuern.
Nun schlug ihnen konventionelles Feuer entgegen, aber es glich eher dem Tasten eines Blinden im Dunkeln.
Zwar konnten die Fallschirme nicht von der Tarnung erfasst werden, aber in der Finsternis waren sie auch nicht mit bloßem Auge zu erkennen. Dementsprechend gab es auch nur ein paar läppische Glückstreffer.
Als Thomas seinen Schirm abwarf und die letzten fünf Meter zu Boden stürzte war das Schicksal des Amalgam-Stützpunktes besiegelt.
„Zuerst der Innenhof. Danach die Außenstellungen“, befahl er und schoss auf eine MG-Stellung, die in den Innenhof der Burg hielt, ohne etwas zu treffen.
„Roger!“
Vier seiner Falken erklommen die Burgmauer, unterstützt von Urzu sechs.
Explosionsgeräusche zeugten von ihrer Effektivität.
Aus dem Wohngebäude stiegen Stinger-Raketen auf und fuhren harmlos und ohne Ziel durch die Luft, aber Chu-i Clouseau beantwortete den Angriff dennoch mit einer Salve. Es brauchte nur einen glücklichen Treffer, um einen Urzu oder einen Falken ernsthaft zu behindern oder sogar auszuschalten.
„Draußen ist sauber, Boss“, meldete Falke fünf.
„Wanderfalken, Terwaz-Einheit. Gelände ist sauber. Ihr könnt reinkommen. Falken, Urzu-Einheit, achtet auf verborgene Stellungen, die auf unsere Hubschrauber schießen. Ich will niemanden wegen einer Nachlässigkeit verlieren.“
„Roger!“
***
Das war es also. Mr. Conrad betrachtete sein Büro innerhalb des Hangars unter Burg Tauenstein. Er hatte schon viele solche Büros in den verschiedensten Anlagen gehabt, aber ihm war nie bewusst gewesen, dass dieses sein letztes sein würde.
Nun würde also geschehen, was er bisher für unmöglich gehalten hatte. Er würde dem Gegner in die Hände fallen. Mit einer fahrigen Geste wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte es gewusst. Er hatte es verdammt noch mal gewusst. Und dieser elende Kramer mit seine Schmierenkomödie war Schuld daran gewesen.
Pah, Tomahawk-Raketen mit Hilfe eines gehackten Befehlscode abfeuern, das war doch ein Ding der Unmöglichkeit! Eine Provokation war es gewesen, und für Kramer die Möglichkeit, wieder unterzutauchen. Conrad zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass der First Lieutenant noch lebte und sogar bei den angreifenden Arm Slaves war, sie vielleicht sogar anführte.
Kurz ging sein Blick auf die schussbereite Pistole auf seinem Schreibtisch. Dann schob er sowohl die Waffe als auch den Gedanken weit weg. Er war nützlich. Ein Wissender. Mithril würde sowohl sein Leben als auch sein Wissen hoch einschätzen, ihn am Leben lassen und wahrscheinlich sehr gut behandeln, um ihn bei Laune zu halten. Und am Leben zu bleiben war jetzt seine einzige Priorität.
Draußen auf dem Gang kam das Geräusch der Schusswaffen immer näher. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie würden hier sein.
Mr. Conrad straffte sich. Es wurde Zeit, die Karten richtig auszuspielen. Also zog er die Pistole wieder zu sich heran, entlud sie und legte Magazin und leere Waffe gut sichtbar auf den Schreibtisch. Zudem legte er beide Hände auf den Schreibtisch. Er würde den Mithril-Infanteristen keine Ausrede in die Hand geben, um ihn zu erschießen.
„Es ist sehr schade, dass Sie sich dagegen entschieden haben, den Freitod zu wählen. Das hätte es mir erspart, selbst für Ihr Ende zu sorgen.“
Irritiert sah Mr. Conrad auf. Diese Stimme… Das war doch… „Leonardo, was…“
„Dies ist nur eine Bandaufzeichnung. Ich bin nicht wirklich hier, denn im Gegensatz zu Ihnen begebe ich mich nicht in aussichtslose Situationen. Aber ab und an muss ich hinter anderen her aufräumen. Nehmen Sie das was jetzt kommt nicht persönlich, Mr. Conrad.“
„Warten Sie! Leonardo, das ist doch nicht Ihr Ernst! Sie können doch nicht…“
Ein Flimmern an der Wand ließ den dicken Mann erschrocken herum fahren. Das Flimmern wurde stärker, und plötzlich stand dort… Was? Ein Mann in einer Gefechtsrüstung? Ein Arm Slave? Aber so klein?“
„Sie müssen den Befehl nicht ausführen!“, sagte Conrad hastig. „Sie können…“
Weiter kam er nicht. Erbarmungslos schloss sich die Rechte des Fremden um seinen Hals.
So passierte es also. Es tat weh. Und es war ungerecht. Dieser verdammte Kramer. Und dieser verfluchte Leonardo. Mit seinem letzten Gedanken wünschte er beiden die Pest an den Hals. Dann starb er.

Als Sekunden darauf die Infanterie das Büro stürmte, fanden sie nur noch einen zu tode gewürgten Mann vor. „SANITÄTER!“
Thomas Kramer trat ein paar Minuten später ein, als ersichtlich wurde, dass jede Hilfe für den Mann zu spät kam.
„Die Kehle wurde ihm eingedrückt. Von einer sehr starken mechanischen Kraft“, sagte der Sanitäter. „Er hatte keine Chance.“
„Es ist gut. Präparieren Sie die Leiche und bringen Sie sie dann zu den anderen.“ Er sah dem Toten in die leblosen Augen. „Sie sind ein Arschloch. Sie entziehen sich meiner Chance, einmal Ihnen überlegen zu sein, mein Guter.“ Thomas weinte dem Mann keine Träne nach, bestimmt nicht einem Mann, der direkt und nachhaltig für das Elend in den Flüchtlingslagern mit verantwortlich war. Aber es enttäuschte ihn bitter, dass er sich für die rüde Behandlung in Kumanovs alter Villa nicht hatte revanchieren können.
„Suchen Sie den Täter. Weit kann er noch nicht gekommen sein.“
„Jawohl, Sir.“

9.
Ein wenig schreckte Anica von Friedheim zurück, als sie den fremden jungen Mann ihr Büro betreten sah. Die einfache, grüne Felduniform hätte aus so ziemlich jeder Armee dieser Welt stammen können, aber eine innere Stimme gab ihr ein, dass dieser Mann von Mithril war.
Und Mithril war bis vor kurzem ihr Verbündeter gewesen und es vielleicht immer noch.
„Was kann ich für Sie tun, Sir?“, fragte sie geschäftsmäßig und wieder auf die Dokumente auf ihrem Schreibtisch. „Ich bitte Sie, gleich auf den Punkt zu kommen. Ich habe hier ein Land wieder aufzubauen.“
„Wie lange es dauert, wird ganz bei Ihnen liegen, Gräfin“, antwortete der junge Mann, und ein eisiger Schauer ging ihr über den Rücken. Diese Stimme… Ja, dieser Mann hatte Thomas getötet. Konnte, durfte sie ihm dafür gram sein? Er hatte seine Pflicht getan, oder? Und Blatic hatte die Lücke danach gut gefüllt, und… Nein, das machte es alles nicht leichter, diesen Mann verloren zu haben. War sie auf Rache aus? Unwillkürlich verharrte sie, als ihr bewusst wurde, wohin ihre Rechte gerade hatte langen wollen. „Erklären Sie sich. Und vor allem, identifizieren Sie sich.“
„Gun-so Sousuke Sagara, Mithril, Pazifik-Flotte.“
„Und was wollen Sie von mir, Gun-so Sousuke Sagara, Mithril, Pazifik-Flotte?“
„Ich bin hier, um Sie darüber zu informieren, dass wir das Hauptquartier von Amalgam zerschlagen haben. Wir werden weiterhin Agenten in diesem Land haben, um ein Auge darauf zu haben, ob Amalgam den vernichteten Einfluss wiederherzustellen versucht. Und wir werden in den umliegenden Ländern, in denen der Bürgerkrieg immer noch tobt, nach dem in Rumänien bewährten Muster intervenieren, soweit uns das möglich ist. Dabei hoffen wir natürlich auf ein stabiles und sicheres Rumänien in unserem Rücken.“
„Natürlich, Gun-so. Die neu aufgestellte große Koalition hat die Stabilität und die Sicherheit in diesem Land zur obersten Priorität gemacht. Bereits jetzt ist die Lage so sicher, dass die internationalen Hilfstransporte wieder ins Land kommen. Reicht Ihnen das als Antwort?“
„Natürlich, Gräfin.“
„War es das jetzt, oder haben Sie noch mehr zu bereden?“
„Nun, eine Sache gibt es da wirklich noch, aber die ist eher privater Natur. Gestatten Sie, dass ich meinen Begleiter herein rufe?“
Elektrisiert erhob sich die Gräfin. THOMAS! Er konnte, er musste es sein! Nichts brachte diesen Mann so schnell um! „Natürlich, Gun-so!“
Sagara ging zur Tür, winkte in den Gang und trat dann beiseite.
Als dann eine junge Frau eintrat, wäre sie vor Enttäuschung fast zusammengebrochen. War er also doch tot? War sie eine Närrin gewesen, sich Hoffnungen darauf zu machen, dass dieser Mann nicht gestorben war? War…
„MARLENE!“ Ungläubig legte die Deutsche die Hände vor ihren Mund und starrte die junge Frau an wie einen Geist. Konnte das wahr sein? War an Stelle von Thomas ihre geliebte kleine Schwester von den Toten auferstanden?
„Hallo, Anica.“
Eilig kam sie um den Schreibtisch herum und nahm ihre kleine Schwester in die Arme. „Marlene, ich dachte du wärst tot! Ich dachte, ich hätte dich in den Tod geschickt und… Lass dich ansehen!“
„Es geht mir gut. Mithril hat mich gerettet und im Moment bin ich in einem Forschungsprogramm.“
„Forschungsprogramm?“, argwöhnte die Gräfin. „Forschungsprogramm?“
„Du weißt also etwas? Du weißt über die Black Technologie Bescheid?“
„I-ist das nicht egal? Du bist doch wieder da, du lebst und ich…“
„Nein, es ist nicht egal. Wenn du mir keine Antworten geben kannst oder willst, muss ich sie mir selber suchen. Aber dennoch, es tut mir gut, dich wieder zu sehen. Es ist viel zu lange her.“
„Du bist ganz schön selbstbewusst geworden, junge Dame.“
„Das habe ich von meinem Beschützer.“ Sie zwinkerte Sagara zu, der sich dabei versteifte.
„Und du kannst mir wirklich nichts über die Black Technologie sagen?“
„Es ist nicht, dass ich nicht will, Marlene. Es ist nur, dass ich nicht viel darüber weiß. Vater hätte dir Antworten geben können, aber seit er verschwunden ist…“
„Ja. Leider. Schade. Ein Tipp wäre nett gewesen. Ein Hinweis, irgendwas. Aber es ist nicht so schlimm. Ich arbeite zur Zeit mit Spezialisten und werde selbst so viel wie möglich herausfinden.
Sousuke, du kannst gerne einen Kaffee trinken gehen. Ich werde mich noch einige Zeit mit meiner Schwester unterhalten.“
„Sicher, Kim?“
„Sicher.“
„Kim? Warum nennt er dich Kim?“
„Mein Deckname. Ich heiße bei Mithril Kim Sanders. Falls du mal einen Brief mit diesem Absender bekommst, der ist von mir.“

Sagara sah ein letztes Mal zurück, dann trat er auf den Gang hinaus.
Neben So-sho Mao saß ein groß gewachsener Mann, der seine Uniformmütze tief ins Gesicht gezogen hatte.
„Ich soll einen Kaffee trinken gehen, weil die beiden noch reden wollen.“
„Eine gute Idee. Irgendwo habe ich eine Kaffeemaschine gesehen“, sagte Mao und erhob sich. „Und du willst da wirklich nicht rein, Thomas?“
„Ich glaube, es reicht mir vollkommen, auf eine der Friedheim-Schwestern aufpassen zu müssen, Melissa. Beide würden mich auf die Dauer umbringen.“
„Das ist doch wenigstens ein Argument. Hast du keine Angst, dass dich hier jemand erkennt?“
Thomas schob seinen Hut ein wenig hoch und grinste Mao an. „Hast du was dagegen, wenn ich hier zur Legende werde?“
„Meinetwegen. Kommst du mit, einen Kaffee trinken?“
Der Schirm landete wieder tief im Gesicht des Deutschen, als er sich erhob. „Ich bin dabei. Sousuke?“
„Komme.“

Epilog:
„So, nachdem Chidori-kun und Sanders-kun endlich wieder am Unterricht teilnehmen können, sind wir wieder vollständig“, sagte Kagurasaka-sensei. „Bitte gebt mir nächstes Mal nicht erst zwei Tage später Bescheid, wenn Ihr wegen einer Familienangelegenheit nach Europa müsst.“
Die beiden Mädchen lächelten verlegen.
„Und was dich angeht, Sagara-kun, von dir hätte ich erwartet, dass du dich korrekt abmeldest!“
Sousuke sah auf. „Ma´am, die Umstände ließen eine offene Informationspolitik leider nicht zu!“
„Was auch immer. Ich habe jedenfalls noch eine gute Nachricht für euch. Es ist noch jemand zurück gekommen. Kramer-sensei“
Die Klassentür ging auf, und der hoch gewachsene Deutsche trat ein. Er sah in die Runde und winkte. „Hallo, zusammen. Es tut mir Leid, dass ich euch neulich so überraschend verlassen musste, aber es ging wirklich um Leben und Tod. Dafür kann ich euch aber versprechen, dass ich euch bis zum Ende des Schuljahrs erhalten bleibe.“
Der Rest seiner Worte ging in der Begeisterung seiner Schüler unter.

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Ace Kaiser,
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Episode fünf: Sternenregen

Prolog:
„Auf die Plätze, fertig, los!“
Fünf Männer und drei Frauen liefen zugleich los und versuchten die Kurzstrecke von einhundert Metern so schnell wie möglich zu überwinden. Dies war Teil des vierteljährlichen Fitness-Tests von Mithril, und er entschied wesentlich über die Einsatzbereitschaft der Soldaten und Offiziere.
Johann Sander betrachtete den Eifer seiner Leute mit Zufriedenheit. Es war heiß auf dem Sportgelände der Styx-Basis, aber dies tat der Aktivität keinen Abbruch. Die Leute wollten zeigen, was sie drauf hatten.
Nachdem die Indienststellung der FEANOR so hart erkämpft worden war, nachdem sie nun schon sieben zum Teil schwerwiegende Missionen absolviert hatten, nachdem sie mehrmals Verräter aus ihren eigenen Reihen eliminiert hatten, wollte niemand Schuld daran sein, wenn der Aktiv-Status der FEANOR wieder aberkannt wurde. Es war zu viel geschehen. Zu viele gute Leute waren gestorben und sie hatten auch viel zu viel erreicht.
Sander senkte den Blick und kontrollierte seine Notizen. Soweit er es überblicken konnte, waren die Superharrier-Piloten im Schnitt am fittesten. Das lag sicher nicht zuletzt daran, dass das Kommando unter Captain Alexi Valeri täglich Aerobic absolvierte, ein Trainingsprogramm, das die U.S. Air Force speziell für ihre Kampfpiloten entwickelt hatte, um die Männer und Frauen auf dem besten Stand ihrer Fitness zu halten. Darüber hinaus hatten die Kampfpiloten natürlich das dringende Bedürfnis nicht gegen die Arm Slave-Piloten zu verlieren.
Die Truppe wurde derzeit von First Lieutenant Samantha Rogers angeführt. Ihr direkter Vorgesetzter, Major Thomas Kramer, befand sich noch immer in Tokyo, aber das tat dem Eifer der Truppe keinen Abbruch. Im Gegenteil. Die drei Zwei Mann-Teams gaben ihr Bestes, um in den kleineren Einsätzen und den Fitness-Tests überragende Ergebnisse zu erzielen.
Zu viel war geschehen, gerade für die Piloten der riesigen Kampfroboter, als dass sie sich davon hätten zurückwerfen lassen, dass ihr exzellenter Anführer einen Bodyguard-Job in Japan übernommen hatte, anstatt seine Truppe an zuführen.

Johann Sander ächzte müde und rieb sich die Augen. War seit der erfolgreichen Revolution in Rumänien wirklich erst ein Vierteljahr vergangen? Das Ende des Bürgerkrieges in dem ehemaligen Ostblockland unter der Federführung der Gräfin von Friedheim hatte enorme Auswirkungen auf die von Bürgerkriegen zerrissene Region gehabt. Wenn es gelang, dieses eine Land stabil zu halten, dann würde der große Arm Slave-Spielplatz, als den sowjetische und westliche Firmen den Unruheherd missbraucht hatten, in sich zusammenklappen wie ein Kartenhaus. Und damit würden auch die Bürgerkriege in den anderen Nationen rund um das Schwarze Meer endlich ihr Ende finden. Ob sich Thomas Kramer überhaupt bewusst war, was seine geheime Mission in diesem Land bewirkt hatte? Ob er ahnte, dass er unter den Arm Slave-Soldaten der neu gegründeten Landesverteidigungsarmee längst wie eine Sagengestalt behandelt und verehrt wurde? Selbst sein Tod, sein vermeintlicher, wohlgemerkt, inszeniert von Sergeant Sagara, war in diese Legende eingebaut worden. Und nicht nur die Soldaten, gerade die Menschen in dem Land, die nach einer Leitfigur lechzten, die einen Helden gebraucht hatten, sahen seinen Tod nicht als erwiesen an. Nein, solange seine Leiche nicht vor ihnen lag, konnte Kramer auch nicht tot sein. Dass sie damit mehr als Recht hatten, stand auf einem anderen Blatt.
Jedenfalls gab es seither immer wieder Gerüchte über einen Soldaten, manchmal auch über einen Arm Slave, der unvermittelt in Gefahrensituationen erschien, Banditen oder marodierende Söldner abstrafte und wieder verschwand. All dies wurde Kramer zugeschrieben. Nun, in einigen Fällen hatten sie sogar indirekt Recht, waren es doch Aktionen von Mithril gewesen. Ein großer Teil jedoch war Wunschdenken, entstanden aus dem Bedürfnis nach einer Leitfigur, einem Helden. Einem modernen Heiligen.
Letztendlich verstärkte Sander die Legende mit jeder Aktion seiner Untergebenen, Rumänien fiel in seinen Aufgabenbereich, und damit hatte der militärische Arm von Mithril auch die Pflicht, das zu beschützen, was andere im Namen der Menschlichkeit gewonnen hatten. Einsätze in diesem Land und den anderen Bürgerkriegsnationen waren nicht täglich auf der Tagesordnung, kamen aber vor und waren oft genug notwendig.

Müde streckte der Captain der FEANOR die Füße aus. Er hatte den Test als Erster absolviert und beeindruckend bewiesen, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehörte. Im Gegenteil, er hatte seine Laufzeit auf hundert Meter um eine Zehntel Sekunde unterboten. Er war vielleicht vierzig, aber er war noch lange nicht alt.
Dennoch wäre es ihm eine große Erleichterung gewesen, wenn Thomas Kramer aufhören würde, für die junge Kim Sanders – die Schwester der Gräfin Anica von Friedheim, wie Thomas während seines Einsatzes herausgefunden hatte – den Schutzengel zu spielen und zu seiner Einheit zurückzukehren. Sein Arm Slave-Team war gut, und Sam eine exzellente Kommandeurin. Aber Kramer war ein Ausnahmepilot wie Clouseau und Sagara. Mit ihm wurden die Arm Slaves der FEANOR erst exzellent.
„Kaffee oder lieber was kaltes?“, erklang die Stimme seiner Stellvertreterin hinter ihm.
„Kaffee, bitte.“
Commander Allister stellte eine dampfende Tasse schwarzen Kaffees vor Sander ab. Dabei huschte für einen Augenblick ein Lächeln über ihr Gesicht.
Fragend runzelte Sander die Stirn.
„Ach, nichts, nichts. Ich habe nur vorhin die Prüfung zum dritten Dan in Karate erfolgreich abgelegt. Ich bin vielleicht etwas zufrieden mit mir.“
Sander schmunzelte und nippte an seinem Kaffee. „Es kommt selten genug vor, dass du mit einer Situation zufrieden bist, Sharon. Oder mit jemandem.“
Die Erste Offizierin der FEANOR ließ einen klagenden Ton vernehmen. „Sei nicht so ungerecht, Johann. Ich weiß selbst, dass ich einige Defizite habe und meistens zu hart zu den Leuten bin. Aber genau deshalb hast du mich doch auch ausgesucht. Du bist das Zuckerbrot, und ich bin die Peitsche. Zusammen geben wir einen erstklassigen Kapitän für die FEANOR ab.“
„Da hast du allerdings Recht“, murmelte Sander amüsiert.
Als die Britin neben ihm Platz genommen hatte, schob der Captain ihr seine Notizen zu. „Der Durchschnitt sieht gut aus. Gerade Karasovs Infanterie ist hervorragend. Aber hervor stechen die Harrier-Piloten.“
Allister runzelte die Stirn. „Alexi wieder? Es wird wohl Zeit, dass wir ihm und seinen Leuten einen wirklich harten Einsatz geben. Über Sahara und Sri Lanka haben sie sich ebenso behauptet wie bei dem Einsatz im südchinesischen Grenzgebiet, aber das ist anscheinend zu lange her.“
„Erst mal einen haben“, bemerkte Sander seufzend. „Im Moment haben wir nur die Aufgabe, den Friedensprozess in Rumänien zu unterstützen, und das erfordert bestenfalls ein paar Arm Slaves, aber nicht gleich einen Luftschlag oder den subtilen Einsatz von Kampffliegern mit Senkrechtstarterfähigkeiten.“
„Ich denke nicht, das Amalgam sich mit einer Niederlage abgeben wird. Wir haben ihnen Material im Wert von mehreren Milliarden Dollar abgenommen oder zerstört. Wir haben wichtige Leute aus ihren Reihen in die Hand bekommen und verhört. Wir treten ihnen permanent auf die Füße. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die Situation einfach so hinnehmen.“
„Amalgam hat schon Dutzende Rückschläge hinnehmen müssen“, merkte Sander an. „Durch uns, durch die TUATHA DE DANNAN, durch Mithril-Einsatzkräfte rund um den Globus. Und dennoch sucht sich immer noch unser Gegner Ort und Zeit eines Einsatzes aus. Nein, ich glaube nicht, dass wir ihm bereits entscheidend geschwächt haben. Und ich glaube auch nicht, dass wir bereits Ort und Zeit des nächsten Kampfes zwischen uns bestimmen können.“ Sander ballte die Hände zu Fäusten. „Was wir bisher von Amalgam gesehen haben, war nur die Spitze des Eisbergs. Und ich habe Angst vor dem, was unter der Wasseroberfläche noch auf uns lauert.“
Allister räusperte sich verlegen. Schließlich schnaufte sie amüsiert. „Es wird wirklich Zeit, dass unser Rumtreiber endlich heim kommt, oder? Langsam sollte Major Thomas Kramer wieder sein Kommando übernehmen. Wir werden ihn noch bitter brauchen.“

1.
Zugleich an einem anderen Ort auf der Erde, genauer gesagt in einer Zeitzone, die bereits acht Stunden des Tages mehr gezählt hatte, begann ein großer Europäer unvermittelt zu niesen. Verlegen sah er sich um, denn es galt im dicht bevölkerten Land, in dem er sich befand, als extrem unhöflich, seine Viren und Bazillen fromm und frei in der Welt zu verteilen.
Aber die Personen, die mit ihm am Tisch saßen, waren zum größten Teil keine Japaner.
Sie, das waren neben ihm sechs Mitglieder von Mithril sowie zwei junge Frauen, die man etwas unzureichend mit dem Wort Whispered beschreiben konnte.
Er, das war der frisch beförderte Major der Söldnerorganisation. Hier, das war der Ort, an dem endlich eine kleine Party improvisiert wurde, um das Ereignis gebührend zu feiern. Wenngleich nicht alle am Tisch wirklich Anteil an der Feier nahmen.
„Tschuldigung“, murmelte Thomas Kramer verlegen und durchsuchte seine Taschen nach einem Papiertaschentuch. „Muss wohl jemand an mich gedacht haben.“
Die blonde junge Frau neben ihm blies entrüstet die Wangen auf. Bei einer Achtzehnjährigen war das ein übermäßig kindliches Verhalten, eigentlich, aber Kim Sanders konnte sich einige Dinge erlauben, von denen ein normales Mädchen nicht einmal zu träumen wagte. Sie hatte auch jedes Recht dazu. Ihre Entführung in Rumänien, ihre Entführung aus einem Forschungsinstitut mitten aus der Tokyoter Innenstadt heraus und ihr kleines Abenteuer in einer Amalgam-Festung an der südchinesischen Grenze gaben ihr sehr viel Spiel für den einen oder anderen Spleen. „Es war ja wohl keine Frau“, bemerkte sie mürrisch. Sie kokettierte gerne mit ihren Gefühlen für den älteren Offizier von Mithril. Tatsache war, sie konnte recht eifersüchtig werden. Und am schlimmsten war es, sobald die Sprache auf Samantha Rogers kam, die derzeitige Kommandeurin der Arm Slaves der FEANOR. Sie sah Kim aus Gründen, die Thomas schleierhaft waren, als stärkste Konkurrentin um seine Liebe an.
Um seine Liebe... Ein Thema für sich, das ihm regelmäßig Bauchgrimmen bescherte. Wenn er ehrlich war, dann hielt er sie für zu jung für sich. Auch wenn er erschreckenderweise etwas für sie empfand, was über das Verhältnis eines Bodyguards zu seinem Schutzbefohlenen hinausging, konnte er sich nicht wirklich zusammen mit Kim vorstellen. Das gleiche galt auch für ihn und Sam. Wenn er ehrlich war, dann...
„Das würde doch keine Gefahr bedeuten“, warf Kurtz Weber ein. Der Deutsche mit den langen blonden Haaren grinste breit. „Solange Melissa mit am Tisch sitzt, hat er sowieso keine Augen für eine andere Frau.“
Kurtz war vieles. Scharfschütze, Einsatzsoldat, Arm Slave-Pilot... Leider war er zu einem großen Teil seiner Zeit auch ein Idiot und ein Großmaul. Und genau dieses lose Mundwerk brachte ihm nun einen Ellenbogen ein, der senkrecht auf seinem Kopf landete.
Nachdem sich der überraschte Weber wieder aufgerappelt hatte, hielt er sich den schmerzenden Schädel und sah Melissa Mao vorwurfsvoll an. „Das tat weh, Neechan!“
„Das sollte ja auch weh tun“, versetzte die Halbchinesin, strafte den Deutschen mit einem vernichtenden Blick und setzte ihr Bier an. In wenigen Zügen hatte sie es geleert.
„Habe ich vielleicht gelogen? Außerdem hast du...“
Ein wütender, regelrecht flammender Blick der Offizierin von Mithril ließ den Deutschen verstummen. Mit einem verlegenen Lächeln und zur Abwehr erhobenen Armen rückte er langsam von Mao fort. „Ist schon gut. Habe verstanden.“
„Vielleicht sollten wir uns daran erinnern, warum wir hier zusammen gekommen sind“, meldete sich Kaname Chidori, die zweite Whispered am Tisch. „Immerhin wollen wir die Beförderung von Thomas-niisan feiern, nicht ihn in Verlegenheit bringen.“
Bei den letzten Worten blitzten die Augen von Kurtz erfreut auf. Aber ein Arm, freundschaftlich um seinen Hals geschwungen, ließ ihn von weiteren Aktionen absehen. Der Arm gehörte zu einem weiteren Mithril-Mitglied, Belfangan Clouseau. Der Kanadier hatte einen düsteren Blick aufgesetzt, der von dem dünnen Lächeln kaum kaschiert werden konnte. „Ich bin sicher, unser guter Weber sieht das genauso.“
Bevor der Deutsche mit einem neuen Spruch antworten und entweder sich in Gefahr oder die Anwesenden in Peinlichkeit stürzen konnte, erhob sich ein weiteres Mithril-Mitglied. Sie erhob ihr Glas, gefüllt mit süßer Limonade und sagte: „Prost auf die Beförderung unseres Freundes und Kameraden Thomas Kramer zum Major!“
„Gut gesprochen, Tessa“, meldete sich Thomas lobend zu Wort und nahm damit den Toast von Teresa Testarossa, Captain der TDD-1 TUATHA DE DANNAN, entgegen.
Auch die restlichen beiden Mitglieder von Mithril am Tisch, Sergeant Sousuke Sagara und Sho-sa Andrej Kalinin, hoben ihre Gläser.
„Ihr macht mich ganz verlegen“, murmelte Thomas und legte eine Hand hinter den Kopf. „Das habe ich doch gar nicht verdient.“
„Jeder, der eine Rangstufe aufsteigt, hat Lob verdient“, ließ sich Melissa vernehmen. Sie zwinkerte den Major über den Rand ihres Glases an und fügte hinzu: „Ich steige auch bald auf. Beeile dich ein wenig, mein guter Thomas, oder ich überhole dich.“
„Keine Sorge. Ich bin eh kein Generalsmaterial. Ich bleibe lieber im Feld. Mit einer überschaubaren Truppe.“ Er nahm einen Schluck von seinem Getränk. „Das ist sowieso nur eine Bezugs-Beförderung. Ich kriege mehr Sold, aber nicht mehr Verantwortung. So viele Arm Slaves passen zum Glück nicht auf eine Dannan-Klasse.“
„So kann man es natürlich auch sehen.“ Andrej Kalinin nickte fest. „Aber bedenken Sie eines, Major: Unverhofft kommt oft. Bevor Sie sich versehen, stecken Sie in einer Situation, in der Sie in Ihrer Verantwortung gefangen sind. Ich weiß, wovon ich spreche. Immerhin habe ich den gleichen Rang wie Sie.“
Thomas zog eine Augenbraue hoch. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
„Nun tue nicht so überrascht, Thomas“, meldete sich Clouseau zu Wort. Der neue Kommandeur der Arm Slave-Teams der DANNAN warf dem Deutschen einen ironischen Blick zu. „Dir war doch schon klar, was dich erwartet, bevor du den Auftrag angenommen hast, oder? Eine Beförderung ist immer mit mehr Verantwortung verbunden.“
„Nicht immer. Ab und zu wird man auch befördert, ohne mehr Verantwortung aufgedrückt zu bekommen, Bel“, versetzte der Deutsche amüsiert. „Zumindest habe ich das gehofft.“
Der Chu-i und der Major maßen sich mit amüsiert-ernsthaften Blicken.
„Du hast dich nicht verändert, Thomas“, tadelte Clouseau.
„Was man von dir nicht sagen kann. Die Arm Slaves der DANNAN zu kommandieren ist eine große Veränderung. Ich hoffe, du wirst McAllen gerecht.“
Der Name wirkte wie eine kalte Dusche auf den Kanadier. Er räusperte sich vernehmlich. „Nun, er hat mir ein schweres Erbe und ein paar verdammte Individualisten hinterlassen.“
Sein Blick ging über Weber, Sagara und Mao. „Aber ich gebe mein Bestes.“
„Was anderes hätte ich auch nicht von dir erwartet, Bel. Bleib am Ball.“
Clouseau schnaubte leise. „Das muss ich ohnehin. Oder soll ich dabei zusehen, wie die Arm Slaves der FEANOR mein Team überholen? Nicht mit mir, mein Freund.“
„Und das von einem Mann, der als bester Teamleiter der Nordatlantikgruppe galt“, versetzte Kramer mit einem Schmunzeln.
„Als Zweitbester“, erwiderte Clouseau ernst. „Zumindest in Europa. Hier in Asien stimmt es.“
„Hast du mich gerade gelobt?“, fragte Thomas gerade heraus. „Oder habe ich mich verhört?“
„Oh, es hat schon seine Gründe, warum du Major bist, und ich Chu-i“, erwiderte der Kanadier amüsiert. „Was hast du erwartet? Ich war schon immer freigiebig in Worten und Taten. Außerdem werde ich... Hm, die Japaner haben ein Wort für jemanden, der einem Dienstjüngeren ein paar Kniffe beibringt und ihm ein paar Weichen stellt. So etwas bist du wohl für mich. Ich werde meinen Senpai nicht vergessen... Auch nicht, nachdem ich an ihm vorbei ziehe.“
Thomas lachte amüsiert auf und wollte schon eine entsprechende Erwiderung vom Stapel lassen, aber übergangslos schien sich sein Magen auf links zu drehen. Er hustete und würgte für einen Moment. Hastig, unter den besorgten Blicken seiner Gäste, erhob er sich, eine Serviette vor dem Mund. „Entschuldigt mich eine Minute.“

Thomas hastete den Weg zu den Toiletten entlang. Das Würgen wurde schlimmer, die Krämpfe begannen ernsthaft zu schmerzen. Eine allergische Reaktion?
Als sich die Tür der Herrentoilette hinter ihm schloss, erwartete ihn die nächste drastische Überraschung: Ein Glas Wasser.
„Trinken Sie, Kramer, trinken Sie. Es ist ein Gegenmittel darin.“
Hastig griff der Deutsche nach dem Glas, und schon nach dem ersten Schluck milderten sich die Krämpfe. Nach einigen tiefen Atemzügen war er beinahe beschwerdefrei.
„Das ich Sie hier einmal treffen würde...“, murmelte Kramer erstaunt.
Der Mann vor ihm nahm das Glas wieder an. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein Steward, wie er auf den Toiletten von mit Sternen ausgezeichneten Restaurants durchaus üblich war, allerdings schien er dafür etwas alt. Thomas kannte ihn persönlich, in der Uniform von Mithril, und mit dem griechischen Buchstaben Omega am Kragen, dem Zeichen für die Intelligence Division von Mithril. Und normalerweise trug dieser Mann kein schmuckloses weißes Jackett, sondern die Abzeichen eines Tai-sho, oder auch Generalmajors.
„Entschuldigen Sie die etwas umständliche Methode, Sie mit Hilfe eines vergifteten Getränks hier her zu locken, aber ich kann es mir nicht leisten, von jemand anderem als Ihnen gesehen zu werden. Kalinin sorgt dafür, dass wir ein paar Minuten ungestört sind“, eröffnete der weißhaarige Mann ernst.
Kalinin hatte wahrscheinlich auch das Mittel in sein Getränk getan, das ihn beinahe dazu gebracht hatte, sich zu übergeben. Aber das war jetzt nicht relevant. Thomas straffte sich, so gut es ihm schon wieder gelang. Der Mann vor ihm war Anführer von Mithrils Geheimdienst. Gerüchte besagten, er hätte in einem der härtesten Geheimdienste der Welt sein Geschäft gelernt, der legendären Mossad. „Wie lautet der Auftrag, Tai-sho Amit?“
Der alte Offizier schmunzelte. „Wie immer, Kramer, direkt, schnell im begreifen und gerade heraus. Wir haben eine Ratte in Stabskreisen, und ich denke, Sie sind der Richtige, um sie zu eliminieren.“
„Sir, ich bin Feldoffizier. Dass ich den Rumänien-Einsatz übernehmen konnte, ihn überlebt habe, war neunzig Prozent meines Glücks für dieses Jahr.“
„Über den Befehl wird nicht diskutiert. Sie haben ihn auszuführen.“
„Ja, Sir“, murmelte Thomas.
Der Israeli nickte zufrieden. „Gut. In diesem Umschlag ist ein Koordinatensatz. Kalinin borgt Ihnen einen Arm Slave und bringt ihn in die Nähe Ihres Einsatzortes. Sie reisen zivil mit einem weiteren Agenten. Was Sie im Einsatzgebiet tun werden und wie Sie es tun, bleibt Ihnen überlassen. Sie sollen den Baum schütteln, Kramer, und wir werden sehen, was dabei herab fällt.“
„Die Anweisung ist etwas unklar und das Missionsziel undefiniert.“
„Genau so wie Sie es mögen“, erwiderte der Tai-sho mit einem Zwinkern.
Thomas atmete tief und lange aus. „Kriege ich neben meinem Begleiter ein Team für die Hinterhand? Wird mich ein Schiff unterstützen, wenn es hart auf hart kommt?“
„Nun, nicht direkt... Sagen wir, es wird sich alles finden. Aber wie gesagt, Sie kriegen einen Partner mit. Sie treffen ihn morgen Abend um acht Uhr morgens am Terminal eins des Narita Airports.“
„Morgen? Was ist mit meinen Pflichten als Lehrer? Was ist mit meiner Arbeit als Bodyguard?“
Amit lächelte dünn. „Wurde alles geregelt. Seien Sie rechtzeitig da, mehr brauchen Sie nicht zu tun.“
„Wer ist mein Partner? Wie lautet unsere Tarnung? Wie ist die Ausrüstung? Sir, kriege ich irgendein Detail? Irgend eines?“
„Sie werden Ihren Partner erkennen, das verspreche ich. Und er wird einen Großteil der Ausrüstung mit sich führen, ebenso wie die Daten über Ihren Bestimmungsort. Der Rest der Operation liegt in Ihren Händen, Kramer. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Und jetzt nutzen Sie entweder die sanitären Einrichtungen oder gehen wieder.“
„Ich wusste, Sie würden so etwas sagen, Tai-sho“, brummte Thomas und trat ans Waschbecken, um sich die Hände zu waschen.
Es bereitete dem Deutschen ein geradezu diebisches Vergnügen, General Amit ein Trinkgeld auf den obligatorischen Teller zu legen, als er die Toilette verließ, aber das war nur ein geringer Trost für den ganzen Ärger, der sehr bald auf ihn zu kommen würde. Er konnte sich jetzt schon vorstellen, wie ihn Kim nach der Mission mit Vorwürfen überschütten würde. Immerhin hatte er sein Leben erst vor kurzer Zeit und geradezu sträflich aufs Spiel gesetzt. Nachdenklich betrachtete der Deutsche ein Bild an der Wand, während seine Gedanken woanders waren, weit, weit weg in den Bergen eines Landes, das weniger für dreitausend Jahre Geschichte, dafür aber für seine nicht existierenden Vampire berühmt war und in dem er für die Freiheit und die Sicherheit einer ganzen Nation gekämpft hatte. Eine Ratte im Stab, hatte General Amit gesagt. Nun, Verräter gab es anscheinend genügend bei Mithril, wie er selbst auch schon schmerzhaft hatte erfahren müssen. Andererseits konnte er seine Abenteurer-Seite nicht verleugnen. Er war nicht ohne Grund aus dem EuroCorps ausgetreten und hatte sich von Mithril anwerben lassen. Er hatte sich eine perfekt ausgewogene Mischung aus gähnender Langeweile und Nervenzerreißender Spannung versprochen, und er war nicht enttäuscht worden. Allerdings schien die Nervenzerreißende Spannung in letzter Zeit erheblich zu zu nehmen. Wo würde es wohl hingehen? Und wer würde ihm zugeteilt werden? Sagara vielleicht, das wäre eine gute Wahl gewesen. Mit ihm hatte er schon mehrfach gearbeitet und er wusste ihn zu schätzen. Andererseits war der Junge ein Militär-Freak und für einen Undercover-Einsatz nicht wirklich zu gebrauchen.
Kurtz Weber? Eine rein deutsche Mission irgendwo im Ausland? Der Mann war ein passabler Scharfschütze und ein vortrefflicher Arm Slave-Pilot, und wenn er mal die Klappe hielt auch sehr angenehm.
Oder kam er mal wieder dazu mit Bel zu arbeiten? Dem trockenen, aber geradezu artistischen Arm Slave-Piloten, dem die Welt immer zu klein war?
Oder würde es einer seiner Kameraden von der FEANOR sein? Vielleicht überhaupt kein Arm Slave-Pilot, sondern ein Geheimagent? Immerhin kam die Mission ja direkt von Amit.
Andererseits hatte der Israeli gesagt, er, Thomas, würde seinen Begleiter erkennen.
Ehrlich gesagt, in diesem Moment wäre er am liebsten sofort aufgebrochen und hätte die Party gesprengt. Es war vielleicht ganz gut, dass der Abflug erst um acht Uhr morgens erfolgen sollte. Thomas lächelte über sich selbst und ging zu den anderen zurück.
***
Der nächste Morgen erfolgte ohne große Worte. Sousuke Sagara, bei dem Thomas immer noch wohnte, verabschiedete ihn wortlos. Er ahnte, wusste, begriff, das der Major einen Auftrag hatte, der es ihm schon wieder nicht gestattete, sich von den anderen zu verabschieden, geschweige denn mit anderen darüber zu sprechen.
„Du erklärst alles für mich?“, fragte der Deutsche im Scherz.
Sagara hustete erschrocken. „Verlange nichts Unmögliches von mir, Thomas.“
Er lachte zu Sagaras Worten, und der junge Söldner tat etwas, was er nur selten tat, er lächelte.
Dies war der letzte Eindruck, den Thomas von ihm hatte, bevor er die Wohnung verließ. Auf der Straße wartete bereits ein Taxi auf ihn. Kurz sah der Arm Slave-Pilot die Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes hoch zu Kaname Chidoris Wohnung, in der seine Schutzbefohlene Kim Sanders Unterschlupf gefunden hatte, aber dort bewegte sich nichts. Sie und Kim mussten gerade mitten in den Vorbereitungen für die Schule stecken. Kurz entschlossen und sehr froh über diesen schmerzlosen Abschied stieg der Deutsche ein. „Kaneda“, sagte er schlicht. Der Fahrer bestätigte und fuhr los.

Während der Fahrt gingen dem jungen Offizier tausend Gedanken durch den Kopf. Obwohl, so jung war er gar nicht mehr. Natürlich hatte er den Rang eines Majors bei Mithril überraschend früh erreicht, aber davor hatte er eine Karriere beim Eurocorps gehabt und hatte fast von null beginnen müssen. Er hatte viel gesehen, viel erlebt und viele kleine Träume gehabt. Sein größter Traum hatte sich beinahe erfüllt, als er in Rumänien geholfen hatte, den unsäglichen Bürgerkrieg zu beenden. Der Unwillen oder die Unfähigkeit seiner Regierung, hier zu intervenieren, zum Wohle von Millionen Zivilisten, hatte ihn überhaupt erst Mithril in die Arme getrieben. Zu gerne hätte er seinen nächsten Einsatz nun in Weißrussland gehabt, einem ebenfalls vom Bürgerkrieg gezeichneten Land. Oder in Bulgarien, seinetwegen Kasachstan oder Georgien. Überall dort lebten Menschen, hatten Familien und litten unter der alltäglichen Gewalt rings um sie. Viele, nahezu alle wurden in diesen Strudel hineingezogen, der dadurch noch mächtiger wurde und noch mehr Gewalt säte... Aber Thomas hatte diese Pläne schon seit einer langen Zeit aufgeschoben. Denn es gab eine Macht hinter all dem, die einen Bürgerkrieg wieder und wieder anfachen konnte, wenn man sie nicht ein für allemal beseitigte: Amalgam. Zwar mochte es morgen schon einen neuen Gegner geben, neue Gefahren und neue Waffen, aber darum würde er sich kümmern, wenn es soweit war. Nun hieß es erst einmal, Amalgam weiter zurückzutreiben. War dies gelungen, würde auch der Friedensprozess in den Bürgerkriegsnationen ähnlich wie in Rumänien endlich in Gang kommen.
Seine Mission, seine neue, die er irgendwo auf den Narita
Flughafen antreten würde, hatte sicherlich direkt damit zu tun, dessen war er sich sicher. Eine Ratte, also einen Verräter aus dem Stab Mithrils zu entfernen war eine gewagte, gefährliche und lebensbedrohliche Mission, aber er sah ganz deutlich die Notwendigkeit, es zumindest zu versuchen. Zu viele guten Soldaten waren in letzter Zeit gestorben, weil Mithril Verräter in den eigenen Reihen gehabt hatte. Ein Verräter in diesem Kreis aber, der Führungsriege der Söldnerorganisation, konnte alles gefährden und sie allesamt arbeitslos machen, sie vielleicht töten, oder noch schlimmer, ihren hochtrabenden Idealen ein Ende bereiten. Und das hätte Thomas persönlich nicht sehr gut aufgenommen. Falls er zu diesem Zeitpunkt noch lebte.

Lange bevor er ausstieg, erkannte er seinen Kontaktmann von weitem. Es konnte gar nicht anders sein, jede andere Möglichkeit konnte er getrost ausschließen. Der alte Israeli hatte ihn zusammengespannt mit... Melissa Mao. Einmal mehr fragte sich Thomas, was ihn erwarten würde, denn die China-Amerikanerin trug ein luftiges blaues Sommerkleid, das vielleicht der Saison gerecht wurde, aber sicher nicht ihrem Charakter.
Als er das Taxi verließ, winkte sie aufgeregt und kam zu ihm herüber. „Hallo, Schatz. Ich war so nervös, ich musste einfach früher hier sein. Oh, ich freue mich ja so.“
Thomas musste schlucken. Zuerst hatte ihn Melissas Auftritt irritiert, vor allem die hohen Pumps, die er niemals, nie, wirklich absolut NIE mit dieser Frau in Zusammenhang gebracht hätte. Und nun bewies sie, dass sie auf Pfennigabsätzen laufen konnte. Nun, ihre Umarmung und der Kuss auf die Wange irritierten ihn auch, aber glücklicherweise neigte das menschliche Gehirn dazu, einen Filter vor die Wahrnehmung zu schrauben, wenn es überfordert wurde. So gelang es ihm sein Entsetzen unter Kontrolle zu halten. „Hallo... Melissa?“
„Was bist du denn so steif? Macht es dich so nervös? Willst du es dir noch mal überlegen? Es ist normal, dass Männer kurz vor der Hochzeit kalte Füße bekommen, habe ich mir sagen lassen, und wenn du noch etwas Zeit brauchst und nicht in Las Vegas heiraten willst, verstehe ich das. Wir können auch bei dem Fest, das wir für unsere Familien geplant haben den Bund der Ehe eingehen.“
Langsam, sehr langsam beugte sich der Deutsche vor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Na, die Mission ging ja schon mal sehr gut los. „Kalte Füße? Ich? Wie kommst du denn darauf? Ich habe nur die ganze Nacht nicht schlafen können, so sehr habe ich mich auf diesen Flug gefreut. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich auch ein wenig spiele in Vegas, oder?“
Mit einem gespielt mürrisch-beleidigten Blick sah sie ihn an. Eine Bühnenreife Vorstellung, die ihm die Nackenhaare aufrichtete. „Ich wollte mit dir aber in die ganzen Shows gehen, Thomas.“
Der Deutsche lachte. „Ich glaube, wir werden sehr viel Zeit haben, um unsere Zeit in Las Vegas richtig zu genießen. Und ja, wir schauen uns die Shows an. Eine nach der anderen. Denn je mehr wir hinter uns bringen, desto mehr Zeit haben wir für uns allein, Melissa.“
„Thomas“, schnurrte sie. „Du bist mir ja einer.“
„Du solltest den Mann den du heiratest mittlerweile kennen, oder?“
„Und dennoch schaffst du es immer wieder, mich zu überraschen.“ Sie hakte sich bei ihm ein. Ihr Gepäckträger hatte derweil Thomas´ Koffer vom Taxifahrer übernommen. Derart gerüstet betraten sie das Terminal.
Melissa streckte eine Faust in die Höhe und rief: „Vegas, wir kommen!“
Thomas stimmte ein. Nun, die Mission würde zumindest nicht langweilig werden. Und deutlich erkannte er, dass nicht er es sein würde, der den Baum schütteln würde, wie Amit sich ausgedrückt hatte. Das würden andere tun. Er und Melissa würden nur alles dafür tun, damit es geschah. Vielleicht waren sie sogar der Baum. Nicht der schlechteste Vergleich und nicht die schlechteste Mission. Wirklich nicht die schlechteste Mission.
„Missionsparameter?“, hauchte der Deutsche, ohne die Lippen zu bewegen.
„Nicht hier“, erwiderte Melissa. „Später.“
Thomas nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Interessant bedeutete auch immer gefährlich, und Melissa Mao war dafür ein Garant. Er mochte eigentlich beides recht gerne. Warum sonst war er Söldner geworden?
„Gehen wir es an“, brummte er entschlossen.

2.
Als Sousuke Sagara diesen Morgen durch seinen Türspion sah, spürte er, wir ihm der kalte Schweiß ausbrach. Die beiden jungen Frauen, die ihn auf der anderen Seite seiner Haustür erwarteten, lächelten zwar so wundervoll, dass ein normaler Mensch am liebsten seinen Fotoapparat geholt hätte... Aber dieses Lächeln würde verschwinden, sobald sie erfuhren, das Thomas Kramer erneut auf einer Geheimmission war.
Doch es half alles nichts, die Konfrontation war immer noch die beste Verteidigung. Entschlossen öffnete er die Tür und wehrte ihren fröhlichen Morgengruß mit einer Hand ab. „Kommt erstmal rein“, sagte er stattdessen und ging voran. „Kaffee? Tee?“
„Tee!“, ließ sich Kaname Chidori vernehmen.
„Für mich nichts, danke“, sagte das andere Mädchen, Kim Sanders. Und dann kam die Frage, vor der sich der Gun-so gefürchtet hatte. „Wo ist Thomas?“
„Weg“, sagte er lapidar.
„Wie, weg?“ Kim runzelte die Stirn. „Weg, er kommt gleich wieder, oder weg, weg?“
„Weg, weg“, erwiderte Sousuke.
Kim seufzte tief und schwer. „Dieser Mann ist ja nicht zum aushalten. Kann der denn nicht mal zur Ruhe kommen? Ist er schon wieder auf einer Mission?“
Kaname sah sie mit Mitgefühl an.
Innerlich atmete Sousuke auf. Die beiden nahmen es mit Fassung, und rissen ihm nicht sofort den Kopf ab. Aber sicherheitshalber ließ er seine Abwehr nicht sinken.
Genau bis zu dem Moment, an dem das Telefon klingelte.
„Soll ich ran gehen?“, fragte Kaname.
„Nein, lass mal. Wir müssen sowieso gleich los, und ich will mich nicht hier fest reden müssen, wenn wir längst auf dem Weg in die Schule sein sollten. Außerdem ist der Anrufbeantworter eingeschaltet.“ Für seine Begriffe war das ein langer, nicht militärischer Vortrag gewesen, und er fand, er hatte alle Klippen gut umschifft.
„Sie sind mit dem Anschluss von Sousuke Sagara verbunden. Ich befinde mich derzeit nicht in Reichweite dieser Kommunikationseinrichtung. Wichtige Nachrichten schicken Sie bitte per Boten oder auf einem anderen zuverlässigen Weg. Dringliche, nicht der Geheimhaltung unterliegenden Botschaften hinterlassen Sie bitte nach dem Piep.“
„Kurtz hier! Sousuke, ich werde dich gleich auf deinem Handy anrufen, und wenn du da nicht ran gehst, dann ist das deine eigene Schuld! Melissa-neechan ist gerade durchgebrannt!“
Kurtz Weber machte eine Atempause. „Und jetzt rate mal mit wem.“
Sousuke Sagara erstarrte. Seine Hände krampften, und deshalb starb die Kaffeetasse für Kaname den Heldentod auf den Fliesen. Nicht, dass ihn diese Worte besonders erschreckt hätten. Er hatte eben nur eins und eins zusammen gezählt, und die beiden Frauen wahrscheinlich auch.
„Sousukeeeee....“, raunte Kaname Chidori wie ein wütender Oni.
Kim war derweil zum Telefon gestürmt. „Kurtz! Was hast du gerade gesagt?“
„Kim, bist du das? Na, dann habe ich ja gleich die Richtige dran. Dich wollte ich hier nach anrufen. Melissa und Thomas sind durchgebrannt, soweit ich weiß fliegen sie in diesem Moment vom Flughafen Narita in die U.S.A., genauer gesagt nach Las Vegas.“
„WAS?“, gellte Kims entsetzter Ruf auf. „NACH VEGAS?“
„In die Stadt mit der höchsten Kapellendichte der Welt“, bestätigte der Deutsche. Dabei lag eine Genugtuung in seiner Stimme, die Sousuke beinahe sehen konnte.
Entsetzt sah die blonde Frau die Japanerin an. „Die beiden wollen heiraten!“
„Also... Ich... Also... Melissa ist eine gute Freundin, und ich kenne Thomas jetzt auch sehr gut, aber... Also...“
„Kaname-chan“, flehte Kim.
Das Mädchen mit den langen dunklen Haaren seufzte ergeben. Ihr Blick schnellte zu Sousuke herüber.
Abwehrend hob der Gun-so beide Hände in Kanames Richtung. Manchmal war rechtzeitige Kapitulation der einzige Weg um zu überleben. „Egal, was ihr beiden wollt, ich mache es.“
Sekunden darauf bereute er seine Worte schon wieder. Der Ärger begann.
„Also, zu was habt ihr euch entschieden?“, klang Webers viel zu fröhliche Stimme auf.
„Na was wohl! Wir fliegen hinterher!“, rief Kim. „Wenn du mit willst, wir treffen uns in Los Angeles!“
„Die Frau gefällt mir!“, rief der deutsche Scharfschütze hoch erfreut und legte auf.
Sagara hatte sich mittlerweile in sein Schicksal gefügt. Er aktivierte seinen Laptop, ging ins Web und fragte: „Soll ich Economy oder Business buchen?“
Chidori umarmte Sousuke von hinten, um selbst einen Blick auf den Laptop werfen zu können. „Du denkst mit. Sehr gut, Gun-so.“
Sousuke schluckte trocken. Nicht, das er ihre Nähe nicht mochte, aber konnte sie ihm nicht etwas Freiraum lassen, um sich zu konzentrieren?
***
Das Flugzeug war ein Airbus 399, das Flaggschiff der neuesten Generation. Sie hatten eine separate Kabine, und eine freundliche Stewardess hatte ihnen einen Eiskübel mit Champagner bereit gestellt. Der Raum verfügte über ein Schloss von innen, eine eigene Dusche und eine sehr bequeme Liegecouch sowie zwei äußerst bequeme Sessel, von denen man wunderbar den Fernseher mit seinen achtzig Kanälen beobachten konnte. Nur die Fenster waren winzig, aber das war bei einem Flugzeug auch nicht anders zu erwarten.
Thomas setzte sich in einen der Sessel, zog sein Handgepäck heran und begann aus vielen kleinen Einzelteilen ein relativ simples Gerät zusammen zu basteln, welches elektrische Felder anmaß. Damit suchte er die üblichen Plätze für Wanzen und Minikameras ab. Selbst den Fernseher kontrollierte er in nicht aktiviertem Zustand.
Derweil kümmerte sich Melissa um den Champagner und schenkte zwei Gläser ein.
Als sie eines davon dem Major reichte, fragte sie: „Und?“
„Sieht sauber aus. Unsere Aktion kam wohl zu schnell, als dass unsere Gegner hätten reagieren können.“ Er nahm das Glas entgegen und stieß mit ihr an. „Auf unsere Hochzeit.“
„Auf unsere Hochzeit.“ Beide tranken einen kurzen Schluck, und Thomas hob beide Augenbrauen. „Dom Perignon? Mithril lässt sich diese Mission ganz schön was kosten.“
„Wir werden unser Leben riskieren, noch weit mehr als die Urzu im innerchinesischen Grenzkonflikt in Hong Kong oder bei unserer gemeinsamen Aktion, um Tessa und Kim im Grenzland zu befreien. Da werden wir die Spesenabrechnung bestimmt nicht beschönigen, Thomas.“
Der Deutsche nickte beiläufig und begann das Gerät wieder zu zerlegen. „Dann sollten wir vielleicht die Minibar plündern.“
„Minibar?“ Melissa lachte glucksend und öffnete einen Schrank. Zum Vorschein kam ein Kühlschrank, der bis zum Rand mit... Bier gefüllt war?
„Ich war so frei, auch das auf unsere Spesenrechnung zu setzen.“ Sie öffnete zwei Flaschen und stellte eine neben Thomas ab. Dann setzte sie sich zu ihm. „So, und jetzt reden wir über die Mission, mein lieber Verlobter.“

Zehntausend Meter über dem Pazifik sahen sich Melissa Mao und Thomas Kramer lange und ernst in die Augen. Die Missionsparameter hatten es in sich, das Missionsziel zu erreichen erschien Thomas, nun, wenn schon nicht schwierig, so doch sehr komplex. Aber bevor sie dort hin gelangten, stand ihnen erst einmal Vegas bevor.
„Die Sache schmeckt mir nicht. Ich bin es gewohnt mein Leben zu riskieren, aber nicht das meiner Freunde!“
„Es wird so weit überhaupt nicht kommen, Thomas. Vertrau mir.“
„Ich vertraue dir ja. Ich vertraue dir mein Leben an. Aber Melissa, bitte, das geht zu weit! Vor allem sind wir allein auf weiter Flur! Es gibt da niemanden, auf den wir zurück greifen können!“
„Für einen Teil der Mission sind wir sicher auf uns gestellt. Aber das wird nicht lange so bleiben.“ Die Amerikanochinesin lächelte verschmitzt. „Kurtz sollte jetzt bereits von Chu-sa Kalinin gesteckt bekommen haben, wofür ich meinen eilig eingereichten Sonderurlaub brauche.“
„Und der hat sicher nichts eiligeres zu tun als Kim anzurufen“, murmelte Thomas.
„Zuerst wird er Sousuke anrufen. Da bin ich mir sicher. Danach erst macht er die Pferde wild. Und so beginnt es.“
„Das schmeckt mir nicht! Es sind zu viele Unbekannte in diesem Plan! Wenn ich sterbe, meinetwegen, aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Kim etwas passiert.“
Mürrisch lehnte Thomas sich zurück, das halb ausgetrunkene Bier in der Hand. „Ich frage mich, wie Amit das rechtfertigen will.“
„Das ist der Knackpunkt. Wir werden auf sie alle aufpassen müssen, wenn es soweit ist.“
„Falls es soweit ist“, schränkte der Major ein. Er nahm einen Schluck Bier. „Wie bist du da überhaupt rein gerutscht? Weiß man im Oberkommando etwa, das ich dein heimlicher Verehrer bin?“
„Heimlicher Verehrer? Ich habe noch nie Blumen von dir bekommen“, neckte sie.
„Oh, ich dachte eher daran, einen Savage der ersten Baureihe zu schießen, wieder flott zu machen und dir zu verehren. Ordinäre Blumen, pah.“
Sie legte die Rechte auf ihre Brust. „Mein Held.“
„Hättest du ihn angenommen?“
„Ich hätte ihn zumindest nicht übersehen können. Aber, mein lieber Thomas, manchmal sind Blumen doch die richtige Methode der Kommunikation.“
Der Deutsche runzelte die Stirn. „Die Blumen habe ich überprüft. Keine Kommunikationseinrichtung drin.“
„Thomas“, tadelte sie mit einem amüsierten Lächeln.
„Also, warum bist du da rein gerutscht? Immerhin musst du mich in Vegas rechtskräftig heiraten.“
„Denkst du etwa, das ist mir unangenehm? Beileibe nicht, mein lieber Thomas.“
Der Deutsche hüstelte verlegen. „Weich mir bitte nicht aus.“
Melissa seufzte leise. „Hast du schon von der hellenischen Operation gehört, die wir letztes Jahr in Hong Kong durchgeführt hatten?“
„Die, wo euer Berater alle Funkdaten an ein Kommando von Amalgam weitergegeben hat? Die, bei der ein weiblicher Attentäter unter den Geiseln war und drei der Infanteristen getötet hat? Die, in der ihr euch entschlossen habt, das Gegenteil von dem zu tun, was ihr über Funk weitergebt?“
„Genau die Mission. Ich wusste, das du gut informiert bist.“
„Ich war so frei, auf dieser Basis ein Kommunikationstraining mit meinen Leuten zu machen. Uns soll so eine Schweinerei nicht passieren.“
„Codeworte?“
„Codewort-Ketten. Erschien mir sinnvoller und eindeutiger. Wir können damit zwanzig Befehle geben. Falls meine Jungs und Mädels nicht wieder die Hälfte vergessen haben.“
Melissa schmunzelte. „Wir haben ihn gejagt.“
„Wen? Den Verräter?“
„Richtig.“ Sie strich sich durch ihr kurz geschorenes Haar. „Er wurde in der italienischen Villa eines Mafiosi aufgespürt, der ihm noch ein paar Gefallen schuldete. Ich und Kurtz schleusten uns während einer Party ein. Ich mit langer Perücke und einem netten kleinen Hauch von fast gar nichts, um die Ratte in eines der Zimmer zu locken, Kurtz mit einer Glock. Du kannst dir nicht vorstellen, wie überrascht der Bursche war, als sich seine sicher geglaubte Nummer in seinen persönlichen Albtraum verwandelte.“
„Kann ich mir vorstellen. Hast du in dem Ding Unterwäsche getragen?“
„Keinen BH. Warum fragst du? Wenn du Fotos willst, dann frag Kurtz. Der hat bestimmt welche gemacht.“
„Vielleicht mache ich das sogar. Aber eigentlich wollte ich nur wissen, was du auf dich nimmst, um deine Rolle perfekt zu spielen, mein Schatz. Ich wüsste halt gerne, wer von uns mehr Erfahrung auf diesem Gebiet hat, und im Moment sieht es so aus, als wärst du mir überlegen. Ich war nie ein besonders guter Nahkämpfer, aber ich konnte immer sehr überzeugend lügen.“ Thomas trank sein Bier aus. „Noch eins?“
„Warum nicht? Der Flug dauert noch zehn Stunden. Und wenn dir keine andere Beschäftigung einfällt, können wir auch den Kühlschrank plündern.“
„Andere Beschäftigung?“, raunte Thomas.
„Ach, habe ich dein Interesse geweckt?“, erwiderte sie lächelnd. Sie erhob sich und holte zwei neue Flaschen.
„Du weißt, das ich dich mag, Melissa. Wahrscheinlich etwas zu sehr als gut für mich ist“, gestand der Deutsche, als sie ihm das neue Bier reichte.
„Wie meinst du das, Thomas?“
„Ich hätte in all der Zeit, die wir schon zusammen kämpfen nie etwas dagegen gehabt, wenn was ernsteres aus uns geworden wäre. Aber das wäre schon aus meiner Sicht heraus... Nicht einfach geworden, denn ich hätte die FEANOR nicht permanent verlassen. Und du, nur einmal angenommen, wir wären wirklich zusammen gekommen, hättest niemals Tessas Nähe verlassen, geschweige denn die TUATHA DE DANNAN.
Außerdem habe ich gerade das Gefühl, mich vor dir unsterblich blamiert zu haben.“
„Wieso? Ich heirate dich doch in Vegas“, erwiderte sie mit einem Schmunzeln. „Und in unseren Operationsparametern steht nirgends, das wir uns wieder scheiden lassen sollen.“
„Siehst du? Da beginnen schon die Probleme. Wir hätten schon vor der Mission den Trennungszuschlag für Ehepaare beantragen sollen.“
„Schade, Thomas, dass du mit einem Witz geantwortet hast. Sonst hättest du vielleicht eine ehrliche Antwort von mir bekommen.“ Langsam lehnte sie sich im Sessel zurück und öffnete ihr Bier. „Willst du noch etwas wissen?“
„Ja. Heiratest du mich aus Liebe oder wegen meines unglaublich großen Vermögens?“
Melissa taxierte ihn einen Moment, bevor sie sich wieder ihrem Bier widmete. „Aus Liebe, schätze ich.“
„So schlecht ist mein Sold nun auch wieder nicht.“
„Frag mich das bitte noch mal wenn du General bist, okay?“, erwiderte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag. „Und jetzt sollten wir über unser dringlichstes Problem reden.“
„Wo wir ansetzen?“
„Nein. Brautkleid oder informell?“
„Also, ich sehe im Anzug wahnsinnig gut aus, Mithril kriegt die Rechung, und vielleicht verfällst du mir ja mit Haut und Haaren, wenn du mich aufgebretzelt siehst, Melissa.“
„Meinst du es gibt schwarze Brautkleider in Vegas?“ Unschuldig sah sie ihn an.
„Muss ich dann etwa weiß tragen?“, argwöhnte der Deutsche. Die beiden sahen sich an und begannen zu lachen.
***

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Die Ankunft in Los Angeles gestalteten sich relativ unspektakulär. Thomas wurde als Deutscher problemlos durch den Zoll gelassen, und Melissa war ohnehin Amerikanerin. Doch das war auch der einzige positive Aspekt, denn die So-sho, was dem Master Sergeant in der Nordatlantik-Flotte entsprach, hatte ihr Bestes gegeben, um den Biervorrat im Kühlschrank heftigst zu dezimieren. Das Ergebnis war eine Teils aufgekratzte, Teils schläfrige Melissa Mao, die sich streckenweise auf seine Schulter stützte. Unter normalen Umständen wäre ihm das mehr als Recht gewesen, aber immerhin befanden sie sich auf einer Mission.
„Beruhige dich, Thomas“, säuselte sie in einem ihrer euphorischen Momente. „Wir reisen hier als Liebespaar ein, das heiraten will. Also müssen wir uns auch ein wenig so benehmen. Außerdem beginnt unsere Mission erst in Las Vegas.“
„Natürlich, Schatz. Wann geht unser Anschlussflug eigentlich?“
„Oh, wir haben über zwei Stunden Zeit, bevor sie uns überhaupt boarden lassen. Sei unbesorgt. In der Zeit könnten wir zu Fuß die Landebahn dreimal rauf und runter gehen. Lass uns so lange einen trinken gehen.“
„Melissa...“, mahnte Thomas.
„Was denn?“, murrte sie und umklammerte seinen linken Arm. „Sei nicht so gemein zu mir. Immerhin will ich dich heiraten.“
„Was uns gleich zur nächsten Frage bringt. Müssen wir uns bei der Zeremonie küssen?“
Argwöhnisch sah die Amerikanochinesin zu dem größeren Deutschen auf. „Was heißt hier denn müssen, Herr Kramer?“
„Schon gut, schon gut“, brummte Thomas als Erwiderung. Er hatte gewusst, dass Melissa Mao Alkohol ziemlich gut vertrug, und anscheinend war sie auch im Moment nicht annähernd so betrunken wie sie tat. Sie konnte ihn immer noch jedes Mal überraschen. Für einen Moment fragte er sich, ob es in ihrer Ehe – ihrer gefaketen Ehe – wohl genauso sein würde.

„Thomas!“, rief eine bekannte Stimme.
Der Deutsche blieb stehen und wandte sich um. Was er sah, ließ ihm einen kalten Schauder über den Rücken laufen. Er starrte auf eine Wand schwarzer Anzüge. Die Männer, die in den Anzügen steckten, trugen stilecht schwarze Sonnenbrillen und waren eindeutig chinesischer Abstammung. Für einen Moment fühlte er sich, als würde ihm jemand mit einem Vorschlaghammer über den Kopf hauen, auf dem dick und breit „Triaden“ stand.
Zu der Stimme gesellte sich ein Arm, und schließlich ein bärtiges Gesicht. Ihn hier zu sehen hätte Thomas am wenigsten erwartet. Und vor allem nicht in vollem Schutz der Triaden, mit denen er zwar über seine Frau Lin verwandt, aber nicht unbedingt in Liebe verbunden war.
Auf einen Wink von ihm öffnete sich die Reihe ein wenig, und Hausen trat aus ihrer Mitte hervor. „Thomas. Miss Mao.“ Er begrüßte beide mit einem Handschlag.
Nun, man konnte nicht sagen, dass sie beide Freunde waren, aber sie respektierten einander genug, um sich zu duzen. Und so arrogant einen anderen Söldner zu verteufeln, weil er selbst in der ach so reinen und tugendhaften Mithril-Organisation arbeitete, der andere aber Freiberufler war, war er beileibe nicht.
„So viele Bodyguards? Hast du deine Familienverhältnisse geordnet, Robert?“
Der bärtige Deutsche lächelte schief. „Lins Vater hat meinen vollen Schutz angeordnet. Anscheinend will er nicht, dass der Vater des Kindes seiner einzigen Tochter zu Schaden kommt. Die Jungs sind recht praktisch, aber von Geheimhaltung verstehen sie absolut nichts. Nicht, dass ich im Moment mehr machen müsste als ein paar Botengänge, um nicht völlig einzurosten.“
Thomas nickte verstehend. Die Prämien, die Hausen sich im letzten Jahr verdient hatte, vor allem weil er Mithril so ziemlich alles verraten hatte, was er über seinen letzten Arbeitgeber Amalgam wusste, hatte aus ihm einen sehr reichen Mann gemacht. Arbeiten brauchte er wahrlich nicht mehr. Allerdings reichte es auch nicht, um sich so einen Schutz zu leisten. Wobei eine Horde auffällig herum laufender schwarzer Anzüge dabei kontraproduktiv war. Thomas schätzte nicht ohne Grund, dass einige der unauffälligen Passanten, die Zeitungen lasen oder telefonierten, in Wirklichkeit auf der Lohnliste von Hausens Schwiegervater standen.
„Hast du deine Frau nicht mitgebracht?“, fragte Thomas freundlich.
„Lin ist einkaufen. Ich fliege etwas früher, weil ich noch einen Geschäftstermin in Vegas habe. Und, was macht ihr zwei schönes? Wenn man euch so sieht könnte man glatt meinen, ihr seid privat unterwegs.“
Melissa Mao lachte glucksend. „Das kann man so sagen. Wir sind durchgebrannt und wollen in Las Vegas heiraten.“
Thomas konnte dabei zusehen, wie der Mann erstarrte, erbleichte und die Augen aufriss. Er schnappte nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen und fand erst nach mehreren Versuchen die Stimme wieder. „Habt ihr euch das auch gut überlegt? Ich meine das nicht, weil ich denke, ihr wärt kein tolles Paar. Aber ihr habt beide einen verdammt gefährlichen Job, und soweit ich weiß, gibt es noch mehr Aspiranten auf die Titel Mrs. Kramer und Mr. Mao.“
„Natürlich haben wir uns das nicht überlegt“, sagte Melissa und legte ihren Kopf an Thomas´ Schulter. „Das war eine ganz spontane Entscheidung, als wir die Plagegeister endlich mal los waren und uns lange und gründlich in die Augen sehen konnten. Der Rest ging dann ganz schnell.“
Innerlich schwitzte Thomas Blut und Wasser. Er beugte sich zur Seite und gab Melissa einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, wobei er sich bemühte, so natürlich wie möglich zu sein. Dazu lächelte er sein bestes falsches Lächeln, zu dem er fähig war. „Furchtbar schnell. Man kann es nicht glauben, wenn man es nicht selbst erlebt hat, wie verbohrt manche Menschen sein können, bis sie eine so einfache Wahrheit sehen.“
„Oooh, das hast du schön gesagt, Thomas.“ Mit glänzenden Augen sah sie ihn an.
Der große Deutsche musste sich räuspern und war sich sicher, das nun heftige Röte seine Wangen zierte.
„Äh, na dann... Dann gratuliere ich aber, auch in Lins Namen. Ich nehme an, ihr seid auf dem Weg nach Vegas, dem Mekka der Durchbrenner?“
„Richtig. Und dort suchen wir uns eine schmucke kleine Kapelle, und dann schnappe ich ihn mir und lasse ihn nie wieder los.“
„Wer hier wohl wen nie wieder los lässt“, scherzte Thomas, noch immer lächelnd.
„Du bist mir ja einer, Schatz“, gurrte sie zufrieden.
Nie hätte der Deutsche gedacht, das derartige Talente in der Chinesin steckten. Aber wer sich auf eine italienische Mafiaparty einschleichen konnte, musste schon was auf dem Kasten haben.
„Soll ich euch mitnehmen? Ich fliege im Privatjet rüber.“
„Danke, aber nein. Wir haben schon reserviert und im voraus bezahlt. Das soll nicht vergebens sein.“
„Wie du meinst, Thomas. Aber in Vegas, sehen wir uns da? Du hast doch meine Nummer, oder?“
„Ich habe sie gespeichert, ja. Ich rufe dich heute Abend an. Dann gehen wir zu viert essen, wenn du und Lin Lust habt. Wir könnten auf deinen Nachwuchs trinken.“
„Klingt gut“, erwiderte der Waffenhändler.
„So, wir sehen uns dann ja nachher. Nicht, das wir nicht gerne mit dir plaudern, aber Melissa und ich brauchen jetzt ein wenig Auszeit vor dem Flug.“
„Ja, verstehe. Beneidenswert. Ruf mich an, ja?“
„Natürlich!“ Die beiden setzten sich in Bewegung. Der Major von Mithril winkte über die Schulter zurück, und auch Melissa winkte eifrig.

Als sie es um die nächste Ecke geschafft hatten, blieben beide stehen und atmeten erst einmal tief durch. „Himmel, ich dachte schon, wir fliegen auf“, stöhnte Thomas. „Wer kann denn auch damit rechnen, dass wir ausgerechnet auf Robert Hausen treffen.“
„Du hast gut reagiert, Thomas. Aber dir ist hoffentlich klar, dass du für den Kuss bezahlen musst.“
„Nicht auf die Nase, bitte.“
„Davon rede ich nicht. Ich rede von einem Abendessen in einem exklusiven Restaurant in Vegas. Wehe, du schleppst mich in einen Burgerladen“, erwiderte sie schmunzelnd.
„Ist das Hardrock Café okay?“
„Hm... Nein.“
„Ich suche etwas passendes heraus. Weißt du was mir gerade durch den Kopf geht? Bestimmt hat Robert die eine oder andere Klette von Amalgam am Hacken. Und wenn die weitergeben, wen er getroffen hat, und wenn die eins und eins zusammen zählen...“
Melissa sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Dann sollten wir das Abendessen mit Familie Hausen auf keinen Fall verpassen.“
„Du kannst meine Gedanken lesen, Melissa, mein Engel.“
„Vorsicht“, hauchte sie und legte eine Hand auf die Lippen des Deutschen. „Noch ein Kuss, noch ein Abendessen.“
„Ein annehmbarer Preis.“
„Aber auch nur weil Mithril die Spesen übernimmt. Doch was machst du, wenn sie die Spesenrechnung zerpflücken?“
„Wie ich schon sagte, ein annehmbarer Preis“, erwiderte Thomas mit einem Augenzwinkern.
„Das ist der Mann, den ich heirate“, seufzte sie.
Die beiden sahen sich an und lachten zufrieden. Vielleicht würden sie kein besonders gutes Paar abgeben, aber auf jeden Fall waren sie jetzt schon ein tolles Team.
***
Indigniert stand Robert Hausen im internationalen Terminal und sah dem ungleichen Paar hinterher. Wie ein Roboter zog er sein Handy. „Lin, Schatz, du glaubst nicht wem ich gerade begegnet bin. Was? Ja, es war eine erfreuliche Begegnung. Nein, das meine ich nicht ironisch. Mein Unterton ist merkwürdig? Kein Wunder. Du wirst es verstehen, wenn ich dir sage, wem ich begegnet bin: Thomas Kramer und Melissa Mao. Nein, keinem von den anderen. Und jetzt halte dich fest: Sie sind durchgebrannt! Ja, durchbrennen bedeutet normalerweise, dass jemand Hals über Kopf heiratet. Und genau das haben sie vor. In Vegas! Ja, habe ich, aber sie haben den Flug schon bezahlt, deshalb haben sie abgelehnt. Mit ihnen essen gehen? Thomas und Ms. Mao wollen wohl. Er wollte mich nachher anrufen. Mal sehen, was daraus wird. Ja, ich denke auch, das wir uns das nicht entgehen lassen sollten. Ich fliege dann schon mal vor, Schatz. Den Flieger schicke ich dir wie abgesprochen zurück. Du kannst dann in drei Stunden nachkommen. Meinetwegen shoppe noch ein wenig auf dem Rodeo Drive. Aber hör auf, wenn es das Jahresbudget der Entwicklungshilfe von Helmajistan übersteigt, ja? Nein, das war kein Witz. Du beneidest Melissa um das Gefühl des frisch verliebt sein? Ich wusste nicht, dass du zu Ironie fähig bist, mein Schatz. Wir haben diese Phase doch nie verlassen. Ja, ich liebe dich auch. Mehr als mein Leben. Bis nachher. Ja, ein dezentes Abendessen für vier im Penthouse. Kein Champagner für dich. Erst wieder in frühestens sechs Monaten. Nein, nicht mal einen Schluck. Aber ich verspreche dir, ich trinke auch nichts. Also, bis dann.“
Hausen deaktivierte die Verbindung, dann nickte er dem Chef seiner Bodyguards zu. „Hong, wir wollen so schnell wie möglich weiter.“
„Natürlich, Mr. Hausen.“ Der Tross zog weiter.

Etwa drei Stunden später, an der gleichen Stelle, wiederholte sich die Szene mit Robert Hausen, nur diesmal waren die Bodyguards weiblich, und seine bessere Hälfte Lin steckte inmitten des Pulks.
Wieder lief ein Hausen jemandem über den Weg, und wieder konnte der Hausen – Lin, um jeden Zweifel auszuräumen – nicht widerstehen und winkte. „Kim! Theresa! Kaname!“
Die beiden Angerufenen blieben stehen, ebenso ihre Begleiter. Da Lin recht groß und ihre weiblichen Bodyguards etwas kleiner waren, konnte die Reisegruppe sie gleich erkennen. Die drei Frauen und die beiden Männer in ihrer Begleitung blieben stehen. „Lin!“
Die beiden Gruppen bewegten sich aufeinander zu, und diesmal war die Begrüßung erheblich herzlicher, wenngleich die Bodyguards Sousuke Sagara und Kurtz Weber dezent auf Abstand hielten, gerade genug um Mrs. Hausen die Hand zu geben.
„Lin, es tut mir Leid, aber wir haben es sehr eilig. Wir sind auf dem Weg, um...“
Die Chinesin nickte gewichtig. „Ihr wollt es sicher rechtzeitig zu Melissas und Thomas´ Hochzeit schaffen, nicht? Kann ich verstehen.“
„Du weißt es?“, rief Kim erstaunt. „Sogar Theresa mussten wir es erst erzählen, und jetzt fliegen wir um die halbe Welt, und es ist Tagesgespräch?“
„Mein Mann ist den beiden begegnet. Vor etwa drei Stunden. Sie haben gemütlich geplauscht und dabei haben die zwei ihm alles erzählt.“ Lin warf Kim Sanders einen mitfühlenden Blick zu. „Und du bist da wirklich mit einverstanden?“
Bevor die Whispered, die bereits zweimal aus der Hand von Amalgam befreit worden war, antworten konnte, kam ihr Theresa zuvor. „Natürlich ist sie das! Wir alle sind das! Deshalb sind wir ja auch ein wenig böse mit den beiden. Sie hätten uns ruhig mitnehmen können. Wir sind doch alle eine große glückliche Familie. Du weißt nicht zufällig, wo die zwei absteigen werden?“
„Nein, tut mir Leid“, erwiderte Lin.
Die fünf atmeten tief durch. Sagara mehr aus Erleichterung, die anderen vier aus Enttäuschung.
„Aber die beiden wollen heute Abend mit uns essen gehen“, fuhr Lin fort. „Wollt ihr sie nicht überraschen und einfach mitkommen? Ich habe einen Privatjet draußen, und es sollte kein Problem sein, ein paar zusätzliche Räume für unser Penthouse zu bekommen.“
Übergangslos strahlte Kim Sanders vor Freude. Ihre Linke zeigte hinter ihrem Rücken einen erhobenen Daumen für Theresa Testarossas Strategie. „Du würdest uns damit wirklich aus einem Dilemma helfen. Dies ist ein so wichtiger Tag für die beiden. Wir MÜSSEN dabei sein.“
„Und du bist wirklich sicher, das du damit einverstanden bist? Ich wäre in jedem Fall furchtbar eifersüchtig“, meinte Lin und strich Kim über die Haare.
„Ich BIN ja auch wütend. Ich bin auch eifersüchtig, aber was mich wirklich aufregt ist diese Heimlichtuerei. Wären sie ehrlich gewesen, dann wäre alles in Ordnung gewesen! Aber diese Heimlichkeit ist wirklich nicht schön.“
Lin lächelte zufrieden. „Gut, dass du ehrlich bist und nicht versuchst, mir etwas vorzulügen.“
Kim errötete. War sie so leicht zu durchschauen? Theresa hüstelte verlegen.
„Aber was willst du tun, wenn du die beiden siehst, und sie es wirklich ernst meinen?“
„Meinen Ärger runter schlucken und die Brautjungfer mimen. Nachdem ich Thomas eine geklebt habe.“
Lin klatschte in die Hände. „Wunderbar. Das wollte ich hören. Kommt, Herrschaften, unser nächster Halt ist Las Vegas!“
Die drei Frauen stimmten begeistert zu, und auch Kurtz Weber ließ sich anstecken. Sousuke Sagara hingegen suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, sich abzusetzen.
„Kommst du, Sousuke?“, rief Kaname.
„Mist. Tut mir Leid, Thomas. Ich kann dich leider nicht vorwarnen“, murmelte er. Laut rief er: „Ich komme!“


3.
„An die Villa könnte ich mich gewöhnen“, schnurrte Melissa und ließ sich hinterrücks auf das Doppelbett fallen. „Sie ist so schön groß. Ein eigener Pool, ein Trainingsraum, die Bar... Und hast du die beiden Bäder gesehen? Die sind riesig.“
„Ich habe sie gesehen“, rief Thomas vom Eingang, während er dem Pagen Trinkgeld gab. „Danke. Einen schönen Tag noch.“
Als der Hotelbedienstete des Bellagio verschwunden war, hängte Thomas das Do not disturb-Zeichen von außen an den Knauf, wie man es von frisch Verliebten erwartete. Ihre Zuflucht entpuppte sich als das, was das Traum-Hotel Bellagio als Villa bezeichnete, also eine luxuriöse Zimmerflucht hinter dem weltberühmten und hoch ausgezeichneten Hotel, in bester, ruhiger Lage, und mit zwei Schlafzimmern ausgestattet. Zumindest das Schlafproblem würde diesmal nicht den Lösungsvorschlag „Couch“ beinhalten, wobei die Couchs im Bellagio sicherlich nicht den Komfort eines guten Bettes vermissen lassen würden. Und er war Schlimmeres gewohnt. Wesentlich Schlimmeres.
Langsam ging er zum Schlafzimmereingang. „Wenn du dich hier schon eingerichtet hast, nehme ich das andere Zimmer. Ich würde sagen, wir machen uns ein wenig frisch und...“
Seine Worte fanden keinen Abnehmer, denn Melissa hatte sich mit seligem Lächeln auf die Seite gedreht und war eingeschlafen. Der Deutsche schnaubte amüsiert. „Oder ruhe dich erst einmal aus. Ist auch in Ordnung.“ Mit einem Lächeln schloss er die Tür. Beinahe wäre seine Partnerin zu einem zweiten Abendessen gekommen.
***
Als Melissa Mao in den frühen Abendstunden erwachte, tat sie dies mit einem Lächeln. Die Mission begann ihr wirklich Spaß zu machen. Mit Thomas hatte sie einen tollen Partner, und es versprach sehr schnell sehr spannend zu werden, jetzt, wo ein Topspion wie Robert Hausen involviert war.
Sie erhob sich, sah sich einmal im Zimmer um und entschied, dass der taktvolle Thomas nicht spontan beschlossen hatte hier ebenfalls einzuziehen. Nicht das sie jemals geglaubt hätte, bei ihm nicht sicher zu sein. Andererseits hätte sie auch nichts dagegen gehabt, wenn... Sie seufzte leise. Thomas war ein Riesenproblem, wenn sie ehrlich war. Der Bursche war zu gut für einen One Nighter, selbst für eine ordentliche Affäre. Mit ein wenig Wehmut gestand sie sich ein, dass er Besseres verdient hatte als benutzt und abgeschoben zu werden, und diese Erkenntnis überraschte Melissa, die noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen war. Nein, das war einer zum heiraten. Ironischerweise würden sie das in den nächsten Tagen auch tun, und die Halbchinesin stellte sich ernsthaft die Frage, ob sie ihr freies Vagabundenleben vielleicht aufgeben sollte. Andererseits hatte er Recht. Er würde niemals freiwillig die FEANOR verlassen, sie war mit Herz und Seele an die DANNAN gebunden, also waren die Gedanken in dieser Richtung müßig.
Mit einem weiteren, tiefen Seufzer verschwand sie in ihrem Bad, um eine kurze, erfrischende Dusche zu nehmen.
Als sie fertig war, gekleidet in einem weichen, weiten Bademantel, betrat sie den Wohnraum der Suite. „Thomas?“
Dort war er nicht. Auch nicht im anderen Zimmer, also trat sie nach draußen zum Pool. Dort zog sich der große Deutsche gerade aus dem Wasser und reckte sich mit zufriedener Miene.
Melissa spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, obwohl Thomas eine ordentliche Badehose trug. Dafür tadelte sie sich selbst, denn das er ein durch trainierter Arm Slave-Pilot war, das verlangte alleine Mithril. Und sein hübsches Gesicht konnte sie nicht nur sehen, wenn er eine Runde im Pool geschwommen war. „Da bist du“, sagte sie, vergrub ihre Hände in den Taschen des weißen Bademantels und trat zu dem Deutschen.
Thomas wandte sich um und lächelte. „Ausgeschlafen?“
„Beinahe etwas zu lange, wie es scheint. Warum hast du mich nicht geweckt?“
„Das hatte ich vor. Nachdem ich mir von der örtlichen Polizei einen Schutzschild geliehen hätte.“
„Komm, Thomas, so schlimm bin ich wirklich nicht“, tadelte sie.
„Man kann nie wissen, Melissa, man kann nie wissen. Du tust zwar so stark und unabhängig, aber vielleicht wärst du in Panik ausgebrochen, wenn du mich in deinem Zimmer gesehen hättest, zusammen mit der bohrenden Frage, was ich dir in deinem Schlaf alles angetan haben könnte.“
„Werde nicht albern“, erwiderte sie und lächelte. „Bei dir bin ich so sicher wie auf der DANNAN.“
Thomas schnaubte amüsiert. „Na, danke. Ich bin also nicht gefährlich für dich. Dann hätte ich mich ja auch auf der anderen Seite deines Betts einrichten können.“
„Ich sagte sicher, mein Lieber. Ich habe mit keinem Wort behauptet, du könntest mir nicht gefährlich werden“, hauchte sie und schlang ihre Arme um seinen Nacken.
Hastig trat der Deutsche einen Schritt zurück und durchbrach damit ihre Umarmung. „Melissa, ich...“
Mit einem Ausdruck der Enttäuschung ließ sie die Arme wieder sinken. „Sage ich ja. Vollkommen sicher. Ich könnte nackt neben dir schlafen und mir würde nichts passieren.“
Der große Arm Slave-Pilot schnaubte amüsiert. „Du solltest aufhören mit mir zu spielen. Sonst nehme ich dich ernst, und wer weiß was wir zwei dann alles anrichten.“
„Leere Versprechungen“, tadelte sie, vergrub ihre Hände wieder in den Taschen des Bademantels und wandte sich ab. „Hast du Robert schon angerufen?“
„Ja, aber Lin hat abgenommen. Acht Uhr in ihrem Appartement im Treasure Island. Wie passend für die zwei.“
„Dann spüle dich ab, damit du nicht nach Chlor riechst.“ Die Arm Slave-Pilotin reckte sich. „Ich gehe mir dann mal was schönes zum anziehen raus suchen.“ Sie sah kurz über ihre Schulter zurück. „Würde es dir gefallen, wenn ich etwas offenherziges trage?“
„Natürlich würde es mir gefallen. Aber vielleicht suchst du etwas aus, das dir erlaubt Unterwäsche zu tragen. Nicht, das mir nicht gefallen hat was ich gesehen habe.“
„Zwei Abendessen“, sagte sie tadelnd und ging wieder hinein.
In ihrem Zimmer angekommen atmete sie einmal tief durch. Und dann tadelte sie sich selbst dafür, das sie beinahe alle ihre guten Vorsätze über Bord geworfen hätte. Nur gut, das sie in dem alten Betonschädel Thomas einen hervorragenden Verbündeten hatte, um solche Dummheiten zu verhindern. Glücklicherweise. Und wie schade.
***
Man sagte, nichts sei so schnell wie das Licht. Das war nicht ganz richtig. Der eine oder andere Experte behauptete, Gerüchte seien noch viel schneller. Vor allem an Orten, an denen viele Menschen auf engem Raum zusammen arbeiteten, verbreiteten sich Gerüchte beinahe so schnell, das man den Eindruck hatte, sie würden an mehreren Orten zugleich entstehen.
Dies war im Styx-Stützpunkt der Fall gewesen. Das Gerücht, das Thomas der Heilige durchgebrannt war, um in Vegas eine Arm Slave-Pilotin von der TUATHA DE DANNAN zu heiraten, war bereits einmal vom Bug bis zum Heck und dann wieder zum Bug, das der Anruf eines verzweifelten Chu-sa Mardukas beinahe übersehen wurde.
Mit stoischer Ruhe, aber in eindringlichen Worten hatte er von seinem Problem berichtet, nämlich das sein Skipper auf und davon nach Vegas war. Und da die Europäer günstiger lagen, um schnell in die Vereinigten Staaten zu kommen, bat er den Skipper der FEANOR und Kommandeur der Styx-Basis um Amtshilfe beim Personenschutz von Theresa Testarossa.
Das war zwei Stunden her. Und nun befand sich eine schnelle gemischte Eingreiftruppe, bestehend aus Samantha Rogers, Arm Slaves, Sergej Karasov, Infanterie und Timothy Scott, Kampfhubschrauber, mit einem außerplanmäßigen Militärflug auf dem Weg nach Las Vegas. Wusste der Teufel, wie Mardukas die Flugfreigabe, die Betankung in der Luft und die Einflugerlaubnis nach Amerika in dieser kurzen Zeit beschafft hatte, aber all das widerfuhr der kleinen Entsetzungscrew der FEANOR. Und dann war da immer noch der Gernsback, den sie für den Fall der Fälle mit sich führten. Mardukas hatte darauf bestanden und auch dafür die Einfuhrerlaubnis erwirkt.
Das entsetzte Tim ein wenig, aber nicht so sehr wie der Fluglärm, der ihn in dem Transporter einhüllte. Selbst die schweren Kopfhärer milderten den Eindruck nicht weit genug, um ein wenig schlafen zu können. Und dann war da immer noch die konsternierte Sam, die seit dem Start unaufhörlich redete. Alle zehn Minuten kam ein derber Fluch hinzu, mit dem sie die Idee ihres Vorgesetzten Thomas Kramer, heimlich zu heiraten, kommentierte. Ansonsten ging sie Tim und Karasov auf die Nerven.
„Jetzt seien Sie endlich still, Rogers!“, fluchte der ansonsten stets beherrschte Russe wütend und verzog das frisch rasierte Gesicht zu einer mürrischen Miene. „Wenn Sie derart in Kramer verknallt sind, warum haben Sie nicht einfach früher was gesagt, anstatt auf eine Katastrophe wie diese zu warten?“
„Verknallt? In Thomas? Ich?“ Sie lachte ungläubig auf. „W-wie kommen Sie denn darauf, Captain?“
Darauf ging Karasov nicht ein, aber seine mürrische Miene machte einem spöttischen Grinsen Platz. Sam sah zu dem Hubschrauberpiloten herüber. „Ich bin doch nicht in Thomas verknallt, oder? Tim, sag doch was dazu.“
„Weiß ich nicht. Ist mir auch egal“, brummte Scott und gab vor, in die Lektüre seines Buchs vertieft zu sein. „Aber du redest die ganze Zeit nur von ihm, oder? Thomas hier, Thomas da, es ist fürchterlich.“
Verdutzt starrte sie Tim Scott an. Dann begann sie wieder zu lachen. „Ich und Thomas? Lächerlich. Unglaublich. Ich habe doch keinen Heiligenkomplex, oder so.“
Die beiden Männer reagierten auf ihre Worte nicht, also runzelte sie die Stirn. „Das ist nicht euer Ernst.“ Sie sah von einem zum anderen. Als das keine Reaktion erbrachte, verschränkte sie die Arme vor der Brust und beschloss zu schmollen. Sie und verliebt, pah! Natürlich mochte sie den großen, aufrichtigen Deutschen. Immerhin hatte er sie ausgebildet, ihr das Leben gerettet, sie sicher durch unzählige Kämpfe geleitet und immer wieder angestachelt, noch besser zu werden. Aber ansonsten war er überhaupt nicht ihr Typ. Garantiert nicht.
Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft, das sie nicht einmal Karasovs Stimme hörte, die zufrieden sagte: „Endlich hält sie die Klappe.“
***
Es wäre ein Leichtes gewesen, ein Taxi oder gar eine Limousine vom Bellagio zum Treasure Island zu nehmen. Da es aber nur ein paar hundert Meter waren, hatten Melissa und Thomas beschlossen, durch die siedendheiße Wüstenluft zu Fuß zu gehen. Immerhin waren es nur wenige hundert Meter den Las Vegas Boulevard entlang.
Ein wenig wehmütig sah Thomas den Boulevard nach Süden, während Melissa vor dem großen Wasserbecken in Front des Bellagio stand. Zu Musik aus Lautsprechern produzierten gut choreographierte Wasserfontänen ein eigenes, unwirkliches Ballett, welches an Pracht kaum zu überbieten war.
„Oh, das war wundervoll. Ich war schon viel zu lange nicht mehr hier.“ Sie stieß den großen Deutschen in die Seite. „Ganz bei mir bist du heute aber nicht.“
„Was? Tut mir Leid, ich schwelge gerade in Erinnerungen. Den Boulevard runter ist das New York, New York, das erste Kasino, in dem ich gespielt habe, als ich das erste Mal in Vegas war.“ Thomas grinste schief. „Damals hat mir jemand erklärt, man müsse in den alten Kasinos spielen, weil die ihren Bau nicht mehr finanzieren müssen und deshalb höhere Gewinnchancen zulassen. Und das New York sah für mich sehr alt aus. Bis ich irgendwann herausfand, das es noch keine zehn Jahre alt ist.“
„Aha. Dann hast du also dort gespielt und verloren? Mein armer Schatz.“
Thomas lächelte. „Verloren? Gewonnen habe ich. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich habe an einem der Automaten gespielt und über fünfhundert Dollar gewonnen. Aber dann war ich zu feige, das gewonnene Geld beim Roulette zu setzen. Das zieht sich seither irgendwie durch mein Leben.“
„Aber, aber. Der große, tapfere Thomas Kramer hat doch nicht etwa eine gutbürgerliche Seite, etwas konservatives?“, tadelte sie ihn und tappte mit dem rechten Zeigefinger auf seine Brust.
„Vergiss nicht, meine Leute nennen mich hinter meinem Rücken den Heiligen.“ Er schnaubte amüsiert. „Das bezieht sich zwar vor allem darauf, das ich kaum Laster habe, aber daran siehst du wie sie mich einschätzen.“
„Na, dann wirst du sie ja mit deiner spontanen Heirat ganz schön überraschen.“ Melissa lächelte frech.
„Oh, ich denke, das werden sie sein. Aber ich bin ganz froh, dass ich ihnen erst nach Ende meiner Tokyo-Mission wieder unter die Augen treten muss. Das zu erklären würde lange dauern.“
„Wieso etwas erklären, wenn man sie vor vollendete Tatsachen stellen kann?“ Sie ergriff seine Hand und zog ihn mit sich. „Was uns zur nächsten Frage bringt: Elvis-Prieser ja oder nein?“
„Elvis-Priester? Für dich ist die Sache ein großer Spaß, oder?“
„Was spricht dagegen, wenn ich von einem Elvis-Priester getraut werden möchte? Meine Hochzeit soll ein Tag der Freude sein, an dem ich lächeln und lachen kann. Keine Bierernste Zeremonie. Hätte ich das haben wollen, dann hätte ich auch Zuhause bleiben können, anstatt am Tag meiner ersten Beinahe-Hochzeit zu den Marines zu fliehen.“
„Du bist was?“, fragte Thomas erstaunt.
„Habe ich das nie erzählt?“ Amüsiert sah sie den Deutschen an.
„Mein Vater ist ein sehr konservativer Mann und bestand auf einer Hochzeit. Damals war ich sehr jung, und nicht bereit, mich den Wünschen meines alten Herrn zu beugen. Also nutzte ich meine erstbeste Gelegenheit, um in ein Rekrutierungsbüro zu entwischen.
Die haben nicht schlecht gestaunt, als ich da im Brautkleid auftauchte und mich freiwillig meldete. Aber nachdem ich erklärt hätte, mein Vater wäre bei der Army und würde nicht so recht verstehen, was ein junges Mädchen für Bedürfnisse hatte, bekam ich in den Marines des Rekrutierungsbüro sehr willige Verbündete.“ Sie lächelte wehmütig in Erinnerung an diese Szenen. „Ich hatte viel Spaß bei den Marines, und sie haben mir eine Menge beigebracht. Aber erst bei Mithril konnte ich wirklich aufleben, mein Fähigkeiten voll einbringen. Und ich hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, ich würde wirklich was bewirken. Marines schätzen absoluten Gehorsam und die strikte Einhaltung von Befehlen, aber Mithril fördert das Mitdenken.“
Mittlerweile waren sie bis zum Mirage gelangt, wo pünktlich zu ihrer Ankunft ein künstlicher Vulkan ausbrach und die Hitze der Wüstennacht noch einmal steigerte.
Die beiden blieben stehen und beobachteten das Schauspiel.
„Bei mir war es ähnlich, wenngleich das Eurokorps einem Offizier viele Freiheiten bietet. Nur bewirken konnte ich nichts“, murmelte Thomas. „Erst bei Mithril hatte ich das Gefühl, dass es mit der Welt voran geht. Das sie sich irgendwie zum Guten wendet.“
Melissa lächelte spöttisch. „Kein Wunder, das deine Leute dich den Heiligen nennen.“
Sie gingen weiter und gelangten schließlich zum Treasure Island. Auch hier waren sie einigermaßen pünktlich, um die große Attraktion des Hotels zu sehen. Im künstlichen Becken vor dem Hotel lieferten sich zwei Schiffe eine Seeschlacht, die schließlich mit dem Sieg der Piraten über den englischen Angreifer endete – inklusive der Versenkung der attackierenden Fregatte. Standesgemäß ging der Kapitän mit seinem Schiff unter, nur um wenige Minuten später wieder mit ihm aufzutauchen, und das unter dem donnernden Applaus der Zuschauer.
„Diese Amerikaner“, murmelte Thomas amüsiert. „Nicht nur, das sie mitten in der Wüste solch ein riesiges Wasserbassin errichten und zwei Schiffe darauf platzieren, sie lassen eines auch noch viermal täglich untergehen. Aufwand, dein Name ist Amerikaner.“
„Hast du was gegen Amerikaner, Kraut?“, tadelte ihn Melissa.
„Natürlich nicht, Joe. Jedes Volk hat seine Macken, und ihr Amerikaner neigt nun mal zur Verschwendung.“
„Und ihr Krauts dazu, steif, ordnungsliebend und langweilig überkorrekt zu sein“, konterte sie.
„Hey, ich habe nur ein Vorurteil durchgewrungen!“
„Selber Schuld, Kraut, selber Schuld.“ Wieder ergriff sie den Deutschen bei der Hand und zog ihn durch die Menschenmenge ins Kasino hinein.
„Noch eine Frage, die wir klären müssen: Wollen wir während eines Hubschrauberflugs durch den Grand Canyon heiraten oder lieber in einer Kapelle?“
„Das mit dem Flug klingt interessant.“
Melissa lachte als Antwort.

Einer von Robert Hausens Bodyguards empfing sie in der Eingangshalle und brachte sie zu einem als Out of Order gekennzeichneten Aufzug. Wortlos winkte er das Paar hinein und fuhr mit ihnen in den obersten Stock. Auch hier wimmelte es von schwarz gekleideten Chinesen mit Sonnenbrillen und getarnten Kommunikationseinrichtungen im Ohr. Hatte Thomas anfangs noch gedacht, das sich Hausen mit seiner Entscheidung für das Treasure Island erstaunlich bescheiden gezeigt hatte, so sah er sich nun getäuscht, denn das gesamte oberste Hotelstockwerk schien für ihn und Lin gebucht zu sein. Tatsächlich erwartete sie ein ansprechend großes Penthouse mit einigen offenen Bereichen. Für eine Sekunde dachte Thomas wirklich, das Stockwerk wäre extra für die Hausens in eine Art Loft umgebaut worden.
Ihr stummer Begleiter winkte sie weiter, auf das Ende eines Flügels des großen Hotels zu. Dort dehnte sich der Wohnbereich zu einer großen Couchlandschaft aus. Mehrere Personen in Abendgarderobe erwarteten sie bereits, unter ihnen ein übernervöser Robert Hausen und seine erstaunlich gut gelaunte Frau Lin.
Dann wandte sich einer der Gäste um und hob in einer verzweifelten Geste der Entschuldigung beide Hände. Nun wandten sich auch die anderen Gäste in ihre Richtung, und eine offene weißblonde Frisur, ein frecher goldblonder Kurzhaarschnitt und eine aufwändig hochfrisierte blauschwarze Haarmähne bekamen Gesichter. „Willkommen in Vegas, Thomas, Melissa“, sagte das Mädchen mit den blonden Kurzhaarschnitt und lächelte scheinheilig.
Ein dritter Mann trat hinzu, und sein Grinsen ging von einem Ohr bis zum anderen. Auch er trug Abendgarderobe und trug zwei Gläser mit Wein. „Ihr habt doch nicht gedacht, ihr könntet uns entkommen?“, fragte Kurtz Weber grinsend und reichte einen Wein an Kim Sanders weiter, die das Glas mit einem Strahlen dankbar annahm.
„Ist es ein Problem für euch zwei, das ich eure Freunde mitgebracht habe?“, fragte Lin mit einem listigen Lächeln.
Thomas sah kurz zu Melissa, die seinen Blick lächelnd erwiderte.
„Tessa!“, rief sie mit übergroßer Freude in ihrer Stimme und eilte mit zwei schnellen Schritten auf das weißblonde Mädchen zu, um sie an sich zu drücken. „Kaname! Kim!“ Auch die anderen beiden ergriff die Halbchinesin und drückte sie an sich. „Das ihr euch solche Mühe gebt, um an diesem Tag bei uns zu sein...“ Sie schluchzte, und beinahe hätte sie angefangen zu weinen.
Thomas wusste nicht so recht ob er lachen oder weinen sollte und trat auf Kurtz zu. „Du hattest also nichts eiligeres zu tun, als sofort zu petzen, was?“
„Sofort“, bestätigte der deutsche Scharfschütze. „Schließlich wäre es etwas unfair, wenn meine Neesan heiratet, und ich bin nicht dabei, oder? Und dann sind da ja noch die anderen, die vielleicht auch ein Wörtchen mitreden wollen.“
„Hm“, machte Thomas und nahm Weber das Weinglas ab.
„Hey!“
„Wein ist nichts für kleine Jungs. Hol dir ein Wasser oder eine Cola“, erwiderte Thomas und klopfte ihm auf die Schulter.
„Wasser!“ Murrend wandte sich Kurtz wieder der Theke zu, um sich erneut zu bedienen.
Derweil waren die Mädchen in Melissa Maos Griff kurz vor der bedingungslosen Kapitulation. Theresa Testarossa standen schon die Tränen in den Augen, und die anderen beiden schienen sich auch von der Situation überwältigen zu lassen.
„Ich denke, das reicht jetzt, Melissa.“
„Okay.“ Übergangslos ließ sie die drei Mädchen los.
„Ich denke, wir sind euch eine Erklärung schuldig“, begann Thomas und drehte das Weinglas in seiner Hand hin und her. „Und vor allem natürlich euch beiden, Lin, Robert.“
„Na, da bin ich aber mal gespannt“, murmelte Hausen und wirkte gleich sehr viel gelöster.
Thomas atmete tief durch, während die erwartungsvollen Gesichter der anderen auf ihm ruhten. „Um es kurz zu machen, Melissa und ich werden heiraten.“
„Aber das wissen wir doch schon! Was wir nicht wissen, ist...“, begann Kim, hielt aber inne, als sie seinen mahnenden Blick sah.
„Es ist eine Mission.“
Kim rutschte vor Überraschung das Weinglas aus der Hand, Kurtz gleich eine ganze Flasche. Kaname sackte auf dem Sofa durch und Tessa riss ihre Augen unnatürlich weit auf.
Die Hausens reagierten unterschiedlich. Robert mit Erleichterung, und Lin mit Enttäuschung. Ein Eifersuchtsdrama oder eine vertrackte Dreiecksliebesgeschichte wäre ihr sichtlich lieber gewesen. Nur Sousuke Sagara schien nicht im Mindesten überrascht. Oder um präziser zu sein, sein Stoismus ließ eine Reaktion gar nicht erst zu.
Kim öffnete und schloss den Mund einige Zeit lang wie ein Fisch auf dem Trockenen, bevor sie wieder sprechen konnte. „Mission?“, argwöhnte sie.
„Mission“, wiederholte Thomas.
„Aber was für eine Mission erfordert es, eine Hochzeit zu fingieren?“, fragte Kaname Chidori mit ungläubig aufgerissenen Augen.
„Wer reden denn hier von fingieren?“ Melissa kam zu Thomas herüber und hakte sich bei ihm ein. „Wir werden wirklich, wahrhaftig und rechtskräftig heiraten.“
Thomas hob beschwichtigend die Arme, als er das Entsetzen in den Blicken der Anwesenden sah. „Auch das gehört zur Mission, obwohl ich zugeben muss, dass ich selten eine angenehmere Aufgabe hatte.“
„So?“, ließ sich Kim vernehmen.
„Was ist das Ziel der Mission, Thomas?“
Kramer sah Sousuke ernst an. „Dazu muss ich ein wenig ausholen. Wie ihr wisst, sind Kaname und Kim Whispered, richtig? Sie werden jederzeit von einem Team unserer Leute überwacht und beschützt, um zu verhindern, das andere Organisationen wie zum Beispiel Amalgam sie entführen und für ihre finsteren Pläne benutzen. Was freilich nicht immer ganz gelingt. Beides, meine ich.“
Die drei Mädchen tauschten wissende Blicke aus. Das war ein Thema, das sie zur Genüge kannten und selbst erlebt hatten.
„Und es ist anzunehmen, dass ihr auch vom Feind observiert werdet. Wenn ich ehrlich bin habe ich nicht damit gerechnet, das Kurtz auch noch Tessa mit herschleift und die Situation unnötig verschärft, aber der Plan sah vor, euch zwei hierher zu locken, und damit eure Mithril-Bewacher sowie jene, die euch im Auftrag Amalgams oder einer anderen Organisation observieren.“ Thomas nahm einen kurzen Schluck vom Rotwein und rollte ihn im Mund, bevor er ihn schluckte. „In letzter Zeit haben uns Organisationen wie Amalgam sehr zu schaffen gemacht. Zwar waren wir in Südchina erfolgreich und die Mission in Rumänien war ein überwältigender Sieg, aber seither haben wir keine Aktivitäten dieser Organisationen registriert. Da wir aber davon ausgehen, das sie noch existieren, fürchten wir, dass sie einen neuen Schlag gegen uns vorbereiten. Mit unserer Hochzeit hatte der Mithril-Geheimdienst vorgehabt, hohe Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, nicht zuletzt dadurch, dass ihr, Kim und Kaname, mitsamt euren Aufpassern und Observateuren uns hinterher kommt. Eine spontane Aktion, die ebenso spontane Entscheidungen der anderen Gruppen verlangt und ihre nächsten Züge daher für uns sichtbar machen.“
„Mit anderen Worten: Im Geäst war es zu still, und jetzt tretet ihr kräftig gegen den Baumstamm, um zu sehen was runterfällt“, sagte Kurtz, während er an einem Whisky-Schwenker hantierte.
„Etwas in der Art. Eigentlich ist diese Mission aus der Verzweiflung heraus geboren worden, aber wenn sich der Gegner eine Blöße gibt, gelingt es uns eventuell, sie weiter auszudünnen, vielleicht sogar zu vernichten. Aber eigentlich ist das erwartete Missionsziel, Amalgam zu einer übereilten Reaktion zu zwingen.“
Die Anwesenden atmeten auf. „Und ich dachte schon...“, begann Kim. „Eine Mission! Ihr heiratet wegen einer Mission, da bin ich aber erleichtert.“
„Eine rechtskräftige Heirat“, sagte Melissa mit einem Schmunzeln. „Hinterher bleiben wir vielleicht gleich zusammen.“
Entsetzt starrte Kim die Halbchinesin an.
„Das ist gar keine so dumme Idee, Melissa.“ Thomas drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Wir sind ein viel zu gutes Team, als dass wir uns auseinander brechen lassen sollten.“
Tessa sah ihre große Freundin und direkte Untergebene erschrocken an. „I-ist das wahr? W-wirst du dann die DANNAN verlassen und...“
„Nur ein Scherz“, beruhigte sie Theresa. Dennoch legte sie den Kopf auf die Schulter des Deutschen. „Aber man wird ja noch träumen dürfen.“
Thomas schloss die junge Frau in die Arme. Beide sahen sich tief in die Augen. „Melissa.“
„Thomas.“ „Melissa.“ „Thomas.“
„Was meinst du, haben wir sie genug entnervt?“, fragte der Deutsche schließlich lächelnd.
„Ich denke, sie haben ihre Strafe dafür weg, das sie uns einfach hinterher sind, obwohl wir sie nicht eingeladen haben“, erwiderte sie ebenfalls lächelnd.
„Macht das nicht noch mal mit uns“, beschwerte sich Kim mit bitterster Leidensmiene.
„War es das jetzt? Ist das Schauspiel vorbei?“, fragte Robert Hausen mit einem Räuspern. „Können wir dann zum essen kommen?“
„Natürlich. Und das ist die Antwort auf alle drei Fragen.“
„Dann bitte ich zu Tisch.“

Beim Essen entsponn sich eine angeregte Unterhaltung, die sich natürlich um die bevorstehende Hochzeit drehte. Auch wenn sie nur eine Mission war – waren Ehen das nicht immer? Wo sollte sie stattfinden, wer sollte die Mission durchführen, wer würde das denkwürdige Ereignis filmen und was würde die Braut tragen? Wer machte den Trauzeugen, wer die Brautjungfer? Was würden die tragen? Wo sollte anschließend gefeiert werden? Oder übersprangen sie das gleich, um zu einem gemeinsamen Rundflug zu starten?
Am liebsten hätte Thomas hier die Notbremse gezogen, aber der Enthusiasmus der Damen war ihm eigentlich lieber als Vorwürfe, Tränen und Verbitterung, die ebenfalls mögliche Reaktionen gewesen wären.
Andererseits nahm Thomas die Unterbrechung dankbar an, die sich ihm bot, als Hausen von einem seiner Bodyguards vom Tisch fort gebeten wurde.
Auch der Major erhob sich und wartete respektvoll, bis das Gespräch beendet war. Dann trat er an Hausen heran. „Geht es mich was an, Robert?“
Der Spion nickte gewichtig. „Das kann man wohl sagen. Meine Leute haben mir gerade mitgeteilt, das man nach euch gefragt hat. Also dich und Melissa. Einige haben sich dabei benommen wie eine Kettensäge in der Holzabteilung im Baumarkt. Sie haben versucht, Pagen, den Concierge und den Etagenchef zu bestechen. Andere waren subtiler und haben versucht, in unser Computersystem einzudringen oder meine Bodyguards direkt zu bestechen. Thomas, ihr habt zwei Fraktionen am Arsch.“
„Amateure und Profis?“
„Anstatt zu glauben, du hättest Anfänger am Hacken, würde ich eher sagen, dass du es mit zwei Fraktionen mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun hast.“ Hausen sah ihn ernst an. „Unterschätze niemals einen Gegner. Vor allem nicht, wenn du ein hübsches Mädchen wie Melissa derart zur Zielscheibe machst, von dir selbst einmal ganz abgesehen, Kleiner.“
„Ja, ja. Tadel ist angekommen, Papi.“
„Soll ich meinerseits recherchieren lassen? Es könnte zur allgemeinen Verwirrung beitragen und es dem Backup-Team von Mithril ermöglichen, weitere Daten zu sammeln.“
„Eine gute Idee. Aber was kostet das?“
Hausen grinste. „Aber, aber. Du tust ja gerade so als wenn ich ein käuflicher Söldner wäre. Jemand quetscht mein Umfeld wegen meiner Gäste aus, das ist ein Umstand, den ich nicht so stehen lassen kann. Im Gegenteil, da muss ich natürlich reagieren. Allerdings werde ich meinen Leuten die Anweisung geben, sich auf keine Schießerein, Prügeleien oder dergleichen einzulassen.“
„Eine kluge Entscheidung. Melissa und ich haben einen Bungalow im Bellagio bezogen, falls du das noch nicht weißt. Deine Leute könnten dort auch fündig werden. Aber was ist mit Sousuke und den anderen?“
„Sie sind meine Gäste. Sie haben Zimmer auf dieser Etage. Solange sie hier oben sind, müsste man schon mit einem Arm Slave angreifen oder von außen mit einem Kampfhubschrauber attackieren. Und selbst dann wäre ich noch in der Lage, mich zu verteidigen.“
Hausen öffnete einen unauffälligen, in die Wand eingelassenen Schrank und erlaubte Thomas einen kurzen Blick auf den Inhalt. „Nett. Ein tragbares EMP-Gewehr?“
„Wirkt nur auf kurze Distanz, und das auch nicht sehr lange, wurde aber extra entwickelt, damit Fußsoldaten einen Arm Slave ausschalten können. Zehn Stück habe ich davon, und die schaffen auch einen Kampfhubschrauber.“
Thomas runzelte die Stirn. „Wie bist du denn daran gekommen? Und was ist die Quelle? Black Technology?“
„Nicht alles ist automatisch Teil der Black Technology, nur weil es neu ist“, tadelte Hausen den Landsmann. „Und nur weil ich nicht mehr mit Waffen handle heißt das nicht, ich hätte keine Beziehungen mehr. Die Dinger werden von den Franzosen hergestellt, bisher in kleiner Stückzahl. Sie rüsten damit exklusiv das Eurokorps aus, aber die hohen Herren haben nichts gegen die Erprobung in Ernstfallsituationen durch zuverlässige Partner. Vor allem interessiert sie, wie schnell wohl jemand eine Gegenwehr für die Gewehre entwickelt.“
„Oder anders ausgedrückt, ein Teil der Waffen wurde unter der Hand weiterverkauft, und du hast dir gleich ein paar Exemplare gesichert.“
„Natürlich.“ Hausen schloss den Schrank wieder. „Lass uns zurückgehen. Das Essen wird sonst kalt.“
***

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Nach einem entspannten Abendessen und der Klärung der wichtigsten Fragen den folgenden Tag betreffend hatte man Thomas und Melissa mit einem lachenden und einem weinenden Auge wieder abfahren lassen.
Robert Hausens Anfrage, ob Sousuke und Kaname ein Doppelzimmer wünschten, weil er das Gerenne auf dem Flur nachts nicht so berauschend fand, traf voll ins Schwarze und ließ zwei junge Menschen mit geröteten Wangen zurück, die sich den Rest des Abends nicht ansehen konnten.
Robert schüttelte nur verständnislos den Kopf über die zwei, die so offensichtlich zusammen gehörten und es doch nicht schafften.
Kurtz schien dazu etwas zu sagen zu haben, und während die drei Mädchen zusammen mit Lin eine lautstarke Party zur Feier des erwarteten Babys feierten, dezimierte er zusammen mit Robert die Spirituosenvorräte der Etage. Wobei er nach dem Motto vorging: Viel hilft viel.
„Dieser verdammte Kraut“, murmelte er verärgert. „Kommt einfach aus dem Nirgendwo und will meine Neesan haben. Hat er schon mal Seite an Seite mit ihr gekämpft? Hat er mit ihr geblutet? Und was hat er ihr überhaupt für ein Leben zu bieten? Einen Majorssold kriegt er, ha!“
„Du kriegst den Sold eines Sergeants, Gun-so“, erwiderte Hausen trocken, und nahm einen kurzen Schluck vom zwanzig Jahre alten Rothschild, den er im Gegensatz zu Weber nicht wie Wasser schluckte.
„Aber ich habe mit ihr geblutet! Ich... Wo war ich gerade? Ich meine, wie können die da oben so etwas verlangen? Heiraten ist eine wichtige Angelegenheit! So was sollte man nur aus Liebe tun und... Und nicht weil es zum Job gehört!“
„Du machst dir ja richtig Sorgen um deine Neesan“, spöttelte Hausen.
„Einer muss es ja tun!“, erwiderte Weber aufgebracht. „Wenn ich darauf warte, dass Sousuke etwas sagt, sitze ich noch bis zu seinem Schulabschluss hier. Der Bursche ist ja nicht mal in der Lage, sich zwischen zwei Frauen zu entscheiden, geschweige denn zu bemerken, was sie für ihn empf... Empf... Empf... Fühlen! Da bleibe ja nur noch ich! Ha! Und was für Gefahren drohen, das geht ja auch auf keine Kuhhaut! Bisher war sie nur in Gefahr, wenn sie in einen Einsatz ging, aber jetzt wurde ja die Aufmerksamkeit von mindestens fünf Geheimdiensten und Amalgam auf sie gelenkt! Das kann doch nie und nimmer gut gehen!“ Frustriert trank Kurtz Weber sein Glas mit Wein im Wert von achthundert Dollar aus. Aber das war Robert die Show durchaus wert.
„Und das Wichtigste!“, ereiferte sich der deutsche Scharfschütze. „Was passiert, wenn sie verheiratet bleiben? Dann ist doch ihr Leben ruiniert! Es muss ja nur ein Unfall passieren und Thomas wird verletzt und liegt dann hilflos wie ein Neugeborenes im Krankenzimmer, dann würde sie sich nie scheiden lassen und ihn aufopferungsvoll pflegen und...“ Kurtz setzte das Glas erneut an. „Alle“, murmelte er frustriert.
Hausen ließ sich nicht lumpen und schenkte Kurtz eifrig nach, auch wenn das bedeutete, dreihundert Dollar in einen Betrunkenen zu kippen.
„Weißt du wovor du wirklich Angst hast, Kurtz? Du hast Angst, dass es tatsächlich mit den beiden funktionieren könnte. Du hast Angst, dass sie dich, die DANNAN und die Pazifikflotte von Mithril einfach mir nichts, dir nichts aufgibt. Und das hat nicht unbedingt einen romantischen oder sexuellen Hintergrund. Sie war einfach die erste, die dir nicht nur eine Chance gegeben hat, dich wirklich zu beweisen, sie ist auch immer für dich da, obwohl du dich am liebsten wie ein Trottel aufführst.“
Niedergeschlagen ließ Kurtz den Kopf hängen.
„Du willst einfach nicht, dass sich etwas ändert. Aber alles ändert sich, mit jedem Tag im Leben. Irgendwann wird einer von euch sterben, was hoffentlich natürliche Ursachen haben wird und weit in der Zukunft liegt. Und Sagara wird endlich mit Kaname zurande kommen. Tessa wird nicht immer so bleiben wie sie jetzt ist. Irgendwann hat sie Sousuke überwunden und wird sich einen anderen Freund suchen. Einer der ihr was bieten kann und der sie so sehr liebt wie sie es sich von Sousuke erhofft hat. Und Melissa... Melissa wird ihr Nomadenleben irgendwann auch einmal hinter sich lassen. Sie wird eines Tages einen fähigen Mann ihrer Wahl heiraten, wenn sie lange genug überlebt hat, einfach weil sie merkt, dass sie doch nicht so bald ins Gras beißen wird und weil sie glaubt es wäre die richtige Zeit dafür. Dinge ändern sich. Welten ändern sich. Menschen ändern sich. Frisuren ändern sich.“
Kurtz sah irritiert auf. „Frisuren?“
Hausen hüstelte verlegen. „Ein Insiderwitz. Bezieht sich auf eine alte amerikanische Agentenkomödie, die in der damaligen DDR spielte. Jedenfalls, was ich sagen will ist, dass die Welt nicht statisch ist. Sie ist ständig in Bewegung, und alles was wir tun können ist ihr unsere beste Seite zu zeigen und unsererseits zu versuchen die Bewegungen zu beeinflussen, bevor sie es mit uns tun. Dein Job dabei ist es, für deine Neesan unverzichtbar zu sein. Für sie da zu sein. Damit sie dich als Teil des alten Lebens ins neue integriert, wenn es soweit ist. Das ist morgen sicher nicht der Fall, denn für die beiden, Thomas und Melissa, steht der Auftrag im Vordergrund. Aber irgendwann wird es das, und dann sei froh, wenn sie dich mit Freuden ins neue Leben mit nimmt und den Kontakt nicht unterbricht. Verstehst du was ich sagen will?“
Kurtz brummte etwas unverständliches und trank dann seinen Wein auf einen Schlag leer. „Ich glaube, ich sollte jetzt ins Bett gehen, damit ich morgen wenigstens einigermaßen vorzeigbar bin. Auch wenn es nur eine Finte ist, ich will Neesan nicht enttäuschen oder aufbringen.“
„Eine gute Entscheidung.“ Hausen nickte gewichtig. Er griff in die linke Brusttasche seines Hemds und entnahm ihr eine Plastikschachtel. Er warf sie Kurtz zu.
„Wofür ist das?“
„Oropax. Oder denkst du, die Frauenparty ist vorbei, wenn du ins Bett gehst? Vergiss nicht, man stopft es in die Ohren. Nicht schlucken, hörst du?“
Weber brummelte etwas unverständliches, während er die Schachtel einsteckte.
„Was, bitte?“
„Ich sagte gute Nacht, werter Landsmann!“
„Oh. Gute Nacht.“ Robert sah dem großen blonden Mann hinterher, bis er in seinem Zimmer verschwunden war. Manchmal liebte er es, sich als großer Bruder aufzuspielen.
***
Der nächste Morgen brachte das erwartete Chaos. Vier Frauen auf der Etage bedeutete, dass neun Badezimmer bei weitem nicht ausreichten, egal wohin man sich flüchtete. Und dabei veranstalteten sie eine Hektik, die für ein ganzes Bataillon Männer gereicht hätte.
Das war um neun Uhr morgens. Und die Trauung würde erst gegen zwei statt finden. Das klügste wäre es sicherlich gewesen, sich richtig zu besaufen, bis zum Mittag im Bett zu liegen und dann vorsichtig hervor zu lugen, ob der Sturm der Weiblichkeit ein wenig abgeflaut war. Aber leider hatte er vergessen sich zu betrinken, und Lin hatte ihn auch relativ früh aus dem Bett geschmissen, kaum dass er Lebenszeichen gezeigt hatte.
Nun stand er hier, in legerer Kleidung mitten im Riesenappartement, und konnte sich nicht mal die Zähne putzen, weil die Mädchen es geschafft hatten alle Badezimmer zu belegen.
Er spielte schon mit dem Gedanken, kurzfristig ein Zimmer in den unteren Etagen zu mieten, auch wenn das lächerlich klang.
Die Tür von Webers Zimmer öffnete sich. Dies war irgendwie das Zeichen für alle Anwesenden, gespannt zu verharren und seine erste Reaktion auf das Tageslicht abzuwarten.
Der junge deutsche Scharfschütze trat hinaus und musterte die interessierten Mienen. Mit stoischer Miene richtete er den Kragen seines Hemds und stellte den Krawattenknoten neu ein. Er war bereits fertig angezogen, frisch rasiert, und hatte zudem sein langes blondes Haar zum Pferdeschwanz gerafft. Er wirkte ernst. Nicht wirklich bierernst, verstockt oder ärgerlich, eher... Seriös. Und das war ein Wort, das Robert Hausen in Bezug auf diesen Landsmann eigentlich noch nie gebraucht hatte.
Webers Blick ging über die Anwesenden. „Da ihr alle noch beschäftigt seid, werde ich schon mal ins Bellagio fahren. Mal sehen, vielleicht kann ich Melissa und Thomas helfen. Sie haben sicherlich eine Menge zu tun.“ Mit diesen Worten setzte er sich in Richtung Aufzug in Bewegung.
„Warte. Du solltest zu deinem Schutz...“, begann Hausen.
Der Deutsche klopfte auf seine linke Brust. „Walther PPK.“
„Nein, das meinte ich nicht. Li.“
Einer der Leibwächter nickte. „Ja, Sir.“ Wortlos schloss er sich Weber an.
„Li ist einer meiner besten Leute. Er hat einen Führerschein und gestern Abend garantiert nicht getrunken“, erklärte Hausen grinsend.
„Okay, das ist eine gute Idee“, sagte Weber schließlich und ergab sich in sein Schicksal.
Als sich der Fahrstuhl hinter ihm geschlossen hatte, setzte das Geraune der Frauen ein, die Kurtz wohl das erste Mal in solch einem Anzug gesehen hatten. Sogar Robert musste zugeben, dass dieser dem Jungen hervorragend stand. Vor allem die neue Frisur ließ ihn um einiges erwachsener, ernster, busyness-like erscheinen.
An dieser Stelle klinkte er sich aus und entschied sich für ein Frühstück vor dem Gang ins Badezimmer. Nach einem Kaffee und ein paar Fetttriefenden Würstchen sah die Welt meistens anders aus.

Mit der Lektüre der New York Times kam auch ein wenig Ruhe in das Appartement. Robert begann schon zu hoffen, dass er nun endlich zu seiner morgendlichen Dusche kam.
„Robert!“, sagte Chan ernst und reichte ihm den Hörer des Festnetztelefons.
Irritiert nahm Hausen den Anruf an. „Hausen.“
„Li hier. Sir, wir haben ein Problem.“
„Gibt es wieder Ärger mit den Schnüfflern?“
„Nein, Sir. Ich befinde mich mit Mr. Weber im Bellagio, genauer gesagt im Appartement von Miss Mao und Mr. Kramer. Sie sind nicht da.“
Für einen Moment wollte Hausen erleichtert aufatmen. Wenn die beiden noch mal durchgebrannt waren, brachte das ihren Auftrag nicht weiter, aber... Durchgebrannt?
Li bestätigte seine Zweifel. „Es sieht nach einem Kampf aus, Sir. Wir haben die Polizei verständigt. Aber ich habe den Tatort bereits abgefilmt, damit wir unsere eigenen Schlüsse ziehen können. Soll ich in diesem Fall ermitteln?“
„Nein, komm sofort mit Weber zurück. Wir werden uns den Bericht von der Polizei holen und erstmal die Aufnahmen analysieren.“
„Verstanden.“ Li legte auf.
Auch Robert schaltete aus und legte das Telefon beiseite. Leider hatten die Frauen gerochen, dass etwas nicht so war wie es sein sollte, und so standen sie in einer wilden Mixtur aus Nachtwäsche und halb angezogenen Kleidern vor ihm. „Was ist denn los?“, fragte Lin.
„Man hat die beiden augenscheinlich entführt“, gestand Hausen. Na toll, an vorsichtige Ermittlungen war sicher nicht mehr zu denken. Andererseits drängte vielleicht die Zeit.
„Wir müssen ihnen helfen!“, rief Kim aufgebracht. „Wir müssen sie retten und...“
„Ja“, murmelte Hausen. „Das werden wir. Glaub mir, das werden wir.“ Mit diesen Worten griff er zum Telefon.

4.
„Eines muss ich dir lassen, Melissa. Ich wusste, dass unsere Ehe aufregend werden würde. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es schon vorher beginnt.“
Die Unteroffizierin von Mithril sah an Thomas vorbei in den Abgrund zu ihren Füßen. „Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich mag diesen Anblick.“
Thomas runzelte die Stirn. „Es geht da zweihundert Meter und ein wenig in die Tiefe, und du magst den Anblick?“
Melissa schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. „Zweihunderteinundzwanzig Meter, um genau zu sein. Du wirst doch als Arm Slave-Pilot keine Höhenangst haben?“
„Oh, es ist nicht die Höhe, die mir Angst macht. Es ist der Aufprall, nachdem deine italienischen Freunde uns runter geworfen und wir die zweihunderteinundzwanzig Meter am Stück zurück gelegt haben.“
„Es sind nicht meine italienischen Freunde“, murrte sie verstimmt.
„Madre de Dios, könnt ihr nicht aufhören zu quatschen?“ rief eine entnervte Stimme mit starkem Akzent. „Tony, lass sie mich umbringen! Eine Kugel durch ihren Kopf, eine durch seinen und die Sache ist erledigt.“
„Guiseppe, was habe ich dir gesagt? Las Vegas ist meine Stadt, nicht deine. Und der Hoover-Damm ist mein Revier, nicht deines.“
Thomas drehte sich halb nach hinten. „Entschuldigen Sie, wenn ich störe, Tony, aber Damm ist eigentlich die falsche Bezeichnung. Hoover-Staumauer wäre treffender.“
„Du hast dir wirklich erstens eine schlechte Zeit, zweitens einen schlechten Ort und drittens den falschen Mann zum klugscheißen ausgesucht, Thomas Kramer.“
Der Major lachte abgehackt. „Wenn ich schon da unten den Beton küssen muss, kann es nicht schlimmer werden, oder?“
Tony, ein nicht besonders großer, schlanker Mann mit braunen Haaren, musterte ihn ärgerlich. „Ich könnte sie vor dir springen lassen und dich zwingen dabei zu zu sehen. Ich könnte dir die Kniescheiben wegputzen und auf die Sekunden wetten, die du es schaffst, auf der Mauer stehen zu bleiben. Ich könnte...“
„Am Endergebnis ändert das aber nicht viel“, wandte Thomas ein. „Ich weiß, man sollte das jemanden nicht fragen, der einen mit Hilfe von Schlafgas aus dem Hotel entführt, aber gibt es Verhandlungsspielraum? Ich wusste, die Ehe ist ein Abenteuer, aber darauf hat mich niemand vorbereitet.“
„Tony, lass mich ihn runter stoßen. Einfach so. Und ich werde auf die Mauer steigen, jeden Meter von seinem Fall beobachten und lachen. Einfach nur lachen.“
„Sei still, Guiseppe. Thomas Kramer, weißt du warum du hier bist?“
„Weil du was gegen mich hast, Tony?“
„Wie kannst du so respektlos zum Don sprechen?“, blaffte einer der Leibwächter.
„Ruhig, Richard. Das ist so nicht richtig, Thomas Kramer. Du warst nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und wolltest die falsche Frau heiraten. Scusi, aber du springst mit ihr gemeinsam weil ich rachsüchtige Verlobte und Witwer einfach nicht leiden kann.“
Thomas sah zu Melissa herüber. „Hast du irgend etwas angestellt von dem ich nichts weiß?“
„Nicht mehr als sonst auch“, erwiderte die schwarzhaarige Schönheit.
„Darf ich deine Erinnerung auffrischen?“, Guiseppel, ein großer, bulliger Typ, trat hinter sie, griff in ihre Haare und bohrte den Lauf seiner Pistole in ihre Schläfe. „Du bist auf der Party meines Dons aufgetaucht, unter falschem Namen! Du hast seinen persönlichen Gast entführt, und auf deine Flucht hast du sieben Wagen voll mit unseren Leuten erledigt! Ich habe dreißig gute Freunde verloren, du Schlampe!“
„Das reicht, Guiseppe!“, klang Tonys Stimme scharf auf.
„Aber...“
„Du bist hier in meinem Revier! Willst du gleich mit ihnen springen?“
Langsam nahm der andere die Waffe ab und ließ Melissas Haare fahren. Die junge Frau richtete sich auf und blickte wieder nach vorne. Sie hatte nicht einen Laut von sich gegeben, als der Rüpel an ihren Haaren gezerrt hatte.
„Sieben Wagen? Das ist selbst für dich heftig“, staunte Thomas.
„Ich hatte Hilfe. Kurtz und Sousuke waren dabei“, erwiderte sie.
„Wen hast du entführt?“
„Einen Verräter. Bei der Sache in Hong Kong, der Geiselnahme im Grenztunnel, hat er unsere Aktion beobachtet. Und unseren Funk direkt an Amalgam weiter geleitet. Wir haben eine Menge guter Leute verloren.“
Thomas sah wieder nach hinten. „Gleicht das die sieben Wagen nicht ein wenig aus? Wenn ihr schon Verrätern Gastfreundschaft anbietet.“
„Porca misere, ich werde dich...“
„Genug!“, blaffte Tony. „Ich habe gehört was ich hören wollte. Ich habe kein Interesse an euch beiden.“
Thomas und Melissa wechselten einen hoffnungsvollen Blick.
„Andererseits schulde ich dem Don etwas. Und ob ihr lebt oder sterbt ist mir reichlich egal. Wollt ihr selbst springen, oder soll ich nachhelfen lassen?“
„Welches Argument würde dich davon überzeugen, darüber noch mal nachzudenken, Tony?“, fragte Thomas hoffnungsvoll. „Geld? Waffen?“
„Ich bin nicht interessiert.“
Thomas seufzte. „Aber vielleicht bist du in der Lage, uns in Würde abtreten zu lassen, Tony. Du schuldest uns nichts, aber vielleicht machst du Punkte beim Herrgott gut.“
Der kleine Mann runzelte die Stirn. „Was willst du, Thomas Kramer?“
„Wenn wir schon springen müssen, dann bitte auch mit Karacho. Lass uns Anlauf nehmen, Tony.“ Der Deutsche wedelte mit seinen Handschellen, die seine Hände effektvoll auf den Rücken banden. „Keine Tricks, versprochen.“
„Thomas, ich...“
„Es tut mir Leid, Melissa. Aber für uns bleibt nur noch der Sprung. Unsere Freunde stehen in Las Vegas gerade erst auf. Sie können uns nicht helfen. Aber mir liegt viel daran, Dienstgerecht abzutreten. Also... Bitte, Melissa.“
Die Arm Slave-Pilotin musterte ihn für einen Augenblick voller Spannung. „Tony, ist ein letzter Kuss erlaubt?“
„Auch das noch. Glaubt ihr wirklich, ihr zwei seid in der Lage eine Forderung nach der anderen zu stellen? Was glaubt ihr, wer ihr seid? Romeo und Julia?“ Der Italiener murmelte einige Zeit unwillig vor sich hin. „Gut, gut. Aber macht es wenigstens heiß, damit meine Jungs auch was davon haben.“
Sekunden darauf drückten die Mündungen von Revolvern auf ihre Schläfen, während weitere Männer ihnen die Handschellen abnahmen.
Thomas massierte seine Handgelenke für einem Moment, um sie wieder richtig zu durchbluten. Melissa sah betrübt zu Boden.
Langsam nahm er sie in die Arme. „Sei nicht traurig. Ich kann dich nicht retten. Das muss ich einer größeren Macht überlassen. Aber ich verspreche dir eines. Ich springe mit dir, und wir gehen gemeinsam in ein neues Leben.“
„Glaubst du das wirklich?“, hauchte sie und sah auf.
Sanft streichelte er über ihre Wangen. „Wenn nicht hier und jetzt, wann dann?“
„Oh, Thomas.“ „Melissa.“
Sanft berührten sich ihre Lippen zu einem Kuss.
„Lass sie mich erschießen, Tony, hier und jetzt und...“
„Verdammt, Guiseppe! Noch ein Wort und ich zerre dich selbst zur Mauer und werfe dich eigenhändig rüber!“
„Das würdest du tun? Mit deinem eigenen Schwager?“
„Ich höre mir lieber das Gezeter meiner Schwester an als dein Genörgel!“
Abwehrend hob Guiseppe beide Hände und trat nach hinten.
„Also, ihr zwei, genug geknutscht. Jetzt wird gesprungen.“
Die beiden unterbrachen den Kuss und sahen zu dem Anführer der hiesigen Mafia herüber.
„Ich hoffe du weißt, dass jede Aktion eine Reaktion auslöst“, murmelte Thomas wütend und löste sich von Melissa.
„Und ich hoffe, dass du auf den letzten Metern nicht anfängst zu heulen und deinem Mädchen Schande machst“, erwiderte Tony.
Barsch wandte sich Thomas ab. Er streckte eine Hand aus. Melissa ergriff sie. In diesem Moment stand die Sonne günstig genug, sodass sie nur als Silhouetten zu sehen waren.
„JETZT!“, rief Thomas. Er sprintete los, die junge Frau aus der Pazifikflotte an seiner Seite. Sie erreichten die Mauer, benutzten sie als Sprungbrett und stießen sich kraftvoll ab.
Im freien Fall zog Thomas Melissa an sich. Er würde sie bis auf den letzten Meter beschützen.
Dann rauschte der Arm Slave heran. Er kam über den Colorado gefegt, sauste die Staumauer hoch und fing sie mit seinen beiden zur Schale geformten Händen auf, bevor er durchstartete und am Dammsims vorbei in den blauen Himmel davon schoss.
„Das ist die verrückteste Entführung der Braut, die ich je erlebt habe!“, rief ihm Melissa über den Lärm des Fluges hinweg zu.
„Du bist ja auch die verrückteste Braut, die ich je hatte!“, erwiderte Thomas mit einem wilden grinsen.
„Chef, bist du okay? Ist So-sho Mao okay?“, klang eine besorgte Frauenstimme auf, die er nur zu gut kannte.
„Keine Sorge, Sam, wir sind beide wohlauf. Dank dir“, rief er und zeigte dem Arm Slave einen erhobenen Daumen.
„Gut, dann brauche ich ja keine Rücksicht zu nehmen!“, erwiderte Sam und beschleunigte.
„Ist sie aus irgend einem Grund sauer auf dich?“, rief Melissa, während der verstärkte Fahrtwind an ihr zehrte.
Thomas musterte die junge Frau, musste lächeln, wurde aber sofort wieder ernst. „Mir fällt kein ernsthafter Grund ein“, log er.
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Ace Kaiser,
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